Offenbarung

1979 an Anita Wolf diktiert

Zur Zeit der Verfolgung Luthers herrschten einige Mönche des Jesuitenordens aus Spanien ungestraft in Europa, deren Führer, Inquisitoren, die vom Papst zur Verfolgung und Beschlagnahmung des Vermögens der Unglücklichen ermächtigt waren, die Freiheit hatten, außerhalb der Justiz zu agieren. Einige unglückliche, wahre Heilige, die in der Geschichte unbekannt, aber im Königreich bekannt waren, versuchten, vom Himmel geleitet, Widerstand zu leisten.

 

Die Unbekannten


Zur Zeit der spanischen Inquisition (1517)

Das Original herausgegeben vom Freundeskreis von Anita Wolf- C/o Jurgen Herrmann

Hohenfriedberger Strasse, 52 - 70499 Stuttgart

Email:  bestellung@anita-wolf.de.

Sito:   http://www.anita-wolf.de

 

Liebe Freunde,

im nachstehend kleinen Werk "Die Unbekannten" möchte ich unsere treuen Leser und Leserinnen auf einiges Besonderes hinweisen. Hier kommt es auf keinen Fall darauf an, daß gegen oder für eine Kirche, respektive Religionsrichtung, die Rede ist, sondern einzig geht es um den GLAUBEN. Derselbe wirkt überall, wo immer ein Mensch sich der Lehre Gottes hingibt.

Es soll auch nicht erstrangig die "Erzählung" sein, wie man den Inhalt des Buches dem ersten Eindruck nach einstufen möchte. Wer es glauben will es ist eine echte Offenbarung. Das zeigen schon die verschiedenen Worte aus dem Jenseits auf, die durch Träume, durch direkte Sprache zum Ausdruck kommen.

Auch wird auf keinen Fall gegen eine bestimmte Richtung, wie sie leider das dunkle Mittelalter gezeitigt hat, zu Felde gezogen; es wird in der Tat bloß darauf hingewiesen: Wo wirkt jener Glaube, den der HEILAND allen Menschen gelehrt und anempfohlen hat?

Die Namen der handelnden Personen sind nicht zuständig. Ob sie in Wirklichkeit, geschichtlich, so vorgekommen sind oder nicht, spielt geistig keine Rolle. Dafür heißt es ja: "Die Unbekannten". Stellen wir uns in Hinsicht dessen, was wir bereits erhalten haben, neben diese einstigen Unbekannten, dann dürfen wir uns auch desgleichen betrachten.

Vor Weltgroßen, gleichgültig, welche zu nennen wären, sind wir völlig unbekannt. Keine große Zeitung, keine Regierung nimmt von uns Notiz. Und das ist gut! So dürfen wir, liebe Lichtfreunde, uns zu den Einstigen zählen und bedenken, wie die im Buch vorkommende "Beate" (Kap. 20,13) aus vielen Engelsworten es erkannte: "Namen gelten nichts, bloß die Tat!", sowie Sinkmann, der Dual von Beate, ebenfalls eine Seele aus dem Licht (Kap. 6,48), am selben Ort inkarniert, um gemeinsam mit Beate die irdische Mission zu unterstützen. Aber auch das wird hervorgehoben, daß die vor der Welt Unbekannten bei GOTT die "Bekannten" sind.

Wer unter diesem Motiv das Büchlein liest, wird bestimmt den uns "bekannten Segen" haben. Das wünscht allen unseren lieben, treuen Leserfreunden mit herzlichen Lichtgrüßen

 

Josef Brunnader

V.T.G., Weiz, Mai 1980

 

PERSÖNLICHKEITEN

Angermann             = Bruder Augustinus

Beate                        = Tochter von Meurer und Helene

Cristoforo                 = der spanische Inquisitor des Ordens

Freda                        = Ehefrau von Huber

Freierlein                 = ein Kaufmann

Göster                      = Stadtschreiber

Gustav                      = junger Mönch (ehemals dem Inquisitor angeschlossen)

Hänsel                      = Sohn von Schrober

Helene                     = Ehefrau von Meurer und Mutter von Beate

Hias                          = dienender Helfer

Hildegung                = Schwester von Bertold Meurer (als Kind gestorben)

Huber August          = Bauer (Verdächtiger und Spion)

Kieslutz Gregor      = Landarbeiter unter den Ärmsten

Maria                        = Ehefrau von Stiebitz

Meira Bartels           = die Frau der Toten – die Totengräberin

Meurer Bertold        = (guter) Bauer, Vater von Beate und Ehemann von Helene

Peter                         = Sohn von Meurer und Helene und kleiner Bruder von Beate

Scharfner                 = Wartburgkommandant

Schöber                   = Stadtrat

Schrober Toni         = Zündkerzenmacher

Sinkmann                = ein guter Priester

Stangler Franzel    = Bauer

Stiebitz Sepp           = Arbeiter

Strauber                   = Arzt

Wuhnicke                = Schneidermeister

Xavier Hieselbar    = ein Bauer

Therese Hieselbar             = Ehefrau von Xavier

 

Orte erwähnt

Augsburg – Erfurt – Eisenach – Wartburg

 

 

 

INDEX

cap. 1

Eine dunkle Menschenwelle bricht herein

cap. 2

Der Hispanier und ein treuer Pfarrer

cap. 3

Der Priester hat die erste Vision – die Mitteilung an die Gemeinden – eine göttliche Hilfe für die Kinder

cap. 4

Die ungute, fremde Ordensmacht; Ein Loch im Beichtstuhl-Vorhang

cap. 5

Der Schrei der Eule – Historische Zeiten bedrohen Geist und Körper – Ein gesundes Gespräch – Ein Wort mit dem Licht – Ein weiterer Angriff geht in Rauch auf

cap. 6

Wieder der Engel von Beate – Weg mit dem Heuchler, Bertold vom Priester um Hilfe – Das Licht belehrt und tröstet

cap. 7

Reporting Huber – Das Machtdokument des Inquisitors – Noch ein Wort von der Hohen Gnade

cap. 8

Die Rückkehr des erkrankten Huber – Schwierige und dennoch gesegnete Vorbereitung

cap. 9

Die große Flucht; Der Priester wird gefoltert – Das wundersame Kraut

cap. 10

Der Aufbruch nach einem innigen Gebet – Die Reise ins Unbekannte – Ein Angriff geht in Rauch auf – Meditierte Lehren

cap. 11

Abschied vom Kaufmann – Der gute Wirt, die Kapelle von Bethlehem und Hilfe für den Diener – Der Broteinkauf – Ist Eisenach die Heimat?

cap. 12

Das erste Wort des Engels durch Beate und das gleiche Wort, das er von Sinkmann erhielt

cap. 13

Die kleine Beate bei der Arbeit – Der Totengräber – Ein Klatschmädchen zurückholen – Schwierige Fragen und der Vater antwortet

cap. 14

Das Erwachen – Eine Stimme aus dem Licht erklärt und tröstet durch Beate – Die beiden Priester denken nach

cap. 15

Gott, der alleinige Heiler; Einer kehrt um

cap. 16

Der Hinterhalt der Schurken – Die Frau der Toten ist gerettet – Das Licht lehrt immer noch durch Beate

cap. 17

Weitere Lehrer aus dem Licht und Hinweise für die kommende Zeit – Das Wesen mit der Sense und die sieben Pavillons – Die schwarze Pest kommt – Der Großinquisitor gibt nicht auf

cap. 18

Was zu tun ist? - Das Licht antwortet - Der Große wird geplagt, sogar der Helfer - An Taten der Liebe mangelt es nicht

cap. 19

Lehren aus dem Licht durch Sinkmann – Offenbarungen an Meurer – Beate, vor dem sterbenden Spanier, wird noch geführt

cap. 20

Der treu gebliebene Mönch - Weitere Worte aus dem Licht durch Beate - Meira und ihr Traum - Meurer sieht die Rückkehr in Beates Haus voraus - Sinkmanns letzte Botschaft aus dem Licht

 

۞

kap. 1

- Eine dunkle Menschenwelle bricht herein

«… denn wo ist noch ein solcher Gott wie Du?»

1. "Vater, ich habe …"

- Der Mann, bittend angesprochen, hält seinem Kind die Lippen zu. Ein zehnjähriges Mädchen, hellen Auges und mit hellem Haar geschmückt. Ängstlich sieht der Mann sich um, doch sie sind allein im armselig kleinen Raum.

- "Weshalb darf ich nicht …?"

- "Still, Beate, nicht hier! Wir gehen auf die Wiese, es ist das Heu hereinzuholen, was man uns …" Auch er, der leicht gebückte Mann, dem Leid und Sorge tiefe Runen ins Gesicht gegraben haben, schweigt still. Er ist erst vierzig Jahre alt.

2. Seine auch verhärmte Frau, an der Hand ein kleines Bübchen, tritt herein. Ein Blick. So lieb ist das Mädchen, doch sie hat etwas; und seit die Hispanier gekommen sind, ist man seines Lebens nicht mehr sicher, zumal solche, die eine lichtgeprägte Seele haben. Man macht keinen Unterschied zwischen alt und jung, höchstens zwischen reich und arm. Wer alles opfert, wird geschont. Was können Arme opfern, denen man, wie hier dem kleinen Bauern, seine karge Ernte mindert, indem man viel als 'Abgabe' einkassiert?

3. "Komm", sagt der Vater barsch, "du mußt mir helfen, vielleicht blieb etwas liegen."

- Beate ist zu klug, um nicht die groben Worte zu verstehen. Vom Schuppen nimmt sie einen Rechen mit.

- Auf dem Weg durchs Dorf kommt ein anderer. Er hüstelt, hält die Hand vor seinen Mund und flüstert: "Hab' acht, die nächste Messe hält ein Dunkler. Laß dein Kind zu Hause." Er wirft einen Blick auf Beate, die schon unbekümmert weiterging.

4. Berthold Meurer, so heißt der Mann, nickt kaum merklich, in den Augen liegt sein Dank, und ‒ weicht rasch aus; denn von ferne sieht man eine dunkle Kutte stehen. Er, Berthold, würde gern mit Frau und Kind das Dorf verlassen. In Gedanken seufzend: 'Herr, wir glauben fest an Dich. Seit ein Neues, Gutes ausgebreitet wird, da müßte man noch fester an Dich glauben; denn … wo ist noch ein solcher Gott wie Du?' – Allein, in ihrem Land, im Süden, wird das gute Neue nicht geduldet. Man rottet es mit Foltern und mit Scheiterhaufen aus ‒ die Menschen; Das Neue auch ‒?

5. Berthold Meurer bleibt bekümmert stehen. Mehr als die Hälfte von dem Schnitt, den er gestern mähte, ist verschwunden. Ah, 'etwas sei von der reichen Ernte abzugeben'. – So reich war der Graswuchs nicht, immerhin, für Kuh und Ziege hätte es den Winter über doch gelangt. Ein karger Trost ‒ so geht's ihm nicht allein; den Ärmsten wird das meiste weggerafft. Und erwischt man sie, daß sie heimlich von den Wegesrändern mit der Sichel etwas schneiden, alsdann ‒ wie bereits geschehen ‒ nimmt man ihnen alles ab. Einem Nach-barn hatte man sogar dafür die Daumen abgeschnitten.

6. Indessen hat Beate schon das Wenige vom Heu gemustert. Sie sieht hinauf zum blanken Himmel. Noch ist sie zu jung, um allen Kummer zu verstehen, mitzutragen; denn sie weiß noch nichts von dem, was nun durch die Lande rollt: die Inquisition! Sie trägt die Häufchen an den Rand, wo der Vater traurig bei der Karre steht. Wahrlich, man braucht nicht mal einen Esel, um diese Ernte heimzufahren, am wenigsten die Kuh.

7. "Vater", fängt Beate wieder an, "ich wollte dir den Traum erzählen; er war wunderbar."

- Nach beiden Seiten schielt der Mann. Keine Lauscher. Er setzt sich an die Karre und sieht sein Kind mit tiefer Sorge an. "Sprich", flüstert er, "leise, es darf uns keiner hören."

- "Weshalb nicht", fragt das Mädchen. "Ist's nicht herrlich, wenn ein Engel mir so vieles aus dem Himmel bringt? Ich meine, was er zu sagen hat, und streicht mir freundlich über das Gesicht. Du glaubst nicht, Vater, wie hold er lächeln kann."

8. 'Glaub' ich gern', zieht's dem Vater durchs Gemüt. 'Im Himmel gibt es keine Armut, keine Qual, keinen martervollen Tod, wie die …' Er hört sogar mit den Gedanken auf aus Angst, selbst die könnte so ein Dunkler sehen. Kürzlich hat er es gehört, vom Nachbardorf, auch ein Mädchen, siebzehn Jahre alt, lieb und freundlich. Und nur weil sie sagte, sie hätte vor den Dunklen Angst, hat man sie geholt. Was nach Hause kam, war ein Menschenwrack. Man ballt insgeheim die Fäuste und fragt: – wo denn Gott geblieben wäre, der diesen Greueln steuern müßte? Wie lange soll man das denn noch erdulden? – "Und?" fragt er unvermittelt seine Tochter.

9. "Der Engel setzte sich auf meine Schütte Stroh, und da wurde mir so wonnig leicht. Ganz hell war es im Kämmerle. Er sprach, es würde nicht mehr lange dauern, Gott käme bald, man brauche sich nicht mehr zu ängstigen." Jetzt ‒ es weht das Kind ein Frosthauch an.

10. Ein Seufzer, der Mund bewegt sich kaum. "O Gott, wir warten schon so lang auf Dich! Warum läßt Du Deine Menschen jagen, martern und das ‒ das 'im Namen Gottes'? Was haben wir verbrochen, da wir an Dich glauben, und man nimmt das Leben, Hab und Gut?"

11. "Bringen uns die Dunklen so viel Unheil her?" fragt Beate. "Ich fürchte mich vor ihnen, obwohl der Engel sagte, ich brauchte keine Angst zu haben. Gott führte uns hinweg. Wann, wohin, hatte er verschwiegen."

- Schwer liegen Bertholds Hände auf dem Lichtgelock des Kindes. "Versprich mir das: Was immer du auch Sonderbares bei der Nacht erlebst, siehst oder träumst ‒ niemand darfst du etwas davon sagen, auch nicht ‒ nicht deiner Mutter!"

12. "Ich verstand es nicht, Vater, weil du mir das gleich verboten hast, als ich das erstemal den Engel sah. Sollte ich denn Mutterle nicht auch damit beglücken?"

‒ "Beglücken…?" Ein Weib ‒ wie leicht ist's zu verdrehen. Nein, nicht verdrehen, sondern in die Schraube böser Fragen nehmen, bis sie nicht mehr wissen, was sie sagen, weil Schmerz und Qual nicht zu ertragen sind. Dann ‒ kommt zumeist das Unheil auf das ganze Haus.

13. "Es ist so", sucht er seiner Tochter klarzumachen, "die Mutter ist ein bissel ängstlich und könnte einer Nachbarin erzählen, was du träumst und siehst. Ich ‒ hm ‒ ich glaube dir, Beate, und wer weiß, warum gerade du von Gott ersehen bist, dies alles zu erleben. Doch die anderen? Die verstehen das nicht und schreien, auf unserem Dachfirst säß' der Teufel."

- Todweiß vor Schreck ergreift das Kind des Vaters Hände: "Das, das wäre gar nicht wahr! Der wunderfeine Engel, der kann kein Teufel sein. Dazu die lieben Worte, der Segen, den er jedesmal zu uns herunterbringt? Das versteh' ich nicht." Sie fängt bitterlich zu weinen an.

14. "Weine nicht, es soll niemand wissen, was wir miteinander hier geredet haben. Laß uns gehen, sonst wird noch ausgerechnet, warum wir mit dem halben Karren so viel Zeit vertrödelt hätten. Auch so was, …kann verderben,“ verschluckt der Bauer es. Auf dem Weg, wo Büsche stehen, heißt er Beate aufzupassen, daß niemand kommt. Langsam gehend, nimmt er mit der Sichel hie und da ein Fleckchen Gras, achtsam, daß man die kahlen Stellen nicht gleich sieht, gibt das 'Geraubte' unter seine Wiesenmahd. Man hat's gelernt, bis ins kleinste achtzugeben. Denn um sich selbst zu schützen, hat mancher Nachbar seinen Nächsten angezeigt.

*

15. Zu Hause angekommen, besieht die Frau die Karre. Wie schwer und düster ist das Leben. Daß man von der Wiese kaum die Hälfte übrig ließ, ist nicht zu übersehen. Wieder dieses 'Still' des Bauern, als sich ihre Lippen öffnen. Es kommt einer von den Nachbarn, den man lieber gehen als kommen sieht. Aber freundlich wird gefragt: "Was gibt's, Huber-Bauer? Kann ich dir was helfen?"

16. "Mir nicht."

- Dabei mustert jener ungeniert das Heu. Ist's etwa auch des Lichtes Führung, weil Beate schon die Deichsel nimmt? "Ich bring's hinein, es ist Futterzeit."

- "Hast ein braves Dirndel, ist allweil fleißig und geschickt." Wie unecht diese Worte klingen, ist ohne Mühe festzustellen.

- Helene Meurer wendet sich ins Haus: "Ich koch' die Mittagssuppe, komm' bald nach, Berthold."

- Er nickt und fragt noch einmal, was der Nachbar wolle.

17. "Der Kieslutz fragt, ob du helfen kannst. Ein Stück Stallmauer ist herabgebrochen; aber er mit den verkrümmten Händen", die hatte er sich mal als Kind gebrochen, "kann das nicht alleine tun." Der Kieslutz, wie man ihn nennt, weil auf seinem Grund mehr Kies als Hafer wächst, ist mit einer von den Ärmsten, sonst jedoch ein guter Mensch. Bisher blieb er unbehelligt; und sogar Neider, die überall zu finden sind, lassen ihn in Ruhe.

18. "Kommst du vorbei", sagt Meurer, "dann richt' ihm aus, ich käme nachmittags vorbei." Er grüßt und geht ins Haus. Viel muß man in der Kehle stecken lassen, und obwohl nie gern getan, ihm ist Heuchelei ein Greuel, muß man zum Schutze der Familie oftmals freundlich sein, wo man am liebsten...

 

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Kap. 2

 - Der Hispanier und ein treuer Pfarrer

 

1. In der nahen Stadt sitzen sich zwei Männer gegenüber. Es ist in der obersten Etage eines von den besten Häusern. Klug gewählt. Oben ist nicht leicht zu lauschen. Die Stiege knarrt, auch ist der Raum, in dem die Männer sitzen, erst durch einen Vorraum zu erreichen. Immer sind die Türen zugeschlossen. Einer von den beiden ist der Prediger des Ortes, der zwei Kirchen hat. Ihm ist nicht besonders wohl in seiner Haut, wenn er als Angehöriger eines Ordens auch gesichert ist. Ah, …wer weiß? ihm ist schon allerlei begegnet; bloß Vorsicht und die Klugheit dienten ihm bisher.

2 .Der andere Mann ist einer von den Dunklen, so benannt, was von den dunklen Kutten kommt und vom meist schwarzen Haar. Dazu dunkle Augen, die wie Dolche blitzen. Gar mancher von den frommen Pfarrern hat vor ihnen Angst. Jetzt eben sieht der Städter im Blicke seines Gegenübers ein böses Feuer glimmen. Doch er, Sinkmann, hebt einen Becher hoch und trinkt dem Dunklen zu, dabei sagend, man könne nun das Nötigste besprechen.

3. Der Hispanier nickt: "Soweit ich hier bei euch erkennen konnte, seid ihr wacker an der Arbeit. Eines ist zu ändern: ihr sprecht zu fromm, ich meine", verbessert er sich rasch, "ihr seid zu gut mit euren Schäflein, die keine gläubigen Kirchenkinder sind. Bei eurer letzten Predigt sah man fröhlich drein, anstatt reuevoll zu Boden blickend. Was meint ihr dazu?" Eine Fangfrage, wie man solche auch dem Heiland stellte.

4. Sinkmann fällt nicht in die Falle: "Ehrwürdiger Bruder, die mir anvertrauten Leute…", er würde lieber 'Gotteskinder' sagen, "…haben immer voll gebeichtet. Ich habe sie nie leicht geprüft, mich auch umgehorcht, ob man bei diesem oder jenem ‒ so privat ‒ noch anderes erfahren konnte. Doch in all den Jahren, seit ich hier im Amte bin, waren es ganz wenige, die eine härtere Buße aufzunehmen hatten und …

- Worin bestand die Buße?" Nicht ganz ist das Lauernde im finsteren Augenpaar zu decken.

5. "Ich hielt mich an die Regeln, die aus Rom gekommen sind. Diese haben sich bisher bewährt."

- "Damit habt ihr nicht gesagt, welche Bußen aufzulegen sind." Ein wenig fahrig hebt der Spanier die Hände auf.

- Sehr erstaunt tut Pfarrer Sinkmann, so echt, daß selbst ein Gerisenster von all den Schwarzen es nicht merkt. "Bruder in dem Herrn, das wißt ihr ganz genau; denn auch euer Orden untersteht dem Schutz von Rom. Solltet ihr das Strafgesetz nicht kennen?" Beinah dümmlich sieht der Pfarrer drein.

6. Jener fegt den Einwand weg: "Natürlich, doch sind diese Regeln längstens überholt. Solltet ihr nicht wissen, daß inzwischen, weil die Kirchenkinder mehr als lasch geworden sind, treiben Teufelsspuk und böse Dinge, andere Methoden anzuwenden sind? Mit Geldbuße oder Karrendienst, noch mit Gebeten, die gesprochen werden, reformiert man nicht die Kirche!"

- Herzensschwer weiß Pfarrer Sinkmann, was auf die arme Menschheit zugekommen ist.

7. "Reformieren?" fragt er bescheiden, "Unsere Kirche steht seit über tausend Jahren fest. Ich könnte mir nicht denken, was es zu verbessern gibt." Er lauscht in sich hinein: ‚Sehr viel wäre abzuändern, zugunsten aller Gläubigen. Wie es heute steht ‒ kein Wunder, wenn Erwachende nach anderem sich sehnen. Und der Mann im Norden ‒ hat er nicht recht, wenn er …‘

8. Der Hispanier, der sich gleichfalls fassen muß, bloß auf andere Art, hält die Gedanken auf. Das Wort 'reformieren' war ungeschickt gewählt. Ah, gegen sie, den großen Orden, kommt niemand an, viel weniger solch kleine Null, wie dieser Pfarrer eine ist. Erst hebt er seinen Humpen hoch, trinkt, und die Maske seiner Freundlichkeit wirkt echt. ‚Man kann es mit der Angst bekommen,‘ denkt der Gute, wie hernach erst all die Armen, die großenteils noch nicht mal lesen können.

9. Der Spanier sagt bedächtig: "Bedenkt es weise, lieber Bruder, daß eine jede Institution sich vorwärts schieben muß, wie es auf allen Weltgebieten nötig ist. Ob ein Bauer, Weber, Kaufmann oder ‒ auch die Kirche, jeder hat sich zu bemühen, Besseres zu leisten als es bislang ermöglicht ward. Das ändert bei uns nicht das Lehrgefüge. Es ist Neues aufzunehmen; denn die Menschheit, im gesamten, bleibt nicht stehn. Man muß dem Vorwärts Rechnung tragen."

10. "Ja, hochwürdiger Bruder, das geht mir eben ein. Dank für die gute Lehre." – ‚Oh, oh, mein Gott, verzeihe mir die grobe Lüge. Wäre ich nicht fest dem Kirchenrecht verbunden, gleich heute ließ ich alles stehn und liegen und ginge hin, wo das Bessere zu hören ist, wo es um GOTTES Worte geht und nicht um Herrschsucht und Gewalt.‘ Da sieht er vor sich die Gemeinde, die ihm treu ergeben ist, die an seinen Lippen hängt, zu ihm oft die Wege findet, wenn sie Hilfe nötig hat ‒ meist für das nackte Leben. Darf er sie verlassen ‒ und ahnt es nicht, wie bald er einmal fliehen muß, gerade, um andere zu retten. Jetzt…

11. "Nun, hochwerter Bruder, was habt ihr zu bemängeln?"

- ‚Ha, der wird weich,‘ blitzt es dem Spanier durchs Hirn. ‚In Kürze kommen mehrere von seinem Orden, er selber möchte gern ein Großer sein (Großinquisitor); dann soll man merken, wer regiert.‘ Er faltet seine Hände dort, wo das goldene Kreuz im Licht der Kerzen funkelt.

12. ‚Mit diesem Golde würde manche Not zu lindern sein, denkt der Pfarrer. Auf der Brust des Dunkeln, ach, der reinste Hohn. Das Kreuz Christi war aus rohem Holz, und mit diesem hat der Herr gesiegt, nicht mit Gold, mit Macht und Unterdrückung.‘ – Kreuzschwer lastet es auf seiner Seele, weil das Schreckliche in seiner kleinen Stadtgemeinde auch bald aufgerichtet wird. Ein paar Dörfer hat er zu betreuen. Nun kommt ein Untier in die Herde frommer Leute. Da hört er schon die Rede, in Worten fein geschliffen, der Sinn wie Feuer, Schwefel, Schwert und Pech.

13. "Ich sagte schon, daß hier keine wahre Demut herrscht, statt auf den Knien liegend, fröhlichen Gesichts der Predigt lauscht. Sollte Gott daran ein Wohlgefallen haben? Die Leute sind zwar dumm, doch nicht dumm genug, um nicht zu merken: Die Macht der Kirche hat zu gelten! Wie wollt ihr das beweisen? Bloß so mit frommen Sprüchen, Aufmunterung, Segnung und was weiß ich mehr?

14. Selbstredend ist am Ende eines Dienstes…", er sagt nicht 'Gottes dienst', "…auch der Segensspruch zu bringen. Aber da… wie steht's denn mit dem Beichten? Ich hörte gestern zu, wie ihr sagtet: 'Sei nur getrost, liebe Tochter, der Heiland hat den kleinen Fehl vergeben.' Wieso war es denn ein Kleines? Und warum habt ihr nicht betont, daß Gott jeden Fehler rächt?"

15. "Es war eine Maid, fast noch ein Kind. Von solchen kann man nicht verlangen, Tun und Lassen abzuwägen. Das Mädel hatte einen Streit mit ihrer Freundin. Doch das ist schon wieder gut, hat also mit dem Glauben und mit unserer Kirche nichts zu tun, denke ich. Das sind ja Kindereien."

‒ "So?" Der Kuttenmann zieht seine Augenbrauen hoch. Wüßte Sinkmann, was das für ein Zeichen ist, noch in der nächsten Nacht würde er entfliehn.

16. "Merket einmal auf, Bruder. Alte Leute sind schwerlich umzukrempeln. Wenn sie über siebzig sind, kann man sie zur Seite schieben, ich meine, man nimmt sie nicht mehr ernst. Doch die Jugend? Die ist zu erziehen, da darf man nichts versäumen. Mit Strenge, notfalls mehr mit Härte, ist der Jugend etwas beizubringen.

17. Mädchen hängen sich an Tand und verführen Burschen. Außen glattgesichtig, innen haben sie den Teufel. Ein Teufel achtet nicht auf gute Worte, er ist mit Feuer und mit Pein zu bannen. Das ist durchzuführen! Immer mehr versumpft der Mensch, was größtenteils durch Weiber kommt. Ob jung, ob alt, da gibt es wenig Unterschied.

18. Dieser Art haben wir schon viele Teufel ausgetrieben. Dann geben es die Weiber zu, mit Beelzebub im Bund zu sein."

- Der Spanier prüft sein Gegenüber, nur kann er nicht erspähen, was im Pfarrer vor sich geht. Der hat absichtlich seine Stirne aufgestützt, sein Gesicht aber frei gelassen. Was ihn das an Überwindung kostet, das Gehörte zu verkraften, ohne dreinzuschlagen, weiß allein der Herr.

19. Er hat sich gut bemüht, im Glauben die Gemeinde zu erheben ‒ für die Kirche, der er dient. Kam nicht auch ein Weltliches in Betracht? Bei Elend und bei bitterer Not? Jetzt ‒ die Dunklen sind gekommen, er nennt die Zeit 'die finstere des Aberglaubens', prall gefüllt mit Leib- und Herzensweh.

20. Sah er voraus, was aus arger Seelenkälte alles Gute überfluten will? Er reißt sich hart zusammen, er hat keine Zeit, den Gedanken nachzuhängen. Genau verspürt er die Beobachtung. Und wieder ‒ wer gibt ihm denn das Kraftvermögen, Unheil abzuschwächen? Dämmen wird er es nicht können, er ist einer von den Unbekannten, deren Namen nicht beachtet sind. Da will er doch einmal ‒

21. "Sagt mir bitte, hochverehrter Bruder, wie ihr heißt; ihr habt sicher einen hohen Namen." So gerissen sonst der Spanier ist, er ist betört. Uneingestanden hängt die Eitelkeit ihm an. Man könnte meinen, die sei sein Teufel. Und was für einer!

- Doch er spricht wie nebenher, der Name wäre nicht so wichtig. "Freut mich, weil ihr ihn wissen wollt. Nun, den vom Elternhause hatte ich ja beim Gelübde abgelegt; diese Ordensregel kennt ihr auch.

22. Ich bekam den Namen 'Christophorus', habe mich bestrebt, gerade diesem Namen alle Ehre anzutun."

- ‚Ausgerechnet dir,‘ fährt es dem Pfarrer durch den Sinn.

- Siedendheiß wird's ihm: "Christophorus hat den Herrn durchs Meer getragen. Ah, eine fromme Sage", streicht der Spanier mit flacher Hand dahin, als wische er ein Krümchen von dem Tisch. "Immerhin… er hat am Kinde schwer getragen und es sagte ja zu ihm: 'Du hast jetzt die ganze Welt getragen.' Ah, seht Bruder, ich nahm mir also vor, auch die ganze Welt zu tragen. Ist das nicht ein herrliches Symbol?"

23. Sinkmann trinkt erst einen Schluck vom kühlen Wein, mit dem er 'runterspült, was hochgekommen ist. "Habt ja recht, wertester der Brüder, ein Symbol, wie es der Herrgott einmal hergegeben hat. Ich bekam als kleiner Pfarrer keinen andern Namen und ‒ ist auch nicht wichtig, bin doch keine Leuchte. Meinen Dienst habe ich so gut wie möglich gern versehen, habe mich bemüht, die Gemeinde an die Kirche anzubinden." In Gedanken flehend: 'Herr, vergib, an DICH will ich die Schäflein binden.'

24. Da ist dem schwer geprüften Mann, als strichen Finger über seine heiße Stirn, und hat die Kraft: Er verrät die Regung nicht, die ihn überkam. Er sagt: "Die Menschen brauchen einen festen Halt und ist gut, wenn sie diesen in den Kirchen finden."

- "Gewiß, ein Ziel, das volle Geltung hat. Vergeßt nur nicht, was ich vordem sprach: Nicht allein bloß schöne Worte, fromme Sprüche und ‒ wo nötig ‒ auch kein Evangelium, mit dem das niedere Volk nichts anzufangen weiß. Nein!" Der Ton des Spaniers härtet sich so stark, er erweckt im Pfarrherrn neue Angst und drückende Besorgnis.

25. "Man muß die Sünden zeigen, das böse Tun, die Abtrünnigkeit, die Teufelei! Glaubt es mir, Mann Gottes: In all den Leuten hausen Teufel. Daher sind sie so zurückgeblieben, können sich zumeist nicht selber helfen und wissen nichts vom großen Weltgefüge, von alldem, was unsere Kirche wirklich will, hier zumal mein Orden. Davon sind sie gänzlich unberührt.

26. Das ist jetzt in den Vordergrund zu stellen, ist ihnen förmlich einzubleuen, einzig mit der strengen Lehre. Eure Rede ist zu sanft, da schläft man selig ein!"

- ‚Umgekehrt, du arge Brut! Hier ist noch keiner in den Schlaf gefallen, wenn ich ihnen Gottes Liebe bot, des Heilands Hilfe und das Gnadenheil! Ist freilich nicht zu bekennen, nicht jetzt ‒ nicht mehr hier.‘

27. Und er muß wieder lügen, der fromme Pfarrer. Ein schwanker Steg, über reißenden Gewässern: "Die Gemeinde hab' ich auch in diesem Sinne oft ermahnt, Bruder Christophorus…", und mag den andern nicht so nennen, "…ehe ihr gekommen seid. Noch die eine Frage, sicherlich könnt ihr sie deuten: Ist es gut, wenn man nur mit scharfen Worten kommt? Da werden diese Armen, ihr habt sie richtig eingestuft, sie sind ungeschult, verängstigt und getrauen sich dann nichts zu reden, zu beichten. Wie wäre ihnen denn zu helfen? Könnte trotz der Strenge nicht ein wenig Güte walten?"

28. "Ich bin gleicher Meinung, nur sieht meine anders aus. – Güte! Ist Gott gütig? Er hat seit eh und je das Menschenvolk gestraft, auch die Juden in Gefangenschaft gebracht, das Volk verstreut, daß man sie in allen Winden suchen muß. Ich zweifle nicht an Gottes Güte, ganz im Gegenteil! Ich sehe sie bloß anders an als ihr, als ein Christophorus, aus der Sicht der Last. Gott legt uns Lasten auf, uns, die wir im Dienst der Kirche stehn, damit wir mit der gleichen Strenge handeln, das niedere Volk eben, weil dasselbe allein durch Härte umzuwenden ist.

29. Nun…", meint er plötzlich freundlich, "…ich hoffe, ihr bietet mir die Hand, um jene dem Gericht zu überführen, die die Hexen- und die Teufelskunst betreiben." Er streckt die Rechte aus, deren krumme Finger auch ein Zeichen wären.

- Der gute Pfarrherr muß seine reine Hand, die auch schwere Arbeit kennt, in diese Krallen legen, ohne Zögern, um sich selbst nicht zu verraten, um zu helfen, so gut es ihm gelingen mag.

- Nochmals fällt der Spanier in eine Falle, eine, die nicht von Sinkmann kommt, bloß aus seinem Mund. Hinterher weiß dieser nicht, wie möglich er das fertigbrachte.

30. "Ehrbar hoher Bruder, wollt ihr nicht die nächste Predigt halten? Ich werde dafür sorgen, daß von den Dörfern, die der Pfarrschaft angehören, so viel als möglich Leute kommen. Einige wohnen ziemlich weit entfernt, sie brauchen bis sechs Stunden hin und zurück, doch sind sie öfter hergekommen. Ich gehe morgen durch die Weiler, um alle anzuspornen. Ist's euch so recht?"

31. "Hätte kaum gedacht, daß ihr mit mir einig geht. Freut mich sehr. Ihr erlebt es: Wenn ich predige, fallen alle auf die Knie, reumütig und verzweifelt, weil sie ihre Sünden einbekennen müssen. Gehabt euch wohl, zur Hohen Messe sehen wir uns wieder."

- Pfarrer Sinkmann neigt das Haupt, er geht den etwas steilen Stieg hinab. Hart klingt der Schritt, die Stufen knarren wie noch nie. Er steckt im Augenblick voll Zweifel. 'Herr, wo bist Du geblieben?'

 

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Kap. 3

- Der Priester hat die erste Vision – Die Mitteilung an die Gemeinden – Eine göttliche Hilfe für die Kinder

 

1. Pfarrer Sinkmann wälzt sich hin und her. Nicht des harten Lagers wegen, das ist er gewöhnt ‒ die Gedanken sind's. "Herr, die vielen Lügen und daß ich's nicht bekannte." Er meint vor dem Spanier. "Man soll die Wahrheit sagen, ungeachtet dessen, was geschieht. Hast Du als Heiland, obwohl der Kreuztod Dich erwartete, nicht offen vor dem Feind bekannt: 'Ich bin's!'?" Wie hat er schwer versagt und wollte doch ein kleiner Diener seines Gottes sein!

2. Der Pfühl wird naß. Männertränen. Gewaltige schämen sich darob, arme Leute schlucken sie hinab, weil es mit Tränen niemals besser wird. Die Mitternacht ist schon vorüber, als sich die müden Augen schließen. Die Gedanken ziehen aber Kreise, einmal auch die Angst vor Gott ob seiner Lügen. Dann wieder sieht er die Gemeinde vor sich sitzen, mit ganz freudig überstrahlten Mienen, weil 'man' den Segen aus den Gottesworten spürt. Und nun…

3. Ist es ein Traum, ist's ein halbes Wachen? Jemand setzt sich an das Lager. Finger streichen über seine Stirn, so sanft, so lind. Wessen Hand ist es? Ein vages Licht leuchtet, dennoch tröstlich, was Sinkmann halb bewußt gewahrt. Er weiß es nicht, daß er ‒ und da stimmt sein Name ‒ wie halb sinkend nach dem matten Lichtschein greift, wie in ein Gewand. Die Stimme! Er hat sie nie auf dieser Welt gehört.

4. "Du bist einer von den Unbekannten vor der Welt; vor GOTT aber bist du gut bekannt."

- Traumhaft gelallt: "Wer bist du?"

- "Ich bin dein Führergeist, von Gott zu diesem Amt bestellt. Selten sind die Menschen fähig, dieses wahrzunehmen, soll auch seltener sein, weil der Mensch zu leicht dem Hochmut anheimfällt. Bloß wo im Herzen jene Demut herrscht, vom GEIST geboren, kommt die Hilfe durch die Offenbarung ‒ nicht allein für einzelne. Über diese kann die Hilfe vielen gelten. Das ist bei dir der Fall.

5. Du hast nie an dich gedacht, schwang die Finsternis ihr Zepter; die dir Anvertrauten lagen im Gebet vor Gottes Thron. Ihretwegen siehst du mich, auch um deinetwillen."

- Tönt es ganz besonders lieb, als der 'halbe Schläfer' sich zusammenkrümmt: 'Oh, ich selber bin's nicht wert.'

- "Du wirst bangend fragen, wenn das Arge euch zu überrollen droht: 'Herr, Herr, warum? Was haben meine lieben Leute denn verbrochen, daß die Finsterlinge sie verderben können, nicht bloß um die arme Habe, auch ums Leben? Und wie…?'

6. Nicht jetzt erst kommt das Seufzen über dich, nicht erst heute sind die Augen naß geworden, brauchst dich dessen nicht zu schämen. Führt Gott dich hier aus diesem Land, so gehst du nicht allein. Es folgen manche Füße, kleine, große, müde, und mußt allen aus der Kraft des Herrn ein Stab und eine Stütze sein.

7. In dieser Zeit bist du nicht der einzige, der aus dem Licht getröstet wird, der es wissen darf, so oder anders, und sind allesamt die Kleinen, die Beladenen, die für die sich selbst verlierenden Weltlinge Unbekannten. Denke dabei an das Wort und an das Bild, das Johannes in der Offenbarung sah und hörte, was dir manchesmal beim Lesen große Freude brachte: «… sah ich unter dem Altar die Seelen derer, die erwürgt waren um des Wortes Gottes willen», (6,9) und hattest gut erkannt, daß der Altar 'Schutz' bedeutet, auch Erhebung in den Himmelsstand. Und noch die andere Schau:

«… eine große Schar, die niemand zählen konnte,

aus allen Heiden, Völkern und Sprachen, vor dem Stuhle stehend,

vor dem Lamm, angetan mit weißen Kleidern

und Palmen in den Händen.» (7,9)

8. Das Weitere bedenke auch, daß sie aus großer Trübsal kamen, aber daß der HERR 'alle Tränen abwischen wird von ihren Augen', und die deinen auch, mein Bruder aus dem Licht."

9. Der Mund murmelt, der Geist spricht es hell und klar: "O Du mein Vater-Gott, wie hast Du mich getröstet, mir die Last genommen, die als Kreuzesbalken auf mir ruht. Meine armen Leute! Weltlich preisgegeben der Gewalt der Unseligen, während ich, bloß durchs kleine Amt, nicht ganz schutzlos bin, sonst müßten jene alle ihre Untergebenen vernichten. Da zerbrächen sie sich selbst. Das wissen sie genau. Eine Hölle auf der Welt! Und doch ‒. Dein erbarmungsvolles Heil, Deine Hilfe sind nicht ausgelöscht, auch wenn wir Menschen dumpf und ohne Lichterkenntnis sind."

10. "Soll ich dich berichtigen?" – Ach die gute Stimme, wie ein Mütterlein ihr Kindchen streichelt.

- Fühlt der Pfarrer diesen wunderlieben Ton: "Immer, ich brauche die Berichtigung, bin ich doch sehr ungeschult, armselig meine Seele, mein Sinnen oft verwirrt. O, wie bin ich dankbar, kommt des Lichtes Lehre über mich."

11. "Weltlich Arme, elend, unwissend, ungeschickt, haben meist ein reines Herz. Das erkennt der Schöpfer-Vater an! Nicht, was die Welt zu bieten weiß, was die Menge nicht besitzt. Hast es gesehen, wie die Schäflein gläubig in die Höhe schauen, wohl auch zu dir, der du versuchst, Gottes Lehre rein zu bringen, soweit es einem Menschen möglich ist. Freudig leuchten ihre Augen, trinken förmlich deine Worte, die Trost und Hilfskraft bringen. Und sie wußten: Alles, was du lehrst, ist GOTTES Wort, ist SEINE Liebe!

12. Frage ferner nicht, so Finsterlinge ihre Macht und Willkür durch die Lande schleifen, ob der Herr Sein Angesicht von euch gewendet hätte. Was weißt du von Gottes ewig-gutem Rat, der eher wirkt, als die Hölle es bedenkt?"

- "Nichts weiß ich", sagt der halb vom Traum Umfangene.

- "Gar nichts?" wird gefragt. "Das wäre traurig, wenn du keine Antwort weißt."

- "Ach", stöhnt der Mund, "das weiß ich wohl: Gottes Rat ist jederzeit der Menschen Schutz und Gnade. Wenn zwar nicht allzu fest, habe ich mich immer daran angeklammert, wie ein Ertrinkender ans Rettungsboot."

13. "Daran hast du recht getan, und eben deshalb siehst du jetzt das Licht, hörst des Himmels Worte, kommt der Trost des Vaters über dich. Genügt dir das, dann wirst du auch das Schwerste überwinden, es liegt noch vor deinen Füßen wie ein schwarzer Fleck. Der kann ja plötzlich weggezogen werden, und dein Gang wird ledig sein. Die dir unbekannte Ferne wird dir und manchen eine neue Heimat werden. Sei aufgerichtet und von Gott gesegnet."

14. Ob der Gesegnete weiter schläft, halb wachend liegen bleibt ‒ am frühen Morgen wüßte Sinkmann nichts zu sagen. Bloß daß er sich wie neugeboren fühlt, wie wenn ein Schutzwall um ihn aufgeworfen wäre, so erhebt er sich und rüstet sich zum weiten Gang. Was er freilich seinen Dörflern sagen soll, weil nun am nächsten Sonntag auf sie Trübes wartet, das ist ihm noch schleierhaft.

15. Aber ‒ er faltet dankend seine Hände vor dem Morgenmahl, wenn so des Himmels Güte diese Nacht bei ihm erschien, wird sie ihn jetzt nicht verlassen. Da er es dem Spanier sagte, er würde heute durch die Landgemeinde gehn, braucht er nicht auf ihn zu warten; der wird kaum so viele Stunden auf sich nehmen, noch dazu, da es regnet. Zum Glück nicht stark. Trotzdem sind die Wege aufgeweicht, erst recht von Haus zu Haus. Oh, da gibt es Schlamm und Pfützen. Des Regens wegen hängt er sich ein Leder um.

*

16. Als ersten sucht er Berthold Meurer auf, er und die Seinen sind zu Hause. Die Getreideernte hat noch nicht begonnen. Als Beate ihren Pfarrer kommen sieht, jubelt sie: "Der Pfarrherr kommt!"

- Berthold und Helene treten an das kleine Fenster. "In der Tat! Was bedeutet das?" Dem Manne schwant nichts Gutes. Er soll recht behalten trotz der Freude über den Besuch. Er eilt, um Sinkmann zu empfangen, indes Helene auf den Tisch ein Tüchlein deckt, dahin, wo der Pfarrer sitzen soll. Sie trägt Brot, Milch und Käse auf. Mit Besserem ist nicht aufzuwarten.

17. "Grüß euch, liebe Freunde!" Jedem wird die Hand geboten. Aber bei Beate schaut der Gast verwundert drein. Das Gesicht, so lieb, es erinnert ihn an seinen Traum. Oder war es ein Erlebnis, weil er gar nicht auf der Erde war? Sah jenes Licht, zwar ungewiß, nicht wie des Kindes Antlitz aus? Er vertreibt jetzt die Gedanken, während neue Sorge aufgestiegen ist. Sieht der Spanier das Kind ‒ oh! Was würde dann geschehen ‒?

18. "Setzt euch", fordert Meurer auf, "nehmt vom kleinen Mahl, werter Pfarrer, wir sind nicht …" ‚Reich,‘ soll das heißen.

- Sinkmann hebt die Hand: "Auch bei mir kann sich der Tisch nicht biegen. Manchmal bringst du und Getreue von dem Wenigen, wenn ihr zur Andacht kommt. Ja, ja, unser Herrgott hilft uns allewege, selbst wenn wir auf der Welt die Unbekannten sind." Er wählt des Lichtes Wort.

19. "Ist es nicht gut, wenn wir das sind? Da kümmern sich die hohen Herren nicht um uns."

- "Hm? Und von euren Feldern, Wiesen, wird da nichts genommen?"

- Des Bauern Schultern heben sich, doch erzählt er von dem Raub auf dem Wiesengrund.

- "Ah ja!"

- Und nach einer Weile: "Wenn es dabei bleibt, können wir zufrieden sein. – Wollen jetzt die Kinder nicht ein bißchen spielen? Geh, Beate, nimm das Brüderchen, bleibt beim Zicklein auf dem Hof."

20. Beate ist in kurzer Zeit hellwach geworden; sie spürt, was auf sie zuzukommen droht. Der Engel hatte auf die Zukunft hingewiesen, aber auch auf ihre Rettung. Errettet braucht man erst zu werden, so man in Gefahren steht. Vor dem Pfarrer kniend, legt sie ihre Hände in den Schoß des Mannes, den sie mit heißem Herzen liebt. Er legt die Rechte auf das Blondgelock und vergißt das Haupt des kleinen Peters nicht. Beate führt das Brüderchen hinaus. Nun wird es jäh bedrückend still im Raum. Der Bauer fragt: "Was ist? Sicher bringt ihr eine schwere Kunde."

21. Sinkmann dämpfte die Stimme. "Die Spanier, die vom Orden, sind fest bei uns eingezogen. Daß nun auch einer in der Stadt geblieben ist, muß ich schweren Herzens melden. Am Sonntag, bei der großen Messe, will er selbst die Predigt halten, sicher auch die Beichte. Ich muß heute noch durch meine Dorfgemeinde gehn, möglichst sollen alle kommen. Bei jedem einzelnen ist nicht einzukehren, da würde ich nicht fertig; nur bei dir, Berthold, wollte ich es extra sagen, du und Helene seid mit die Treuesten. Trotz gutem Willen ist bei manchen eine Vorsicht angebracht."

22. Meurer weiß Bescheid. Er zeigt aufs nächste Haus, steht aber zwischen beiden Fenstern und sieht nicht, was draußen vor sich geht. Sinkmann hat's gesehen. Da war ein Schatten; ihm kam vor, es sei der Spanier gewesen. O mein Gott! Und Beate ist im Hof. Er schnellt förmlich auf, stürzt zum Verwundern beider Bauersleute fort. Nichts ist zu sehen. Wo blieben denn die Kinder? Wo der Schatten? Hat er sich nicht getäuscht?

23. Wieder war der Herr am Werk, völlig unbemerkt, von niemandem gesehen. Das Zicklein wollte in den Stall und die Kinder waren ihm gefolgt, ehe sich vom Nachbarhaus der Schatten zeigte. Der Pfarrer geht ums Haus herum. Wo ist der Lauernde? Daß der sich schnell in seine eigene Scheune flüchtete ‒ wer kann das wissen. Er hat genug gesehen, und wann immer möglich, wird sein böser Mund sich öffnen. Es wird ihm niemals Segen bringen.

24. "Was war denn los? Weshalb stürztet ihr hinaus?" Berthold fragt es, als der Pfarrer wiederkommt.

- "Die Kinder waren nicht zu hören, und da dachte ich, sie seien in Gefahr." Nicht bloß gedacht! Wenn der Spanier einmal Beate sieht, alsdann…"

- "Aber geht", sagt die Mutter, "Beate bleibt beim Haus, vor allem, wenn sie das Peterle betreut. Sie ist einer Glucke gleich", lacht Helene, "ich kann mich stets auf sie verlassen."

25. "Es sei euch nicht verschwiegen: Am Hause war ein Schatten; bloß war dann draußen nichts zu sehen. Undenkbar, daß der Spanier mir nachgegangen ist. Wenn jedoch ‒ hütet eure kleine Tochter! Laßt sie zu Hause, soll jetzt nie zur Messe kommen. Im anderen Distrikt hat man eine Siebzehnjährige geholt, nur weil sie ihre Angst bekundete, Angst vor den Spaniern. Ungesagt, wie sie heimgekommen ist, wird nie wieder gehen können." Daß sie auch nicht mehr sprechen, ihre Hände nicht bewegen kann, wird nicht mitgeteilt.

26. Die Bäuerin schreit auf: "Wie können wir sie denn behüten? Ist ja noch ein Kind und…"

‒ "…ein gutes", betont Sinkmann. "Euch kann ich vertrauen." Er erzählt das nächtliche Erlebnis und hier zum Glück ‒ geht Helene fort, selbst die Kinder suchend, berichtet auch der Vater von Beates Träumen. "Das ist… das hängt irgendwie zusammen", sinniert der Geistliche. "Gerade diese Nacht… nun höre ich ein Gleiches von dem Kind, daß es ebenfalls Gesichte hat. Ach, die Spanier, nimm es zur Kenntnis, die nennen es die Teufelei und einen Hexenbann. Das ist die Gefahr."

27. "Was sollen wir denn tun? Ach, welch ein Herzeleid! Ich glaube an die Güte Gottes; doch vor diesen… diesen…" Der Bauer mag nicht sagen, was er denkt. Nur das: "Unser Nachbar ist kein Guter, öfter spioniert er, und nicht bloß bei mir. Der Stängler weiß ein Lied davon zu singen. Ich verklage keinen Nachbarn gern, es hätte für uns keinen Zweck. Man hört uns an, dreht es um, und das Urteil kommt dann über einen selbst."

28. "Du sagst mir absolut nichts Neues, Berthold Meurer, ich kenne meine Leute ganz genau. Eine unverblümte Wahrheit ist in dieser Zeit ein Strick, der leicht zum Tode führt. Nun ‒ wir wollen aber unserm Heiland voll vertrauen. Er läßt uns nicht verderben, obwohl die Ordensspanier des Volks Verderben sind, wird die Herrschaft ihnen nicht genommen. Ich muß jetzt das Dorf zusammenrufen, um auf die Messe hinzuweisen."

29. "Was wollt ihr sprechen, auch deshalb, weil ihr bei mir und bei keinem anderen gewesen seid?"

‒ "Freilich schwer", seufzt der Pfarrherr. "Man muß oft Heckenwege gehn, ganz gerade Straßen hat man uns versperrt. Das stimmt, leider."

- Die Bäuerin und die Kinder kommen wieder; Das Mädchen schmiegt sich an den Gast, das Bübchen schaut mit seinen dunklen Augen auf, als wisse es bereits, wie sehr der große Mann den Segen bringt.

*

30. Dieses Dorf hat eine winzige Kapelle, ohne Tür. Dahin geht der Geistliche. Man folgt ihm nach. Als er kündet, er sagt es erst wie neben her, als sei es das Verständlichste, daß bei der Messe 'Bruder Christophorus' predigen wird, da fragt Franzel Stängler, wieso und wie es um die Beichte stünde. Kein Zweifel: fast alle sind von Angst befallen! Zeigen? OH nein, das kann man nicht! Wo wäre heutzutage eine Stadt, ein kleines Dorf, wo nicht Schakale schleichen! Und muß man obendrein noch frohe Mienen machen.

31. "Meine Kirchenkinder…", viel lieber würde Sinkmann 'Gotteskinder' sagen, "…ihr wisset es so gut wie ich: Der Orden aus Hispanien will uns betreuen. Er ist über uns gesetzt, wir haben zu gehorchen. Wir sind treue Kinder unsrer Kirche, und wie Gott uns führt, so wollen wir Ihm folgen. Seine Hand ist über uns. Das haben wir schon oft erfahren, all die Gnade, Seine Liebe, Seine herzliche Erbarmung und das Heil. Ich bitte euch, nicht die große Messe zu versäumen. Eure Kinder laßt zu Hause; denn ein solches schweres Predigtwort können sie noch nicht verstehen. Auch bitte ich, daß es dann sehr ruhig in der Kirche ist."

32. "Wie steht es mit der Beichte?" Hieselbars Frau, die freundliche Therese, stellt die Frage, und wer bei den Kindern bleiben solle. Nicht zu überhören, …ihre Stimme schwankt.

- "Steht noch nicht ganz fest", weicht Sinkmann aus. Er mag niemanden verängstigen, jetzt noch nicht. Angst und Sorge kommen ohnehin. Er fügt ermunternd an: "Seid nicht bedrückt; sagt alles, was ihr zu bekennen habt. Wird es euch ein bissel schwer, dann denkt an Christi Kreuz, das unseres Heilands Schultern einstens wundgerieben hat. Wählt zwei Frauen aus, die die Kinder in der Messezeit betreuen."

33. "Warum seid ihr beim Meurer eingekehrt?" Bauer Huber fragt's.

- Da schau, der Schatten. Sinkmann hatte das erwartet, gibt ihm jedoch die Hand. "Kannst du das denn nicht verstehen, August? Ich muß die andern Weiler auch besuchen, bin bis spät abends unterwegs. Bei euch wollte ich erst sehen, ob ihr zu Hause oder auf den Feldern wäret. Du weißt's gewiß: Für mich seid ihr einer wie der andere! In deinem Hause bin ich auch gewesen, habe abwechselnd einen um den anderen besucht. Was wirfst du mir vor?"

34. Huber merkt, er ging zu weit; er hat sich somit selbst verraten. "Nichts für ungut, werter Pfarrer, so war das nicht gemeint. Euch hätte ich sehr gern bewirtet, und meine Frau hängt doch an euch." O ja! Die Huberin ist ein braves Weib, sie hat unter ihrem Manne mancherlei zu leiden. Das weiß das ganze Dorf.

35. "Ich trag' dir deine Frage gar nicht nach", sagt Sinkmann wieder freundlich. "Gehabt euch wohl, kommt bitte alle pünktlich; Pater Christophorus soll sich freuen."

- 'Daß ihm es mit zugute käme, sieht der Spanier, wie recht er die Gemeinde führt.' ‒ Wer denkt daran? Es ist Gregor Kieslutz, nur spricht er nicht darüber. Er kennt ja auch die Braven und die anderen, nicht weniger als es sein Pfarrer weiß.

*

36. Wie von ungefähr treffen sich am Abend die drei Bauern: Meurer, Stängler und der Kieslutz, auf dem Wege zur Kapelle. Da dieselbe auf einem Erdwall steht, sie wie gesagt auch keine Türe hat, ist der Treffpunkt wie geschaffen, unbelauscht ein Wort zu reden. Schon dämmert es, ist jedoch noch weit genug zu sehen; es kann keiner unbemerkt sich nahen.

37. Meurer ist der erste, er kam, um dem Herrn zu danken, weil ihr Pfarrer die Gesichte von Beate weiß und er es steuerte, am Sonntag keine Kinder mitzunehmen. Außerdem ist seine Tochter nicht allein gefährdet. Es gibt manches Mädchen, das leicht in eine Falle fällt, und wer sie besser mit Geschick und Tücke stellt, ah ‒ 'böser' müßte man es nennen, als jene von dem Orden, das weiß man längst.

38. Als er Stängler und den Kieslutz kommen sieht, wundert er sich höchlich, was sie ebenfalls da wollen. Es klärt sich auf. Der Gruß von Mann zu Mann ist ein wortloser Händedruck.

- "Deine Frage schaut dir aus den Augen", fängt Franzel Stängler an. "Wieso wir eben zur Kapelle kommen? Nun… ich sah dich aus dem Hause treten und machte mir es keine Mühe zu erraten, wohin dich deine Gasse führt. Und unterwegs traf ich den Gregor; wir folgten dir gemeinsam nach. Was du auf dem Herzen wälzt, ist unsere Last, unsere Sorge, für uns und für unsern Pfarrer."

39. "Der bleibt nicht ungeschoren", wispert Kieslutz. "Wir tun also gut, den uns verderbenden Apfel anzubeißen und hinzugehen. Hoffentlich tun es alle. Wer bleibt von den Frauen bei den Kindern?"

- "Hm", meint Meurer, "meine Frau möchte ich nicht nennen, sonst heißt es gleich, Sinkmann hätte das gewollt. Mein Nachbar …"

- "‒ wissen wir Bescheid", wehrt Franzel heftig ab. "Gerade darum würde ich des Hubers Weib mit nennen. Auch ist sie eine gute Frau, ihr kann man die Kinder überlassen."

40. 'Nur Beate nicht,‘ seufzt Meurer vor sich hin. 'Er muß mit seiner Tochter nochmals ernsthaft reden, sie darf es niemandem verraten, welche Träume ihr beschieden sind. August Huber würde es der Frau entreißen, wenn sie von der Sache etwas weiß. Er hat schon mehr aus ihr herausgequetscht. Dabei beschwor sie manchmal Dinge, die völlig aus der Luft gegriffen waren, aus Angst vor ihrem Mann. Wie oft hat da der Pfarrer Ordnung schaffen müssen. Ah ‒ hat dieser nicht auch ein Gesicht gehabt, wie Beate? So wäre zu vertrauen, es liegt alles in des Höchsten Hand.‘

41. Er nennt die Frau des Häuslers Stiebitz, die Maria, mit Helene gut befreundet, braucht also nicht zu sehr zu bangen. "Morgen sagen wir es beiden Männern, sie stimmen sicher zu", sagt Stängler. "Bloß, die Beichte… Ich hab es gleich gespürt, der gute Pfarrer wollte uns nur nicht belasten; die Beichte hält der ‒. Mag nicht wissen, wie der Sinkmann in die Zange nahm!"

42. "Wir wollen gehen!", schlägt Berthold Meurer vor. "Man könnte doch trotz dunkler Nacht belauert werden." Man gibt ihm tief bekümmert recht. Sie haben Gott sei Dank nur einen Argen unter sich, dem man am liebsten aus dem Wege geht. Nicht geraten, ihn zu reizen. Was an Unheil aber einer bringen kann, das wird man noch erleben. – Zuerst geht Kieslutz weg, schleicht am Mäuerlein vorbei, rückwärts in das freie Feld, und gelangt so an die Hintertüre seiner kleinen Hütte. Ungesehen kommt er an.

43. Hernach verläßt Franz Stängler die Kapelle. Er äugt scharf umher mit seinen guten 'Nachtaugen'. Als sich gar nichts regt, wendet er sich weit nach rechts, wo er zu einem Acker kommt, der ihm gehört. Er kann sagen, daß er da mal nach dem Rechten sehen wollte. Nachts wird oft viel gestohlen.

44. Berthold Meurer bleibt zurück, dankbaren und unruhigen Herzens. Die Not… Ach die Not! Und das 'schwarze Elend', wie er für sich die Spanier nennt. Sie haben sich im guten deutschen Land so breit gemacht. Und nichts läßt sich dagegen richten. Sie werden von der Kirchen- und der Weltmacht unterstützt.

45. Er verhält im Schatten, den der Mond vom Kirchlein wirft. Wolken ziehen wieder auf zum Schutz des Mannes. Trotzdem bleibt er lieber noch ein Weilchen stehen. Als sich nichts bemerken läßt, da geht er geraden Weges heim. Aber da, ‒ August Huber tritt ihm kurz vor seinem Haus entgegen, an dem Meurer vorüber muß. Nun, er hat es längst gelernt, Gefahren auszuweichen und weiß es nicht, daß da wohl der Bote Gottes wirkt.

46. Er zieht sein Käppchen, freundlich fragend: "Nun, Huber, willst du auch ein wenig von der schönen Nacht genießen? Es ist richtig erntewarm."

- "Genießen schon", erwidert jener doppelsinnig. "Wo bist du gewesen?"

- "In der Kapelle", bekennt Meurer offen. Absichtlich sagt er so. Kann man wissen, ob der Schleicher ihn nicht gehen sah? Die zwei Freunde hat er nicht gesehen, die kamen von woanders her. Aber er, Berthold ‒?

47. "So, so! In der Kapelle! Was hast du da gemacht?"

- "Aber Huber, was man in ihr tut, ist dir nicht bekannt? Ich dachte an die Messe, daß die uns, wie stets, den großen Segen bringt. Für unser ganzes Dorf hab' ich's bedacht."

- "Ohne Angst?" Wie töricht diese Frage, hat der Huber selber nicht gemerkt.

- Berthold legt dem Nachbarn eine Hand auf dessen Arm. "Wir stehn im Schutz der Kirche; für was also Angst? Ich wüßte keine."

48. Wie ihrem guten Pfarrherrn Sinkmann, so ergeht es Berthold jetzt, innerlich: 'Herr, verzeih mir diese Lüge. Anders kann man sich ja nicht mehr schützen. Hilf uns bitte, daß wir nicht verderben!' Ein Stoßgebet, wahrlich, nicht für sich allein. Er sieht im Geist die Greuel, die geschehen, die Not so vieler Menschen, zumal von armen Frauen und von manchen Kindern. Auch die Männer werden mit betroffen. Eigenartig ist's, daß die Spanier ihresgleichen schonen, soweit es irgend möglich ist. Allerdings ‒ Männer sitzen an der Ruderbank der Kirche, auf den Thronen dieser Welt.

49. Das ging sekundenschnell durch Meurers Sinn, verabschiedet sich jedoch freundlichen Gesichts: "Grüß dich, es wird Zeit zum Schlaf."

- Huber brummt etwas und geht zurück in seine Kate, unzufrieden, er hat dem andern nichts entlockt und… na, nicht zugegeben, trotzdem wissend: Der Meurer ist ein hilfsbereiter Nachbar, aber dumm. Der weiß nichts von dem, wie das 'Spielchen' läuft, und daß er, der August… Nein, so was darf man vor sich selber nicht bekennen. Der Schlaf bleibt dem Bösen fern.

50. Berthold geht auf Strümpfen, um Frau und Kinder nicht zu wecken. Die Kleinen schlummern friedlich, auf Beates Stirn liegt's wie ein heller Schein. Ob sie wohl… Nein, gut wäre, wenn nicht der Engel immer käme. Schließlich steht nicht fest, daß das Kind sich nicht einmal verplappert. Seine Frau liegt ruhig da. Freilich, des Tages viele Arbeit macht sie müde. Da legt er sich auf seine Streu und schläft gleichfalls ruhig ein. Er hat gerade das Gefühl, als decke jemand etwas über ihn, ganz leicht, leichter als die dünne Decke, unter der er oft im Winter friert.

*

51. Am nächsten Morgen, man sitzt beim kargen Mahl, kommt die Nachbarin herein. Man sieht gleich die blauen Flecke über ihrem linken Auge. Keine Klage, nichts entflieht dem schmalen Mund. Freda Huber setzt sich einfach auf die Ofenbank und sagt, sie könne nicht zur großen Messe gehn, ihr Mann wolle es auch nicht.

52. Natürlich, das blaue Mal verliert sich nicht so rasch. Und ob es dann nicht lautet, der Teufel hätte sie geschlagen? Stimmt sogar! Ihr Mann ist oft so roh zur zarten Frau. Darum nimmt er sie nicht mit. Wenn er beichtet, müßte er bekennen, daß er sie geschlagen; und sich herausreden, sie hätte ihn gereizt, das möchte er nicht auf sich nehmen. Trotz allem mag er seine Frau nicht in die Fänge treiben. Ansonst ist's ihm egal, wenn jemand leidet.

53. "Das wäre gut", aufrichtig meint es Meurer. "Du kannst am Sonntag unsere Kinder hüten. Frage doch mal die Maria Stiebitz, ob sie mit zu Hause bleiben will. Ihr wäret dann zu zweit."

- "Mit Maria gern", freut sich die Nachbarin. "Ich bin mit ihr, wie mit Helene", zeigt sie auf diese, die ihrem Bübchen seinen Brei verrührt, "befreundet. Wir drei verstehen uns sehr gut."

54. "Geh' doch bitte gleich zum Stiebitz Sepp und frage seine Frau." Berthold Meurer kommt es sehr gelegen, weil nun nicht er, Kieslutz oder Franz die Frauen nennen müssen. Man würde fragen: "Habt ihr das so ausgemacht?" Die Gefahr ist gut umschifft. Ein verstohlen wie erlöster Atemzug. Überall gibt's böse Ecken, an denen man sich Leib und Seele stoßen kann, und wie oft dabei noch stürzt, bevor man sie es recht versieht.

55. Selten ist dem Unglück auszuweichen, wenn man sich aufs Weltliche verläßt. Recht? Ach, Meurer schüttelt es, denkt er an das Recht. Ihm geht es darum, seine Frau, die Kinder und freilich auch sich selbst zu schützen. Hätte Sinkmann ihm nicht seinen Traum erzählt, noch hätte er aus Angst das Lichterlebnis seiner Tochter abgelehnt, ohne es völlig außer acht zu lassen. Was denkt sich aber oft ein Kind zusammen? Fantasie und kindliches Geplauder! Was wird daraus gemacht? Fallen, Stricke und…

56. Eben kommt sein Töchterlein, schmiegt sich in seinen Arm, schaut bittend hoch, zeigt ins Freie, und der Vater weiß Bescheid. "Komm, an unserm kleinen Wiesenrand steht noch ein wenig Gras, das holen wir jetzt ein. Wir brauchen keine Karre, bloß die Tragetücher." Am Ort angelangt, werkeln sie, wobei Beate spricht: "Er war wieder da, mein Lichtgespiele. Er strich mir über beide Wangen und sprach: 'Es sieht noch manches finster aus und wird auch Schweres auf dem Vater lasten. Allein, ihr werdet es erleben, wie wunderbar ob aller Angst und Not der Herr zu retten weiß. Bleibe fromm und gut, sei den Eltern eine Stütze'."

57. Der Vater lächelt, streichelt auch sein Mädelchen, als ahme er den Engel nach, und meint: "Eine Stütze! Mein liebes Kind, wärest du schon groß, so könntest du uns eine rechte Stütze sein. Jetzt bin ich noch da, bin ja auch der Vater." Er sieht Beate herzlich an, obgleich die Last ihn schier erdrückt. "Ich muß die Mutter und euch Kinder hüten. Das verstehst du schon, nicht wahr?"

58. "Mir ist, als hätte es der Engel ebenso gesagt, ich weiß es aber nicht genau, allein das: 'Es gibt innerliche Stützen, die sicherer sind, als was ein Mensch dem Äußerlichen nach zu tun vermag.' Und dann war er weg, mein Himmelsfreund. Hernach meinte ich, du hättest mich gestreichelt."

59. "Ich war es auch. Jetzt freue dich: Am Sonntag bleibt ihr Kinder unter Obhut der Maria Stiebitz und der Freda hier. Geht niemals fort, bleibt im Hause oder bei Marie, sonst nirgendwo. Versprich es mir, bist ja meine Große."

- "Ja, Vater, ich gehorche dir; und da ich eines von den ältesten der Kinder bin", tut sie wichtig, "müssen alle miteinander artig sein."

 

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Kap. 4

- Die ungute, fremde Ordensmacht; Ein Loch im Beichtstuhl-Vorhang

 

1. Der Spanier sitzt dem Pfarrer gegenüber. Am nächsten Tage will er Stadt und Kirche inspizieren, was bereits geschah, möchte aber noch viel ändern. Leute aushorchen fällt ihm leicht. Grüßen wird er niemand, nur die Höherstehenden. Doch in dieser Gegend kam ihm keiner unter. 'Alles dummes Volk, zu nichts anderem nütze als zu dienen, oder ‒ zu verderben. Je nachdem ‒.'

2. "Nun", fängt er an zu sprechen, während Sinkmann ruhig wartet aus einer Kraft, die ihm selber unverständlich ist, es sei denn, diese käme aus dem Bild, vor drei Tagen in der Nacht gehabt, "wie ist die Gehmission verlaufen? Werden alle kommen, groß und klein? Ich lege Wert darauf, eure Anbefohlenen zu sehen. Die Beichte halte ich; es ist einmal tüchtig durchzugreifen."

3. "Gewiß." Sinkmann läßt nichts merken, wie sein Herz erzit-terte. "Von unseren acht Weilern kommen alle, bis auf eine kranke Frau. Sie kann keine langen Wege gehn, eine andere bleibt bei ihr, sowie bei den kleinen Kindern, die teils noch gar nicht laufen können. Diese dürfen nicht mehr in die Kirche, wie vor kurzem von dem Erzbischof der Diözese mir die Handschrift kam. Darüber war ich froh, so kleine Kinder stören leicht die Andacht. Auch können ihre Mütter sie auf stundenlangem Weg nicht schleppen. Und die Kleinen fangen an zu weinen. Ich hab' dem Erzbischof gedankt."

4. Dagegen ist der Spanier machtlos. Trotz eigenem Orden untersteht er jeweils jenem Kirchenoberhaupt, sobald er im Distrikt desselben wirkt. Er ballt die Fäuste unter seiner Kutte. Dafür wird er noch ein Schauspiel liefern, öffentlich; man soll sich wundern, welche Macht er hat. Jetzt zeigt er noch ein freundliches Gesicht, denn der Pfarrer darf nicht stutzig werden. Daß dieser ihn, den Finsterling, durchschaut, ahnt derselbe nicht.

5. "Im ersten Dorf, wo ihr gewesen seid, ist ein Bauer mit Namen Berthold."

- Verraten! "Woher wißt ihr das?" fragt Sinkmann. "Ihr, würdiger Christophorus…", ah, müßte er bloß nicht den Namen nennen, "…seid erst seit Tagen da und noch nicht herumgekommen. Hat es euch jemand zugetragen?" spielt er dem Bösen, um gute andere zu retten, den Fangball zu.

- "Jawohl", ertönt es rasch.

- 'Hm, also doch!‘

- "Mich wundert sehr, wie so ein …" 'Stinkbauer', unterdrückt er noch zur rechten Zeit, "… solch armer Bauer zu einem Herrennamen kommt? Das ist nicht gang und gäbe."

6. "Ganz recht, hochehrwürdiger Bruder, allgemein gibt es in den ländlichen Gemeinden keine feinen Namen. Bei dem Meurer aber ist es anders. Er weiß es noch genau, seine Eltern hießen 'Auf der Mauer', also adelig." Volle Wahrheit wird verschwiegen, wird nur soweit als nötig kundgetan. "Seine Eltern sollen reich gewesen sein, aber wo im Norden? Jedenfalls kam einmal in diese Gegend ein etwa zehnjähriger Junge, wie mein Vorgänger aufgeschrieben hat, mit einem Mädelchen, sechsjährig, mit Namen Hildegund. Also auch ein Name, hierorts nicht gebräuchlich.

7. Befragt, sprach er weinend: 'Horden waren eingebrochen, während einer Nacht, als wir schliefen, zündeten Haus, die Scheuern und die Ställe an. Fast alles Vieh verbrannte, die Eltern auch.' Er wäre wach geworden, sah die Feuerlohen, riß sein Schwesterlein an sich und entkam durch eine noch verschonte Hintertür. Er sei wochenlang mit der Schwester immer südwärts gehend, Städten, vor allem Burgen ausgewichen, hätte bloß in kleinen Dörfern für sie beide Brot gebettelt, nachts irgendwo geruht.

8. Dort, wo er jetzt wohnt, hatten sich ein Mann und dessen Frau der Kinder angenommen, der jetzigen Meurin ihre Eltern, die inzwischen schon verstorben sind. Es waren fromme Leute", hebt der Pfarrer stark hervor. "So sind die Kinder alle miteinander aufgewachsen. Doch bevor die Leute starben ‒ und sie hatten es auch gern gesehen ‒‚ hat Berthold dann der Zieheltern Tochter sich zum Weib genommen, er war bei der Hochzeit knapp dreißig Jahre alt.

9. Soweit die Geschichte. Ich habe nachgeforscht, es muß im Norden böse zugegangen sein, Heckenkrieg und Mord und Brand; also mag die Sache stimmen. Des Meurers Schwester Hildegund ist schon als Kind gestorben; sie hatte die Strapazen nicht verkraftet und bekam, so nannte es der Vetter (Arzt), den Lungenschlag."

10. "Hm, hm, nun, der Geschichte braucht man nicht mehr nach-zugehen; was jetzt geschieht, geschehen muß, ist wichtiger als alte Mär. Hat der Meurer keine Kinder?"

- Oh, weh, wieder muß der Kahn der Wahrheit umgeleitet werden, die Klippe wird nicht nur für Meurer sein. "Die Dörfler haben viele Kinder; leider sterben immer welche weg, kleine und auch größere. Manche Eltern sagen mir dann bloß: 'Es war ein Junge' oder 'war ein kleines Mäderl'. Namen gab es für die Kinder sehr oft nicht. Soviel bekannt, haben Meurers einen kleinen Jungen, vielleicht drei Jahre alt.

11. Ihr, Bruder Christophorus, werdet nach und nach die Leute kennenlernen, wenigstens in den nahen Dörfern. Die weit entfernten sind für euch beschwerlich aufzusuchen, außer ihr hättet ein Gefährt."

- 'Hach, das ist ohne Mühe zu erstellen. Wo er, der Spanier, eines sieht, wird es requiriert. Wann er es braucht, ist es bereitzustellen. Basta! Er sagt es aber nicht; sein finsterer Plan ist, allein die Dörfer aufzusuchen, da wird er finden, was er braucht: Menschen, alte oder junge, ihm ist das ganz egal. Wenn er nur die Ordensmacht zur Geltung bringt.

12. Er muß seinen Obersten die Meldung machen, wieviel an 'Seelen' er gerettet hat. Verdorben ‒ und das auf keinen Fall im Sinne Gottes, der Liebe und Erbarmung übt. Wäre er nicht selbst so eingestellt wie seine Ordensbrüder, seine Vorgesetzten ‒ leicht könnte er manch Opfer schonen. In der Ferne ist die Menge unbekannt und kümmert man sich nicht um sie. Was gälte es: er könnte Zahlen nennen, die nicht durch seine Greuelhände sterben.'

13. Sinkmann ist's, als gingen die Gedanken ihm durchs Herz. Ach, von seinen Kirchenbrüdern gibt es welche, die wie die Hispanier walten; doch zur Menschenehre auch gesagt: nicht wenige, die wie er, der Pfarrer, sind. 'O mein Gott, wende doch die Zeit,' fleht sein Geist, während er, um sich zu tarnen, dem Spanier wieder einen Wein kredenzt. '…und vergib mir wieder meine halbe Wahrheit, halbe Lüge.‘ Er kennt des Meurers Leiden, auch das von dessen Eltern. Sie sollen fromm gewesen sein, viel Gutes tuend, bloß nicht sehr unterwürfig fest der Kirche angehörend.

14. Wie zu erkunden war, hätten sie sich den Hussiten angeschlossen, nicht eng gegrenzt. Allein die Gotteslehre, durch Hus gebracht, ohne überflüssiges Ritual, die hätten sie geglaubt, hätten trotzdem auch der Kirche viel geopfert. Sie waren solche Leute, wie man sie heute nötig brauchen könnte. Den Gedankengang, er war sekundenkurz, unterbricht der andere.

15. "Wollt ihr mich begleiten? Ich gehe in die Kirche; nötig ist es nicht." Er kann den Pfarrherrn nicht gebrauchen, muß ihn täuschen, was ihm nicht gelingt. Die hohe Führung gibt dem Guten die Gedanken ein, die er nötig braucht, und was der Arge sinnt. Oh, da weiß 'man' schon Bescheid. Es wird ihm gewißlich: er steht unter des Allmächtigen Schutz. Wie oft hat er im Leben es gemerkt und ist noch gar nicht alt, wenig über fünfzig.

16. "Hier ist der Schlüssel, hoher Bruder; ich habe abgesperrt, weil ihr gestern sagtet, ihr wolltet alles überprüfen."

- "Gut gemacht." Ein falsches Lob. Mit dem Schlüssel schließt er sich dann ein, bei seiner Arbeit kann er keine 'Augen' brauchen. Jeder Beichtstuhl hat einen etwas dicken Vorhang, wie befohlen; ein Beichtvater darf nur hören, niemals soll er sehen, wer zu ihm spricht. Oh, das haben die Hispanier längst geändert, ohne daß es jemand merkt. Haha, er wird des dummen Pfarrers dumme Schafe kennenlernen, wird sie scheren, so oder so, wie ihm beliebt.

17. Zur… Ehre Gottes? Ach, eine Formel, die zu sprechen ist. Gott kümmert sich nicht um das kleine Menschenpack. Kirchliche Gewalt, vor allem seines Ordens, die ist auszuüben! Dazu dient die Formel. Also denkend tritt er in das Innere, geht durchs nicht sehr große Schiff, findet aber niemand, der versehentlich eingeschlossen ward. Er hat Routine. Bald ist der Beichtstuhl präpariert. Ein unschönes Grinsen überzieht das hagere Gesicht.

*

18. Währenddessen sitzt Sinkmann wieder schweren Herzens da, ißt erst jetzt sein mageres Morgenmahl und überlegt innigen Gebetes, wie er die ihm Anvertrauten schützen kann. Er müßte sie so allgemach zur 'Insel‘ bringen. Im großen Wald legt sich um sie ein Gürtel Moor, und er kennt den schmalen Pfad, der inmitten führt. Diese grasbewachsene Insel, von hohem Buschwerk abgeschirmt, könnte wohl die letzte Hilfe sein.

19. 'Ich möchte wissen…,‘ sagt Sinkmann zu sich selbst, 'was er in der Kirche tut. Wäre ich doch mitgegangen!' – Und da ist es wieder, als ob ein anderer gedanklich zu ihm spricht: 'Du hättest es nicht hindern können, wirst ja noch das Loch am Beichtstuhltuch entdecken. Nun du weißt, was der Böse tut, dann bleibe deinen Schutzbefohlenen nahe, müssen sie sich beugen, um Sünden zu bekennen, ihnen unbekannt, oder solche, die vor Gott so nichtig sind, daß Er sie gestrichen hat, bevor man sie beging.

20. Stehst du bei den Gläubigen, so fühlen sie sich sonderlich umhegt und atmen auf. Noch wirkst du hier an diesem Ort, bald aber wendet sich dein Weg und mit dem deinen noch manch anderer. Glaube nicht, es würde leicht; denk' auch ferner nicht, GOTT wolle dich erproben! Will Er das tun, hat Er ungleich anderes bereit. Du wirst es einst erfahren, wie wunderbar die Gnadenwege des allheiligen und guten Vaters sind. Jetzt halte dich bereit.'

21. Der Pfarrherr sieht sich staunend um. Daß 'das Wort' nicht sein eigenes ist, hat er gemerkt. Aber wer? Woher? Was war es, das wie eine Stimme klang, in, neben, über ihm? Unabwägbar! Jeden Falles aber gut, dessen ist er sich bewußt. Er denkt an das Kind Beate. Oh, kann ein solches Mädchen einen Engel sehn und hören, dann ‒ Du mein Gott ‒‚ dann muß es welche geben.

22. Daß er, ob Pfarrer oder nicht, ein Mensch mit Unzulänglichkeiten, während so ein Kind kaum eine Sünde kennt, auch einen Engel haben soll, der ihn führt und eingibt, was zum Heile seiner armen Kinder Gottes gilt, wagt er nicht ganz auszudenken. Daß es Demut ist, Hingabe an die Gottespflicht, das kommt ihm noch nicht ins Gemüt. Deshalb eben ist die Demut echt.

23. Er macht sich auf, Kranke zu besuchen, rät ihnen von der Messe ab, zumal der Arzt Ruhe anbefahl. Der selber arme Mann kann wenig helfen. Was hat er schon? Selbstgesuchte Kräuter, ein paar Salben. Er hat mit Sinkmann oft ein Wort gewechselt und war ersichtlich, daß beide an den gleichen Wagen ziehn: den schweren von der Welt, den anderen, den GOTT beladen hat ‒ den Segenswagen.

*

24. Abends liegt der Pfarrer im Gebet, Gott möge doch die üblen Zeiten wenden, wacht auf seinem harten Lager, bis auf einmal es wie eine sanfte Decke ist, die ihn umhüllt. Ihn umfängt kein Traum, es ist weit mehr, ist ein Hinwegführen von der Welt, von allem Kummer, aller Not, ohne diese aufzuheben. Er sieht sich selbst in einem hohen Raum, die Einzelheiten zeigen sich ihm nebelhaft, doch bewußt wird ihm, die Stätte ist sehr herrlich. Und er flüstert: "O Herr, wohin hast Du mich gebracht?"

25. "Das zu wissen tut nicht not", erwidert eine Stimme, die wie eine dunkle Glocke hallt. "Du hast gemeint, Gott müsse jetzt die Zeiten wenden, die so böse auf der Erde ausgebrochen sind. Vom Allerweltsgedanken her mag es wohl gelten; dein Geist kann es anders sagen. Weder Welt noch Zeit sind böse; denn beide stehen in des Schöpfers Hand, und du wirst nicht sagen wollen, daß Er Welt und Zeit so arg geschaffen hat. Oder doch?"

26. Der Körper wälzt sich ächzend hin und her, Ausdruck dessen, was der Geist erlebt, der bekennt: "Nein! Oh, nein! Was der Schöpfer schafft, ist ewig gut. Nur, …wie und was sich ändern müßte?", und er denkt an seine Schäflein. "Wie kann ich sie beschützen, wenn ich keine Macht besitze, wie der Finsterling sie hat?"

27. "Unverständlich für den Menschen, wenn es heißt, daß manch arger Krug zum Überfließen kommen muß. Das hängt mit jenen Wesen aus der Finsternis zusammen, die ihre Bosheit mit zur Erde bringen. Und die muß verrinnen. Würde Gott sie stoppen, was durch Seine Gnade ohnehin geschieht, sobald der Heilige dafür die Zeit ersieht ‒‚ dann bliebe in den Wesen auch ihr Böses stecken.

28. Wie sollten sie nun zur Erlösung kommen? Und das weißt du schon: Jedes Hingefallene will und wird der Herr erlösen! Dabei ist jedes Einzelne anzufassen und zu leiten. Wie im Licht die Herrlichkeiten unermeßlich sind, so auch im Abfallteil, den ihr Hölle nennt, die argen Triebe, die der Mensch nie zählen wird. Doch der Herr? Er kennt alle Zahlen ohne Unterschied!

29. Jetzt wird dir noch ein Bild gezeigt, wie du manchen der Gemeinde helfen kannst. Frag' nicht gleich: 'Warum nicht allen?' Auch da gilt Gottes Weisheit und Sein Wille. Er bedenkt jedes Kindes Weg, von einst, von jetzt, von späterhin. Das genüge dir."

- Hehrer Friede senkt sich auf den Schlafenden, als läge er auf einer weiten Wiese, umgeben von Gestalten. Wer sie sind ‒ er weiß es nicht. 'Fernab von der Welt', haucht es ihn an.

30. Darüber wacht er auf. Des Traumes Seligkeit zerstiebt. Heute, o heute! Er macht sich fertig, ißt sein trocken Brot und geht zur Kirche. Er muß seinen 'armen Kindern' Worte geben, die ein wenig Trost versprechen. Mitunter tut's ein Blick, ein Händedruck, aber alles, bevor der andere kommt.

31. Und wie er kommt! Die Augen wieselflink, Unwillen nimmt von ihm Besitz, als er die Leute dicht um Sinkmann sieht. 'Haha, wie dumme Schafe um den dummen Hirten. Waren Hirten jemals klug, um Plätze einzunehmen, von denen aus die Masse zu regieren ist?' Er weiß es nicht, wieviel Hirten schon aus Gottes großem Lehrbuch, der Natur, die für Menschen beste Weisheit lernten und anzuwenden wußten, gegen körperliche Leiden, gegen Seelennot, zur Rettung manchen Tieres.

32. Das hat des Mannes Sinn noch nie erfaßt, dünkt sich erhaben, mit der Macht des Ordens ausgestattet, mit dem Auftrag ausgerüstet, die Leute bis ins Letzte auszuforschen, unerbittlich, wo ein Mißstand sich ergibt. Was weiß dieser Seelenlose wohl von gut und böse? Er gräbt, bis er aus guter Erde Steine macht. Die hebt er dann auf, um damit zu werfen, ungeachtet dessen, daß der Heiland sprach: 'Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.'

33. Wie ducken sich die Leute in den schmalen Bänken, wie fallen sie aufs Knie, die keinen Sitzplatz fanden und nach stundenlangem Gehen müde sind. Wie funkeln jene Augen, verdeckt finster niederschauend. Harte Worte werden schmel-zend ausgesprochen, Hände fahren auf und nieder, wie vernichtend klingt der letzte Satz der langen Litanei ‒ eine 'Predigt' kann man das nicht nennen, was von der Kanzel auf erschreckte Herzen niederfiel, als es heißt:

34. "Beugt eure Knie, kehrt die arge Seele aus, reinigt Herzen und Gemüt vom Unflat eurer Sünden, bekennt gottwidriges Handeln, wenn ihr dann zur Beichte kommt. Gott sieht alles! Mir gab Er den Auftrag, euch zu bekehren. 'Im Namen Gottes' sehe ich, was anzuwenden ist. Seid ihr so für eine Woche rein geworden, ist dann zur nächsten Beichte neues Übel aufzudecken. Ich rate euch: Versteckt nichts von dem, was zu bekennen ist! Verstockte weiß der Herr zu strafen, und zwar schon jetzt, und ewig werdet ihr im Feuerpfuhle schmachten. Die Hölle ist bereit, Sünder aufzunehmen; denn für diese ist die Himmelstür in Ewigkeit verschlossen!"

35. Er, im Rasen angemaßter Macht, vergißt das 'Amen'. Allerdings ‒ es wäre fehl am Platz, denkt Pfarrer Sinkmann. 'Gott hat ihm den Mund verschlossen, damit er nicht das 'Amen' spricht, mit dem der Heilige Sich Selber nennt' (OJ. 3,14). Wie ist des guten Mannes Herz so schwer, und er sieht, wie die Frauen sich die Augen wischen, wie manchen Mannes Brust sich mühsam hebt. Der andere, der gedonnert hat, keinen sanften Regen, keine milde Sonne gab, sieht das zwar auch, legt es aber völlig ungut aus.

36. 'Sie sind erschüttert, ich hab' sie aufgerissen, man weiß, was zu erwarten ist, wenn …' Er muß die Gedanken bannen. Noch hat sich niemand an dem Beichtstuhl eingefunden. 'Ha, die kommen, die kommen ganz bestimmt!' Siegessicher geht er in den engen Stuhl, rückt von innen gleich den Vorhang hin und her und ‒ so, er hat den Ausblick vor dem rechten Auge.

37. 'Ist es auch das rechte Auge?' – Beinah hätte er sich umgedreht, ihm war wirklich, als hätte jemand das gesagt. 'Unsinn! So was gibt es nicht!' An Jenseitsstimmen glaubt er nicht; bloß fest an eine Hölle für die andern, nicht für sich. Er glaubt an Gott, er weiß, daß es Ihn gibt, sonst hätte seine Kirche durch Jahrhunderte nie bestehen können. Der strenge Gott hat sie erhalten. 'Weg mit den Gedanken, er hat jetzt zu richten!'

38. Ergrimmt sieht er, wie der Pfarrer einen Mann zum Beichtstuhl führt. Daß er den Meurer wählte, ist jenem unbekannt. Ein Auftakt himmlischer Regie, an der zuletzt die Weltlichen zerbrechen müssen? Hat Beates, hat Sinkmanns Engel seine Hand im Spiel? Meurer kniet sich nieder, bekennt zaghaft einige Gedanken, er hätte seine Frau gekränkt, wäre seinem Nachbarn einmal ausgewichen und mehr solcher faden Bagatellen.

39. "Ist das alles?" Sehr scharf gefragt. "Hast du kein fremdes Gras genommen? Wo sind die Kinder und die Weiber, die nicht mitgenommen wurden? Bist du etwa nicht der Erste unter euch?"

- Blitzschnell das Wissen: 'Das war der Huber. Vom kleinen Bündel Gras kann niemand etwas wissen.' Deshalb sagt er offen: "Ob mit Recht, kann ich nicht bestimmen, nur ist von meinem Grund ein Drittel Mahd genommen worden; ich hab' kein fremdes angerührt." Stimmt! Das Gras an eines Weges Rand, …wem gehört das schon?

40. "Für die sündigen Gedanken, das nächstemal offenbarst du mir die bösen Taten, gibst du zwei Wochen lang die Milch von deiner Ziege ab, jeden zweiten Tag im Stadthaus abzuliefern." – 'Klug ist er‚ bei der ersten Beichte nicht gleich scharf zu schießen. Muß der Arme sich dafür bedanken? Solch kleine Strafe! Ob die Milch dem Haushalt bitter fehlt und die Kost ganz mager wird, ob das Bübchen nur noch Magermilch bekommt, danach fragt man nicht. 'Ob der Herrgott aber danach fragt?' Den Gedanken müßte Meurer beichten. Hm, dem Pfarrer wird er es gestehen.'

41. Alle, die sich vor dem Beichtstuhl niederbeugen, haben eine unbestimmte Angst, auch jene, die mit dem Spanier privat gesprochen haben und er ihnen wie ein Freund entgegenkam. Jetzt ‒ die Stimme hinterm Vorhang ‒ mag ja sein, das Tuch verändert einen Laut, bloß klingen alle Worte messerscharf, ohne die geringste Wärme eines menschlichen Gemüts. Es darf ja gelten: Die Ordensbrüder, in die Welt hinausgeschickt, werden derart hart erzogen, daß sie gar nicht anders werden können wie sie sind.

42. Allein, sie waren Kinder, ehe sie zum Orden kamen, zumeist von Eltern liebevoll umhegt. Ließ man den guten Samen sich verderben, dann bleibt's die Eigenschuld. Wer unbarmherzig waltet, wird bei der 'hohen Abrechnung des Herrn' sich niemals hinter ihre Oberen verbergen können, wie es Adam hinterm Baume tat. Jeder steht vor Gottes Angesicht für sich allein.

43. Wie man jetzt die Angstgequälten gnadenlos befragt, bis in das letzte Fäserchen hinein, so und gar nicht anders, freilich in der heilig-unverstandenen Gnade Gottes, werden alle Argen auch befragt, bis zum letzten Sandkorn ihrer Schuld. Des Lichtes Frage dringt zu den unheilvollen Seelen:

44. 'Ob es euch nicht etwa ebenso ergehen wird wie jetzt den Leuten, nicht wissend ein noch aus, weil sie Dinge sagen sollen, die nicht einmal in ihren Sinn gekommen sind, geschweige denn, sie hätten so gehandelt.' ‒ 'Und immer die Bedrohung einer ewigen Verdammnis ‒? Müssen sie dann nicht erkennen, wie ihnen werden kann, genauso, wie den Bedrohten auf der Welt?' – Viele Fragenstimmen.

45. Kennen sie, die im Namen Gottes sprechen, nicht Sein Wort, in der Bibel aufgezeichnet, nicht jenen Abschiedsgruß des Mose:

«Wie hat Er ‒ der Herr ‒ die Leute so lieb!» (5. Mo. 33,3)

46. Hat Er sie lieb, wie sollte Er sie denn auf ewig von sich stoßen! Ist ihnen nie der Spruch geworden:

«Wenn eure Sünde gleich blutrot ist,

soll sie doch schneeweiß werden!»  (Jes. 1,15)

Und aus dem Vielen noch das Herrliche:

«Ich vertilge deine Missetat wie eine Wolke

und deine Sünde wie den Nebel.

Kehre dich zu Mir; denn ICH erlöse dich!» (Jes. 44,22)

47. Ist es gut, treibt man ein schlichtes Herz in die Verzweiflung? – 'Du böses Kind', sagt der Heilige, 'kannst zwar jetzt tun, was aus deinem Übel kommt. Allein ‒ für jedes, das dem andern das Verderben bringen will ‒ absolut nicht kann, denn des Lichtes Kinder stehn in MEINER Hand! ‒‚ geht eine Höllentüre auf, die eigene, aus eigener Grausamkeit geschaffen! Hast du ein Recht, abzurechnen, wo es kaum was abzurechnen gibt? Bist du der Lebensgeber und der Lebensträger, oder bin nicht ICH das ewiglich allein?!'

48. Wer hat das geflüstert? Wo kommt der Windklang her? Sollte Gott ‒ Einbildung! Das kam von den Frauenaugen, die so vor ihm waren, als hätten sie durch sein geheimes Loch geblickt. 'Aufgepaßt,' denkt der Spanier, 'zu wem die Frau gehört.' Dann gnade ihr, die wollte mich durch Zauberei behexen. Eine Teufelshexe unter der Gemeinde! Ah, das brauche ich, um ein Exempel aufzurichten; dann werden sie schon wimmernd kommen, wenngleich mit kargen Gaben. In der Stadt gibt's welche, die Silberlinge springen lassen, um nicht ‒ ‒"

49. Heute kommt er nicht dahinter, wer die Frau gewesen ist. Er ahnt es nicht: Sinkmann hörte ebenfalls des 'Windes Stimme', flüsterte Helene Meurer zu: "Geh' rasch fort, Berthold holt dich wieder ein."

- Dem Meurer winkt er zu.

- Der räsoniert mit Absicht vor dem Portal: "Konnte sie nicht warten?" Er meint sein Weib.

- Sepp Stiebitz lacht: "Kennst die Weiber; wenn nicht die ganze Kinderschar am Rocksaum hängt, wittern sie Gefahr." Froh sind aber alle, weil die 'große Messe' glimpflich abgelaufen ist.

*

50. "Abwarten", sagt Kieslutz leise, als Huber nicht zugegen ist, "nächstesmal verlieren wir die Haare, hernach den ‒" Kopf, soll es heißen.

- Einer hebt die Hand. Aus purer Angst kann ihr Gespräch verraten werden. Entgegen seiner Ansicht, die sich mit den meisten deckt, sagt jener nebenher: "Er scheint ein Besserer zu sein, und unser Pfarrer ist ja auch noch da." Man geht auseinander und sieht bangend Kommendem entgegen.

51. Meurer hat an diesem Tag den weiten Weg, obendrein mit soviel Sorgenlast, zweimal bewältigt. Er ist müde, und rafft sich dennoch auf, abends fortzugehen. Wohin, verschweigt er seiner Frau, die es ihm zitternd eingestand: ‚Ach Berthold, in dem Vorhang ‒ ich weiß ja nichts ‒‚ es wirkte wie ein Loch. Ich sah ein Auge glitzern, dann war es plötzlich weg. Die Vorhangfalte wurde auch bewegt. Was hat das zu bedeuten?‘

52. 'Ja was?' Jetzt versteht der Mann, warum Sinkmann seine Frau rasch wie fortgetrieben hat, ihm das Zeichen gab, langsam nachzugehen. Er muß Gewißheit haben. Das Beichtgeheimnis sollte heilig sein, lehrt die Kurie. Er hat stets daran geglaubt. Freilich, ihm stiegen auch Gedanken auf, hie und da, die sich mehrten, seitdem die Spanier im Lande sind. Da geschehen Dinge, die bisher nie geschehen sind und auf die alte, große Kirche Lichter werfen, Irrlichter muß man ernstlich sagen. Zum Anstoß führen sie.

53. Hat man nicht gern und treu geglaubt, was gepredigt ward? Und war viel Gutes offenbar. Jetzt, im kleinen Dorf, wo es kaum geschulte Leute gibt, sind schon welche wach geworden, flüstern sich einander zu: 'Es herrschen nicht mehr rechte Dinge, bei der gewohnten Handlung eines Gottesdienstes, von den weltlichen Oberen sei ohnehin gar selten Gnade oder Hilfe zu erwarten. Aber bei der Kirche, der Mutter der gesamten Christenheit…'

54. Berthold umfängt Helene. "Keine Angst, mir kann nichts geschehen. Und schlafe. Wenn ich komme, weck' ich dich. Es wird dann etwas zu besprechen sein. Schließe die Tür, öffne bitte nur, wenn es viermal klopft."

- "Wenn du wiederkommst!" Helene tupft die Augen aus.

- "Ganz gewiß." Beinah hätte er sich doch verraten und von dem Engelswort gesagt, das Beate mehrmals hörte.

55. Sonderbar, …er glaubt jetzt an des Kindes Führung. Noch dazu des Pfarrherrn Botschaft aus dem Licht? O, der ist von denen einer, an dem die Gemeinde echten Anhalt findet. 'Das sind die treuen Diener ihrer Kirche,' mit Recht betont. Was sich in der Zeit so ausgewachsen hat, was keine Kanzel schmückt, das läßt sich nicht mehr decken, und kein Wunder, wenn die Menschheit sich nach etwas sehnt, gespürt, bloß noch nicht bekannt.

56. 'Ist es bereits 'der Wind', das Befreien von der Willkür mancher Oberen?' Man flüstert es sich heimlich zu, wenn man wirklich weiß, der andere steht fest. 'Es käme etwas aus dem Norden, vom Mittelland (Thüringen); und die Geschichte eines Hus geht mit umher. Die ließ sich nicht verschweigen.'

57. Das und anderes mehr sind die Gedanken, die den einsam Wandernden befallen. Mondlos, ohne Sterne ist die Nacht, eigentlich für seinen Weg besonders gut. Er braucht demnach nicht zu fürchten, lauernden Leuten zu begegnen. Wer ‒ triebe ihn nicht größte Not, würde ohne Licht im Dunkeln gehn?

58. 'O mein treuer Gott und Herr, hilf uns doch in unsrer Not, sieh auf uns herab, die wir Dir dienen so gut es geht. Wir können Dir nur unsre kleinen Scherflein bringen. Siehst DU auf das Weltliche? Sammelst Du nicht Deiner Kinder Herzen ein? Und sind sie Dir nicht wichtiger als alles, was der Welt gehört? Einmal ward gepredigt:

«Die Welt vergeht mit ihrer Lust;

wer aber den Willen Gottes tut,

der bleibt in Ewigkeit!» (1.Joh. 2,17)

59. Ich will immer glauben, daß Du unser guter Vater bist."

 

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Kap. 5

- Der Schrei der Eule – Historische Zeiten bedrohen Geist und Körper – Ein gesundes Gespräch – Ein Wort mit dem Licht – Ein weiterer Angriff geht in Rauch auf

 

1. Die Mitternacht ist fast vorüber. Des Pfarrers Seele ist so aufgewühlt, er findet keinen Schlaf. Wenn der Beichtstuhl ‒ er wagt es gar nicht auszudenken und wird bald bestätigt werden. Unter seinen Fenstern liegt ein Gärtchen, arg verwildert. Eben da schreit ein Uhu. Nicht durchdringend; aber der so schreit, braucht nichts zu fürchten. Wirklich dumme Leute fürchten sich vor diesem Vogellaut. Sie gehen gar nicht nachzusehen. Aber Sinkmann ist hellwach geworden und weiß gleich: 'Das war kein Vogel, das war die Stimme eines Menschen, der in Not und Schrecken rief.'

2. Vorsichtig klettert er den kleinen Stieg hinab, öffnet ohne Laut das Türchen, das ins Gärtchen führt, und sieht trotz Dunkelheit den Mann, der sich aus dichtem Buschwerk löst. Ohne Zeichen, wortlos, tappen beide in das Haus zurück. Kein Lichtstumpf wird im Stübchen angezündet, er erkennt auch so den Ankömmling. Es ist ein fragendes Entsetzen, was über seine Lippen kommt.

3. "Was tust du hier? Ohne schweren Grund bist du nicht gekommen, da kenne ich dich viel zu gut."

- Es ist Meurer. Ihm zittern schier die Beine; Herz und Körper sind erschöpft.

- Das Wenige, was anzubieten ist, findet Sinkmann auch im Dunkeln: eine Kante Brot, einen Becher leichten Weins. "Iß und trink und berichte. Vor dem Morgenlicht mußt du zu Hause sein. Weißt es ja…"

- "…der Nachbar. Ich will nichts sagen, das steht mir nicht zu, befürchte aber, daß er dem Spanier zum Hörigen geworden ist."

- "Vielleicht, weil ihm alles im voraus vergeben wird." (die Ablaßzeit)

4. Berthold erzählt, was seine Frau am Beichtstuhl sah. Später hätte er gemerkt, wie der Spanier die Frauen musterte. Er hätte zwar erst nicht begriffen, warum der Pfarrer seine Frau so schnell entführte und ihm hernach das Zeichen gab. Jetzt, wäre davon wirklich etwas wahr, was Helene sah ‒ o weh! Ein tiefer, langer Seufzer erfüllt den Raum.

5. "Niemand, auch kein anderer der guten Freunde, auf die ich mich verlassen kann, würde hören, was ich dir zu sagen habe."

- Sinkmann schenkt sich selber etwas ein. "Behalte es für dich, sag' deinem Weibe nichts davon; aus Schreck würde sie Verkehrtes tun. Sie hat recht gesehn! Eben dann kam ein Wort zu mir, und es war mir so, als müsse es dem Spanier gelten. Es war wie eines Windes Rauschen, für mich dennoch klar die Stimme:

6. 'Du böses Kind kannst zwar jetzt tun, was aus deinem Übel kommt. Allein für jedes, das dem andern das Verderben bringen will ‒ absolut nicht kann, denn des Lichtes Kinder stehn in MEINER Hand! ‒‚ geht eine Höllentüre auf, die eigene, aus eigener Grausamkeit geschaffen! Hast du ein Recht, abzurechnen, wo es kaum was abzurechnen gibt? Bist du der Lebensgeber und der -träger, oder bin nicht ICH das ewiglich allein?' (Kap. 4,47)

7. Als ich dies hörte, kniete vor dem Beichtstuhl deine Frau. Sie hat bestimmt das Loch bemerkt, ansonst der Spanier nicht nach jenem Auge suchte, daß ihm in seine Schändlichkeit entgegensah. Was bedeutet uns denn noch die Beichte, wenn sie nicht mehr wie von alters her zu gelten hat? Ich hab' noch nicht geschlafen, bin ganz aufgewühlt und weiß nimmer, was geschehen soll.

8. Ich müßte es dem Bischof melden. Wo ist dann das Loch geblieben, ehe eine Inspektion erfolgt, ganz abgesehen davon, daß gar nichts unternommen wird? Zu fest sitzen jene schon in unserm Sattel."

- "Hm ja, und weiter?" Meurer prüft, ob es schon tagt.

- "Es bleibt nichts anderes übrig, als daß ihr nächsten Sonntag auch zur Messe kommt. Deine Frau soll sich mit einer anderen bereden, bei den ersten sein und alsbald gehen, nicht rasch, ganz unauffällig. Und du bleibst hier, mischst dich unter deine letzte Schar. Was weiter wird, dazu mag der Herrgott mir die Weisung geben."

9. Meurer hebt verzweifelt beide Hände auf. "Die Frau bekommt doch keine Ruhe; wenn er, der Beichtiger, jemanden verfolgt, der kommt nie aus dessen Klaue." Geäußert, ohne jeglichen Respekt. "Wo kann es ihn denn geben, darf man sich nicht einmal auf das 'Recht des kleinen Mannes' stützen?"

- "Still", warnt Sinkmann. "Ich hab' euch gern geholfen, mit dem 'kleinen Pfarrerrecht', wie du dachtest. Oh, hat man mal ein Wörtchen ausgesprochen, kommt es einem über seine Zunge, wenn es fehl am Platze ist. Dann ist es zu spät.

10. Gehe jetzt, ich lasse dich durch eine Lücke. Gott sei mit dir, daß du niemandem begegnest."

- "Der Verstand muß walten, habe meine Sichel bei dem Gerstenfeld versteckt, das am Rande etwas reift. Kann notfalls etwas schneiden. Man geht vor Tau und Tag zum Sicheln."

- Trotz der Sorge muß der Pfarrer lächeln. Ja ja, der Berthold stammt aus einem besseren Hause, wo man nicht blind dem Leben gegenüber war. Das noch dunkle Morgental verschluckt des Mannes Silhouette. Unbeschadet kommt er heim.

11. Die Frau schläft fest, Meurer weckt sie nicht; der Mühe ist's ja auch genug, die auf ihren Schultern liegt. Er melkt die Ziege, die gute Labe fließt in einen Krug, stellt ihn in den Erdwall, den er hergerichtet hatte, wo man im Sommer etwas länger aufbewahren kann. Morgen wieder in die Stadt, mit dem 'Sündenzoll' (Kap. 4,40), murmelt er verbissen vor sich hin.

12. Eigenartig, vom Dorfe redet auch nicht einer von der Messe, man bespricht das Wetter, die Getreidemahd und was ansonst den Bauern naheliegt. Selbst August Huber hält den Mund. Es ist niemand, der ihn nicht ein wenig fürchtet, weil er bei allen Dingen ungut seine Zunge wetzt. Hieselbar hat es gesehen, daß Huber ganz der letzte war, der am Beichtstuhl niederkniete, lange flüsterte und ‒ weiß Gott ‒ hatte Hieselbar gedacht, 'der bekennt nicht bloß seine Sünden.' Genau das war geschehen.

*

13. In dieser Zeit (im Mittelalter) kommt eine von den schwersten Unruhen unter Stadt- und Landgemeinden auf. Noch ist der Spanier auf der Hut; er braucht erst noch ein Privileg, auf das er, mühsam sich beherrschend, harrt. Hat er das erst einmal in der Hand, dann... 'Ha, selig dieser dumme Pfarrer!' Allerdings, abschaffen kann er ihn nicht; merkt er aber das Geringste, kann er über seinen Orden ihn vernichten. Rom muß ihn dann bannen, er kann auch notfalls selber ihn versetzen, so oder anders.

*

14. Während bei ihm solcherlei Gedanken ausgebrütet werden, sitzt am dritten Tage nach der Messe, es ist ein trüber Tag, der Medicus dem Pfarrer gegenüber. Erst reden sie vom Allerlei des Alltags, bis der Doktor schweren Seufzers sagt: "Es kommt etwas auf, ich hörte es geheim. Einer aus Südosten wisperte mir zu, dort herrsche jetzt die Pest und man müsse es gewärtigen, daß sie weiter um sich greift, zumal es dort so gut wie keine Hilfe gäbe. Er wäre bei der ersten Kunde weggelaufen. Weil er ohne jegliche Familie sei, wäre ihm das leicht geworden."

15. "Pest?" fragt Sinkmann tief erschreckt.

- "Allerwärts herrscht arge Not; hat man nicht genug zu essen, ist der Körper ohne Widerstand. Da mag der Pesthauch reiche Ernte halten. Ist zu befürchten. Ich habe gestern mit dem Spanier gesprochen; der hat bloß gelacht und gedroht, er würde mich verbannen lassen, käme ein Tumult unterm Volke auf. Den könne er jetzt nicht gebrauchen. Seht meine Frage: Warum jetzt denn nicht?"

16. "Verstehe! Glaubt mir: Die 'spanische Pest' frißt viel mehr Opfer als die andere."

- "Von dort kommt auch noch eine?"

- Sinkmann lacht verzweifelt. Dann ein Ruck und er berichtet von der 'löcherigen Messe'.

- Der Medicus fährt auf, rennt hin und her, wirft sich wieder auf den Schemel und stößt hervor: "Das ist ja entsetzlich! Hättet ihr es nicht gesagt ‒ nie hätte ich das glauben mögen. Wir müssen schweigen. Ich bin kein großer Kirchengänger; ihr, Pfarrer, wisset auch warum. Zudem gehn bei mir die Kranken vor, die kann ich nicht sich selber überlassen.

17. Bisher hat der Bischof es geduldet. Die hohen Herren haben ja die meiste Angst, wenn die 'Lüfte' kommen; denn die Pest klopft nicht bloß an die Armentür. Deshalb konnte ich dem Spanier sagen: 'Ihr, hoher Herr, seid für die Seele da, ich für den Leib. Kommt aber wie vor vierzig Jahren eine Pest, wollt ihr die Todgeweihten pflegen, zu versuchen, die Pest einzudämmen?' Was meint ihr, was ich da als Antwort hören mußte?"

18. "Weiß ich nicht, raten mag ich nicht; Gutes war es kaum."

- "Genau, werter Freund! Er, der Spanier, würde nie zu einem solchen Kranken gehen, dafür wären doch die Medicusse da. Die von Pest Befallenen würden sterben, mit und ohne Pflege, 'die kann man bloß dem Teufel überlassen', wörtlich ausgestoßen."

19. "Euch kann ich voll vertrauen, seid Jahr und Tag mir ehren Freund …"

- "Was auf Gegenseitigkeit beruht", unterbricht der Arzt.

- "… und ich will gestehen: 'Einige aus meiner Landgemeinde, die Gefährdetsten der Spanierpest, müssen fort. Weiß es nicht, wie, wann, wohin.' Lange kann ich sie nicht mehr beschützen. Und wenn, da muß auch ich mit weichen."

20. "Pfarrherr! Da kann der Mond vom Himmel fallen, wenn ‒ ist das nicht auch gotteswidrig?" versucht der Arzt, ein Ereignis aufzuhalten. "Wenn ihr geht, haben eure Leute keinen Anhalt mehr. Ich weiß recht gut, was ihr ihnen seid! Und…", kommt der letzte Trumpf, "…könnt ihr vor Gott bestehen, wenn Er sagt: 'Ungetreuer Hirte, du hast die dir anvertrauten Schafe preisgegeben!'?"

21. Sinkmann hat schon längst sein Haupt gesenkt. Ach, was geht nicht alles durch sein Herz! Was der Doktor sagt, hat er in letzter Zeit vieltausendmal bedacht, hin- und hergewälzt, bejaht, verneint; und nur das Engelswort, das immer wieder zu ihm kam, hat ihn aus aller Qual herausgehoben.

22. So kann er jetzt den Blick erheben, leicht verschleiert und doch irgendwie aus Gottes Helligkeit heraus. Bedachtsam wählt er seine Worte; leicht ist es nicht, des Himmels Weisung mit dem weltlichen Gehabe auszugleichen. "Ich habe euren Hinweis aus der Freundschaft, die mir zu jeder Zeit von euch geworden ist, herausgeschöpft, und was ich jetzt erwogen habe, ist das Resultat der letzten Wochen, seitdem bei uns das Fremde dominiert.

23. Glaubt mir, ich bin unterrichtet." Vom Engel sagt der Pfarrherr nichts. Der Doktor ist ein guter Mann, doch das Übersinnliche steht ihm noch fern. "Wenn aus meiner Herde welche fliehen ‒ sie müssen es, soll sie kein Foltertod betreffen ‒‚ werde ich geächtet sein. Was das besagt, brauche ich nicht zu erklären.

24. Wer weiß? Kann der Herrgott mich nicht anderswo gebrauchen, wo ich für Ihn wirken darf? Bin ich geächtet, so kann ich gehn wohin ich will, der 'lange Arm', ihr wißt, was ich damit meine, findet mich im letzten Winkel dieser Erde, und käme ich ins tiefste Afrika. Wer bringt mich dorthin? Mit was? Fragen überflüssig. O sieh, mein Freund, so sieht die Wahrheit aus."

25. "Hört mal zu, Sinkmann, und glaubt, daß ich auch noch Ohren habe, die nicht bloß in und aus der Nähe hören. Man sagt, nordwärts käme jetzt ein neuer Glaube auf. Ob es stimmt, ob er Gutes bringt ‒ wer kann das erwägen? Es wird bereits verlautet: Jeder, der dieser Irrlehre glaubt, wird gebannt und verfällt dem irdischen und geistlichen Gericht."

26. "So hat man es mit Hus getan, der sich, nachweislich, einzig auf die Schrift berief, vor allem auf die Lehre Jesu Christi. Ob alles klar gewesen ist, läßt sich nicht erhärten; denn möglich, daß man Hus so manches unterschob, was niemals über seine Lippen kam. Ob er wirklich alles aus dem hohen Gotteswort erkannt und so gepredigt hat, wer will das heutzutag entscheiden?

27. Wie dem auch sei: Treue Anhänger haben bis zum heutigen Tag des Evangeliums wegen Haus und Hof verlassen",

- "Müssen!", fällt der Doktor grimmig ein.

- "Hm, möglich", weicht Sinkmann aus. Noch ist er Priester seiner Kirche, muß er sich ihr beugen, äußerlich; aber der Erkenntnis nach hat er sich ziemlich weit von ihr entfernt. Wie die Dinge liegen, eben in der Zeit, wo nackte Macht der nackten Armut gegenübersteht ‒ wer könnte ihn verdammen, wenn besseres Wissen aus dem Lichte Gottes ihn erfüllt?

28. Dabei bleibt bestehen: Seine Kirche hat viel gute Seelen, unterm Volk die meisten. Doch auch manch Hoher, Fürst der Kirche, Fürst der Welt, sehen Fehler ein, bloß fehlt die Macht, sie abzustellen. Darüber sprechen beide Männer und sind sich einig: Es müßte bald ein Großer kommen, der niemand fürchtet, außer GOTT in Ehrfurcht, in unerschütterlichem Glauben.

- "Wir können nicht viel tun…", sagt Sinkmann, "…durch Priestereid ist mir der Mund verschlossen. Euch, werter Doktor, hört kein Hochgestellter an. Oder doch?"

29. "Nein, einmal nur der Bischof, der Kranken wegen. Ah, mir fällt wieder ein, was ich sagen wollte, in Verbindung mit der Pest. Die kann schon vor unsern Toren lauern. Ich mußte kürzlich wieder mal ins Bischofsamt, zu Bediensteten, bin ja bloß ein 'Kleiner'! Hohe Herren darf ich nicht behandeln.

30. Ich wurde durch den Hof geführt. Da standen hochbepackte Wagen, fertig, um jeweils vier Pferde anzuspannen. Ich erlaubte mir den 'Winkelblick' und fragte dann in der Gesindestube, was die Wagen zu bedeuten hätte, ob der Bischof wohl nach Rom berufen wäre. Daß die Kunde von der Pest zu diesem durchgedrungen ist, war mir gewiß. Ha ‒ die Wagen, wohin rollen die?"

31. "Und wenn? Gottes Arm reicht weiter, als die Herren wähnen. Nie, nie, soweit wir rückblickend wissen, hat eine Pest vor irgendeiner Türe Halt gemacht, vor ‒" hohen Würden und verbrämten Kleidern.

- Der Medicus versteht's auch ohne Worte. "Schon spät; ich muß noch zu zwei Kranken, ihre Schmerzen etwas lindern."

- "Noch? Die schlafen sicher längst"

32. "Bei Gott, ich wollte gern, sie würden schlafen! Eines wird euch freuen, so vom geistlichen Amte her: Ich gehe nie zu Kranken, ohne erst den Herrn zu bitten, Er mög' mir Seine Helferhände leihen. Es war mir manchmal so, als ob da einer bei mir stünde, der…" Ernst schweigt der Arzt und geht ganz versonnen fort. Auch der Pfarrherr bleibt versonnen sitzen, bevor er sich zur Ruhe legt.

*

33. Eine Gnadennacht kommt auf den Schläfer nieder, besonders klar, ihm ist, als wäre er hellwach. Vor ihm steht sein Engel. "Du?" fragt der Träumende und ist ein 'Sehender' zu nennen. "Was bringst du mir?"

- "Ein Schweres und ein Leichtes; ausmessen kannst du beides selbst."

- "Das Leichte ist von unserm lieben Gott, das Schwere ist die Bürde dieser Welt."

- "Meinst Du?" wird der Dialog zwischen Gottes Licht und Mensch geführt.

34. "Anders weiß ich's nicht zu deuten, bin nur ein kleiner Mensch."

- "Prüfe…", mahnt das Licht, "…ob nicht im Schweren auch der schwere Segen ruht. Leichtes könnte leicht befunden sein."

- "Oh, wie dumm bin ich gewesen; da wird Gott mit mir unzufrieden sein."

35. "Wirf den Gedanken über Bord, er taugt nicht viel, außer, man könnte ihn zur Demut rechnen. Merke auf! Das Schwere als der Segen kommt von Gott, dem Heiligen, der Seine Kinder allesamt zu führen weiß, auf der Welt nicht sonderlich erkannt, was jedoch am Menschen liegt und niemals an der gnadenreichen Führung Gottes. Das erkennst du an, nicht wahr?"

- "Vollkommen, ich brauche mich dabei bloß selber anzusehen."

36. "Das kann gelten, nur wird es eben nicht gebraucht. Es gibt einen hellen und einen dunklen Schwereteil, und weißt du schon, was das bedeutet. Der dunkle Teil kommt von der Welt, er steht schon vor der Tür von Land und Stadt, auch vor deiner, die in die Kammer führt und hinaus. Weit weg! Die helle Schwere steht an deiner Seite, und du weißt, wer sie dir bringt."

- "Gottvater", sagt Sinkmanns Geist, der wie körperlich beim Lichte steht. Auch sieht er sich wie selbst.

37. "Ganz recht! Nur glaube nicht, es wäre keine Last, weil das gute Leichte, von Gott gesegnet, alleinig dient und hilft. Willst du dich erproben, so nimm das Leichte mit dem Schweren, das Schwere mit dem Leichten auf."

- "Ach, Bote Gottes, das ist ein schwieriges Exempel; mich dünkt, Menschen können es nicht lösen."

38. "Durch Wort und Rechnung nicht", erwidert sanft der Geist. "Im Nächstendienst, der dir noch größer wird als er bisher gewesen ist und war bislang sehr viel, wirst du diese Rechnung unter Gottes Flügel lösen; Er wird dich und die Fliehenden beschatten."

- "Also doch", gesagt mit einem Seufzer. Er hat trotz alledem gehofft, er könne die Gemeinde vor Gefahren schützen und bliebe ihnen weiterhin der Helfer, wie er es, wenngleich im kleinen Maß, gewesen ist. Er sieht den Engel fragend an.

39. "Forsche vorher nicht, was der Schöpfer-Vater auf dem Wege geben wird. Durch eine kurze, schwere Zeit wirst du gleich wissen, wie du handeln sollst. Doch ist noch ein Engel da, hast von ihm gehört."

- "Der von Beate?" wagt der Mann zu unterbrechen.

- "Jawohl, und sind wir unser zwei, mag dein Mut nicht sinken. Denke dran:

Wer Gott vertraut, der hat auf keinen Sand gebaut."

40. "Daran halt' ich fest, auch wenn uns bloß ein Engel führt, weil es immer einen Gott und Schöpfer gibt."

- "Ihr glaubt an drei Götter, stellt sie zwar in Einem dar und wisset nicht, wer voranzustellen sei. Du hast darüber nachgedacht und gemeint, das könne eigentlich nicht stimmen: entweder eben ein Gott, oder drei. Es blieb dir nur die Frage offen, welcher denn der erste, der zweite und der dritte wäre und wer am meisten anzubeten sei.

41. Laß das hinter dir zurück; glaube an den einen Gott, dann hast du allzeit einen Segen, der ewig länger als für ein langes Leben reicht. Was du weiter wissen mußt, wird dir noch gegeben, auch vom Kind. Sei auf der Hut! Der Mensch soll überlegen, was zum Besten dienen kann ‒ für die anderen, für sich. So nimm des Vaters Frieden, bleibe fest, bleib' getrost."

*

42. Es ist früh am Morgen, fast noch düster, als Sinkmann sich die Augen reibt. "O Vater-Gott, wo bin ich gewesen? Was alles habe ich erlebt?" Menschlich muß er sich besinnen, dabei ist ihm innerlich, als ob sich Wort und Bild zusammenfügten. Wie ein Ganzes steht es vor ihm da. Es erschauert seine Seele, er lobt den Herrn im stillen Dankgebet und kann doch die Sorgenlast nicht bannen: 'Wie wird es werden? Wie soll ich es denn schaffen, ohne daß der Spanier zu früh des inne wird, was vor sich geht? Dann wären wir geliefert, einer wie der andere, ich vornweg. Und wenn?'. Befragt er sich.

43. 'Du müßtest erst die Opfergasse gehn.'

- 'Aber… aber…' sagt er weiter zu sich selbst, 'der Lichtgeist war schon oft bei mir und weit zurückgeblickt.‘ Als Knabe hatte er schon solche Träume, der Kindessinn konnte sie nur nicht begreifen. Heute sieht er völlig klar, im Aufblick, daß Gott Seine Himmelsboten sendet und Er auch Selbst erscheint, wie es zum Heil der Menschen gut und dienlich ist. 'Wen aber soll er wählen? Wen zuerst ins Unbekannte ziehen lassen? Ja, unbekannt, das sind sie auch, er und alle seine lieben Leute! O Freude! GOTT sind wir bekannt und das genüge mir,' schließt er die Gedanken ab.

44. Es klopft. Ein Knabe kommt herein, verschüchtert, Angst liegt in seinen Augen. "Pfarrherr, ihr möchtet, sollt", stottert er.

- "Komme her, Bub. Bist du nicht des Kerzenziehers Hansel?"

- "Ja", nickt der Knabe.

- "Habe keine Furcht." Liebevoll legt Sinkmann um den mageren Körper seine beiden Arme. 'Oh, die haben auch mehr Sorgen als zu essen', denkt der Treue traurig.

45. "Vor euch nicht", sagt der Junge. "Ihr seid freundlich, wenn ihr zum Herrn Vater kommt."

- "Wovor hast du Angst?"

- Der Befragte sieht zur Tür, als befürchte er, dahinter stünde, der ihn sandte. "Es ist der hohe Herr…", wispert Hansel, "…er rief mich aus dem Hause, ich solle euch gleich melden, so bald als möglich möchtet ihr zur Kirche kommen. Der hohe Herr wartet dort."

46. "So! Wir warten auch erst ruhig ab. Keine Suppe wird so heiß gegessen, wie man sie kocht."

- "Er wartet aber, ich soll ihm Meldung machen."

- "Kannst du; erst aber ißt du hier ein Brot, so lang hat die Sache Zeit."

- Gierig greift das Kind zum Brot, und wie in einem Nu ist es verschlungen. Genau so schnell ist es dahingerannt. Sachte schließt der Pfarrer seine Kammer zu.

47. "Jetzt geht's los! Mein Himmelsvater-Gott, hilf mir, lasse meine Schäflein nicht verderben." Im Magen hungrig, er hat sein Brot dem Kind gegeben, doch irgendwie im Innern stark, himmelssatt ist es zu nennen, macht er sich auf den Weg. Er darf den Spanier nicht verärgern, läßt er zu lange auf sich warten.

48. Er tritt durch das Portal. Drinnen ist es noch ganz dunkel, weil der Morgen erst sein Regiment begonnen hat, zum andern: die Mauern haben keine großen Fenster. Dunkel sind sie obendrein gefärbt. Nun, er ist hier zu Hause, er findet sich zurecht und geht in das Gelaß, das sich bei der Altarwand befindet. Dort ziehen sich die Priester um und die Sakramentsgeräte werden daselbst aufbewahrt. Reichtümer gibt es nicht; die Gemeinde ist ein armer Kreis. Von 'Obenher' ist noch nie etwas gestiftet worden.

49. Der Wartende sitzt auf einem Hocker, er hält es nicht für nötig, aufzustehen, als Sinkmann grüßt. 'Jeder Hochmut fällt einmal in seine Grube,' denkt dieser und streicht die Bosheit damit aus. "Verzeiht, ehrwürdig hoher Bruder…", sagt er leise verhalten, "…ich war gerade aufgestanden, als der kleine Bote kam. Was gibt es Wichtiges, das so früh besprochen werden muß?" – Nichts, bloß kommen sollte er.

50. "Was unsere Arbeit anbelangt, ist immer wichtig; das solltet ihr als Priester wissen, obwohl ihr bloß ein Kleiner seid."

- Und gern, schiebt Sinkmann den Gedanken ein. 'Der Heiland ließ die Kindlein zu Sich kommen, die Großen mußten abseits stehn,' sagt aber laut: "Ich bin bereit, auch nachts zu dienen, wenn dies nötig ist." Er ahnt, um was es geht: um die Messe. Er hat sich nicht getäuscht.

51. Schon fängt jener an zu poltern: "Ihr habt die Gemeinde falsch geführt, was zu melden ist. War das eine Beichte? Lappalien hat man gemurmelt, daß ich's kaum verstehen konnte."

- 'Habt dafür durchs Loch gesehen,' ergrimmt der Pfarrer sich.

- "Dann meine Predigt?" wird räsoniert. "Hat mich einer angeschaut, hat man mit vollen Ohren zugehört? Die Wände haben mich vernommen, eure Leute aber nicht!"

52. "Darf ich unterbrechen?" Sinkmann fragt bescheiden, des Hasses Glut darf nicht zur Feuerlohe werden … hier nicht.

- "Was?" Der Üble blickt den Fragenden nicht an.

- "Gestern haben einige der Städter mir von eurem Predigtwort gesprochen." Was, bleibt ungesagt. "Also hat man zugehört und bin ich sicher, daß die Landgemeinde, die besonders aufmerksam gewesen ist, sich nichts entgehen ließ von dem, was ihr geredet habt." Ah, 'nicht gepredigt.'

53. Die Donnerworte waren nicht zu überhören, die konnten Tote auferwecken. Der Spanier hat sich schwer geärgert, weil die Gemeinde froh zu Sinkmann aufgesehen hatte, bei ihm es keiner wagte. Hatte es moniert, weil die lieben Leute voll Vertrauen auf die Kanzel blickten, der andere aber wollte, jedermann soll sich in Demut und in Ängsten beugen ‒ vor ihm, keineswegs vor Gott.

54. Sehr behutsam, die Kerbe muß der Fremde spüren, sagt der Pfarrer: "Ihr, hochwerter Bruder, dürft für euch in Anspruch nehmen, daß die Kleinsten", auf sich mitbezogen, "sich nicht getrauen, euch näher anzusehen. Und während einer Predigt ‒? Ist schon gut, wer sich so niederneigt in Andacht, im Gebet. Ihr standet über der Gemeinde." So, der fein umwickelte Pfeil hat gut getroffen.

- 'Hm, obwohl dieser dumme Deutsche es so meinte wie gesagt?'

55. Hier herrscht dünkelhaft Einfalt vor, die dem Ordensmann besonders gut zunutze kommt, so gemeint: Er legt alles bloß zugunsten seines angemaßten Amtes aus. Ha, sie sollen zittern und erbleichen und vor allem leiden! Finster geht er fort, die Kirchentür fällt häßlich zu, so laut, wie man es bei einem Gotteshaus nicht liebt.

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Kap. 6

- Wieder der Engel von Beate – Weg mit dem Heuchler, Bertold vom Priester um Hilfe – Das Licht belehrt und tröstet

1. "Vater, er war wieder da." Beate steht mit ihrem Vater bei dem Gerstenfeld.

- "Wer?" Meurer sieht zurück ins Dorf, wo der Nachbar wohnt. Immer mehr merkt man, wie August Huber spioniert, jedermann betrachtet, als könne er bis auf den Grund der Seele blicken. Dahin aber schaut der Herrgott ganz allein. Unruhe befällt alle Dörfler, und ist's bald so, als ob einer dem andern nicht mehr traut. Bloß die engsten Freunde, Meurer, Stiebitz, Hieselbar, Kieslutz und der Stängler halten treu zusammen.

2. Beate schmiegt sich an den Vater an, schaut glücklich hoch und lispelt: "Mein Engel."

- Angst und Freude kämpfen miteinander in des Mannes Brust. Man weiß bereits, daß die Ordensmönche 'Teufel' dazu sagen, vielleicht, weil sie selber einen solchen haben? Wo haben sie denn eine Lichtverbindung! Ach, Teufel ist ein falsches, böses Wort. Er, der brave Bauer Meurer, wagt gar nicht, den Argen, wenn es einen gibt, auf den Spanier zu beziehen.

3. "…Er war so lieb, hat mich sogar geküßt, das erstemal. Nur dann, da war ein großer Wald, drin viele Tümpel, einfach fürchterlich, und ich war erschrocken. Da trug der Engel mich hinüber auf eine große Insel, mitten zwischen all den Tümpeln und sprach: 'Hier seid ihr erst mal sicher; es folgt zwar ein schwerer Weg, doch der Heilige wacht über euch, und ich.' Sein Gesicht erglänzte. 'Ich bin auch dabei und noch ein lieber Helfer.' Alsbald war er plötzlich weg und ich schlief wieder ein."

4. "Bist du denn wach gewesen?" Der Vater sieht erstaunt auf seine Tochter nieder.

- "Ganz wach, es war das erstemal, wo ich es richtig sah, nicht nur im Traum. Es war gar nicht dunkel, mir war, als ob das Licht von oben kam. Mutter lag ganz stille, du hattest paarmal schwer geseufzt und Peter hat sogar im Schlaf gelacht. Sonst war es ruhig um uns her."

5. Der Bauer hebt die Sichel an. Das muß er mit dem Pfarrherrn erst bereden, ob sowas wirklich möglich ist oder ob ‒ geschickt verbirgt er seinen tiefen Schmerz ‒ sein Kind nicht krank geworden ist. Ach, man nennt das heutzutage 'Hexenkrankheit', wenn die Gedanken eines Menschen sich verwirren. Ja, damals hat man es nicht anders ausgelegt. Weh, wenn das über seine arme, kleine Tochter kommt, die so seelenrein, so gut, über ihre Jahre schon hinaus gereift und sehr fleißig ist. Dann sind auch er, sein Weib, sein Sohn verloren.

6. In des Pfarrherrn Wohnung will er nicht schon wieder gehen, das fällt zu sehr auf, zumal in Rücksicht auf denselben, der mit ihnen eng verbunden ist, immer Freud und Leid mit jedem teilt. Das weiß Meurer: der Spanier haßt den Pfarrer. Das Warum ist ihm völlig klar. Leider sind es bis zur nächsten großen Messe, die bestimmt der Fremde zelebriert, zwei Tage nur. Was dann ‒? Zuvor wird es kaum möglich sein, Sinkmann zu befragen.

7. Ihm ist, als spüre er im Nacken einen linden Hauch. Er dreht sich um. Niemand ist zu sehen und war wie ein Atemzug. Kommt wohl zu mir, dem sündigen Erwachsenen, wie 'es' zum reinen Kinde kommt? Das ist ganz unmöglich! Trotzdem überströmt es ihn wie eine Kraft, wie wenn da etwas weggeschoben würde, eine Last, die bleibt und nicht mehr drückt. Komisch, muß er denken, wie kann man etwas spüren, was man nicht mehr spürt?

8. Um sich frei zu machen, fängt er an zu sicheln und sagt mahnend: "Nicht wahr, Beate, du schweigst? Das Mutterle erfährt es später früh genug. Du bist sehr verständig, ich will mit unserm Pfarrer drüber sprechen; er weiß, wie es auszulegen ist."

- "Ich habe niemals was gesagt. Freilich, Mutter hätte ich es gern erzählt. Aber was du willst, Vater, das tue ich."

- "Brav, mein Kind! Nun laß uns an die Arbeit gehn. Heute ist es heiß, das Getreide trocknet schnell; bis zum Abend bringen wir es in die Scheuer, ehe wieder jemand ‒"

- Beate kichert. "Hast recht, Vaterle. Ich bleibe mit der Ziege dann am Nachmittag am Rand, da sehe ich es gleich, wenn einer kommt, um was zu holen."

- "Nochmals brav, kleine, große Tochter."

9. Der Acker ist nicht groß, doch die Ernte gut, in zwei Stunden ist die Mahd beendet. Der Rücken schmerzt, auch Beate tun die Arme weh. Sie hat die Schwaden oft gewendet, damit Frau Sonne recht schnell trocknen sollte. Umso besser mundet dann das Brot, trotz dünner Milch; die gute dicke Ziegenmilch hat der ‒ der ‒. Ach, es geht traurig zu auf dieser Welt. Ich müßte heute Abend doch noch zu ihm gehn, zum Pfarrer, ringt Meurer es sich ab.

10. Er ist sehr erleichtert, weil seine Frau Helene noch nichts ahnt vom Lichtgesandten, nichts von seinen Gängen in der Nacht. Als ob, hm, als ob sie gleichfalls eine Extraführung hätte, die ihr den gesunden Schlaf verleiht. Tor, schilt sich der Mann, während er im Schuppen die Geräte reinigt, den Wagen richtet, um hernach am Abend mit der Kuh die Ernte einzuholen.

*

11. 'Jeder Mensch hat eine Führung.' Das hat ihr Pfarrer der Gemeinde anvertraut, als sie noch durch keine Fremden Angst vor Folter und vorm Feuertod zu haben brauchten. Die Gemeinde war so gut betreut, es gab keine Neidlinge und was mehr, was nun erst aufgekommen ist. Natürlich, unter ihrem Volk gibt's manchen Lumpen, es gab aber auch ein Recht, wenn man an einen guten Richter kam.

12. Der Tag geht ihm sehr mühsam hin, nicht allein durch Arbeit, die ihm ansonsten Freude macht, obgleich bei ihm das Denken ausgebildet ist. Vom Elternhause her. Kommt er an das Besinnen, da ballt sich ihm die Faust, dann muß er ringen, daß er kein Gedankenmörder vor dem Schöpfer wird. Oh, vielleicht versteht's der Hohe besser als der kleine Mensch, ruft ein empfangenes Unrecht, Mord und Grausamkeit, den Geliebten angetan, ein gewisses Rachgefühl hervor? Steht nicht geschrieben: 'Die Rache ist Mein!', spricht der Herr? 'Und wie hat es Pfarrer Sinkmann ausgelegt?' Es klingt fast wie eine Frage an des Mannes Ohr.

13. Schmerzend, vom stundenlangen Bücken, hebt er seinen Oberkörper auf. Ja, ja, es stimmt, was der gute Mann zu sagen wußte: 'Die Rache ist Mein! Ihr Kinder auf der Welt könnt es nach Meinem Wesen nie so wissen, was ICH mit Meiner Rache tue, für euch, die ihr durch viel Unrecht bitter leiden müßt. Meine Rache ist die Abrechnung! Niemand kann ihr je entfliehn, wer dem Nächsten übel tut! Denn ein jeder ist des Nächsten jedermann!'

14. Ja, so etwa hatte Sinkmann ihnen es erklärt, sinnt Meurer weiter und fühlt sich recht dabei getröstet. Er hat gerungen, um den ewigen Schöpfer-Gott die Abrechnung zu überlassen. Steigen jedoch all die Bilder auf, wie gehandelt wurde, und er, noch ein Knabe, es erleben mußte, bevor die Kinderfrau mit ihm und Hildegund in einem Schober kroch, abseits vom Haus, das in Rauch und Trümmern niedersank, dann ist das Verzeihen für ihn schwer. Das brachte er ja fertig, bloß noch nicht, was der treue Pfarrherr auch gefordert hat: 'Für seine Feinde bitten.'

15. Manchmal kommt es ihm jetzt hoch, denkt er an sein Töchterlein. Allerdings, Beate ist ja noch ein Kind, da hat ein böses Menschenwerk noch nicht die reine Seele angerührt. Oh, eben das: Ein Engel führt das Mägdelein, und so sollte er ‒ Er hebt das Weitere sich auf den Abend auf, der Pfarrer wird ihm geistig helfen. Auch mit dem anderen, wie die Himmelskunde kam.

16. "Ach, Du mein Herr und Gott, trotz manchem Ungemach hast Du mich reich gesegnet. Ich habe ja ein liebes Weib, zwei brave Kinder, ein paar treue Nachbarn und habe Deinen Unterhirten, wie sich Sinkmann ganz bescheiden öfters nennt. Natürlich, der HIRTE bist Du ewiglich allein; doch Du stellst uns Deine Helfenden zur Seite. Man müßte immerdar in Dankbarkeit sich vor Dir neigen. Hilf mir, treuer Vater-Gott, mich zu überwinden." Meurer hat es selber nicht gemerkt, daß er sich in seinem Schuppen niederkniet, die gefalteten Hände hoch erhebt, innerlich bis an den Himmel, und hernach doch niederblickt, demütig gebeugt vor seinem Gott.

17. Nun ist der Abend angebrochen. Mit Frau und Tochter hat er seine Ernte eingeholt, das durchs Gebet gesegnete Abendbrot verzehrt und die Kinder gehen schlafen. Diesmal will er nicht so heimlich fort, er muß sich seinem Weibe anvertrauen. Behutsam, wie man bei einem so schwer Arbeitenden es nicht für möglich hält, nimmt er beide Hände von Helene in die seinen, betrachtet sie erst eine Weile, die von vieler Arbeit rauh und rissig sind und doch eine schöne Form besitzen, drückt sie an seine Lippen und sagt:

18. "Liebste, sei nicht bang, ich muß zu unserm Pfarrer gehn, es ist für uns wichtig. Wohl wüßte ich mir einen Rat, doch ich darf und will nichts tun, was andere gefährden kann, zumal unseren getreuen Helfer. Schließe Tür und Fenster zu. Sollte der Spion was merken und sogar klopfen, dann sprich ‒ Gott wird es verzeihen ‒ die Lüge aus, ich wäre in das Nachbardorf gegangen, wegen einer Sichel. Die brauchen wir und ich muß sie sogar demnächst holen. Alles andere befehlen wir dem Herrn. Er wacht über uns." Und wie, wird ihm auf dem Nachtweg offenbar.

19. Hie und da stiehlt sich des Mondes halbe Scheibe durch das Wolkenmeer, das sich jetzt gebildet hat und den heiß ersehnten Regen bringen kann. Scharfen Auges sieht der Bauer vor sich einen Schatten, der sich längs der Büsche hin bewegt und zu sehen ist, wo es Lücken gibt zwischen dem Gesträuch. Jedesmal rennt der Schatten ‒ es ist ein Mann ‒ bis zur nächsten Hecke, sich dabei umblickend und tief duckend. O lieber Himmel ist das nicht der Huber? Das Gehabe, die Gestalt, die Art des Ganges, auch im Laufen unverkennbar, es ist August Huber. Wo der hinwill, doch etwa nicht zu ‒ ach, wie soll er, Meurer, sich verhalten? Ist es nicht gewagt, jetzt den Pfarrherrn aufzusuchen?

20. Ah, des Schleichers Weg führt in die Stadt. 'Wohin?', dafür braucht Meurer nicht sein Seelenheil verwetten. 'Eine Führung Gottes', ist es wie ein Hauch an seinem Ohr, 'wenn der Böse zu dem Bösen geht.' Ein in brünstiger Dank steigt zum Himmel auf. Also kann er seinen Uhu-Schrei verwenden. Der ist bekannt; denn im nahen Walde gibt es viel vom Nachtgevögel, das die Stadt, die Dörfer überfliegt, mit dem seltsam heiseren Laut.

21. Die ersten Häuser sind in Sicht. Meurer sieht, wohin der Huber geht. Er kann daher ganz getrost ins Gärtchen dringen, bis unters Pfarrerfenster. Oh, wie froh ist er, oben scheint ein Licht wie von einer kleinen Kerze. Ja, die armen Pfarrer müssen sich die Kerzen selber kaufen, dafür sorgt die Kirche nicht. Was wunderlich, wenn's bloß Stumpen sind! Der Ruf.

22. Meurer nimmt seine Schuhe in die Hand. Besser schon, man geht in Strümpfen. Auch eine Not, weil alles heimlich zu geschehen hat, als wäre man Verbrecher. Und will doch nichts, als die Seinen retten, geistig mehr noch als das Leben auf der Welt. Sinkmann lehrt das Weiterleben, jenes unter Gottes Güte und keines von dem Feuerpfuhl, vom Höllenschlund.

*

23. Eine Weile sitzen sich die Männer schweigend gegenüber, die laue Nacht schaut durch das Fenster, wohlweislich geschlossen. Heutzutag ist man nie sicher, ob man nicht belauert wird, wie es ein Wilddieb mit dem Wilde macht. Das geht ihnen eben durch den Kopf, ohne daß darüber einer spricht. Sinkmann nickt ahnend vor sich hin, sagend: "Bringst keine gute Kunde, Berthold, oder ‒ hm hm, es kann ja eine gute sein. Man braucht es bloß aus Gottes Hand zu nehmen; und spürt schon Seinen Segen."

24. "Letzteres gewiß, Ehrwürden, daran halt' ich fest. Doch wie geht es weiter? Mir bleibt kaum anderes übrig, als …"

- "… sag' es nur: als zu fliehen. Laß den 'Ehrwürdigen' weg, habe es schon oft betont. Ich bin und will nichts anderes sein als ein kleinster Helfer unter Gottes hohem Helfer-Regiment.

25. 'Gehen', demnach Haus und Heimat offen zu verlassen, ist nimmer möglich. Mir gab es Gott zu wissen. Doch halt das 'wie', das weiß ich nicht. Der Engel, der bei Beate steht, würde es mir offenbaren. Es ist ‒ wie leider nun die Zeiten laufen ‒ schwer zu glauben, daß tatsächlich Engel zu uns Menschen kommen. Schließlich bin ich auch nicht sündenfrei. Das ist kein Mensch, außer reinen Kindern."

26. "Haltet ein!" Meurer greift nach einer Hand des Pfarrers. "Ich weiß mir keinen, der so treulich ist wie ihr! Habt allzeit uns das beste Himmelsbrot gegeben, die wir um das Brot des Lebens bitter kämpfen müssen. Nunmehr muß man auch das Himmelsbrot bei dem andern hoch bezahlen. Ja, so einfach gehen ist nicht möglich. Heimlich ‒ allein wohin? Beate hat mir zugeflüstert, ihr Führer hätte was vom Moor gesagt, hätte sie im Traum dahingetragen und wäre dann sehr schön gewesen. Freilich, Sumpf ist um uns her, und ihr versteht, o Pfarrerfreund, was ich damit meine."

27. "Berichtet mir es mit dem Moor genau; mir ist, als ob ‒" Sinkmann stützt die Stirn in beide Hände. Gedanken jagen durch sein Hirn, eigentlich durchs Herz, wenn man das so sagen will.

- "Da ist sicher nichts dabei", wischt der Bauer durch die Luft, als wäre alles nur ein Dunst, Nebel. Dabei spürt er innerlich das Treibende, wie wenn ein Geheimnis ihn berührt.

28. "Seht, ich lege es so aus: Meine kleine Tochter, über ihre Jahre schon hinaus an Verstand und Willigkeit, spürt das Bedrückende. Das nimmt sie mit in ihren Traum; und das Licht ‒ ich glaube, weil sie wirklich sieht und hört ‒‚ führt sie auf eine grüne Insel, damit sie ruhig wird und nicht im Schlaf noch Angst empfinden muß. Daher das Moor, ihre Angst. Das Hinübertragen ist der liebe Segen, den ihr Seelchen haben soll."

29. "Gut ausgelegt", bestätigt Sinkmann, "ist aber auch noch anders anzusehen. Schau, Berthold, du, der Stängler, Kieslutz, Stiebitz, Hieselbar, in der Stadt der Schrober und ‒ ach, es wären viele, die aufzuzählen sind, leider geht das nicht und bekümmert mich so stark und schwer, ihr alle seid gefährdet, besonders eure lieben Frauen und o weh, auch manch ein Kind. Vordringlich Beate. Denn wer zur Seite einen Engel hat, an den schleicht ein Teufel sich heran. Wer die sind, wissen wir, sind arge, böse Leute."

30. "Das ist die große Sorge." Meurer fühlt sich tief belastet. "Ob ich jemals Frau und Kinder schützen kann? Von mir will ich nicht reden, ein Mann hält leichter etwas aus."

‒ "Das unterstreiche nicht zu dick, Berthold; auch ein Mann spürt alle Schmerzen."

‒ "Gewiß; nur wenn man dafür Frau und Kinder retten könnte, so wäre …"

‒ "Kann man gelten lassen. Bedenke aber noch: er", Sinkmann meint den Spanier, "kann dich zuerst in seine Zange nehmen; bist du erledigt, so ist's ihm leicht, die Familie auszurotten."

31. "Oh, beinah hätte ich vergessen: Denk an, der Fuchs in unserem Hühnerstall ist vor mir her zur Stadt, ging in die Gasse, wo 'der' wohnt."

- Sinkmann fährt fast hoch. "Da seid ihr noch viel mehr gefährdet, als ich wähnte! Da drängt die Zeit, wir können nicht mehr lange warten!"

- "Mit was?"

- "In einer Woche müßt ihr fort, und…", es klingt wie ein heimliches Frohlocken in des Pfarrers Stimme, "…uns hat Beates Engel die Himmelsrichtung angezeigt. Das Moor! Daß ich daran noch nicht dachte?" Er schlägt sich an die Stirn, setzt sich wieder hin und sagt auf Befragen Meurers:

32. "Im nahen Wald gibt es ein ausgedehntes Moor. Ich suche Kräuter, die ich unserm Medicus zu Tee und Salben überlasse, weiß also gut Bescheid. Durch den Moorkranz führt ein schmaler Pfad. Ich kenne ihn, sonst wohl niemand. Habe Monate gebraucht, bis ich Fuß für Fuß ‒ machte mir geheime Zeichen ‒ es hinter mir gelassen hatte. Dann entdeckte ich ein großes Wiesenland, mit viel Baum und Strauch bewachsen, daß es wie zum Wald gehört. Sogar schärfste Augen dringen nicht bis hin zur grünen Insel.

33. Ich bringe euch dorthin"", er sieht dabei so gläubig drein, daß es Meurer überschauert. "Uns hilft Gott, der Herr! Es heißt ja auch: 'Er sendet ihnen Engel zu,' und auch: 'da traten die Engel zu Ihm und dienten Ihm' (Matt. 4,11). Und noch ein Wort: 'Der Engel Seines Angesichts half ihnen' (Jes. 63,9), und vieles mehr. Unser Gott ist heut' kein anderer, als Er früher war. Wer weiß, wie ER uns führt?! Glaubst du das, Freund Berthold?"

34. Nicht bloß durch die Gnadenworte, nein, selbst bekennt der Bauer: "Ich glaube!"

- "Gut, laß uns sofort überlegen, wie du zuerst dahin gelangst. In zwei Tagen geht der Mond zur Neige, dauert rund acht Tage, bis er wieder mehr zu sehen ist. Vielleicht begünstigt uns ein trübes Wetter. Zur Messe kommt noch mal; gerade ist es wichtig, weil der ‒ sage nicht gern 'Fuchs', obgleich der Huber einer ist, eben heut zum Spanier ging.

35. Werde morgen sehen; denn er bespricht mit mir die Messe, wie er sie haben will. Auf alle Fälle bist du Montag nacht, gegen elf Uhr, an der großen Eiche. Blitz und Wetter haben sie so oft getroffen und steht trutzig da, ein Wahrzeichen wahrlich von Gottes Güte! Er kann geleugnet, Sein Name mißbraucht werden, allein… ER ist da und bleibt, was Er aus eigener Ewigkeit gewesen ist: der Schöpfer, der Sich jedes Werk erhält!

36. Mußt freilich alles lassen, ihr dürft nur nehmen, was ihr tragen könnt. Kein Tier, so schad' es ist. Tierlaute können uns verraten. Hüllt euch in dunkle Kotzen (Decken), ich ruf' Uhu, so merkst du, wo ich bin."

- Dem Bauern rinnen Tränen über das Gesicht, mit gefalteten Händen sitzt er da, und auch Sinkmann glitzert es im Auge. Er muß als Letzter fliehen; ohne ihn ‒ wer findet sich zurecht?

37. "Barmherziger Gott…", ruft Sinkmann aus, "…hilf uns aus dieser Not!" – Ist da nicht ein sanftes Wehen? Ist da nicht ein Wort: 'Ich helfe euch!'? – Es dauert eine Weile, bis beide Männer wieder 'zu sich finden', wie man gern sagt. Ihre Hände greifen ineinander, jeder hält sich am andern fest, im Gefühl: 'Des Gottes-Vaters Hände sind es, die uns halten.'

38. "Komm…", sagt der Pfarrherr, "…gehe heim. Mach' den kleinen Umweg über eure Nachbarsiedlung. Wenn dich jemand sieht, so kommst du nicht von hier. Ich gehe jetzt zur Sperlinggasse, wo 'er' wohnt; und brennt da noch ein Licht, dann ist Huber noch bei ihm und ich bin befreit. Man sorgt sich doch um seine lieben Leute."

- "Das habt ihr immerfort getan; weiß nicht, wie ich's benennen soll: stets fühlt man sich bei euch zu Hause."

39. Behutsam geht der Bauer fort, auf den Gassen ist es dunkel, das freie Feld verschluckt ihn rasch, während Sinkmann sich in seinen schwarzen Umhang hüllt. Er kehrt befriedigt heim, bei dem Hispanier brannte noch ein Licht. Am Fenster zeigten sich zwei Schatten, ganz deutlich auszumachen.

40. "Bitter traurig", murmelt er, als er sich schlafen legt, "man ist froh, wenn die Füchse bellen, damit die Guten sicher sind. Ansonst ‒ heiliger Herr, rette meine armen Leute!" Darüber schläft er ein. Frei ist seine Seele von des Tages Last. Er sieht wieder seinen Bruder aus dem Licht, liebsanft lächelnd, auch so wie mahnend und sehr ernst. Es zuckt im Pfarrer auf: 'Ernst ist die Zeit, des Heiligen Mahnung tut uns wohl.'

41. "Damit hast du recht", sagt der Engel, "ich muß dich aber korrigieren."

- "Tue das, Himmelsfreund", geht der Schläfer darauf ein.

- "So höre! Die Zeit ist ewig gut, sie kommt aus Gottes Schöpfermacht und Güte. Böse sind die Menschen, die ihre Zeit vergiften; und die ist vergänglich, wie die Materie vergeht. Noch ist dir das fremd, weißt nicht genau, daß einzig ewig bloß das LICHT bestehen bleibt: des Schöpfers, Werk und Wille!

42. Was zur Umkehr den Gefallenen bereitet ward, geht im Ablauf jenes äußerlichen Lebens hin, das jeder Mensch verliert, sobald der Tod als 'Lebensengel' an sein Lager tritt. Erkenne es und kannst dies deinen 'lieben Leuten' lehren. Doch die andern? Diesmal hast du nicht an sie gedacht, und ist bitter nötig, wie der Heiland sprach: 'Ich bin nicht zu den Gesunden gekommen, sondern zu den Kranken, zu den Verlorenen aus dem Hause Israel.'

43. Man hat gemeint und hält heute noch dran fest: 'Der Herr hätte es zum Volk gesagt, unter dem Er lebte.‘ Nein, mein Freund vom Licht. Das 'Haus Israel' war, ist und bleibt das Himmelsvolk, welches Sich der Höchste aus der Schöpfer-Herrlichkeit geschaffen hat. Von ihm war das Erstkind abgefallen, mit ihm eine große Schar. Das sind die Kranken, die Verlorenen, für welche wir im Reich des Vaters immer unsere Hände betend falten.

44. Denke nicht, das sei nicht viel getan. Sehr wohl, bloß die Hände heben und Gott bitten, ist ein kärglicher Tribut, dem Höchsten aufzuopfern. Wir regen unsere Hände, wir gehen in die Finsternis, wir suchen die Verlorenen, die Seelenkranken auf. Meist spüren sie das nicht, weil sie bockig sind. Wenn schon, dann streifen sie es ab; denn eine Lichtlast, Bruder, ist um das Unendliche mal schwerer als jede Bürde dieser Welt!

45. Bitte auch für euren 'Fuchs'. Ungern bezeichnest du ihn so. Man soll keinen Menschen mit einem Tier vergleichen. Und weißt du auch warum?"

- Schlafend schüttelt Sinkmann seinen Kopf und weiß nicht, daß seine Psyche mit dem Engel redet. "Ich weiß es nicht, belehre mich."

- "So höre weiter zu. Böse Menschen sind aus sich selber bös. Ein Tier ist niemals böse, es geht ‒ auch im Raub ‒ immer bloß dem Futter nach. Es meidet sehr den Menschen als seinen Feind. Und wenn ein großes Tier den Menschen überfällt, dann tut es dieses nie aus Raublust oder Gier, sondern nur aus Angst.

46. Der Mensch handelt im Impuls des Denkens, absichtlich ist er arg. Das ist der geschöpfliche Unterschied. Zugunsten eines Tieres, von GOTT geschaffen, beachte es besonders gut, soll man böse Leute nie mit einem Tier vergleichen. Aber auch, und das ist wichtig: Ob noch eines Menschen Seele finster ist, gemein ‒‚ sie trägt in sich den Lebensodem Gottes aus der Schaffung; und deshalb bleibt kein Kind vom Reich des Vaters ewig fern. Oder meinst du, daß es für immer eine Gottesferne gibt?"

47. "O Gottesfreund", lispelt es, "uns ward die ewige Verdammnis eingeprägt, niemals eine Wiederkehr ins Vaterhaus, und das ‒ das hat mich allezeit betrübt. Ist Gott gut, wie die Bibel sagt, wie also könnte Gott, der gute, ein wenn auch ganz verlorenes Kind für ewig von Sich stoßen? Da bin ich mit dem Kirchenlehrgang nie ganz eins geworden. Wie kommt denn das?"

48. "Weil du eine lichte Seele hast. Das wird dir wieder zugedeckt; für das Weitere deines Lebens ist es besser, du bleibst ein Mensch unter Menschen. Was du bringen sollst, wird dir zuteil. Sorg' dich nie darum! Eines soll dir Ruhe geben: deine 'lieben Leute' bringst du sicher fort. Nun nimm Gottes Segen hin und sei getrost."

49. Ob und wie lang der so Begnadete geschlafen hat, weiß er auch diesmal nicht zu sagen. Es sind zwei Gefühle, die sein Herz bewegen und ob widersetzlich, sich nicht stören. Sonderbar, denkt er nach. O ja, die Lasten sind vorhanden, die sind nicht wegzuwischen. Doch da ist Gottes Kraft, die unter diesen Lasten sich bewegt, beinah heftig, als höbe sie das Menschliche wie eine Feder hoch, die der leichte Wind verweht.

50. "Mein Vater-Gott, Du Herrlicher, ganz Erhabener, was bin ich denn vor Deinem Angesicht?! Ein Körnlein Staub und weiter nichts und…"

- 'Gottes Kind', hört er deutlich neben sich.

- Da beugt er beide Knie, da bleibt auch seine Seele stumm in jener Andacht ohne Worte, die am besten in das Lichtreich steigt, bis hin vor Gottes Gnadenstuhl. Wie schmeckt ihm dann sein trocken Brot, der kleine Becher Milch. Innerlich und äußerlich gestärkt, geht er in den menschlich schweren Tag hinein.

 

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Kap. 7

- Reporting Huber – Das Machtdokument des Inquisitors – Noch ein Wort von der Hohen Gnade

 

1. Finstere Dämonie und Gottes hehre Dunkelheit wohnen auf der Welt oft nah beisammen. Man kann verstehen, lichtgemäß, daß der Mensch leicht strauchelt, wenn er nicht die Unterschiede kennt oder gar dem eigenen Untertrieb verfällt, selber hergestellt. Denn niemals kann ein Mensch dem Schöpfer klagen: 'Ich ward verführt, ich bin…' und was man vorzubringen weiß. Nein! «Adam, komme hinter deinem Baum hervor!» Das ist obendrein die Sprache allerhöchster Liebe, die den Schöpfungstag bestrahlt. Es wird abgerechnet; selber mußt du deine Schuld bekennen, dann wirst du einmal frei, von dir selber frei! Wer mag diese Worte glauben?

2. Jener nicht, dem sind sie nicht mal bis ans Ohr gedrungen, viel weniger denn ins Herz, der als arme Seele zu der andern armen Seele eilt. Eines denkt der Huber sich: 'Treib ich andere ins Netz, so bin ich frei, ich kann in keine Falle stürzen.' – Gedacht! Ob es für ihn stimmt, wird der arme Mann erfahren, später. Jetzt, meint er, kann er unbeschadet leben.

3. Mit solcherlei Gedanken steigt er die Stiege hoch, klopft zaghaft an, um keinen Lärm zu machen. Er muß warten. O, so rasch kommt ein Hochgestellter einem Bauern, der nichts ist, nichts hat, nicht entgegen. 'Ich hab' doch Licht gesehen', denkt er und will wieder leise pochen. Unmerklich öffnet sich die Tür zum schmalen Spalt, und der Spanier, der hier wohnt, äugt heraus. Er tut sehr erstaunt, obwohl er weiß, wer ihn nachts besuchen will.

4. "Du? Was willst du bei mir?"

- "Hoher Herr, ihr habt die Botschaft doch bekommen und habt mich extra wissen lassen, daß ihr in eurer Hocherhabenheit mich armen Sünder aufgefordert habt, zu kommen. Ich bin froh, weil mich niemand sah."

- "Wirklich?" Barsch gefragt, nachdem der Bauer eingetreten ist. Noch wird kein Schemel angeboten. Zwei Stunden Weg, da kann er leicht ein Weilchen stehen bleiben. "Warum bist du gekommen? Ich wüßte nicht, was Wichtiges du zu sagen weißt." Dabei giert der Fremde förmlich nach der Waffe, einer bösartigen Klinge, die er braucht, seiner Macht zu frönen.

5. "In unserm Dorf geht's nicht mit rechten Dingen zu, vor allem bei dem Nachbar, dem Meurer und Familie. Auch bei andern habe ich erlauscht, daß sie gegen euch, hochwürdiger Herr, und gegen unsere Kirche böse Worte ausgesprochen haben. Bloß wenn mehrere beisammen sind, da wird gelobt und hochgehoben. Aber wenn die ‒ die Teufel sich geheim begegnen, wird das Gegenteil gesagt."

6. "Wenn sie sich geheim begegnen! Woher willst du das dann wissen, was geredet wird? Alsdann müßtest du bei ihnen stehen."

- "Werthöchster Herr", Huber macht einen tiefen Tunker, "so dumm bin ich nicht, um mich offen hinzustellen. Ich habe gute Ohren, und wo sie sich zusammenfinden, weiß ich auch. Da gibt's genug Versteck, um ungesehen mitzuhören." Obwohl die Nachtluft kühl geworden ist, wischt Huber sich den Schweiß von seiner Stirn; denn mit schwankendem Gefühl und schlechtem Sinn geht untergründige Angst einher. "Das will, das mag ich nicht mehr dulden."

7. Wie sehr der wirklich dumme, doch so arme Bauer sich gefangen hat und gar nicht merkt, macht dem Spanier geheime Freude. Den hebt er sich für später auf, der kommt dran, wenn die andern ‒ Einmal geht er hin und her, nimmt aus einem fest verschlossenen Fach, dessen Schlüssel er in seiner Kutte trägt, ein großes Blatt heraus, dick beschriftet, Siegel oben und auch unten und was mehr. Das zeigt er dem Bauern, nicht nah genug. Die Siegel sollen imponieren. Und das tun sie zweifellos.

8. "Da seht", sagt er triumphierend, "gestern habe ich die Schrift bekommen, von meinem Orden; dazu hat Rom ein Siegel beigedrückt. Hier habe ich die Macht, jeden ins Verlies zu bringen, auszufragen, der wider unsere heilige Kirche…", der Jesuit denkt am wenigsten an Rom, "…und gegen meinen Orden etwas sagt oder ‒ denkt! Ja, ja, das Denken ist das Schlimmste, das ist auszumerzen mit Stumpf und Stiel!"

- "Könnt ihr denn Gedanken lesen?" wagt Huber einzuwerfen, zitternd bis ins letzte Glied.

9. "Was verstehst du von 'Befragung', die ich nunmehr durchzuführen weiß? Gedankenlesen! Daß ich nicht lache! Ha, das ist auch des Teufels Spiel, das man hierorts manchmal übt und sagt hinterher: 'Es war die Stimme eines Engels.' Damit tarnt man sich, so gesagt, damit du es verstehst: Der Teufel, Satanas, steckt hinter solchen Dingen; und um die Seelen zu erretten, muß der Körper leiden. Bloß im schwersten Schmerz wird eine Seele frei vom Höllenbann!"

10. Vorsichtig gibt er sein Dokument ins Fach zurück, schließt ab und weist dem Bauern gleich die Tür. "Geh, es ist besser, du bleibst nicht lang bei mir. Sieh zu, völlig unbemerkt die Gasse zu verlassen. Noch das eine: Zur Messe stellst du dich nicht wieder hinten an. Euer Pfarrer, dieser", Trottel, hätte er zu gern gesagt, "Mann, er hat zu sehr aufgepaßt."

11. 'Sie kommen alle an die Reihe,' denkt der Dunkle, schließt die Tür fest zu, wie vordem seinen Kasten. 'Nichtswürdige Leute, die meinen, das Evangelium sei mit sanften Säuseln darzubringen. Gott straft! Er ist ewiglich der Strafende und ist nichts anderes bei und in Ihm Selbst. Ich will, auch ich muß strafen, es ist unsere Weltmacht durchzudrücken, im Namen Gottes als den Gerechten. Dessen Urteil immer 'Strafe' heißt!'

*

12. An diese Seele kommt kein Licht heran. Würde sie es spüren ‒ aus Machtwahn würde es geleugnet. ‚Was hat der Himmel auf der Welt zu suchen? Macht regiert, und Macht liegt in meinen Händen.‘ Das Dokument hat sie ihm übertragen! Sehr verächtlich sagt er halblaut vor sich hin: "Würmer sind die Menschen, man zertritt sie wie den Regenwurm, der zu nichts nütze ist." Sein Gedanke! Wie wichtig auch das kleinste Würmchen ist, kennt der Arge nicht; er würde sich auch nie damit befassen. "Selbst Gott sieht doch die Menschenwürmer gar nicht an." Das er dann auch dazu gehört, bedenkt er nicht.

13. Mit diesen Lastgedanken bleibt der Schlaf ihm fern. Das schiebt er sich nicht selber zu, ah, die andern schaffen ihm die Last: 'Der dumme Bauer, der kleine Pfarrer, der auch zur Wurmfamilie zählt. Gewiß kann die Kirche solche gut verwenden, solange sie ihr nützlich sind.‘ Er fühlt sich wie zerschlagen, als das erste Morgengrau ihn trifft. Er übergeht es mit Gewalt. Denn das dies aus dem bösen Denken, aus dem schlimmen Handeln kommt, käme ihm nie in den Sinn, noch lange nicht.

14. Vielleicht dann einmal, wenn nach langer Zeit die Seele sich im Jenseits sieht, wie sie durch Engelshilfe zur Besinnung kommt, wer sie als Mensch gewesen ist. Alle ihre Freveltaten sind dann ihre Pein (»Ruf aus dem All«). Jetzt ganz Gebieter, so begrüßt er obenhin den Pfarrer Sinkmann, als der später kommt, um die Messe zu 'besprechen'.

15. "Was gibt's noch zu besprechen?" fährt der Spanier auf. "Was ich bestimme, das ist durchzuführen!"

- "Natürlich", beschwichtigt jener, dem es darum geht, den Grobian zu besänftigen, seiner armen Herde wegen. "Ihr hattet mich doch rufen lassen, Bruder Christophorus, und ich bin gekommen."

- " 'Bruder-Sagen' ist vorbei!" Gewichtig geht der Jesuit an seinen Kasten, schließt auf, zieht sein Dokument heraus und tut aber erst, als müsse er es selber richtig lesen. Und kennt doch Wort für Wort.

16. "Hier", er setzt sich, ohne Sinkmann einen Platz zu bieten. Was gilt diesem die Gebärde, wo es auf des Messers Schneide steht? Das 'Heft des Messers' hat der Höchste in der Hand! ER kann es vor- und rückwärtswenden, kann die scharfe oder stumpfe Seite zeigen, kann ewig tun in Seiner Herrlichkeit der Schöpfermacht! Wie unterschiedlich die Gedanken beider Männer, die doch einer Kirche dienen. Der weltlich Kleine treu, der weltlich Große pur aus angemaßter Würde und dem falschen Recht. Es mag ein Zugeständnis sein: Er ist der Überzeugung, eben recht zu tun.

17. "Hier", betont er nochmals stark, "bin ich nunmehr eingesetzt, du siehst die Siegel, von meinem Orden und von Rom, rechtsgültig ist die Schrift vor jedermann!" Mit dem jetzt 'Du-Sagen' stellt er den Pfarrer auf die Stufe der Gehorchenden.

- Sinkmann merkt es wohl, aber nicht das kleinste Lächeln gleitet über sein Gesicht. 'Ach du armselig-arge Welt, du Weltling, was gilt mir noch, wie du zu mir sprichst?‘ Laut jedoch:

18. "Das scheint ein wichtiges Dokument zu sein." Er hält sein Herz mit beiden Händen fest. Denn was 'es' bringt, braucht er kaum dem Wortlaut nach zu wissen. Es ist anderwärts bereits gewesen und er vernahm das Ungeheure. "Wenn ihr mich für würdig haltet, was für unsere Kirche wichtig ist …"

19. "Würdig bist du dafür nicht, Pfarrer, aber wissen mußt du es, damit du mir zu Händen gehst, wenn ich mein großes Amt in Zukunft auszuführen habe. Mit dem Dokument bin ich in der ganzen Diözese, wozu alle Dörfer mit gehören in dem gesamten Kirchenteil, der ‒ hör gut zu ‒ der 'Groß-Inquisitor'! Was das bedeutet, willst du wissen?" Die Augen schillern förmlich grün, als wolle er gleich jetzt den Mann vergiften. Ha, vergiften! Einen Pfarrer von der eigenen Kirche kann er nicht auf einen Scheiterhaufen stellen, das brächte zuviel böses Blut und liegt auch nicht im Sinne seines Ordens. Sonst jedoch… er kann hier walten wie er will.

20. Daß sein Engel bei ihm steht, ahnt Sinkmann selber nicht, spürt nur die Kraft, die ihn durchpulst und ihn befähigt, völlig ruhig dazustehen. In dem durchgeistigten Gesicht ist nichts davon zu lesen, was dem Inquisitor dienen könnte, sagt darum laut: "Ja, da staunst du, kleiner Mann! Also weißt du jetzt Bescheid, daß ich das Recht der Kirche zu bestimmen habe. Du bist mir unterstellt und hast zu tun, was ich gebiete."

21. Noch immer steht der Pfarrer ruhig da, obwohl es in ihm förmlich brennt: 'Höchste Not, wenigstens die Besten zu erretten!' Deshalb erwidert er mit einer Lammgeduld, die dem Jesuit unheimlich ist. "Ich dachte mir, daß man euch, hoher Herr", er unterläßt nunmehr das 'Bruder', "das Machtamt überträgt und werde dienen."

- Aber anderes steht hinter diesem 'dienen', als der Inquisitor hämisch meint: 'Oh, den hab' ich schon in meiner Zange; die geringste Widersätzlichkeit, und er ist fällig.'

22. "Sagt mir an, was ich zur nächsten Messe übernehmen soll; alles andere liegt in eurer Hand."

- "Das sowieso! Als erstes habt ihr auszuführen: Bring zum Beichtstuhl jene in die erste Reihe, die sich wider unser Recht erheben. Glaube nicht, daß ich sie nicht kenne; ihre Namen sind mir gut bekannt.

23. Alle andern, die man noch ungeschoren lassen kann, mögen kommen, wie sie wollen. Aber keiner darf den Beichtstuhl meiden! Das ist deine Sache, wie du das tust, verstanden?" Eine Drohung geht vom Inquisitor aus, die wirft einen Menschen förmlich um, wenn er nicht den festen Glauben an den 'Gott der Güte' in sich trägt, wie ihn der treue Pfarrer hat.

24. "Die Dörfler wissen schon Bescheid, die kommen alle. In der Stadt gehe ich von Haus zu Haus und werde …"

- "Nichts davon, daß ich nun der Groß-Inquisitor bin, die Leute sollen leichten Sinnes kommen."

- "Hoher Herr, das hätte ich auch nicht gesagt; denn da bliebe unsre Kirche halb gefüllt."

- 'Hat der Pfarrer etwas hinter seinen Ohren? Da ist aufzupassen, der darf mir nicht entgehen.' So der finstere Gedanke.

25. Daß diese einem Ordensmann nicht kommen dürften, das bedenkt er eben nicht. Er sieht nur sein Prestige. Bisher, ehe diese Leute in die deutschen Lande kamen, war es trotz mancher Mühsal unterm Volke gut. Man besaß den Schutz der Kirche und der Weltherrschaft, mindestens so allgemein. Damit gab sich ja der 'kleine unbekannte Mann' zufrieden. Seit Jahren sieht es anders aus. 'Was wird einmal daraus werden?' Bange Frage…

26. Das bedrückt den Guten schwer. Ihn jammert es, weil fast nichts zu unternehmen ist, um die schlimme Flammen- und die Folterglut zu dämmen. 'Dir, Gott, sei es geklagt: Die Kirche liegt in argen Wehen!' Jetzt, aus einer Kraft, die Sinkmann stärker überkommen ist, sagt er, als stünde er im besten Einvernehmen mit dem Jesuit, und tut nur alles ganz allein für arme Menschen.

27. "Ach, ich werde sagen, ihr hieltet eine große Predigt, die nicht außer acht zu lassen sei. Ich bin gewiß, da kommen alle, ausgenommen Prestige, die Alten, die nicht mehr gehen können, und die Kinder. Letztere stören höchstens, und das Weinen kann man ihnen nicht verbieten."

- Der Spanier winkt ungeduldig ab. "Sag was du willst. Ich werde die Gemeinde, die du viel zu lau behandelt hast, nun auf jenen Stand erheben, wo sie hingehört. Dessen sei gewiß: Dann tut ein jeder, was ich will!"

28. Der Pfarrer nickt, es sieht so freundlich aus und ist tiefe Kümmernis dabei. Der 'Stand', er weiß gut, was der zu bedeuten hat. Aber GOTT hat ihn beauftragt, ihn, den unbekannten Pfarrer, so viel zu helfen, wie jetzt möglich ist. Da hebt er seine Augen, blickt den Spanier unerschrocken an, gedämpft sagend: "Sehr recht, hoher Herr, der 'Stand' ist hervorzuheben. Da wir die erste Kirche auf der Erde sind, ist der 'Himmelsstand' hervorzuheben. Das habt ihr doch gemeint, nicht wahr?"

29 Da ist dem Spanier, als führe ihm ein Stich durchs Hirn. Ah, die erste Kirche! Alle Welt müßte ihr zu Füßen niedersinken! Viel zu wenig gibt es starke Kämpfer, die nach Nord und Süd, Ost und West die Straßen zögen, daß der Triumph der Kirche überall zu finden sei. Um die Macht ist's ihm zu tun, sogar ohne Kirche. Bloß darf es niemand wissen. Daß das dem Pfarrer zur Gewißheit ward, ahnt der Dunkle nicht, sonst würde seine Feuerlohe rasch verwehen, zum Häuflein Asche werden. Asche wird ein jeder Mensch, zumal jene, die ob Gottes Wort im Munde fern von ihrem Schöpfer stehn.

30. Er merkt kaum, wie der von ihm Bedrückte leise den Raum verläßt, ungebeugt. Im Stiegenhaus wischt dieser über seine Augen. Durch die Gassen gehend, ist es ein einziges Gebet, ein Flehen: "O Herrgott, hilf! Mach End', o Herr, mach Ende, mit aller unsrer Not! Es sind wenige, die ich retten darf, und ich bringe meine Tränen vor Dein Angesicht. Lasse mich vor allem die entführen, die schon in Gefahren stehn. Aber auch die andern ‒ o mein Gott, stehe ihnen bei und laß mich nicht allein!"

31. Während dieser Bitten, immer wieder vorgebracht, muß er den Gläubigen berichten, was der Jesuit in Auftrag gab. Daß es nicht bloß schonend, sondern obendrein ein wenig anders aus dem Mund des Treuen kommt, ist nicht verwunderlich. Neben ihm geht ungesehen das Licht einher: Gottes Engel.

32. Zuletzt sucht er das Haus des Kerzenziehers auf, Schrober sitzt an seinem Tisch, es riecht nach Wachs und wie nach Brand, Mühsam ist das Handwerk, weil er wenig gutes Material bekommt, soll jedoch beste Kerzen für die Kirche ziehen. Was die Leute brauchen, kann minderwertig sein. Das spielt keine Rolle.

33. "Nun, Schrober, hast zwei schöne Kerzen für den Sonntag fertig? Es wird eine große Predigt abgehalten von …"

- "Euch?" unterbricht der Mann. "Da schmücke ich sie extra fein." Er meint die Kerzen, die vor ihm auf dem Tische liegen. "Wenn ihr predigt, Hochwürden Sinkmann, geht einem ja das Herz zum Himmel hoch, als ob ihr uns hinaufzutragen wußtet."

34. "Mir wäre recht, Toni, ich könnte mit euch in den Himmel gehn, gleich, noch vor der Messe."

- Schrober sieht erschrocken hoch. "Will der …"

- Sinkmann bejaht. "Bist du ganz allein?"

- "Ja, mein Weib ist mit dem Hansel auf den Markt; heute kommen ein paar Bauern, die vom Gemüse, ab und zu auch ein paar Eier oder Milch verkaufen dürfen. Was ist?" Er rückt nahe an den Pfarrer.

35. "Du mußt fort, dein Weib, dein Bub."

- Über das Gesicht des Mannes geht ein Zucken. "Kommt!" Er nimmt den Pfarrer an die Hand, er weiß schon, was die Glocke schlug und führt ihn vorsichtig eine Steintreppe in den Kellerschacht hinab. Da ist kein Fenster. Erst hier zündet er ein Lichtlein an, einer Puppenkerze gleich. Unter einem Sack zieht er ein Bündel vor, für eine Rückentrage fertig, braucht sie bloß noch aufzukucken.

36. "Woher…? Meurer war bei mir, er ließ mich etwas wissen. Da könnt ihr denken, daß ich still geschwiegen hab', mit niemandem sprach ich darüber. Andere sind auch bereit. Aber ihr, Pfarrer Sinkmann? Um euch ist mir sehr bange."

- "Laß uns wieder hoch, man kann nicht wissen, ob wer kommt." Am Arbeitstisch gibt der Pfarrer kund, wer und in welcher Reihenfolge er jeweils eine Familie in Sicherheit zu bringen weiß.

- "Da nehmt ihr aber viel auf euch", sagt Schrober.

- "Wir vertrauen Gott, ER führt uns an Seiner Hand!"

37. "Ich vertraue auch, meine aber, daß der Mensch Vernunft bekommen hat, zu entscheiden, muß man sich und seine Lieben schützen. Oder nicht?"

- "Ja, Schrober, Vernunft haben wir empfangen, wenn die auch bei manchen Leuten vorn und hinten hinkt. Stellt man das vernünftige Bedenken in die Güte Gottes und in seine Führung, dann werden wir geführt. Du wirst es erleben."

*

38. Auf dem Weg begegnen Sinkmann, scheinbar unabsichtlich, Frauen und auch Männer, scheu grüßend, mit stummen Fragen in den Augen: 'Kannst du helfen? Was soll aus uns werden, wenn ‒?' Hinter diesem 'wenn' steht nackte Angst. Man hat es schon in dieser kurzen Zeit gemerkt, seit in ihrem Städtchen Spanien eingezogen ist, wobei man bloß die Kuttenmänner meint.

39. Das Land…? Wer kennt es schon dem Namen nach? Zu ihm fehlt jeglicher Kontakt. Ohne Kenntnis gibt es weder Zuneigung noch Haß. Doch der Mann, der allein durch Blicke Angst und Schreck erzeugt und vor dem man weicht? Kann man ihn lieben? Nein! Oder kann man ihn verehren? Dazu gibt's zwar noch kein Nein, ein Ja ist aber allzu nebelgrau. Man weiß es nicht.

40. All den Leuten, die ihn stumm um Hilfe flehen, winkt der Pfarrherr freundlich zu. Sie sehn ihn an wie Tiere, in einer Falle hängend, mit jammervollen Augen: befreie uns!

- 'O Herrgott', ist wieder das Gebet, 'es ist traurig; warum bist Du uns in dieser Zeit so fern gerückt, daß man meint, Du hättest Deine Kinder auf der Welt vergessen? Ach, welch eine Sünde, so zu fragen! Hast uns, mir und dem Kind, die Engel zugeschickt und ist's doch eigentlich, als ob Du selbst zu uns gekommen wärest!

41. Unmöglich ist, die ganze Stadt zu räumen. Wie das Wild würde man uns jagen, Stadt und Dörfer wären Trümmerhaufen voller Asche. Hilf mir nur, mein treuer Gott, daß ich's richten kann, wie es möglich ist.' Während das Gebet des Pfarrers Sinn durchbebt, sind es lauter gute Blicke, die die Armen trösten sollen. Ach ja, die Verlassenen werden es bald sein.

42. 'Aber nicht von MIR verlassen!', klingt es an des Menschen Ohr. 'Obwohl mancher nun im Glaubenskampf sein Leben läßt, so sind die Seelen preisgekrönt; denn ihr Opfer bringt den Sturz der Großen. Ob bald, ob spät ‒ frage nicht nach Meiner Zeit, Mein Knecht!'

43. Sinkmann bleibt benommen stehn. Er ist allein, kurz vor der Tür des altersschwachen Hauses, in dem er wohnt. Er sieht nach rechts, links, hinter sich. Nichts ist als das trübe Grau eines regenschweren Sommertages. Doch bleibt ihm das Gefühl, es stünde jemand neben ihm. Er eilt ins Stübchen, er muß niedersinken, er muß ohne Worte beten, danken, weinen, aus einem vollgefüllten Geist, einem Wehen, das man besitzt und doch nicht kennt.

44. Unnennbar aus der Höhe eines hehren Himmels, die Vision: 'Wie die Gefährdeten zu retten sind.' Übers Moor weiß er Bescheid und wie die Gruppen hinzubringen sind. Noch besteht die Kluft, wie es von da aus weitergehen soll und wohin. Jetzt ist ihm doch, als sähe er den Weg, wohl mühsam und gefährlich, umgeben aber von dem Licht, das bei ihm steht und er nicht sieht ‒ noch nicht. Unablässig grübelt er, wie man etwas fühlt und kennt es nicht. Es ist da und himmelweit entfernt. Darüber schläft er selig ein. Oh, wieder ist 'es' an der Lagerstatt:

45. "Du hast dem Herrn gedankt, Bruder; also will ich dir erklären, was du noch nicht weißt. Es ist kein Fehl, zucke nicht zusammen." Der Engel legt dem Schläfer seine Hand auf dessen heiße Stirn, bis das Antlitz ruhig wird. Das 'Nichtwissen' hat bedrückt. "Bleibe auf dem Wege des Gebets, wie du um deine Schützlinge mit GOTT gerungen hast, wie Abraham um die verlorenen Städte. Dein Geist erwidert: 'Sodom und Gomorra waren ganz verdorben; deine kleine Stadt und die Dörfer, da gäbe es nur Not und Last, weder böse Leute, noch welche, die Greueltaten wider Gott verübten.'

46. Dein Vergleich mag gelten, obgleich in deiner Herde manches graue und auch schwarze Schaf sein Wesen treibt. Kennst die Böcke, die dir oft dein Amt erschwerten. Doch nicht dieser Wenigen wegen sieht es aus, als schwiege Gottes Güte über deinem Platz. Hast es genau gehört, was Gott Selbst zu dir gesprochen hat. Oder meinst du, es war der Wind, oder deine eigenen Wunschgedanken?

47. Was weißt du von Gottes Langmut und Geduld? Das es Wunderdinge gibt und Gott in Seiner Liebe niemanden vergißt, ist dir bekannt, hast es treulich lebenslang bewahrt. Allein ‒ was eben eigentlich die Heilsgedanken unseres Schöpfer-Vaters sind, ist dir als Mensch noch ziemlich nebelhaft. Auch kein Fehl, mein Erdenbruder. Solang ein Mensch auf dieser Erde lebt, solang bleibt vieles aus dem Licht für ihn verhüllt, zu seinem Besten. Alles aber nicht, dessen sei gewiß! Was jemand gut erfassen kann, ist die Segensfülle hehrer heiliger Barmherzigkeit.

48. Von dieser laß dich leiten und du bringst die dir am Herzen Liegenden fort. In der Ferne hörst du von einem Mann, der vom Geiste her ein Großer ist, ein Kämpfer ohn' Erschüttern trotz Gewitterwellen, die ihn umspülen, daß er meint, er müßte sinken und mit ihm das Recht, das GOTT ihm in die Hände gab! Seine Freunde werden dich und deine Schar betreuen.

49. Nach schwerem Weg und mancher Bürde werdet ihr am Ziel das Heil des Schöpfer-Vaters voll erfahren. Dies sei nun genug; was du noch brauchst, wird dir zur rechten Zeit gegeben. Bloß den Hinweis halte ein: Die erste Gruppe führe schon am Abend fort, wenn der Finsterling die Krallen streckt, um diese Opfer aufzufressen. Sei in Gott getröstet und gestärkt."

50. War die Nacht durch dieses Traumgesicht verkürzt, war sie lang ob aller Güte, die herabgeflossen ist? Sinkmann prüft es nicht, als er am Morgen sich gestärkt erhebt, weil sein geistiges Gedächtnis Wort für Wort behalten hat. Er möchte es gern niederschreiben. Wird so ein 'Blatt' gefunden, dann braucht er nicht zu fragen, was sich daraus ergibt. Die Weltlichen, zu denen er die Kuttenträger aus Hispanien zählt, die sogar zuerst, würden es für Teufelswerk erklären, weil ihnen selber der Kontakt zum Himmel fehlt.

51. 'Ach nein', bekämpfte der Pfarrer die Gedanken, 'das darf ich auch nicht sagen. Kein Geschöpf steht fern dem Schöpfer, wenn etwa …' – Umgekehrt: Der Heilige steht keinem Kinde fern, und stünde es aus eigenem Versagen ohne Licht und Gnade da, selber von Ihm abgerückt. Ob der Vergleich so gelten darf? Gewissenhaft geprüft. Der Treue ist bedacht, die Widersetzlichen zu entschuldigen, ja, er hebt sie in Gebeten förmlich seinem Gott entgegen.

52. Und das ist's, was diesen Mann so geistig macht, daß er inneren Verkehr mit einem Engel hat, dann und wann mit Gottes väterlicher Stimme, wie es für ihn nötig ist. Also geht er voll Vertrauen einen letzten Weg durch die Gemeinde, damit die Leute morgen in der Messe nicht zu sehr die Köpfe hängen lassen.

 

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Kap. 8

- Die Rückkehr des erkrankten Huber – Schwierige und dennoch gesegnete Vorbereitung

1. Noch herrscht die Dunkelheit einer mondlosen Nacht. Morgenwolken liegen tief herab, als Meurer sich seinem Hause naht. Eigenartig ist's da wie ein Wall aus Nebeln, der sein Eigentum umgibt. Fast körperlich fühlt er, als müsse er die Schicht durchstoßen und ist wundersam. 'Das kommt von Beates Engel,' geht der Gedanke ihm durch sein Gemüt. 'Wer weiß, wofür der Schutz bestanden hat.' Im Häuschen findet er die Seinen friedlich schlafend vor, also legt er sich die letzte Stunde vor dem Morgengrauen auf sein Lager.

2. Ganz anders kommt der Nachbar heim, angeschlichen. Keinem möchte er begegnen. Da geht die Frage fehl: 'Woher des Wegs?' In einem nahen Schober hat er lang gewartet, hat umhergespäht, damit er möglichst ungesehen bleibt. Wie es so kommt, umsonst hat er zum Frührot ausgeschaut, das sich sehr schmal am Himmel zeigt, unter Wolken sich jedoch verliert. Sein Weg, das Kauern auf dem feuchten Gras, das man im Schober aufgestapelt hatte, macht ihm sehr zu schaffen. Er torkelt förmlich heim und begegnet Kieslutz, den er gleichfalls auf den Tod nicht leiden kann.

3. Kieslutz grüßt, freundlich fragend: "Sag', Huber, ist dir nicht gut? Wo kommst du in der Frühe her?"

- "Pah! Frage: Wo gehst du so früh hin?"

- "Ich muß mir eine Hilfe holen, meine Kuh will kalben, allein schaffe ich es nicht. Will sehn, ob Sepp Stiebitz hilft, der ist in solchen Sachen gut bewandert."

4. ‒ "Ach so", meint Huber rasch und ist enttäuscht, Kieslutz nicht auf einem falschen Gange anzutreffen. Selber redet er sich aus: "Ich war spät beim Kerzenzieher", was eine Lüge ist, "hätte gern für morgen eine kleine Kerze, um sie zur Messe anzuzünden. Es ist wirklich fein, wenn man einmal eine andere Sprache hört", er meint eine andere Predigt, "zum Vergleich, wo Besseres zu finden ist." Daß er auf den Unterschied zwischen ihrem Pfarrer und dem Spanier zielt, würde selbst der Dümmste merken.

5. "Hast recht", tut Kieslutz wie bestätigend. "Hast du eine schöne Kerze eingehandelt? Zeig sie mir mal. Ich habe eine halbe, die muß genügen; habe eben keinen Kreuzer, um eine neue zu erstehen."

- "Mein Weg war ganz umsonst, Schrober hatte seinen Vorrat schon verkauft. Nur zwei große Kerzen lagen für den Altar auf dem Tisch." Dies kann Huber leichtlich sagen, weil stets für besondere Messen neue Kerzen aufzustellen sind.

6. Lügenbrut! Kieslutz muß sich sehr bezähmen, um dem anderen nicht ins Gesicht zu schleudern, was er von ihm denkt. "Ich muß schnell weiter, sonst wird's für meine Kuh zu spät."

- 'Ha, den hab' ich aber ab gehalftert,‘ murmelt Huber vor sich hin. Er muß heftig husten, fiebernd sinkt er auf das Stroh, das in seiner Bettstatt liegt. So findet ihn am Morgen seine Frau.

*

7. "August…", jammert sie, "…wo hast du dich denn 'rumgetrieben? Die ganze Nacht hab' ich gewartet, bin spät zum Schlaf gekommen. Jetzt liegst du da! Wer soll die Arbeit tun? Soll ich allein im Haus, im Stall und auf dem Felde sein? Dazu die Kinder? Los, steh auf!" So resolut ist Freda noch niemals  gewesen. Immer hatte sie sich ducken müssen, hat ihr Mann sie böse kommandiert.

8. Der Fiebernde merkt nichts vom Schelten. Ängstlich flüstert er des Spaniers Namen.

- Freda legt es gütig aus: "Ihm kommt auch die Bangnis vor dem…‚ mich sollt's nicht wundern, wenn er dem begegnet ist." So sagt sie noch und hätte gut was anderes zu denken, weil sie im Ehejoch ein liebes Wort vergeblich suchte, und hatte doch das Gütlein eingebracht. Das Erbe ihrer Eltern.

9. August Huber ist nicht aus dem Bett zu bringen. In ihrer Angst läuft sie zum Nachbar, weinend: "Bitte, seht nach meinem Mann; ich weiß mir keinen Rat."

- "Was hat er denn?" fragt Meurer.

- "Glutheiß ist er, spricht vom neuen Prediger, wälzt sich umher und ist nicht zur Räson zu bringen."

- "Ich gehe mit. Helene, bleibe bei den Kindern und im Haus; sobald wie möglich komme ich zurück. Habe selbst noch viel zu tun." Das 'was' verrät er nicht.

10. Helene wundert sich. Im Augenblick gibt's wenig Arbeit. Ein Feld ist abgeerntet, das andere hat ein paar Tage Zeit. Und im Haus und Hof ist alles gut geordnet. Nur die Tagarbeit ist aufzubringen. Sie sieht Berthold nach, als er im Nebenhaus verschwindet. Er kam ihr heute komisch vor, nicht eigentlich zerstreut. Oder war er müde, als hätte er sehr schlecht geschlafen? Daß es sich aufs 'wenige' bezieht, kann sie ja nicht wissen.

11. Berthold beugt sich über seinen Feind. Er streicht den Gedanken sofort aus. Ach nein, jetzt ist er krank, nun bin ich ihm nicht gram. Er weiß mancherlei, noch vom guten Elternhause her, wo Hohe einst verkehrten, damals sogar ein guter Arzt. Von dem hatte er als Knirps gelernt, wie ein Puls zu fühlen ist, und hat in all den Jahren nichts davon verlernt.

12. "Jemand muß den Doktor holen, er hat es auf der Lunge. Sein Atem rasselt. Koche einmal Fliedertee und leg' ein kaltes, feuchtes Tuch auf seine Stirn. Das mußt du öfter wechseln, weil die Hitze gleich die Feuchtigkeit verzehrt."

- "O du barmherziger Herr! Wer ginge für mich in die Stadt?" Sie sieht Meurer an, ob er nicht….

- Gern ginge er, bloß heute nicht; zuviel steht auf dem Spiel für seine eigene Familie. "Ich frag' den Hieselbar, er hat einen Esel, den einzigen weit und breit; er wird sicher reiten. Mit einem Esel geht es auch viel schneller als zu Fuß."

13. "Das danke dir der liebe Heiland!" Freda wirft sich an die Brust des Meurers, bitter weinend. "Ich weiß, August ist nicht gut auf euch zu sprechen und habt jederzeit geholfen. Ob das eine Strafe ist?" Sie sieht verzweifelt auf das Krankenbett.

- "So rede nicht, Nachbarin!" Und sieht den Huber, wohin er sich verirrte. 'Verirrung ist's gewesen, ihn und andere zu denunzieren. Oh, der Mensch darf nicht verdammen; das Urteil fällt allein der Ewige, Allmächtige.' Behutsam geht der Meurer fort.

14. "Was, für den Huber? Da wäre mir mein Esel noch zu schade, sich die Hufe abzulaufen!" Ärgerlich geht Xaver Hieselbar in seinem Hofe auf und ab.

- "Führe mich ins Haus", bittet Meurer, "es eilt! Und bedenke noch: Dein Ritt zur Stadt kann einen Kranken vor dem Tod bewahren,"

- "So schlimm kann es nicht sein", unterbricht Xaver, geht aber doch ins Haus. Im kleinen Raum, wo sonst die Familie zum Essen niedersitzt, sind sie allein.

15. "Xaver, denke an die guten Lehren, die unser Pfarrherr predigte. Muß ich eine wiederholen: 'Liebet eure Feinde', was Sinkmann jedem anempfohlen hat? Der HEILAND hatte dies gelehrt! Wir wollen Seine Lehren halten, so gut es Menschen möglich ist. Hast doch stets ein braves Herz gehabt, alter Freund", Berthold legt ihm eine Hand auf seinen Arm. "So gib dir einen Ruck. Für den Esel kriegst du einen Schüppel Heu von mir, kann es bald entraten."

16. Erstaunt sieht Hieselbar den Meurer an. "Im Winter wirst du jedes Büschel nötig brauchen und …"

- "Nein, Xaver!" Berthold prüft, ob es keine Lauscher gibt. "Was wir vom Spanier zu halten haben, weißt du genauso gut wie ich."

- Xaver hebt verächtlich eine Hand. "Brauchst nichts zu sagen!" ‒ "Eben. Du, ich, Stiebitz, Kieslutz, Stängler und noch ein paar, sicher auch der Kerzenzieher, alle mit Familien, wir müssen fort, sehr rasch!"

17. "Und Haus und Hof verlassen? Niemals!"

- "Wir müssen! Der Weg ist vorbereitet. Ab morgen, Nacht für Nacht. Er hat ein Dokument erhalten, von Rom leider unterzeichnet. Unsere Kirche wird es einmal bitter auszutragen haben, die Fremden auf uns deutsche Gläubige zu hetzen. Ich male nicht den Teufel an die Wand, …aber Folter und die Scheiterhaufen, wie schon anderwärts geschehen, fallen über uns, über alle, die zum Pfarrer Sinkmann halten, richtiger: Zu unserm Gott, ohne Zeremonie."

18. "Ich komme zu dir hin, Berthold. Na, muß der Esel traben. Möchte einmal nicht vor unserem Herrgott kläglich knien müssen, wenn Er fragt: 'Xaver, hast du deinem Feind geholfen?' "

- "Er wird alle noch viel anderes zu fragen haben. Vielleicht wird Er nur milde lächeln, wenn wir Ihn um Gnade und Vergebung bitten."

- "Du redest beinah wie der Pfarrherr! Hm, warst immer was Besonderes."

19. "Vor dem lieben Himmelsvater sind wir einer wie der andere bloß 'Seine Kinder'. Sind wir das, Xaver, dann sind wir viel! Reite los, Huber geht es wirklich schlecht. Bevor der Doktor kommen kann, wird er kaum noch röcheln können. Hoffentlich triffst du ihn an." Sie gehen in den Stall, wo der Esel schnaubt. Rasch liegt eine Decke auf dem grauen Rücken und es geht durchs Dorf, wo die Leute schon an ihrer Arbeit sind.

20. Xaver würde aufgehalten, versammelte die Fragenden Berthold nicht um sich. Er berichtet, weshalb Hieselbar den Esel eilig vorwärts treibt. Der Huber? Ah, man ist geteilter Meinung; allgemein ist er nicht beliebt. Manche ließ er ungeschoren; denn schlau genug konnte er das ganze Dorf nicht gegen sich rebellisch machen. Krank? Kommt das nicht in jedem Hause vor? Die Alten sterben weg, Kinder rafft's dahin, weil es allzu wenig Hilfe gibt.

21. Indessen werkelt Meurer im Schuppen, vermeidet lautere Geräusche und schiebt seine Frau, sie freundlich streichelnd, wieder in das Haus zurück. "Ich sag' es dir, sei recht stark, meine treue Seele. Wirst selber ahnen, daß nicht mehr alles bei uns stimmt, seit…"

- Helen Meurer sieht immer jenes Glitzern durch das kleine Loch am Beichtvorhang. Rechtswidrig ist's. Aber es war da! Seufzend geht sie ihren Pflichten nach. Auf einmal findet sie sich bei der Truhe, die Kleider und die Wäsche birgt. Sie richtet Sachen her, für jeden etwas Warmes und was Leichtes, und ein paar Decken hält sie in der Hand. Was soll das bedeuten? Was ficht mich jetzt an?

22. "O Schreck, was überkommt mich denn? Wieso richte ich das Zeug, als ob…"

- Ihr Mann unterbricht das Selbstgespräch; er wollte etwas trinken. Als er die Bündel liegen sieht, nickt er mit ernstem Blick Helene zu. Wortlos geht er wieder an sein schweres Werk. Herzschwer ist's zu nennen. Ach, die Tiere! Mitnehmen können wir euch nicht. Noch ist Sommer, sie bleiben auf der kleinen Weide hinterm Haus, wo es Wasser gibt. Ein Segen, daß am Rand ein helles Bächlein munter plätschert. Davon holt man sich das meiste Wasser. Im Dorf gibt's extra einen guten Brunnen.

*

23. So naht bereits der späte Nachmittag. Unter einer dunklen Kotze liegt das große Bündel, das Berthold tragen will. Man braucht ja nicht bloß Kleidung und die Speise; etwas Werkzeug darf man nicht vergessen, man wird es nötig brauchen können. Dann, im Schein der letzten Sonnenstrahlen, sitzt er mit Helene Hand in Hand bei ihrem Herrgottswinkel. Die Beichte, vor der Berthold sich gefürchtet hat, mutlos, wie er niemals war. Ob es die Frau verkraften kann? Und ist hell erstaunt.

24. "Ich habe es mir schon gedacht", wispert sie an seinem Ohr, "das wir Heimat, Haus und Hof verlassen müssen. Unsere armen Kinder! Es war trotz manchem Bitteren, mit dem wir kämpfen mußten, in unserm Lande traulich schön. Gar zu schwer haben uns die hohen Herren nie gedrückt, und über unsern guten Pfarrer war für uns die Kirche eine Mutter. Nur die Fremden haben uns verwirrt! Berthold", bange Augen blicken auf, "wohin? Weißt du das? Was wird aus uns? Sind wir die einzigen, die fliehen müssen?"

25. "Was aus uns wird, weiß unser Gott, auf den ich voll vertraue. Du, mein liebes Fraule, tu desgleichen. Ein Teil des Weges, der uns der Gefahr entzieht, der ist gesichert. Pfarrer Sinkmann kennt den Pfad. Weißt du auch durch wen?"

- "Wie soll ich's wissen?" Ängstlich sieht Helene durch den Raum, schon wie Abschied nehmend.

26. Berthold geht es ebenso: "Du weißt es nicht, daß unsere Beate letzthin öfters einen Engel sah, im Traum, und er hat mit ihr gesprochen. Mir hatte sie sich anvertraut. Und wie gut! Nicht trübe sein, Helene; leider ist es so: Manche Weiber wetzen ihre Zungen, meist nicht mal bös gemeint, aber ohne Überlegung. Du hättest davon sprechen können und längst hätte man das Kind und dich ins Marterhaus gebracht. Darum bat ich unsere Tochter, bloß mir erst alles zu erzählen. Nun das Wunder:

27. Wohl ist es kaum zu glauben, daß es heutzutage eine wahre Gottesoffenbarung gibt, wie es einstmals war, als die Propheten und die Patriarchen lebten, wo GOTT erschien oder Er die Engel sandte, so, als kämen sie wie Menschen zu den Menschen. So geschieht es heute freilich nicht, weil die Menschheit ‒ Ach lassen wir das jetzt, es drängt die Zeit. Nur noch das:

28. Unser Pfarrer hat im Traumgesicht einen Geist gesehen und gehört. Der bezog sich auf den Engel unserer Beate. Beide deuteten gleichbleibend an: 'Wir müssen fort.' Der Weg wurde aufgezeigt. Sinkmann wußte nicht, was unser Engel sprach", das 'unser' betont Berthold so, als hätte nicht bloß ihre Tochter sehn und hören dürfen. "Ich will vorher niemanden erschrecken; wenn es soweit ist, muß jeder von uns tapfer sein.

29. Beate ist ja über ihre Jahre weit hinaus gereift, was gewiß von ihren Himmelsträumen kommt. Du, Helene, sei mein starkes Weib, wie du bisher Freud und Leid, letzteres wie oft im großen Maß, mit mir getragen hast. Ums Peterle bin ich besorgt, er ist noch zu jung. Wie wir mit ihm die erste Strecke überstehen sollen, und die ist arg gefährlich, das weiß ich nicht, will aber unsern lieben Herrgott bitten, daß uns das Kind erhalten bleibt."

30. Helene sinnt ein wenig nach. Gut ist es nicht für einen kleinen Körper, doch Schaden wird es nicht ergeben; und so rückt sie mit dem Plan heraus: "Das Dünnbier ist noch da, es wäre diesen Falles bestens zu gebrauchen. Kocht man es mit ein paar Kräutern auf, so bewirkt es langen Schlaf. Das könnten wir dem Peter geben. Und die kleine Karre? Die ist ja kaum ein Wägelchen zu nennen, hat auch nur zwei Räder. Notfalls ließe sich der Junge darauf betten, mit einer Decke zugedeckt."

31. "Das wäre zu erwägen", gibt Berthold zu. „Außerdem ließe sich noch etwas daran ändern. Will sehen, ob es geht. Morgen abend…" Weiter sagt er nichts und die Frau versteht. Er geht in den Schuppen. Da steht das Ding und der große Wagen, an den die Kuh zu schirren ist. Wäre fein, kratzt er sich hinterm Ohr, man dürfte offen wandern. Er schmiert die Räder ein, die dürfen ja nicht knarren. 'Sieh da…', sagt er und ist ein großer Dank in seinem Herzen, '…hat auch Helene den Kontakt zum Licht; den Rat hat sie sicherlich erhalten. Hätte selber nicht daran gedacht, glaube aber, es kann unserm kleinen Kerl nichts schaden.'

32. Sehr früh sitzen sie beim kargen Mahl, bereits um acht beginnt die Messe. Bloß gut, daß der Neue für die Dörfler nicht schon sechs Uhr läuten läßt.

- Da sagt Beate, diesmal im Beisein ihrer Mutter: "Mein Engel ist bei mir gewesen, und er hat gesagt, wie ihr, liebe Eltern, alles vorgerichtet hättet, wäre gut, und wir sollten uns nicht sorgen." Sie sieht ihren Bruder an, den sie innig liebt. Was mit ihm geschieht, braucht sie nicht zu wissen. "Dann hat er noch gesagt: 'Derjenige, der krank geworden wäre, das hätte Gott gemacht.' Wir sollten bloß nicht Strafe dabei denken, er sollte nur nicht ‒ es war ein schweres Wort, weiß es nimmer, wie es heißt: spi- oder spo-. Weißt du das, lieber Vater?"

33. Trotz der großen Sorge, die heute extra auf ihm lasten wird, muß er doch ein wenig lachen. Er streicht einmal seiner Tochter übers helle Haar. "Das heißt 'spionieren', also lauschen, weißt du, wenn einer um die Ecke schaut, sich nicht sehen läßt und alsdann Böses sagt."

‒ "Hm", macht Beate mit einer leicht verschmitzten Miene, "der Nachbar Huber ist nicht besonders gut. Mich und Peter hat er schon einmal verjagt, obwohl wir nicht bei seinem Haus gestanden sind. Sogar Steine warf er uns noch nach."

34. "Gut, daß ich das nicht wußte, sonst…" Jetzt braucht man sich nicht mehr darum zu kümmern. 'O Vater, lieber Gott, hilf uns heute noch, das Ärgernis zu überstehen!' Berthold denkt an den Neuen. In einem andern Ort hatte einer von den Fremden eine Frau vom Beichtstuhl weg ins Marterhaus gebracht. Kleingläubiger, schilt er sich selbst; 'Beates Engel brachte uns den Trost, also wird er dich als Mann und Vater …' ‒ Weiter kommt er nicht, es ist Zeit, aufzubrechen. Peter bleibt zu Haus. Da außer kleinen Kindern und einer steinalten Magd, die auf die Kleinen gerne schaut, das ganze Dorf zur Kirche wallt, kann ihm nichts geschehen.

35. Auf dem Weg, Hieselbar treffend, fragt er nach dem Medicus und wie es um den Nachbarn stünde. "War gut, unser braver Salbenmann wollte grad sein Haus verlassen. Da sein Gang nicht allzu wichtig war, lieh er sich vom Wirt den Muli, und so kamen wir sehr rasch zurück. Huber ist schwer krank und der Doktor weiß noch nicht, ob er gesunden wird. Man hat ihn jetzt ans Bett gebunden, weil er im Fieber in den Stall, aufs Feld und sonst wohin noch will. Freda muß bei ihm verbleiben, also fällt's vielleicht nicht auf, wenn eines weniger zum Beichten kommt."

36. "Glaube ich; es wäre aber gut, wüßte man, ob Huber mit dem Neuen sprach, ob auch von seinem Haus. Warten wir es ab."

- Es sind schon bittere, scharfe Steine, die von den Dörflern, nicht weniger von den Städtern, zum Kirchenstuhl mit Zittern hinzuschleppen sind. Wohl, leider Wenige, die es längstens merkten, was auf alle zugekommen ist, haben das Vertrauen nicht verloren, daß sie meinen, Gott würde unter ihre Steine ein Tuch der Gnade legen, alsdann wären sie nicht gar zu hart und schwer.

*

37. Es geht hart auf hart. Als Helene Meurer die dritte ist, die in der Beichte kniet, allerlei zusammenflüstert, Dinge, nicht der Rede wert, und sie das Glitzern von dem Auge sieht, ohne jedes Recht sie musternd, wäre sie fast umgekippt, hätte nicht Beate sie gehalten, was keiner sah.

- Das Mädel? Als der Beichtmann fragt, ob sie schon mal einen Engel sah, eine Fangfrage, so gestellt, manches Kind wäre darauf 'reingefallen, denn, '…einen Engel sehen? Welche Freude.' Auch wenn's nicht stimmt, sagt Beate ruhig:

38. "Ich sah noch keinen, möchte aber wirklich einmal einen sehen." Sie meint es ehrlich, es wurde nicht nach einem Traum gefragt.

- Nahe kniet ihr Vater. Aus der Antwort seines Kindes reimt er sich zusammen, wie man ungut es befragt. Seine Zähne knirschen; er hustet, das Geknirsche darf ja niemand hören. Und so geht die ganze Prozedur noch einmal glimpflich ab.

39. Pfarrer Sinkmann schwitzt, wie man so sagt, 'Blut und Wasser,' aus Angst um jeden einzelnen, der ins Fangnetz arger Fragen leicht zu treiben ist. Später dankt er Gott, seinem Herrn, still für sich im Kämmerlein. Hier kniet er nicht gezwungen, wie er auch hat beichten müssen; hier tut er es aus freudigem Gemüt.

40. "Herrgott, Du hast die Rechte Deiner Gnade ausgestreckt, hast das Netz zerrissen, worin die Fischlein hätten hängen bleiben sollen. Du bist der wunderbare Gott, Du hast auch meinen Weg in Deiner Hand. Wie Du mich führst, wird es im Lichte Deiner Herrlichkeit geschehen. Gib uns Deine Kraft, bleibe unsere Burg und Zuversicht. Dir weihen wir den Dienst, Dir, dem Heiligen, guter Vater-Gott!"

 

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Kap. 9

- Die große Flucht; Der Priester wird gefoltert – Das wundersame Kraut

 

1. Eine Nacht, zum Fürchten. Dazu der Uhuschrei, der den Menschen leicht das Grauen bringt. Kein Sternlein läßt sich sehen, der Mond ist gestorben, tiefe Wolken jagen übers Land. Und war doch der unbekannte Segen Gottes. Freilich, wer nachts nicht sehen kann, wer sich ängstet, den Weg nicht kennt, für den wäre es wohl besser, er bliebe fern, im eigenen Heim behütet.

2. Nach und nach gewöhnt man sich ans Dunkel, wenigstens insoweit, um den Baum zu finden, der als Treffpunkt ausersehen war. Es ist nicht sehr kühl, doch der Wind läßt frösteln; verständlich jene Frage: 'Was wird nun werden? Wo geht es hin?' Da faßt eine Hand nach Berthold Meurers Arm. Er weiß gleich: 'Das ist der Gottesführer;' so hat er ihn auf diesem Weg benannt.

3. Mag stimmen, obwohl GOTT der Führer ist! Wortlos bindet Sinkmann erst die Frau an sich, dann Beate und zuletzt den Mann, der nebst seiner Rückenlast den kleinen Wagen zieht. Darin schlummert Peterle, nicht ahnend, was geschieht. Es ist ein starkes Seil, mit dem der Pfarrer alle angebunden hat. Keiner kann daneben tappen; und wenn einmal ‒ das Seil hält fest.

4. Nicht lang, etwa eine halbe Stunde Weg, beginnt der Boden weich zu werden. Sieh, ohne Trug: Vor ihnen ist es wie ein Licht, dem tappt der Gottesführer nach.

- "Kann es nicht ein Irrlicht sein?" fragt die Frau.

- Durchaus verständlich. Irrlichter tanzen dort, wo ein Moor die Leute in die Tiefe lockt. Man hatte ausgemacht, nicht zu reden; in der Nacht ist auch ein leises Wort oft weit zu hören. Die Frage drang jedoch nur bis an des Pfarrers Ohr.

5. Ohne anzuhalten, greift er mit einer Hand zurück. Helene spürt den Druck, der sie beruhigt. Jetzt, wo sie weiß, daß nicht allein der Prediger den Engel sah und hörte, sondern auch ihr Töchterlein, mag sie gerne glauben, es sei ein Himmelslicht, von jemand vor ihnen hergetragen. Sie erinnert sich an eine Predigt, in der Sinkmann es erklärte, wie Gott einst als Feuersäule Nacht für Nacht den armen Wüstenweg beleuchtet hätte.

6. Berthold, der sich öfter um den Wagen kümmert, damit dem Knaben nichts geschieht, sieht auch ein Lichtlein hinter sich, wie wenn jemand gehend ein Laternchen trägt. 'Ach Du mein heiligguter Gott, mit zwei Lichtern hast Du uns umgeben, die Du uns zum Schutz und Schirm entsendet hast?

7. Es ist von uns Menschen kaum zu glauben, daß es heutzutag noch sowas gibt. Oh, Du bist der Gott der Ewigkeit, ewig währen auch die Wunder! Ob wir sie sehen oder nicht, spüren, oder, wie ein Maulwurf in sein Erdloch kriecht, nichts merken von der Herrlichkeit Deines Regimentes, Deiner Güte. Nimm meinen Dank, nimm mich, wenn nicht anders, selbst als Opfer an, nur bringe meine Lieben und den guten Unterhirten aus der Not heraus.'

8. Tiefer Friede füllt das Herz des Mannes, als ob es Worte wären, die er empfangen hat. Sein Gebet ist angenommen, des Opfers kann der Herr entraten, Meurer, einer von den Unbekannten, soll es noch beweisen, daß doch der GLAUBE siegt. Aber nicht bloß er spürt diese Friedenskraft, sie läuft durch das starke Seil. Sie berührt einen jeden. Und Beate? Könnte jemand ihre Augen sehen, wie sie strahlen, wie sie ihre Hände dankbar ineinander flechtet, kindliche Gebete spricht und freudig auf die beiden Lichter sieht. 'Oh, unsere Engel, sie sind da!'

9. Drei Stunden sind sie durch den Wald, durch den breiten Ring des Moors gegangen, da endlich kommt der feste Boden. Sie sind auf der unbekannten Insel, wie mitten zwischen Urwald, angelangt. "Gott sei Dank", spricht Sinkmann leise. Meurers sagen es inbrünstig nach. Man weiß nicht, wie spät es ist; die dichten Wipfel, die von vielen Bäumen auf der Insel aufwärts ragen, lassen jetzt noch keinen Blick zum Himmel frei. Nur im Gefühl spürt man den Morgen, er kann nicht mehr allzu ferne sein.

10. "Nun müßt ihr warten, meine lieben Leute", wendet Sinkmann sich an Meurer, "etwa eine Woche. Ich kann nur Nacht für Nacht jeweils eine Gruppe bringen. Macht kein Feuer an, so nötig ihr es brauchen würdet. Am Morgen findet ihr die klare Quelle. Hab' geprüft, sie ist gut, ihr könnt das Wasser trinken. Nachts wickelt euch in eure Kotzen. Habt ihr genug zu essen mit? Morgen bringe ich was mit, will sehen, ob der Wirt mir etwas gibt."

11. "Macht euch, Getreuer, um uns keine Sorge; hoffentlich kommt ihr selber gut zurück." ‒ "Da ist vorgesorgt; hab' mein Säckchen mit, wo ich drin die Kräuter sammle. Und da ich's stets am frühen Morgen tue, fällt es keinem auf, wenn ich erst spät zu Hause bin. Heute und die andern Tage geht es ohnehin ganz gut, der", er meint den Spanier, "will ein paar Tage in die große Nachbarstadt, wo zwei von seinem Orden schon amtieren.

12. Seht, es ist wunderbar geführt; und der Nachbar ‒ tut mir zwar sehr leid ‒ ist ausgeschaltet. Behüt‘ euch Gott, Er segne uns." Er ist verschwunden. Das Seil hat Sinkmann für die andern Gruppen mitgenommen. Behütet, doch nicht leicht im Wald auf dieser Insel, kein Jäger dringt hier durch. Der Rest der Nacht bringt noch ein wenig Schlaf. Anderntags sucht Berthold eine Stelle auf, nahe der Quelle, wo in einem Rund viel Buschwerk steht. Das hält die kühlen Winde auf. So warten sie getrost, bis nach und nach die andern von den Flüchtlingsfreunden kommen.

13. Sie sind da: Stängler, Kieslutz, Stiebitz, Hieselbar, Schrober, vom Nachbardorf noch zwei Familien und, kaum zu glauben ‒ auch der Medicus ist gekommen.

- Berthold fragt ihn aus. "Hm, der Hohe hätte gern mich ausgehorcht, ich wüßte, wo ihr hingegangen wäret, und es sah aus, als wolle er mich 'streng' befragen. Was das besagt, ist schon bekannt. Euere Häuser hat man abgebrannt, ist nicht schade drum. Alles Vieh hat ein Kloster eingetrieben; und das ist wieder gut. So hat die Kreatur doch eine gute Pflege."

14. "Wie geht es weiter?" fragt Sepp Stiebitz, an den sich Frau und Kinder klammern.

- "Wir warten, bis der Pfarrherr kommt", erwidert Berthold Meurer, der oft im Dorf der Sprecher war, zum Verdruß des Huber, woraus sich auch der Haß ergab.

- "Warten?" Stiebitz zieht die Augenbrauen hoch. "Wir lassen uns gern von dir führen, auch vom Doktor Strauber; der kennt Land und Leute. Gut schon, wäre unser Seelenmann bei uns. Doch wissen wir, was zwischendurch bei uns geschehen ist? Fürs Warten bin ich nicht."

15. Dem stimmen einige bei, während Kislutz sich an Bertholds Seite stellt.

- "Was ist deine Meinung, Doktor?" fragt Meurer.

- "Schwer zu entscheiden. An sich will ich auch nicht warten; ohne Sinkmann ‒ wo wären wir denn jetzt? Sagt's selbst! Andernteils weiß man nicht, ob nicht die Häscher das Gestrüpp durchkämmen. Denen", er meint die Spanierknechte, "ist alles zuzutrauen."

16. "Spalten können wir uns nicht", erwägt Franz Stängler. Er sieht Berthold hilfeflehend an.

- "Ihr seid bang", beruhigt dieser, "ganz verständlich; aber wie ihr euch entscheidet, dafür müßt ihr auch die Lasten tragen. Ich bleibe hier auf dieser gottgesegneten grünen Insel …"

- "…wo wir nichts zu essen haben", unterbrach Hieselbar, absolut nicht bös gemeint,

- "… und warte auf den treuen Gottesführer", vollendet Berthold seinen Satz.

17. "Er hat den Weg gewußt, hat unter Einsatz seines Lebens ‒ er hing schon in den Fängen ‒ uns hierher gebracht. Sieben Nächte hat er allesamt geführt, mußte tagsüber noch sein Amt versehen, um nicht aufzufallen. Ich mag nicht wissen, wie der Hispanier ihn in seine Fragenzange nahm! Oh, der hohe Führer ist der Herr, dessen sind wir ganz gewiß! Aber wir", zeigt er auf die Seinen, "sahen auf dem Wege vor und hinter uns ein Licht.

18. Das war wie die Wolke und die Feuersäule Gottes und brachte die Gewißheit: 'ER führt uns auch heraus, dorthin, wo wir in Ruhe leben können,‘ wenn vielleicht in dieser Zeit es nirgends echte Ruhe gibt. Der Glaube hilft, alles zu ertragen! Ich bleibe hier, bis er kommt oder bis ich auf der grünen Insel sterbe."

19. Da stiehlt sich eine Kinderhand in seine Rechte. Beate, die sich um die Kleinen kümmert, ums Peterle, dem der 'Trunk' nichts schadete, der als Vierjähriger alles lustig findet, sagt zum Vater: "Du stirbst hier nicht, mein lieber Vater, keiner von uns auf dem Weg, und unser guter Pfarrer kommt, heute oder morgen. Der Engel hat es mir gesagt."

20. "Was?" Der Doktor sieht das Mädchen prüfend an, ob es etwa ‒? Nein, die Augen strahlen klar, wie Sterne, die tröstlich aus dem hohen Himmel niederblinken. Wie ist es zu verstehen?

- Berthold Meurer sagt erklärend: "Glaubt es oder glaubt es nicht; Beate hat mir längst gesagt, daß ein Engel sie auf unsere Flucht verwiesen hat, bevor noch ein Gedanke dafür bei mir war, und ‒ bevor der Spanier kam. Das Herrliche: Auch Sinkmann hatte einen Engel, der ihm genau das gleiche offenbarte wie bei Beate. Er hatte von uns nichts gewußt, wir auch nichts von ihm. Und hat überein gestimmt.

21. Wir sahen beide Lichter, ich betone 'unsere', sie sind für uns alle da."

- "Wer glaubt denn jetzt an so etwas, was vor Tausenden von Jahren einmal war", meint der Doktor skeptisch?

- "So lange ist's nicht her", widerspricht Berthold. "Gab mir einer eine Schrift, ein Wanderer aus dem Norden. Da stand vom Heiland drin: 'Und die Engel dienten Ihm' (Matt. 4,11). Der Mann flüsterte mir zu: 'Wenn ihr mal gefährdet seid, dann zieht rasch nach Norden. Dort ist ein Mann, der bringt das wahre Wort des Herrn!' Und er war weg, ehe ich was fragen konnte. Hatte es dann ganz vergessen, doch in unsren Nöten fiel mir alles wieder ein."

22. "Ich sah auch zwei Lichter", bestätigt Strauber, "war aber auf der Hut, es könnten Moorlichter sein, unser Pfarrer ruhig vorwärtsschritt, dann jäh verschwunden war, als wir festen Boden fühlten."

- Jetzt bekennen alle, daß sie 'es' sahen.

- "Wie freundliche Laternen", sagt Therese Hieselbar, "und war ich ohne Angst." Wenn sogar der Pfarrherr ‒ bei einem Kinde kann es sich um Täuschung handeln; bei Sinkmann nicht, der stets an alle dachte und half, so gut ihm immer möglich war.

23. Keiner will nun ohne ihren Pfarrer gehn, und Kieslutz sagt: "Warten wir zwei Nächte; kommt er nicht, dann ‒" Ihm stockt das Wort, den andern die Gedanken. Wie es bestens geht, richtet man sich in den gut getarnten Sträucherbuchten ein, teilt unter sich das Brot, trinkt vom Quell, von dem Berthold schon am ersten Tag ein Bett zu einer Grube abgeleitet hat, mit Abfluß, die zum Waschen dienen soll. Er sorgt sehr dafür, unterstützt vom Arzt: "Bleibt sauber, damit uns keine Krankheit überfällt."

*

24. Zwei Tage gehn dahin, hoffend, bangend. Meurer hält abends eine kleine Andacht ab. Nun kommt die Nacht, die entscheiden soll. Alle schlafen, und mag dies unter Gottes väterlichem Segen sein, während Berthold und der Doktor an der Inselgrenze harren, die Dunkelheit zu durchbohren suchen, ob 'er' kommt. Ein paar Schritte weit sind Umrisse zu erkennen. Gefühlsmäßig ist es Mitternacht. Da bewegt sich was. Lautlos legen sich die Männer nieder, wie Schatten, die die Nacht verschluckt. Man kann nicht wissen ‒

25. Ein Uhuschrei. Er ist's! Die Männer springen auf, strecken ihre Hände hin, um den müde Wankenden aufs feste Land zu ziehen. „Aus!“, Sinkmann stürzt in sich zusammen.

- O du armer, du getreuer Knecht des Herrn! Was hat man mit dir gemacht? Nicht leicht, den Bewußtlosen abzuschleppen, um ihn neben ihren Gruppen, die noch friedlich schlummern, in das weiche Gras zu betten.

26. Berthold und der Doktor ziehn dem Ohnmächtigen die Kleider aus, um ihm Luft zu machen. Sie sehen sich erschrocken an. Entsetzlich! An beiden Oberarmen Sinkmanns zeigen sich zwei große, tiefe Wunden, Brandmale, die ‒ Man wagt kaum nachzudenken, wie der Pfarrer sich die zugezogen haben könnte. Von allein, durch Achtlosigkeit? Nie!

- "Diese Lumpen, diese Höllenhunde", knirscht Strauber, wozu sogar Meurer nickt, tief erblaßt. "Das wird schwer zu heilen sein", sagt er seufzend.

27. "Heilen?" knurrt es böse. Strauber ballt die Fäuste. "Wenn ich könnte, mit eigener Hand würde ich den Kuttenmann erwürgen, und sei gewiß, Meurer: Langsam, fein langsam würde ich das tun, damit er spürt, was grausam töten heißt! Geht der Brand bis in die Knochen, dann ist unser Pfarrer nicht zu retten, außer denn, man hackt ihm beide Arme ab, oben", zeigt er unterhalb der Schulter an. (Früher war eine Amputation nicht anders möglich) "Gevatter Tod wäre für ihn ein erlösendes Heil."

28. "Ich versteh' euch gut, Doktor, und glaubt: In mir brennen Grimm und Zorn, lichterloh! Allein, wir gedenken unseres Gottes, der uns der gräßlichen Gefahr entrissen hat."

- "Ha…", unterbricht der Arzt, "…und tausend andere und mehr sind ihr noch ausgesetzt!"

- "Leider, es ist uns nicht gegeben, diese Finsterlinge zu vertreiben. Ich frage auch: Was haben sie bei uns zu suchen? Was wissen jedoch wir von Gottes heilsgewohnten Wegen?"

- Bei dem 'heilsgewohnt' trifft Meurer ein Brandschiefer Blick.

29. "Es sind Gottes Wege von uns Menschen nicht zu ermessen. Selten ist Sein Wille zu erkennen, wenn das Unrecht breite Walzen zieht, und merkt, Freund und Helfer", Meurer legt dem Doktor beide Hände auf die Schultern, "keine Seele geht dem Vater-Gott verloren; die SEELEN stehn im Lichtstrahl ewiger Barmherzigkeit! Die heißt LEBEN! Der Körper sinkt ins Grab, verwest, vergeht, als wäre er niemals gewesen. Geist und Seele aber, unsere Lebendigkeit aus Gott, die kehren heim ins Vaterhaus!"

30. "Du kannst ja predigen wie unser Pfarrer, Berthold; na ja, ich weiß: Du wurdest nicht in einem niederen Stand geboren, obwohl ich keine Unterschiede machen will und Arme extra gut betreue, weil sie sich so wenig helfen können. Ausgeredet, wir müssen sehen, daß wir Sinkmann wecken können."

31. Während des Gespräches war der Arzt bemüht, den Pfarrer wachzurütteln. Erst ist es ein leises Stöhnen, das dem Verletzten aus dem Munde quillt, dann ein Wimmern, und dem folgt ein Schrei. Bloß gut, daß er ziemlich abseits von der Gruppe liegt. Ist noch früh genug, wenn man sieht, was vorgefallen ist. Auch wollen beide Männer erst mit Sinkmann sprechen, wenn es geht. Nun ist noch nicht abzusehen, wann die Rettungsinsel zu verlassen ist. Der Verletzte wird kaum selber laufen können.

32. Nach vieler Mühe schlägt Sinkmann seine Augen auf, in denen das Entsetzen liegt. Ein Trunk aus Kräutern, nur nicht abgekocht, hat der Arzt gemischt, um ärgste Schmerzen zu betäuben. "Nicht reden", befiehlt er gütig, als sich die trockenen Lippen öffnen, "was ihr zu sagen habt, hat Zeit. Wir bringen euch jetzt ins Gebüsch, tut weh; doch dort liegt ihr besser."

33. Man hatte von den Rändern dieser Insel hohes Gras gerupft, was wahrlich weicher war als die harten Betten armer Bauern. Die argen Schmerzen nehmen Sinkmann wieder die Besinnung. Strauber läßt ihn so eine Weile liegen. Mittlerweile sind die andern aufgewacht. Meurer unterrichtet sie, ohne von den Wunden viel zu sagen, betont jedoch, den Kranken mit Besuchen zu verschonen. Der Medicus würde erst mal ihn befragen, sobald dies möglich ist.

34. Die Frauen suchen, was zur Nahrung dienen könnte, finden dunkle Beeren, fragen aber erst den Arzt, ob man sie genießen kann. Erst beißt er eine Beere durch, bloß verschluckt er sie nicht gleich. Als sich im Mund nichts sammelt, was an Gift und Ungenießbarkeit gemahnt, ißt er selber ein paar Beeren, wartet etwas ab, ob sich ein Übel melden würde. Nichts! Sie sind gut, süß und löschen auch den Durst. Man sammelt eifrig ein.

- "Für einen Tag", bestimmt der Arzt, "erst prüfe ich, ob sie sich halten lassen." Er verwahrt einige und stellt befriedigt fest, daß die Beeren aufzuheben sind. Man sammelt aber ohnehin nur Tag für Tag.

35. Indessen ist der Gemarterte erwacht. Tapfer seinen Schmerz verbeißend, kommt doch ein Stöhnen über seine Lippen.

- "Wenn ich ihm nur helfen könnte", sinniert der Arzt. Er hat zwei Messer, die er zu mancherlei gebraucht, hat sie aber stets gereinigt, bevor er sie verwendete. Hier hat er nichts als kaltes Wasser, und das genügt ihm nicht. Ab und zu träufelt er dem Kranken von den kühlen Kräutersäften auf die Wunden, läßt ihn davon trinken. Es hilft nur nicht, den Tod zu bannen, wenn nicht…

36. Der andere Morgen. Der Doktor sieht nach Sinkmann. Dessen Augen blicken ohne Glanz, das Gesicht ist fahl, der Atem kurz, der Puls geht schlecht. Ob man ihn nicht besser tötet, als einem qualvollen Sterben auszusetzen? Strauber sagt für sich: 'Ich glaube nicht, daß Gott es als Mord betrachtet', dabei würde er es gar nicht fertigbringen, den Freund zu töten.

- Da schiebt sich eine weiche Hand in seine Faust.

37. Das Gesicht Beates hebt sich hoch. "Du sollst nicht tun, was du denkst, hat mein Engel mir gesagt. Er war diese Nacht bei mir. Wir sollen uns nicht fürchten, unser Pfarrer würde wieder heil. Und er zeigte mir ein blaues Blümchen, wie ich noch keines sah, die Spur, die wir einzuschlagen hätten und auch mein Vater finden würde. Dort am Rande wüchsen diese Blumen. Die soll man fein zerreiben und auf die Wunden streun. Die Heilung ginge zwar nicht allzu rasch, allein die Schmerzen ließen nach und in drei Tagen sollten wir dann wandern, dann könne unser Pfarrer mit."

38. "Das hat er dir gesagt, Beate?" Der wunderlose Medicus sieht nun doch bedenklich drein. Hm, …die Lichter, die die Gruppen durch das Moor geleitet hatten ‒ Er erfaßt des Kindes Hand. "Kannst du mich dahin führen?"

- "Ich weiß es nicht", sagt Beate, "doch wir finden sie." Schon schlägt sie eine Richtung ein, die sie traumhaft sah und ihr wieder ins Gedächtnis kommt. Sie gehen eine knappe Stunde. Oh, da ‒ da ‒ Ein großer blauer Fleck im dunklen Grün. Letzteres ist weich wie Moos, die blauen Blütensternchen leuchten wie das Blau des Himmels, wenn er ohne Wolken ist.

39. "Tatsächlich!" Der Arzt kniet nieder, pflückt eine Blume, riecht daran, zerreibt sie und erstaunt, wie rasch sich feine Stäubchen bilden. "Ist zwar ein Gewächs, aber weder Blume, Gras noch sonst etwas. Kommt etwa bloß an einem Moorrand vor, wo fast ohne Übergang es Land mit Buschwerk gibt." Er sieht auf das Mädchen, das schon eifrig sammelt, und zerreibt noch ein paar Blättchen.

40. "Riecht gut", stellt er fest und läßt Beate riechen.

- Das Kind ist glücklich. "Es ist eine Himmelsblume", sagt sie. "Seht nur, lieber Doktor, so blau wie der Himmel über uns."

- 'Hm, hast recht, kleines Wunderkind.' Das murmelt er, man darf Kindern ihre Kindlichkeit nicht trüben. Beate hat ihr Schürzchen voll gefüllt. "Ob das einstweilen reicht?"

- "Gewiß, mein kleiner Schatz, und wenn nicht, gehn wir beide wieder her."

41. Im Buschzelt, wie man die Verstecke nennt, machen sie sich eifrig an das Werk. Rasch ist die Blumenernte fein zerrieben. Der Doktor geht zum Kranken. Außer Berthold, der später kommen soll, nimmt er niemand mit. Der Pfarrherr ruht auf seinem Lager, die Augen weit geöffnet, in denen noch der Schrecken liegt. Als er Strauber sieht, hebt sich ein wenig seine Brust. Er versucht, dem Arzt eine Hand zu geben, was mißglückt.

42. "Rührt euch nicht, unser Himmelskind", ja ja, der Doktor gibt es zu, daß Beate anders ist als die andern Kinder, und wer weiß, was noch geschieht, "hatte einen Traum. Ihr Engel war bei ihr und hat ein Wunderkraut gezeigt. Das habe ich geholt. Jetzt versuchen wir es anzuwenden." Er entblößt die wunden Arme. Sieht sehr böse aus. Die Wut steigt wieder in ihm hoch. Ach ja, 'unchristlich'. Wer das aber sieht, ist Wut da nicht verzeihlich?

43. Er streut sacht vom Blütenstaub, der inzwischen weiß geworden ist, etwas in die Wunden ein. Daß es nicht schmerzt, sieht er am Gesicht des Pfarrers. Er füllt die Wunden nun bis obenhin, legt den Verband wieder über und sagt, nicht wissend, ob es stimmt: "Lassen wir dies bis zum Abend drauf; dann sehen wir, ob und wie sich die Verletzung bessert."

- "Es tut nicht mehr allzu weh", sagt Sinkmann leise. Und schläft ein.

- "Gut, der Schlaf", brummt Strauber, als nach einer Weile Berthold kommt.

44. Die Männer gehen abseits hin und her. "Deine Tochter hm, ob ich es glauben kann? Bin halt so ein Weltling, der durch Kranke und durch Sieche zu viel Elend, aber niemals Wunder sah. Nun scheint mir doch: Es gibt welche. Vielleicht nicht so dargestellt, wie man es zur Zeit in unsern Kirchen hört: Einmal gibt es einen Gott, der gnadenvolle Wunder tut, nur wird darüber seltener gesprochen, dann ist Er der Gnadenlose, der die Sünder in die Hölle stößt, und alle wären Sünder. Sinkmann hat das nie gelehrt.

45. Ha", Strauber lacht verächtlich, "die Hölle haben wir auf dieser Welt, zu der braucht man nimmer abzusinken! Sieht man an unserem Freund. Wenn er berichten kann, ist es besser, wir beide hören zu. Man weiß nicht, wie es später ausgetragen wird, gut, falsch, getreu oder aufgebauscht und …"

- "Aufbauschen braucht man so was nicht", unterbricht der Bauer. "Es ist arg genug, was der Gute leiden muß. Ob es gänzlich heilen wird?"

46. Strauber hebt die Schultern: "Ist abzuwarten; das Wunderkraut wird helfen, daß er die Arme nicht verliert. Große Narben bleiben und etwa auch ein Schmerz. Doch der wäre zu ertragen, wenn er Arm und Hand gebrauchen kann."

- "Oh, daran glaube ich", bekennt Berthold feierlich. "Nicht aus dem 'du-mußt-glauben', wie man es den Leuten einzutrichtern sucht, sondern weil das eine und das andere zusammen traf: Sinkmanns Engelswort und jenes an das Kind. Meine kleine Tochter ‒ wer hätte das gedacht?"

47. "Du mußt sie hüten und laß nicht allzu viel davon verlauten. Ist abzuwarten, wie es in der Fremde uns ergeht und ob da nicht schon..." 'Scheiterhaufen brennen und was der Greuel mehr,' will der Doktor sagen. Er schluckt es 'runter. "Ich hege nur die Hoffnung, daß wir zusammenbleiben können; als einzelne Familien werden unsre Leute untergehn. Sie können sich schwer selber helfen; allein der Hieselbar besitzt ein helles Hirn."

- "Und der Schrober auch", fügt Berthold an. "Kommt wohl daher, weil er beim Kerzenziehen Zeit zum Denken hat."

48. Sie gehn zurück, helfen, wo noch Hilfe nötig ist, und warten auf den Abend. Man hat Sinkmann auf ein neues Lager umgebettet, er muß so weich wie möglich liegen. Ein grobes, festes Tuch hat Strauber ihm um Rücken, Arme und Brust gewickelt, damit beim Tragen oder Hin und Her die Arme nicht herunterfallen können. Nun nimmt er sehr behutsam alles wieder ab. "Mein Gott", ruft er aus, aber so, daß der Verletzte es nicht hört, "der Brand ist zurückgegangen; brauch' ihm nichts mehr abzuschneiden, wenngleich immer noch die Wunden tief und blutig sind."

49. Wiederum mit größter Vorsicht streut er den Blütenstaub hinein; was er am Morgen füllte, das ist völlig aufgebraucht. "Wie geht es euch?" fragt er freundlich.

- "Schon viel besser", mit einem kleinen Seufzer, "es tut schon weniger weh als gestern oder heute morgen."

50. "Könnt ihr sagen, wie das zugegangen ist?"

- Sinkmann nickt, doch man merkt ihm seine Qualen an.

- "Jetzt nicht; morgen, wenn ihr könnt, es wäre gut, wir wüßten, was geschehen ist."

- "Nicht allen", flüstert Sinkmann, "die Frauen, auch die Männer…"

- "Weiß ich, Freund, es genügt, wenn ich und Meurer es vernehmen."

- "Ja, so ist es recht."

- Nachdem er etwas aß und trank, schläft er diesmal ruhig ein.

51. 'Komisch, wie ich mich verwandelt habe,' hält der Doktor mit sich selber ein Gespräch. 'Na ja, ungläubig war ich nicht, habe stets an Gottes Güte, an Sein Wort geglaubt, wenn auch schwer, weil man so viel Leid und Elend sah. Konnte es mit Gottes Güte und mit Seinen Worten schlecht verbinden. Jetzt hab' ich vieles in mir umgekrempelt, oder ‒ eigentlich hat es das Kind getan, oder noch eigentlicher deren Engel.'

- 'Oder Gott?'

- Ganz deutlich hört er neben sich die Frage, dreht sich hastig um und… sieht nichts. Es war da! Es war gewißlich etwas da.

52. Er hat stets real gedacht, als daß er sich an Sinnestäuschungen verloren hätte. Dies war keine Täuschung, er kann es vor der Welt beschwören. "Dank' dir schön, lieber Gott im Himmel", murmelt er, "hast meine Seele auch gerettet. Halt' mich ganz fest, Dich möchte ich nie mehr verlieren." Welch ein kindliches Gebet von einem reifen Mann. Und ist echt!

53. Der zweite Tag, den man erwarten sollte, um am dritten dann zu wandern. Übermorgen, sicher in der Frühe, damit sie lang bei Helle ziehen. Sinkmann sitzt auf seinem Lager. Der größte Schreck, die ärgste Pein sind abgeklungen. Der Medicus versorgt die Wunden mit dem sonderbaren Kraut und stellt fest, daß sie von innen heilen. Gut, daß es langsam geht, da finden sich die Adern und die Nerven und wachsen wie von selbst zusammen. Es wird Nachmittag, als dann der Pfarrer, Meurer und der Arzt beisammen sitzen.

54. "Wenn ihr berichten könnt? Wir hören zu. Sobald ihr müde seid und Schmerzen habt, hört ihr sofort auf", bestimmt der Arzt. "Wir haben Zeit genug, um nach und nach alles zu erfahren."

- Meurer holt noch eine weiche Decke, das Peterle braucht sie jetzt nicht. Die schiebt er Sinkmann in den Rücken. Dankbar sieht der Pfarrer beide treuen Helfer an, und erzählt:

55. "Es ging die drei letzten Tage an, als ich noch dreimal führen wollte, hatte nichts gesagt, damit aus Angst sich niemand selbst gefährden sollte. Ihr kennt den Kaufmann Freierlein, der mit vier Rössern bis nach Nürnberg fährt, um dort einzukaufen, dessen man bedarf. Am Tage vor der vierten Flucht wurde Freierlein verhaftet. Auf mein Befragen dieserhalb sagte mir der Inquisitor, Freierlein hätte nicht nur gegen Gott gesprochen, und das, ihr Freunde, stimmt beileibe nicht, ich kenne doch den Mann, ein guter Mensch, nein ‒ ihn, den Großinquisitor, hätte er verwünscht, was schlimmer wäre als gegen Gott geredet.

56. Daß der Kaufmann es nicht lassen konnte, Kunden gegenüber sich zu äußern, und habe ihn so oft gewarnt, ist sein Verderben. Welches, seht ihr ja an mir. Sein schönes Haus ward ausgeleert. Schon andern Tages kamen Wagen an, zwei aus Spanien, voll beladen mit allerlei Gerät. Man brauchte keine Fantasie, zu was es anzuwenden war. Das einzelne will ich nicht beschreiben, sonst machen wir uns nur die Herzen damit schwer.

57. Im Kaufhaus gibt es tiefe Keller. Die kleinen Fenster wurden zugemauert, wenigstens die nach der Straße zu, ob zur Hofseite auch, sah ich nicht; wird sicher so geschehen sein. Dort hinein schaffte man das Eisenzeug, Seile, große Kohlebecken und noch vieles mehr. Kein Mensch war auf der Gasse. An demselben Tag, als die Spanier angefahren kamen, eine Anzahl Knechte waren auch dabei, denen man bei Tag nicht gern begegnet, geschweige denn bei Nacht, bestellte mich der Inquisitor zu sich hin; er war zurückgekommen.

58. Glaubt es, Freunde, ich hab' gezittert, weniger um mich; denn das man auch die Priester Roms verhaften würde, davon war mir nichts bekannt. Nein, um unsere letzten, die noch flüchten mußten, um die habe ich gebangt. Konnte ja nicht ahnen, ob ich über die bestimmte Zeit nicht aufgehalten würde. Daß ich noch alle bringen konnte ‒ dem Höchsten sei dafür gedankt!

59. Die 'Eminenz', wie sich der Mönch jetzt nennen läßt, war erst die Sanftmut selbst, als er fragte, wo die Familien wären. Er zählte Kieslutz, Stängler und den Schrober auf. Ich müßte es doch wissen, es sei meine Pfarre. Wie ich's fertig brachte, Gott wolle mir das Lügenwort verzeihen, ihm offen ins Gesicht zu sehen und zu sagen: 'Ich wüßte nichts da  von, wäre ein paar Tage nicht ins Land gegangen,'  was ja stimmte, 'würde mich drum kümmern, wenn er, die Eminenz, den Befehl erteilte, weil er zur Zeit das Regiment der Kirche übernommen hätte…'  Oh, wie konnte ich es tun?

60. Seine Sanftmut ward zum Brüllen eines Löwen, ich wüßte es genau, und wenn es sich ergäbe, daß ich die 'ungetreuen Seelen', so hat er euch genannt, zur Flucht verholfen hätte, würde ich trotz Priester alle Schärfe der Justiz an meinem Leib erfahren. GOTT gab mir die Kraft, ihm zu widerstehen: 'Die Eminenz möge mir beweisen, wann ich für längere Zeit dem Amte fern geblieben wäre.' Er sei ein paar Tage nicht zum Amt gekommen, ich aber jederzeit, jeden Tag.

61. Von euch, Freund Strauber, sagte er noch nichts, es war sehr gut von euch, sich bei ihm abzumelden, weil du zu Kranken in das ferne Bergdorf gehen müßtest. Die Frau des armen Kaufmanns hat man auch mit eingesperrt. Die vier Kinder waren auf dem Land bei einer Muhme. So konnte ich den Knecht, der nichts zu fürchten hat, entsenden. Die Muhme ging gleich mit den Kindern in den andern Kirchbereich, wo es noch keinen Inquisitor gibt. Euere Bauernhäuser sind zerstört und alles Vieh und Gut geraubt. Schrobers Haus ist requiriert.

62. Daß ich die Letzten leiten konnte, wisset ihr, war am andern Tag todmüde. Denn Nacht um Nacht die Wege, tagsüber keine Stunde, um einmal auszuruhen ‒ ich mußte ihn doch täuschen ‒‚ kamen nach dem Mittag zwei der argen Knechte. Ohne Höflichkeit, wortlos winkten sie mir zu, und es ging ‒ zu keinem Amt, nicht zur Eminenz, sondern in das Haus des Freierlein.

63. Einiges konnte ich erspähen, wie im Innern alles für die spanische Justiz verändert worden war. Die schöne Wohnung hatte man zu einem Saal gemacht, die Maurer unsrer Stadt waren Tag und Nacht am Werk. Ich sah, daß noch nicht alles fertig war, aber soviel schon, was alles zu bedeuten hätte. An einem großen Tisch, schwarz gedeckt, saß der Inquisitor mit zwei der neuen Knechte. War anzunehmen, daß es verkappte Mönche sind, von seinem Orden.

64. Fragen regneten auf mich nieder. Die Kraft, standzuhalten, gab mir der Heiland, unser Gott. Man führte mich in einen Keller. Bis auf kleine Luken unterhalb der Decke war es völlig finster, außer einer Fackel, die obendrein die Luft verpestete. Selber zeigte mir der Spanier die Folterstücke und fragte, ob ich wohl damit Bekanntschaft machen möchte oder eingestehen, daß ich die Hand im Spiele hätte, euch fortgebracht zu haben.

65. Es war schauerlich. Ein minder starkes Herz hätte sonst etwas gesagt, Wahrheit oder Lüge, bloß um freizukommen. Habe aber schon gehört, daß ein Geständnis niemanden vom Tod verschont, er würde bloß 'ein wenig gnädiger' gestaltet. Als ich beteuerte, ich wüßte nichts ‒ überdies, man hat zwei Stadtknechte unter Androhung dazu verpflichtet, bei der Jagd auf Ketzer oder Übeltäter mitzuwirken, zumal sie Land und Leute kennen ‒‚ stieß man mich auf eine rohe Bank, band mich fest, nahm mir die Oberkleider ab, und ein Spanier holte einen Eisenstab, drückte ihn ins Kohlebecken, das unheimlich glühte, und stach mit der Stange mir in beide Oberarme ein.

66. Ich verlor die Besinnung. Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf einer andern Bank. Zwei Knechte wachten neben mir, ein Spanier und einer von der Stadt. Sie wechselten im Schlafen ab, meine Schmerzen hielten mir die Ruhe fern. Da hörte ich, wie der Stadtknecht zu dem Fremden sprach: 'Du bist sicherlich sehr arm; von was bezahlst du deinen Trunk?' Der lachte rauh heraus: 'Bin ja erst kurz dabei, der Sold wurde mir versprochen, nur noch nicht ausgezahlt. Meine Gurgel ist fast ausgetrocknet.'

67. Darauf der Städter: 'Komm, der Pfarrer ist bedient, der kann sich kaum bewegen, geschweige laufen. Um die Ecke gibt es einen Trunk, der rinnt dir nur so durch die Kehle, ich bezahle dir. Schließe ab, nimm den Schlüssel in Verwahrung. Morgen geht es mit dem weiter.' Er zeigte auf mich hin.

68. Die Nacht war noch nicht um, als sich der Schlüssel leise drehte. Ein kleines Kerzenlicht fiel mir ins Gesicht. 'Könnt ihr gehen, Pfarrherr?' Der Stadtknecht war gekommen. Mühsam stand ich auf. 'Wohin?' Darauf der Knecht: 'Nicht reden, ich bring' euch fort. Habe nie vergessen, wie ihr meiner Frau geholfen habt, den Arzt bezahlt, bis sie gesund geworden ist.

69. Absichtlich bin ich Knecht geworden, weil ich hörte, man würde euch verhaften. Da stand es bei mir fest, euch zu retten, koste, was es wolle.'

'Der andere?'

'Dem hab' ich eingeheizt. Den Schlüssel schiebe ich ihm in die Tasche. Der ist dran, darauf könnt ihr euch verlassen! Daß ihr einige gerettet habt ‒ ah, von eurem Mut schneide ich mir eine Scheibe ab; werde ihn gebrauchen können.'

70. Bald waren wir im Freien, er brachte mir zu essen, einen Umhang und war von der Nacht verschluckt. Daß ich die Eiche und dazu den Weg gefunden habe, mit meinem Schmerz bewältigen konnte ‒ nun, ihr glaubet mir: Mein Engel kam und mir war, als stünde er leibhaftig da. Mag es mir das Fieber vorgezaubert haben ‒ Tatsache ist, daß ich nicht mehr wußte, ob ich auf dem Moorweg bin. Dann, mein letzter Schrei ‒ da habt ihr mich gefunden."

71. Mühsam war zuletzt die Stimme, und verstummt.

- "Was weiter?" fragt der Arzt.

- "Lassen wir uns führen", erwidert Meurer. "Hat er sich bis morgen gut erholt, brechen wir am nächsten Tage auf. Beate hat mich zur blauen Blumenstelle hingeführt. Dort suchte ich und fand bald einen Pfad. Es sieht so aus, als wäre dort das Moor nicht allzu breit, nicht so, wie es auf dem Herweg ist. Bloß was draußen wird, ist abzuwarten. Wir werden Stadt und Dorf umgehen, einzeln müssen wir für Brot, Milch und Früchte sorgen. Mehr brauchen wir zuvörderst nicht."

 

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Kap. 10

- Der Aufbruch nach einem innigen Gebet – Die Reise ins Unbekannte – Ein Angriff geht in Rauch auf – Meditierte Lehren

 

1. Der Morgen steigt herauf, ein wenig dunstig, aber hell genug, um Weg und Steg zu finden. Berthold Meurer sieht zum Himmel auf, er steht bei Strauber. "Wird kaum regnen; und ist's nicht sehr hell, dann ist es für uns gut. Wie steht es denn um unsern Freund? Kann er gehen?"

‒ "Ich denke schon. Da das Gepäck erleichtert ist, weil niemand mehr sehr viel zum Beißen hat", es klingt sarkastisch, ist jedoch besorgt gemeint, "so wollen Hieselbar und Stiebitz, unsere Kräftigsten, ihn stützen.

2. Die Frauen sind sehr tapfer, ich bewundere sie; bürden sich noch auf, was die Männer tragen müßten. Und erst unsere Kinder! Weißt, an euerer Beate habt ihr wirklich eine ‒ hm, na ja, eine Glucke, die Kleinen hängen ihr am Rock. Also auf! Habe schon geprüft, ob keinem etwas fehlt. Die Inseltage waren gar nicht leicht. Entbehrung macht den Körper schwach."

3. "Ja, auf!" sagt Berthold, "aber nicht, ohne Gottes Licht und Segen zu erflehen. Doktor, gern faltet ihr die Hände nicht; ist auch weniger wichtig. Wem Gott nicht das Herz 'entfaltet', der mag knien und wimmern, mag die Hände ringen, was nützt ihm das? Unser Pfarrherr kann noch keine Rede halten; er gab es mir zur Hand, daß wir ein Gebet gemeinsam sprechen." Die Gruppen sammeln sich, andächtig und frei von dieser Welt.

4. "Herrgott, unser Vater, siehe auf uns nieder, die wir auf dem Weg ins Ungewisse sind. Du hast uns gerettet, hast uns wirklich Deine Engel beigegeben, führe uns auch weiterhin. Gehe vor uns her, wie einst dem Volk als Wolkensäule, die auch bedecken kann. Erfülle an uns Deinen Willen, halte jeden an der väterlichen Hand. Und dann, o Heiliger, wenn Dir es wohlgefällt, laß uns Deine Zeugen sein, daß Du, der ferne Gott, ewiglich der Nahe bist (Jer. 23,23). Wer also an Dich glaubt, sich willig unter Deine heilsgewohnten Hände stellt, ist immerdar von DIR geführt! Geht es auch manchmal auf der Welt durch Leid und viele Not, weil Menschen, die zwar Deinen Namen nennen, Dir ferner stehen als der Himmel dieser Welt ‒ von uns aus gesehen ‒‚ und in dem Greuel ihrer armen Seelen Qual, Pein und Schreck verbreiten. Wer noch zu Hause in Gefahren steht, die zurückgeblieben sind, Vatergott, hilf jedem aus der Bitternis heraus! Segne uns und unsern Weg; gib uns auf der Erde noch die Heimat, bis wir in Deine Heimat kommen, in unser so ersehntes ewig-wunderbares Vaterhaus! Amen."

5. Sogar der Arzt spricht Amen, mit gefalteten Händen. Rasch wendet er sich um, keiner soll die Träne sehen, die sein Auge netzt. Es geht allen so.

- Sinkmann sagt: "Berthold, ich hätte niemals besser beten können, als du es jetzt für uns getan. Wir stehn in unseres Vaters Hand und wollen stets drin bleiben."

- "Ich weiß selber nicht genau, was ich sprechen durfte", bekennt der Bauer. "Jemand hat das Wort mir in den Mund gelegt, so kommt mir's vor." Er ermannt sich fest: "Bitte, sammelt euch. Hinter mir soll unser Pfarrer gehn. Ist der Pfad einmal zu eng, so geht Hieselbar voraus, Stiebitz hinter ihm, und haltet ihn am Gürtel fest.

6. Dann die Kinder mit den Frauen und die Männer, zuletzt der Arzt. Er sieht dann gleich, wo Hilfe nötig ist."

- "Fein geordnet", lobt Franz Stängler, der trotz Alters helfen will, wo dies irgend nötig wird.

- "Wir werden uns einander immer helfen müssen", meint Kieslutz und hat damit recht. Vorausgesagt: Man bleibt beisammen. Hier wird die Nächstenliebe wirklich groß geschrieben.

7. Der Weg durchs Moor hinaus zeigt sich als besser als herein, er wird allmählich breit und fest. Endlich ist der Wald zu Ende. Ein freies Tal breitet sich vor ihnen aus; in einiger Entfernung ist ein Ort zu sehen. Rechts davon sieht man einen kleinen Hain. Auf einem Umweg steuert Berthold darauf zu. Alle sind ermüdet, zumal die Kinder. Oft hat ein Mann trotz Last ein Kind getragen. Pfarrer Sinkmann sieht erschöpft und fiebrig aus. Seine Wunden schmerzen wieder mehr.

8. Beate hat zuletzt noch fleißig von den 'Himmelsblumen', sie läßt sich dieses Wort nicht nehmen, eingeheimst und Peterles Wagen auch gezogen. Man lagert vom Rücken her gesichert, den Ort, es ist ein Dorf, vor Augen. Meurer schaut erst eine Weile hin und her. Er windet sich zwischen Feldern, die noch nicht abgeerntet sind, den Häusern zu. Beim ersten bleibt er stehen, überlegend, was er zu sagen hätte, in der Hosentasche etwas Geld, jeder gab die Kreuzer her, weil es ja um alle geht.

9. Eine Frau tritt aus der Tür. Erstaunt bleibt sie stehen. Heutzutage ist's gefährlich, einem Fremden zu begegnen. Meurer sieht ein wenig abgerissen aus. Kein Wunder bei der Flucht und mit dem Habit, was auf dem Leibe hängt. Er geht langsam vor, grüßt freundlich, und der Frau ist es, als ob der Mann trotz Ärmlichkeit ein Braver sei, kein Vagabund.

10. "Was treibt dich her?" fragt sie,

- "Die bittere Not", entgegnet Meurer. "Ich weiß nicht, wie es bei euch ist, hoffe aber gern, ihr könnt in Frieden leben."

- "Wie man's nimmt." Die Frau dreht den Kopf zur Seite, eine Geste, die besagt: 'Trau, schau, wem!' "Unsere Männer sind erregt, wir Frauen haben Angst, es soll ein neuer Pfarrer kommen, ein Fremder. Es steht noch nicht ganz fest, allein …" Sie schweigt, als hatte sie zuviel gesagt.

11. "Seid unbesorgt", Meurer gibt ihr seine Hand. "Von mir habt ihr nichts zu fürchten. Gnade Gott, kommt zu euch ein Fremder her. Habt ihr keinen Fürsten, der euch davor bewahren kann?"

- "Ja, den haben wir; doch ein Erzbischof sitzt über ihm. Unser Fürst ist gut, bloß machen kann er nichts, weil …" Prüfend sieht sie Meurer an.

- "Magst mich nicht in deine Stube lassen? Ich tu' dir wirklich nichts, des sei gewiß! Drinnen könnte ich dir sagen, wer ich bin, woher ich komme, wohin ich will."

12. "Siehst ehrlich aus", überwindet sich die Frau, "tritt ein." Sie setzt ihm einen Krug mit dünnem Fruchtsaft vor und Brot. Daß jener Hunger hat, braucht man nicht erst zu erfragen. Dankbar ißt und trinkt der Bauer, und erzählt. Nicht alles, doch soviel, daß die Frau vor Mitleid förmlich überquillt. Sie holt einen Sack herbei und tut Brot, Äpfel, sogar etwas Fleisch hinein, stellt einen Krug daneben, angefüllt mit Saft. "Bringst ihn mir zurück?"

- "Du kannst dich fest darauf verlassen." Berthold drückt die Frauenhand. Sein Blick ist feucht, voll Dankbarkeit.

13. Welche Freude! Berthold teilt die Gaben aus; bald ist jedermann gesättigt. Sinkmann geht es nach der Rast ein wenig besser. Strauber hat die Wunden frisch verbunden, mit 'Beates Wunderkraut'. Der Bauer bringt Krug und Sack zurück. Neuer Segen. Die Frau hat ein paar Nachbarn unterrichtet, und jeder brachte gern ein Scherflein her, einer sogar ein paar Kreuzer.

14. "Wollt ihr jetzt schon weiterwandern?" fragt ein Mann, dem die Güte sein Gesicht gezeichnet hat.

- "Wir müssen; es ist längst nicht abgemacht, ob man trotz des Moores uns nicht folgt. Berittene, und des Inquisitors Leute haben Pferde, können also schnell den Wald umreiten, zumal wir über eine Woche rasten mußten. Keiner von uns bliebe dann am Leben."

15. "Hm…" Der Gutmütige weiß viel mehr, als die Dörfler bisher ahnten."…ihr seid wirklich in Gefahr; aber jetzt den Fluchtweg fortzusetzen ‒? Es gibt auf den Wegen allzuviel Gesindel. Aber halt ‒ bis morgen habt ihr sicher nichts zu fürchten; sehr unwahrscheinlich, daß man in Erwägung zieht, ihr wäret durch das Moor gegangen. Und wenn, da nimmt der Inquisitor an ‒ ganz fromm! ‒‚ Moorlichter hätten euch hineingezogen.

16. Heute kam vom Nachbardorf der Kaufmann her, der ladet bei uns seine letzten Waren ab. Wie ich den kenne, nimmt er euch alle gern ein gutes Stückchen mit, nach Norden. Er kommt aus Erfurt, liegt weit hinauf. Ob er wieder laden muß, weiß ich freilich nicht. Doch kommt ihr mit ihm eine gute Strecke weit voran, würdet nicht gesehen, und die armen Kinderchen ‒ Ach du liebe Not! Es geht jetzt traurig zu auf unsrer Welt!"

17. "Das segne euch der Herr, unser Gott!" So feierlich gesagt, daß man Meurer ganz erstaunt betrachtet. "Euerer Flucht gemäß dachten wir, ihr hättet unserm Glauben abgeschworen."

- "Bisher waren wir der Kirche treu." Ein offenes Bekenntnis. "Was wir erleben mußten ‒? Oh, hoffentlich ergeht es euch nicht so wie uns. Der arme Pfarrer, so treu, so gut, iedem hat er irgendwie geholfen, obgleich ihm wenig zur Verfügung stand. Hättet ihr gesehen, wie er als letzter Flüchtling zu uns kam, und sind viele Arme dortgeblieben, es konnten ja nicht alle fliehen. Oh, ihr guten Leute ‒?" Meurer schweigt. Ist auch genug gesagt.

18. "Ich gehe jetzt zum Fuhrmann", sagt der Gütige, "wartet hier, es wird sich ganz bestimmt ergeben, daß er euch hilft." Das ist auch gegeben.

- Der Kaufmann, der zwei Knechte bei sich hat, vier Pferde vor dem Wagen, macht wenig Worte. "Morgen früh, ehe euch die Sonne trifft, sammelt euch in diesem Haus. Hab' keine Sorge", verspricht er fest, "ich komme ganz bestimmt."

19. "Das sehe ich dir an und darf zu dir sprechen: Im Namen Gottes sei bedankt. Er möge dich, das ganze Dorf und uns behüten, daß wir unter Seinem Segen bleiben." Alle sind beeindruckt von der echten Frömmigkeit des Bauern. Man versteht es kaum, daß die Kirche solche guten Christen nicht mehr anerkennt und sie verfolgt. Was soll aus ihrer Kirche werden? Wie ließe sich das ändern? Das Volk ist viel zu schwach, zu sehr unterdrückt; es gibt keine Mittel, um sich ein Recht zu schaffen. Gerechtigkeit ‒ die kann man suchen und wird sie nimmer finden. ‒ Jetzt. ‒

20. Meurers Schutzbefohlene atmen auf. Noch herrscht mit ihrer letzten Dunkelheit die Nacht, als man sich im Haus der guten Bäuerin versammelt, wo ‒ und die Leute sind nicht reich ‒ Brot, Fleisch und Kräutertee auf alle warten. Der Pfarrherr segnet diesen Tisch. Das heißt: Er hat niemals selbst gesegnet, wie seine hohen Amtsbrüder tun. Stets sprach er das alte Gnadenwort: 'Der HERR segne euch, die Gaben', und was dergleichen mehr.

21. Gerade dieses macht die Dörfler froh. Das Volksempfinden ist viel tiefer angelegt, als die Hohen wissen wollen. Es kann sich nur nicht offenbar entfalten. Wo jedoch so gute Sprüche zugetragen werden, da glühen die Herzen auf, da fühlt man sich zu Gott erhoben, befreit die Seele, das Gemüt von jener Last, die als Sorge weiterhin vor ihren Türen lauert.

22. Die Kinder staunen über die vier Pferde, gern würden sie mit vorn im Wagen sitzen. Der Kaufherr streichelt sie und sagt: "Seid brav, bleibt bei euren Eltern, die, wie ausgemacht, unter meiner Wagenplane sitzen." Es ist zwar etwas dunkel, doch es streicht genügend Luft hinein. Man setzt sich auf das Stroh, Hafersäcke und das Heu wird nicht benutzt. Aus sich getan, worüber sich der Kaufherr freut, der sehr auf die Gespanne sieht. Gut geht es eine lange Strecke, bevor der Abend naht, eine Strecke, zu der die Flüchtenden zu Fuß mehr als zwei Tage nötig hätten.

*

23. In einem Gasthaus, ziemlich abseits von der Straße, dem Kaufherrn schon seit langem gut bekannt, wo er übernachtet, die Rösser ruhn, da gibt er einen Wink und Geld: "He, Wirt, laß die armen Leute in der Scheune schlafen. Ist besser, andere Gäste kommen nicht mit ihnen in Kontakt. Einer holt aus deiner Küche sich das Essen. Gib gut, die Leute sind es wirklich wert."

- Oh, der Wirt hört Tag für Tag oft mancherlei Geschichten, wenig gute; er und seine Frau haben sich ein offenes Herz bewahrt.

24. Die Wirtin selber trägt das Essen in die Scheuer. Sie hat gerade ein Gebackenes und gibt jedem Kinde extra davon ab. Die liebewarme Tat hat ihr einen Herzdank eingebracht, vom Pfarrer den Segen und von Meurer einen festen Händedruck. Es ist ein besseres Ruhen als auf der grünen Insel, denkt aber gern daran. Bloß an das Zuhause mag sich keiner gern erinnern. In Träumen steigen dann die Bilder auf. Es ist bitterschwer, alles zu verlieren und noch lange nicht zu wissen, wie die Zukunft sich gestalten wird.

25. Wieder kommt das Licht des Himmels. Gottes Zeichen bleibt nicht aus, bei keinem, der sich auf Ihn verläßt. Gerade in der Trübsal ist ER nahe, führt Er seine Kinder an der guten Vaterhand. Sinkmanns Engel spricht: "Noch sieht es trübe aus, eben geht die Straße nicht dahin. Sei ein Fels, halte deine kleine Herde fest. Bedarfst du selbst des Trostes und der Kraft. Dann tröste, richte auf, gib das Brot des Himmels durch die Lebensworte Gottes, unseres Vaters, der unser, der euer Heiland ist.

26. Auch der Kaufmann ist behütet, wenn sich am zweiten Tag Gefahren zeigen. Hilf durch Gottes Hilfe. Seid getrost, Gott verläßt euch nicht! Was noch kommt, äußerliche Glaubensänderung ‒ oh, das sieht der Höchste anders an als Menschen tun. Keine Form des Wortes, die WAHRHEIT gilt! Gott ist Selbst die Wahrheit, und ER gibt dieselbe her!"

27. Erwachend reibt sich Sinkmann seine Augen. Wort um Wort steht vor ihm da, stark fühlt er sich, wenn auch die Arme noch durch Schmerz behindert sind. Was schadet das? Noch sagt er nichts davon, was Gottes Güte ihm zu wissen gab. Ah, weniger erstaunt, weil er weiß, daß Beate oft ein 'Wort' vernahm, aber tief berührt ist er, als das Mädchen sich vertraulich an ihn schmiegt. "Na, Kind, was hast du mir zu sagen? Ich sehe dir es an, was dein Herz bewegt."

- Sie blickt ehrerbietig auf. "Ich hatte einen Traum", flüstert sie, "möchte ihn erst euch zu wissen tun, weil …" ‒

- "Etwas schwer?"

28. "Schon, denke aber, es ist Gottes Segen, wenn wir wissen, was auf dem Wege uns erwartet."

- "Ich höre!"

- "Mein Engel war bei mir."

- Also doch, denkt der Pfarrer. 'Eint sich ihr Wort mit dem an mich, so ist das Mädchen auserwählt. Zu was?‘ Vielleicht erfährt er es einmal. Er legt einen Arm um Beates Schulter, drückt sie an sich und wartet, was sie sagen wird.

29. "Er sprach, wir sollten uns nicht fürchten, es käme etwas auf uns zu. Gott würde uns bewahren, den lieben Mann, der uns mitfahren läßt. Ihr, treuer Pfarrherr, sollt uns stärken. Mein Vater würde dafür wissen, würde es 'bekommen', so sagte es der Engel, uns aus der Gefahr herauszuführen. Es wäre GOTTES Führung, und ich ‒ nun, doch mein Vater, weil er sich dem Glauben hingegeben hätte. Einen echten Glauben würden wir noch finden, da, wo wir nach der Flucht verbleiben könnten. Dann hat er mich so lieb umfangen, geküßt und ich wäre seine Schwester." Beate meint bedenklich, sie wäre keine Schwester eines Engels.

30.  "Doch! Das geschieht nicht allzu oft; und wenn, soll man nicht denken, man wäre sonst etwas. Wir sind Gottes Kinder, sind also eigentlich Geschwister, mit dem Unterschied, daß all die Engel in Erkenntnis weiter sind als wir, weshalb sie über Menschen wachen können."

- "Ach, ich bin unseres Peters Schwester, mehr nicht."

- Gerührt streicht Sinkmann über das Gesicht des Mädchens.

*

31. Der nächste Tag bringt rasches Vorwärtskommen. Bei einem kleinen Handelshaus hält der Fuhrherr an. "Hier habe ich was aufzuladen", sagt er zu Berthold Meurer. "Unbesorgt", klingt es freundlich, als jener zagend auf die Kinder und die Frauen sieht. "Das ziehen meine Rösser leicht. Am übernächsten Tag ist allerdings recht viel zu laden; doch die Kinder bleiben hocken, auch wenn eine von den Frauen müde ist und euer kranker Pfarrer.

32. Ihr Männer müßt halt gehen, getrost könnt ihr bis Erfurt bei mir bleiben. Dort seid ihr mehr gesichert…", er verzieht ein wenig das Gesicht, "…soweit man eben heutzutage sicher ist. Glaubt ja, überall gibt's Not und Tod, vom weltlichen und geistlichen Gericht. Aber besser ist es bei uns allemal."

33. "Euch kann ich nicht genugsam danken, werter Herr. Die Kinder haben viel entbehrt und sind brav geblieben, wenn es auch mal mit ans Weinen ging."

- "Verständlich, kann manchem Manne auch das große Grauen überkommen."

- "Wir haben es erlebt; ich bange um die vielen Leute, die zurückgeblieben sind. Doch wie sollte eine ganze, obwohl kleine Stadt, mehrere Dörfer samt den Weilern flüchten? Das gäbe beinah eine Völkerwanderung."

34. Nun ist aufgeladen, die Frauen und die Kinder haben noch genügend Platz. Die vier starken Pferde fühlen nicht die kleine Last, zumal der Weg noch eben ist. Ab und zu geht's mal hinauf und mal hinab. Aufwärts steigen gern die Frauen ab. Die nächste Übernachtung ist genauso gut wie die erste, und am dritten Tage zeigt sich mehr ein hügeliges Land.

*

35. Es ist kurz nach Mittag, man hat am Waldessaum gerastet. Wasser gab es auch für Mensch und Tier. Der Wald nimmt sie auf. Da ‒ aus dem Dickicht stürzen plötzlich zehn Verwegene vor; sie sehen arg erschreckend aus. Ihre Hellebarden bringen Angst und Schreck, zwar weniger bei den Männern; aber außer ihrem Kaufherrn und den Knechten hat kein Flüchtling eine Waffe.

36. Wer hatte es gesehen? Wie war es gekommen? Vor den Räubern, die schon nach den Zügeln griffen, um die Pferde auszuschirren, steht das Kind. Beate! "Was wollt ihr hier?" spricht sie laut, ganz ohne Furcht. "Das ist ein Wagen Gottes! Vernichtet ihn, und ihr vernichtet eure Seelen! Geht, sonst kommt Gottes Zorn auf euch, und morgen würdet ihr gefangen sein."

37. Einer stößt schon seine Waffe vor, um das Kind zu treffen. Der Anführer reißt sie zurück und faucht den Kumpanen an: "Bist du irr? Hast du nicht gehört, was dieser Engel sprach?"

- "Engel?" lacht ein anderer höhnisch, "seit wann glaubst du an Engel? Und willst unser Hauptmann sein?" Der dreht sich nicht mal zu dem Sprecher um.

- "Hab noch nie daran geglaubt, aber jetzt ‒" Er verschluckt, daß es ihm war, als hätte er ein Licht gesehen, überirdisch schön, und das Kind inmitten in dem Schein.

38. Er winkt seiner Rotte zu. "Kommt, diesen Leuten dürfen wir nichts tun. Ich gebe auf Gefühle nichts, das wisset ihr; heute aber geht es in mir um: Wir werden das erleben, was das Mädchen sprach."

- Da gibt Beate ihm die Hand, so furchtlos und so lieb, daß die Horde sprachlos stehen bleibt. "Du erlebst es morgen", sagt sie weich, "man ist euch auf der Spur, wird euch jedoch nicht finden. Und du, lieber Freund, wende dich von deinem Wege ab."

39. Schon ist sie im Wagen, bevor ihr Vater helfen kann, legt eine Hand in die des Pfarrers, und wie ein Spuk ist die Räuberschar verschwunden, während man sich traumhaft an die Stirnen greift. Beates Mutter weint, nachträglich aus dem Schock, was ihrem Kind passieren konnte. Alle Weiber weinen, die Männer streichen sich mal hastig über das Gesicht. Freierlein holt das Mädchen wieder aus dem Wagen, drückt es fest an seine Brust, ohne Worte. Das ist mehr als ein Gebet, und es steigt zu Gott empor.

40. Beate selber fühlt sich wie benommen, sie weiß es nicht, was sie getan, gesprochen hat. Sie hatte bloß ein herrliches Gefühl, das ihre Brust zersprengen mochte, und ist doch ein echtes Jubellied des Herzens, das auch hinauf zum Höchsten steigt.

- Berthold nimmt seine Tochter aus dem Arm des Kaufmanns, streicht einmal behutsam über das Gelock, sieht in ihre hellen Augen und setzt sie wieder neben ihrem Pfarrherrn hin. Hm, das ist beinah so, denkt er, als säße sie bei Gott, dem Heiland aller Kinder. Recht hat er, der biedere, der glaubensstarke Mann.

41. Noch mehrmals übernachten sie. Der große Wagen wird allmählich prall gefüllt. Die Kinder läßt der Kaufherr trotzdem im Gefährt, die Frauen gehen gerne mit den Männern nebenher, und geht es steil berg auf, dann wird fest geschoben. Bloß der Pfarrer kann noch keine solche Hilfe leisten; er ist schon froh, weil er gehen kann, ohne viel zu leiden.

- "Die Wunden sind gut ausgeheilt, doch tiefe Narben werden bleiben," sagt der Medicus.

42. "Das schadet nichts…", erwidert Sinkmann während einer Rast, "…die Ärmel decken zu. – Ja ja, manchmal tut's noch weh", bestätigt er, als Strauber danach fragt. "Ich möchte die Gedanken überwinden, weil es schrecklich war, als…"

- "Eine Schande, daß Menschen gegen Menschen solche Grausamkeit verüben! Frag' mich halt: Wieso hat Gott, wenn Er doch allmächtig ist, diese Bestien nicht getötet? Weshalb läßt Er sowas zu?"

43. "Ich verstehe euch, Doktor; und glaubet mir, auch ich habe mich gefragt: Herr, warum? Bist Du der Schöpfer der Unendlichkeit, der alles schuf, der alles auch erhält, und fällst den Wütenden nicht in den Arm? Was meinet ihr, ward als Antwort mir zuteil?"

44. "Weiß ich nicht", entgegnet Strauber beinah böse. "Ich bin ja nicht der liebe Gott! Und wenn, diese Übeltäter kämen bei mir alle in die Hölle ‒ wenn es eine gibt, da könnten sie …"

45. "Gemach, mein Freund, ehe ihr zu Gotteslästerungen kommt! Seht, gerade das hat unsre Kirche allzu oft gelehrt: Die Bösen kommen in die Hölle, die Guten in den Himmel, wobei man für sich selbst den Himmel wählt. Für die andern, besonders für das arme Volk, war die Hölle gut genug. Diese Lehren ‒ freilich, als ich in jungen Jahren eingekleidet wurde, dachte ich, was man mich lehrte, wäre recht ‒ haben mir doch nach und nach sehr zugesetzt.

46. Wenn meine Schäflein in der Kirche saßen, so vertrauensvoll mich angesehen haben, ja glaubt ihr denn, Doktor, ich hätte es je übers Herz gebracht, von Verdammnis nur ein Wort zu sprechen? Darum hat der Dunkelmann", er meint den Spanier, "mich gescholten, hat das Gegenteil den Menschen vorgeworfen, wie einen faulen Knochen einem Hund! Ganz verängstigt wurden meine Leute. Mancher kam bei Nacht zu mir, zitternd, und die Frauen weinend, was denn nun zu glauben wäre, was ich gepredigt hätte, oder was der 'Neue' sagt. Niemand nannte ihn bei seinem Namen, für allesamt war der der Neue, keiner hieß ihn einen Priester.

47. Da hab' ich trösten müssen, schlug die guten Stellen auf, die der Heiland kündete. Trotzdem war in kurzer Zeit die Kirchgemeinde ganz verwirrt, was kein Wunder ist. Habe mich ja selbst zusammenreißen müssen, ob die wunderbare Güte Gottes oder doch der Zorn, den die Gottheit über alles Fleisch ergießt, zu gelten hätte. Ich habe ihn einmal gefragt, ob wir, die Diener unserer Kirche ‒ Diener Gottes wagte ich gar nicht zu sagen ‒ mit zum Fleisch gehörten und so wie alle Welt den gleichen Zorn verdienten.

48. Hättet ihr den Blick gesehen, mit dem er mich gemustert hat, ihr wäret ausgerissen." ‒ "Das hätte ich auch ohne Blick getan", murrt Strauber. "Ich hatte ihn mir angesehen, da hatte ich für alle Zeit genug!"

‒ "Mir sagte er, falsche Priester, die das Volk fast auf die gleiche Stufe stellten, wo die Priester stehn, gehörten allerdings zum 'Fleisch', das Gottes Zorn auf ewiglich verbrennt. War grob auf mich gemünzt. Daß er aber mir als Inquisitor gegenübertreten würde, das hätte ich doch nie gedacht. Deshalb auch der 'Brand'.

49. Zur schweren Frage, die ihr aufgeworfen habt, warum Gott solche Elemente duldet und nicht mit Seiner Schöpfermacht dazwischenfährt, da müssen wir uns tief in Sein Geheimnis leiten lassen ‒ von Ihm Selbst, denn Sein Geist erleuchtet uns. Man kann zwar nicht ins heilig hehre Sein des Schöpfers schauen, wäre für uns Menschen gar nicht gut ‒ doch offenbart Er uns so viel, daß wir die 'Fülle Seiner Gnade' kaum erfassen können.

50. Hat der Schöpfer Sich ein Kindervolk erschaffen, und wir Menschen sind ein Teil desselben, so gab Er uns ein Fünklein Geist, der ‒ wenn wir auf ihn hören ‒ sagt, was gut, was böse ist. Im Menschen dominiert das Böse, was in der Materie, auf dieser Welt so groß im Zepter steht. Würde Gott mit Allgewalt das Unrecht unterbinden, dann wären wir nicht frei, wir wären bloß Geführte, zwangsläufig an die Allmacht angebunden. Dann, was schwer verständlich ist, was mir aber oft in die Gedanken kam:

51. Was sich nicht entäußern kann, bleibt immer hängen, selbst ‒ ich frevle nicht, wenn ich das sage sogar für Gott, weil Er in und aus der Ewigkeit, Seinem eigenen hocherhabenen Domizil, immer mit dem Bösen rechnen müßte. Es wäre ewig da, eben, weil durch Seine Macht und schöpferische Kraft das Böse unterbunden, niemals sterben, nie ausgerottet würde. Tobt es sich in der Materie aus, alsdann wird es einmal nichts mehr Böses geben.

52. Stellt nicht mir die Frage, wann wohl diese Stunde käme und ob ich schon den Zeitpunkt wüßte. Den weiß nicht ich, den kennt allein der Herr! Damit muß man sich vollauf begnügen; denn damit, lieber Doktor, sind wir auch mit eingeschlossen. Jeder Mensch tut einmal etwas Böses, auch wenn keine Argheit unserer Seele Schlange ist. Nun noch die eigentliche Antwort auf die Frage, obwohl ich da ein Sucher bin, ob und wie…?

53. Mich hat schon lang gestört, predigte man mehr vom Satan als von GOTT, um arme Herzen zu beschweren. Schieben wir die Eigenschuld dem Satan zu, und es wäre so, dann wären alle Sünder frei und Gott dürfte uns nie strafen, bloß den Satanas. Gewiß, der Urheber aller Schuld ist er gewesen. Exakt kann der Mensch das nicht erkennen, wie das einst geschehen ist. Johannes schrieb vom Himmelskampf und daß Michael der Sieger war (OJ. Kap.12).

54. Nun steht dem gegenüber Golgatha, Gottes Gnadenopfer, in das Er Schuld und Fehle eingenommen hat. Sein Wort 'Es ist vollbracht' ist unumstößlich wahr! Hat ER also 'es' vollbracht, das Opfer, und was Er Sich in unermeßlich hehrer Güte und Erbarmung vorgenommen hat, so muß demnach ‒ mindestens zum Teil ‒ auch die Grundschuld Satanas vorgesehen worden sein, ansonst das Kreuznotopfer immer bloß zu einem Teile gültig wäre.

55. Allein, tut Gott etwas nur zur Hälfte und läßt die andere Hälfte hinter Sich? Da stünde auf: Entweder kann Er es nicht ändern, dann wäre Er kein allmachtsvoller Gott, oder aber müßte Er uns soviel Freiheit lassen, gegeben haben, daß sie über GOTTES WILLEN steht! Das glaub' ich nicht. Das stimmt auch nicht! Umsonst hat der Heiland nicht so oft den 'Willen Gottes' über alles Leben, über alles Sein erhoben, wie etwa nach dem einen Wort: 'Wer den Willen des Vaters tut', und vieles mehr.

56. Jedenfalls kam mir in einer Nacht das Bild: Jesu Kreuz, mehr im Hintergrund, im Vordergrund der Herr. Ob ich Ihn beschreiben kann? Nutzloses Unterfangen! Ich kann nur sagen: 'Heilig, überheilig war das Bild.' ER, wie Er segnend Seine Hände hob, und vor ihm lag das Kind vom Gleichnis des verlorenen Sohnes. Ich sah es etwa so: Die dunkle, armselige Gestalt, die wie zerstört am Boden lag, sie war der Urheber aller Schuld und Sünde. Satanas, man nennt ihn Luzifer. Wie er wirklich heißt, ward mir nicht gezeigt. Braucht man sicherlich noch nicht zu wissen!

57. Jedenfalls lag in dieser Schau das Ungeheure jener Schöpfermacht, die durch das Kreuz von Golgatha zum Ausdruck kam, den kein Mensch erfassen kann, Aber folgendes läßt sich erkennen: Luzifer, er war durch Golgatha bezwungen! Da füge ich zu euerer Frage an: Beugte Satan sich auch unter Christi Kreuz und Gottes hehrem Willen, war trotzdem seine große Schuld und Sünde noch nicht abgegolten, sein Fall, den er in dem ihm überlassenen Kraftanteil zu seiner Hölle machte. Und alle, sie durch die Materie gehen ‒ da ist halt noch ein großes Rätsel, Freund Strauber (zur Zeit der Geschichte), haben von den argen Kräften etwas aufgenommen, den sogenannten 'zweiten Seelenteil', so wurde mir im Nachtgesicht gesagt.

58. Nach dem, was ich sah und hören durfte, denke ich mir so: Diese Seelenteile sind der Antrieb zu dem bösen Tun, wohlgemerkt: nur der Trieb. Es kommt auf die menschliche Vernunft, auf die Erkenntnis an, ob man dem Nächsten Böses tun will oder Gutes, Beistand, Hilfe und dergleichen leisten mag. Das liegt allein in unserm freien Willen. Mit ihm kann man die Untertriebe überwinden, durch Gottes Kraft, im Aufblick auf das Kreuz von Golgatha.

59. Ich sah beim Spanier einmal ein Erschrecken, ganz kurz, kaum mehr als ein Blitz, der vorüberzuckt. Mir kam es dabei in den Sinn: Gott hatte ihn berührt. Es gibt keinen Menschen, der nicht vom Höchsten 'angestochen' wird, wie man so sagt. Es gibt sich im Gewissen kund und ist das GOTTES Stimme, dargegeben in dem Funken Geist. Nur war es bei der armen Seele bloß ein Blitz; denn gleich darauf wurde er besonders heftig, hat zu seinem Schaden sich bekämpft. 'Ach, weich werden? Nein, das darf nicht sein, den Leuten muß man mit der Härte des Gerichts begegnen!' So ungefähr war sein Gedanke, der sich in den Mienen des Gesichtes spiegelte.

60. Damit hat er sich das Böse auserwählt. Nun, er kam schon mit der Höllenabsicht zu uns her; und einmal sich verhärtet, kommt der Mensch sehr schwerlich aus den Fängen seiner eigenen Seelenschlange, wie ich erwähnte. Er denkt nicht ans Jesukreuz als erlösendes Symbol, er denkt pur an die Macht der Welt, die wie des Menschen toter Leib vergänglich ist. Seht, so läßt Gott, allerdings nie unbeachtet, nie ohne Seine Helferhand, die Bösen ihre Zeiten treiben. Sterben sie dahin, dann stirbt auch mit die Schlechtigkeit. Die Seele lernt im Jenseits einmal alles abzulegen, was wider Gott, wider Sein Gebot begangen worden war."

61. Die Männer saßen abseits von den andern, die wieder mal in einer Scheune Schutz und Schlaf gefunden haben. "Es ist spät geworden, verzeiht …"

- "Gibt nichts zu verzeihen, Pfarrherr. Habe heute viel gelernt, wenn auch nicht alles schon im Kopfe sitzt."

- "Wenn es nur ins Herz gegangen ist", erwidert jener und drückt des Arztes beide Hände. "Im Herzen ist der Sitz der Gottheit, wenn man es so nennen will. 'Mein WORT in euch' (Joh. 15,7), sagte Jesu zu den Jüngern. Haben wir Sein Wort, so sind wir in Ihm ewig wohlgeborgen. Gute Nacht."

62. "Auch gute Nacht. Bloß gut, daß 'der' eure Lehre nicht mithörte, ihr säßet nimmer hier bei uns. Ist für die Wunden noch was nötig? Kann keine Kerze brennen lassen, um danach zu sehen, könnte Feuer werden."

- "Bei einem Bauern brach ein Brand in einer Scheune aus; gleich hieß es: Das war dein Teufel! Was darauf folgte, muß nicht mehr geäußert werden."

- "Die elenden Halunken", murmelt Strauber und verkriecht sich in das Heu.

 

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Kap. 11

- Abschied vom Kaufmann – Der gute Wirt, die Kapelle von Bethlehem und Hilfe für den Diener – Der Broteinkauf – Ist Eisenach die Heimat?

 

1. Die letzte Rast vor Erfurt. Freierlein sagt: "Mir tut es leid, nun zu scheiden. Hier ein Schreiben, wendet euch nach Eisenach. Vorher findet ihr ein Herbergshaus, das den Schutz des Landesherrn genießt. Es sind alles Leute, die an Luthers Lehre glauben. Ich auch. Jetzt kann ich's bekennen, und ihr seid auch bereits auf diesem Weg. Denn was ihr erleben mußtet, das kann euch an euere alte Kirche nimmer binden. Oder doch?"

2. Sinkmann seufzt beklommen, doch Meurer beruhigt ihn. "Ihr hättet jedes Recht, Rom Valet zu sagen. Was ihr erleiden mußtet und seid dessen Priester, das schreit gen Himmel! Und dann, Pfarrherr ‒ wem dienet ihr, der Kirche oder Gott? Ich habe es erkannt: Das Äußere spielt keine Rolle; ich glaube längst, Gott wird nicht fragen, ob wir an diese oder jene Kirche glauben, sondern ob wir Sein Gebot beachtet haben;

«Liebe Gott über alles,

deinen Nächsten wie dich selbst!»

3. Der Kaufmann strahlt. "Seht, das lehrt Luther auch. Er war ein Mönch, wie ihr, Sinkmann, ein Priester. Doch er hat den äußerlichen Mantel abgeworfen, hat öffentlich gepredigt und ist der Kirche, der er einstens sein Gelübde gab, nie allzu nah getreten. Er hat nicht gegen sie gepredigt, bloß gegen vielen Mißbrauch, für den die Obersten der Kirche haftbar sind ‒ vor Gott!

4. Schaut sie euch an! Ihr, lieber Pfarrer, kommt im beinah ärmlichen Habit. Aber was ich bisher von euch hörte, übersteigt alles, was sogar ein Erzbischof schon von sich gab: Leere Reden, hagelte dafür es Strafen, die denen GOTT erteilen würde, wer nicht der Kirche treu und ehrlich dient und ‒ opfert! Gott zu dienen kam da kaum aus seinem Mund."

5. "Ich würde nirgends Ruhe finden", sagt der Treue leise, "wenn man erfährt, ich wäre lutherisch geworden."

- Sagt Freierlein: "So dürft ihr es nicht nennen. Ich habe Luther zugehört, er sprach nie von sich, allein vom Evangelium, von Gott. IHM soll man angehören, sonst keiner Macht der Welt. Das überzeugte mich: Er ist ein Bote Gottes. Luther lehnte manche Ehre ab, die Landesfürsten ihm geboten haben, stand in Worms vor einer Herde hoher Herren, da soll er mitten dort gestanden sein und gesagt, als man ihm gebot, zu widerrufen:

'Hier stehe ich, ich kann nicht anders; Gott helfe mir, Amen!'

6. Eine Kraft wäre von ihm ausgegangen und man brachte ihn zu seinem Schutze auf die Eisenacher Burg. Von dort gehen seine Schriften aus. Rundum ist fast niemand mehr, Fürst, Bürger, Bauer, die nicht begierig jeden Zettel sich erhaschen, weil auf ihnen Gottes Wort zu finden ist."

- Es beeindruckt sehr. Meurer ist der erste, er hat zu viel erlebt, was er in Hinsicht ihrer Kirche nicht verkraften konnte; Den grausamen Tod der Eltern, den Verlust des Vaterhauses und in letzter Zeit das Grausige der Spanier.

7. 'Das ist Menschenwerk,' sagt er zu sich selbst, 'es hat mit Gottes Lehre nichts zu tun. Die Kirche wird sich einmal ändern, ändern müssen, will sie nicht ihr Prestige verlieren. Er ging schon soweit in Gedanken: Auch diese Kirche (die röm.-kath.) wird einst noch viel Gutes tun, ob armselige Menschlichkeiten immer bleiben ‒ überall.' Damit hat der Bauer recht.

8. Er muntert alle auf: "Laßt uns warten, wir werden prüfen, wo das bessere Licht zu Hause ist."

- "Braucht ihr nimmer lang zu prüfen", erwidert Freierlein und legt eine Hand auf Beates Scheitel. "Hier habt ihr ja ein Engelein, und wo ein Engel ist, da ist der liebe Herrgott auch dabei. Vielleicht komme ich einmal bei euch vorbei, denn …"

- "Wirklich?" fragt das Mädchen, "das wäre wunderschön! Hoffentlich recht bald."

- "Wart's ab, kleine Ungeduld, Engel müssen auch geduldig sein."

9. Obwohl nicht allzu reich, die Zeiten sind nicht dazu da, daß ein Kaufmann große Güter sammeln kann, wenigstens, wer bloß mit einem Wagen reist im Gegensatz zu Nürnberger Herren, von denen man schon hörte, mit wieviel Wagen und Geleit sie durch die Lande ziehen, so gibt doch Freierlein ein gutes Handgeld mit. "Für die erste Zeit, wenn ihr übernachten müßt. Bittet stets um Scheunen, was zwar auf die Dauer nichts besonderes Gutes ist, immerhin ‒ erstens ist es billiger, zweitens werdet ihr nicht ausgehorcht. Gehabt euch wohl, Gottes Segen sei mit euch."

10. "Und mit euch!" Gemeinsam und sehr innig ausgerufen, als wäre es so abgesprochen worden. Der Kaufherr dreht sich um, der Abschied geht ihm an die 'Nieren'. Es waren brave Leute, und wie gut, daß sie gerettet sind, wenigstens für die nächste Zeit. Hier herum haben Kirchenbüttel kein Revier, sie werden nicht geduldet. Manch einer gab schon Fersengeld. Die Flüchtenden sehn dem Wagen lange nach, bis er in einer Mulde untertaucht.

11. "Kommt…", sagt Meurer, "…bis Mittag müssen wir ein Dorf erreichen. Nun müssen auch die Kinder gehn. Für Peter habe ich die Karre, und deine Jüngste, Hieselbar, kann auch mit drauf."

- "Dank dir schön, wir wechseln uns mit Ziehen ab."

- "Na, Xaver, die Kinder sind doch keine Last?"

- "Ich zieh das Wägele", erbietet sich Beate. "Geradeaus und bergab", schmunzelt Hieselbar, währenddes die Mutter schon ihr Dirnlein auf die Karre setzt.

*

12. Schweigend wandert man dahin. Es ist ziemlich heiß, der Sommer und des Herbstes Anfang haben ihre Flucht begünstigt. Man gelangt ins Gebiet von Eisenach. Die Herberge wird gefunden. Als der Wirt des Kaufmanns Zettel liest, hellt sich seine Miene auf. Erst schob er die Brauen hart zusammen. Verständlich, kommt Lumpenpack, will in der Scheune schlafen, dann wird gestohlen und Reißaus genommen, ehe denn die Hähne krähn.

13. Er bringt die Leute selber unter, weist auf eine Ecke, holt ein paar Decken "für die Kinder", sagt er nebenher und nimmt Berthold, der sich als Verantwortlicher ausgegeben hat, mit in die Küche. Ein großer Suppentopf wird angerichtet, und sie sollten heute nicht mehr weiter ziehn; morgen führe sein Gespann zum nächsten Ort, da wäre es ein besseres Geleit. Rat und Tat wird dankbar angenommen. Die Ruhe tut allen bis zum nächsten Morgen wohl.

14. Ein Kirchlein steht am Weg, doch bietet es genügend Raum, um etwa fünfzig Leute aufzunehmen. Dahin lenkt der Pfarrer sehr früh seinen Weg, ihm nach die anderen. Als der Wirt es sieht, er ist früh der Erste, weckt er rasch die Seinen. Man kommt gerade recht, als Sinkmann vor dem Altar steht. Ist eigentlich ein Tisch. Niemand gibt ein Geld, um die Kapelle würdig zu erhalten. Der Wirt, seine Frau und Tochter sorgen für das Gotteshaus so gut es geht. Das genügt. Und was der gute Pfarrherr sagt.

15. Nach dem einleitenden Gebet, aus keinem Buche vorgelesen, wie es üblich ist, nach seiner Danksagung für alle Güte, die die Flüchtlinge auf ihrem harten Weg erfahren durften, zeigt er freundlich in die Runde. "Meine Freunde", fängt er an, "Brüder, Schwestern und ihr lieben Kinder!" Der Wirt und seine Leute horchen auf. Klingt das nicht wie ‒ sie befinden sich im sogenannten Lutherland, und da hat sich's eingebürgert, daß Luther und die andern Prediger zu den Gläubigen vertraulich sprechen. Da gibt es keine Schranke zwischen Kanzel und Gemeinde.

16. "Unser Herrgott", kommt sein Wort, "hat uns hergeführt und wir haben hier, wie schon anderwärts, liebe Leute vorgefunden, die uns behilflich waren, die unser Leid nicht unbeachtet ließen. Nun sind wir wieder, Dank dem Himmelsvater dargebracht, in einem kleinen Raum versammelt. Er sieht arm und sehr bescheiden aus; ich nenne ihn deshalb den 'Stall von Bethlehem'.

17. Ich sah Kirchen, in denen Macht und Pracht zu Hause ist, wie im Tempel zu Jerusalem. Da duldete man den Heiland nicht. Er ist nicht dort zur Welt gekommen, nein ‒ in einer armen Grotte sah Er Seinen Einzug vor. Im Niedrigen hat Sein Gottesfuß die Welt betreten. Eben so, liebe Leute, mag es heute uns zumute sein, als stünden wir im Stall von Bethlehem, als würde uns das Wunder nochmals kundgetan. Wahrlich, wo immer wir in einem Hüttenraum zusammenkommen ‒ stets ist dann der Herr, der Heilige, bei uns in Seiner Segenfülle, so wie einst in Bethlehem.

18. Man sollte stets bescheiden sein, nicht nach Großem haschen; denn das verweht! Fällt ein Sandkorn in das Meer, wird es niemand wieder finden. Nicht anders bei uns Menschen! Würden wir uns blähen, mit großen Namen schmücken, von uns weltlich Höchstes sagen, dann sind wir vor dem Schöpfer weniger als das Sandkorn, das im Meer versunken ist. Das erhält noch Seine Allmacht, es liegt doch auf des Meeres Grund, wie auf Gottes heiligem Schöpfergrund alle Seine Werke fest und unvergänglich stehn! Er hat die Werke aus der Unvergänglichkeit der Schöpfer-Macht herausgehoben.

19. Wenn ein Mensch sich selber krönt, ich meine die Krone, aus Gold gemacht, womit er sich zu schmücken weiß, um sein Ansehen, die Weltgewalt hervorzuheben, das, liebe Brüder, Schwestern, wird Gott nie erhalten, weil nicht aus Seiner Schöpfer-Macht gekommen! Ihr Freunde, die ihr hier am Orte wohnt, geht immer in das winzig kleine Gotteshaus; denn hier ‒ hier", Sinkmann zeigt rundum, "wird der Herrgott euch begegnen in der Stille, etwa ohne Worte, niemals aber ohne Seinen Segen! Laßt uns niederknien und dem Höchsten danken; Seine Güte, Seine Gnade möge allzeit bei uns sein und bleiben, Er hülle uns in die heilige Erbarmung ein. Amen."

20. Gebeugt die Knie, so betet er das 'Unser Vater im Himmel'. Er hatte es einmal gelesen, als ein Mann ihm einen Zettel gab, worauf ein paar Worte Luthers standen, unter anderem der Anfang des Gebetes, wie es in er Bibel steht.

21. Still, hochbeseligt, geht man in das Haus zurück, die Gruppe in die Scheune.

- "Nein…", widerspricht der Wirt, "…meine besten Kammern richte ich euch ein. Die Scheune ist nun nicht mehr gut genug für euch." Dabei faßt er Sinkmann am Habit. Der lächelt gütig vor sich hin. Beate ist es, die zum Wirte sagt:

22. "Ihr meint es herzlich gut mit uns; doch die Scheune ist ja auch ein Stall von Bethlehem, darin möchten wir gern bleiben."

- "Kind!" Die Wirtin ruft es aus. "Hast gut aufgemerkt, hast mir gleichfalls einen neuen Weg gewiesen. Bitte", wendet sie sich an den Pfarrer, "bleibt mit eurem Segen noch bei uns."

- "GOTTES Segen bleibt bei euch", erklingt es ernst. "Bedenket aber das: Zu euch kommen andere Leute, und man weiß es nie, wer in welchem Kittel steckt. Wir sind geflüchtet, möglich, man ist uns auf der Spur. In der Scheune sind wir mehr geborgen, da kann nicht gleich einer rein."

23. "Dafür sorge ich", tut sich der Knecht hervor, "das ist mein Revier", er sagt's absichtlich lustig. "Wehe dem, der einzudringen wagt."

- "Brav, guter Freund." Berthold Meurer gibt dem Knecht die Hand. "Wir bleiben also einen Tag; nur schade, wenn heute das Gespann zum nächsten Dorfe fährt. Für die Kinder wäre es schon gut, sie brauchten eine Strecke nicht zu gehen."

24. "Ich soll eine Pflugschar holen, weil im Dorf die Schmiede ist. Die könnte ich ja morgen auch noch holen." Er sieht fragend auf den Wirt.

- "Wir kommen heute nicht mehr auf das Feld, es gibt anderes zu tun. Morgen früh macht euch bereit. Nun kommt", sagt er zu Berthold und zum Knecht, "tragt den Suppentopf hinüber." Auch der Wirt hat keine Schätze angesammelt, dennoch gibt er eine Menge Brot hinzu.

"Darf ich mit Beate Obst im Garten sammeln?" fragt die Tochter. Gern wird das erlaubt.

25. An diesem Ruhetag wird an den Kleidern manches ausgebessert; die Wirtin gibt hinzu, was sie entbehren kann. Denn nun die ganze Zeit nur das am Leib, mit dem man hatte fliehen müssen, da ist vieles arg kaputt. Das Schuhwerk wäre zu erneuern, leider gibt es dafür nichts. Mit Flicken muß man sich behelfen, doch sind Herz und Mund voll Dank, weil man sieht: Es ist kein reiches Haus, es geht gerade auf, was man selber braucht. 'Wenn man es recht bedenkt: Trotz der Flucht, Verlust von Heimat, Herd und Haus, Angst, Kinderweinen und so manches mehr ‒ Gott hat sie nicht verlassen, ER hat sie getröstet, ER hat sie geführt.'

26. Das ist das Gebet am Abend, im Kapellchen dargebracht. Die Wirtin sagt hernach: "Das wird uns immer fehlen. Wir haben einen Lutherer als Prediger; weil jedoch im Umkreis Rom noch herrscht, wagt er sich nicht völlig frei heraus. Ihr, treuer Pfarrer, habt uns Herrliches gebracht. Nie hätten wir geglaubt, daß ihr, ohne es zu wissen, auf der neuen Glaubensstraße steht."

27. "Ein neuer Glaube ist es nicht. Für uns gibt es bloß den einen Glauben: an unsern Gott, unsern Heiland, wie die Schrift es lehrt. Laßt uns nun zur Ruhe gehen, um morgen früh bereit zu sein. Ihr, Freunde…", er meint den Wirt und seine Leute, "…braucht gleichfalls euern Schlaf. Es ist schon gut, heute keine andern Gäste hier gehabt zu haben." Ach ja, man ist froh darüber.

28. Beates Blick fällt auf das rechte Bein der Magd. Es war niemand aufgefallen. Die Hausleute hatten bisher nichts getan, was jener hätte helfen können. Du liebe Zeit, wer gibt heutzutage acht, wenn jemand etwas hat? Notfalls nimmt man eine Salbe. Hilft sie nichts, kann man es nicht ändern. Man hat keinen Arzt, und eine Wunde nahm man überhaupt nicht schwer. Die heut von selbst.

29. "Du hinkst?" Beate faßt nach der Hand der Magd. "Was hast du da an deinem Bein? Zeig her!" Ein kindlicher Befehl.

- "Ach", wird der Schmerz verbissen.

- "So? Warte hier, ich hole unsern Medicus, der sieht sich deine Wunde an."

- "Er kann nicht helfen, der hat gewiß nichts bei der Hand, konnte so wie ihr das nackte Leben retten."

- "Trotzdem, bitte warte, oder komme mit; es ist noch hell genug, daß er die Wunde sich besieht."

30. Förmlich mit Gewalt zieht sie die Magd mit fort und ruft an der Scheune: "Doktor, kommt, hier braucht jemand eure Hilfe!"

- Der Arzt ist gleich zur Stelle, obwohl er eben Sinkmanns Arme prüfen wollte. Er kann das später auch noch tun. "Was gibt's, Beate?" Er sieht auf die Magd.

- "Schaut euch das an, die Wunde sieht gefährlich aus."

- "Du mußt es wissen, kleine Samariterin", lacht Strauber und meint es doch so ernst.

31. "Hast du dich verbrannt?" Er drückt die Wunde auseinander. Eiter spritzt heraus. Die Magd schreit auf.

- "Tut sehr weh", faucht er ein bißchen.

- "Hast du keinen Lappen, womit die Sache zu verbinden war? Viel Dreck ist drin. Ich muß ätzen, mit einem Brand; anders ist es nicht zu heilen. Wenn nicht, verlierst du bald dein Bein." Und das Leben, so sieht die Sache aus.

32. "Ach, Doktor", sagt Beate, währenddes die Magd mit dicken Tränen kämpft. "Die Wirtin kommt hinzu."

- Recht zornig sieht der Doktor drein. "Habt ihr, liebe Frau", er bezähmt sich, man hatte sie gut aufgenommen, "das nicht gewußt?"

- "Schon, was konnten wir denn tun? Gebrannt habe ich mich ach wie oft, schlug der Wind das Feuer auf dem Herdstein in die Höhe."

33. "Na ja, aber das da sieht sehr böse aus. Die Magd kann ihr Bein verlieren, wenn man nichts dagegen tut. Ich habe freilich nichts bei mir, und ohnehin waren meine Mittel sehr beschränkt. Der Eiter muß heraus. Zwei Männer halten nun die Magd und ich glüh' die Wunde aus."

- "Nein", schreit die Magd verzweifelt.

- "Doch!" sagt Strauber barsch, obwohl ihm gar nicht gut zumute ist. "Es tut höllisch weh, doch behaltet ihr das Bein."

34. Beate zupft den Arzt am Ärmel. "Ich habe noch vom Himmelskraut, etwas wäre ja zu opfern." Sie wispert: "Mein Engel hat gesagt, nach dem Brennen sollt ihr mit dem Kraut die Wunde füllen."

- So wird es getan. Vor Schmerzen wird die Magd besinnungslos.

- "Gott sei Dank", murmelt Strauber, "der ärgste Schmerz wird dadurch nicht gefühlt." Er weckt sie auch nicht sofort auf, wie er sonst getan, reinigt noch die Wunde, und Beate, die indes das Kraut geholt, streut es achtsam in das brandrottiefe Loch.

35. "Dich behalte ich bei mir", umschlingt der Arzt das Mädchen, eine bessere Hilfe könnte er sich gar nicht wünschen. Wer sieht, wie das Mädel ihre Hände auf die Wunde legt, selbst nicht ahnend, was sie tut? Sie hat gespürt: 'Tue so!' Ihre kleinen Hände gingen wie von selbst. Die Wirtin holte Lappen. Den saubersten legt der Doktor auf und verbindet rasch das Bein. Jetzt weckt er die Magd aus ihrer Ohnmacht auf. Man hat ihr Bett herausgeholt, ein Gestell, ein Strohsack drauf, zwei Decken, und jeder arme Mensch ist glücklich, wenn er sowas 'Bett' zu nennen weiß.

36. Langsam kommt die Magd zu sich. Die Schmerzensschreie, die der Arzt erwartet ‒ er hat schon manchesmal sowas getan, um jemanden zu retten ‒‚ bleiben aus. Ganz ruhig liegt die Kranke da. Besorgt schaut Strauber drein. Er und Beate gehen in die Kammer, die der Magd gehört.

- Das Mädchen setzt sich neben sie, streicht nochmals über deren Stirn, dabei flüsternd: "Gottes Engel hat geholfen", und ist hinaus.

37. Die Wirtin, die an der Türe stand, sieht dem Kinde nach und sagt später noch zu ihrem Mann: "Mit dem Mädel ist was los, ihre Augen wirken himmlisch, so…"

- Der Mann knurrt: "Das laß nicht hören, Frau, weißt ja, wie man zum Verderben hetzt. Wir wären alle dran! Die andern würden bloß von einem Teufel, einer Hexe reden und wir hätten Ketzer aufgenommen." ‚Sind keine, wenigstens bis jetzt noch nicht,‘ denkt er weiter. "Sieh nach der Magd. Hab' die Leute gerne aufgenommen, bin aber froh, wenn sie weiterziehn. Man kann niemals wissen, ob…" Das Weitere bleibt ungesagt.

38. Bangend geht die Wirtin, wie das Schauerliche zu überstehen sei. Erschreckt starrt sie die Kranke an. Sie sitzt auf ihrem Lager; man sieht ihr zwar noch Schmerzen an, allein, sie lächelt. "Bringt mir bitte meinen kleinen Engel, ich will ihm danken, er hat mir so geholfen. Bloß das Ausgebrannte tut noch weh, doch viel weniger, als vorher meine Wunde. Ich stehe auf."

39. "Du bleibst liegen, ist nicht viel zu tun. Wenn du aber meinst, das Mädchen sei ein Engel, dann halte deinen Mund. So was darf man gar nicht sagen, sonst werden wir als Ketzer angesehen und dann…"

- "O weh, wenn bloß dem Kinde nichts geschieht! Ich habe es im Traum gesehen…", es war jedoch die Wirklichkeit, was die Magd mit in die Ohnmacht nahm, "…wie mir die Kleine etwas in die Wunde tat, da war mir so, als hätte ich ein neues Bein."

- Die Wirtin denkt ja ebenso; allein, wegen ihrer aller Sicherheit, nicht zuletzt auch für das Kind, sagt sie resolut:

40. "Die Engel sind im Himmel. Wenn dich jemand fragt: 'Wir haben eine Salbe aufgetan, da ist die Wunde heil geworden.' Und sollte jemand nach den Leuten fragen, da müssen wir halt lügen: 'Die haben ohne unser Wissen eine Nacht im Heu geschlafen und sind früh fort.‘ So weiß es auch der Knecht. Sieh, etwas Schönes haben wir erlebt, das bewahren wir in uns, das geht niemand etwas an. Oder willst du in die Eisenrolle kommen?" Man nannte die Verhöre und die inquisitorischen Strafen so.

41. Entsetzt hebt die Magd die Hände. "Bei unserm Heiland nicht! Das wäre schlimmer als bisher mein Bein gewesen ist!"

- "Sei also still; wir haben bloß am Heu gesehen, daß da Menschen lagen. Vielleicht werden wir auch nicht befragt …"

- "… was das beste wäre", ergänzt die Magd.

- So erweist es sich. Niemand hat die Spur der Flüchtlinge gefunden, der Kaufherr und die Wirte bleiben unbehelligt. Das ist eine Wunderführung Gottes, wie Er jederzeit sie offenbart.

*

42. Man gelangt an das nächste Dorf. Meurer sagt zum Knecht: "Es ist besser, man sieht dich nicht mit uns. Du…", – o weh, wieder etwas, was Gott der Herr verzeihen möge, soll ja zum Schutz des Knechtes sein,  – "…hast niemanden gesehen. Von hier ab stimmt es auch. Wir schlagen einen Feldweg ein und kommen also von der andern Seite her."

- "Habt recht, Herr", sagt der Mann, "ich danke euch, weil ihr mir helft. Man hört so viel, was hierzuland geschieht. Ich wünsche, daß ihr unbehelligt bleibt."

43. Beate möchte etwas sagen, doch ihr Vater geht mit ihr voraus, die andern folgen nach.

- Sinkmann drückt die Hand des Knechtes. "Gottes Segen sei mit dir, mit deinen Leuten. Grüße sie, wir werden immer an sie denken."

- Rasch geht er fort, wie oft mußten sie schon einen Abschied nehmen. "Sind gute Leute", murmelt es der Knecht, "hoffe, daß sie ein Zuhause finden."

44. In einem baumbestandenen Anger vor dem Dorfe bleibt man zurück. Es ist noch Brot und Obst vorhanden. Und nahebei ein Bach, aus dem man trinkt. Ob es nächste Nacht ein Unterkommen gibt?

- "Besser ist…", ratet Hieselbar, "…wir kaufen uns hier noch ein Brot. Wer will gehen?"

- Jetzt verhält Beate nicht; sie hat beim Abschied von dem Knecht es doch gemerkt, besser war, zu schweigen. Nun…: "Ich gehe mit Maria Stiebitz! Eine Frau und ein Kind fallen nicht besonders auf, als wenn Männer kommen."

45. "Bist nicht nur gut, bist auch klug", lobt der Arzt. "Dich lerne ich ein wenig an, dann kannst du mir bei manchen Kranken helfen. Seid ihr einverstanden", fragt er die Eltern.

- Der Vater nickt, Frau Helene auch. "Etwas lernen kann nie schaden. Bei euch, Medicus, ist unsere Tochter bestens aufgehoben."

- Beate nimmt einen Beutel, gibt Maria Stiebitz ihre Hand und sagt: "Komm, Tante, für Geld werden wir gewiß genügend Brot bekommen."

- Darf man es nicht abermals 'ein wahres Gotteswunder nennen'?

46. An einem Hause wird geklopft, weil es nach frischem Brote riecht. Eine Greisin tritt heraus, mustert Frau und Kind. Eine Mutter mit der Tochter? Sie fragt nach dem Begehr.

- "Wir wollen weiterwandern, es ist noch weit nach Hause", redet sich Maria aus. Wohl, ein Zuhause suchen sie.

- Beate wundert sich darüber. Ach ja, sie hatte es zu oft gemerkt, daß man nicht jedermann die Wahrheit sagen darf, will man nicht in das Verderben fallen. Aber kann der liebe Gott nicht anders helfen?

47. "Ich geb' euch gern, verschenken kann ich's nicht, es sind acht Kinder da."

- "Wir haben Geld." Maria gibt fünf Münzen her.

- "So viel nicht. Deckt ihr euch für länger ein, könntet ihr fünf Brote haben."

- "Das wäre fein", dankt Maria.

- Beate gibt der Frau die Hand. "Gott wird euch segnen, weil ihr so freundlich seid."

- "Bist ein braves Dirndel. Oh, man muß stets dran denken, daß Gott uns behüten möge."

- In diesem Hause wird es manche Sorge geben, spürt Maria Stiebitz. Genau, und die Alte sieht den beiden nach.

48. Den weiteren Weg hat der Medicus in einem Haus erfragt. Bis zum nächsten Ort, hoffentlich der letzte, der vor ihrem Ziele liegt, ist es ziemlich weit. Schon der Kinder wegen ist es besser, erst am nächsten Morgen aufzubrechen. Der Tag war lind, der Abend bleibt es auch, die etwas dichten Bäume und Gesträuch schützen vor der Kühle einer Nacht.

49. Der letzte Wirt mit der kranken Magd gab zwei Pferdedecken. Sind zwar nicht besonders gut, aber dick. Auf einem Moosplatz breitet man sie aus und legt die Kinder darauf nieder. Zugedeckt können sie gut schlafen. Jede kleinste Gabe hilft, nimmt sie aus des Herrgotts Hand; denn daß ihr Fluchtweg unter Seinem Segen steht, haben alle, hat sogar der Doktor eingesehen.

50. Wo der Bach etwas abseits einen Tümpel füllt, wäscht man sich am Morgen. Beate, Peterle und Hansel, ein wenig streifend, finden rote Beeren, Himbeeren sind's und werden hurtig abgepflückt. Zum Brot genossen ‒ ach, wie schmeckt das gut.

51. Da hat Pfarrer Sinkmann vorher recht zum Dank gebetet: "Herr, unser Vater, Du führst uns wahrlich an der Hand, Du gibst uns, wie die Raben Deinen Knecht Elia speisten. Wie Du Kad und Krug der armen Witwe fülltest, so hast Du uns bisher gespeist (1.Kön. 17,5.6 und 14). Laß uns ferner nicht von Deiner Hand, gib uns hier nun eine Heimat als lieben Vorgeschmack, wenn wir in die Himmelsheimat kommen dürfen, einer wie der andere. Preis, Ehre, Liebe, Dank und Anbetung, alles legen wir in Deine Gnadenhand."

52. Nun der reiche Beerensegen! Frau Helene sagt: "Es ist nicht ganz recht, daß wir die Beeren nehmen; sie gehören diesem Ort. Wenn die Kinder kommen und nichts finden, was dann?"

- "Hm." Ihr Mann kratzt sich das Ohr. "Wir können sie nicht wieder auf den Boden werfen, es zeigte an, daß wir viele waren, nicht bloß eine Frau mit Kind, die die Brote kauften."

53. "Ach Vater, es sind viele Sträucher voll, nie sah ich solche Menge auf einmal. Wir haben nun genug, es reifen auch noch welche nach."

- "Gut, außerdem müssen wir uns rüsten. Besser ist, wir sind schon auf dem Weg, bevor das ganze Dorf erwacht. Gestern abend fand ich einen schmalen Pfad, nach der Dorfseite zu umwuchert, und ist die Richtung, die Freund Strauber hörte. Also auf!" – Die Habseligkeiten sind bereits gepackt.

*

54. Der helle Morgen kündet einen guten Tag, leicht läßt sich's wandern. Man hilft sich immer gegenseitig, und so geht es rasch dahin. Am Vormittag wird in einer Aue Rast gehalten, das Brot wird schon ein wenig knapp. Jeder ist zufrieden, kein Kind weint, und später findet man am Wegsaum einen Pfahl, etwas, das es damals gar nicht gab. Eine Art Richtungsweiser. Daß der den Lutherleuten gilt, weiß man nicht. Doch wieder ist's das Kind, es zeigt voraus: "Dorthin sollen wir uns wenden."

55. "Woher weißt du das?" fragt die Mutter ängstlich. Sie ist besorgt, obgleich man treu zusammenhält. Man kann es niemals wissen. ‒ Ihr Mann hat längst geraten, die 'Engelsträume' zu verschweigen.

- Es ist Sinkmann, der die Sache rettet. "Manchmal…", redet er, als stünde er auf einer Kanzel, "…zeigen Kinder uns den Weg. Der Heiland hat gesagt, daß sie einen Engel bei sich hätten, die 'das Angesicht ihres Vaters im Himmel sehen'. Nun, auch wir großen Leute haben einen Führergeist, der bei jedem Menschen ist, wenn wir gern der guten Stimme folgen.

56. Irgendwie muß der Pfahl etwas bedeuten, umsonst hat man ihn nicht hierher gestellt. Sehr weit können wir auch nicht von jenem kleinen Städtchen sein. Vielleicht ist's bloß ein Weiler, der zu Eisenach gehören soll? Da ist unser Ziel."

- Man stimmt zu und geht der Richtung nach, als ob es GOTT gewesen wäre, der mit Seiner Hand nach vorn gewiesen hat.

57. Ein Abend, selten so erlebt, taut nieder. Im Osten schimmert schon ein Stern. Eine recht ebene Gasse führt in den Ort hinein, der, wie gedacht, gewünscht, die neue Heimat wäre. Da gibt es im Verhältnis schöne Häuser, von Bauersleuten und solche von Gewerben, also eine Art Landstadt mag es sein, wo man Brot und Arbeit finden wird, die Hauptsache, die man nötig braucht. Berthold Meurer geht voran, mit ihm Sinkmann und der Doktor, alle drei beseelt, jederlei Gefahren abzuwenden, wenn solche den Familien drohen würden.

58. Noch ist es ziemlich hell, als ein Mann, stattlich anzusehen, ihren Weg versperrt. "Halt! Wer seid ihr denn? Was wollt ihr jetzt bei uns, wo die Nacht zu leicht zu Raub und Lungern führt? Daß ihr es gleich wißt", der Mann reckt sich besonders auf, "ich bin der Oberste der Stadt, und für alles bin ich da! Wer bei uns zu räubern sucht, der wird eingesperrt."

59. Er zeigt auf eine kleine Pfeife. "Meine Knechte zeigen euch den Weg: Entweder wieder fort, oder in die Büttelkammer. Daselbst könnt ihr dann bekennen, was euch hergetrieben hat." Er sah die Armut auf den ersten Blick. "Ihr seid Bettelvolk, das hab' ich gern und…" Weiter kommt er nicht.

60. Neben Berthold steht Beate, sieht am Manne hoch und schiebt ihre Hand in die vom Vater. "Aha, Kinder sind dabei? Was soll ich denn mit denen tun? Habt sie zur Dieberei erzogen?"

- "Nichts von alledem", fällt Meurer dem Städter in das Wort. "Bitte, laßt erst hören, woher wir kommen, warum hierher und daß wir ehrliche Leute sind, Heimat, Haus und Herd verloren haben."

61. Viele sind vom Notgebiet geflohen, verfolgt von Marter und vom Tod. Luther hat geboten, solche aufzunehmen. Ah, freilich, prüfen muß er schon, der kleine Stadtgewaltige. Des Mädchens Blick hält er nicht aus, und hat doch Kinder gern. Komisch. "Kommt!" Er führt die Armen in ein Haus, eine Art Ratsgebäude.

62. "Rede!", befiehlt der Städter barsch. "Aber lüge mich nicht an!"

- "Schaut mir in die Augen, dann merkt ihr, ob ich lüge."

- "Seid ihr auf Ketzerfang, und bloß Frau und Kinder mitgenommen, damit man es nicht merken soll? Hier…", der Städter, eine Art Ratsherr namens Schöber, "…sind wir insgesamt lutherisch, da habt ihr andern nichts zu suchen. Der da…", weist er auf Sinkmann, "…ist ein Katholik, ein Pfarrer obendrein. Was liegt näher, als daß ihr allesamt…"

63. Meurer unter-bricht wiederum in Ruhe: "Jawohl, wir sind, richtiger: wir waren Katholiken. Ihr, Herr, werdet wissen, daß bei uns im Süden Spanier förmlich eingebrochen sind, die Menschen quälen und verfolgen, nicht einmal die eigenen Prediger verschonen. Wollt ihr den Beweis?"

- "Da wäre ich begierig, wie das zu beweisen ist. Ich lasse mich nicht überfahren!"

- Meurer bittet Sinkmann, den Oberteil seiner Kutte auszuziehen. "Ich bitte euch nicht gern darum; der Stadtherr soll es sehen, was man sogar mit euch getrieben hat."

64. Als der Ratsherr Schöber die noch lange nicht verheilten Wunden sieht und vernimmt, auf welche Weise die entstanden sind, und als Beate einfach sagt: "Das ist wahr! Mein Vater, der Pfarrherr, unser Doktor, keiner von uns lügt!" Ihre helle Stimme dringt dem Städter bis ins Herz hinein. Kinder und Narren reden die Wahrheit, heißt ein Wort, möglich also ‒ ‒ ‒

65. Schon ist tiefe Nacht. Die Frauen liegen mit den Kindern auf den Bänken, sanft schlummernd. Beate hatte keinen Schlaf; verwunderlich ist's nicht; sie sitzt zwischen ihrem Vater und dem Städter, der ab und zu, unabsichtlich, über das Gelock des Kindes streicht. "Wenn das Luther hört, was ihr berichtet habt… ha, läßt er wiederum ein Schriftchen los, das den Bösen, die sich 'Stellvertreter Gottes' nennen, in die Nase steigt!"

66. "Kennt ihr Luther?" fragt der Pfarrherr.

- "Ja, ich kam einmal mit ihm zusammen, ehe er nach Worms gefahren ist. Ich stellte mich als Ratsherr vor. Da hatte er gelacht, bis ihm die Tränen kamen. 'Wie? Ratsherr nennt ihr euch? Gibt nur Einen, den man RATSHERR nennen muß. Das ist GOTT, Er ist der Herr, Er weiß stets des Rats genug!' Seither lasse ich mich nicht so nennen; am liebsten ist es mir, man sagt einfach Schöber."

67. "Da hat der Luther etwas Herrliches gesagt", meint Sinkmann. "Das wäre was für diese Spanier und ihre Hörigen. Jederlei Gericht üben sie nach ihrem Maßstab aus."

- "Hab' ich auch erfahren." Schöber gibt sich einen Ruck. "Ihr Männer laßt uns Freunde sein, wenn ihr Luther angehören wollt. Ja, muß mich wieder korrigieren. Er zankt: 'Nicht lutherisch seid ihr, sondern Gottes Kinder. Wenn schon, weil ich mich allein aufs Evangelium stütze, so nennt euch evangelisch. Und das genügt!'

68. In Worms war er ganz groß. Zwar standen viele Fürsten hinter ihm, ernstlich hätte niemand es gewagt, Hand an ihn zu legen. Krieg wäre ausgebrochen, den sich Rom nicht leisten kann. Man mußte zähneknirschend eingestehen, daß Luther nicht zu brechen war. Denn als man ihm ‒ unter Androhung ‒ gebot, er solle widerrufen, da hat er sich hoch aufgerichtet und gesagt: 'Ich widerrufe nicht! Hier stehe ich, ich kann nicht anders; Gott helfe mir, Amen!' Es hätte bald Tumult gegeben; allein die Kuttenträger zogen ab, wutentbrannt und machtlos, weil halb Deutschland und viel Fremde hinter diesem Gottesmann gestanden sind."

69. "Unerhört!" Aller Augen glänzen. "Wo ist er jetzt? Könnte man ihm mal begegnen?"

- "Er sitzt gefangen", sagt der Städter mit geheimem Schmunzeln.

- "Gefangen? Ich denke, er ging frei heraus?" Der Arzt möchte wieder einmal an der Allmacht Gottes zweifeln.

- "Ja, gefangen! Wo? Seine Fürsten nahmen ihn dann auf dem Heimweg sofort hinter Worms in Haft und brachten ihn auf unsere Eisenacher Burg.

70. Luther sollte auf dem Rückweg, wenn nicht lebendig, dann tot nach Rom zu bringen sein. Nun verfaßt er auf der Burg die Schrift. Nicht jeder darf zu ihm, und wenn schon einer, der wird bis auf die nackte Haut geprüft, was man gut versteht. Wird nicht lange dauern, daß er offen redet. Wie gesagt: Der Papst kann keine Waffen heben lassen, da käme es zum Krieg, den Rom jetzt nicht gebrauchen kann. Zuviel steht für sie selber auf dem Spiel.

71. Leicht wäre möglich, daß gerade dadurch viele Katholiken sich zum Evangelium bekennen würden und fette Pfründe blieben leer. Luther hat übrigens noch nie den frommen Katholik bekämpft, der bloß aus Erziehung Katholik geworden ist. Nein ‒ gegen das Regime, gegen die Verdrehungen des wahren Wortes Gottes, und daß man ‒ ha, wie gern, von Teufeln mehr zu reden weiß als von der Güte Gottes. Das ist's, was Luther angeprangert hat."

72. "Laßt uns noch ein wenig schlafen", bittet Meurer. "Morgen, wenn ihr wollt, Freund Schöber ‒ darf ich euch so nennen? ‒‚ können wir das Weitere besprechen. Auch Bitten haben wir."

- "Ist recht. Na, du kleines Mädel", sagt der Städter, "sinken dir die Äuglein zu? Tut mir leid, daß ich euch hier im Raum belassen muß. Morgen suche ich euch aus, wo ihr erst mal richtig wohnen könnt." Mit großem, echtem Dank wird das Versprechen angenommen.

 

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Kap. 12

- Das erste Wort des Engels durch Beate und das gleiche Wort, das er von Sinkmann erhielt

 

1. Ein paar Wochen sind vergangen. Schöber kümmert sich um 'seine Leute', wie er allgemein die Flüchtlinge bezeichnet, was zur Folge hatte, daß sie zwar erst spärlich, aber doch ein eigenes Zuhause haben, jede Familie für sich und nahe beieinander. Pfarrer Sinkmann wohnt bei Meurer, den Arzt hat Schöber selber aufgenommen. Es ist schon weit und breit bekannt, daß der Doktor hilft, so gut es geht. Auch Medizin, wie man die bescheidenen Mittel nennen darf, schafft der Stadtrat an, so daß es hier viel besser für den Doktor ist als im verlorenen Zuhause.

2. Oft nimmt er Beate mit. Sie geht hier in eine Schule. Freilich, 'Schule' ist ein zu gewichtiges Wort um diese Zeit für Kinder aus dem Volk. Immerhin, es wird so mancherlei getan, damit alle lesen und auch schreiben lernen. Nur gibt es Eltern, für die die Kinder Arbeitshilfen sind. Vom Schulgang hält man nichts, und Zwang gibt's noch keinen. Abfällige Handbewegung: 'Ist bloß was für Gelehrte, Arbeit ist das Wichtigste.'

3. Beate lernt begierig, ihre Eingebungen sind geblieben, auch der Pfarrer hat sie noch. Wehen gehen durch das Land; die Inquisitoren möchten den Bereich von Luther gern kassieren. Wer hat nicht Angst vor ihnen? Besonders fürchtet sich die Gruppe. Denn daß man nicht vergessen hat, weil sie 'entkommen' sind, und ihre Namen hat man sich gemerkt, da kann es leicht geschehen, daß wohl einer und der andere verschwindet.

4. Rohe Knechte gibt es überall, die mit wahrer Höllenlust sich auf die Opfer stürzen, ob Mann, Frau oder Kind. Die Leute wagen sich des Abends kaum noch auf die Gasse, gehn nicht mal bei Tag allein. Hier ein Winkel, dort ein dunkles Tor ‒ schon ist einer abgefangen. Wer fragt danach, ob der Gefangene schuldig ist oder nicht? Kommt er aus dem Lutherland, ist er ein Ketzer. Somit besteht das Recht ‒ Unrecht! ‒‚ inquisitorisch vorzu-gehen.

5. Die Fürsten, die zum Evangelium gehören, streifen weit mit ihren Reisigen umher. Gar manchen Abgefangenen haben sie befreit, dagegen sitzen rohe Häscher in den Burgverliesen. Die Gruppe hält zusammen. Beate hatte ihrem Vater zugeflüstert: "Er war wieder da."

- Meurer wußte sofort, wen sie meinte. Daß auch Sinkmann wieder etwas 'sah', weiß man noch nicht. Es soll sich Gottes Wunder offenbaren, damit Sein Gnadenwort zu jeder Zeit und überall das 'eine' ist, was ER zu sagen weiß.

6. Bei Schöber sind einige seiner Freunde mit zugegen, Gläubige, auf die man sich verlassen kann, die mit Meurer und den andern Freundschaft geschlossen. Sinkmann ist geachtet. Sein unerhörter Mut, die Leute zu erretten, trotz der Marter keinen Namen nannte, das beeindruckt stark. Ein großes Zeugnis legt er heute ab. Jedem wird's zum Privileg. Man spürt, wo der Geist des Höchsten wirkt, wie herrlich Vater-Gott Sich offenbart.

7. Man hat von allerlei geredet, nun endlich mehr vom Evangelium zu wissen, von des Heilands Leben, von der Güte Gottes, und daß man nicht mit Schrecken einer Predigt zuzuhören braucht, die gar keine ist. "War", sagt ein Mann.

8. "Wir…", zeigt er rundum, "…sind abgesehen unserer Kinder im alten Kirchenglauben aufgewachsen. Als ich von Luther etwas hörte, dachte ich: Der ist nicht anders als die andern, war ein Mönch. Aber dann kam die Erleuchtung; wie eine Sturzflut floß es in das Land, als wenn nach vielen Wochen, wo alles dicht umnebelt war, kein Licht niederschien, urplötzlich sich die Sonne aus dem finsteren Gewölk herausgetrieben hätte. So war es mir zumute, als ich zur Erkenntnis kam."

9. Der Hausherr meint: "Es gab schon ein paar Prediger, die nicht allein von Teufeln und von einer Hölle sprachen. Das Richtige war es aber nicht."

- "Unser Pfarrherr hat, so oft ich ihn vernahm, nie von Dunkelmächten was gesagt, meist von der Liebe Gottes, weswegen ja der Spanier ihn verfolgte." Das sagt Meurer. Die Seinen bestätigen es. Wie sie noch darüber debattieren, steht das Kind plötzlich in dem Kreise der Erwachsenen.

10. Das Mädchen ist vom Kerzenlicht umflossen, ihr helles Haar wirkt wie ein Schein, wie wenn ‒ Hastig steht ihr Vater auf, um es fortzuführen. Sonderbar ‒ gerade Schöber winkt ihm ab. Auch Sinkmann, der von seinem Traum erzählen wollte, ahnt es gleich, daß Wunderbares kommt, sein und Beates Himmelstraum. – Er flüstert: "Der Jesuknabe stand inmitten unter alten Männern, und keiner konnte Seiner Rede wehren."

11. Beate hört es nicht; wie entrückt blickt sie geradeaus. Und ihre Stimme"Über diese Menschheit ist ein großes Ungemach hereingebrochen, eine Folge jener Zeit, als aus dem Fall die Schuld geboren ward. So wird es lang verbleiben! Die Schatten stehen auf, um Menschen zu verderben, um GOTT zu leugnen! Wer Ihn den Strafenden, den Rächer heißt, der mag Ihn nennen wie er will ‒ er leugnet Ihn und wie Er, der Vater, wirklich ist!

12. Schreckt nicht zurück vor dem, was oftmals vor dem Tore lauert. Der Heiland sprach: «In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ICH habe die Welt überwunden!» (Joh. 16,33) Für wen? Für euch, für die Kindgeschöpfe, die darniederliegen in Sorge, Schmerz und Angst; aber auch für jene, die sich selbst im Abfall ihrer Gotteslosigkeit verstrickten! O bedenkt, daß niemand einen Glauben töten kann, wer ihn fest im Herzen, im Gemüt verwahrt!

13. Ihr habt einen Kämpfer unter euch, aus Gottes heiliger Allgegenwart gesandt, unter dessen Schutz ihr euch behütet fühlt: und ist GOTTES Hut allein, obwohl Er diese über einen Sendung angedeihen läßt. Was er bringen darf, wird nie verwehen, auch wenn darob noch schlimme Kämpfe durch die Lande brausen werden (1618-1648 der Dreißigjährige Krieg). Die Enkel und die dann nach ihnen kommen, werden zittern und verzagen, werden Ungezählte ihre Lebensopfer bringen.

14. Man kennt ihre Namen nicht, halten das dem Herrn gegebene Gelübde ein, stehen fest in schwerstem Schmerz, im Angesicht des Todes. Aber wie die Feuerschmelze reines Gold erzeugt, so wird der wahre Glaube durch das Trübsalsfeuer langer Jahre auferstehn! Euer Dienst wird sein, den Samen auszustreuen, im Kindeskind zu festigen. Tut ihr das, habt auch ihr das Opfer dargebracht. Ihr steht mitten in der Angst, in Trübsal mancher Art; aber ihr, die die Welt nicht kennt, nicht kennen will, ihr seid GOTT bekannt!

15. Denket nicht, die Stimme will verwirren. Prüft, und jedermann wird wissen, wo Licht, wo Schatten ist. Es sind gute Worte, die euch zu teil geworden sind, wenn auch ein Hinweis auf die Trübsal kam, die die Menschen überfallen wird. Die kommt nicht von Gott; und von einem Teufel, an den man ‒ ach ‒ so gerne glaubt, um ihm alle Sünden zuzuschieben, kann sie nicht kommen. Das hieße, daß der Schöpfer die nicht binden könne, jene, fernab von dem Licht der Gottesliebe, fern noch von einer unbekannt ersehnten Wende.

16. Was euch jetzt zuteil geworden ist, kommt vom Gott der Güte und Barmherzigkeit, um euch zu stärken und durch euch noch manchen Wankenden und Glaubensschwachen. Tröstet sie, seid ihnen eine Stütze, helft mit guten Worten und mit Taten, wo immer sie benötigt werden. Kann Gott keinen Engel senden, um Seine Offenbarung herzuschenken? Kann Er nicht ein Kind erwecken, durch das Sein Gnadengeist euch führt? Kann ER denn nimmer tun, wie Er in ewi-ger Erbarmung half, und helfen wird? Ja, ‒ kann Er nicht…?

17. Vergesset Gottes Gaben nicht. Zu euerem Schutz: Behaltet sie für euch, es wird einmal alles offenbart. Liebend könnt ihr trotzdem Zeugen sein. Gott ist ja allgegenwärtig! ER, der Allmächtige, Herr und Heiland, segnet euch und gibt euch Seinen Frieden."

18. Stille. – Wer sieht, wie das Kind vom Pfarrer sacht zu seinem Stuhl geleitet wird, wie es daselbst sitzt, als hätte es sich nie davon erhoben?

- Sinkmann bleibt daneben stehen, wartend, bis sich jemand regt. Dann hat auch er noch einiges zu künden, von dem man glauben muß: "Das ist wahr, und des Kindes Wort ist wahr."

19. Ein Bürger, der schon mal mit Luther sprach, wendet sich dem Ratsherrn Schöber zu und bekennt nun offen: "Ich hatte lang gezögert, ehe ich die Wahrheit anerkannte. Daß mir manchesmal Bedenken kamen, wenn ich in unserer Kirche keinen Frieden fand, nichts von Gottes Güte spürte, ja, meinte halt, das muß so sein, damit der Mensch zur Demut kommt. Allein mein Herz war schwer, mein Weib hat einmal bitterlich geweint, weil zu viel vom Höllentod gesprochen worden war.

20. Hingegen haben wir den Pater auf dem Land, zu dem die Leute gerne kommen. Der darf bloß nicht viel sagen, darf weder trauen, taufen, noch jemanden zu Grabe bringen. Er geht von Haus zu Haus, richtet die Bedrückten auf, hilft den Kranken, so gut er es vermag und ist noch keiner ohne Trost von ihm entlassen worden.

21. Es gibt überall auch Gute; schließlich wäre wohl das Gotteswort mit Menschen-Tun nicht zu verwechseln. Als ich dessen inne ward, wie das Gotteswort verdreht gepredigt wird, wie statt Seiner Güte und Barmherzigkeit nur Strafen, Hölle, Tod, Verderben auf uns Menschen niederregnet, da mochte ich die Kirchen lieber meiden. Doch bei dem Pater war ich auch, nachdem ich Luthers ‒ hm ‒ richtiger durch ihn GOTTES Lehrwort kennen lernte, hatte ihn gefragt, ob auch er von dem Eisenacher etwas wüßte.

22. Da hat der Pater still gelächelt, hat mich bloß angesehen und da wußte ich Bescheid. Er ist einer von den Stillen, den Unbekannten, die viel Gutes tun. Er sagte dann: 'Seht, mein Freund, ich bleibe bei der Kirche, in der ich aufgewachsen bin. So kann ich manchen Armen trösten, wenn er Angst und Schrecken kennenlernt, wenn das Volk man in Schablonen preßt: Ihr müßt gehorchen; was wir verkünden, habt ihr zu glauben!', und ist oft schwer, diesen Glauben aufzubringen.' – Ist's nicht Menschenwort?

23. 'Komme ich als Pater, hört man mich an. Käme ich im noch römischen Gebiet als Ketzer, so nennt man ja die Lutherleute, da würde mancher mich in dessen Netze treiben, denen man niemals entrinnt. Geht es gut, wird man ein Krüppel, ansonst winkt martervoller Tod', so sagte er. Und ich geb' ihm recht." Der Bürger sieht auf Pfarrer Sinkmann, dessen Zeugnis nunmehr an die Reihe kommt. Und jetzt ist niemand, der 'es' nicht anerkennt, der nicht in diesem Zeugnis auch des Kindes Rede angenommen hat.

24. "Liebe Freunde, wir, die flüchten mußten, sind eine gute Weile unter euch. Ihr lerntet uns, wir euch erkennen, wir fanden füreinander Freundschaft, jene, die in Leid und Kummer standhaft bleibt. Ebenso sind wir gewiß, daß unter uns die Wahrheit wohnt, wenngleich mitunter mancherlei geschieht, wo sich Zweifel melden möchten. So heute Abend bei der Rede dieses Kindes." Sinkmann legt eine Hand auf Beates Schulter.

25. "Unwahrscheinlich kommt's uns an, ob Gott wahrhaftig durch die Kinder wirkt. Ich frage: Ist ein einziges Wort erfunden worden, das gegen Gottes Wahrheit steht? Ich möchte sogar fragen: könnte diese Offenbarung denn nicht beiden Glaubensarten gelten, die man katholisch und nun evangelisch nennt?!

26. Hat der Herrgott zweierlei an Licht-Enthüllung? Wenn sich etwas nicht mit echter Wahrheit, die vom Schöpfer kommt, verträgt, dann ist es nicht von Ihm, und würde es ein Kardinal verkünden. Wohlgemerkt: mit 'Kardinal' war nur gemeint: würde einer von der ganzen Welt erkannt und er brächte, was sich nicht mit Gottes Gnadenheil verträgt, er könnte wieviel Ehrenämter haben, dennoch bliebe er dem Evangelium fern. Nun aber das:

27. Ich weiß seit langem, daß Beate", wieder legt er eine Hand auf ihren Scheitel, "nachts von einem Engel vieles hörte; sogar der Weg wurde von ihm angezeigt. Und genau, wie zuvor gesagt, hat sich die Flucht erfüllt. Aber noch etwas: auch ich habe wiederholt im Traum ein 'Wort' vernommen, von einem andern Lichtgesandten, nicht von dem, der wie oft schon bei Beate war. Diese beiden waren die zwei Lichter, voraus und hinter uns, als wir durch den Moorweg gingen, in einer schauervollen Nacht, wo kein Wild den Weg betritt. Tiere wittern die Gefahr. Ein einziger Schritt daneben, und rettungslos ist man verloren.

28. Nun erhielt ich in der letzten Nacht den Licht-Hinweis, heute käme Gottes Wort zu uns. Was das 'Kind' zu sagen hätte, würde ihm, wie mir gleichfalls jetzt voraus, schon kundgetan. Wort für Wort würde es zum hehren Segen werden, wer daran glaubt, gerade, weil ein reines Kind es bringen soll.

29. Ich hörte ganze Sätze aus der Rede. Am Morgen schrieb ich alles auf." Er zieht ein Papier aus seiner Tasche. "Ich lese es euch vor. Kein Mensch kann jemals alle Worte merken, doch ist es zu erkennen, wie wunderbar das eine mit dem anderen zusammenklingt, wie ‒ wie eine Himmelsmelodie."

30. Sinkmann liest. Immer größeres Erstaunen zeichnet sich jetzt auf den Mienen ab. Es stimmt! Unmöglich, rein vom Können her, hätte ‒ wenn der Pfarrherr schon betrügen wollte ‒‚ diese Rede dem Kind einzuprägen, daß es das 'Gelernte' wiedergeben soll. Den Gedanken spricht einer aus, man merkt es aber gleich, daß es anderer wegen bloß als Frage gilt.

31. "Zweifelsfragen sind berechtigt", fällt Schöber ein, "wenn ihr Grundsatz echte Prüfung ist. In der verwirrten Zeit ist es absolut nicht leicht: Was ist Wahrheit? Was ist Trug? Selber geb' ich offen zu: Was Beate sprechen durfte, das war für mich ein Stück von unseres Gottes gnadenreichem Evangelium.

32. Ich beherzige es, und für mich ist es ein 'Engelslicht', wie ihr Vertriebenen solche wirklich sehen durftet. Eine innerliche Schau, meine ich, ist auch nicht weniger wert als eine äußere. Aber eines möchte ich erwähnen, euch allesamt in eure Herzen eisern schreiben: Sprecht über das, was wir erlebten, nirgendwo ein Wort! Vielleicht als einziger, wenn die Möglichkeit einmal besteht, könnte man den Luther fragen, wie er darüber denkt."

 

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Kap. 13

- Die kleine Beate bei der Arbeit – Der Totengräber – Ein Klatschmädchen zurückholen – Schwierige Fragen und der Vater antwortet

 

1. Doktor Strauber lehnte sich an die rauhe Wand des Raumes, in dem die Not aus allen Ecken grinst.

- "Was habt ihr denn?" fragt Beate.

- "Habt ihr Gott verloren?" ‒ Beinah ist mir so zumute. Die alte und so gute Frau, die mit ihrem Wenigen geholfen hat, lag allein, die Nachbarn kümmerten sich nicht um sie. Der Brand hatte sich in ihrem Leibe eingenistet; sie trug die Schmerzen tapferer als mancher Mann ein kleines Weh. Und es gab keine Mittel (damals). "Siehst du nicht, was geschehen ist?, was auf uns zuzukommen scheint?"

2.  Jetzt erst sieht das Mädchen auf das bleiche Angesicht der Frau. Dies war gestern noch so schmerzverzerrt, währenddes die Lippen leise beteten. Nun sieht sie friedlich aus, wie es bloß bei guten Heimgegangenen vorzufinden ist.

3. "O Doktor, das ist die Erlösung, in der letzten Nacht gesehen! Ich soll nicht mehr 'Engel' sagen", flüstert sie ihm in das Ohr, "aber 'er' war da und sagte, was ich nicht genau verstand: 'Morgen hilfst du einer reinen Seele in das Himmelreich. Wo immer du die Hände regst, für Kranke und für Sterbende, da erfüllt sich unseres Schöpfer-Vaters heiligguter Wille.

4. Verharre in der Demut. Nicht du kannst etwas tun; du bist nur das kleine Werkzeug in den großen Händen unseres Vaters, des Heilandes von alters her. Sag' dem Doktorfreund, er solle nicht erschrecken. Wo das Vertrauen auf dem festen Grund des Glaubens steht, eben da geschieht stets Gottes Wille.

5. Mag es manchmal anders anzusehen sein, mögt ihr bangen und euch sorgen, weil die Weltlichen die Lichtgesandten auszurotten suchen. Für alle steht auf GOTTES Grund: bloß zeitlich darf die Finsternis ihr Wesen treiben, als ob sie ganz allein die Mächtige auf dieser Erde sei. O nein, nie besitzt die Finsternis die Macht! Es gibt eine hocherhabene Schöpfermacht im Feuer Seiner Herrlichkeit, und diese läßt es zu, führt es so, daß die Hölle wirkt, um ihre armen Kräfte dadurch, zu verlieren.

6. Gib deinen Lieben Gottes Wort der Gnade, ich darf dich führen und ist meine Himmelsfreude, weil du mir willig folgst. Du spürst es selber nicht, es ist dir wie ein Drang, das zu tun, zu reden, als käme es aus dir. Dennoch weißt du es: des lieben Vaters Gnade ist es allezeit. Er segnet dich und deine Lieben'."

7. Jäh hält Beate inne. "Wie kommt es, daß ich wiederholen kann, was 'er' zu mir sprach?"

- "Das weiß ich nicht, außer, wir stehen unter einem Gnadenbogen, wie nie erfunden ward. Oder ‒? Freund Sinkmann predigte einmal vom 'Bogen', den der Herr nach jener großen Flut zum Himmel hob (1.Mo. 9,13). Als Symbol zeigt sich ein Regenbogen. So ‒ vielleicht ‒" sinnt Strauber leise weiter, "offenbart sich Gott der Herr, immer dann und wann, dennoch wohl zu jeder Zeit. Er ist allgegenwärtig, wir Menschen merken es nur nicht."

8. Da ist es beiden, als flöge durch den kargen Raum ein Licht. Sie stehn am Lager, der große Mann, das Kind, sehen auf die vom Frieden Eingehüllte nieder. "Endlich hat sie ausgelitten; es ist ein Wunder Gottes", glaubensvoll gesagt. "Nach menschlichem Ermessen hätte sie noch lange leiden müssen. Ich weiß es ja, wie solch ein Wurm", er meint den Brand, "die Eingeweide frißt (eine Art Krebs), bis das Herz von selber stehen bleibt.

9. Nun ist sie erlöst und…"

- "…selig heimgekehrt in ihres Vaters Haus", ergänzt Beate.

- "Durch dich, mein Kind! Ich kann es gar nicht fassen; es ist der erste Fall, der mir so begegnet ist. Bei manchen Kranken legtest du die Hand auf eine heiße Stirn, auf schmerzende Gelenke, daß die Leute zu mir sagten: 'Ihr habt mir geholfen.' Sie dachten an die Salbe oder an den Tee und war es für uns beide gut, weil sie an die äußerliche Hilfe glaubten.

10. Du hast es selbst erfahren, wie abergläubig viele Menschen sind. Leider! Das ist nicht ihre Schuld. Man hat das Volk absichtlich in die Niedrigkeit gedrängt. Wenige konnten sich daraus befreien. Ein solcher ist dein lieber Vater. Nun, er stammte wohl aus einem hohen Haus, worin Einsicht, Glaube, wahre Liebetat regierten. Immerhin ‒ selber hat er sich herausgewunden; denn nach dem Verlust des Vaterhauses war er auch ein Armer unter Armen.

11. Wir dürfen uns nichts merken lassen, Beate, und von dir kann ich das Wort verlangen: verschweige deine Gabe! Wo nötig, laß mich für dich reden. Ich will meine kleine Helferin doch nicht verlieren!" 'An den Moloch dieser Welt,' fügt er in Gedanken an.

- "Doktor…", beinah wie fröhlich leuchten jetzt die hellen Kinderaugen, "…ich kann doch gar nichts tun? Segnet uns der Herr, gibt ER uns ein, was zu tun, zu lassen ist, so sind es SEINE Hände, die uns führen, SEINE Worte, die zu uns kommen, die wir weitergeben dürfen. Alles kommt allein aus Seinem Licht."

12. "O teures Kind!" Strauber drückt es fest an seine Brust, schließt dann die müdgebrochenen Augen, deckt über sie ein Tuch. "Ich bringe dich nach Hause, dann hole ich die Totenfrau; es ist besser, wenn die Tote gleich zu Grabe kommt." Er verschweigt, daß diese schon verwest. Daraus könnten üble Dünste auf Gesunde kommen.

13. Auch er, der brave Arzt, hat eine wunderbare Führung, er glaubt es für sich aber nicht. Gemerkt ‒ ja, wähnt sich unwürdig der direkten Gotteshand, hat recht lang gebraucht, bis er wirklich gläubig ward, wie der Pfarrer, Meurer und das Kind! Solch Gedanken gehen in ihm um, als er, nachdem Beate wohlbehalten heimgekommen ist, die Totenfrau zum Hüttenlager bringt.

*

14. Unwirsch wehrt sie ab, als Strauber ihr ein Tuch über Mund und Nase bindet, ehe sie ans Lager treten. "Das hab ich gern", faucht sie hinter ihrem festgebundenen Tuch. "Mir sind die Toten Freunde, Doktor, merkt euch das!"

- "Gut gemerkt, Höckerin", so nannte man die Totenfrau, die an einem Grab sich eine Weile betend niederhockte. Die sprach stets für sich: 'Nun hab ich dir, liebe Seele, auf der Welt dein letztes Bett gemacht, dich zu Grab geleitet; ich wünsch' dir eine frohe Hinnefahrt (Himmelfahrt).'

15. "Hör zu", spricht Strauber, "das Weiblein hatte einen bösen Brand und ist gut, das Herz versagte. Der Körper ist schon am Verwesen. Atmest du da etwas ein, kann die Krankheit dich befallen. Ich rate dir, tue stets ein Tüchlein um, unsere lieben Toten legen dir es freundlich aus."

- "Denkt ihr?" Sie sieht den Doktor zweifelnd an, danach die zugedeckte Leiche.

16. "Laß den Kasten (Sarg) bringen, legt sie zugedeckt hinein. Weil die Arme niemand nahestehen hat, ist es besser, man trägt sie fort. Gehab' dich wohl, Höckerin." Er steckt ihr eine Münze zu, das sogenannte Leichengeld, das ansonst Anverwandte geben.

- "Ihr seid immer freundlich", dankt die Frau, "obendrein die Münze." Sie läßt sie in die Tasche ihres dunklen Rockes fallen.

17. Strauber sucht zuerst den Pfarrer auf. Ihm berichtet er, was sich zugetragen hat. Tief berührt aber nicht erstaunt, hört dieser zu. Ein feines Lächeln huscht ihm über das Gesicht. "Unsere Beate, unser Kind", sagt er. "Ja, sie ist wahrlich 'unser Kind' geworden. Habt gut geholfen! Das darf niemand wissen außer den Vertrauten, welche Gabe uns geworden ist. Ziehst die Augenbrauen hoch, lieber Pillenmann, von wegen 'uns'?

18. Wir haben durch Beate das Segensheil empfangen. Hat der Herrgott nicht uns allesamt den Weg gewiesen und uns die neue Heimat finden lassen?"

- "Habt recht, seid auch Pfarrer! Doch extra ist auch euch zu danken. Denke ich ans Moor zurück, und wie ihr Nacht für Nacht den weiten Weg bewältigt habt ‒ oh! Ein hochgeachteter Mann, ein Kind, beide brachten uns die Hilfe.

19. Wäre es allein das Mädel, wer von uns hätte acht darauf gehabt? Du liebe Zeit: 'kindliches Geträume!' So hätte man es abgetan. Denke aber jetzt ans Heilandsbild: Er rief die Kindlein zu Sich hin. Nun ist über euch der Beweis gekommen, was für uns große Leute heilsam war. Oder nicht?"

- "Das mag gelten. In unserer ach so schweren Zeit muß man auf alles doppelt achten, was verbreitet wird: Wahrheit und ‒ viel Lüge, viel Betrug."

20. Beide Männer seufzen. "Wollen Schöber unterrichten, damit nicht was Falsches ausgetragen wird. Ihr seid beim kranken Weib gewesen; nun sie plötzlich starb, dazu im Beisein von Beate ‒ erst kürzlich hörte ich mal um die Ecke ‒ wollte in die Hegegasse, drei Weiber und zwei Männer tuscheln: 'Manches geht hier nicht mit rechten Dingen zu. Der Doktor hilft zwar wie und wo er kann, aber weshalb nimmt er oft das Mädel mit? Das sieht gar so…' Weiteres konnte ich nicht hören, die Tratschen gingen fort. Auf dem Fuße folgen konnte ich ja nicht; hätte es zu gern getan." Grimmig sieht der sonst gute Pfarrer drein. .

21. Strauber ballt die Fäuste: "Wißt ihr, wer die waren?"

‒ "Höchstens jene mit der grellen Stimme; höre sie im Kirchenstuhl, wenn sie betet. Brüstet sich als fromme Frau." ‒ "Hach, das sind gewiß die Frömmsten, an denen unser Herrgott zweifelhafte Freude haben mag!" ‒ "Die hab' ich auch!" Sinkmann setzt sich nieder, schenkt in zwei Becher einen Wein, der hierzulande besser ist als im verlorenen Zuhause. "Trinkt, Doktor, manchmal muß man sich den Ärger 'runterspülen."

22. "Ärgern sich auch fromme Pfarrer?" Beide Männer spülen sich den Ärger in die Kehle.

- "Doktor, ich denke oft: Herr, wie mußt Du Dich wohl über Deine Menschen ärgern. Gibst ihnen so viel unentwegten Segen. Jedes Jahr Frühling, Sommer, Herbst und Winter, und hat jede Zeit ihr Privileg. Die bunte Flur erfreut das Auge, Ernten bringen Nahrung und Genuß. Trotz Mißstand geht die Menschheit vorwärts; neben Gutem, was erfunden wird, leider leider viel mehr Arges. Wie das einmal enden wird ‒ ‒?"

23. "Darauf findet keiner eine Antwort, weil 'man' gar nicht an das Ende denkt. Der einzelne nicht an seinen Tod, hab' es freilich aus dem Glauben, durch euch, Pfarrer, und durch unser Kind gelernt. Hm, sage auch gern 'unser Kind', daß ich mich befrage: wie wird deine Heimfahrt sein? Doch das ganze Menschenvolk? Freund Sinkmann, man ahnt es: das fährt insgesamt in seine Hölle, in die selbstgebaute! Nennt man chaotischen Untergang."

24. Lange schweigt der Pfarrer. Wie ist sein Gemüt beschwert; er hat manches Bild gesehen, im Traum, in Wirklichkeit, und hatte an den Patmos-Seher denken müssen. Erst kürzlich hat er eine kleine Teilschrift zugeschickt bekommen, die hat sicher Luther übersetzt. Was darin steht ‒ 'O Gott, erbarm Dich Deiner Menschenkinder, wenn einst Deine Schwerter-Engel niederfahren!'

25. "Wie ist's, ob wir beide, Meurer und Schöber uns zusammensetzen? Der Stadtmann wird schon seine Leutchen kennen und die Kreischende zu fassen wissen. Noch sind wir hier wie abgeschirmt; doch habe ich ein komisches Gefühl, etwa so: Die Herde ist auf einer Weide, heutzutage muß man sie hier freundlich nennen im Gegensatz zu anderen Gebieten. Na, zitiere wieder einmal eure Predigt: das Paradies, herrlich, außen schleicht die Schlange hin und her, wie sie sich Eingang schaffen könne. Wenn nur die dunklen Kuttenmänner uns nicht überfallen, ist meine große Sorge."

26. ‒ "Meine auch, Doktor! Mir ward heimlich zugetragen: das ganze Dorf, aus dem Meurer und die anderen entkommen sind, ist längst verweht. Die Leute hat man alle umgebracht und waren ohne Schuld. Niemand hatte unsere Flucht erfahren. Sogar der Huber samt Familie wurde nicht verschont. Es wird bereits gesagt, die Hohen von dem Kuttenorden hätten angeschafft, zum Norden aufzubrechen, um das ‒ wörtlich ‒ verdammte Lutherland mit Pech und Schwefel auszurotten, schon wegen Worms."

27. Da sitzen sie, die treuen Männer, Angst im Herzen; nicht zuerst für sich, obwohl sie auch betroffen sind. Ach, für allesamt, für die Freunde, die lieben Glaubensleute, für das ganze liebe Land. Es hat schöne Dörfer, traute Städte, treue Menschen, die echt an Gottes Vaterliebe glauben. Ja, da mag man denken, daß schon bald ein Engel des Gerichts herniederfährt. Wen wird er treffen? Bloß die Argen? Eine Frage an das Schicksal; denn sie an GOTT zu stellen ‒ frevelhaft, denkt der Pfarrer.

28. "Heute abend, bei Schöber." Mehr sagt Strauber nicht, gibt dem Pfarrherrn eine Hand, zwingt in seine Augen einen glaubensvollen Schein, der nicht in seinem Herzen wohnt. Genauso kommt der Blick zurück. "Ich suche Meurer auf. Wir Männer treffen uns; mag unsere Frauen nicht beschweren, noch nicht."

- "Ganz meine Meinung", sagt der Arzt und geht bekümmert fort.

*

29. Er erzählt am Abend, sachlich, eindrucksvoll. Außer Sinkmann, der die Sache kennt, halten sich der Bauer und der Stadtmann erst zurück. Man muß das erst verdauen; hier zumal der Vater, der sein Kind gefährdet sieht. Es kommt schon nicht mehr darauf an, ob noch keine 'Kutten' hier zu sehen sind; jetzt weltliche Gerichte sind dabei, inquisitorisch vorzugehen. Dann ist Beate eine 'Hexe'; wer mit ihr verbunden ist, fällt samt und sonders in den Teufelskreis, wie man dies nennt.

30. Schöber beruhigt den Bedrückten. "Sei nicht zu bang; kenne ja die Tratsche. Die soll mich kennenlernen! Die 'saß' schon mal paar Tage; nur mit Verwarnung. Ich werde …"

- "Bitte…", fällt der Pfarrer ein, "…keine körperliche Strafe! Wir wollen uns nicht auf den Stand der Finsterlinge stellen. Es würde zu viel böses Blut erweckt, und wir Protestanten müßten drunter leiden, nicht zuletzt die Frauen und die Kinder."

31. "Was erregt ihr euch? Oh, das hätte ich niemals getan! Bin sogar dagegen, irgend jemand anzuprangern. Diesmal möchte ich es tun, nur nicht ohne Schutz von ein paar Knechten. Man soll das Weib bloß aus der Ferne sehen, man darf sie nicht berühren noch bewerfen, wie es leider üblich ist. Würde sie bloß eingesperrt, das hülfe bei der nichts! Wird sie einmal öffentlich 'gestellt', da mag es sein, daß sie in Zukunft ihre Zunge hält."

32. Meurer und der Arzt geben schweren Herzens nach, es könnte wirklich helfen.

- Sinkmann sieht beklommen drein. Freilich, ein Exempel könnte mal nicht schaden. Wird aber hinter Tür und Riegel nicht geschwatzt? Man zähmt eher einen Löwen als solche Zunge. Das sagt er auch, und man gibt ihm recht.

33. "Bleibt der Sache fern", mahnt Schöber. "Ich bringe es im Rathaus vor, wenn der Bauherr, überdies…", fügt er ein, "…ist er mit Berthold sehr zufrieden. Er wundert sich, wie du als Bauer so schnell in die Arbeit kamst, also: wenn der Bauherr, der Gemeindeschreiber und der geistliche Gerichtsherr mit am Tische sitzen.

34. Letzterer ist ein patenter Mann. Ihr kennt ihn ja. Ihm gilt sein Titel, den man ihm verliehen hat, so gut wie nichts. Zu euch gesagt: er ist ein 'Lutherer', wie er sich selber nennt. Bloß öffentlich darf es keiner wissen, weil er sonst nicht helfen kann, wie er immer gerne möchte."

35. "Wann soll das sein?"

- "Schon morgen; je eher ausgekocht, um so besser ist das Resultat. Alsdann können so die Schwätzer nicht mehr lange wühlen. Ich gebe euch Bescheid; wenn öffentlich, laßt keine Frau, kein Kind zum Markt."

- "Dafür sorge ich", verspricht Meurer. "Möge die Aktion im Guten enden."

- "Hoff' ich stark. Jetzt noch ein kleiner Trunk, dann geht nach Hause. Es ist nicht spät, kann daher niemand spionieren."

36. "Verzeih, Freund, laßt mich bitte gehen." Sinkmann steht auf. "Es ist nicht gegen euch gemünzt, nicht gegen das, was ihr zu tun gedenkt. Mich treibt es heim. Beate spürt genau, wenn was Ungutes in Erscheinung tritt; sie soll nicht ängstlich werden. Berthold, bleib du da, kommst später nach."

37. Zwar wird der Pfarrherr nicht gern fortgelassen; allein wie oft hat man erkannt, wie gut sein Handeln war, beim Gehen oder Bleiben. Er darf offen predigen. Die Freunde wundern sich, wie geschickt er beide Lehren bestens zu vertreten weiß: die katholische so wie die evangelische. Das kommt daher, weil es für ihn nur eine Lehre gibt, eine Wahrheit: das WORT GOTTES!

*

38. Ist es Gottes Sache, weil die Kirche, die ihm zugewiesen worden war, keine freien Plätze hat, oft viele Leute in den Gängen stehen müssen und keiner fragt: 'Wer ist mein Nächster, Freund oder Feind, katholisch oder evangelisch?' Herz, jauchze und danke deinem Herrn; denn Er ist freundlich, und seine Güte währet ewig! Das steht in Seinem Plan, was hier geschieht. Er segnet alle Kinder. Er fragt nicht nach äußerlicher Norm. Ja, Er fragt:

39. "Bist du willig, liebes Kind? Liebst du Mich, Meine Lehre, Mein Gebot? Und hilfst du jederzeit dem Nächsten, so gut du es vermagst? Sprichst du gegen niemand irgendwelche argen Worte? Willst du Mir alles sagen, deine Sünden oder was dein Herz beschwert? Öffnest du Mir deine Türe, daß Ich Wohnung nehmen kann, ohne Mich zu wenden, wenn du Mir nicht wohlgefällst? Kannst du dich hingegen beugen, bis du nichts mehr bist als ein winzig kleiner Funke Meines Lichtes, Meines Geistes hoher Herrschaftslohe?!

40. Sieh, Mein Kind, ICH frage dich und du sollst schweigen. Oh, der Mensch stellt an Mich tausend Fragen und noch mehr. Er wartet gar nicht ab, ob Ich eine Antwort gebe. Seine Fragen sind oft Klagen, Anklagen wider Meine Gnadenhand, die jedes Kind zu führen weiß, und zwar so, wie es zum Heil der Seele ist!"

41. "Herr, o Gott, wo kommt die Stimme her?" Sinkmann sitzt allein in seinem Stübchen. Berthold Meurer ging zu seinen Freunden, um ihnen einen Wink zu geben. Helene und die Kinder lesen hinterm Haus das Fallobst auf. "Vater, lieber Vater, hast Du mich gemeint? Gelten Deine Fragen mir? Muß ich mich noch vielmals wenden, ehe ich einmal Dein hehres Antlitz sehen darf? Wann ‒ ich weiß es nicht und hiernach will ich gar nicht fragen.

42. Oh, sieh, vergib, nun hab' ich Fragen vorgebracht und hast es mich so deutlich wissen lassen: nicht wir sollen fragen; demütig ist zu warten, bis Du Dich in Deinen Herrlichkeiten offenbarst. Getreuer Gott, Heiland der Verlorenen, Vater Deiner Kinder! Hilf mir bitte, bis ich werde, bis ich Dir wohlgefällig bin. Nichts anderes will ich erbitten als die Gnade, um im Dienst zu Dir zu helfen, auch so gut, als mir es immer möglich ist.

43. Das Menschliche, o Heiliger, es hinkt meist hinterdrein. Ja, der Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach (Matt. 26,41). Doch DU gabst jedem Kinde einen Funken aus dem Geist der Gnade; so hast Du uns an Dich gebunden: wir sind Dein!" Und wieder hört er neben sich das wunderbare Säuseln, eine Stimme, die die Welt nicht kennt, noch hat; und ist wie Windesbrausen, das finstere Gewitterwolken von dem Himmel treibt.

44. "Halte Meine Fragen fest und predige davon. Das Gemüt muß wachgerüttelt werden, das Herz erstarken; denn wenn die schwarzen Stürme kommen ‒ ja, bringe Mir jetzt keine Sachen vor, ihr hättet schon viel Sturm erlebt ‒‚ dann schweiget mit dem Munde, laßt die Hände dienen, und die Liebe soll Regentin sein!

45. Weise immer auf Mein Heilandsleben hin, und was Ich zuvor getan als allmachtsvoller Schöpfer-Gott, was Ich noch tue, wenn die große Hilfe nötig ist. Meine Hilfe ist zwar immer groß, dessen sei gewiß, Mein Sohn. Aber wie sie angesehen wird, darauf kommt es an. Groß und viel sind Meine Werke, ohne Anfang, ohne Ende, wie ewig Meine Güte ist (Ps. 104,24)! In diese habe Ich Mein Kindervolk beschlossen, eines wie das andere!

46. Manche stellten sich zwar selber aus der Gnadengrenze, allein: Keine Ferne ist so fern, als daß sie nicht in Meiner Nähe wäre! Noch geht dir manches durch den Sinn. Keine Sorge: suchende Gedanken können Fragen sein, berechtigt vorgebracht, und sei gewiß, Mein Sohn: die erfreuen Mich, weil sie gern auf Antwort horchen, und ob Mein Geist der Antwortgeber sei. Das stimmt!

47. Weil Ich erst die Fragen als nicht gut bezeichnet habe, jetzt Mir wohlgefällig sind, da überlege dir, ob es keine Unterschiede gibt. Kannst du Mir eine Antwort geben, so wird sich's zeigen, wie weit du auf der Himmelsleiter hochgestiegen bist. Du meinst, du stündest auf den untersten der Sprossen und wäre vielleicht gut für dich. In Hinsicht echter Kindesdemut, die nicht unterwürfig ist, gilt dein Gedanke und ist von Mir gesegnet.

48. Gut ist, sich auf dem unteren Teil der Lichtleiter zu befinden, so auch etwa erst am Anfang eines Weges, der zum hochgesetzten Ziele führt. Das seh' Ich wohlgefällig an und hebe jedem solchen Kinde seinen Anteil auf, der ‒ mit Meinen Vateraugen angesehen ‒ mehr ergibt, als was ein Sohn, eine Tochter von sich denkt. Nun zeige, ob sich mit suchenden Gedanken gleichfalls die Verbindung zwischen Mir und dir ergibt."

49. Wieder ist's die heiligernste Stille, voller Himmelsfreude, als würde er, der arme Pfarrer, nicht mehr auf der Erde sein. Hm, soll er reden, soll er bloß denken? Hört er aber ach die gute Stimme, könnte er da nicht auch sprechen, als ob er seinem Schöpfer-Vater gegenübersteht? Er weiß nur nicht: sind es laute Worte, kommt es leise von den Lippen und kann doch mächtig sein, als ob es von der tiefen Welt zur höchsten Höhe Gottes dringt ‒?

50. "O hochgeliebter Vater der Barmherzigkeit, wenn ich bedenke, wie Du uns, mich, aus größter Not errettet hast und nun väterlich zu mir gekommen bist, zu mir Sünder, der ich vieles gutzumachen habe, schier möchte mir mein Herz zerbrechen, daß ich stille steh vor Deiner Heiligkeit! Du hast ewig recht, wenn Du die Fragen Deiner abgeirrten Kinder unzuträglich nennst. Aber könnte man nicht Fragen stellen, um Deine Lehre zu erhalten? Es gibt für uns Menschen viele dunkle Rätsel, die nicht zu lösen sind, außer, DU gibst darauf die Antwort und vielleicht insoweit etwa nur, als wir Menschen das verstehen lernen: zu schauen, zu erkennen, soweit es uns auf unserem Wanderwege dienlich ist."

51. "Gut bedacht! Traurig, dürften Meine Kinder Mich nichts fragen, weil Ich der Allmächtige, der Schöpfer aller Werke bin! Wer nichts erfragt, der lernt auch nichts. In Meiner Ewigkeit, verbunden mit der Kinder Wanderwege, gibt es viel zu lernen, damit jedes selig und beglückt im Empyreum leben kann. Ist der Weg durch die Materie versunken, gibt es noch viel aufzunehmen. Denke drüber nach, ob die höchste Freude nicht gerade darin liegt, von den Herrlichkeiten Meines Wortes, von all dem zu erfahren, was Ich für Meine Kinder vorbereitet habe und ‒ aufbewahrt zu jener Zeit, wann dies gegeben werden soll. Also frage, und Ich gebe Dir die Antwort."

52. "Das ist zuviel der Gnade! Ich sehe mich nur als ein Würmlein an, zu Deinen Füßen liegend und …"

- "Halte ein, sonst bist du in der Tat ein Wurm. Doch auch diese habe Ich zum Dienst erschaffen, wie es dir noch nicht erkenntlich ist. Das überlasse aber nun jetzt Mir und sei ein Sohn, was Mir ewig lieber ist. Oder nicht?"

53. "O Vater, die Worte fehlen mir, um Dir zu danken, daß es Dir zum Wohlgefallen sei. Nun darf ich fragen, mein Herz ist weit, aufzunehmen, was Du mich lehren wirst. Zuerst: was bedeutet 'Empyreum'? Habe dieses Wort noch nie gehört, möchte aber meinen, daß in ihm viel Herrliches enthalten ist. Und eine schwere Frage: kaum getraue ich sie Dir zu stellen. Sie hat mich oft bedrückt, weil mir keine Klarheit werden wollte."

54. "Weil du aus dir selber finden wolltest! Ist zwar nicht falsch, duck' dich nicht, es war keine Rüge. Selber suchen und somit finden kann ebenso durch Meine Lehre gehen, wie wenn man Mich befragt und ICH gebe ihm die Antwort. Wer im Aufblick zu Mir sucht, der tut gut und er wird finden. Das Lichtwort 'Empyreum' brauchst du dir nicht unbedingt zu merken. Bist du einmal heimgekehrt, wirst du bestens wissen, was damit verbunden ist, nämlich: Meines Lichtes Gnadenplatz für alle Kinder, ausnahmslos, wenn einst das Letzte seinen Heimweg gehen konnte. Nenne es noch Lichtgefilde und weißt du dann, was es für Bewandtnis mit dem Namen hat."

55. "Das ist wunderbar, bin schon voraus getröstet, wenn meine andere Frage eine von den unangebrachten ist. Ach guter Vater, wir dürfen ja mit allem zu Dir kommen; was uns frommt, das gibst Du uns. Wozu uns noch die Reife fehlt, breitest Du das 'Tuch der Zukunft' aus, und dann fließt hervor, wann und was Du für gut ersiehst, stets zum Segen und zum Heil. Nun das Bittere:

56. Du hast Deine Werke wunderherrlich hergestellt, nichts ist daran mangelhaft. Herr, Du machst keine Fehler! Als Heiland hast Du es gesagt: wir, auf dem Erdenweg begriffen, sollen 'werden', in jener Angleichung, wie 'vollkommen der Vater ist'! Ist er, also Du, vollkommen, warum sind die Menschen böse, ohne Glauben, martern Mensch und Tier? Und die Großen, Reichen, frönen ihren Leidenschaften? Du hattest jedem Kinde, also auch den Menschen, aus Deinem Geiste einen Anteil hergeschenkt, und Dein Geist ist ewig gut!

57. Ob nun bloß ein Fünkchen ‒ es ist Geist und ‒ gut, weil in Deinem Gnadengeiste alles gut, vollkommen ist. Und nun ‒  nun dieses Böse sondergleichen 'im Namen Gottes' angesagt. Dein Hoheitszeichen der Erlöserliebe heben sie empor und sehen zu, wie arme Leute fürchterlich zugrunde gehn! O Herr, vergib, da komme ich nicht mit!" Ein Schluchzen schüttelt Sinkmann, kaum hörbar, weil der ganze Dialog in lichtgeheimnisvoller Weise vor sich geht. Aber welche Seligkeit bereits auf Erden…: Gottes väterliche Hand liegt auf dem gebeugten Haupt und ist Seine Kraft, die den Menschen in die Höhe richtet. Dazu das Wort:

58. "Sohn, glaube an das ewige Vollkommene Deines Vaters und Seiner Werke, wobei an erster Stelle Seine Kindgeschöpfe stehn. Du hast das verwechselt: ward ein Kind aus der Vollkommenheit des Schöpfers ausgeboren und es wäre nicht mehr wandlungsfähig, brauchte nicht zu sein, oder gehen mit der rein geschöpflichen Vollendung andere Dinge mit einher?

59. Zuerst gab Ich die eigenen Entwicklungsmöglichkeiten bei, ohne welche höchste Seligkeit nie zu erlangen ist, weil der Begriff des Seligkeits-Empfindens den Kindgeschöpfen innewohnt. Die 'gebende Seligkeit' geht vom Schöpfer-Vater aus. Das zweite Beigegebene ist die Freiheit. Die habe Ich aus Meinem Herrschaftswillen, Letzterer die ewiglich alleinige Schöpfer-Freiheit, auch im Anteil Meinen Kindern einverleibt. Denn sieh:

60. Geschöpfe schaffen, die weder vor- noch rückwärts gehen können, also rein schöpferisch Gebundene wären, sag‘ Mir an: welche Freude hätte ICH an solchem Werk?! Ich brauchte Mich hier Selber vor Mir anzusehen und Ich hätte, was in Meiner Macht verankert ruht! Sollte Ich Mir keine Freude schaffen, selbst wenn dabei ein Abweg bei den Freigeborenen möglich ward? Ja, Mir die Freude, euch die Seligkeit, Ausgleich Meiner Macht, Kraft, Gewalt und Stärke!

61. Der Mensch wird es nie voll begreifen, wie nebst geschöpflicher Vollendung das pur Eigene der Kinder so tief zu Falle kam. Jedoch weißt du schon: es hängt mit dem erstgeborenen Kind zusammen, mit dessen Fall, dem das Eigene viel höher stand als ein 'Weg mit Mir'! Ein Gang für sich, trotzdem unter Meiner Gnadenhand!

62. Halte auseinander: das Geschöpfliche, besser zu verstehen als das 'Äußere' der Kinder, der Menschen, ist und bleibt gut, unabhängig davon, wenn jemand sich durch wüstes Leben selber viel von Meinem ihm verliehenen Edelgut zerstört. Das 'Innere', das Leben als den erhaltenen Geist mitsamt der Seele, ist an die Wandlungsfähigkeit geheftet, weil auf solche Weise jedes Kind zur Seligkeit gelangt und Ich, Sohn, zu Meiner Schöpfer-Vater-Freude!"

63. Sinkmann ist benommen und hat doch ein überirdisch herrlichstes Gefühl, das rieselnd über seinen Körper rinnt, trotz der fragenden Gedanken und er darf sie äußern. "Dank Dir, Himmelsvater, weil ich ein Letztes Dir noch sagen darf. Ist das Äußere des Lebens gut und richtig, weil Du Deine Dinge gut und richtig machst, warum ist denn das Innere, Geist, Seele oder auch Empfinden, nicht vollendet? Von heiliger Vollkommenheit, Dir allein zu eigen, will und darf ich da nicht sprechen.

64. Sind Geist und Seele, also das ‚geistige Lebensherz‘ aus Dir uns überkommen, dann müßten diese doch weit höher stehen als das Äußere, Vergängliche des Körpers, den Du 'das Geschöpfliche' nennst. In Hinsicht jenes ersten Kindes, über das Du mich belehrtest, müßte doch das Innere ganz im Vorrang gut vollendet sein, und das Äußere der Entwicklung unterworfen. Ist das erste so tief abgestürzt, unverständlich, weil du ihm zuerst aus Deiner heiligen Vollkommenheit das Leben gabst, frage ich nochmals zurück: Ewiger, Dir unterkommt in keinem Werk ein Fehler, weder einst noch später, weder bei dem ersten noch beim letzten Kind?"

65. "Dein Gedankengang ist gut, wenn er auch nicht jenen Hochstand hat, der im Reiche gilt und bei einer Heimkehr wieder zu erlangen ist. Immerhin ‒ wie bei jedem Anteil aller Gaben ist hier Erkenntnis einzuheimsen; und dieser, Sohn, stehst du schon sehr nahe. Merke wieder auf, halte Dinge auseinander, zwar auf einem Boden stehend, die ICH für jedes Kind einheitlich geschaffen habe, die aber zur Benutzung freigegeben worden sind, auch da in einer Wiederholung: Mir zur Freude, euch zur Seligkeit!

66. Geschöpfliches Vollendet betrifft das ganze Kind: Geist, Seele, Lebensherz, Gemüt, und das Äußere, was die Gestalt betrifft, ob im Lichte lebend, vor und nach einem Beihilfsweg durch die Materie, ob als Mensch auf dieser Welt und anderen Stationen, zur Grunderlösung hergestellt. Von Mir! Dabei frage Ich einmal zurück und wirst du Mir wohl eine rechte Antwort geben?"

67. "Herr, das bringe ich nie fertig! Du, o wenn DU fragst, betrifft es Deine Tiefe, und wie sollte ich die denn ergründen können? Und gilt es, Deine Höhe zu erklimmen ‒ wird kein Kind hinaufgelangen. Daher bliebe eine Antwort immer mangelhaft. Nun, vielleicht dient Dir in Deiner unfaßbaren Güte auch ein Mangelwort zur Freude, wenn es aus des Herzens Demut kommt."

68. "Der Sohn klettert während einer Erdenstunde gut hinauf, Mir zur Freude; es reicht dein ‚Mangelwort‘ zur Tiefe und zur Höhe, gut im Kindesmaß. Wähnst du, Ich erwarte, daß du bis ins Letzte dringen kannst? Ist gar nicht angebracht. Wie Mein urgeheimes Licht, genau so bleibt das Erste und das Letzte einer jeden Schöpfung, jedweden Schaffenstages Mir allein zu eigen und genügt dies sogar für des Lichtes Große, wenn sie deren Ränder noch ein wenig aus der Ferne schauen und erkennen. Nun also:

69. Zweimal sagtest du, Ich würde niemals einen Fehler machen, weder bei der Erstgeburt der Kinder, noch bei irgendwelchem Werk. Tiefst innerlich bist du davon überzeugt. In Hinsicht der Materie, sagen wir: der abgesunkenen Menschheit, bist du nicht ganz schlüssig; ob irgendwie und wo ‒ Du hebst die Hand, abwehrend, niemals würdest du das denken oder glauben wollen; bloß das Ungewisse ist's, was dir zu schaffen macht. Sehen wir uns Meine Lehre näher an.

70. Alles ist vollendet in sich selbst, dennoch wandlungsfähig, sonst blieben Kindlein so, wie sie aus der Mutter Schoß geboren werden. Und so richtig gäbe es auch keine großen Mütter, weil die auch einmal geboren worden sind. Ein Vollendetsein jedweder Schaffung bezieht sich stets auf das von MIR Gegebene. Das Vollendet fließt aus Mir, aus Meiner UR-Vollkommenheit.

71. Die Wandlungsfähigkeit des Innenlebens ist der Gipfel der Vollendung, des Kindes Lebensziel für sich gemeint. Ziele zu erreichen sind Inbegriff der Seligkeit, wozu das aus Mir gegebene Vollendet für Geist, Seele, Lebensherz und Gemüt dem Kind den größten Dienst erweist, auch auf dem Fortgang jeder Lebensäußerung.

72. Ferner, um dir die Antwort leicht zu machen, ist eine Wandlung keine noch so kleinste von Mir vorgesehene Bedingung, kein starres 'Muß-Gesetz'. Auf dem Boden festgefügter Freiheit äußert sich das Leben, somit die demselben zugeteilte Änderung des Vorwärts. Ein Rückwärts kommt bloß vom Geschöpf, nie von Meinen Gaben!

73. Eines sei dir noch gesagt, wenn du es in menschlicher Erkenntnis auch nicht voll begreifst; doch geistig wirst du spüren, was Mein Wort bedeutet ‒ für das ganze Schöpfungs-Tage-Werk. Sieh', in Meiner UR Vollkommenheit gibt es weder ein Hinauf, noch ein Hinab, nichts in eine Ferne gehend, weil Tiefe, Höhe, Weite ursächliche Begriffe Meiner für die Kinder heilsgewohnten NÄHE sind. Nun aufgemerkt und nicht falsch ausgelegt:

74. Auch die Vollkommenheit muß ein Vorwärts haben, sonst stünde sie ja in sich selber still. Stillstand ist Rückgang!! Daß es diesen bei MIR ewiglich nicht gibt, brauche Ich dich nicht zu lehren! Mein Vorwärts ist nie zu erkennen, an Mir zu spüren. Es ist ewig nicht für Mich primär, an erster Stelle stehend; es ist ein Segensstrom für Meine Kinder, dessen Unermeßlichkeiten für sie unermeßlich sind. Ihr Vor- und Aufwärts liegt im Strom hineingebettet, mit ihm verbunden für die Werke, die Ich nicht Meinetwegen schuf, für Mich nicht zu schaffen brauchte, weil jeder Grundgedanke, jederlei von Macht- und Kraftessenz ICH SELBER bin!

75. Hierin liegt die Wurzel, wie Ich alle Dinge aus dem Innenkern des urmachtmäßigen Lichtes hatte hergestellt und werden ließ. Und wenn Ich sage: ganz bestimmt zuerst zu Meinem Schöpferjubel, Mich an dem Geschaffenen erfreuend, im Glanz von Jahrmillionen Werken, so ging doch der zweite Grundzug, dem ersten angepaßt, für das Kindervolk einher. Für dieses hatte Ich das Schönste, Beste Meiner Heiligkeit entnommen; und wollte Ich Mich an dem Kinderwerk erfreuen, so sollte für es aus Meiner eigenen Vollkommenheit die Vollendungsmöglichkeit gegeben sein, und zwar auf der Entwicklungsbahn kindgeschöpflicher Freiheitskraft.

76. Der Fortgang für die Kinder liegt urmäßig in dem Vorwärts Meiner Werke! Wie Ich zu ihrem Heil und Segen vorwärtsplane, schaffe, so im Abglanz ist's den Kindern möglich, ihr eigenes Voran zu haben. Weltlich, lieber Sohn, bist du nur der arme kleine Pfarrer, wie du dich zu meist benennst, ganz zu Recht; geistig bist du etwas anderes und genügt, wenn du das bei deiner Heimkehr wissen wirst.

77. Immerhin, die große Lehre, dir zuteil geworden, kann dein Geist verkraften, im Umriß bestens merken, und das ist genug, um deinen Freunden einen guten Anteil davon herzuschenken; denn sie sind Mir lieb und wert, sie haben sich Mir voll ergeben. ‒ Nun rede, es wird deine Antwort keine 'Mangelware' sein, wie du nebenher noch immer denkst, aus Sorge, Mir könnte sie nicht wohlgefällig sein. Viele Worte sind bei vielen Menschen weniger das 'gute Viel', für dich entlastend im voraus gesagt."

78. Ein befreiter Seufzer quillt aus des Mannes Brust; er hatte es bedacht, ob er auf die große Rede Gottes vieles sagen müßte; und das 'was' war ihm noch schleierhaft. Ihm kommt vor, obwohl er gar nichts sah, außer… Ach, ja, es war im Zimmer wie ein Schein, trotzdem es Abend wurde. Er muß sich sehr zusammennehmen, der Mensch Sinkmann, damit wenigstens die Stimme sicher wird. Denn zuerst ‒ ein Stottern bringt er fertig, weiter nichts, in welchem freilich all sein tiefster Dank, seine Anbetung, seine Liebe schwingen. Aus dem Gelernten sagt er nun, nachdem er sich gefestigt hat:

79. "Heilig-wunderbarer Gott und Vater, diese Gnadenstunde, die gar nicht auf die Welt gehört, die man allein im Himmel haben könnte, werde ich niemals vergessen. Ja, der 'Segensstrom', in den Du alle eingeschlossen hast, mich auch, wird mir helfen, mein Lebensherz Dir ganz zu übergeben."

- "Wenn Ich es nicht längstens hätte", wird Sinkmann freundlich unterbrochen.

- "Ja, o ja, Du hast es allezeit bewahrt, guter Vater-Gott; allezeit war es Deine Gnadenführung, daß ich's Dir bewahren konnte.

80. Ich brauche keine lange Rede; denn das herrliche 'Lang' gebührt Dir ewiglich allein. In unmeßbarer Ewigkeit, für die Kinder, bedarfst Du für Dich Selbst kein Aufwärts, kein Voraus noch Steigerung. Was in dieser Hinsicht auf Dich trifft, das ist gleichfalls bloß getan für Deine Kinder!

81. Niemals ist bei Deinem wunderhehren Schaffen irgendwas gewesen, was Du hättest wiederholen oder besser machen müssen! Nie kam mir in den Sinn, obgleich der Buchstabe der gegebenen Schrift (Bibel) es deuten will, Du hättest auch zwei Testamente hergestellt, weil es einmal heißt: «… ist Mein Blut des neuen Testamentes» (Matth. 26,28; Gal. 4,24), so würde denn Dein erstes Testament, das von Sinai, nicht mehr gelten. Ob das richtig ist? O Herr, deute es mir bitte aus. Ich denke freilich so:

82. Was Du einmal tust, wie es heißt: «… einmal eingegangen in das Heilige» (Hebr. 9,12), ist vollkommen aus Dir Selbst getan, bedarf keiner Neuerung oder Änderung, weil ein Erstes nicht gut geworden wäre. Das schöpfte ich aus jenem Wort: «Und siehe da, es war sehr gut» (1.Mo. 1,31). War es sehr gut, so brauchte nichts nochmal getan zu werden, es sei denn ‒ und das, Vater, hast DU mir eingegeben: Du sagst es Deiner Kinder wegen noch einmal, weil sie es auf ihrem Weg vergessen, nicht mehr achten, verunglimpfen, mit kargen Worten anders ausgedeutet haben, als es ewig aus DIR kam!

83. Noch die zwei Gebote Deiner Liebe: Als Heiland hast Du sie der Menschen wegen so gesagt: «Ein neu Gebot gebe Ich euch» (Joh. 13,34) und steht doch schon bei Mose, beide Teile (3,18; 6,5). Wenn das, dann hattest Du es ja den Jüngern, dem Volk und jedem, der das herrliche 'Zwei-Gebot' verloren, mißachtet hat, abermals enthüllt. Es sollte nicht vergessen sein.

84. Laß mich nunmehr schweigen, hochgeliebter Vater-Gott, damit ich dessen inne werde, was DU gepredigt hast, so viel, es reicht mir bis zu meiner letzten Ewigkeit, wenn es eine solche gibt. Allein danken, danken, davon mag mein Herz zu allen Zeiten überfließen, hin zu Dir, in Deine Hände, Herr, mein Gott, Amen."

85. Friedvoller Schlaf fällt auf den Gesegneten. Im Traum hört er noch ein Liebewort des Herrn: "Du bist ein guter Helfer und wirst es bleiben bis zum letzten deiner Erdentage. Mögen noch viel trübe Wellen dich umspülen. ‒ Über allen Wellen der Materie liegt Mein Licht, Meine Gnade und Mein Segen." Dieses Wort wird am anderen Morgen Sinkmann nicht bewußt, ist aber eine Sonderkraft, die ihn trägt und im Kommenden erhält.

 

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Kap. 14

- Das Erwachen – Eine Stimme aus dem Licht erklärt und tröstet durch Beate

Die beiden Priester denken nach

 

1. Sinkmann wacht am späten Morgen auf. Er muß sich lang besinnen, was in dieser Nacht geschah und wie er auf sein Lager kam. Dazu im Taggewand. Neben ihm sitzt Beate strahlenden Gesichts, daß er sich verwundern muß, obwohl sie niemals trüb gewesen ist, außer, wenn die Sorge allesamt betraf. Flugs steht sie auf und bittet: "Bleibt liegen, unser Doktor will euch untersuchen."

- "Das ist …" doch gar nicht nötig, will er widersprechen.

2. Schon treten Strauber, Berthold und Helene ein. Ersterer greift nach dem Puls, nickt befriedigt, faßt auch mal an die Stirn, die ohne Fieber ist. "Mag wieder stimmen, was Beate meint."

- Auf das Verwundern Sinkmanns, der sich erhoben hat, nebst leichterer Benommenheit sich rüstig fühlt, berichtet Berthold ihm:

3. "War noch früh, konnte nicht mehr schlafen und stand auf, um eine Arbeit zu verrichten. Da trieb es mich in euere Kammer und wußte nicht, warum. Hatte nichts daselbst zu suchen und… fand euch, auf dem Boden liegend, mit weißen Wangen, irgendwie erschreckend krank. Ich lief, um unsern Medicus zu wecken, der sofort mit mir kam. Wir legten euch aufs Bett und Beate setzte sich gleich her. Sie sollte rufen, so bald ihr wach geworden seid. Als sie euch sah, sprach sie uns beruhigend an:

4. 'Er hat ein wunderherrliches Gesicht gehabt; hab‘ es selbst im Traum gespürt und ein großes Licht gesehen. Es war anders als das unserer ‒ nun, hier darf ich's sagen ‒ unserer Engel. Aber was es zu bedeuten hatte, konnte ich nicht ahnen und weiß es jetzt noch nicht. Wundersam muß ich es nennen und unser lieber Pfarrherr wird es uns erklären.' Wir sind froh, daß ihr gesund und munter seid; Freund Strauber hatte Angst um euch."

5. "Das will ich meinen", betont jener. "Wie ich euch liegen sah, da war mir bang, auch ‒ um uns. Es sah erst aus, als hättet ihr das 'wehende Fieber' (Art ansteckende Grippe), was für die ganze Stadt gefährlich werden konnte. Es gibt kein Mittel (damals) außer einem Tee, der nur nicht Gesundung bringt. Wie kam es denn, daß ihr statt im Bett am Boden lagt? Habt ihr was gesehen? Körperlichen Anfall habt ihr nicht gehabt, trotzdem kein Blut in euren Wangen war; ihr müßtet sonst darunter leiden."

6. "Ach ihr guten Freunde, Bild um Bild steigt in mir hoch, und die Worte reihen sich zusammen, als ob mir wieder alles zugeflüstert würde. Ich ‒ ich", Sinkmann atmet schwer, die Augen glänzen, "wie kann es möglich sein, daß …" Noch findet er die Sprache nicht, um schon zu erklären, was ihn drückt, was ihn überselig macht. "O laßt mich bitte erst ein wenig zu mir kommen, mir ist, als wäre ich ganz neu geboren worden."

7. "Ehrwürdiger Pfarrherr", fällt Beate ein, "manchmal denke ich, erhält man neuere Erkenntnis, das ist dann wie eine ja, wie ist zu sagen?"

- "Du meinst 'Wiedergeburt'?"

- "Genau so muß es heißen. Ihr habt einmal davon gepredigt, als der Heiland einst zu einem guten Priester sprach: 'Es sei denn, daß jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen' (Joh. 3,5). Das habe ich mir gut gemerkt, wenn ich's auch nicht ganz verstehen kann, wie der Heiland dieses meinte."

8. "Was wir nicht oder nicht sofort erkennen, Kind, ist kein Fehler. Wir können viel auf Erden lernen; das Höchste, Beste, aus GOTTES Wort uns überkommend, lernen wir wohl insgesamt erst 'drüben'. Ihr wißt, was ich damit meine?"

‒ "Hm, das Jenseits, es ist mir freilich immer noch ein wenig dunstig", bekennt der Arzt.

- "Ach nein, Freund Strauber; nur eure ärztliche Erkenntnis hat noch einen Balken, den ihr zur Seite schieben müßt."

9. Um sich zu ermannen, scherzt der Doktor: "Ich hole mir Beates Hilfe, sie ist ohnehin schon meine rechte Hand. Schieb' mal fleißig mit, mein Kind", Strauber streicht dem Mädchen übers blonde Haar, "damit ich auch mal 'rüber' komme."

- "Braucht nicht mehr zu sein", lacht Beate, "ihr klammert euch an etwas fest, was nicht vorhanden ist."

- "Bist ein gutes Dirndel, und hätte ich just eine Frau, würde ich mir solch ein Mädchen wünschen."

10. Helene war bereits gegangen, um das Frühmahl herzurichten, das besser als im alten Dorfe ist. Sie ruft: "Kommt, laßt uns essen, bin nämlich auch begierig, aufzunehmen, was der gute Pfarrherr uns zu offenbaren hat."

- "Ja, wird eine große Offenbarung sein", stimmt dieser zu.

- Man setzt sich um den Küchentisch, der Hausherr spricht den Morgenpsalm. Sinkmann hatte aus sich selber richtige Gebete aufgeschrieben, für jede Tageszeit, für Not und Krankheit und ‒ für Feinde. An allesamt hat er gedacht. Gern bedient man sich der tief empfundenen Sprüche, die viel Wahrheit in sich tragen.

11. Peterle ist noch zu jung, er kann's nicht fassen, was gesprochen wird. Also führt man ihn zur Wiese, die zum Haus gehört, wo zwei muntere Zicklein grasen. Da ist er bestens aufgehoben und ist von einem Fenster aus zu überwachen. Helene hat schon abgeräumt und nun wartet man, was kommt. Jetzt noch nicht alles. Sinkmann sagt und man stimmt ihm sofort zu:

12. "Ich deute es nur an, was mir widerfahren ist; möchte heut' am Abend alle Freunde um uns wissen, dazu Schöber. Denke auch an beide Herren, die letzthin aufgeschlossen waren, obgleich sie nicht das Schönste", er meint den Verkehr mit Engeln, der noch nie abgerissen hat, "völlig wissen, vielleicht noch nicht verstehen können." Sinkmann schiebt eine Pause ein. "Ob sie sich reifen lassen", fährt er fort, "müßte sich dann zeigen, wenn sie das Hohe mit vernehmen. Nicht von mir aus; ganz bestimmt ist's ein höherer Befehl, dem man nachzugehen hat."

13. "Versteh", fällt Berthold ein, "habe nichts gegen beide Herren. Wir können Schöber fragen, ob und wie weit sie in die Tiefe einzuweihen sind. Schließlich kennt er sie ja besser, obwohl wir ab und zu mit ihnen schon zusammen saßen."

- "Ist auch meine Meinung", sekundiert der Arzt.

- "Gut, ich suche nachher unseren Stadtmann auf, und wenn möglich, will ich dann am Abend alles sagen. Zu euch jetzt dieses", Sinkmann sieht die kleine Runde an:

14. "Glaubt mir, Freunde, noch immer bin ich fassungslos! Wer bin ich schon? Weder hochgestellter Herr, noch sonderlich begabt, daß ich den Vorzug haben könnte. Allein ‒ wie unser Herrgott Seine Straßen geht, uns dies und jenes wissen läßt ‒ Sein Evangelium ist ja für uns die gesamte Offenbarung ‒‚ also nehmen wir in Demut an, was Er uns mit Seinem Segen gibt.

15. Es ist das erstemal und unerhört gewaltig, kaum wage ich es auszusprechen: diese Nacht war GOTT bei mir!"

- Da schauen alle auf, rückt der Arzt zur Seite aus übergroßer Ehrfurcht, die er nur ahnt. Sie hat ihn sozusagen überrollt, und ‒ ja, vor dem Pfarrer hat er ein 'Gefühl' bekommen. Denn ist der Herr bei ihm gewesen, dann hat Sinkmann eine Größe, die innerlich zu Hause ist, nicht im äußeren, allzu rasch vergänglichen Schein. Es ist nicht sonderbar, weil Beate sofort an die Heilsgewißheit glaubt, bedingungslos, wie es Kinder besser können als Erwachsene, bei denen der Verstand erst fragt: Kann es…? Kann es nicht…?

16. "Es war eine große Rede, was Er mir, dem armen, kleinen Pfarrer ‒ ach denkt an, Er hat mich so genannt! ‒‚ ja eben: was Er mir zu wissen gab. Schöpfungstiefen hat er aufgedeckt. Noch frage ich mich selbst, wie man so viel erkennen darf. Und ist gut, unendlich gut! Man fragt nicht mehr nach Leid und Kummer, ob das Leben anders, so ganz anders ist, als der Mensch es wähnt. Aus dem LICHT gekommen, hier der kleine Wandelweg, dann zurück ins wahre Leben, das einzig und allein im Reich des Vaters herrscht."

17. Wer möchte sich von der Verdorbenheit nicht wenden?, hätte keine Heimsehnsucht?, dächte nicht ans Gnadenwort: 'Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen' (O.Joh. 21,4). Und ist's nicht wahr, daß 'Gott bei ihnen wohnen wird'? ER war da! Etwas anderes gilt nicht! Wer das Wort vernahm, ob bloß der einzelne oder viele ‒ man denkt nicht dran.

18. Und Helene äußert es: "Mir ist, als hätte ich es miterlebt, nun uns die Offenbarung auch geworden ist, durch euch, edler Pfarrherr. Ich meine: es ist erst recht ein Segen, wenn der Heilige durch einen von uns Seine Gnade schenkt, im Wort, im Bild, wir alle sind mit eingeschlossen. Oder nicht?"

19. "Seht an, unsere liebe Frau", ruft Sinkmann. "Konnte ich's auch nicht bewußt empfind  en, weil der HERR mit mir gesprochen hat ‒ mir kam vor: ihr guten Freunde waret mit versammelt, eure Seele, euer Geist, wie man es benennen will. Noch mehr erkenne ich: wer ahnt die Scharen all der Seligen, die mit Gott gekommen sind, Anteil zu haben an dem Gnadenaugenblick? Und, …vielleicht ‒ das braucht man wieder nicht zu wissen: obwohl auch Unselige kommen durften, damit sie durch das Wort, durch den Lichtschein sich bewegen ließen, um sich von ihrem falschen Pfade abzukehren?

20. Kommt es bloß auf unsere Erde an ‒? Heute, nachdem ich erstmals Gott direkt vernommen habe, darf ich es verraten, was mich manchesmal bewegt, stand ich auf der Kanzel unsrer alten Kirche, auch in unserem neuen Domizil. Wenn mich so recht das Wort erfüllte, als käme es von obenher, säßen nicht bloß Menschen unter mir, als sei der ganze Kirchenraum besetzt von einer großen, großen Schar, die niemand sah, ich gleichfalls nicht, und war mir oft, als müßte ich gerade zu den Ungesehenen sprechen. Ein Wehen kam mich an von unten auf zu mir, von oben über mich herab, wie des Pfingstens Wehen, wie die Jünger einst es spürten.

21. Denkt nicht, ich wäre irr im Kopf, weil ich Dinge sage, die eben unverständlich sind. Was wissen wir vom Raum der Schöpfermacht, von Seiner Herrlichkeit? Seht die Sterne an, die bei Nacht den Weg beleuchten; sonst aber ‒? Zu was dienen sie? Leere Plätze?! Könnte es für sie nicht heißen: 'In des Vaters Haus sind viele Wohnungen' (Joh. 14,2)? Man sieht nach oben, denkt man an das Himmelreich. Wäre also nicht jedweder Stern ein Raum vom Vaterhaus?

22. So geht mir der Gedanke um seit langer Zeit, habe aber nie davon gesprochen. Das hängt mit dieser hehren Nacht zusammen. Kann man von dem wahren Sinn des Lebens hören, wie es Gott-Vater offenbart, weshalb nicht auch Dinge, die uns Menschen so weit ferne stehn wie das Sternenheer am nächtlichen Gezelt?!

23. Glaubt man daran, daß ‒ vorangestellt ‒ 'Kinder ihre Engel haben und diese das Angesicht ihres Vaters im Himmel sehen' (Matt. 18,10), so müßte man gern glauben, daß die ungezählten Sterne wunderbare Orte sind, wo der 'Mensch auf ewig seine Wohnung haben kann'. Man sieht die Engel nicht, doch man glaubt an sie; von den 'Räumen als der Gotteskinder Gnadenplätze', ah, da sieht unser Glaube und das Wissen mager aus!

24. Man kann keinen zu der hohen Überzeugung drängen, kann nur sagen: an jedem liegt es ganz allein, das Heilig-Schöne aufzunehmen und im Herzen zu bewahren, wie wahr es einen Schöpfer-Vater gibt! Wer an Ihn zweifelt, findet einmal schwer zurück; wer sich Seiner hohen Führung anvertraut, der kann leicht des Geistes Füße drehen, dahin, wo ewig Licht und Wahrheit sind! ‒ Nun laßt mich erst ein wenig von der Nacht berichten, ansonst wird das Eigentliche auf den Abend aufbewahrt. Unsre lieben Frauen sollen auch mit hören; ohnehin ist niemand auszuschließen."

25. "Wer bleibt bei den Kindern?" fragt Helene, die seit der Flucht noch öfter ängstlich ist.

- "Ich wüßte wen", schmunzelt Strauber.

- "Der Rat wird angenommen, bevor ich von ihm weiß", sagt Helene dankbar.

- "Sammelt auf den Abend unsere Kinder hier im Haus; wenn sie müde werden, können sie hier schlafen. Als Wächterin hole ich die ‒" Ab sichtlich hält der Doktor inne, weil man die bedachte Frau nicht kennt, um ihr zu vertrauen. "Es ist die Höckerin. Nur nicht gleich abgewehrt, Helene, sie ist eine brave Frau und die läßt niemand an die Kinder! Wer den Toten Treue wahrt, wie sie es tut, wird sie keinem Kind verwehren."

- "Ach ja", begeistert sich Beate, "das ist wirklich eine seelengute Frau!"

*

26. Der Abend senkt sich nieder. Als einziges der Kinder sitzt Beate mit am Tisch. Sogar Schöbers Frau, die anfangs nicht begeistert war, hat sich angeschlossen, schon manchen netten Plausch mit einer von den Flüchtlingsfrauen abgehalten und wobei manch Geistiges zur Sprache kam. Sie steht nicht mehr auf Neuland. Pater Angermann hat zu dem schon selbst Erworbenen allerhand hinzugelernt. Der Stadtschreiber muß sich aber noch bei mancherlei besinnen, doch ist er aufgewacht und bedarf es seinetwegen keiner Sorge, daß über diesen Kreis zum Schutz der Gläubigen nichts zu jenen Üblen dringt, die immer ans Verderben denken.

27. Leicht ist's für Sinkmann nicht, den Faden anzuknüpfen. Aus dem Stegreif heraus zu sagen: GOTT war bei mir ‒ oh, geistiges Bedenken ist stets angebracht, doch treten plötzlich eine Reihe Fragen auf über das: woher ist der Mensch gekommen,  ausgenommen die Geburt, die der Natur zugeschrieben wird? Wwohin muß er nach dem Sterben gehen, warum lebt man auf der Welt? Der Stadtschreiber eben hat das Thema aufgeworfen, für ihn ist es noch ein Papyrus ohne Schrift. Die andern kennen jene Hand, die das 'Papier beschreibt'! So ist dem Pfarrer der Steig leicht gemacht, um nun zu berichten, was er 'von Oben her' zu sagen hat.

28. Er greift zurück auf den Verkehr mit Engeln, sein und Beates Erleben, was jene künden sollten, streift auch den Weg durchs Moor bis hierher in diese 'gute Stadt', sonderlich betont, nicht zuletzt, um die Städter zu erfreuen. Ein Verkehr mit den Engeln läßt man gelten; die vielen Zeugnisse lassen sich nicht ausradieren. Aber Gott ‒?

29. Sinkmann sagt bedächtig: "Mir war schon den ganzen Tag recht eigenartig im Gemüt, dachte, ob nicht eine Krankheit mich befallen würde. Habe es gemerkt, wenn ich mitunter schwankte und habe dann erkannt: das war des Geistes Wehen, der Vorstrahl aus dem Licht, damit ich dann die Stimme hören und erkennen konnte, WER mit mir sprach. O glaubt es alle, meine guten Freunde: es war der HERR!

30. Wer anders als der Schöpfer der Unendlichkeit, der alles schuf, es in Seiner Hand behält, es wieder sammelt, wenn ein Schöpfungstag zur Ruhe geht, kann unterrichten, was eigentlich das Leben ist? Die Lehre habe ich behalten, die hohe Weisheit muß ich mir noch immer geben lassen um zu verstehen, was aus dem Licht zu uns ‒ keineswegs zu mir allein ‒ herabgeflossen ist."

31. Fast wörtlich, was der 'arme, kleine Pfarrer' hörte; Herrliches genau: 'Bist du willig, liebes Kind? Liebst du Mich, Meine Lehre, Mein Gebot? Hilfst du jederzeit dem Nächsten, so gut du es vermagst? Sprichst du gegen niemand irgendwelche argen Worte? Willst du Mir alles sagen, deine Sünden und was dein Herz beschwert? Öffnest du Mir deine Türe, daß Ich Wohnung nehmen kann, ohne Mich zu wenden, wenn du Mir nicht wohlgefällst? Kannst du dich hingegen beugen, bis du nichts mehr bist als ein winzig kleiner Funke Meines Lichtes, Meines Geistes hoher Herrschaftslohe? (Kap. 13,39)Und weiter geht die Gnade ihren Gang. Und…'

32. Es ist und es braucht nicht wortgetreu zu sein, was jemand wiedergeben kann und darf, doch der hohe Sinn ist klar vorhanden, fehlt nichts an aller Herrlichkeit, die durch einen für die vielen sich enthüllt. Auch das Besondere: '…Weise immer auf Mein Heilandsleben hin, und was Ich zuvor getan als allmachtsvoller Schöpfer-Gott, was Ich noch tue, wenn die große Hilfe nötig ist.'

33. O, wie beugen sie sich nieder und ist keiner da, der nicht des Geistes Odem fühlt, stumm in sich gekehrt, bis ‒ und das mag auch ein Wunder sein ‒ der Stadtschreiber sagt: "Die große Hilfe! Die haben wir jetzt bitter nötig und meine ich, der Untergang der Welt steht vor der Tür! Wie grausig muß das sein. Da möchte man schier bitten: 'Herrgott, verschone uns vor dieser Not!' Vorstellen kann ich es mir nicht, wie das geschehen soll. Habe mal gehört, ein Stern vom Himmel fiele auf die Erde (OJ. 9,1) und würde sich ein Abgrund öffnen, schauerlich. Da hinein fielen alle Menschen; es wäre dann die Erde tot und leer, ja, nicht mehr vorhanden."

34. "Göster', so heißt der Mann, "wer hat euch das gesagt?" fragt der Bauer Stängler. "Das ist unglaubwürdig! Bedenkt, GOTT hat die Welt geschaffen; Er läßt nicht zu, daß ein böser Stern vernichtet, was Gott schuf." Man debattiert darüber, kommt bloß nicht zum rechten Schluß.

35. Selbst Sinkmann hebt die Schultern: "Es soll ein Wort bestehen, doch wer weiß, wie das auszulegen ist. Ninive sollte untergehen; dennoch hatte sich der Herr erbarmt, sogar der Tiere wegen, wie es in einer alten Schrift zu lesen ist (Jona. 4,11). Wenn damals schon, vor vielleicht zweitausend Jahren, und steht heute noch die ganze Welt, möchte ich nicht glauben, daß mit einem Krach die Erde untergeht. Frage noch: wohin? Irgendwo müßten selbst die Trümmer bleiben."

36. "Habt recht, Pfarrherr", bestätigt Pater Angermann. "Hab' manche alte Schrift studiert und mir dabei mein Herz verbrannt, weil ich an Gottes Güte allzeit lieber glauben mochte als an das Verderben, was ‒ leider ‒ von der Kirche viel zu sehr gepredigt wird." Gern hätte Angermann ‚herabgedonnert‘ solche Predigten genannt. Und er spricht es auch noch aus. Beifälliges Nicken hat dafür jedermann bereit. Ja, damit ist man heutzutage rasch dabei: donnern, strafen, niederwalzen, und das an Stätten (Kirchen), wo Gottes 'gutes Wort' den Vorrang haben müßte.

37. Wieder zum Verwundern, doch von tiefem Glauben angefüllt, steht Beate auf, stellt sich neben Sinkmann hin. Deutlich ist zu sehen, als ob eine Hand gehoben würde, bis sie auf dessen Schulter liegt. Man hält den Atem an; denn nicht nur des Besonderen gewärtig, nein ‒ das kindliche Gesicht hat sich verändert. Reif sieht es aus, wie wenn ‒ ‒ Man weiß es nicht zu deuten. Allein die Veränderung wird wahrgenommen und ‒ geglaubt. Und dann das Wort, so frei, ohne jede Stockung, wie kein reifer Mensch es könnte, stünde keine Macht aus einer 'Überwelt' dahinter.

38. "Freunde, es ist zu bedenken, was zwischen Gottes Wundergüte und der Meinung falscher Redner Zweifel schafft, Solche Redner meinen es nicht immer bös; Unkenntnis der hohen Gottesdinge schaffen Unklarheit und das falsche Denken. Wird das Letztere nicht überprüft, was eben seltener geschieht, tritt Ungutes auf den Plan. Die armen Menschen, nicht geschult, werden zwischen Angst und Hoffnung hin und her gerissen. Ihr aber nicht!

39. Ihr habt viel Lichtwahrheit erhalten, um selbst zu prüfen, ob und inwieweit ein Wort zum Guten oder Bösen auszulegen ist. O, GOTTES Wort, obwohl es Schweres künden kann, ist in sich selber heilig-gut! Sehr wahr: was ER schafft, erhält Er auch, selbst dann, wenn was für den kleinen menschlichen Verstand verloren geht ‒ stets aber nur für eine Zeit, die in der Ewigkeit ein Minimum einer einzigen Sekunde ist, wie ihr sie weltlich setzt, weil unser Schöpfer-Vater ewig gut und gnädig ist.

40. Nun habe ich den Auftrag, euch ein Lichtlein anzuzünden über das, was man als 'Weltuntergang' benennt, ohne nur ein Fäserchen davon zu wissen, ob und wie es wohl geschieht. Im vorhinein und euch alle Angst genommen: nicht deshalb, weil in Gottes ZEIT Seine heilsgewohnte Langmut Zepter, Stab und Krone ist. Deshalb noch:

41. Der gedachte Untergang steht in weiter Ferne ‒ von eurer Zeit aus gesehen. Er wird wirklich diese Welt betreffen. Jedoch wie? Es sei der Schleier etwas weggezogen; bloß wird das tatsächliche Geschehen erst enthüllt, wenn für die Menschen sich die Zeit ergibt ‒ und das zu ihrem Seelenheil. Die Seele steht dafür im höchsten Stand, das Weltirdische auf tiefstem, armem Grund!

42. Betrachten wir den Stern, der vom Himmel fallen würde. Ihr kennt die Größen nicht (damals), die im Firmament bestehen, das Ausmaß eines Sternes, von denen selbst die kleinsten, sofern es sich um Lebensträger handelt, vielmals größer sind als eure Welt, daher es ein Unding wäre, würde so ein Stern die Welt zertrümmern. Er müßte, löste er sich aus der gottgeordneten Bahn, einen großen Teil des Materienraumes treffen, womit die der Welt benachbarten Planeten gleichfalls untergehen würden.

43 Die alte Weissagung besteht und stimmt; denn ein Jünger Jesu hat das Bild gesehen. Es betraf nur keine Raumstation des Lichtes, weil 'Stern' gleich 'Licht' bedeutet. Ihr wißt, daß des Schöpfers erstes Kind sich aus der Gnadenführung stahl und seine eigenen Wege ging, die den 'Absturz aus dem Lichtgefilde' nach sich zog. Dieses Kind sah der Jünger. Weil erst herrlich hergestellt, ein aller Sterne leuchtendster, also sah der Jünger es wie einen Himmelsfall, in die aus unergründlich hehrer Gnade nachgeschaffenen Materie, was Finsternis bedeutet, der Stern, das Kind, herniedersank.

44. Es heißt hier 'Erde' und nicht 'Welt'. Das Geheimnis: ERDE ist das fruchtbare Leben. Es kommt einzig aus der Schöpfermacht. Welt stellt die vergängliche Materie dar. So ward der fallende Stern aus von ihm nun geleugneten Güte zur ERDE, Gottes Erdreich gelenkt und hat an und für sich mit der Welt, auf der ihr lebt, nur so viel zu tun, als die Menschen sich den Untergang bereiten werden.

45. Nicht der Planet gemeint, obwohl auch er einmal vergeht, dient die Materie nicht mehr als 'Hilfsstützpunkt' zwecks Erlösung all der Hingestürzten. Ihr dachtet recht, wenn die Welt in Trümmer sänke, wo sie verblieben. Irgendwo müßte sie ja aufgefangen werden. Nicht zu Unrecht: bloß des Schöpfers Allmachtshände könnten diese Trümmer bergen. Das Höchste aus der Schau braucht ihr noch nicht zu wissen, wo einst der gesamte aufgelöste materielle Stoff verbleibt (in URs Mitternachtsquelle, s. Urwerk). Aber das sei noch gesagt: es geht ja unserem Schöpfer nichts verloren!!

46. Hat der Ewige für die Hingestürzten die Materie geschaffen, ist sie mit ein Grundanteil zum Zwecke der Erlösung. Kann diese je etwas verlieren? ihr verneint. Also gibt's auch keine 'bösen Sterne', wie man ohne Überlegung sagt. Leuchten sie, so sind sie Licht. Das ist ewig gut! Trotzdem wird es jenes 'Untergehen' geben. Doch ihr habt erkannt, daß es sich um keine Werke Gottes handelt. Eine Frage wird euch quälen, wenn ich verkünde:

47. Abgesehen davon, daß jede materielle Welt, ja die Gesamtmaterie einmal ihre Auflösung erfährt, daß es dann bloß Licht in Gottes Lichtreich gibt, lichtgesegnete Gotteskinder, die als Lebensträger ewiglich lebendig bleiben. Dazu gehört der Mensch, seine Seele, so lang sie ihre Wege wandern, bis jede einst den Grundplatz wiederfindet, von dem sie ausgegangen ist.

48. Allein, achtet darauf! Die Menschheit wird zugrunde gehn, weil sie selber sich durch böses Tun den Untergang bereitet. Das ist der eigentliche Tod der Welt! Freunde, schüttelt nicht die Köpfe, das wäre Widerspruch. Entweder bliebe Gottes Werk bestehen, zu dem der Mensch gehört, GOTT hätte ihn erschaffen, oder daß der Mensch in seinem Untergang verweht.

49. Schon jetzt seid ihr ins tiefste Herz bedrückt, weil es furchtbar böse Menschen gibt, noch dazu 'im Namen Gottes' ihre Greuel an den armen Leuten üben. Euer Bruder Sinkmann hat es sogar an sich selbst erfahren. Da wäre es wohl an der Zeit, daß Gott die Menschen ausradiert, worunter freilich auch die Guten mit entfielen. So ist das nicht, ihr Erdenfreunde!

50. Die Menschheit steht zwar schon an ihrem Grab, selbst geschaufelt und auch tief, was der 'Abgrund' mit besagt. Kaum wird man einmal anders handeln; nur die 'Art' wird sich verändern. Das Tiefste von dem Abgrund ist die Glaubenslosigkeit, in die fast die ganze Welt versinkt. Welt gleich Mensch! Wie keine Glaubensnormen heute helfen, die im wahren Evangelium nicht zu finden sind, also einst. Man wird sich gegenseitig hassen und bekriegen; denn jede Norm, weltlich und vom Glauben her, will dann alleinig herrschen.

51. Das ist der eigentliche Untergang! Denn seht, kein Mensch bleibt ewig auf der Welt, wie nicht auf anderen Stationen der Materie, auf denen es den 'Weg der Prüfung' gibt. Ach nein, denket nicht, GOTT würde alle Menschen prüfen! Grundsätzlich sind die Wanderwege eine lichtgemäße eigene Angelegenheit.

52. Es wird jedem Lichtkind, jedem einst gefallenen Wesen eine eigenständige Gasse zubereitet, um sich entweder zu bewähren und dabei mit zu helfen, den Hinfall zu bereinigen, wie gleichfalls für die Abgewichenen es die Gnadenpfade gibt, um vom eigenen Fall sich frei zu lösen ‒ zu lösen lassen durch Gottes Opferkreuz! Dabei ist noch anzudeuten: ein 'Lichtsignal', das der Mensch zwar registriert, aber doch nicht ahnt, wie dasselbe inspiriert …zum guten Denken, nicht zuletzt zum guten Tun.

53. Neben großer Glaubenslosigkeit, Haß und Mord, daß das vergossene Blut kaum zu zügeln ist (OJ. 14,20), wird gerade darum viel getan, für Arme, Kranke, Alte, Kinder. Doch werden weniger die Mächtigen es sein, die sich darum kümmern. Die 'lebendigen Herzen'‘ werden mit oft schwachen Kräften helfen. Und glaubet es: Diese schwachen Kräfte sind gewaltig, man wird es bloß nicht richtig merken. Doch das Gute steigt zum Himmel auf. Da wird es bewahrt für jeden, der geholfen hat, ob viel möglich oder wenig.

54. Dann steht Welt wider Welt, richtiger gesagt: Welt wider Erde! Welt die Finsternis, Erde ewiglich das Licht! Denket daher nicht mehr an den Untergang der Welt, wie man ihn sinnlos ausposaunt. Lebt der Gegenwart und der 'Zukunft in dem Geist'; das allein ist gültig vor dem Herrn. Noch kommen für euch bittervolle Zeiten, daß ihr wähnt, mein Wort sei gar nicht wahr gewesen. Im Leid könnt ihr das höchste Gnadenheil erfahren!

55. Geht es dem Menschen weltlich gut, denkt er seltener an Gottes Vatergüte; muß er Schweres tragen, seufzt er auf: 'Herr, erbarme Dich!' Beides sollt ihr meiden. Denn jeder Tag ist ein Geschenk des Vaters aus der Ewigkeit. Das lebt aus im Glauben und im unbedingten Wissen: Gott ist nahe, Er ist immer da! Habt ihr das erreicht, so steht die Tür ins Lichtreich offen, sobald die Heimkehr winkt. Das ganz allein ist der wahre Sinn des Lebens, die Richtschnur, die am besten einzuhalten ist.

56. Nun seid getrost, ihr lieben Erdenfreunde, seid gewiß: wer seine Hand im echten Glauben Gott entgegenstreckt, greift nie ins Leere; es gibt ja bei dem heilig-guten Schöpfer-Vater keine Leere! Seinen Frieden darf ich euch verkünden, Seine Segenshilfe wird immer mit euch sein."

- Lang währt es, bevor man sich besinnt, was vorgegangen ist. Noch steht das Mädchen da, als sei es nicht von dieser Welt und der Pfarrer wagt die Frage:

57. "Wer bist du Freund vom Licht? Darf man deinen Himmelsstand und Namen wissen? Verzeih, nicht um zu wissen frage ich, will nur aus vollstem Herzen danken. Wie wir unsern Dank dem Vater bringen, Ihn anreden dürfen, so möchte ich bei dir es tun."

- Ein Lächeln gleitet über das Gesicht, das noch immer keine Weltform hat, wie Sinkmann bei sich selber sagt. Eine liebe Lehre folgt.

58. "Du hast gut gefragt, Bruder; allein: gilt ‒ außer Gottes Name ‒ einer dessen, der etwas bringen darf? Das WORT ist das Wichtigste, was ihr wissen und behalten sollt. Ihr seid befreit vom Rang der Welt; für die Zukunft sei gesagt: Jemand, der nach Namen hascht, verliert das Beste aus der Lehre Gottes! Ich bin einer eurer Brüder aus dem Licht, das möge euch genügen."

59. "Hab' mich arg vertan." 'Hm, die Großen präsentieren Rang und ihre Namen. Der Himmel steht allein im höchsten Rang.'

- Der Trost: "Vertan hast du dich nicht, hast dich den armen, kleinen Mann genannt und weißt nicht, wer du bist ‒ dem Lichte nach. Das laßt das Geheimnis bleiben, welches immer erst im Lichtreich sich enthüllt. Wer vorher danach greift, verliert auf lange Sicht den wahren Weg, er mag von früh bis in die Nacht den Namen Gottes preisen. Wer sich nach Hohem reckt, das ihm nicht gebührt, weil das den Wanderweg gefährlich macht, der steht noch immer vor der eigenen Himmelsleiter, selbst wenn er sich schon oben stehen wähnt.

60. Nun geht zur Ruhe, die der Körper braucht, euer ist Gott-Vaters Schutz. Friede ist die Decke für den guten Schlaf. Seid gegrüßt, ich darf bei euch bleiben, auch wenn ihr mich ‒ wie Gott es führt ‒ etwa nicht mehr hört. Das 'innere Wort' bleibt euch erhalten."

- Darauf sagt der Pfarrer leise ein 'Amen'. Jeder hat es aufgenommen, jeder nachgesprochen und keiner hat gemerkt, wie das gesegnete Kind zu seinem Stuhl gelangt.

- Ein wenig reibt Beate sich die Augen. Was geschah, das weiß sie nicht; sie spürt in sich ein wundersames Raunen, als ob ihr Geist des Lichtes Wort ihr anvertraut.

61. Still faltet sie die Hände. Es ist ein großes Reifezeichen, weil die Versammelten nicht dem Kind, dem Mädchen huldigen. Sein noch so reines Kindliches wird nicht angetastet. Jedem hat Sinkmann das gesagt und man tut danach. Umso mehr liebt man es, umso eifriger wird es insgeheim bewacht, was extra immer die drei Städter tun, Stadtrat Schöber, Pater Angermann und neuerdings der Stadtschreiber Göster.

*

62. Der Pater geht allein nach Hause, sinnend: "Was ist das für ein Kind? Diese Weisheit kann es niemals aus sich selber schöpfen. Die kennt kein Kardinal, nicht der Papst. Es gibt auch keine solchen Bücher. Zudem wäre es zu jung, um ‒ wenn es lesen würde ‒ diese hohe Wahrheit aufzunehmen. Und wiedergeben? Das getraute ich mir nicht, außer abzulesen. Muß mit Sinkmann drüber reden. Ah, armer, kleiner Pfarrer!, und hat das Licht in sich. Herrgott, Dank, hast mich aus der Finsternis herausgefischt!"

*

63. Noch ist der nächste Tag nicht voll erwacht, als es an seine Türe klopft. Wer mag kommen? Er wollte gleich zu Sinkmann gehn. Als er öffnet, steht dieser wartend an der Schwelle.

- "Verzeiht", bittet er, "es ist ungehörig, jemanden so früh zu überfallen; doch mich hat es hergetrieben, ich möchte mit euch sprechen."

64. "Ah", Angermann lacht auf, "ich wollte eben zu euch kommen, wäre auch ein Überfall gewesen, allzufrüh. Habt ihr schon gegessen? Wenn nicht ‒ da ist noch was vorhanden", zeigt er auf einen Tisch, der in seiner nicht sehr großen Stube an dem Fenster steht.

- Dankend wehrt der Pfarrherr ab. "Meurers sorgen gut für mich, auch steht der geistige Hunger doch vor dem des Magens."

- Dazu nickt der Pater. Beide Männer setzen sich auf eine Bank.

65. "Kann mir denken, warum ihr kommt, genau das Gleiche, was mich zu euch treiben wollte."

- "Das Gestrige", bestätigt Sinkmann. "Ich habe mit Beate viel erlebt, sowie den verpönten 'Engelstraum' gehabt, was ich vor euch frei bekenne."

- "Könnt ihr auch, ihr seid mir wie ein Freund gewesen, gleich, als ich euch kennen lernte. Wir beide wissen, was heutzutage unserer Kirche fehlt."

66. "Eben; doch ist auch Gutes da, was man anerkennen muß."

- "Na, ich sage so: Die Kirche hat im Anfang viele Kämpfe ausgetragen und mag deshalb manche Wirrnis aufgekommen sein. Doch jetzt ‒" Bedauernd hebt der Pater eine Hand. "Es sieht ungut aus, und wendet sich die Kirchenleitung nicht, die obere gemeint, frage ich vergeblich: was soll einmal daraus werden?"

67. "Ich glaube fest", entgegnet Sinkmann, "sie wird sich reinigen, wird einst viel Gutes tun. Wir erleben es wohl nicht, weil ‒ es ist wie eine schwere Kinderkrankheit, mit der die Unseren behaftet sind ‒ gehört viel Zeit zur Heilung, bis es ein Erwachen gibt. Vor allem dürfte auch das Volk im allgemeinen nicht auf einer Stufe stehen bleiben, auf die es… hm…"

68. "Sagt's getrost: auf die man es absichtlich niederdrückt."

- "Ach ja", Sinkmann ist bekümmert. Beide Männer sehen die Gefahr, die sie überrollen wird. Sie sind Gott tief verbunden, denken aber auch an die bedrückten Leute, denen innerlich und äußerlich der Halt genommen wird. Man zwingt sie, das zu glauben, was viele, Gott sei gedankt nicht alle, Kirchenlehrer bieten.

69. Angermann beginnt aufs neue: "Gestern abend …Freund, konnte gar nicht schlafen, so stark berührte mich's. Die Großen würden alles daran setzen, diese Weisheit aufzunehmen, um sie als ihr 'Eigenes' zu lehren und ‒ das Kind zu töten. Darüber sind wir uns im klaren. Bloß der Freundeskreis darf davon wissen, wir könnten sonst Beate vor dem Inquisitor niemals retten".

70. "Das ist auch meine große Sorge, da hieße es ja gleich: das war der Teufel! Dabei denke ich, Teufel sind die bösen Menschen; den man meint, den gibt es nicht ‒ seit Golgatha mag es ihn nicht mehr geben." Fragend, ein wenig ungewiß, sieht Sinkmann auf den Pater. Dieser grübelt nach, doch bald begegnen sich die Blicke beider Männer. Sie verstehen sich.

71. "Habt ihr das schon oft bedacht?"

- "Ja", sagt Sinkmann schlicht. "Wir kleinen Pfarrer dürfen nicht einmal die ganze Bibel haben, es werden uns bloß "Blättlein" zugeschickt, so geschrieben, daß man's kaum entziffern kann. Wie es kommt ‒? In den letzten Jahren, schon auf meinem alten Kirchenplatz, bekam ich neue Schriften zugesteckt, meist von Unbekannten. Habe aber bald bemerkt: die sind von Luther, der die ganze Bibel übersetzt.

72. Vielleicht ist er damit schon fertig. Nun, ich las alles aus der alten und der Heilands-Zeit. Da ist so viel Güte, so viel herzliche Barmherzigkeit enthalten, daß mir die Augen übergingen. Und das vom Kreuz ‒ ja, wird denn viel davon gepredigt? Ihr wißt selbst, Freund Angermann, was den Leuten vorgeredet wird.

73. Gewiß habe ich's gekannt, dem Worte nach; der tiefe Sinn ist mir später erst geworden, seitdem Beate und auch ich die Lichtbotschaft vernehmen. Das heiligwahre Wort: 'Es ist vollbracht!' Früher habe ich es so gemünzt, daß es der Heiland auf Sich Selbst bezog, auf Seinen Tod. Sollte das nun alles sein, was mit dem ungeheuren Opfer auszudrücken war? Da hat es mir im Traum geleuchtet: Die ERLÖSUNG war vollbracht, durch den Opfertod des Herrn! ER ‒ nach Paulus ‒ war Gott Selbst! (Kol. 2,9)

74. Ist das der Fall, wem denn mehr, als dem Abgewichenen, den man Satan nennt, muß die Opfertat betreffen? Tut es das, und ich wüßte nicht, ob unser Herrgott eine Tat vergeblich tut, so muß logisch in der heiligen Erlösung jener an der ersten Stelle stehn, aus dem die Sünde kam, die Abkehrung von Gott. Es kam mir auch das Wort in Schrift, daß unser Heiland sprach: «Er käme nicht zu den Gesunden, die des Arztes nicht bedürften» ‒ da hatte Er das Geistige gemeint und nicht das Weltliche ‒‚ Er sei zu den Kranken, zu den Verlorenen gekommen (Matt. 9,12; Luk. 5,31; Joh. 17,12; Matt. 18,12).

75. Das alles, Pater Angermann, hat mich aufgerüttelt, wie ich's gar nicht sagen kann. Es ist ein Licht, das beinah blendet, so herrlich hat sich mir das Kreuz des Herrn enthüllt, wahrlich, eine Opfertat, die ihresgleichen sucht! Und gestern Abend ‒? Durften wir nicht auch in eine Tiefe schauen, oder Höhe, wie man es benennen will: die Heilstiefe der Erbarmung und jene hehre Offenbarungshöhe, die dem Ewigen allein zu eigen ist?"

76. "Sinkmann! Ihr seid ein Geheimnisträger, einer von den wenigen, die man auf der ganzen Erde zählen kann! Nun wundert es mich nicht, daß ihr und das Kind, das gesegnete, euch finden konntet ‒ besser ‒ geführt worden seid. Und ich nun auch. Welch eine unerhörte Gnade! Habe schon gedankt, weil mich der Herr aus all der alten Finsternis herausgefischt. War kein guter Fisch, nun meine ich, es mag wohl mit mir gehen vor dem Herrn."

77. "Das dürft ihr glauben, Pater. Mir ging es ebenso wie euch. Als Junge kam ich in ein Kloster, kann freilich sagen: es ging besser zu als anderwärts. Man hatte aber das allein zu lernen und späterhin zu lehren, was auf den 'Worttisch' kam. Sicherlich erging es euch in jungen Jahren auch nicht anders."

- "Bestätige ich", nickt der Pater. "Bin froh, sehr dankbar, daß mir die dicke Binde weggenommen worden ist. Denn das, was wir gestern hören durften, ist wahrhaft ein hohes Licht gewesen. Eigentlich kam mir es vor, als wäre es der Heiland Selbst gewesen."

78. "Es stimmt, bloß ist es anders auszulegen. Was der Heiland seine Jünger lehrte, das trugen sie hinaus in alle Welt. Der Inhalt ihrer Wiedergabe war das Wort des Herrn; sprachliche Veränderungen haben nichts auf sich. Sie waren Gottes Boten! Nicht anders gestern Abend. Der Lichtfreund brachte GOTTES Wort. In diesem Sinne haben wir Ihn Selbst vernommen, …durch Seinen Sendling."

79. "Das habt ihr prächtig ausgelegt, Pfarrherr, habe was gelernt. Dank dafür! Aber noch einmal Beate. Wir müssen sie beschützen, sie darf nicht mit Leuten aus der Stadt zusammenkommen."

- "Ist geregelt. Gut achtet unser Arzt, sie geht immer nur mit Strauber, auch mit Stadtmann Schöber. Neuerdings ist Göster ganz bei unserer Sache, hat sich gut gewandelt. So hat das Mädchen vielen Schutz.

80. Der höchste und der beste Schutz ist Gott, unser Schöpfer-Vater. Das wollen wir stets fest verwahren, auch für uns selbst, Freund Angermann."

- Der reicht Sinkmann beide Hände ohne welche Worte, mit einem Augenglanz, der alles sagt.

 

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Kap. 15

- Gott, der alleinige Heiler; Einer kehrt um

 

1. "Ach, die arme Meira Bartels, die Höckerin, ist krank." Beate sagt es vor sich hin. Zwei Jahre sind vorbei im Gewoge dieser Welt, jener Menschen, die Tod und Kummer bringen. In dieser Gegend, wo die einst Geflüchteten eine gute Heimstatt fanden, ging es in der Zeit recht ruhig zu, im Gegensatz zu anderen Gebieten.

2. Der Großinquisitor war noch nicht gekommen, eine Order hatte ihn vom Wege abgebracht. Wie gut, denkt Beate und besinnt, ob sie nicht zu Meira gehen solle. Es drängt sie sehr. Sie ist ja nun erwachsen, fast sechzehn Jahre alt, da wird sie wohl ‒ Sie gibt dem Drängen nach. Bis zur Höckerin ist es nicht weit.

3. Kaum ist sie in die nächste Gasse eingebogen, fragt ein Mann, wo der Stadtrat wohne. Beate gibt Bescheid, ahnungslos, die Frage sei getan, bloß um sie anzusprechen. Sie weiß auch nicht, der Inquisitor hat Spione eingesetzt, um ihm später seine Arbeit leicht zu machen. Die Agenten sind als biedere Gesellen bei verschiedenen Meistern eingetreten, auch einer bei dem Bauherrn, wo Berthold Meurer seine gute Arbeit fand.

4. Obwohl er niemals das Geringste äußert, die höhere Verbindung mit dem Licht, ‒ ganz vermeiden läßt sich's nicht, immer sickert etwas durch. Allein, wann wer zusammentrifft, in Schöbers Haus, der zudem der erste Ratsherr ist, daselbst nach ihrer Ansicht 'manches nicht mit rechten Dingen zuzugehen scheint', das und anderes haben die Agenten aufgespürt.

5. Wie leicht zu wissen, daß das Mädchen, obwohl eher noch ein Kind als ein erwachsener Mensch, sich dabei befindet. Ha, gerade junge Leute braucht der Inquisitor; die sind durch Foltern leichter zu befragen, da hat er gleich die 'ganze Brut', so war der Plan. Es hatte ihn gewurmt, weil er einst nicht alles in die Wege leiten konnte; nun ‒ er wird sein Ziel erreichen.

6. "So, so", sagt der Arge freundlich und streicht ihr übers Haar.

- Sie weicht zurück, mag es nicht, von Fremden angefaßt zu werden. Es kommt ihr der Gedanke: 'Hüte dich!' Aber sollte es vielleicht so sein?

- "Herr, ihr braucht nur die Gasse lang zu gehen, oben rechts einzubiegen, dann seht ihr gleich das Städtehaus (Rathaus), dort amtiert der Ratsherr, den ihr sucht."

7. "Du bist hübsch, solltest nicht alleine gehn; es gibt Burschen, die sich das zunutze machen." Wieder will er streicheln, Haare oder Wangen, ist doch gleich, ein junges Wild fängt er sich immer ein. "Laßt mich aus", fleht Beate. Mit hellem Blick sieht sie ins dunkle Dräuen und erschrickt ins tiefste Herz.

8. "Na, Kleine, nicht so zaghaft, ich tu' dir nichts. Soll ich dich begleiten, damit dich niemand überfällt?"

- "Nein, mein Weg ist nahe. Habt ihr Wichtiges zu melden, dann geht gleich ins Städtehaus."

- "So eilig ist es nicht", kichert jener, will wieder streicheln und …noch mehr.

- Größte Not beherrscht das Mädchen. 'Wäre ich dem Drang doch nicht gefolgt; mir ließ es keine Ruhe, nach der kranken Frau zu sehen.' Sie ist gut und hilfsbereit, nun muß ihr geholfen werden. Da… die andere Hilfe.

9. Um das nächste Hauseck kommen Strauber und der Ratsherr Schöber. Letzterer kennt schon die 'Gesellen'; sie ließen sich bloß bisher nichts zu Schulden kommen, es war daher nichts zu unternehmen. Nun freilich sehen beide Männer noch, wie der Freche seine Arme um das Mädchen schlingt. Beate wehrt sich heftig. Ah, jetzt hat er einen, wird er die anderen auch noch an die Kette legen, was er absolut nicht wörtlich meint. Immerhin: das Gefängnis hat genügend Raum, um Schurken aufzunehmen.

10. "Halt!" donnert Schöber.

- Beide Männer laufen rasch. Ehe der Geselle flüchten kann, wird er festgehalten. "Was treibst du hier?" fragt Schöber barsch. "Bei uns werden keine Mädchen auf der Gasse überfallen, noch dazu am hellen Tag! Du bist doch der Geselle bei dem Schneidermeister Wuhnicke, aus Augsburg hergepilgert?"

11. "Der bin ich!" Oh, die Agenten, die der Inquisitor schickt, sind geschickt, gedrillt, können sich aus Schlingen winden, wenn sie schon einmal in eine tappen. Schade, er hätte es herausgebracht, was mit dem Mädchen ist, und der Lohn ‒ ah, viel hätte er bekommen, mindestens zwei Dukaten. Na, ihn wird man niemals fangen. Also tut er ganz erstaunt:

12. "Aber Mann", sagt er, als kenne er den Ratsherrn nicht, "hab' das Kind doch nur gestreichelt; und ein harmloser Kuß ‒ was ist denn schon dabei?"

- "Mache mir nichts vor", zankt Schöber.

- Strauber paßt gut auf, daß der Kerl ihm nicht entwischt. Das Wortgefecht hat einen Stadtknecht von der Tageswache hergelockt. Er steht gleich bereit, helfend einzugreifen.

13. "Küssen kannst du deine Dirne, wenn du eine hast", sagt Schöber grob, "unsere Mädchen rührst du mir nicht an; merke dir das gut!"

- Jetzt macht der Arge einen Fehler, der nicht mehr gut zu machen ist und dem Inquisitor später einen Fluch entlockt ‒ wahrlich, solchem 'Gottesmann' wie auf den Leib geschrieben.

14. "Eine Dirne von der Stadt? Das macht mir keiner vor! Die gehört doch zu den Fremden, die vor Jahren hierher kamen und vom ersten Stadtmann aufgenommen worden sind. Die sind seinerzeit geflohen, weil die Kirche sie bestrafen wollte, ganz zu Recht. Euer Stadtmann hat die bösen Wichte nicht verbannt, was ja gegen jedes Recht der Kirche geht und…"

15. "Sieh an… But geplappert! Wir unterstehen deiner Kirche nicht, ah ‒ Kirche, schade um das fromme Wort! Wir unterstehen dem Fürstenhaus von hier. Du wirst erst mal eingesperrt, hast die öffentliche Ordnung nicht geachtet; dann werden wir es sehen, was dich und die anderen Gesellen hergetrieben hat. Denke nicht, ich müßt' es erst erforschen; ich weiß Bescheid!"

- Unbändiger Zorn läßt den Gefangenen einen zweiten großen Fehler machen.

16. "Ihr Ketzerbrut kommt alle in die Folter, auf den Scheiterhaufen, da vergeht euch euer großes Maul!"

- "Ab!" Ein Pfiff.

- Drei weitere Wachen kommen an und bringen den Gefangenen in eine Zelle. O weh! Er sinkt in sich zusammen, verflucht die Stadt, sich selbst, das Mädchen. Hätte es sich nicht so lang geziert, dann wäre er ‒ Sein Überlegen nützt ihm nichts, er kann seinen Mitgesellen keine Kunde geben, vorsichtig zu sein.

17. Schöber läßt dieselben schärfer überwachen, die alsbald merken, daß einer aus der Gruppe fehlt. Sie können nichts erkunden, wo er ist, was geschah und fangen an, sich abzusetzen. Soll der Inquisitor selber kommen. Der jüngste der verkappten Mönche, beim Seilermeister eingestanden, bleibt zurück. Noch weiß er nicht warum, redet es sich ein, er täte es wegen des gefangenen Bruders. Uneingestanden fürchtet er das Kommen seines hohen Vorgesetzten.

18. Indessen hat Doktor Strauber sich Beate vorgenommen; die Angst um sie läßt ihn poltern: "Bist nicht brav gewesen, hast versprochen, nie allein zu gehn; und wären wir jetzt nicht gekommen, Ratsherr Schöber und auch ich ‒ was wäre denn aus dir geworden?" Er sieht Schöber an, er möge auch noch zanken.

- Der legt seinen Arm um Beates Schultern, fühlt ihr Zittern, und sagt väterlich:

19. "Warum bist du schutzlos fortgegangen? Ohne weiteres hast du das nicht getan."

- "Es war… es war das Wort im Traum, ich solle zu der Meira Bartels gehen, die wäre krank. Dabei saß sie noch vor Tagen an dem Sterbebett der Häuslerin. Es hat mich sehr gedrängt, zu folgen. Weit weg wohnt die Höckerin ja nicht. Das konnte ich nicht ahnen, daß gerade…"

- "…dir ein Lumpenkerl begegnet", zürnt der Doktor weiter. "Hättest, wenn nicht anders möglich, auf die Mutter warten können."

20. "Die Mutter nehme ich nie mit", widerspricht Beate. "Die ist uns zu teuer, die darf nicht gefährdet werden. Denn das weiß ich auch: es sind welche in die Stadt gekommen, bereits seit Wochen. Ich sah das Bild: unter ihren Wämsern tragen sie die Kutten. Die sind hergeschickt, nicht zum Guten für die Leute in der Stadt." Dabei sieht das Mädchen Schöber an.

21. Der nickt: "Doktor, glätte deine Stirn, wenn der Sorge wegen dein Gegrolle gelten mag. Zur rechten Zeit gekommen, ist das Gesindel in den Fang geraten. Mir ward zugetragen, der von heute hätte sich bei Wuhnicke verraten, hätte zwar nur so gefragt, was der Meister von dem Luther hielte. Dabei stand ein Flimmern ihm im Auge, wie Wuhnicke es mir beschrieb. Hab‘ die Meister, wo die Augsburger eingestanden sind, aufmerksam gemacht, zumal sie alle evangelisch sind. Doch hat ihrer keiner gegen einen Katholik was vorgebracht; alle halten Frieden mit den anderen, was ich sehr begrüße. Schließlich glauben wir doch alle bloß an einen Gott."

22. Beate strahlt den Ratsherrn an. "Oh, Frieden halten, wurde mir gesagt, es gäbe bei dem Schöpfer Gläubige und Ungläubige. Letztere müßten lange warten, bevor sie in das Reich des Vaters kämen; aber Er, der Herr, verlöre keines von den Abgeirrten. Wie sehr habe ich gedankt, hab' gedacht: 'Wenn jemand keinen Glauben lernte, wäre er ganz arm, ärmer eigentlich, als hätte jemand nichts zu essen.' Einem Hungernden gibt man ein Stück Brot; was gibt man einer Seele, die nicht einmal nach Brot verlangt?"

23. "Ach Kind, wieder hast du uns ein feines Bild gebracht! Na ja…", Strauber gibt Beate eine Hand, "…gehen wir zur Höckerin, vielleicht kann ich ihr helfen. Gehst aber nimmermehr allein!"

- Das wird versprochen.

- "Ist recht…", sagt Schöber, "…muß mich um den Gefangenen kümmern und den anderen auf die Füße sehn. Ich fürchte bloß…".

- "…die reißen aus", ergänzt der Arzt.

*

24. Die Kranke liegt auf kargem Lager, hustet stark, ringt nach Luft und erkennt dann doch das Mädchen und den Arzt. "Ihr?" fragt sie mühsam. "Wer hat gesagt, daß ich ‒ bei mir war noch niemand, ich hätte sonst nach euch geschickt." Bittend sieht sie Strauber an, er möge helfen. Und die Beate? ‒ Schon längst erkannte sie, daß mit dieser 'etwas ist'. Aber was? Bloß war es, ihrem schlichten Sinne nach, stets schön, wenn sie mit dem Mädchen irgendwo zusammentraf, meist an einem Sterbebett."

25. Indessen hat der Doktor Herz und Lunge abgehorcht, das Ohr auf die Brust gedrückt. Da rasselt es. "Hast du Honig?" fragt er, sich erhebend.

- Sie schüttelt mit dem Kopf, das Sprechen strengt sie an.

- "Keine Milch?"

- Woher denn holen, wenn man krank darniederliegt und niemand hilft?

- "Wir kommen wieder, gedulde dich." Strauber geht mit Beate fort, er mag sie nicht am Lager sitzen lassen. Die Höckerin ist kränker als sie ahnt.

26. In der nächsten Gasse gibt es eine Stube, man bekommt allerlei, Mann und Frau sind freundlich zu den Kunden, besonders zu dem Arzt. Der ist ja stadtbekannt. Man borgt ihm willig ein Gefäß mit Milch, einen Becher Honig, eine Rarität. "Ist gestern etwas angekommen", sagt der Mann. "Der Kaufmannszug aus Eisenach war da."

- "So, hm, sind wir eben recht", dankt Strauber und bezahlt. Er trägt den Honig, Beate die Milch, und bald flackert in dem kleinen Raum der Höckerin ein Feuerchen im Herd.

27. Gutes Kräuterwerk, selbst gepflückt, und Salbe, auch selber hergestellt, hat der Doktor stets bei sich. Anderes ist in dieser alten Zeit kaum aufzutreiben. Die Milch wird abgekocht, ein Löffel Honig eingerührt, ein Lungenkraut dazu, auch gekocht und durch ein Tuch gefiltert, und das alles gibt er löffelweise der Kranken ein. Was übrig ist, wird kühl aufbewahrt.

28. "Wir kommen abend wieder, der Nachbarin sag' ich Bescheid. Wäre ja gelacht, kämest du nicht wieder auf die Beine." Sein Gedanke nur straft die Worte Lügen. Kranke Menschen aufzurichten war von jeher sein Prinzip. Solch gute Totenfrau gibt es nicht bald wieder, wie die Meira ist. Das sagt Strauber zu Beate, als sie fragt, wie es um die Kranke stünde. Sie wird ihren Engel bitten müssen, ihr aufzuhelfen. Sie mag die Meira gern, die gut die Heimgegangenen, deren Letztes, was der Welt gehört, betreut. Und hat immer für das Seelenheil gebetet. Wer weiß das schon?

*

29. Am Abend geht es Meira etwas besser. Die Nachbarin hat eine warme Decke ausgeliehen, einen Brei gekocht und das Stübchen aufgeräumt. Alles sieht der Mann, der ohne Frau durchs Leben geht. Allerdings ‒ als Arzt hat er viel gesehen, gut und schlecht, bittere Not, bei manchen Hohen viel zu viel von dem, was der arme Mensch entbehren muß. Nun ist er froh, das Fieber ist nicht mehr so hoch, er fühlt's an seinen Fingern, wahrlich, hier ein Arzt, ein unbekannter, der vom LICHT gesegnet ist.

30. Wieder flößt er vom Getränk der Kranken ein und wartet auf die Reaktion. Beate berührt ab und zu die heiße Stirn, daß jedesmal die Höckerin erstaunt die Augen öffnet, nun gewißlich werdend: das Kind hat Gottes Segen in der Hand! Oh, nicht das Mädchen hilft, es ist bloß das Band, über das die Segenshilfe kommt …von GOTT! Der Wille zur Gesundung steigt empor, den sie in den ersten Tagen, als sie ohne Hilfe lag, schon aufgegeben hatte. Bereits nach einer Woche steht sie wieder auf.

31. "Nicht gleich wieder auf den Friedhof gehen", warnt Strauber, "bist sehr krank gewesen und…"

- "…ich weiß: das Kind!" Als des Arztes Augen drohend blicken, sagt sie ruhig: "Keine Sorge, Doktor, über meinen Mund kommt nichts! Oder wähnet ihr, ich wüßte nicht, was hier geschieht? Es gibt Hunde; vor den schwarzen muß man sich am meisten hüten." Mehr sagt sie nicht und es genügt. Dann, als sie Strauber für die Hilfe dankt, flüstert sie: "Beate wäre rasch verloren, wüßte man, das sie ausersehen ist."

32. Sieh an, denkt Strauber auf dem Weg, um Meurer und den Pfarrer einzuweihen und man auf die Höckerin mit acht zu geben hat. Ist ja oft geschehen, brauchte man ein Opfer, um die Macht zu zeigen, daß man, wer gesund geworden ist, sich holte mit den Worten: 'Der Teufel ist in dir, der hat dich gesund gemacht; den treiben wir nun aus!', …mit Folter und mit Tod.

*

33. Bald danach, als die Freunde sich bewußt geworden sind, daß die Verfolgung immer größere Kreise zieht, noch mehr zu schweigen und jeden lang zu prüfen, bevor man spricht. Da sagt Beate, als sie mit dem Pfarrer allein im Garten sitzt: "Es kommt etwas Schweres auf uns zu, mehreres. Noch weiß ich's nicht gewiß; er…", sie meint ihren Engel, der immer wieder eine Botschaft bringt, "…war nachts bei mir. Er sah sehr traurig aus und hatte dennoch ein ganz liebes friedliches Gesicht.

34. 'Ihr, guter Pfarrer Sinkmann, der Vater, Freund Schöber und die andern sollet ein paar Tage warten, um euch dann zu treffen. Ihr erfahret, was geschieht. Für morgen sehe ich was Dunkles.' Und dann das: 'Man soll an der Stadt die Tore schließen,' was ich nicht ganz recht verstand. Die Bauern kommen her und bringen, was die Stadt bedarf; ebenso die Kaufmannswagen müssen auch herein. Wenn nicht, müßten alle Leute hier verhungern."

35. "Ja, das stimmt." Noch weiß Sinkmann nicht genau, um was es geht. Im vorigen Jahrhundert hatte man die Städte fest verschlossen und ‒ hat nichts genützt. 'Es' ging durch Tore, übersprang die höchsten Mauern und kehrte ein, wo immer 'es' gewollt. Weh! Wenn das kommt! Ob vielleicht was anderes zu sagen war? Er denkt an den Inquisitor, an andere im gleichen Rang.

36. Die sprengen gleichfalls Tür und Tor, fragen nicht nach hoch und nieder, jung und alt; sie fressen ihre Opfer auf. Er klammert sich daran, ihr Fürst ist ein starker Herr, hat viele Reisige, hat andere Herren hinter sich, im Norden und im Osten. Da wird wohl den Dunklen mancher Weg gehemmt. Am gleichen Tag erfährt er mehr, was ihn bedrückt und auch erleichtern kann.

37. Von den Augsburger Gesellen war der Jüngste nicht entwichen. Den Inhaftierten wies man für immer aus der Stadt. Der war abgewandert und riet dem Jüngeren, mitzugehen. Dieser, nicht wissend, was ihn trieb, redete sich aus: "Ich bin frei, mein Meister hat mich nicht verdächtigt, und Vorsicht übe ich. Will noch horchen, was vor sich geht, um unserm Oberen die Stadt zu übergeben, wenn ‒ er kommt." Das kleine Zögern war dem Älteren nicht aufgefallen. Den Jungen hatte er gelobt, ihn auch gewarnt, scharf aufzupassen. Auf Beate machte er ihn aufmerksam, wäre zwar sehr jung, doch wüßte er bereits: sie sei ein Hexe. Und nun…

*

38. An dem Abend, als Beate jenes Wort vom Engel brachte, klopft es bei Sinkmann an die Tür. Als er öffnet, steht der Geselle da. Die Augsburger waren durch den Stadtamtmann bekannt geworden und man weiß, daß sie fortgegangen sind, nicht aber, daß einer dageblieben war. 'Hab acht!' Trotzdem fragt der Pfarrer freundlich, so ist seine Art, zumal, um Argwohn aufzudecken, falls dies nötig wird, was er wünsche und ob er, Sinkmann, dem Gesellen helfen könne. Der druckst erst hin und her, findet nicht gleich einen Anfang, was er sagen will, und fängt dann plötzlich an:

39. "Ehrwürden, schenkt mir bitte Glauben, ich sage euch die volle Wahrheit, gehörte den Gesellen an, die die Stadt verlassen mußten. Wir unterstehen Bruder Christophorus, der uns Folgendes befahl: Wir sollten jene, die aus dem Gau des Inquisitors damals flüchteten, überwachen, und nach und nach jeden einzelnen entführen. Mit dem Mädchen sollte angefangen werden, als Lockvogel: 'Eltern, wollt ihr eure Tochter wiedersehen, dann kommt freiwillig her.' Und das ‒ ja seht, ich war nicht einverstanden, daß man auf so trügerische Weise ihre armen Eltern fangen wollte. Denn keiner, ihr seid selber davon überzeugt, wäre jemals freigekommen.

40. Auch euch sollte man das Ultimatum stellen: 'alle anderen wären frei, würdet ihr für diese euch dem Inquisitor unterwerfen.' Welch ein böses Spiel! Ich war auf Luther zornig, ganz gewiß, ich sah ja zu dem Meister auf, wie sich Christophorus nennt, war von unserem Kirchenheil, als allein seligmachend, völlig überzeugt. Hatte ja von Kindheit an nie anderes gehört.

41. Kürzlich geschah, daß ein junges schönes Weib, bloß weil es dem Inquisitor nicht zu Willen war, nicht allein an einen Marterpfahl gebunden, sondern auch der Scheiterhaufen langsam angezündet wurde, so daß die Qual des armen Weibes viele Stunden währte und… und… von einem Fenster aus sah der Inquisitor zu.

42. Er hatte sich getarnt, es sollte niemand wissen; ich aber hatte ihn erspäht, als er unvorsichtig einen Vorhang hob, um zuzusehen, wie das Opfer leiden mußte. Da… oh, Ehrwürden, glaubt es mir, da war aller Glaube mir erloschen, zuerst überhaupt an Gott! Wie konnte Er es denn geschehen lassen, daß ein Weib, das seine Frauenehre höher stellte, schmachvoll so zu Tode kam, nur weil es… weil es… 'Wo,' schrie ich in dunkler Nacht, 'ist die Barmherzigkeit, die Du, o Gott, gepredigt hast?'

43. Noch tat ich das, was man verlangte, jedoch innerlich stand ich auf fernem, fremdem Stern ‒ allein. So war mir zumute. Denkt nicht, ich erzähle euch ein Märchen; ich ‒ ich brauche einen Halt, weiß nimmer ein noch aus. Später hörte ich auf unserer Wanderung einen lutherischen Prediger. Meine Brüder höhnten und versuchten, den Gottesdienst zu stören. Man hätte beinah Prügel ausgeteilt. Allein, der Prediger hielt die Gemeinde ernst zurück und sprach: 'Handelt nicht wie andere! Wir halten Jesu Worte ein: «Liebet eure Feinde!»‘ Und noch mehr Gutes hatte er gesagt.

44. Ich stand abseits von den Brüdern, stahl mich davon. Seither ging das Wort mir gar nicht aus dem Sinn: 'Liebet eure Feinde!' Um nicht ins Joch zu fallen, tat ich so, als glaubte ich es fest, was die alten Brüder lehrten. Das war falsch, man soll bekennen. Wie aber sollte ich das fertig bringen? Nichts hätte mich geschützt; ging es gut, wäre ich zum Arbeitsbann gekommen. Was das ist, davon habt ihr sicher keine Ahnung."

45. "Ich weiß", unterbricht der Pfarrer, teils zum Glauben neigend, teils noch große Vorsicht walten lassend. Es steht zuviel für alle auf dem Spiel. Der Junge hat einen offenen, doch gequälten Blick, sieht aus, als stünde er auf einem Umkehrweg. Wenn das, ach, lieber Herrgott-Vater, das wäre eine Freude! "Sprecht weiter, was ihr noch zu sagen habt. Ich will euch gerne helfen. Seht, wir Evangelischen werden hart verfolgt. Warum? Weil wir Gottes heilige Worte anders lehren, treu und wahr, wie der Heiland sprach? Wir verdammen nicht, wir schließen niemand aus.

46. Oh, ja, es gibt Fanatiker, ganz gleich, auf welcherlei Gebiet. Die haben wir, Gott sei's geklagt, ebenso wie ihr! Sind die ausschlaggebend für die Wahrheit, die sich durchzuringen hat? Gebt euch die Antwort selbst, junger Freund."

- "Freund?" Der Mönch sieht traurig drein. "Freunde hab' ich nie gehabt. Die Oberen beherrschen uns, teils zu Recht. Ältere Brüder haben für uns Jüngere kein Gefühl für das, wonach sich einer sehnt." Er möchte 'Liebe' sagen. Das duldete die Härte der Erziehung nicht.

47. Sinkmann lächelt, er erkennt, was dem Jungen fehlt. Ist er echt, soll er wahre Freundschaft finden, fragt aber erst: "Was wollt ihr tun? Wie kann ich euch behilflich sein?"

- "Wenn ich das nur selber wüßte!" Der Mönch ringt mit den Händen. "Ein Gelübde darf man doch nicht brechen; ach, was habe ich als Knabe denn gewußt, was solch Gelübde mit sich bringt?"

48. "Ich befreie euch. Grundsätzlich habt ihr das Gelübde nicht dem Herrn gebracht. Ich früher auch. Längst erkannte ich, daß es nicht gilt, was man der Welt verspricht. Eine Kirche ist eine Institution, sofern sie sich auf pure Macht bezieht, ist also nicht berechtigt, Kindern ein Gelübde abzunehmen, dann zu strafen, wenn späterhin der Mensch zur besseren Erkenntnis kommt und nicht der Institution, sondern GOTT gehorchen und IHM dienen will. Mir will scheinen, das ist bei euch der Fall."

49. "O ehrwürdiger Pfarrer, ihr habt das rechte Wort gesagt. Wenn ich das befolge, und mir ist es ernst damit, bitte, wo soll ich bleiben? Hier gibt's der Häscher viele; glaubt nicht, daß mit dem Abgang der Gesellen keiner mehr um eure Herde schleicht! Ich erachte es nicht als Verrat: Die Totenfrau steht auf der Liste. Die ist nicht zu retten, wenn man sie fängt. Es heißt, sie spräche mit den Toten, und das sei das Teufelswerk."

50. "Ihr sagt mir absolut nichts Neues."

- "Wieso? Erst gestern wurde es besprochen."

- "Ja, wißt, wir haben einen 'MANN', der läßt uns alles wissen. Und dann ‒ kann man denn mit Toten reden? Ernstlich gibt es keine Toten; was in die Gräber sinkt, ist der materielle Leib. Die Seele aber, junger Freund, die bleibt lebendig (1.Mo. 2,7); und wenn unsere Höckerin mit einer Seele spricht, sagt ‒ redet sie mit einem Toten? Das wäre widersinnig."

51. Der Mönch denkt nach. Er hat viel bedacht, Geglaubtes ausgestrichen, ohne dafür Besseres zu finden. Hier wird das gesagt, nach dem er suchte. Zugeschlossene Tür? Wer ist der 'Mann', von dem ihm nun der Pfarrer sprach? Als ob dieser den Gedanken sieht, sagt Sinkmann so, als wäre er Prophet:

52. "Unser MANN ist der Herr des Himmels! Euere Hohen sagen einfach 'Teufel', weil sie zu Gott, dem Höchsten, keine richtige Verbindung haben. Es muß nicht Gott persönlich sein, der zu uns kommt, es uns wissen läßt, dessen wir bedürfen? Es gibt ja eine Lichtverbindung, wenn ihr das begreift, und auf dieser Basis kann man viel erfahren, Wichtiges für unsere Seele, für den Glauben und die Wahrheit, auch für das, was dem Erdenleben nützlich ist."

53. "Ich muß in eure Schule gehn, hätte viel zu lernen und noch mehr auszumerzen. Erst muß das Alte, Unbrauchbare wegge-schaufelt werden, damit das Erdreich sauber wird; dann mögt ihr den Samen streuen." ‒ "Das war ein gutes Wort!" Sinkmann freut sich wie ein Kind, dem eine schöne Gabe ward. GOTTES Gaben sind die besten. Immerhin ‒ der anderen wegen muß er weiter prüfen. Dennoch ist der junge Mönch zu schützen. Wo und wie? Jäh die Eingebung:

54. "Nicht ängstlich sein, nicht abgewehrt, es ist zu euerm Besten. Mit einem Brief sende ich euch auf die Wartburg; unser Fürst wird euch betreuen. Ist einmal hier die Stätte frei, ihr wißt, was ich meine, dann kehret wieder bei mir ein und seid ein treuer Helfer, wie man immer welche braucht."

55. Wie bald der nötig wird, ahnt keiner von den Männern. "Damals, als ich das Gelübde sprach, gab man mir den Namen Lucas, mag jedoch lieber Johann heißen, wie meine Eltern mich zur Taufe brachten."

- "Richtig! Morgen zeitig kommt ihr auf den Weg. Ein Handelsmann ist in der Stadt mit seinem Knecht, zu dem führe ich euch hin. Alles Weitere ergibt sich dann von selbst."

56. Sich verneigend, dankt der Mönch mit wenig Worten, weil das Herz ihm überfließt. Er hatte vorher große Angst, jeder wurde vor der 'evangelischen Brut' gewarnt, was die für Greuel täte ‒ schrecklich. Wer denen in die Hände fiele ‒ gnade Gott! Er ist ehrlich froh, der junge Mönch. Bloß die Wartburg… Fürsten handeln anders als ein Pfarrer, der die Güte selber ist. Später wundert er sich, wie so ganz anders sich sein Weg ergibt, eine gnadenvolle Führung Gottes sondersgleichen, obwohl zuerst der 'Wartburgweg' nicht allzu leicht verlief.

57. Nicht der Fürst, ein Hauptmann hatte ihn sehr streng befragt, und nur der Brief von Sinkmann hatte ihn vor dem Verlies gerettet. Und dann… Auf sein dringendes Ersuchen, sofort Reisige zu entsenden, zieht der wachhabende Hauptmann erst die Augenbrauen hoch. "Wohin?", fragt er barsch und läßt den Mönchen nicht aus dem Blick.

58. "Vor dem Angertor gibt's ein kleines Wäldchen, dort drin solltet ihr euch tarnen. Noch heute wird ein Mensch entführt, Ehrwürden Sinkmann habe ich's gesagt. Es ist keine Falle, euch gestellt; für die Entführer kann es eine Falle sein, wenn ihr nicht zögert."

- Der Hauptmann holt sich einen Marschbefehl, zehn Geharnischte traben bald ins Tal hinab, er an der Spitze. Die Straße wird im Galopp genommen und der kleine Wald nimmt die Wartburgleute auf.

 

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Kap. 16

- Der Hinterhalt der Schurken – Die Frau der Toten ist gerettet – Das Licht lehrt immer noch durch Beate

 

1. "Horcht", sagt der Hauptmann leise zu den Reisigen, "da kommt vom Angertor her ein Getrappel. Hatte mir der Mönch es richtig anvertraut?" Die Bäume stehen nicht sehr dicht, leicht ist mit Pferden durchzukommen, während Strauchwerk längs des Weges steht. Man kann sie also nicht erspähen. Da kommt ein fürchterlicher Zug. Auf einem Esel liegt ein sackähnliches Gebilde, umgeben von vier Männern, die den Handelsleuten gleichen.

2. "Los!" kommandiert der Hauptmann, "wollen sehn, was das für Leute sind!"

- Gut getan. Beim Näherkommen, das Gesträuch war weder für ein Pferd noch einem Reitersmann ein Hindernis, sieht man bei dem einen unter dem Habit den Saum einer Kutte. Aha! Im Nu sind die viere mit dem Esel eingekreist.

3. "Was habt ihr da?" fragt der Hauptmann scheinbar ruhig. "Habt ihr die Handelsmaut bezahlt? Ihr seid doch Handelsleute, ja?"

- "Gewiß, gestrenger Herr", sagt einer. "Wir sind kleine Händler ohne Wagen und begnügen uns mit Wenigem."

- "Was habt ihr in dem Sack?"

- "Mehl, um Brot zu backen."

- "Seit wann bewegt sich denn ein Sack mit Mehl?"

- Ein erstickter Fluch. Hätten wir… bis wir aus der Gefahrenzone waren ‒ der Inquisitor wollte aber diese Hexe ganz lebendig vor sich sehen.

4. Reißaus nehmen, …Schon sind die Verkappten festgenommen. Als man den 'Sack' vom Esel hebt, ist es eine Decke. Unter ihr liegt ein Mensch, qualvoll angebunden, Kopf und Füße hängen seitwärts nieder. Im Munde steckt ein Knebel. Fürchterlich! Als man das Bündel losgebunden hat und ins Gras gebettet, sieht man: es ist eine Frau. 'Hat der Mönch die volle Wahrheit angesagt.' Na, dem muß man helfen, der bleibt länger auf der Burg. Noch beratend, wer die Frau denn wäre, kommt ein Beritt eilig angeprescht, vornweg der Stadtmann Schöber mit Wachen aus der Stadt. Als er angekommen ist, springt er aus dem Sattel, und das Ganze übersehend, ruft er laut:

5. "Gott sei gedankt, unsere Höckerin, die Meira Bartels! Hab' dem Mönchlein nicht geglaubt, was er mir verriet."

- "Tat er bei uns des gleichen", begrüßt der Hauptmann den ihm bekannten Städter, "Jetzt sagt, wie möglich, daß diese Burschen…", er meint die verkappten Mönche, "…die Frau entführen konnten, ohne daß es jemand bei euch sah? Schließlich ist's noch heller Nachmittag."

6. "Das wird uns Meira Bartels sagen, denn die…", zeigt er voll Grimm auf die Gefesselten, "…werden nichts bekennen."

- "Unser Fürst bringt ihre Zunge locker, des seid gewiß! Liefert er sie ihrem sonderbaren Hohen aus (dem Inquisitor) möchte ich nicht wissen, was denen für die fehlgegangene Expedition geschieht."

- Die Mönche werden blaß. O weh! Was wird ihnen blühen ‒?

7. Schöber bittet: "Hauptmann Scharfner, bleibt noch bei mir. Ein Wachmann holt den Arzt, die arme Frau ist zu betreuen, die hat ja kaum noch Atem in der Brust."

- "Sechs bleiben hier, mit den andern reite ich zur Burg, muß Meldung machen. Dann sind neun Gewaffnete da, kann nichts mehr passieren. Werde noch ein paar Reisige entsenden, es sind immer welche irgendwo auf einem Weg, weil wir die Straßen sichern." Dabei zwinkert er mit beiden Augen. Der Inquisitor wird erwartet, der soll nicht ins Gebiet. Man kann ihn nicht gefangen nehmen wie die Mönche, doch des Landes kann man ihn verweisen. Dazu hat der Fürst das volle Recht.

8. Es dauert gar nicht lang, als Strauber mit dem Wagen kommt, zwei starke Mulis vorgespannt. "Also doch", schimpft der Brave vor sich hin. "Hatte ihr gesagt, sie soll nicht auf den Friedhof gehen", das hat die Meira nicht getan; das Ganze war so abgefeimt, da konnte selbst der Vorsichtigste ins Netz geraten. Auf dem Wagen liegt viel Stroh, das der Arzt gleich mitgenommen hatte. Mit der Decke ist die Bewußtlose aufs Gefährt zu heben.

9. "Noch schlägt das Herz", Strauber horcht es ab, "gut steht's nicht um sie", wendet er sich Schöber zu, "weil sie krank gewesen ist. Nun, erstmal zurück, langsam", befiehlt er jenem Knecht, der die Tiere lenkt. "Könnten wir sie bei euch unterbringen", fragt er den Schöber. "Sie wäre laufend unter meiner Obhut, was für sie besser ist." ‒ "Natürlich, das geht ohne Weiteres." Gesagt, getan. Doch es dauert ein paar Tage, bevor die Meira alles richtig sagen kann, was geschehen war.

*

10. (die Geschichte der buckligen Meira): "Bin schon mal zur Ahn am Angertor gerufen worden, sie hatte sich jedoch erholt. An dem Morgen kam ein Bote, ich möge sofort kommen, die Ahne sei gestorben, ich sollte ihr die letzte Bettstatt richten. Hätte ich sie sehen können, dann hätte ich gewußt, daß man mich aus meinem Häuschen lockte. Ihr wißt, zwischen jenem letzten Haus der langen Gasse und dem Angerhaus stehen Strauch und Baum, das den Stadtanger teils umgibt.

11. Ich war noch nicht am Haus, als von hinten etwas Dickes über mich geworfen wurde, erhielt einen Schlag auf den Hinterkopf, und dann weiß ich nicht, was noch geschah, bis ich unter euren Händen, Doktor Strauber, wieder zu mir kam. Ihr sagt, es hätte einen vollen Tag gedauert, bis ich ins Bewußtsein kam. Mir war sehr übel. Wieviel Tage sind denn schon vergangen?"

12. "Fünf. Es wagt sich zwar kein Lump mehr in die Stadt, in Zukunft geht ihr aber nicht allein, an kein Totenbett, nicht an ein Grab. Wenn Kunde kommt, gebt uns Bescheid. Keine Sorge, wir wissen, was ihr auf dem Friedhof tut; ihr werdet nicht gestört, da geschieht viel Gutes. Sterbe ich einmal, kannst du auch an meinem Totenlager beten."

- Ein feines Lächeln, das das leicht zerfurchte Angesicht der Höckerin schier überglänzt, als sie nickt:

13. "Das tue ich, wenn… Doch bete ich an keinem Totenlager, stets an einem 'Himmelbett'! Lacht nicht, Doktor", was Strauber gar nicht tut, "geht eines Menschen Seele von der Welt, so ist sie lebendiger als je im Leib. Ihr Weg geht in den Himmel, früher oder später, er ist die letzte Wegstation. Darum nenne ich das letzte Lager auf der Welt das 'Himmelslager' oder eben Himmelbett."

14. Was vieles ist von dieser alten Frau zu lernen! Oh, Kinder beten: '… daß ich in den Himmel komm!' Erwachsene schämen sich des kindlichen Gebets. Mag einer Sehnsucht haben, er bekennt es nicht. Was sprach der Herr? «Wenn ihr nicht werdet wie die Kindlein, so werdet ihr nicht ins Himmelsreich kommen» (Matt. 18,3; 19,14).

*

15. Viele Sorgen sind zu überwinden, allzeit ist der Stadtmann für die Leute da. Seit dem Geschehen mit der Meira Bartels kommen oftmals Reisige der Burg, bleiben auch mitunter ein paar Tage in dem Ort, wo es friedlicher geworden ist. Bloß von auswärts möchte man es noch versuchen, irgend einen abzufangen. Der Inquisitor ist voll unchristlicher Wut, hält seine Untergebenen sehr straff, die allmählich zu stöhnen anfangen und manch einer selber sich befragt: 'Ist das noch ein Leben?'

16. Oh, ja, allzu straff gespannt, zerbricht der stärkste Bogen, und es bröckelt hie und da manch einer aus dem Kirchenheil. Das sind sogar die Besten, die dem Glauben treu verbleiben, auch der 'Altkirche', wie man sie oft nennt, weil man die evangelische die 'Neue Kirche' heißt. Durchaus richtig, wer im Glauben seiner angestammten Kirche treu verbleibt.

17. Um diese Zeit hat kein Evangelischer, der als Prediger, auch etwa öffentlich zur Rede kommt, die Fanatiker beiderseits hier nicht bedacht, gegen die Katholische Kirche, deren Gläubige sich geäußert, manch bester Katholik keine Überredungskunst geübt: 'kommt zu uns, hier herrscht das wahre Wort des Herrn!' Noch geht trotz des untergründigen Kampfes vielorts es recht friedlich zu, besonders hier hervorgehoben zwischen beiden Glaubensteilen unterm Volk.

18. Die vier Mönche, nach Fürstenrecht dem Tod verfallen, bringt man ungeschoren bald zurück nach Augsburg, ihrer Heimatstadt. Leider sind sie solche Fanatiker, die erst recht den bösen Samen streuen; bloß finden sie nicht allzu viel Gehör. Der Inquisitor braucht sie noch, er kann sie nicht entbehren, sonst hätte er sie abgestraft. Dafür kommt manch anderes armes Opfer ihm in seinen Fang, nicht zu wenig aus den eigenen Glaubensreihen.

19. "Wo bleibt die angekündigte Schwere?" (siehe Kap. 14,54) Das fragen sich die Freunde. Ansonst ‒ der Mensch ist froh, wenn das Leben, zwar im Auf und Ab manch Kummer bringend, vorüberplätschert, wenn nebst Arbeit gute Ruhe winkt und all das, was die 'Welt' zu bieten weiß. Sicher sind die Freunde froh, wenn außer Allgemeinem sich kein Übel zeigt, nun unterm Schutz des Fürsten stehend. Für sie, die ganz Getreuen, als die Unbekannten, gilt jedoch der 'Gottesschutz' allein.

20 .Indessen ist ein ganzes Jahr dahingegangen, seit das mit Meira Bartels war. Nichts traf ein außer eben diesem einen Ungemach, was der Engel damals angekündigt hat. Ach ja, die Höckerin ist überall beliebt. Wenn auch arg und widerlich, war und ist's ein Einzelfall geblieben. Was hatte nun das 'Wort' nicht wahr gemacht? Ist dann das Frühere auch nicht echt gewesen? Hat das Kind Beate sich bloß etwas ausgedacht? Da müßte auch das Engelswort des Pfarrers unwahr sein. Und das ‒ nie, niemals!

21. Immer wieder tauscht man sich darüber aus, sucht, findet nichts und bleibt doch irgendwie ganz fest an dem Gesagten hängen. Wieder sitzt man einmal beieinander, Beate still in sich versunken, der Pfarrer Sinkmann denkt: 'Seid froh, ihr Menschenkinder, wenn es noch ausgeblieben ist.' Man kennt eben dieses 'es' noch nicht. Wohl befürchtet man das eine und das andere, zumal der Inquisitor keine Ruhe gibt. Seine Schergen huschen durch das Land, um die Verhaßten abzufangen. Und man hört von Weitgereisten, daß tief im Türkenland und anderwärts die Pest ihr Wesen trieb.

22. Ein nebelgrauer Tag. Der Abend sinkt sehr früh herab, so daß man mit Laternchen seinen Heimweg sucht. Der Winter muß sich zwar vom Lenz vertreiben lassen; dennoch ist es trüb, wie in manchem Herzen. Man ist versammelt, auch Pater Angermann, Göster, neuerdings die Meira Bartels. Zwischen ihr und Beate ist ein festes Band entstanden. Verwunderlich: die junge Maid, die Frau, die mehr als sechzig Jahre auf dem Rücken trägt. Ach, was fragt ein lichtlebendiges Herz nach einem Alter dieser Welt? Nichts! Das Himmelsalter gilt, wenn dies auch keiner kennt, wohlweislich vom Höchsten zugedeckt.

23. Man bespricht die Frage: Hat der Engel etwas angesagt, was nicht eingetroffen ist? Warum? Da steht wiederum das Mädchen unter den Erwachsenen, sieht plötzlich anders aus, wie fremd, wie ‒ Man kann es nicht benennen. Die Sprache kennt kein Menschenmund, diese Worte schickt der Herr, der allmachtsvolle Gott! Es ist ein Trost, eine Hinführung: wenn 'es' kommt, dann seid gewappnet.

24. "Ihr Menschenkinder prüft und kommt zu keinem Resultat, weil ihr ‒ wohl lichtgeprägt ‒ vom Weltgetriebe euch noch bannen laßt. Gewiß sieht Gott, welch schweres Los die Menschheit jetzt bedrückt; es ist der Ablauf des Geschehens, die 'Werdefrucht', noch grün in der Materie, die sich eben nicht der heilighehren Sonne aufgeschlossen hat. Fragt ihr, was die 'Werdefrucht' bedeutet? Oh, ihr seid schon gut gereift, obwohl immer etwas daran fehlt, solang ein Vaterkind den Beihilfsweg beschreitet.

25. Von Abgeirrten ist noch keine Reife zu erwarten. Und doch stehn diese unter segensvollem Strahl hochheiliger Erlöserliebe, vorab das erste Kind, das sich dem Licht erschlossen hat. Es bleibt das wahre Wort bestehen: 'Die Ersten werden die Letzten sein.' Das ist ein zweierlei Gesicht, schwierig zu erkennen, weil man wähnt: hat man zuerst den Herrn erkannt und Ihn lieb gewonnen, müßte man auch stets der Erste bleiben und zur ersten Schar gehören. Das stimmt sogar, nur anders, als ihr es betrachten mögt.

26. Die der Schöpfer erst zum Leben rief, bleiben stets die Ersten, in ihrem Amt, wie der Aufbau wunderbarer Schöpfungstage (s. Urwerk) vor sich ging. Ja, denkt ihr, dann müssen alle Letzten ewig auf der letzten Stufe bleiben. Hängt ihr daran das Bedenken: oh, was können sie dafür, wenn sie als Letzte Gottes Gnadenborn entstiegen sind?, und was die Ersten, daß sie immer ihren Vorzug hätten? So gefragt, geht euere Erkenntnis fehl.

27. Merket auf: – Um der Schöpfungsarbeit willen, ewig unter Gottes allmachtsvoller Hand im Ablauf bleibend, und doch in einer Wechselfolge, die kein Erster voll begreift, was nicht nötig ist, bleibt unangetastet, was des Schöpfers ist! Daran rührt kein Kind, das sich unter Gottes Vaterführung wohlgeborgen weiß. Denn was zu erkennen ist, das gibt ER, der Höchste, Seinen Kindern preis.

28. Das Urgeheime ist die Macht! An diese reicht kein Kind, auch des Reiches Fürsten nicht, die niemals je mit Händen nach der Schöpfermacht gegriffen haben. Das tat bloß das erste Kind (Sadhana). Darum wird es einst das Letzte sein, das seinen Fuß zurück ins Haus des Vaters setzten kann und darf. Das ist die grundsätzliche Auslegung des Heilandswortes.

29. Noch gibt es ein anderes Bild, das ihr teils schon selbst erkennen konntet, und zwar: 'Wer sich in die erste Reihe stellt, fraglos, ob er dahin gehört ‒ nämlich nie!' der gehört den Letzten an, die der Herr zu Sich beruft. Das, bedenket es, …aus übergroßer Gnade und Geduld! So bleibt ihnen eine lange Zeit, lichtmäßig oftmals angestoßen, ob sie dies merken wollen oder nicht, um noch selbst zu einer Umkehr zu gelangen. Ist diese noch so schwach und arm… ER, der Vater der Barmherzigkeit, nimmt dafür das Hochmaß der Erlösung! Damit mißt Er dann die langen Wege, um diese Kinder einzuführen in das Reich der Seligkeit.

30. Aber auch in der Materie, sonderlich auf dieser Welt, zeigt sich das Symbol: Jene, die sich auf die hohen Stühle setzen, und mögen sie sehr lange darauf bleiben, fallen dennoch von dem selber hochgeschraubten Sitz. Eben solche sind auch vor der Welt die Letzten, oft Geächteten, deren Namen Schall und Rauch geworden ist. Euere Namen, so von der Welt", es ist wie ein sanftes Lächeln, das über das Gesicht des Mädchens huscht, "läßt kein Hochgeschraubter gelten, wird in keinem Buche stehn, in welchem eben bloß die Hohen eingeschrieben sind einzig aus der Weltsicht her.

31. Nun frag' ich euch: 'Seid ihr deshalb weniger als ihr seid? Bricht man somit etwas ab von eurer Wesenheit, die innerlich allein das wahre Leben ist?' vom Schöpfer-Vater ausgeteilt?! Es ist wie eine Freude, die euch stark berührt, dazu der Dank: 'Wir sind froh, weil wir vor der Welt die Kleinen und die Letzten sind; und vor unserm Schöpfer wollen wir das bleiben, weil…' Oh, hier füge ich das an, was bloß im Fühlen euch erkenntlich ist:

32. Ewig wird der Vater Seine Kinder einheitlich betrachten, lieben, führen, mit Gnade überhäufen. Ob also vorn, inmitten oder irgendwie am letzten Ende stehend: es gibt eine Kinderschar! Die Belehrung, über jenes Jesu-Wort, das die Weltklugen selten richtig auszulegen wissen, ist abgeschlossen; es ist noch anderes zu lehren über das, was euch letzthin stark bekümmert hat. Das ist die Frage, ob jene Aussagung zu Recht besteht, weil das 'Bald' nicht eingetroffen ist und immer auf sich warten ließ. Oh, denkt doch nicht zu wenig an das Heil, das der Grundstock jeder Offenbarung ist!

33. Setzt der Schöpfer eine Zeit, stets die 'Seinige', was rechnet ihr nach eurem Zeitmaß dieser Welt? Kann Er nicht, euch unverständlich, was bei keinem als ein Fehler gilt, die Zeit verkürzen, wie der Heiland sprach (Matt. 24,22) oder auch verlängern? Ginge denn das gegen jede Ordnung, in der die Zeit verankert ist? Da wäre ja die Ordnung, Zeit, des Schöpfers Werk vergeblich, denket ihr.

34. Eine Zeit verkürzen oder auch verlängern ist nichts anderes, als daß ein Geschehen dem Ablauf jeder festgefügten Zeit eingereiht und zur Auswirkung gelangen wird. Das stets zum Wohle für die Menschen hier hervorgehoben, weil es auf dieser Welt geschieht. Ansonst gilt dieses Gnadenheil im ungeheuren Schöpfungsall bei jeder Kinderschar, auf jedem Lebensstern, auf allen Lebenswelten, wo des Lichtes Kinder wohnen, wo die Wanderer durch die Materie pilgern. Desgleichen das, was ich damals vorzukünden hatte.

35. Überleget euch, ob der erbarmungsvolle Gott manch einem Kind die Frist beläßt, um wenigstens zur 'Werdefrucht' noch eingereiht zu werden. Lassen wir in dieser Hinsicht erst die Menschen gelten. Es ist ungleich schwerer, wird eine grüne Frucht ‒ nicht die Jugend ist gemeint ‒ vom Lebensweg genommen durch das Geschehen, das für viele zur Besinnung werden soll, wie zum 'Mene Tekel U-pharsin' (Dan. 5,25: «kontaktiert - gewogen – geteilt»), jenachdem, ob ein Herz sich wenden will.

36. Wird es durch das 'Mene Tekel' abberufen, dauert es im Jenseits lange Zeit und bloß möglich durch erhöhte Hilfe, ehe solche Seele aus der eigenen Finsternis zum Licht gelangt. Ist sie jedoch zur 'Werdefrucht' zu rechnen, vor dem Tod noch umgekehrt, wie einst der eine Schächer an dem Kreuz, so gilt ihr das gleiche Wort: 'Heute wirst du mit Mir im Paradiese sein' (Luk. 23,43), was bedeutet, daß solcher Seele auch der Jenseitsweg zum früheren Heil gereicht, als es sonst gegeben wäre.

37. Wartezeiten sind unaussprechlich hehre Heils- und Gnadenzeiten und soll kein Mensch, erkenntnisreich geworden, ungut fragen: 'Wieso hat das Wort sich nicht erfüllt?!' Eines habt ihr, kleine Schar, zu jeder Zeit geglaubt: Gottes Wort ist unabänderlich und ewig wahr! Was ER zusagt, hält Er gewiß! Diese Glaubensfestigkeit hat euch erhöht, weder vor der Welt noch vor andern Glaubenskindern, weil für alle, wie schon gesagt, es eine Stufe gibt! Nein, Freunde, selber seid ihr manche Sprosse an der eigenen Himmelsleiter hochgestiegen, und das bewirkt die Gnade unseres Herrn, des Heilandes, des Vaters der gesamten Kinderschar!

38. Wer das erkennt, wird sich weder innerlich noch äußerlich erhöhn und sich bedünken. Nur die Demutsstufe gibt die festeste Gewähr zum Weg ins Himmelreich ohne Wanken, ohne Weichen! Das 'Bald' kommt über Nacht, rascher, als ihr wähnt. Ihr zweifelt nicht mehr an der Offenbarung und könnt die Festigkeit beweisen. Wenn ihr es vermögt und handelt, werden viele euer Halt und Hilfe sein.

39. Oh, die Bescheidenheit in euch ist leicht zu sehen: Halt und Hilfe käme ganz allein von Gott! Dazu ist zu sagen: wer anders denkt, der ist ein Schelm, indem er meint, er könne helfen. Frage dann: 'Durch wen? Mit was?' – Ist ewig nicht allein der Schöpfer aller Kinder Hilfe und der Halt?! Aber so ist's anzusehen:

40. Der Schöpfer hat Sich nicht Sein Kindervolk erschaffen, daß eines wie das andere bloß lebt, um zu empfangen und nie zu geben. Durch Seine Kinder läßt er Halt und Hilfe fließen, wenn sie offene Herzen haben, guten Willens sind, ihr Geist, von Gott empfangen, mit Ihm verbunden ist. Durch Seine heilsgewohnte Führung kann man helfen! Es kommt zwar alles Heil vom Geber aller guten Gaben (Jak. 1,17), Er läßt es durch dem Licht geöffnete Menschen rinnen, womit das Heil dem Gebenden und Empfangenden zum Anteil wird.

41. Ein Kind kann unter dem empfangenden Segen ein guter Geber sein. Das steht vor eurer Tür! Nicht seid ihr damit belastet, ihr sollt gewappnet sein und nimmer fragen: 'Warum, o Gott, kommt die Geisel über Deine Menschenkinder?' Und wird einer und der andere von euch betroffen ‒ weinet nicht, klaget nicht, legt GOTT keine Fragen vor. Seid still im wahren Glauben: was auch die Menschen nicht begreifen können ‒ alle Dinge dienen Gott zum Besten ‒ für die Kinder!, weil ER ewig keine anderen Lichtgedanken in Sich trägt als das Heil, Seinem Kindwerk zugedacht!" Des Lichtes Bote wartet, ob und wie die Freunde reagieren.

42. Daß Pfarrer Sinkmann spricht, ist nicht verwunderlich; schon irdisch ist er mit des Kindes Seele stark verbunden, wohl weil beide ihre Engel hören, oder auch besteht ein Himmelsbund. ‒ "Darf ich fragen, hoher Bote, den Gott zum Troste uns entsendet hat?"

- "Es kann jeder fragen, den es dazu drängt. Das Licht gibt immer Antwort und es ist gut, wenn sich der Mensch damit zufrieden gibt, selbst wenn man lieber Gutes statt etwas anderes hören möchte."

43. Sinkmann zögert: "Eigentlich ist's keine Frage; was Gott-Vater bringen läßt, ist gut, obwohl wir es vom Menschsein her oft anders spüren. Unter 'gut' versteht man auf der Welt, was das Leben nicht bedrückt. Ich freilich denke: was vom Vater kommt, dient doch jedermann zum Wohle, zur Erziehung. Und Letztere hat jeder bitter nötig, wir hier alle auch. Doch das sei vorgebracht:

44. Bitte, Himmelsfreund, überbringe Gott, dem Vater, unsern Dank, Liebe, Ehrfurcht und den Glauben mit der Bitte: 'Herr, hilf, wenn wir mit schwachen Kräften helfen dürfen. Sei DU der Halt, die hohe Hilfe. Und wenn nicht anders möglich: Lasse uns aus Werdefrüchten in der Not, Angst, Leid und Schrecken reifen.' Dir zur Vaterfreude, uns zum Heil auf unserm Heimkehrweg! Auch dir, des Vaters Bote, sei der Dank aus vollem Herzen dargebracht. Du hast uns gedient, hast uns wieder auf den rechten Glaubensweg gebracht."

45. Ach, da heben alle ihre Hände hoch, bittend, dankend, und liegt jedes Herz wie eine wundersame Blüte in den Händen, die vom Licht herabgetragen haben, die der Menschenkinder Gaben freudig hoch zum Vater bringen.

- "Gottes Segen hat euch angefüllt, Er ist, Er bleibt bei euch. Seine Freude über euch ist nicht klein. Behaltet das als Kraft, deren ihr bedürft. Ich grüße euch."

 

 

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Kap. 17

- Weitere Lehrer aus dem Licht und Hinweise für die kommende Zeit – Das Wesen mit der Sense und die sieben Pavillons – Die schwarze Pest kommt – Der Großinquisitor gibt nicht auf

 

1. Immer ärger wird das Spiel der Weltlichen, jener, die Gewalt im Machtwahn an sich reißen. Das arme Volk wird dabei ärmer, die guten Gläubigen ‒ beiderseits ‒ verzagen. Selbst mancher Fürst, gut und treu, für seine Untertanen hilfsbereit, muß alles daran setzen, um nicht auch 'kassiert' zu werden. Längst hat der Stadtrat Tor und Mauer schwer bewachen lassen, Tag und Nacht. Wer kommt und will ins kleine Städtchen, der wird förmlich ausgekehrt; nicht bloß in der Hinsicht, was da einer glaubt, woher er kommt, mit welcher Absicht er den Ort besucht ‒ nein, darum geht es nicht allein: wichtiger ist, ob jemand gesund und wohlbehalten ist.

2. Letztere Maßnahme geht von Doktor Strauber aus. Denn noch kommen manche Engelsworte, durch Beate, Pfarrer Sinkmann, und die Freunde samt vertrauten Städtern beachten das vom Lichtreich Offenbarte. O ja gerade, was erst Widerstand erwecken wollte ‒ es war Beate, die dem Doktor flüsterte, setzt dieser durch, das:

3. "Er", sie meint ihren Engel, "hat mir gestern Nacht gesagt, ihr sollet vor dem Angertor, auf dem weiten Wiesenplan, der zur Stadt gehört, sehr rasch viele Hütten bauen, große, daß eine jede viele Menschen fassen kann. Sie sollen hell und trocken sein."

- "Hm, und weiter?" Strauber zieht die Augenbrauen hoch.

- "Gibt genügend Raum, jeder hat sein Haus, oder doch ein Kämmerchen, wie die Höckerin es hat.

- Was brauchen wir die Hütten? Der Wiesenplan ist Weide; die gibt niemand her, verlaß dich drauf."

4. "Ich weiß nicht", sagt das Mädchen, "er war ernst, so ernst, wie ich ihn noch niemals sah. Er drückte mir die Hand und sprach: 'Tut, wie ich es bringen soll; GOTT, der Herr, will euch helfen, selbst wenn viele Menschen in der Kürze nicht mehr leben werden.' Als ich forschte, wie es uns ergehen würde, hat er mild gelächelt: 'Frage nicht danach! Jedes Lichtkind geht den Weg des Herrn, kurz oder lang. Die Tapferen können ihre Scherflein bringen ‒ so eines, etwa auch ein anderes. Das liegt im Herrschaftswillen Gottes.' Darauf war er weg, so rasch, hatte beinah das Gefühl, als ob er weinte, es jedoch nicht zeigen wollte. Ach, Engel, meine ich, brauchen nicht zu weinen. Oder doch?"

5. "Frag den Pfarrer, Kind, vielleicht weinen sie über Menschen, deren Arg, was durch weite Lande läuft."

- Da geht Beate sinnend zu dem Pfarrherrn, der bei Schöber ist. Die Männer wollten mancherlei besprechen. Täglich ist zu prüfen und zu ordnen, um die Stadt vor allerlei Gefahr zu schützen. Schöbers Frau läßt das Mädchen sofort ein. Sie weiß von ihr, hat manches 'Wort vom Licht' gehört, hat Beate lieb gewonnen, zumal sie selber keine Kinder hat. Die einzige Tochter war als Kind gestorben.

6. "Was ist, Beate?" wird gefragt. Ihr Gesicht, noch kindlich, sieht bekümmert aus. Sinkmann hatte einen sonderbaren Traum, er sah einen grauen Mann. Der trug eine Sense wie ein Bauer seine Sichel; und wo er ging, fiel Halm um Halm. Einzelne ließ er stehen. Hernach ging der Graue über alles Abgemähte hin mit achtlosem Schritt, als käme es nicht mehr drauf an, eine Ähre aufzulesen und zu bergen. Gerade wollte er dem Stadtrat dieses Bild erzählen, den alten Freunden mochte er die Herzen nicht beschweren.

7. Wie hilfesuchend schmiegt Beate sich an seinen Arm: "Heut' morgen wollte ich es sagen, was diese Nacht gekommen ist; doch ihr seid schon weggewesen. Mutter wußte es, wo ihr zu finden seid. Sicher gut, daß unser bester Freund", sie zeigt auf Schöber, "gleich mithört." Sie berichtet ihren Engelstraum. Sinkmann sieht sie und den Städter an. Als er eben seinen Traum verkünden will, der irgendwie zum Wort des Engels passen mag, kommt der Arzt, der Beate nachgegangen war.

8. Als man Wort und Traum vernimmt, vergleicht, sieht Schöber ganz erblassend drein. "Also doch", murmelt er. "Noch immer wollte ich's nicht glauben, schob die Mär zur Seite, denkend: der Herr läßt das nicht zu! Und nun ‒? Weiß nicht, was beides zu bedeuten hat, euer Traum, Pfarrherr Sinkmann, was Beate uns zu melden hat, irgendwie ‒" Er läßt den Gedanken offen, zu greulich dünkt er ihn zu sein. Denn wenn… wenn…

9. Sagt der Arzt: "Ich habe mit der Meira Bartels fleißig allerlei gesammelt: viele Kräuter, dies und das. Wir werden es, barmherziger Gott, bald brauchen! 'Es' steht näher als wir ahnen oder wissen. Der Sensenmann ‒ allgemein bezeichnet man damit den Tod. Ich habe mir ihn nie so vorgestellt, weil das Sicheln von den Ernten etwas Gutes ist, das Gott-Gesegnete. Dachte immer so, als ich noch nicht richtig ‒ Na ja, ihr wisset, was ich meine."

10. Strauber war ein sogenannter 'Halber', nicht wirklich ohne Gott, aber auch nicht fest mit Ihm verbunden. Durch Beate kam er zu der Lichterkenntnis. Jetzt geht's um ungezählte Menschen. Er hat's von einem Wanderer gehört, der sich eingeschlichen hatte und zufällig auf den Doktor traf. Der raunte es: 'Südlich sollen ganze Städte, Orte, viele Dörfer völlig ausgestorben sein.' Da hatte Strauber so gedacht: Ist wohl bitter schwer; aber noch ist's besser, als wenn die Fremden ‒ er dachte an die Spanier und ihr Gefolge ‒ hm, sich die Leute stehlen. Anders ließ sich ihre arge Rigorosität gar nicht nennen, weil sie mit den Opfern fürchterlich verfahren. Höllenbrut hat er sie beschimpft.'

11. Schöber fährt sich durch sein graues Haar. Kann er seine liebe Stadt, sich selbst, seine Frau und wen alles noch bewahren? – "Ihr seht…", wendet er sich an die Männer, "…habe längst die Tore streng bewachen lassen und kam kein Kranker mit der… Pest herein." Er sagt's leise, der große Mann, der mutig war, wenn es galt, seinen Städtern allezeit zu nützen.

12. "Diesem Übel ist nicht abzuhelfen; Tore, Mauern ‒ was nützten sie denn anderwärts? Gewiß sehr gut, daß ihr, Freund Schöber, Riegel vorgeschoben habt. Wenn nun der Herr die Plage schickt?"

- "Das sagt ihr, Sinkmann?" Strauber schüttelt seinen Kopf.

- Sogar Beate sieht verängstigt drein. "Gott ist gut", lispelt sie, "Er sendet niemals Strafen! Wenn… so müßte man sie Seine Hilfe nennen, wenn dafür ein schwereres Übel weggenommen wird."

13. "Denkst an den Inquisitor?" fragt Schöber.

- Beate nickt. "Man hört manches auf den Gassen; viele Leute haben Angst, der Dunkle könne doch noch kommen, wie er verlauten ließ, er käme 'zum evangelischen Satan mit Schwert und Schwefel'. So stand es kürzlich an der Mauer angeschrieben, außen, vor dem sogenannten Kälbertor. Das war von Haus zu Haus getragen worden."

14. "Ja", bestätigt Schöber, "das war uns vor einem Monat zugetragen worden. Ich hatte allen Männern aufgetragen, in ihren Teilen, die jeder zu betreuen hat, auszurufen: 'Eher ließe ich die gute, liebe Stadt im Flammenmeer vernichten, eh der schwarze Hinkefuß, hab den Groß gemachten immer so genannt, nur eine Seele rauben dürfe.' Es war darauf ruhiger geworden. Mein 'Flammenmeer' nahm niemand wörtlich; man kennt ‒ ich darf es sagen ‒ meinen Einsatz, jedem, Mann und Frau, zu helfen. Was aber tun wir jetzt?"

15. Strauber zwingt sich zur Vernunft. "Vor dem Tore wäre sicherlich der beste Platz, wo man Kranke hinzutragen hätte. Keiner darf zu Hause bleiben! Sonst wäre diese Stätte völlig ausgestorben. Müßt Strenge walten lassen, lieber Schöber, was keine Freude bringt. Es darf sich, wie sonst üblich, Gevatter und die Busenfreunde gegenseitig auch nicht treffen. Kranke bleiben isoliert, abgesehen, daß das Leben und die Arbeit weitergehen muß.

16. Die Hütten (Baracken) sind rasch herzustellen, ein Zaun, hoch und fest, daran nur eine Tür, die strengstens zu bewachen ist. Nahebei darf nicht gewerkelt werden. Als ich in jungen Jahren einmal weit gewandert bin, nach Südosten zu, gab es eine Seuche. Wie man sie nannte, weiß ich nicht. War Schrecklich.

17. Trotzdem wurden die Befallenen betreut. Man trug dunkle Mäntel mit Kapuzen, aus denen bloß die Augen blicken konnten. In unserer Nähe gibt's Wacholder und ist eigenartig: die Höckerin sagte mal zu mir: 'Hab davon gesammelt, reibe mich stets vorher ein, ehe ich zu einem Totenlager gehe, hinterher auch nochmal. Sammelt fleißig mit, Doktor, wir werden es gebrauchen können.' Hat die Meira auch ein 'anderes Gesicht'?"

18. Ohne das geringste Zeichen, wie sonst es sich ergab, steht Beate mit geschlossenen Augen da. "Denket nicht", ertönt's mit warmen Worten, "Gott würde eine Rute schwingen ‒ für die Bösen könnte Er es tun! Nein, es kommt die Last, die wir vom Licht euch längstens angekündigt haben. Damit wird das weit Schrecklichere aufgehalten. Und jene, die das bringen wollen, euch bereits sehr nahestehend, verkappt, weswegen ihr es noch nicht wißt, die werden fallen von des Schnitters Sense und dann ‒ was werdet ihr mit ihnen tun, wenn sie vor euren Mauern liegen?"

19. "Liegen lassen", grollt Strauber.

- "Verständlich", sagt das Licht, "daß Menschen gleich um gleich vergelten wollen. Fraget erst, wie der Herrgott handeln würde. Also tut danach! Wer von den Getreuen seine Wanderstraße bald beendet hat, soll nicht sagen: 'Herr, warum ich auch?' Was dem einen recht ist, ist dem andern billig, und das bedeutet: 'Laßt Gott, dem Herrn, allein das Regiment! ER weiß, wer besser von der Welt zu nehmen ist, um seine Höllenübel abzustoppen und ‒ wessen Seele freudig heimwärts pilgern darf.' Die Letzteren haben ja ihr Tagewerk vollbracht; und trauern dürft ihr wohl, doch niemals maßlos traurig sein.

20. Ist nicht das gleiche, Doktorfreund", so lieb gesagt, daß dem die Tränen kommen. "Trennung ruft die Traurigkeit hervor, was echten Sinnes aus der Liebe kommt. Jammern wird nicht anerkannt! Ob ganz oder nicht bedacht, wird weniger gemessen. Seid bereit zu helfen; vergeßt die ärmsten Seelen nicht. Dieser Dienst ergibt im Jenseits deren erste Stufe zur Erkenntnis. Für manche eine Ewigkeit. Aber nie kommt Gottes Gnade für umsonst, nie zu spät! Das haltet euch vor Augen, haltet euch an Gottes Güte fest!"

21. Wieder ist es nach dem 'Wort' sehr lange still. Die Männer sehn sich an, schweigend reicht man sich die Hände, jeder geht gesegnet an sein Tagewerk. Es kostet Mühe, dem Bauherrn klarzumachen, warum er die Baracken bauen soll. "Eine würde doch genügen", knurrt er ungehalten. Der Arzt verlangt deren erstmal sieben, und jede muß mindestens hundert Leute fassen können.

*

22. Er rechnet zwar mit viel mehr Kranken; Pest wütet ohn' Erbarmen. Rasch wird der Mensch dahingerafft, gibt's halt wieder eine Liegestreu. Der Höckerin verbietet er, Tote zu betreuen, zu den Gräbern gehen; man wird große Gruben brauchen, um ihrer viele einzubetten. Wieder freundlich werdend, erklärt er ihr:

23. "Schau, du nimmst des Pesthauch an, trägst ihn weiter zu den noch Gesunden. Der Pfarrherr hatte mal gepredigt, ins Kämmerlein zu gehn und da zu beten; Gott würde es 'vergelten öffentlich'. Bete brav zu Hause, da kannst du jeder Seele bestens helfen. Sollte es mich auch betreffen ‒ ich danke dir im vorhinein, wenn du mit Gebet mir in den Himmel hilfst." Die Höckerin, in ihren Kreisen nie getan, küßt dem Medicus die Hand und geht wortlos fort.

24. Aus Angst und Schreck traut kaum einer seinem Nächsten. Es kommt unter Freund und Feind zu Rebellion, sogar zu manchem Mord. Auf dem Land zumal, wo nicht zu Hilfsbereitschaft angehalten wird, sind die Wochen prall gefüllt mit Not und Tod. In Städten, unter Fürsten, gibt's noch einen Halt, wie bei Schöbers nunmehr eisernem Regime ‒ zum Nutzen der Bevölkerung.

25. Meurer und die Freunde, Göster, Angermann und andere, die sich die Vernunft bewahren, sind von früh bis abends auf den Beinen. Die Baracken stehn, Meurer war der Fleißigste und hat wie oft gemahnt: "Denkt, daß auch wir hier liegen können, betreut, und ist manchem wieder aufzuhelfen. Wie euch die Hilfe wird, so gönnt sie jedem anderen, eurer ganzen Stadt." Das hat angespornt.

26. Etwas Gutes kommt, was die Überlasteten erfreut: manche Bürger geben Geld, warme Decken, allerlei Gerät, was man nötig brauchen wird. Die Bauern bringen Stroh, Heu, Holz für die Bettgestelle ‒ alles für umsonst. Geht zwar von Schöber aus, vom Vorbild aus der Burg; allein ‒ wo solch eine treue Hilfsbereitschaft herrscht, da herrscht GOTT!

- Dann eines nachts: plötzlich klopft's an die verschlossenen Mauerpforten: "Laßt uns ein, die Pest folgt hinter unserem Fuß!" Die Einlaßbegehrenden sind von dort geflohen, wo bereits der Graue seine Sense schwingt.

27. Des Nachts ein Tor zu öffnen, wäre für den ganzen Ort gefährlich. Weiß man denn, wie viele draußen stehn?, ob sie schon vom Tod ihr Zeichen haben? Nun, die Nacht ist lind, da wird es keinem schwer, den nahen Morgen abzuwarten. Das ratet Strauber, den man bloß zu rufen braucht und er ist da. Dem guten Pfarrherrn tut es leid, doch er sieht es ein, daß man nicht anders handeln kann, nicht zuletzt gerade für die draußen Wartenden. Und wie gut getan. Das sieht man schon im ersten Morgenschein.

28. Man hat bedacht, daß erst ein Wachknecht auf die Mauer klettern muß um zu lugen, was außerhalb derselben vor sich geht. Der steigt flugs nieder und meldet: "Es sind sicher fünfzig Leute, und Kinder sind dabei, da wird es einem bang ums Herz. Einige liegen da, ohne sich zu regen, die sind sicher krank."

- Man beratet sich: Schöber, Sinkmann, Strauber, Meurer, Göster, Angermann, dazu zwei Knechte, von der Stadt, die sich gleich als Pfleger meldeten, wofür man mit Erleichterung sehr herzlich dankt. Denn nur die Leute in die Hütten bringen? – Und dann…?

29. Das Tor öffnet sich spaltbreit für die Männer, die zu der Gruppe gehn. Doktor Strauber hat sofort die Kranken von den noch Gesunden abgesondert. Letztere kommen in den ersten Bau, der genügend Lager bietet; die Erkrankten, es sind erst zehn, weist er in die letzte Hütte ein, so daß ‒ wenigstens zunächst ‒ ein großer Zwischenraum entsteht. Schon geht's los.

30. Als er, unterstützt von Schöber und den andern, streng verweist, es dürfe keiner hin und her, da wird räsoniert: "Ich werde meinen Mann … ich meine Muhme …" was dergleichen mehr, "nie verlassen, ich pflege sie!"

- "Gehst dann zu den noch Gesunden, die hoffentlich zu retten sind, wenn ihr auf dem Weg euch nicht bereits die Keime zugetragen habt.

31. Entweder folgt ihr unsrer Anordnung oder ihr müßt fort! Ja, wir helfen, soll auch niemand Mangel leiden, so lang uns dieses möglich ist. Die Gesunden bleiben hier im ersten Haus. Wartet es bloß ab, bald kommen noch viel mehr und ist nicht abgemacht, daß auch unsere Stadt befallen wird."

32. "Das ist die Geisel Gottes…", schreit einer wild, "…weil wir nicht dem heiligen Christophorus folgten und ihm ausgewichen sind. Er hat das wahre Evangelium…"

- "…mit Feuer, Qual und Tod!" unterbricht Pater Angermann. "Wißt ihr nicht, wie viele Frauen, Männer, Kinder unsinnig leiden mußten? Das nennst du wahres Evangelium? Nun, dir steht frei, umzukehren und vor diesem…"

33. Nein, o nein, nicht mal in diesem Sinne mag er 'Heiliger' sagen… ", diesem Fremden hinzufallen.

- Kannst unsere Stadt verraten, was nicht nötig ist. Er will hierher kommen und …eben warten wir auf ihn." – 'Bloß anders, Freundchen, als du dir dummerweise denkst. Armes irrgeführtes Volk. O Herr, hilf!'

34. Es geht heftig hin und her, währenddessen Strauber im Verein mit Meurer schon den Kranken ihre Liegen angewiesen hat. Helfer und die Männer von der Stadt tragen dunkle Kittel. Die Kapuzen haben sie noch auf dem Rücken hängen lassen.

35. "Es darf niemand hier herein", weist der Arzt die Knechte an. Da beide starke Männer sind, fällt's nicht schwer, Unbefugte abzuwehren. Endlich sieht man ein, daß hier Fürsorge anzutreffen ist, wie sie nirgend fanden. Oh, klopfte man wo an, so wurde nicht geöffnet, obendrein noch groß geschimpft: 'Totenpack, trollt euch, wir lassen sonst die Hunde los!'

36. Brot und Suppe wird verteilt. Wer nichts hat, bekommt Napf samt Löffel, was jeder selbst benutzen soll. Dann… ja, man ist dankbar, weil man unter einem Dach versorgt ist und ruhig schlafen kann. Schon am nächsten Tage treffen weitere Leute ein, alle krank, und von der Pest gezeichnet. Die dritte Hütte wird geöffnet, es ist besser, sie liegen noch allein.

37. Strauber hatte es bedacht, verschiedene Krankenstufen sonderlich zu legen. Und wieder Gutes: Von der ersten Gruppe melden sich drei Männer, noch gesund. Es wird bitter nötig sein, viele Hände einzuspannen, sehr bald solche, die die Toten wegzutragen haben. Weit abseits im Geröll sind tiefe Gruben vorgesehen worden.

38. Ein paar Tage scheint die Geisel abzuklingen. Die Freunde sagen nicht 'von Gott gekommen'. Manchen geht es besser, niemand wurde neuerlich befallen. Man atmet auf; die Sorge aber bleibt. Es kommt weitere Kunde, wie die Pest nach vielen Seiten vorgedrungen sei und Arme, Reiche, Hohe, Niedrige erfaßt. Sie bleibt vor keinen noch so fest verschlossenen Türen stehn. Kein Wunder um die Zeit: die Verängstigten flüstern es sich zu: 'Wie ein Drache fliegt sie durch die Luft. Plötzlich ist er mitten unter uns.'

39. Pater Angermann und Pfarrer Sinkmann mühen sich, das Gefasel auszumerzen, mit lieben Mahnungen und Hinweisen auf den Heiland, auf Gottes Güte und Erbarmen. Aber freilich, 'es' ist da, es läßt sich nicht verscheuchen, nicht einmal mit guten Jesuworten. Sinkmann muß mitunter seine Stirn in beide Hände stützen, sehr bangend um den Glauben, sogar um seinen eigenen.

40. Schon nach einer Woche, nachdem die zweite Gruppe angekommen war, fällt jählings in der oberen Grabengasse jemand um, ein älteres Weib. Ein Wachknecht, deren mehrere vom Stadtrat angewiesen worden waren, Gassen, notfalls auch in Häusern kontrollieren, damit, wo ein Mensch auf seinen Schragen liegt, der, schleunigst wegzutragen sei, alarmiert den Arzt.

41. Strauber kommt mit Meurer. Gerade geht es auf den Abend zu, die Arbeit ist getan, also ist die Freundesschar einer wie der andere bereit, zu helfen, wo immer Hilfe nötig ist. Als der Arzt die Frau betrachtet, wird sein Gesicht todernst, Er zieht Berghold Meurer und sich selbst die Kappen über ihre Köpfe; die 'Pestmäntel', wie man die Schutzkleidung bezeichnet, hatten sie schon an.

- "Ach, nun ist der schwarze Tod schon in der Stadt!" Meurer sagt es leise, es klingt wie stilles Männerweinen.

42. "Hol' die Trage", befiehlt der Arzt dem Knecht, "weiter brauchst du nichts zu tun." Zu zweit schaffen sie die Kranke fort.

- Strauber atmet schwer. Weib und Trage haben ein Gewicht; nicht bloß von dem Materiellen her. Nein ‒ die größere Last ist die Herzensbürde.

- "Magst du die Städter extra legen, wenn…"

- "Es dauert nicht sehr lang", unter bricht der Arzt, "auch unsere Häuser werden leer. Die fünfte und die sechste Halle habe ich für unsern Ort bestimmt, wenn ‒" Es ist immer dieses schicksalhafte 'Wenn', das die Verantwortlichen tragen müssen, tragen wollen. Mit Ernst im Namen Gottes, im Aufblick Seiner Liebe und Barmherzigkeit.

43. "Die erste Halle wollen wir, so lang als möglich, den gesünderen Fremden überlassen. Aber ach, wie viele werden kommen! Rundum und weiter weg in den Weilern ‒ wer will den kranken Leuten ohne Ängste helfen? In Schreck und Not rennen sie davon, durchaus zu verstehen. Ob dann unsre sieben Hütten reichen, um alle Kranken aufzunehmen? Wenn nicht, müssen wir die erste ebenfalls belegen. Wer gesund ist, der kann wieder heim." ‒ 'Wenn sie gehen', zweifelt Meurer. 'Hm, nun es wird sich finden.'

44. Die Zweifel waren ganz berechtigt. Tag für Tag liegen vor der Mauer Kranke, geht es in der Stadt umher, mal hier, mal dort. Sehr bald haben Strauber und zwei wackere Knechte, die weder Tod noch Teufel fürchten, wie sie sagen ‒ nur darf man nicht in ihre Herzen sehen, drin stehen nämlich Angst und guter Helferwille Hand in Hand ‒‚ nichts anderes zu tun, als von manchen Häusern und von Gassen Hingestürzte fortzubringen.

45. Der Raum, in dem für hundert Leute Plätze vorbereitet waren und zwanzig leichte Fälle hausen, sich beköstigen lassen, ansonst dem 'lieben Gott die Tage stehlen', wird geräumt, mit einem Aufgebot Bewaffneter. Ein Einziger wird vernünftig, geht freiwillig aus der Tür, sagend: "Wir haben euch so viel zu danken, wo gibt es solchen guten Willen wie bei euch? Und vor der Pest ‒ Da kann man leben wo man will, man wird befallen. Also ist es gut, den schon Erkrankten dieses Hospital zu überlassen."

46. "Glaubt, liebe Leute", sagt Sinkmann vor der Tür am Zaun, "ihr findet leere Dörfer, wenn ihr nicht nach Hause wollt. Gott behüte euch, möge Er euch vor dem schwarzen Tod bewahren!" Alle knien nieder, betend und auch dankend.

*

47. Auf dem Weg zum nächsten Ort begegnen sie einem ziemlich langen Zug. Voraus reiten Schwerbewaffnete, dann folgt eine Sänfte, hinter dieser wiederum ein Hauptberitt, mehrere Wagen mit vielerlei Gerät. Da die Leute diesen Zug von weitem sahen, biegen sie rasch aus. Oh, ganz gleich, wer hier kommt, solche hohe Reisende würden gar nicht fragen, wer sie sind. Einer hat es dann gehaucht:

48. "Der gute Prediger, ich frage nicht, auf welchem Fuß er steht", er meint die katholische oder evangelische Seite, "hat uns still gesegnet. Der in der Sänfte …" Der alte Mann braucht's nicht erst auszusprechen, es denkt jedermann das gleiche, wer jener ist. Das genau trifft zu.

49. Der Beritt bleibt einen halben Tagmarsch vor der Stadt des Schöber stehen. Zelte werden aufgeschlagen, und der Großinquisitor ruht im reichsten Zelt auf weichem Pfühl. Seine Augen funkeln listig. 'Ha, nun bin ich in das Herz der Brut getreten, es ist jener Teil des Thüringer Landes, der von Fürsten und vom Volk verteidigt wird ‒ das Evangelium, das ihnen rein geboten ward, mindestens so rein, als die Menschheitszeit ergab.'

50. "Der strafende Gott hat mich geführt, die Pest hat uns verschont. Die Stadt wird überrannt, zur Burg geht's auch hinauf, o lala, die Eisenacher sollen schmelzen wie im Feuer Eisen schmilzt. Dann soll die Höllenbrut erleben, was ich ‒ ich ‒", er pocht sich heftig auf die Brust, "ich tue!"

- Ist da nicht ein warnendes Gefühl? Sieht er nicht den Tod ins Zelt hereinspazieren? Dummheit, er ist müde von der langen Fahrt. Heftig schellt er nach dem ersten Diener, der mit tiefem Neigen an dem Vorhang stehen bleibt. "Hauptmann, sofort!" Man dient dem Großen und man fürchtet ihn; es ist jeder froh, wenn man diesem aus den Augen kommt.

51. Auch der Hauptmann wartet stumm, jedoch ungebeugt, beim Zelteingang, bis er angesprochen wird. "Wie lang braucht ihr, um zur nahen Stadt zu kommen? Drei Stunden etwa?"

- Es ist weniger die Frage, als weit mehr der Befehl: "Das ist zu erreichen, sonst ‒ Daß die Leute müde sind, die sich nicht auf weiche Polster betten können und auch die Tiere abzufüttern sind, nicht unentwegt traben können. ‒ Ach was fragt der Großgemachte denn danach?"

52. Der Hauptmann untersteht dem Inquisitor nicht, das Geleit ist ihm bloß ausgeliehen worden, also sagt der Reisige gelassen:"Herr, das läßt sich in der Zeit bewältigen." Klugerweise schiebt er nicht die Müdigkeit der Leute vor. "Die Gespanne sind erschöpft, die die schweren Wagen ziehen. Zwei Stunden brauchen sie, ansonst bleiben sie am nächsten Hügel stehen."

- Der Spanier beißt sich auf die Lippen. Doch dann blitzt ihm der Gedanke auf: 'Haha, auch gut, überfallen wir die Brut bei Nacht!'

53. "Geh", sagt er heftig, "in zwei Stunden Abmarsch der Kolonne. Sind denn hierorts keine Umspannpferde aufzutreiben?"

- "Schwerlich, Herr. Die hiesigen Bauern haben meistens Kühe oder Ochsen, wenn solche noch vorhanden sind. Fast alle Dörfer waren leer. Wo die Leute mit den Tieren blieben, war nicht zu erkunden. Die flüchteten in die Wälder; denn die Pest …"

54. "Schweig!" 'Nicht einmal den Reisigen kann er befehlen,' denkt er zornig, und ist froh, daß er das Geleit besitzt. Schon zweimal wäre es ihm schlecht ergangen, wäre er auf seine eigenen Leute angewiesen. Fürstliche Bewaffnete kreuzten seinen Weg. Nun ist er da, er wird es ihnen zeigen, was zu tun ihm möglich ist. Jammern, schreien sollen sie, sich im Feuer krümmen und …

55. Darüber schläft er ein. Es sind grauenvolle Bilder, die sich wie ein Mahr auf seine Seele wälzen. Der Diener, der ihn weckt, tut es mit einem Stab. Der Hohe läßt sich nicht berühren, gibt niemandem die Hand. Sein Wesen ist ja so verkümmert, sein Herz versteinert, und vom Fünklein Geist, das auch er bekommen hat, scheint nichts mehr da zu sein. Eingesargt hat er ihn samt allem Guten, das an sich ein jedes Kind besitzt. Kein Licht erfüllt den stolzen Mann, er gleicht einem wandelnden Grab.

56. Als ob er nicht geschlafen hätte, fragt er hart: "Fertig?"

- "Ja, Gebieter, ihr könnt ziehen." Ein Glück, daß das Lager abgebrochen ist; sein Zelt ist nur noch aufzuladen. Das muß rasch geschehen, in der kurzen Zeit, während der der Hohe revidiert und sich in die Sänfte setzt. In knapp drei Stunden sieht man trotz der Dunkelheit einen großen Zaun, sehr lang, sehr hoch, sehr fest, wirkt fast wie eine Mauer.

57. Neugierig sieht der Inquisitor aus dem Fenster seiner Sänfte; der Hauptmann hatte 'Halt' geboten. Auf Befragen sagt derselbe: "Wer weiß, was das bedeutet. Vor uns liegt die Stadt; aber was hier eingefriedet ist, muß ich erst erkunden."

- "Warum ist's noch nicht geschehen?" Diesmal ist es nicht wie üblich grob gesagt; denn um die Stadt zu stürmen, braucht er die Bewaffneten. Ob auch von der verhaßten Burg der Ort nicht einen Schutz besitzt? Ein regelrechter Kampf ist zu vermeiden; sein Einzug muß erst friedlich wirken, ganz im Sinne seines Ordens. Erst hernach ‒ ‒

58. "Es ist ein Tor im Zaun", meldet es ein Läufer, den der Hauptmann zur Erkundung schickte.

-Kann das aufgebrochen werden?"

- "Leicht", winkt der Läufer ab, "aber drinnen stehn zwei Männer, das könnten Knechte sein."

- "Los!" befiehlt der Hohe, "ich bin mit da bei!"

- Der Weg ist aufgeweicht. Nach einem Regen und dem vielen Hin und Her der Krankenträger, der Karren mit der Suppe, da kann der Hohe mit den feinen Schuhen, die er immer trägt, bald stecken bleiben, denkt mancher seiner Leute schadenfroh.

59. Daß der Spanier schon längst gemeldet ward, die Stadtherren im Verein mit den Freunden Vorkehrungen trafen, ahnt jener nicht, und keiner seiner Leute. Sinkmann hatte zwar gemeint, man müsse vor dem Anger warnen; doch diesmal gab man Schöber recht, der nicht zu Unrecht sprach: "Geht der Spanier durch die Tür, so geht er eben ins Verderben. Strauchdiebe! Hoffentlich merkt es seine Garde und sie zieht sich wie die Wächter schnell zurück. Sie rufen 'Pest'! Mehr ist nicht zu tun. Unsere gute Stadt zu überfallen… Ja, sagt doch an: sollen wir das dulden?"

60. Ganz recht; ist es jedoch christlich, den Feind und sein Gefolge diesem Tode preiszugeben? Auf dieses Argument vom Pfarrer fragt der Stadtschreiber Göster: "Ist es christlich, wenn der Schwarze uns in seine Zange nimmt? Was er tut, Pfarrer Sinkmann ‒ da seht eure eigenen Arme an! Verhüte Gott, daß der Böse unsere Leute frißt!" – Er wird es nicht mehr können.

 

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Kap. 18

- Was zu tun ist? - Das Licht antwortet - Der Große wird geplagt, sogar der Helfer - An Taten der Liebe mangelt es nicht

 

1. An dem Abend, als der Spanier mit seinem Trupp heranmarschiert, hat man sich bei Stadtrat Schöber eingefunden: Berthold Meurer mit Helene und Beate, die Flüchtlingsfreunde, Doktor Strauber, Pfarrer Sinkmann, Pater Angermann, Stadtschreiber Göster und ausnahmsweise Scharfner, der Wartburgkommandant. Der war mit ein paar Reisigen gekommen, um mit zu verteidigen; denn auch der Burg war der nahende Beritt gemeldet worden. Was da kommen würde, darauf brauchte man nicht erst zu warten. Man wußte es.

2. Scharfner ist zwar geistig ein mehr unbeschriebenes Blatt, hat jedoch von Martin Luther allerlei gehört und verehrt den tapferen Mann. Was ansonst in diesem lichtgeschützten Kreis geschieht, weiß er nicht. Immerhin ‒ er ist aufgeschlossen und so wird ihm auch das Licht zu teil. Man bespricht, was in der Nacht geschehen kann. Für und Wider ist erst bang erwogen worden, und ‒ menschlich etwa doch verständlich, sagt man ohne Scheu, daß dem Inquisitor recht passiert, wenn er selbst sich in den Tod begibt.

3. Nur die beiden Prediger, Angermann und Sinkmann, Meurer und Beate sitzen wortlos da. Das weltliche Bedenken drückt. Gewiß, aufhalten können sie das Übel nicht. Im Innern ist das Brennen der Erbarmung: man hätte ihn verwarnen sollen, um ihn und seine Schar zu retten. Wer weiß jedoch, ob man die Warnung angenommen, der Bote dann dafür des Spaniers Haß erfahren hätte…?

4. Sagt der Hauptmann: "Gönnen tu ich ihm es nicht; was aber hat er denn bei uns zu suchen? Wie erzählt, wäre Spanien ein großes Land; hätte dort genügend Leute, kann er es nicht lassen, sie grauenvoll zu martern. Und unser Glaube? Na ja, bin halt einer von der Welt; doch soviel hat mir unser Luther beigebracht: 'Es gibt bloß einen Gott! Und wenn die Welt voll Teufel wär', stünde doch der Herrgott über diesen in der schöpferischen Macht.' Bei 'Teufeln' hatte er es leis geflüstert: Menschen sind die Teufel, für mich, und insgeheim gibt es keine anderen. ‒ So, das gab mir zu denken. Der Spanier ‒ hm, ist der nicht der reinste Teufel?"

5. Man nickt und wünscht es herzenstief, daß er nicht die gute Stadt verderben darf. Es ist genug der Plage, weil die Pest schon eingezogen ist, wenn vorerst hier nur in Einzelfällen. Der angebrochene widerliche Herbst wird die Seuche unterstützen. Von denen, die der Spanier um sich hat, könnten etliche echt gläubig sein, so daß man sie nicht mit zur 'Teufelrotte' rechnen muß.

6. "Mag sein", erwidert Xaver Hieselbar, der sich gerne am Gespräch beteiligt, "die Folterknechte sind nicht besser als ihr Herr. Denen ist's egal, ob und wie da einer leiden muß. Oh, unser teurer Pfarrer kann es uns bestätigen."

- Sinkmann nickt dazu, meint jedoch: "Lassen wir das Thema fallen und bitten unsern lieben Gott, Er möge ferner uns behüten und ‒ und auch den Feinden helfen." Es ist ein inniges Gebet, das in den Himmel steigt. Er hat es längst bemerkt, was außer Meurer in der Hitze des Disputs den anderen entgangen ist, daß mit Beate eine große Wandlung vor sich ging.

7. Er selbst hatte auch des nachts zuvor geträumt: 'Morgen werdet ihr ein Wort vernehmen, für euch Menschen, sogar für die guten, unverdient. Doch Gott-Vaters Güte und Erbarmung gibt euch Seinen Segen, jenen, den immer ER allein zu geben weiß. Warte ab, was geschieht.' Letzteres wurde angefügt, als Sinkmann träumend unbewußt nach dem Geschehen fragte. Er wollte es bereits erzählen, bloß war es ihm, als stünde innerlich ein 'Nein' davor. Auch waren die Gespräche trotz Berechtigung und Not für ihn zu weltlich. Viel lieber hätte er von Gott, von Seiner Führung, von der herzlichen Barmherzigkeit gepredigt.

8. Unbewußt und ungewollt wird es in der Runde still. Wie ein Odem, sonderbar, wie kein lindes Lüftchen es vermag, so umkost es jeden. Sogar der Hauptmann ist davon berührt. Der forscht zwar heimlich in den Mienen aller, ob 'die was spüren', wie er es nicht verneinen kann und wird dessen inne: die meisten sitzen mit gesenkten Köpfen da. Sinkmann, Meurer, Strauber und der Pater schauen auf Beate, die wie fast verwandelt anzusehen ist.

9. Sie steht hier, man sieht das Kindliche des Mädchens; allein das 'Fremde' ist wie eine Hülle, wie ein Kleid über sie gestreift. Hm, was mag das sein? Was geschieht bei denen? Selbst die Höckerin, die oft im Kreise weilt, sieht anders aus als sonst. Ihr faltiges Gesicht erglänzt, wie von innen, ein Rückstrahl unbekannter Freude. Und dann ‒ ‒

10. "Kinder auf der Welt, im Durchgang eures Lebens, das euch oft so unverständlich ist mit ungestillten Fragen, bei manchen auch mit einem Sehnen, das vom Himmel kommt und hinauf ins Licht verlangt, ahnt und wißt ihr nicht, wessen Sprache ihr vernehmt, wer nun zu euch gekommen ist."

11. Ach, was ist denn das für eine Stimme? Sie klingt an sich nicht anders, als ein junger Mensch, eine Maid sie haben kann. Dennoch ‒ dennoch ‒ ‒ Anders tönt sie in den Ohren dieser aufgeschlossenen Herzen und steht in jedem diese Frage auf. So dunkel, warm, gewaltig und so wundersanft, als ob eine zarte Hand die Wange streichelt. Doch schon spricht 'es' weiter:

12. "Forscht nicht, wer heute zu euch kam; nehmt das Licht und eures Gottes Vaterliebe auf, bewahrt sie als die reich gesegnete Zehrung, wenn es für jeden an den Heimweg geht. Fragt auch nicht, ob bald, ob spät und ‒ wie! Wißt ihr, ob nicht doch in jederlei Geschehen eueres Himmelsvaters Segen ruht? Gibt Er jemals anderes als Liebe, Gnade, Friede und Barmherzigkeit!

13. O ja, schon als Heiland hatte Er gesagt: «In der Welt habt ihr Angst, die steht doppelt vor der Tür.» Er hat aber auch gesagt, und zwar, bevor Er Seinen Opferweg gegangen ist: «Seid getrost, ICH habe die Welt überwunden!» (Joh. 16,33; 14,27). Dazu das Herrliche: «Meinen Frieden gebe, lasse Ich euch!»

14. Wer war gemeint? Die Jünger oder gar Er Selbst? Hat der Heiland einzelne aufgezählt oder etwa nicht des Vaters ganzes Kindervolk in Seinen Frieden eingeschlossen? Für Sich brauchte Er das nicht zu sagen und zu tun. ER war, Er ist ewiglich der Geber Seines Friedens und des Heils! Braucht euer Herz nicht zuzudecken, der Vater sieht hinein, sieht und bedenkt das Bittere: 'Es ist ja gar kein Friede auf der Welt und ‒ freilich ‒ in Angst und Schrecken stehen wir, da hat der Heiland wahrlich recht gesprochen.'

15. Bloß das, ihr lieben Leute, die ihr doch des Vaters Kinder seid? Oder meinet ihr, Er sieht es nicht, was vor euren Mauern wie ein Leviathan lauert, um euch alle zu verschlingen? Ein Drache mit zwei Hörnern, wie ihr denkt. Ein Horn ist die Pest, das andere ist der Feind, den ihr gar mit Recht den 'Schwarzen' nennt. Beide Hörner kommen nicht von Gott; denn Er ist und bleibt der HEILAND, wie von alters her (Jes. 43,3; 11,63; Hos. 13,4), der segnet, heilt, der allewege hilft!

16. Wie sieht Seine Hilfe aus? Ist sie bei jedem gleich? Kann man sofort 'Hosianna' singen, wenn im Nu das Leid, die Angst vorüber ist?, stets im Angesicht des Vaters voller Freundlichkeit?! Oder ‒ kann der Ewige nicht auch einmal Sich wenden, daß ein Böser bloß noch Seinen Rücken sieht? Dabei jene Frage angehängt: 'Sieht Gott so den Bösen nicht? Sieht Er ihn nicht an? Vergißt Er seiner, weil das Wesen, eigener Finsternis entstiegen, arg und an sich unwert aller Gnade und Erbarmung ist!'

17. Ihr denkt an jenen, der euch überfallen will und ins Verderben rennt, ohne Wissen in das eigene. Ja, bei diesem Schwarzen hat der Herr Sich umgedreht, hat ihm den Rücken zugewendet und ‒ blickt ihn nicht an! Etliche unter euch haben in echt menschlichem Bedauern ihm noch helfen wollen, daß er nicht ins Elend läuft. Frage: 'Seid ihr barmherziger als der Herr?'

18. Ihr erschauert, möchtet weinen, der Vergleich passe nicht auf euch. Ganz recht, Kinder eures Vaters! Von der hohen Himmelswarte aus gesehen gilt's nicht euch. Längst hat Gott es aufgeschrieben, um euch einst damit zu segnen. Wer seinen Feinden Gutes wünscht und tut, der erfüllt das Wort: «Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen» (Matt. 5,44)!

19. Ist das zuviel verlangt? Einer unter euch trägt Feuermale, ihm höllisch eingebrannt. Was hat er getan? Hatte er denn seinen Feind verflucht, ihm die menschliche Vergeltung angewünscht? Oder hat er ‒ freilich können das nicht viele Menschen ‒ vor dem Angesicht des Vaters auf den Knien gelegen und gesprochen: 'Herr, hilf, ach Herr vergib ihm diese Sünde!'? Unter euch war trotz manchem Widerwort kein schlimmer Wunsch vorhanden; bloß wußte man es nicht, wie man diesen Finsteren einrangieren soll ins Gebet, oder ob er seinen Weg zu gehen hätte. Letzteres gewiß, ihr werdet es erfahren. Dann aber kommt es darauf an, wie ihr handeln werdet.

20. GOTT schreibt euch das nicht vor, das müßt ihr aus euch selber tun! Dabei könnet ihr beweisen, ob ihr des Vaters gute Kinder seid, wie einst vor eurem Mithilfsweg; denn etwas anderes ist der Gang durch die Materie nicht. Habt ihr es erreicht, so wird euer Tun im Himmel angeschrieben sein. Dabei auch das Fragewort: 'Für wen?' Für euch, oder für die Feinde, wie der Heiland alles für die Menschen tat, für Freund und Feind! ‒?

21. Wer für gutes Tun ‒ man darf's erkennen, ob man recht gehandelt hat ‒‚ sich den Lohn errechnet, hat ihn vorher schon verspielt! Es braucht nie GOTT zu warten, um zu sehen, wie einer handeln wird. Doch wartet Er, bis sich eines und das andere erfüllt: am Menschen eben selbst. Dann zeigt Er an, ob Er väterlich das Kind betrachtet oder einem Abgewichenen den Rücken zeigt.

22. Der Stürmende ist aus der dunklen Tiefe aufgestiegen und braucht eine Zucht. Wie diese wirkt, wird man auf der Welt nie voll begreifen. Gottes hoheitsvolles Wirken an den 'Verlorenen aus dem Hause Israel' (Matt. 10,6) ist wundersam. Israel war und bleibt das Volk des Lichts; für das irdische Volk war es ein geborgter Name. Die Verlorenen sind jene, die einst mit dem 'großen Stern' aus dem Himmel stürzten (OJ. 9,1). Euer Schwarzer ist ein Mitgefallener und braucht seine Seele jenes erste Heil, das auch dem ersten Kinde durch seinen Absturz gelten mußte ‒ aus Erbarmung!

23. Wähnet nicht, dann wären eigentlich die Besseren zurückgesetzt, käme ihnen etwa bloß das zweite Heil zugute. O ihr lieben Kinder, ob gleich vom Vater ausgegangen, was wisset ihr vom ersten, zweiten oder einem letzten Heil? Bei kleinem zieht es durchs Gemüt: 'Nichts wissen wir, ahnen aber, daß jedes Heil beim Vater ewiglich das EINE ist, wie ER der EINE GOTT von Anfang an und bis in Ewigkeiten war, ist und bleibt!' Das war Erkenntnis, die in euere Herzen lichthaft eingegangen ist! Darum sei euch jetzt zum Trost gesagt, daß ihr das zweite Horn nicht mehr zu fürchten braucht.

24. Für den Argen, finster, arm und todeskalt, ist es gut, in sein menschliches Verderbnis einzugehen. Bloß auf diesem schweren Wege wird einmal der Finsterling zu retten sein, um erlöst zu werden. Nur fragt nicht nach der Zeit! Die Jenseitsuhr und -zeit sind ja völlig anders als das, was die Materie, was ihr Menschen kennt. Immerhin kann nach eueren Begriffen mehr als tausend Jahre und noch mehr verrinnen, ehe denn sich solche Todesseele wecken läßt, um ‒ wie der verlorene Sohn ‒ zu einer Heimkehr zu gelangen.

25. Was sind dem Schöpfer tausend Erdenjahre (Ps. 90,4)? Gesagt, weil ihr erschrocken seid. Für das menschliche Ermessen ist's wie eine Ewigkeit empfunden. Eben gut, so soll, so muß es eine Seele fühlen, die für sich den 'Lichttod' wählte und die Gott als allerbester Arzt (2.Mo. 15,26) erst heilen muß, um sie hernach aus ihrem Grab herauszuheben. Dann kann ein Heimfindweg begangen werden.

26. Ihr ahnt es nicht, was Gottes Heilsplan ewig vorgesehen hat für Zeit und Raum, für jederlei Geschlecht und alles, was im Licht, was in der Materie lebt. ER ist da, ER sitzt im Regiment! Nichts hemmt Seinen Herrschaftswillen! Und der ist gut, so gut! Menschen können wohl ihr kleines oder größeres Soll erfüllen, und die ungezählten Namenlosen gaben, geben ihre Opfer dar, willig, glaubenstreu, stark im Dienst. Wer in die Weltgeschichte eingegangen ist mit weltlich großem Tun, von denen hat nicht jedermann ein großes Soll erbracht. Leicht sind sie zu zählen und ‒ werden mitgezählt.

27. Nun seid getrost ob mancher Angst, wie das Wort euch zugerufen worden war (S. 193,4) und vorher schon; denn euer Weltweg war mit mancher Mühsal, mancher Not gepflastert. Alle, die davon betroffen wurden, kommen ohne Qual ins Vaterhaus zurück. Werden von euch welche weggerafft, so denkt daran: Das Dasein auf der Erde ist ja bloß ein Steig herab, hindurch und wiederum hinauf, zum Ausgang eures lichtgesegneten Lebens, in Gottes Vaterland. Ihr sollt, ihr könnt gute Opferträger sein!

28. Gibt euch die Welt die Ewigkeit, oder hat die einzig Gott, der Heilige, der Schöpfer in der Hand, ohne Anfang, ohne Ende?! Heute dürft ihr einmal hören, um euch sonderlich zu stärken: ihr habt den Glauben und die Kraft um Gottes Wort bewahrt, wenngleich manch Sorge in der Herzensecke hockt, besten Sinnes für die Nächsten, für die Freunde, damit keiner ins Verderben kommt, das die Finsterlinge bringen. Doch Ich sage euch: legt auch das noch ab, werdet frei im Freisein herrlicher Gebundenheit an Gott, dem Vater hoher Liebe, Führung und Geduld!

29. Haltet Gottes Segen, diese Seine Worte fest; morgen wird die Welt euch überrennen wollen und sie kann es nicht, obwohl ihr den Tribut bezahlen müßt, so und anders, wie die väterliche Güte eure Wege vorgesehen hat. Gott, der ewig segnet in der Schöpfermacht, in der hochpriesterlichen Kraft, ER segnet euch!"

30. Was man spürt, wie die Gefühle auf- und niederschnellen, nieder in der Demut ihres Wesens, hinauf in Dank, Anbetung, im stillen Denken: 'Unwert! Unwert dieser Gnade!' Keiner fragt, wer gesprochen hat. Die Eingeweihten wissen, daß es nicht Beates Engel war, wohl ein Großer aus dem Licht oder… nein, das wagt sich nicht hervor und ist heimlich da: 'Kann denn ein Anderer das Hehre bringen als ‒ der HERR allein?'

31. Stilles Einvernehmen: 'Nicht erforschen, den 'Heilandssegen' sich erhalten, laßt uns tun, wie uns geboten worden ist, geraten, o ja: angeraten wurde unser Tun und Lassen' (OJ. 3,18). Wie lange noch die Freunde stumm beisammen saßen ‒ keiner kann es sagen. Es ist weit nach Mitternacht, als man sich die Hände reicht, als man das 'Kind' nach Hause führt, im Geleit des Burghauptmannes.

32. Der verhält den Pfarrer Sinkmann vor der Tür:"Pfarrherr, ich schätze euch sehr hoch; das Mädel, hm, versteh' ich nicht, es geht über meinen Horizont, bekenne aber gern: ins Herz hat's mich getroffen. Wie kann ich es verkraften? Habe mich niemals mit so etwas befaßt. Na, der Schwarze würde sofort 'Hexe' sagen, er hätte wohl…"

- "…es gar nicht begriffen und würde es auch nicht begreifen wollen, Freund Scharfner, als wir es begreifen konnten ‒ durften, aus Gnade, durch Gottes Segen.

33. Mit diesem braucht ihr gar nichts anderes zu tun als alle: fest erfassen und dazu noch: 'Schweig still, mein Freund, laß dem Lichte was dem Licht gebührt!' Ihr werdet es erkennen, wo und bei wem man einmal einen kleinen Zipfel davon lüften kann, weil das Wunderbare nicht bloß uns zu gelten hat. Ihr erlebet es, wie GOTT euch führt und ihr zu Seinem Dienst gelangt. Gehabt euch wohl; bedürft ihr meiner, bin ich stets für euch bereit."

34. Sinkmann hatte jäh die Rede unterbrochen, auch Scharfner horchte auf. Ein wüster Lärm schallt bis zu ihnen her. Er kommt von der Mauer, von außerhalb; da gilt sein Einsatz mit den Reisigen, die ‒ bereits ohne Wecken ‒ sich am Angertor versammelt haben. Dort wird von außen heftig angepocht.

- Scharfner befiehlt: "Das Tor bleibt zu und zu erstürmen sind die Bohlen nicht!"

- "Wenn sie Feuer legen?"

- "Strohdumm wären sie, da gefährden sie sich selbst. Abwarten, bis zum Morgen, dauert nicht mehr lang. Wir werden sehen, was draußen vor sich geht." Und was…?

*

35. (in der Zwischenzeit...) – Als der Inquisitor mit der Truppe vor der kleinen Tür zum Lager angekommen ist, trotz schon angehender Nacht noch leicht zu sehen, ein halber Mond geistert durch die Wolken, befiehlt er hart: "Es wird aufgebrochen, man will uns verlocken, daß wir nicht die Stadt erobern. Folgt noch nach!" Sein Zorn ist heftig, er mag nicht an seine Schuhe denken, hatte Mühe, sie nicht zu verlieren. Der aufgeweichte Weg sog sie förmlich an. Ah, die Tür ist offen, was den Hauptmann stutzig macht. Zu spät pocht man dann erst an das Mauertor der Stadt, was dann Sinkmann und der Hauptmann hörten.

36. "Hoher Herr", wendet er sich an den Spanier, "da steckt doch was dahinter?"

- "Seid ihr feige, Hauptmann?"

- "Das hat mir noch niemand nachgesagt! Ich will…"

- "Vorwärts!", schreit jener wild, ungeachtet dessen, daß er sonst den Vornehmen markiert. Kaum sind er und ein Teil der Leute eingetreten, weichen die zwei Wachenden zurück, auf Befehl von Schöber rufend: "Pest! Die Pest!" Und sind im Gesträuch verschwunden, ehe man sie fassen kann.

37. "Das ist eine Finte! In den langen Hütten", man sieht erst drei, "da steht sicher Vieh. Man will uns überfallen."

- "Wie ihr meint", murrt der Hauptmann. "Ich für meinen Teil halte es für wahr. Herr, bedenkt: fast alle Orte auf dem Weg hierher waren bis auf wenige Leute ausgestorben, das Vieh verkommen, viele Kühe an geplatzten Eutern tot, weil niemand war, der sie hätte melken können. Möglich wäre, daß die Städter außerhalb der Mauer alle eingesammelt haben, die Pestkranken, meine ich."

38. "So dumm ist der Stadtrat nicht, die Seuche aus der ersten Hand zu nehmen."

- Wieder ruft's aus dem Gebüsch: "Pest! Pest!"

- Fast alle tappen schon zurück, nicht gerade fliehend; sogar des Inquisitors Leute stehen sprungbereit.

- "Rette sich, wer kann! "

- "Memmen", faucht der Schwarze. Er geht zur zweiten Hütte vor. In die erste sah er nur hinein. Weil es drinnen dunkel war, merkt er nicht, daß hier, zwar die leichten, Kranken liegen.

39. Als er die enge Türe findet, taumelt ihm ein Mann entgegen, mit einer Frau, die sich kaum noch auf den Füßen hält. "Was tut ihr hier?" fragt er grob, nun doch verwundert, daß weder Vieh noch Streu vorhanden ist.

- "Ah, auch einer, den die Pest gezeichnet hat", lallt der Mann. "Komm mit, Brüderchen, neben mir ist noch ein Strohsack frei; kannst dich niederlegen. Früh kommt der Medicus, der dir dann sagt, wie krank du bist."

40. "Du hast die Pest?" Atemlos gefragt. "Wer hat dich hierhergebracht?"

- "Hat uns niemand. Hunderte sind aufgehoben worden, die wir elend vor der Mauer lagen. Jeder wird gepflegt, so gut es geht. Noch haben wir die Hoffnung, dem Pesttod zu entrinnen; bei mir und bei meiner Frau ist's schon zu spät. Die hier liegen, fast hundert, und Kinder sind dabei, werden kaum gesund. Immerhin ‒ wir leiden keinen Hunger; von der Stadt bringt man uns genug zu essen, und der Arzt verpflastert uns, so gut er kann. Sieben Hütten zu betreuen ‒ du liebe Zeit, und das bewältigt er als Arzt allein."

41. Der Inquisitor taumelt rückwärts, ergebnislos streift er an dem Ärmel nieder, wohin der Pestbefallene gegriffen hatte. Kann ein Wunder, das er stets verneinte, eine Rettung bringen? "Geht fort", stöhnt er, "es ist ‒" und sinkt nieder. Sein Weg durch verseuchte Orte hatte schon den Keim gelegt, weil er gierig überall nach Hexen suchte und manches leere Haus betrat. Die Berührung mit dem Todgeweihten gibt ihm jetzt den Rest.

42. Der Hauptmann ist mit seiner Schar enteilt, der Spanier wird ihn nicht benötigen. Ein Teil der Henker, die anbefohlene Greueltaten gern verübten, hatten mit manch Haus durchsucht. Nun springen sie vergeblich fort; der Tod ist rascher als ihr Fuß, der nach und nach die Kraft verliert. Einige sind schon nahe hingefallen, in Angst und Schmerz sich wälzend.

43. Der Gottbetrüger, mitleidlos bei Folterungen zugesehen, da stets verkappt, im Angesicht des Todes, wird von zwei Kranken hingelegt. Hier lernte man, vor allem durch das Beispiel treuer Menschen, nie allein an sich zu denken. Wer noch kann, der hilft mit aus: ist ja auch gleich, wenn man die anderen berührt. Das gilt vor Gott, weil Mitleid und die Hilfsbereitschaft ein wenngleich kleiner Strahl aus Seiner Güte sind.

44. Nun liegt er da, kann sich kaum noch rühren, verflucht die von ihm Gewichenen. Niemand weiß, wer er ist; und soviel Denkvermögen hat er noch, sich nicht selber zu verraten. Was soll man von ihm denken? Er, der Großinquisitor, in seiner Anmaßung die rechte Hand des zürnenden Gottes? Und nie geahnt, was die 'Heilige Rechte' tut!

- "Wasser, ich verbrenne." Ach, umsonst deckt er die Augen zu. Lange Reihen gehen an ihm vorbei, verstümmelt und verbrannt. Niemand konnte bei ihm auch nur einen Hauch Erbarmung finden.

45. Sagt ein Mann, neben ihm liegend: "Der Doktor wird bald kommen, die Pfleger bringen einen Trunk."

- "Ich… ich bin… ich will zu erst… Man muß mich extra legen, und…"

- "Das geht hier nicht", wird er belehrt. "Wo kämen da die Helfer hin, wenn dieser oder jener gleich was Sonderliches haben will? Sei froh, gerade hier zu liegen. Ich und mehrere ‒ ach, hast du eine Ahnung, wie es uns erging, als wir wie oft ausgewichen sind, vor Gesunden, wohlgemerkt! Man warf uns sogar Steine hinterdrein. Hier jedoch ‒ Ah", unterbricht der Mann sich selbst, "der Karren kommt, mit ihm das Morgenmahl. Dann ist der Doktor stets dabei."

*

46. Ja, er ist's, Pfarrer Sinkmann und Beate mit dabei. Es gab am frühen Morgen erstmals Schelte, vom Vater, bei der Mutter Tränen, vom Doktor ein grobes 'Nein', als Beate darauf bestand, zu den Hütten mitzugehen. Ja, da war der Traum: ihr Engel brachte eine Schale. Sie schien leer zu sein, und doch war etwas drin, was Beate nicht erkennen konnte. Dazu das Wort:

47. 'Gehe zu den Ausgestoßenen; denn manchen kann die Hilfe werden. Nicht unbedingt die körperliche Reinigung; die seelische Entlastung ist das Wichtigste, daß, wer von hinnen muß, sich dem HERRN ergibt, Seinem Willen, der zwar für die Menschen unerforschlich bleibt und ist dennoch zu erkennen, nämlich so: wer sich fraglos unter Gottes Willen beugt, den heben Seine heilsgewohnten Hände hoch; und ihre Engel bringen sie nach Haus!

48. Merke auf: nicht du wirst helfen, wie ich dir schon einmal sagte und bist treu und lieb geblieben. Eben darum kann und will sich Gottes Hilfesegen zeigen. Bleibe fest, denke nicht daran, was dir als Lohn gegeben wird.' – Als man das vernimmt und das letzte hehre Wort bedenkt, werden alle still, die Eltern und der Arzt, Pfarrer Sinkmann auch. Weh, das gute Kind! Warum stürzt der Himmel es in die Gefahr?!

49. "Komm", sagt Strauber barsch und traurig. Er weiß nur zu gut, daß trotz Vermummung und der Sorgfalt, die so unzulänglich ist (damals), auch der Gesündeste gefährdet ist, der die Pestbefallenen betreut. Ihm, dem Medicus, ist's egal, ob er auch betroffen wird. Schier meint er, sein Tagwerk ginge ohnehin dem Ende zu, spielt also keine Rolle, ob ein paar Jährchen weniger oder mehr.

50. "Ich komme mit", entscheidet sich der Pfarrer. Er wollte es vom ersten Tag an tun. Aber Strauber, Schöber und die Freunde hatten ihn bedrängt, davon abzusehen. 'Wir brauchen dich', hatte man ihm vorgehalten. Wer weiß, wieviel Trost die Städter bald benötigen." Ungern hatte er willfahrt, der Gottgetreue. Nun, da das 'Kind' den Lichtauftrag erhielt, hemmt ihn nichts mehr diesen Gang: 'Du gehst mit!' Und er ging.

51. Strauber mummelt beide ein, sich ebenfalls. Man hatte innerhalb am Angertor eine kleine Bude aufgestellt, wo das 'Pestzeug' hängt, die Zuber stehen, mit Gewürz im Wasser, und mancherlei Gerät, das der Doktor braucht. Sie sind bei der ersten Hütte angelangt, von Kopf bis Fuß bedeckt. Nur die Augen schauen aus der Hülle.

52. Es kostet große Überwindung, sich der Mäntel wegen zu bewegen und zu bücken. Dabei der Pestgestank, der durch die Kleider dringt. Aber tapfer bleibt das Mädchen mit den Männern an dem hochgesegneten Werk. Niemand würde ahnen, in der schmäleren Gestalt ein fast noch halbes Kind zu sehen.

53. Dankbar sind die Kranken, obwohl manch einer murrt. Verständlich, Schmerz und Angst sind groß. Wo Beate ihre auch vermummte Hand auf eine Stirne legt, hört das Stöhnen auf. Da vorübergehend Schmerz nicht arg empfunden wird, nimmt man die Erleichterung nicht durch den 'kleinen Helfer' wahr. Ja ja, die kleinen Helfer, das sind sie, der Arzt, der Pfarrer und die Knechte. Der große einmalige Helfer ist und bleibt der HERR!

54. Sie wenden sich der zweiten Hütte zu. Es dauert Stunden, bis man alle sättigt und betreut. Viele Leute müssen neu gebettet werden, die Lager schmutzig und durch Eiter naß geworden sind. Eben da hockt jener Mann mit seinem Weibe an der Tür, der den Inquisitor mit auf einem Strohsack legen half, ihn 'Brüderchen' genannt und nun zum Doktor lallend sagt:

55. "Ist ein neuer drin, scheint ein Herr zu sein. Sonst ‒? Einer von den vielen. Ha, die Seuche dringt nicht bloß in kleine Häuschen ein; im Nu ist sie in einem Schloß, in einer Burg. Gott ist sehr gerecht."

- "Hierin nur, lieber Bruder?" fragt der Pfarrer.

- "Na ja…", wird erwidert, "…wenn man immer glaubte, treu zur Kirche ging, vom Wenigen gern opferte, dann… dann…". Aus des Mannes Kehle dringt ein Schluchzen. Seine Frau wurde schon apathisch. Strauber beugt sich zu ihr nieder.

56. Da legt Beate ihre Hand der Kranken auf. Ein erlöster Seufzer ist zu hören. Ohne Ängste sind die Augen zugefallen. Strauber winkt die Knechte her. Die schaffen gleich die Toten aus dem Lager. Der Mann hat es nicht einmal gemerkt. In hoher Gnade kommt für ihn zugleich das letzte Stündlein auf der Welt, unter jener kleinen Hand, die dazu berufen worden ist.

57. Als Strauber mit dem Pfarrer durch die Reihen geht, kommen sie zum Neuen. Die Männer sehen es sofort, wer da liegt. Stumm blicken sie sich an.

- Strauber neigt sich nieder, leise fragend: "Was kann ich für euch tun?"

- Hier, wo einer wie der andere vor Gott keinen Vorzug hat, wird keiner 'Herr' genannt, nicht mit seinem Namen oder weltlich hohem Titel angesprochen.

58. Bei des Arztes Stimme fährt der Kranke hoch. 'Haha, hier findet er die Ungetreuen, die sich fortgeschlichen hatten. Es würde ihn sehr wundern, wäre der verhaßte Pfarrer nicht dabei. Denn daß der auch mit fliehen konnte, dessen war er sich bewußt. Jetzt ‒ oh, er hat die ganze Hexenbrut beisammen! Er wird…' Vergebliches Bemühen. Mit übermenschlicher Kraft hält er sich für eine Weile hoch, sinkt aber bald zurück. Die Schmerzen kann er noch verbeißen, Mattigkeit, Schüttelfrost und Schwäche nicht. Da sieht er ihn, den Verruchten, den er bis in die tiefste Hölle wünscht. Die Vermummung gilt ihm nichts. Die Augen… Oh, an den Augen hat er ihn erkannt, und den Arzt, und das Kind.

59. 'Nun habe ich die Hexe!', will er schreien. Es wird kaum mehr als ein Gemurmel. Mehrere Kranke nähern sich.

- Freundlich weist der Arzt sie wieder auf die Plätze. "Legt euch zurück, ich untersuche euch; wem es besser geht, der kommt in eine andere Unterkunft." – Keiner, der nicht rasch gehorcht.

60. Wer wünscht sich nicht, gesund zu werden? Indessen tritt Beate an das Lager. Auch ihm, dem Grausamen, legt sie sanft die Hände auf. Daß er nichts verspürt, kommt vom ganz verhärteten Gemüt. Zu spät für ihn; auf dem steinigen Jenseitsweg möchte er die Hände haben ‒ und hat sie nicht, sehr lange nicht. Das weiß er jetzt noch nicht. Er versucht, sie von sich zu scheuchen.

61. "Geht, ihr vom Teufel Ausgegangenen, ihr Höllenbrut, ihr …" Die Stimme bricht.

- Sinkmann zeichnet über ihm das Kreuz: wird wohl bald sterben.

- Der Arzt verneint: "Der klammert sich an den Gedanken nur zu fest, was er verrichten möchte. Er verscheucht zu seinem Schaden einen baldigen gnädigen Tod."

- Sie gehen zu den anderen. Bei einigen ist durch die 'kleine Hand' eine Besserung zu erkennen. Sie werden in den ersten Hüttenraum gebracht.

*

62. Überall gibt es über Nacht Gestorbene. Die Knechte schleppen, wie gut, große Gruben fernab von der Stadt bereit gemacht zu haben. Man kann bloß etwas Erde auf die Toten werfen, 'Unser-Vater' beten und Kalk aufschütten. Man hofft, der Winter wird die 'große Pest', wie es später hieß, verwehen. Wenige Familien sind verschont, bei denen keine Opfer zu beweinen waren. Manch Geschlecht ist gänzlich ausgestorben und keiner da, der Haus und Hof betreut. Die Räuber schleichen wie Hyänen durch das arme Land. Sie stehlen ‒ und müssen alles wieder fallen lassen, weil ihnen auch die Pest, fälschlich 'Geisel Gottes' genannt, die Augen schließt.

*

63. Nachdem der Inquisitor, in nichts bevorzugt, auf seine Streu zu liegen kam, sind die Helfer wieder da: Doktor, Pfarrer und Beate. Sieht aus, als ginge es ihm etwas besser. Er hat sich aufgerichtet und den ganzen Raum in Rebellion gebracht; nur in der Richtung war es nicht gelungen, den treuen Helfern Pest, Tod und Teufel und noch mehr zu wünschen. Die meisten Kranken sind zu schwach, der Tirade beizustimmen, andere schweigen lieber, aber einige fahren dem Verleumder über seinen Mund.

64. Weil ihn keiner kennt, er seinen Stand noch nicht verriet, muß er hören:

- "Du Grobian! Dir wäre gut, du hättest diesen Gnadenplatz hier nicht gefunden, Jawohl, Gnadenplatz?".

- Der Inquisitor hatte grell gelacht.

- "Oder, denkst du etwa, vor der Mauer hätte man dich aufgelesen, wenn du Dinge sagst, die gen Himmel schreien?

65. Der Arzt, die anderen betreuen uns ungeachtet dessen, daß sie hier die Pest bekommen können. Die Knechte tragen gleich die Leichen fort, bringen frisches Stroh, Trank und Speise. Was willst du also mehr, du Stänkerer? Fahre doch in deine eigene Hölle, da wirst du bestens aufgehoben sein."

66. Das Letzte hörten noch die Kommenden. Sie reimten es sich leicht zusammen, was vorgefallen war. Der falsche Christophorus ist zu gut bekannt. Als der die Helfer sieht, fuchtelt er mit beiden Händen. "Wißt ihr nicht, was mir geziemt? Mich in dieses Schlangennest zu legen, zwischen die verdammten Seelen, die Pest wäre sonst nicht über sie gekommen, während ich …"

67. "Mal langsam, Freund", unterbricht der Arzt. "Ihr seid selber eingedrungen. Der schon in Gottes Frieden lebt, hat geholfen, euch auf eine Streu zu bringen. Wollt ihr nicht, daß ich euch behandele…", nicht ganz unberechtigt, weil Strauber zornig ist, "…nun, wir können euch auch liegen lassen. Dankbare haben einen Vorzug, daß ihnen ja zuerst die Hilfe wird."

68. "Versteh' ich gut", sagt Sinkmann leise, "von Gott abgekehrt, wie kann er etwas Gutes anerkennen? Wer selbst so böse ist, der sieht alles grau in grau …bei anderen."

- Indessen legt Beate ihre sanfte Hand auf die heiße Stirn, ein Wort der Liebe und der Verzeihung: "Ihr steht bald vor eurem höchsten Richter; da müßt ihr euer Leben vor Ihm öffnen wie ein Buch. Und selber werdet ihr es lesen müssen was drin verzeichnet steht. Möge die Erbarmung größer als die Gott-gerechten Abrechnungen sein."

69. Der Inquisitor hat die leichte Hand gespürt, auch das treue Wort vernommen, schüttelt aber beides ab: Hand und Wort. "Du verruchte Teufelsbraut, rühre mich nicht an! Ich will heraus, hier gehöre ich nicht her! Du Pfarrer bist sonst etwas, nur kein Diener Gottes! Du hast die Leute fortgebracht, die vor mir zu stehen hatten, gabst dem Teufel deine Hand, der dich entführte. Durch unsere gerechte Pein solltest du geläutert werden, daß das falsche Predigen dir aus der finsteren Seele fuhr!" Den Doktor fährt er an:

70. "Doktor nennst du dich? Daß ich nicht lache! Große, kleine Null! Unsere Ärzte in Hispanien können anders helfen als du mit deinen Kräutern oder Salbe. Ich will fort!"

- "Dem steht nichts im Wege." Es ist wieder nicht des Mädchens Stimme, die nun redet; die Freunde kennen längst, wenn 'etwas anderes' das Wort ergibt.

71. "Stehe auf, verlasse diesen Raum, wo dir echte Hilfe werden kann, solche, die mindestens die körperlichen Schmerzen lindern, bevor der Tod die Sense schwingt! Deine Seelenschmerzen löst dir nicht einmal der Heilige der Barmherzigkeit, weil du in Hochmut meinst, du bringst die Menschen in den Himmel ‒ durch ungeheures Leid. Dies ist die Krankheit deiner Seele; und bis du dich nicht völlig GOTT ergeben hast, in Reue und gerechter Buße, was im Jenseits ungleich schwerer aufzubringen ist als hier auf dieser Welt, solang werden alle ungeheuren Leiden, armen Leuten angetan, dich foltern, wie du gefoltert hast! (s. »Ruf aus dem All«)

72. Wer Gottes Hilfe von sich stößt, der wundere sich nicht, wenn der Allerbarmer ferne steht, ob Er dich nicht sieht, Sein Herz verschließt, wie Zeit deines Lebens du getan! Kam jemals eine gute Regung über dich, seitdem du nach dem weltlich hohen ach so leicht zerbrechlichen Stuhle strebtest? Hast du Gottes Liebe oder Seinen Zorn gepredigt, den GOTT nicht kennt?! Hast du die Armen freundlich angesehen, Hilfe ausgeteilt, oder waren dir die Niedrigen bloß das 'eklige Gewürm', wie du sie bezeichnet hast?!

73. Was willst du nun von Gott?, von Menschen, die in treuem Glauben an des Himmels Vater ein gar schweres Werk verrichten? Gehe, wenn du willst! Jetzt ‒ jetzt hält GOTT dich nicht zurück! Ob und wie ER ärmste Seelen aus der Finsternis bewahrt, ihnen heilig hilft, das erfährst du einst, wenn du selbst die Hände nach dem höchsten Richter streckst und flehst: 'Herr, rechne ab, ich muß bezahlen, um von mir selber frei zu werden'!"

74. O diese Stimme! Manch Kranker ist herbeigeschlichen, hat das Wort auf sich bezogen, wenn es auch nicht völlig für ihn galt. Diesmal hat der Doktor nicht gewehrt; wo das LICHT die Offenbarung bringt, gelten die Gefahren nicht, gegenseitig durch den Pesthauch sich zu ruinieren. Vernahm der Großgemachte dieses Wort? Ja! Hat er es auf sich gemünzt? Nein! Daß 'etwas' war, sagt ihm sein Verstand, obwohl er nichts davon versteht, nicht verstehen will. Vergeblich richtet er sich auf, stemmt die schwach gewordenen Arme auf das Holz des Lagers. Weil er es nicht kann, sich keines Falles aber eine Blöße geben mag, deshalb sagt er höhnend:

75. "Der Versucher hat geredet, dem folge ich nicht nach. Erst wenn er fortgegangen ist…", er zeigt auf Beate, die er ob ihrer schönen Augen wiederum erkennt, "…dann gehe ich, hole meine Leute und werdet ihr erleben, was mit dem Teufelsding geschieht!"

- Diesmal hat Beate selbst wie mitgehört, hat geprüft, daß sie die Worte weder hemmen, nicht aus sich hat sagen können. In den Augen glitzern Tränen, so traurig sieht sie auf den Argen nieder. Er ist böse, aber krank, dem Tod geweiht. Im Traum hat sie es oft gesehen, wie eine Seele drüben weiterlebt, im guten, im unguten Sinn. Dieser ‒ Sie wagt nicht, es sich auszudenken.

76. Da kommt ein Knecht. "Draußen liegt einer, man sieht im Staub der Straße, wie er hergekrochen ist. Wird kaum nötig sein, ihn hereinzuholen."

- "Ich sehe nach", hält Sinkmann den Arzt zurück. "Habt hier viel zu tun, und soviel weiß ich, wie die Kranken einzustufen sind."

- "Ist recht." Strauber wendet sich dem Nächsten zu. Bei manchen darf die 'kleine Hand' ihr stilles Werk vollbringen, bei einem, wo es besser wird, was leider wenigen geschieht, dafür wiederum bei anderen, daß ein sanfter Tod die Schmerzen löscht, die gute Seele ihre Hinnefahrt erhält. Dann steigt dafür ein Dankgebet im Herzen auf für Gottes Hilfe, so und anders.

77. Rasch ist der Pfarrer mit hinausgeeilt. Da liegt ein Mensch, daß das Erbarmen wie eine Decke ist, die den entstellten Mann bedeckt. Oh, ist das nicht der Folterknecht, der mit sadistischem Geheul die glühenden Eisenstangen in des Pfarrers Arme stieß? Geht über das schwärzliche Gesicht des Liegenden nicht ein Erkennungsschein? Er ächzt, versucht sich fortzuwinden. Denn daß der einst Gemarterte ihm, dem Folterer, nun heimzuzahlen wünscht, wie er getan, des ist er sich gewiß.

78. Selbst der Himmel deckte zu, hätte man ihn liegen lassen, um das… sollte er durchs Leiden wenigstens zur Reue kommen? Was tut nun Sinkmann, der Getreue? Er darf vor Gott, um der SEELE aufzuhelfen, gehen.

- Ein Helfer deutet auf den Liegenden: "Den fasse ich nicht an, er gefährdet uns." Ja, für alle Dienstbarkeiten wie für jene, denen teils geholfen werden kann. "Er stinkt!"

- "Hast recht, Hias, trotzdem nimm die Lappen in die Hände, ich tu es auch, wir schaffen ihn zur vierten Hütte zu den schwersten Fällen." Um den Spanier anzurühren, hätte Sinkmann den Vasallen neben jenen betten sollen. Der Inquisitor würde etwa dadurch angerührt. Das bringt der Gute nur nicht übers Herz. Er fragte sich, wie oft auch hier: Oh, wie würde denn der HEILAND handeln ‒?!

79. Das ist das Lichtvermächtnis, was des Vaters Wanderkinder zur Materie tragen, ihr Eigentum, das während ihres Weges seltener die Offenbarung hat. Worte brauchen es auch nicht zu sein; die beste Lehre ist die Tat! Die hat das Privilegium vom Vermächtnis und ist das verborgene Vorauserbgut, vom Schöpfer-Vater Seinem ganzen Volk 'vermacht'! Seine Besten fragen nicht danach, die wissen es auch unbewußt: es ist da, insgeheim bei manchen im Erfühlen. In diesem Lichte steht der Pfarrer, Beate und die Treuen, die Unbekannten auf der von armen Menschen arm gemachten Welt.

80. Bißchen knurrend, Sinkmann lächelt vor sich hin, bückt sich Hias nach der Trage.

- Der Folterer vergeht fast vor Angst und kommt ihm noch nicht der Gedanke: die Gepeinigten schwebten in dem Schreck, sie sahen ja die Folterzangen und Geräte, man zeigte es vorher, was man mit ihnen tat. Und nun…? 'Ausgerechnet diesem muß ich in die Hand geraten; was wird er tun? Vom gütigen Gesicht ist nichts zu sehen.' Da ist es doch dem Widerlichen, als ob die Augen ernst und freundlich auf ihn niederblickten.

81. Als er auf dem Strohsack liegt, zugedeckt, und ein Becher Wasser ihm die Durstqual nimmt, birgt er sein Gesicht in beide Fäuste. Eine allerdings ganz winzig kleine Einkehr lenken die Gedanken. Ach, sollte es doch anders sein, als ihm und all den Untergebenen eingetrichtert worden war: Hexen, Falschgläubige (Evangelische, pp) von Satanas Verführten, können bloß durch körperliche Schmerzen die Erlösung finden, obendrein nur dann, wenn sie vor dem grauenvollstem Tode widerrufen und sich vor ihm, dem Großinquisitor, beugten, was aber nie die Folter aufgehoben hat.

82. Das wird wohl entschuldigt, weil Dienende keine Schule sahen und nicht selber denken lernten. Doch muß ein jeder selbst vor seinem Richter einbekennen, ob man auf Befehl gehandelt hat oder aus der eigenen Bosheit Arme leiden ließ. Wenige haben, ohne Aufsicht, einem oder anderem arg gequälten Weib, Kind und Mann wenigstens zu einem schnellen Tod verholfen. Dieser, der hier nun auf dem Lager liegt, gehörte nicht zu ihnen; er war einer von den Härtesten, ein echter Spiegel seines erzharten Herrn.

83. Neben ihm liegt ein Jüngling, der leise spricht: "Wir werden bald die Welt verlassen; ich habe keine Angst. Mein Heiland holt mich ab, ich komme in den Himmel. Darauf freu' ich mich! Du auch?"

- Welch eine Frage, an den Gotteslosen! Hirngespinste oder… ein Bild steht vor diesem: Was man den Opfern vorgeleiert hat, 'ihr kommt in die Hölle!', so blendet's ihn, ein tiefer Feuerschlund. Stöhnend wälzt er sich zur Seite. Da ist… was…? Eine Hand, die legt sich ihm auf seine pestgezeichnete Stirn.

84. "Du warst, du bist ‒ und bleibst es noch ‒ ein Knecht aus deiner eigenen Hölle! Es gibt keine andere, denn der schauerliche Abgrund einer Seele, die aus ihrem Absturz kam, um all die eigene Bosheit auszuleben. Oder meinst du, daß der Schöpfer, der die Güte ewig ist, dich ausersehen hätte, deine schändlichbösen Taten auszuüben? Hast du nicht dir selbst gesagt: 'Ich darf vernichten, wer nicht an unsere Kirche glaubt?' Hast du geglaubt? Was ist die Kirche? Du weiß es nicht und mag ein wenig dich entlasten.

85. Oh, ja, es ist gut, daß es auf Erden Kirchen gibt, gut und treu und sei ein jeder, der ihr dient, gesegnet, auch wenn's an mancherlei Erkenntnis fehlt. Wer wie du die Kirche unrein macht durch böses Tun und falsche Lehre, wie es dein weltlich großer ach so kleiner, so armer Herr getan, der auch auf seinem Totenbette liegt, der muß alle seine Schuld bezahlen. Nichts wird nachgelassen!

86. Du hattest Angst, ob der treue Diener Gottes dir vergelten würde das, was du ihm angetan. Dein versteinertes Herz hüpfte einst vor Freude, als der Getreue stöhnend in die Ohnmacht sank. Dabei hast du selber dich verflucht, weil er dir entweichen konnte und weißt bis heute nicht, wie das möglich war. Verstehen kannst du's nicht; dennoch sei es dir gesagt: Wie ein Engel einst dem Petrus aus dem Gefängnis half (Ap. G.12,7), so hat auch ein Engel durch einen guten Menschen Gottes Knecht, den Sohn, befreit.

87. Daß du das nicht glaubst, ist an sich keine Schuld; weil du aber eine 'Stimme' hörst, mit Gewalt dich von ihr wendest, das bleibt dir angehängt und mußt es nach dem Tode bitterlich beweinen. Gehe in dich, laß dein Tun an dir vorüberziehen, wie du den Abgrund deiner finsteren Seele sehen mußtest …ein Gnadenakt des Ewig-Heiligen! Denn wenn nicht anders möglich, werden die Verdorbensten, die sich von GOTT einst lösten, auch durch Angst und Herzensnöte angerührt. Wenn du vor dem Sterben einmal beten kannst, weil du als Verführter ein Verführer warst, so wird es dir im Jenseits etwas leichter als dem großen Kleinen, dem du dientest."

88. Danach legt die 'kleine Hand' sich auf des Jünglings Haupt. "Dir sei gesagt: Deine Stunde ist gekommen, ein Lichtstrahl führt dich von der Erde fort, stufenweise hinauf auf deiner Himmelsleiter. Bist du oben angelangt, alsdann bist du ewiglich zu Hause bei dem Vater voller Liebe, an den du glaubst, dem du dich treulich hingegeben hast. Sei getrost, ohne Schmerzen wirst du dich gerade legen. So bewahre dir: GOTT segnet dich!"

89. Diese Worte haben mehrere vernommen. Brennend wünschte man, ihm möge es mit gelten. Da zieht in ihnen auch der Friede Gottes ein. Bloß der Folterknecht hat keinen Teil daran. Gewiß hat er begierig zugehört; doch bis er sich nach diesem Frieden und dem Lichte sehnt, bis Reue ihm sein Herz durchpflügt, das dauert lang, weit länger noch dereinst beim Inquisitor.

90. Sträuber und der Pfarrer sind dem Mädchen nachgegangen. Sie haben mitgehört und wundern sich. Immer war es so: wenn ein 'Lichtwort' kam, ging bei Beate eine Änderung einher. Da wußte man: 'Nicht sie, der Himmel spricht.' Jetzt kommt es öfter vor, wie ohne Zeichen 'es' geschieht, als ob das Mädchen aus sich selber spricht, aus selbst erworbener Erkenntnis, aus tief-klarer Lichtverbundenheit. Könnte das bedeuten, daß … Oh, die Männer wagen sich's nicht auszudenken und spürte Sinkmann auch schon oft ein 'Wehen', als ob bei ihm das Hohe wirkt, und merkt niemand, daß nicht er, der Pfarrer, spricht. Ein Merkmal aus der Ewigkeit…? Das Kind, unser Kind, soll uns lang erhalten bleiben.

91. Was weiß der Mensch trotz besserer Erkenntnis von der Zeit, die der Schöpfer setzt?, aus einer Weisheit, die in kein Herz gekommen ist? (Röm. 11,33). Was weiß er von dem Raum der Ewigkeit, die der Höchste schuf im jahrmillionen Glanze Seiner Herrlichkeit ‒?!

92. Was weiß er letztlich von der heilsdurchpulsten Führung, die ja jedem Kinde gilt?, dessen Lebensanfang aus dem UR-Born heilig-hoher Mitternacht herausgehoben worden war? So viel wie nichts! Allein, etwas kann aus einem Geiste über jede Seele kommen, die sich willig ihrem MEISTER anvertraut.

93. Davon gibt es in den Elendsräumen einige, und wundersam getan, daß neben Besseren ein Arger liegt, die nur nichts davon verspüren, sich verhärten, Gott verklagen, weil es ‚sie‘ betroffen hat. Der Spanier gehört an erster Stelle mit zu ihnen. Er flucht laut und leise, wünscht die Helfer in den tiefsten Schrund, ahnungslos, daß er in seinen eigenen Abgrund stürzt.

94. An diesem Tage haben ein paar Gute ihren letzten Atemzug getan. Führung ‒? Es gibt zwei Gruben, um die Toten einzubetten. In jener, in der noch niemand liegt, senkt man die Guten ein. Für jeden beten Sinkmann, aber alle auch gemeinsam noch das 'Unser-Vater'.

- Beate tut es still für sich; sie merkt, wenn jemand gehen darf, heim ins Vaterhaus. Für die noch Unerlösten ist's die sonderliche Bitte: "Vater hilf, und vergib dem armen Menschenkind."

 

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Kap. 19

- Lehren aus dem Licht durch Sinkmann – Offenbarungen an Meurer – Beate, vor dem sterbenden Spanier, wird noch geführt

 

1. Der Winter ist ins Land gekommen, erst ziemlich mild, wodurch die Pest nicht abzuklingen scheint, wie man allseits hoffte. Viele, ach so viele sind dahingegangen in ihrem Weh, manche auch in Beten und im unerschütterlichen Glauben: Gott weiß, warum! Sie haben ihre Hände still gefaltet, immer unter jener 'kleinen Hand', die nebst dem Arzt und ihrem Pfarrherrn treulich hilft, wo immer es gegeben ist, allezeit bereit.

2. Liegt nicht zugleich ein Gutes in der Last, was die Freunde unter sich besprechen? Ein Aufatmen geht durch evangelisches Land, nicht zuletzt auch durch katholische Distrikte, daß der 'schwarze Tod' die Hispanier genauso mitbetrifft. Das Inquisitorische ist nicht mehr unerbittlich durchzuführen. Man fürchtet sich sogar, sich in Kirchen zu versammeln. Ob es später wieder anders wird? Diese Frage möchte man so gern verneinen: Nie wieder dieses Schreckliche, den Macht- und Menschenwahn! Es möchten doch einmal die Leute endlich friedlich leben. Auf dieser Welt ‒?

3. "Nein!" Das Wort kommt eines Abends, als sich die letzten Freunde mit den Städtern treffen. Die Reihe ist gelichtet. Franzel Stängler und Therese Hieselbar, Schrobers Frau und sein Bub Hansel, von der Stadt der Bauherr und der Schneidermeister. Sie gingen alle ihren Gnadenweg. Sie trug man nicht zum Angertor hinaus.

4. In der Stadt gibt's manches leere Haus, wo die Familie nicht mehr lebt. Die Häuser hat der Stadtrat einkassiert, ausräuchern lassen und jeden von der Stadt, der auch betroffen war, da betten lassen. Jeder hat sein eigen Grab bekommen; nur für die vielen Fremden war es nicht möglich. Doch für Freund, Mann, Frau und Kind gab es viele Tränen. Und nun eben dieses eine Wort auf bange Fragen.

5. "Nein, nie kommt die Erdwelt bis zu ihrem letzten Atemzug, den ihr Menschen nicht errechnen könnt, auch nicht zu wissen braucht, zu einem wahren Frieden! Für das Gesamte angesagt. Es ist nicht der Planet gemeint, ein Gnadenwerk des Schöpfers; es sind die weltlich Oberen, die im Machtwahn immer wieder sich erheben, die bis zuletzt die 'Todesfackeln' schwenken.

6. Es wird kein einziges Jahrhundert geben, wo nicht weitverbreitet das Verderben wütet (Kriege, Revolutionen usw.). Was ihr jetzt die Inquisition nennt, wird zwar nach einer Weile nicht mehr ausgeübt; dafür werden andere Mächtige auf ihre Weise und zu ihrer Zeit die Lasten über ihre Menschen bringen.

7. Seid getrost! Es mag finster sein und bleiben, mag sich die Zeit mit Blut und Todesgrauen füllen ‒ ‒ über allem bleibt des Höchsten Herrschaftswille stets bestehen! Ob man dies sieht, anerkennt oder nicht, hindert nicht das Regiment des Ewigen! Es bleibt jedes Herz verankert in dem Glauben, in der Liebe, die euerem Vater-Gott gebührt, wenn jetzt bald noch mancher euch verläßt, im Leid der Welt, aber in der ungeteilten, ungetrübten Freude ihrer Heimkehr in des Vaters Reich und Haus.

8. Im Dienst an euren Nächsten, fraglos, ob ihr selber dadurch viel zu früh die Welt verlassen müßt, die Lieben und die Freunde, habt ihr ‒ ohne euch über andere zu erheben und nicht im Lob, das nun das Licht euch bringt ‒‚ euere Himmelsleiter sehr verkürzt. Was das bedeutet? 'Achtet auf, bleibt in Demut dennoch auf der ersten Sprosse eures Himmelsstieges stehn.'

9. Dieser braucht nicht erst nach einem Weltensterben zu beginnen. Richtig steigt ein Vaterkind darauf herab; denn vom Lichte seid ihr ausgegangen, zum Mithilfsweg in die Materie, auf euerer Welt und anderwärts. Während eines solchen Weges ist allgemein die Leiter für das Kind verdeckt, wie hinweggenommen, dennoch da, weil es ein Gnadenakt des Höchsten ist.

10. Wer aus der inneren Lichtverbindung auch zur äußeren kommt, was besagt: der Mensch hält sich am Glauben fest, läßt sich stets von Gottes Liebewillen leiten, hilft bestmöglichst seinen Nächsten und zwar treu, wahrhaftig und gerecht, der steht nicht mehr dann vor seiner Leiter, die jede Seele hat, sondern kann bereits im Weltenweg ein wenig aufwärtsklimmen.

11. Hierbei wird nicht allzu sehr gemessen, ob jemand eine, zwei oder etwa ein paar mehrere Stufen überwinden kann. Nein ‒ hier gilt bei Gott allein das Aufwärts aus der Mühe, samt dem Leid, der Hingabe nach den Grundgeboten, die vom ersten Anfang an dem gesamten Menschenvolk gegeben ward. Das Gott-Gesetz hat wenig Worte; nämlich:

«Liebe Gott über alles, deinen Nächsten wie dich selbst!»

12. In diesen Worten wurzelt alles, was der Heilige zum Menschennutz enthüllte, eingefaßt Seine wundersamen Lehren, die Er in der alten Zeit, wie ihr jene vor dem Heilandsleben nennt, die Er als HEILAND herrlich offenbarte. Wer danach tut, bestens, wie es einem Wanderkind gelingen mag, der steht schon vor dem Erdentod nicht abseits seines Lichtaufstiegs, der hat ihn schon betreten.

13. Kein Leid geht über Gottes Güte! Weder Last noch Prüfung kommt von Ihm. Der Dienst ist zu erfüllen, und das einst freiwillig euerem Schöpfer in die Hand gegebene Gelübde (Ps. 50,14) ist zu bezahlen! 'Halten' nennt man das Bezahlen. Gut, wenn ihr es nicht seht, wie viel Engelshilfe euch umgibt; aber gut ist es, zu wissen und zu ‒ glauben! Im Glauben treu, bleibt jeder von euch auf dem Heimkehrweg. Jeder Mithilfsdienst ist ein Stück vom 'Weg' zurück, von dort, wo ihr einstens ausgegangen seid. Das wißt ihr schon und bedarf es dazu keiner Extralehre.

14. Der Vater segnet euch, Seine Gnadenkraft verläßt euch nicht. Ich, ein Bruder aus dem Reich, grüße euch."

- Oh, die guten Worte, in den Zeiten ihrer Trübsal und…

- …und: "Für diese Welt", blättert Pfarrherr Sinkmann die Gedanken auf, die er selber in sich trug, "ist es die schwere, trübe Zeit, nicht eigentlich die Zeit. Was ist alles Leid gegenüber jenem Herrlichen, dem Ausblick auf das Ewige, auf die unverdiente Güte, die uns zuteil geworden ist?"

15. "Ganz recht", läßt Berthold Meurer sich vernehmen. "Unverdient", und denkt dabei, daß sein liebes Weib, die Kinder, er selbst nicht wie die Freunde auf dem Schragen liegen, fortgeführt aus der Not, von Weltlichen gebracht. Den Heimgegangenen gilt das 'verdient'. Er spricht es aus, währenddes Beate still in sich gekehrt auf ihrem Stühlchen sitzt. Sieht und hört sie mehr, als er, Meurer, und die anderen vernommen haben?

16. Ist ihr Antlitz nicht recht schmal und bleich geworden? Sieht er das erst jetzt, in großer Angst? Auch ihr erster Freund, Sinkmann, wirkt sehr mitgenommen. 'Nicht der erste, zwar ein guter, sondern bloß der zweite Freund, wenn du es so nennen willst', ist's wie ein Hauch an seinem Ohr, oder innerlich, wie ein Fühlen. Dazu: 'Der höchsterste, beste Freund ist der Schöpfer der Gerechtigkeit, der erste, höchste Priester Seiner Gnade, Gott und Heiland von alters her (Jes. 63,16), Vater der Barmherzigkeit! Das bewahre dir, wenn du vor Schmerz zerbrechen willst.'

17. Was war denn das? Ein Gedanke, …ein gehörtes Wort? Kann er, der Mensch, das unterscheiden? O Weltenbürger, muß man alles bis ins letzte Lot zergliedern? Genügt denn nicht die Gnade und das Wort? Gibt Gott nicht jedem Kinde nach dem Maß, wie es etwas aufzunehmen, eine Bürde auch zu tragen weiß? – 'Tor', schilt Meurer, auf sich bezogen. Aufsteigende Fragen können jene aus dem Lichte sein, und da braucht nicht er die Antwort seinem Gott zu geben. ER weiß alles ganz genau! Wohl, wie eine leise Freude überrieselt's ihn, 'auch' ein Wort gehört zu haben.

18. Indessen steht Beate auf. Groß, schlank, geistigschön, wie eine Priesterin aus alter Zeit, aus fremdem Land, winkt sie Sinkmann und dem Doktor zu. Wortlos geht sie hin zur Tür, wortlos folgen ihr die beiden Männer, und ziemlich lange wortlos bleiben auch die anderen zurück. Sie werden bald erfahren, was jetzt geschehen ist. Berthold Meurer atmet trotz des 'Gnadenwortes' sehr belastet auf. Er behielt die Tochter immerzu im Auge, hat gesehen, wie sie jungfräulich erwachsen wurde, er sah die geistige Veränderung, die sich schon als Kind an ihr vollzog. Nun…

19. Sie kommt ihm, dem Vater, fremd und überirdisch vor, ein lichtes Wesen, das nicht auf diese Welt gehört. 'Ach, nur nicht verlieren', murmelt er. 'Gott, erhalte uns das liebe Kind!'

- Und wieder wie ein Hauch streicht's die Gedanken und die Bitte aus: 'Nichts verliert der Mensch, wenn er gläubig will, was in seiner Liebe fest verankert ist. Da die gebende Liebe, nicht die nehmende. Letztere beherrscht zumeist den Menschen. Er will empfangen, will behalten, will es als sein Eigentum betrachten.

20. Erkenne: Gottes Liebe gibt! Also denke weniger an dich, denke an das Eigentum des Höchsten! ER hat dir das Kind geschenkt. Nimmt Er es zu Seiner Zeit hinweg, so bleibe stark und tröste, wer getröstet werden muß. Denn es erfüllt gar mancher schon in jungen Jahren sein Gelübde, sein Opfer-Soll; und ist es angenehm vor Gott, dann kehrt das Kind ins Vaterhaus zurück.

21. Manche sind in einem langen Leben nicht einmal soweit gekommen, daß sie ihren 'Himmelsstieg' von ferne sehen, geschweige denn zum ersten Anstieg kommen. Ja, dies und jener hat die Leiter für sich selber ganz verloren. Einen solchen habt ihr in den Hütten, und noch heute werdet ihr erfahren, was mit ihm geschieht. Falte deine Hände, danke Gott, daß Er dich so reich gesegnet hat.

22. Weltlich ging dir viel verloren; dafür gab der Herrgott dir ein braves Weib, gute Kinder und einen kampfbereiten Sinn. Mit anderen hat Er dich errettet. Besiehst du das, so kannst du deinen Dank dem Höchsten bringen, ohne Seufzer, wenn bis zum Untergang der Welt der Mensch das Seufzen nicht verlernt, unendliche Male unberechtigt, weil man Gottes Himmelsgüte nie mit kleinen Weltenmaßen mißt. Das Defizit ist seine Armut. Halte dich bereit, man wird dich holen; der 'schwarze Tod' fällt nicht auf dich.'

23. Fast wäre Meurer der Gedanke aufgeschossen: 'Aber meine Tochter wird er holen.' Allein, das ist die väterliche Not, und die sieht Gott sehr gnädig an. Allmählich spricht man über das Gehörte durch Beate. Welch ein großer Trost, welch eine völlig andere Welt, ein so unvergleichliches Empfinden! Sie, all die Unbekannten, fühlen sich entrückt. Und doch ‒ dennoch ‒ das menschlich Dunkle tritt an sie heran, und ist ein Kampferproben, ist ein Sieg. Das sagt nun Pater Angermann, gut von ihm erläutert. Man nickt ihm dankbar zu. Doch da stürzt ein Knecht herein.

24. "Ein Bote von den Hütten", ruft er.

- Die unmittelbar jene von der Pest Befallenen betreuen, außer Strauber, Sinkmann und Beate, dürfen in kein Haus, wo es noch keine Kranken oder Toten gab. "Rasch, der Meurer soll kommen, man wird mit einem nicht mehr fertig."

- Helene Meurer packt ihren Mann an beiden Händen, flehend: "O gehe nicht! Ich kann, ich darf dich nicht verlieren!" Verständlich, daß sie so voll Schrecken ist.

25. Sanft streift er seines Weibes Hände ab. "Du weißt, Helene, wenn der Herrgott ruft, haben wir zu folgen. Es ist der Dienst! Sei ohne Sorge, ich bleibe dir erhalten." Hier, die 'stillen Worte', die er hören durfte, sind gewiß die Überzeugung, daß er voll Zuversicht das sagen kann, ist aber auch sein eigener Glaube, das 'Hineinlegen in des Vaters Willen', was ihn stark und mutig macht. Weinend sieht Helene ihrem Manne nach.

26. Sonderbar, es ist der Hauptmann Scharfner, der erst, wie man so denkt, ein wenig von dem 'Licht gerochen hat', der tröstend sagt: "Frau, weine nicht! Wo Gottes Worte zu uns kommen, ist ER da!"

- Ach, alle sind beseligt, und des Paters Augen leuchten hell. 'Herr, ein gutes Herz hat sich zu Dir gewendet.' Laut sagt er: "Es ist besser, wir gehen jetzt nach Hause. Sicher dauert es sehr lang, bis wir hören, was geschehen ist."

27. Man stimmt gern zu, man ist müde von des Tages Müh, auch steht die Mitternacht schon vor der Tür.

- Scharfner nimmt Helene bei der Hand. "Komm, ich geleite dich, da kann dir auf den Gassen nichts geschehen. Heute brauche ich noch nicht zur Burg zurück, ich will bei dir bleiben. Gibst mir das Stübchen von Freund Sinkmann; mag dich bewachen, bis der Morgen tagt. Man kann nie wissen …"

- Recht hat er, der Tapfere.

*

28. Was trug sich in den Hütten zu? Der Spanier, mit der durch Todesangst verliehenen Kraft, hat sich auf den ihm zunächst Liegenden gestürzt. "Endlich hab' ich dich, Satan! Nun soll es auf der Erde besser werden mit denen, die mir treu ergeben sind! Alle anderen ‒ sind ja deine Brut, du Erzbösewicht ‒ werden ausgerottet. Ha, hier sehe ich sie liegen, die ins Fegefeuer kommen, und das zünde ich auf Erden an, Euere Leiber sollen schmoren, wie euere verdammten Seelen dann in ihrer Höllenqual!

29. Dabei drückte er dem Schwachen, ohnehin dem Tod schon nah, die Kehle zu, bis dem Überfallenen der Lebenshauch vergangen war. Wer sich noch erheben konnte, war auch mit allerletzter Kraft vom Lager aufgesprungen, rannten hin zur Tür und schrien laut um Hilfe. Bis die zwei Hüttenknechte kamen, hat der irr Gewordene zwei weitere Opfer umgebracht.

30. Es geschah zwar in sinnloser Angst, weil er dem Tod ins Auge sah, nur nicht eingestand, nicht wissen wollte, daß die Bilder seiner Schreckenstaten vor ihm standen, drohend, wie ein schwarzer Fels, der auf ihn herabzurollen schien. Bloß befreite ihn das nie davon, auch nicht von den letzten irren Taten.

31. Als er sich aufs vierte Opfer stürzen will, die Knechte konnten den entfesselten Dämon allein nicht halten, eilen die Gerufenen herbei, Beate vorneweg. Es ist ein Ruf aus 'Gottes Mitternacht': "Halt!"

- Ist auch keines Mädchens Stimme. Der Mörder fährt entsetzt herum. Er sieht freilich nicht das Hohe, Heilige, hört nicht den Posaunenruf, der ihn treffen muß. Er sieht nur das holde Mädchen, nach dem er schon so lange gierte.

32. Seine letzte Kraft zwingt den todgeweihten Leib. "Haha, hab' ich jetzt die Hexe?" Und rennt ‒ an eine Mauer. Sein Gesicht blutet, die Hände sind ihm wie gebrochen. Dennoch will er wieder auf Beate zu und stößt mit dem wunden Kopf nun an eine unsichtbare Mauer. Es sind vier Schritte vor dem Licht, das gleichfalls niemand sieht.

33. Stöhnend bricht er nieder. Die durch Krankheit zerstörten Lippen bringen dennoch einen um den anderen Fluch hervor und denkt dabei widerlich ‒ an Gott insofern, weil er wähnt, er diene Ihm, indem er Menschen, wie ihm es jetzt ergeht, bitter sterben ließ. So liegt er auf dem Schragen, bar aller Kraft.

34. Was geht eigentlich hier vor? Sogar Pfarrer Sinkmann, Doktor Strauber rücken von dem Mädchen etwas ab, aus ehrfurchtsvoller Scheu, die nicht dem jungen Menschen zuzukommen hat, allein dem spürbaren ungesehenen Licht. Noch ist zu befürchten, daß der vom Irrsinn und vom Tod Gezeichnete sich auf weitere Kranke stürzt. Doch das ist vorbei; auch hat man ihn gefesselt.

35. Unzusammenhängendes Gezeter ist zu hören. Strauber kann ihm nicht mehr helfen. Sinkmann betet leise für die fast zerstörte Seele, die Gottes Güte noch erhält. Meurer wacht. Aber wie des Bösen Engel, der traurig auf die ihm anvertraute Seele blickt, das Leid dem Vater klagend: 'Ich habe nichts versäumt, Herr; doch sie schob mich immer wieder weg, sie ließ sich niemals helfen', so steht Beate da, das liebe Haupt geneigt, flüsternd:

36. "Armer Mensch, du fährst ohne Frieden in die Grube, und du wirst schauerlich erwachen, noch bevor die letzte Scholle auf dich fällt. Was dann?"

- "Das lasse MEINE Sorge sein", hört sie deutlich neben sich. "Sieh, das Verlorenste von Meinen Kindern habe ICH behütet und beschützt und ‒ wenn du es so nennen willst ‒ gesucht, gefunden, auf den Umkehrweg gebracht. Durch MEIN GOLGATHA !

37. Jede Seele, die sich abgewendet hat und obendrein nichts anderes aus bösen Trieben tat, als Schreck und ungeheure Nöte zu verbreiten, sinkt in ihr 'eigenes Harmagedon' ab. Daran kommt kein Mensch ob seinem Arg vorbei, wie nie an Meinem Kreuz! Dein Herz weint, sein Engel", es ist wie eine Hand, die auf den Sterbenden zeigt, "legt Mir seine und auch deine Tränen in die Hand. Er hat, wie oft, den Lichtplatz aufgegeben, um dem Dämon zu helfen.

38. Diese Hilfe sehe Ich tausend mal tausend an, erst recht da, wenn jener, dem die Hilfe gilt, sie hohnlachend weggeschoben hat. Jede Dienstwilligkeit ist gesegnet! Sei nun nicht mehr traurig; laß die kaum noch ganze Seele in ihr Harmagedon sinken; allein dort, unter zehnmal mehr Leiden, als sie jedem einzelnen Menschen angetan, kann die Seele sich dereinst von ihren Banden lösen lassen, um noch die Erlösung nachträglich zu erhalten.

39. Das Zehnfache entspricht Meinen Zehn Geboten, weil jede Untat ein Verstoß gegen das Gesamtgesetz, von Ewigkeiten her bis über Sinai, dem Offenbarungsort für diese Welt in ihrer letzten Zeit, bedeutet. Das hebe ICH nicht auf!!

40. Sage nicht, Ich wäre die Barmherzigkeit, da könnte Ich doch wohl so manches streichen. Was weißt du denn vom schöpferischen Wirken dieser Eigenschaft? So viel wie nichts! Sie ist kein bloßes lindes Streicheln, ein Zudecken dessen, was doch ausgetragen werden muß. Eben da, im Letzteren, dem Austragen, liegt der Grundbegriff Meiner heilig-ewigen Barmherzigkeit! Die soll jede abgeirrte Seele haben. Aber wann, wie und wo ist Meine Sache ganz allein."

41. Da streckt Beate plötzlich ihre Hände aus, ungewollt, sie weiß es selber nicht, daß und wie es geschieht. Ein letztes Röcheln ist zu hören, ein Aufbäumen, Niedersinken zu einem ganz verkrümmten toten Leib. Er läßt sich nicht geradelegen, wie man dies bei Toten tut, die durch körperlichen Schmerz verlagert sind, meist aber selber noch im Sterben sich geradestrecken. Der Großinquisitor bleibt verkrümmt, wie zu hartem Fels versteinert. So muß man ihn zur Grube tragen. Das ist ein 'Mahnmal Gottes', wie es schwerer und ‒ heiliger nicht gegeben werden kann.

 

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Kap. 20

- Der treu gebliebene Mönch - Weitere Worte aus dem Licht durch Beate - Meira und ihr Traum - Meurer sieht die Rückkehr in Beates Haus voraus - Sinkmanns letzte Botschaft aus dem Licht

 

1. Langsam kommt der Frühling in das Land, nachdem zuletzt der Winter streng regierte. So langsam, aber merklich, geht die Pest zurück. Neue Kranke gibt's nicht mehr; von den letzten, dreihundert etwa, ist mancher noch dahingegangen. Viele wurden auch gesund. Und man dankt! Für die Heimgegangenen, nun sie die Erlösung fanden; für die Gesunden, weil sie wieder schaffen können.

2. Auf dem Weg zum Lager trifft der Arzt den jungen Mönch, der einst beim Pfarrer Hilfe sucht (Kap. 15,38). Ab und zu hat der Doktor mit dem stillen Mann gesprochen; man war freilich noch bedrückt, welche zeigten sich sehr lange freundlich, und dann öffneten sie ihr Visier: die Verkappten, die jeden meldeten, von dem sie ‒ das ungerecht ‒ glaubten, der, jener, diese seien Renegaten, die dem Inquisitor vorzuführen wären. Deshalb hatte man auch bei dem jungen Mönch die Vorsicht walten lassen.

3. Nur Beate war ihm lieb begegnet, hat ab und zu ein Wort mit ihm gewechselt und Sinkmann anvertraut, er wäre rein, womit sie meinte, er sei kein Betrüger. Jener hatte still gelächelt. Das 'Kind', wie sie allseits hieß, hat noch keine Welterfahrung, dachte er, sieht das Gute in den Menschen. Immerhin ‒ in der langen bitterschweren Zeit war der Mönch seinen selbstgewählten Pflichten nachgekommen, hatte selten mal ein Wort geredet, hat wie oft bedacht: 'Hier gibt es echte Christenliebe, wird kein Mensch geplagt, geschlagen, allen wird geholfen, fraglos wer und was er ist.' Gerade das hatte ihn auf seinen Umkehrweg gebracht.

4. Die Gedanken unterbricht der Medicus. "Junger Helfer", sagt er freundlich, "nimm es mir nicht übel, wenn ich in der schweren Zeit mich kaum um dich gekümmert habe. Heute will ich es bekennen: hab' mich immer über dich gefreut, hast Tag und Nacht gedient, ohne dich hervorzuheben. Das verstehst du sicherlich: deine anderen Gesellen waren 'Fänger'‚ auf Menschen angesetzt. Du, einer von der Gruppe, hattest dich gelöst; wir wußten aber nicht trotz Bekenntnis, das echt geklungen hatte ‒ war bei den Bösen auch der Fall ‒‚ ob du es wirklich ehrlich meintest.

5. Längst wissen wir es ganz genau. Ich bin froh, daß dich die Pest nicht überfallen hat; hast dich niemals richtig abgeschützt. Sehe ich als Zeichen deiner Ehrlichkeit und Wahrheit an. Nimm meinen Dank", der Arzt gibt ihm die Hand. "Warst mir eine große Hilfe. Hm, hatte unser Pfarrer also recht, er glaubte dir. Mehr noch unsere Beate; die stand dir treu zur Seite."

6. "Wenn ich etwas sagen darf?" Schüchtern vorgebracht.

- "Nur heraus damit!"

- Jener nickt, streicht sich erst mal über beide Augen und dann: "Ihr sagt zu dem holden Mädchen 'Kind'. Sehr richtig! Sie ist ein Gotteskind. Gott hat sie in die trübe Zeit geschickt. ‒ Oh, Zeit? Trübe, abgesunkene Menschheit muß es heißen."

- "Genau!"

- "Sie hat mit mir besonders lieb gesprochen, himmlisch, muß ich's nennen. Durch das Kind, wenn ich auch den guten Umkehrwillen hatte, kam die Kraft, das Ernste über mich.

7. In den bangen Wochen habe ich erkannt: Wo man hilft, wo man nicht verfolgt, auch dem Ärmsten freundlich zu begegnen weiß, da ‒ da ist GOTT! Ich kam als Knabe in ein strenges Kloster, ach, alle waren streng. Man hat nichts anderes gelehrt, als auszuüben war. Brauche nichts zu sagen."

- Strauber fegt mit beiden Händen durch die Luft: haben wir gemerkt! – "Wie sollte ich den anders werden, ich wie auch die anderen, die wir gezwungen worden sind?"

8. "Hast recht. Sag' mal, wie heißt du eigentlich? Na ja, in diesen Monden voller Not fiel alles Äußerliche ab."

- "Das ist mir längstens klar geworden", wird erwidert. "Was gelten mir die hohen Namen, die man bekommt, ohne Eigenwillen? Sicher, ist man jung und unerfahren, freut man sich darüber. Wird's allmählich darin hell", der Mönch tippt sich an die Stirn, "sieht das meiste anders aus. Mich nannte man bei der Weihe 'Augustin'. War stolz darauf. Hier bei euch wurde mir bewußt, daß ich alles andere wäre, bloß keiner, der den Namen auch verdient. Die Eltern nannten mich erst 'Gustl', könnte also Gustav heißen. Ist ja Nebensache."

9. "Schön, nennen wir dich Gustav; ist ein netter Name. Doch jetzt komm, es gibt noch immer viel zu tun." Sie gehen durch die zehn Baracken, in denen es bereits viel leere Plätze gibt. "Heute legen wir die letzten Kranken in die vier ersten Hütten, dann brauchen wir auch nicht so arg zu laufen."

- "Und die leeren?"

- "Später brennen wir das Lager ab, wenn der Schwarze Tod ganz abgeklungen ist, und wenn es hierorts keine von den Kranken gibt."

10. Verwunderlich mag's sein: kein Helfer wurde krank, obwohl sie Tag für Tag, länger als ein halbes Jahr, hunderte von Pestbefallenen zu pflegen hatten, Salbe auf die Wunden legten, verbinden mußten, Betten richten, Trank und Speise reichen, die Toten zu den Gruben tragen und was vieles mehr. 'Gnade Gottes', flüstert es der junge Mönch sich selber zu. 'Fragt die Welt, fragt ein Großer nach der Tat, die hier verrichtet wird? Sie wedeln mit verbrämten Kleidern, auch manch weltlich Hoher. Und nichts, gar nichts steckt dahinter! Fassaden sind's und weiter nichts.'

11. Da kommt Beate, die Strauber nachgegangen war, sie möchte ihm noch helfen bis zum letzten Fall. Nun nimmt sie ohne Scheu die Hand des Mönches. Hören konnte sie es nicht, was er leise zu sich selber sprach, deckt aber wieder einmal auf.

12. "Du denkst richtig, lieber Bruder", sie hat ihn so genannt, was ihm geheime Freude war. "Die weltlich Großen, wozu die Verbrämten mit gehören ‒ der Heiland hat sie so genannt ‒‚ denken nur an sich. Oh, es gibt Gute unter ihnen, man darf nicht alle mit dem gleichen Leisten messen. Allgemein jedoch ‒ du weißt Bescheid. Wenn wir auch die Unbekannten sind und bleiben, so bleibt doch das, was wir aus Gottes Gnade wirken durften, nicht für immer unbekannt.

13. Unsere Namen brauchen nichts zu gelten, bloß die Tat. Wollen wir es bittend glauben: bei Dir, Vater-Gott, ist's aufgeschrieben! Das genügt für alle Ewigkeit." Der Mönch hört begierig zu. Wie kann man solches auserwähltes Mädchen eine Hexe nennen, verfolgen, ächten, und das ‒ o weh! ‒'Im Namen Gottes?' ‒ So klug ist der Mönch, daß er sich sagt: 'Die Verfolger sind im Strudel mitgerissen worden, sind überzeugt, recht zu tun. Manche allerdings, wie der große Inquisitor, haben selber mit Bedacht das Leid Unzähliger heraufbeschworen. Sie haben die Verantwortung zu tragen. Wo, vor wem ‒?' Er streicht jetzt die Gedanken aus, drückt die schmale kleine Hand und sagt:

14. "Schwesterchen, so darf ich dich ja nennen, du bist…"

- "Pst", tut sie schelmisch, "wir sind aus Gottes Güte Seine Kinder."

- "Ich muß es erst noch werden", bekennt der junge Mann.

- Beate nennt ihn nunmehr Gustl, das klingt so lieb, sagt sie. "Komm, Gustl, Doktor Strauber wartet. Zwar sind nicht mehr viele in den Hütten, und die meisten können noch gesunden, die Seuche flieht." Hand in Hand laufen sie dem Doktor nach.

*

15. Dieses Jahr ist Ostern spät. Ist es ein 'Zeichen Gottes', weil die Letzten in der Osterwoche noch zu Grab getragen werden, während mehr als hundert ihre 'Auferstehung' haben? Am Charfreitag sammelt sich die ganze Stadt ‒ mehr als ein Drittel wurde weggerafft ‒ samt den gesunden Fremden auf dem Markt, wo sonst die Bauern ihre Dinge feilgeboten hatten. Es weiß keiner, wer das Lutherlied, es war ganz neu umhergetragen worden, ein wenig zaghaft angestimmt, von einem, der es rasch erlernte, gleich mehrere kräftig singen:

16. Mitten wir im Leben sind,

mit dem Tod umfangen.

Wen suchen wir, der Hilfe tut,

daß wir die Gnad' erlangen?

Das bist Du, Herr, allein.

Uns reuet unsere Missetat,

die Dich, o Herr, erzürnet hat.

Heiliger Herr Gott, heiliger starker Gott,

heiliger, barmherziger Heiland.

Du ewiger Gott;

hast uns nicht versinken lassen

in des bitteren Todes Not.

Kyrie ‒ Eleison! (15,24)

17. Oh, sie sind errettet worden, die nun leben dürfen. Mindestens für längere Zeit ist auch die Inquisition stark reduziert. Man hat das Lager abgebrannt, die Gruben, in die alle Toten ‒ Heimgegangenen ‒ gebettet wurden, mit schönem Strauch-werk überpflanzt. Die leeren Häuser werden armen Fremden überlassen, die sich fürchten, in ihren alten Heimatort zurück-zukehren.

18. "Was finden wir?" fragt eine Frau den Stadtrat Schöber, der mit allen sprach. "Meine Leute sind dahin, ich blieb übrig. Durch meine Krankheit bin ich alt geworden. Mir genügt ein Stübchen, wenn ich's haben darf." ‒ "Das bekommst du ganz bestimmt! Da ist ein Ehepaar, noch nicht so alt wie du, das möchte gern ein Häuschen haben. Zu denen wirst du ziehen, das ordne ich für dich."

*

19. Angeregt von den treuen Leuten dieser Stadt, für die unentwegte Hilfe, die sie hier erhalten hatten, wurden manche harten Herzen weich. Manche bleiben ihrer Kirche treu; das erkennt man an. Man nimmt sie einfach in die Stadtgemeinde auf, während es den meisten doch zu denken gibt, mit welcher 'Christenliebe' man hier diente. Kommt es darauf an, ob man dieser oder jener Kirche angehört? Von nun an gilt, was der HERR geboten hat: 'Liebe deinen Nächsten!' Vorausgesagt: diese Stadt bleibt lang auf diesem guten Weg. Noch einmal kehrt tiefes Leid bei ihren Bürgern ein (30-jähr. Krieg). Das ganze deutsche Land und vieles mehr wird heimgesucht.

*

20. Kurz nach Ostern trifft man sich bei Schöber. Es ist ein milder Abend. Gustav, man nennt ihn nicht mehr Mönch, sitzt in der Runde. Er ist ein offenes Gefäß, in das alles fließt, des Lichtes Schatz. Ist jede Gottesoffenbarung nicht das höchste, reinste Gut, das die Weltmenschheit nicht kennt, oft nicht kennen will?

21. Heute ist's bei jedem wie ein inwendiges Hingeben an ein Außerirdisches, das man nicht sieht. Aber etwas kennt man ganz genau: das WORT! Gottes Königstum! Es kommt so den Menschen vor, jedesmal, wenn das 'Licht' zu ihnen kam. Noch ein Flüstern hin und her, ein Erwarten, dennoch überhaucht von großer, banger Sorge.

22. Man hat es festgestellt, wie schmal Beate wurde. Kein Wunder, sie hat sich wie die Männer völlig ihrem Dienst ergeben, ihre Kraft verausgabt, Weinende und Sterbende getröstet, anders, als ein junger Mund vermag. Der Mutter stand sie bei, hat dem Brüderchen geholfen, ging dem Vater oft zur Hand. Wohl, alle hier im 'Himmelseinsatz' handelten desgleichen; sie waren vollstens ausgelastet.

23. Zu ihnen gehört der Pfarrer Sinkmann mit an erster Stelle, hebt man einen Unterschied hervor. Ohne Überhebung hat man ihn und Beate in den Vordergrund gestellt. Meurer und die noch lebenden Freunde haben nie vergessen, wie er sie einst Nacht um Nacht aus finsteren Krallen rettete, selbst gefährdet; und bei Beate ‒ oh, das Kind war ihnen wie ein Licht geworden. Oft brauchte sie nur da zu sein, und schon spürte man in allem Leid, in Not und Sorge einen Schutz, ein Einfließen aus der wunderbaren Höhe Gottes.

24. Nun steht sie da, einem Engel gleich. Immer war Beates Angesicht verändert, wenn eine Lichtbotschaft vom Himmel kam. Heute ‒ ach wie unnennbar, wie sich die Gestalt, das Gesicht gewandelt hat. Nicht selbst erlebt, und man könnte es nicht glauben. Sicher, durch die viele Arbeit, durch Dienst an siechen Menschen, kann jeder ätherisch erscheinen. Bei dem jungen Menschenkind wirkt es aber anders. Unverkennbar ist's das Fremde, Überirdische, das sich manifestiert mit jenen Worten:

25. "Freunde auf der Erde! So wie bisher und heute werdet ihr das letztemal ein Gnadenwort vernehmen; ist aber nicht der letzte Segen eueres Gottes, des Vaters der Barmherzigkeit. Kann es nicht still und leise in euch fließen? Muß man Gottes Offenbarung hören? Oder sind die Gnadenwege, die Er euch gehen ließ und ferner gehen läßt, nicht auch ein 'hehres Wort aus Seinem Mund?'

26. Was immer ihr an Gottes Willensherrlichkeit erlebt, ist stets Sein Evangelium! Seht an, was in alten Zeiten schon geschah, soweit ihr wissen könnt; nehmt die Lehre und die Taten Jesu, eueres Heilandes und Erlösers; fügt hinzu, was euch widerfahren ist ‒ alles war, ist und bleibt Sein Gütezeichen, Seinen Kindern aufgeprägt.

27. Dazu gehören die Getreuen, die im Lichte wandeln, Menschen, die sich Mühe geben, die Gebote Gottes einzuhalten; mit gerechnet, die nie wie ihr vom Schöpfer etwas hörten, aber eines lieben Herzens sind. Jene auch, die nicht wie ihr die Führungen, das direkte Wort erhielten. Wo nur ein Fünklein echte Liebe loht, da ist Gottes Segen offenbar, da steht das Kind in seines Schöpfers Hand!

28. Kennt ihr Gottes Ordnungswaage? Nein, ihr ahnt und wisset nur, daß sie sicher ein gerechtes Lichtgewicht besitzt. Das allerdings! Kann der Herr, der ewig Liebe und Erbarmung ist, nicht aus einem Gramm, ja aus einem Teilchen, das ihr Quentlein nennt, eine Sonne machen?, aus jener Nachsicht und Geduld, weil Er weiß, was 'für ein Gemächte' die Menschen sind? (Ps. 103,14; Jes. 29,16).

29. Kann Er nicht bei denen, die sich damit brüsten: 'Herr, das alles habe ich gehalten von Jugend auf' (Matt. 19,20), die sich wie Sonnen leuchten sehn, das Falsche löschen, so weniger davon übrig bleibt, als vom Quentlein eines an sich treuen Kindes? Oh, ja, Er kann, und Er wird! Dessen seid gewiß!

30. Jetzt ist für euch ein schwerer Lebensteil vorüber und der Vater sieht euch freundlich an. Jeder hat nach seinem Maß das Beste hergegeben, bescheiden in der Stille, oder öffentlich, wie es dringend nötig war. Glaubet es: eine einzige Handreichung, aus voller Hingebung getan, ist ein guter Griff ins Himmelsreich! Ja, da habt ihr das Gewicht: groß und klein, in der Stille oder offenbar ‒ das gilt vor dem Schöpfer-Vater einerlei; denn

ER kennt bloß ein Gewicht: das Seiner Gnade!

31. Wer sich in sie begibt, hat die Fülle, wie es Jesu Jünger schrieb: 'Von seiner (Jesu) Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade!' (Joh. 1,16). Das, was euch in der Lehre vorenthalten wurde, was aber noch den Gläubigen gegeben wird, 'wir alle', hat dieser Jünger noch am Ende seiner Schrift vermerkt: 'Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi sei mit allen!' (OJ. 22,21) Mit Allen! Das ist ein Trost, den bloß der Himmel gibt. In ihn, dem Trost, sind alle eingeschlossen.

32. Dabei gibt es keine Einzelzahl, Wenige, oder wie die Törichten sich denken: nur wir, die Auserwählten! Womit sie wirklich aus sich nämlich weggewählt, durch ihre Überheblichkeit eingehandelt haben. Habt ihr denn je gespürt, ihr wäret vorgesehen, dies und jenes zu vollbringen?, habt selber euch die Kraft gegeben, all die Werke auszuführen?

33. Oh, nein, keiner unter euch hatte jemals dran gedacht, sein doch so menschlich kleines Ich voranzusetzen. Der Dienst hat euch zum Tun getrieben und solcher Trieb kommt einzig und allein vom Licht. In diesem wurzelt jeder Liebesdrang, sei es nur, daß man einem müden Wanderer einen Becher Wasser gibt. Nichts ist vor dem Höchsten so gering, als daß Er nicht das Gute in des Menschen Himmelsbüchlein schreibt! Ihr fragt mich nicht ‒ sehr gut ‒‚ ob euere Mühe, euere Plage eingeschrieben worden ist; denn …"

34. Aufstehend unterbricht Pfarrer Sinkmann: "Lichter Bote, uns von Gott gesandt, Er sieht's und du gewißlich auch: wir haben nie daran gedacht, daß wir, daß ich …" Ihn übermannt das Gefühl und nicht allein, alle sind von Gottes ungeheurer Güte wie hinweggehoben, nicht mehr auf der Welt. "Verzeih", stottert er, "ich durfte dich nicht unterbrechen."

35. "Doch, Bruder, du durftest es, sprachst für deine Freunde aus, was jeder in sich trug und fühlte. Auch eine Gabe, dem Herrn der Liebe dargebracht. Ihr braucht es jetzt noch nicht zu wissen, ob und was ins Himmelsbüchlein eingeschrieben worden ist. Da wäre euer bester Teil der Seligkeit vorweggenommen, die erst das Leben in des Vaters Haus vergibt. Vorweggenommenes ist schnell verbraucht und bleibt dann nichts zurück als ungestilltes Sehnen, mit dem oft Gesagten: 'Ach, hätte ich …'

36. "Arme Menschenworte, wobei das Geistige fast nie im Vordergrunde steht. Für Weltliches wird das 'ach' gejammert. Ihr aber, schon gut lichterfüllt, habt das 'Seufzer-ach' allein für euer Herz bedacht, seit dem der Himmel offenbar zu euch gekommen ist. Du", ein Finger zeigt auf Hauptmann Scharfner, "hast besonders in der letzten Zeit das 'Ach' gebraucht, im besten Sinn. Sei getrost: du hast früher kaum ein wahres Gotteswort vernommen, bist zu weltlich argem Tun erzogen worden und hast aus dir selber oftmals gut gehandelt, hast manchem 'Feind', wie ihr die Gegner nennt, wieder aufgeholfen und manch verfolgtes Weib versteckt.

37. Du bist erstaunt? Das wußte keiner der Kumpanen, war nirgendwo ans Tageslicht gekommen. Nun, das freilich nicht. Der Allmächtige, der alles schuf, alles SICH erhält, wie sollte Er nicht das geheime Handeln eines Menschen sehen?, gut und böse? Darum bist du hierher gekommen, geführt von einem Boten aus dem Licht, den der HERR für dich entsendet hat. Du hast dein Herz geöffnet, willst immer in der Huld des Vaters bleiben und fragst mich bangend, wie du das zuwege bringen sollst, wenn du doch …

38. Ja, wenn du ein Waffenträger bleibst. Warte ab! Sollte sich der Weg nicht wenden? Alsdann wirst du deinem Herrgott danken, Seine Wunder sehen, die ganz anders sind, als es weltlich Großgemachtes lehren. Ordnung, aus des Schöpfers Grundgesetzen, bleibt ewiglich bestehen, weil Er Seine Ordnung niemals umzuändern braucht! Ein Berg bleibt solang Berg, als er ‒ hier materiell ‒ in seiner Art zu dienen hat, wie ein Bächlein seinen kleinen Lauf behält, ebenfalls im Dienst, solange dies im Segen nötig ist.

39. Nicht anders, allein gnadenreicher, unendlich herrlicher, geht ein Weg des Kindgeschöpfes. Hat es einen großen Dienst, einem Berge gleich, wird es darin bleiben, bis für es ein anderes Dienen sich ergibt. Ebenso der kleine Bach, die 'Menge der Kinder, die niemand zählen kann' (Dan. 7,10; OJ. 7,9), und münden allesamt ins Gottesmeer der Ewigkeit und ihrer eigenen Seligkeit!

40. Seid im vorhinein getröstet, wie man voraus zu danken hat, ob man das Was und Wie nicht kennt, aber inne ist, daß Gottes Vatergüte ewig währt, wie Er Selber ewig ist. Denn solang ihr Menschen euere Beihilfswege geht, solang wird sich manches Schwere zeigen, unter dem man sich zu beugen hat. Von euch wird erwartet, daß ihr es ohne Seufzen tut. Traurig könnt ihr sein, weil die Liebe trauern darf. Den Unterschied zwischen Trauern oder Seufzen werdet ihr alsbald erkennen. Wohl dann einem jeden unter euch, wenn ihr das Trauern euerem Vater in die Hände legt!

41. Heute habt ihr, in Hinsicht eures Lebens so für euch gesagt, ein großes Himmelslicht erhalten, den vollen Segen, wie ein Mensch ihn tragen und verwerten kann. Und wenn ihr fernerhin auch nicht mehr solche Worte hört, wie durch das Kind geschah ‒ es bleibt GOTTES WORT euch immer offenbar. Erinnert ihr euch alles dessen, was ihr empfangen habt, dann ist's die gleiche segensvolle Güte, wie es an diesem Tag geschieht.

42. Aus Gott-Vaters ewigem Gnadenland trage ich das Heil herab; denn ER spricht: "Seid gesegnet, die ihr den Armen opferfreudig dientet; um eurer Liebe willen, auch das Leben eingesetzt, habe Ich euch in die Heilshut Meiner Güte eingeschlossen, aus MEINER EWIGKEIT getan, weder vorher oder heute; denn Ich habe euch von je und je geliebt, habe euch zu Mir gezogen aus lauter Güte!" (Jer. 31,3)

43. Das Heilige bewahret fest, liebe Brüder, liebe Schwestern; noch darf ich ungesehen bei euch sein, bis jeder seinen letzten Schritt auf dieser Welt getan, bis dann des Geistes Auge Gott und Seine Gnadensonne sehen. Des Vaters Friede ist und bleibt bei euch!"

44. Unbeschreibbar, was die Menschen seligst überbraust. Nach langer Zeit kommt erst ein Amen, von Pfarrer Sinkmann und Pater Angermann wie aus einem Mund gesprochen. Jeder neigt sich in dem 'Amen'. Nach jeder Offenbarung, die sie unverdienter Maßen, sagen alle ‒ lange schon erhalten haben, durch den reifen Mann, durch das Kind, war es still; man wagte oftmals kaum zu atmen. Heute…? Wie ein hehres Wehen geht es durch den Raum, allein auch wie ein schweres Ahnen: 'Das letzte Herrliche ist es gewesen.'

45. 'Oh, wir Toren,' denkt Pater Angermann, als ob jemals Gottes Güte und Barmherzigkeit vergehen kann. 'ER ist immer da, ob wir es merken, etwas sehen, hören, oder bloß ein kleines Herzensahnen haben ‒ all das ist SEINE Offenbarung.' Er spricht es aus, der auch Getreue; er weiß ja, wieviel seiner Kirchenbrüder, freilich mehr die Kleinen und Bescheidenen, die keine hohen Würdenträger sind, von denen gibt es auch schon etliche, die 'wach' geworden sind, sich nach der Lehre Christi richten: 'Verdammet nicht, sondern helft!', als den Inbegriff des Jesulebens.

46. Er war stets bemüht, des Herrn Beispiel nachzueifern, obwohl ihm seine Hände und der Mund gebunden waren. Nun ist er frei, nun dient er so am besten seinen Nächsten und auch seiner Kirche. Ein gutes Licht, das ihr durch treue Männer wird. Allmählich kommt, wie man sagt, wieder Leben in die Runde, erst flüsternd, scheu, um des Himmels Strahl nicht zu vertreiben. Allein die Freude bricht sich Bahn, wenn gleich die unbestimmte Sorge nicht zu bannen ist. Kein Wunder; das Leben war für sie sehr schwer, materiell, glaubensmäßig und hat jeder seine echte Garbe aufgehoben. Bloß weiß man es noch nicht, daß man sie besitzt, daß man sie dem Vater einstens bringen darf. Gut ist das, sehr gut.

47. "Heute haben wir erhalten…", fängt der Pater wieder an, "…als ob das hehre Wort ein Schluß gewesen wäre. Ich meine so…", begütigt er, als jeder bangfragend auf ihn blickt, "…das ist wie mit dem Leben. Einmal kommt das Ende ‒ für diese Welt. Wir wissen, liebe Freunde: unser Leibestod ist der Eingang in das ewigwahre Leben, das es bei Gott, dem Vater, gibt. Dort für immerdar! Und ewig bleiben Wort und Offenbarung in und unter uns.

48. Wir hörten ja, daß das Erinnern an die Gnadengaben gleichfalls eine Offenbarung ist. Wir Menschen brauchen oft die Wiederholung, weil wir leicht vergeßlich sind, dürfen sogar vor dem allgeliebten Herrn es klagen: 'Sieh, Vater, unser Weltliches drückt schwer, es steht so stark im Vordergrund und, weil wir, als Menschen, auch das Äußere bedenken müssen. Wer könnte es wohl besser wissen als DU, unser Heiland und Erlöser?!'

49. Es bläst mich eben wie ein Odem an, es wäre so, der Vater würde all die Last des Lebens auf der Ordnungswaage wiegen. Niemand ist ja so gerecht wie ER! Darum laßt uns in der Zukunft treu beisammen bleiben, uns von dem besprechen, was in höchster Liebe und Erbarmung Gott, der Herr, gegeben hat. Einiges habe ich, nach der Erinnerung, mir aufgeschrieben; daran können wir uns lange noch erfreuen. Oder nicht?"

50. Sagt Berthold Meurer: "Ich hab' manches mir vermerkt. Sonderbar floß das mir förmlich ein, was mich stark beschäftigt hat. Ich meine, es ist …" Darf er sagen, daß die Gnade ihm, dem armen Mann, dabei geholfen hat? Der Zeit gemäß konnten wenige des Volkes schreiben, wie viele nicht mal lesen.

- Kein Ungut, weil Angermann es fragt: "Du kannst schreiben? Nun ja, obwohl mir alle deine Freunde, aus dem armen Bauernstand hervorgegangen, klug und offen vorgekommen sind, du besonders, ist es für mich dennoch ein Verwundern, daß du richtig schreiben kannst. Verzeih", bittet Angermann.

51. "Gibt nichts zu verzeihen", erwidert Meurer ruhig. "Es wäre gut, das Volk würde lernen dürfen, was den Hohen vorbehalten bleibt; da könnte manches besser werden, nutzbar der Nation. Vielleicht wird es noch?" Ein wenig bitter klingt die Frage, ist auch der Gedanke: Oh, das Volk würde bald erwachen, die Hohen könnten es nicht länger unterdrücken, wie es zur Zeit geschieht. Hat recht, der aufgeweckte Mann. Das Thema wird nicht ausgeweitet; denn das 'Wort vom Reich' hat unter ihnen immer ersten Rang.

*

52. Mit diesem Segen geht man auseinander, ein Händedruck genügt, um 'Gute Nacht' zu wünschen. Meurer hat beide Frauen, wie er gern zu Weib und Tochter sagt, die Arme angeboten, wie er es im Elternhaus gesehen hat: der Vater führte seine Mutter durch den Garten. Ebenso geleitet er sie heim. Aber er und auch Helene blicken bangend auf die Tochter. Heute war sie nach der Rede schwach geworden, weniger dem Körper nach. 'Himmelsfern' sah das Gesichtlein aus, als ob sie nicht mehr dieser Welt gehörte. Die Sorge um das Kind, nie gebannt, tritt wieder stärker in den Vordergrund.

53. Zu Hause wird sie von der Mutter in das Bett gebracht. Der Vater sorgt für einen Trunk, und schon schläft Beate selig ein. Peter, er ist ein strammer Bub geworden, schläft wie unter Engelsflügeln, hört nicht das Kommen seiner Schwester, die mit ihm die Kammer teilt. Die Eltern küssen ihren Jungen auf die Stirn. Es fährt Meurer wie ein Blitz durch seine Seele:

54. 'Gott hat mir die Kinder und mein Weib erhalten; doch Beate…' ‒ er wird nur den Knaben um sich haben und…'

- '…dein Weib'.

- ist's wieder wie ein Hauch, der zu ihm spricht. Ach Gott, wie sehr muß ich Dir danken, und Du sieht's gewiß, daß Dich meine Seele lobt ob der großen Güte, mir stets zuteil geworden, trotz des Tributs, den die Weltlichen von mir verlangten. Brauchst auch DU jetzt den Tribut? Habe ich DIR zu bezahlen, mit dem Gelübde durch mein Kind…?

55. Er liegt auf seinem Lager, als auf die bange Herzensfrage eine Antwort folgt. Er hört sie nicht und hört sie doch, wie ein Echo hallt des Lichtes Sprache wider: "Wer mit dem Gelübde den Tribut erbringt, willig, der steht dem Höchsten nahe. Das Herz darf weinen, die Seele sich betrüben; doch der Geist, von GOTT gegeben, kann im Leid dem Vater danken, mit und ohne Worte. Auch im Gefühl kann sich jemand unter Gottes Willen neigen. Du hast's gekonnt und wirst es wieder können, wirst tragen helfen, wo das Leid die armen Schultern niederdrückt. Sei getrost!"

56. War es ein Wort? War es ein Traum? Ist er solcher unaussprechlich hohen Gnade würdig? Wie bald muß er beweisen können, was gerade die Barmherzigkeit verlangt, jenes alles krönende Prinzip! Am Morgen liegt Beate noch im Schlaf, lächelnd, daß es dem Mutterherzen wehe tut. 'So sieht nur ein Engel aus; und Engel leben nicht auf dieser Welt. Sie kommen mal herab, dann und wann, und wenn schon, ist ihr Wanderweg sehr kurz.'

57. Das Gleiche denkt der Vater, als er neben seinem Kinde steht. Das Peterle wird geweckt. "Halt' dich still, Beate ist noch müde. Komme in die Küche und sei jetzt nicht laut." Die Jungen gehen nicht auf Zehen spitzen, und mit Beate hat er gern gespielt, laut und lustig. Er gehorcht. Die Schwester geht ihm nächst den Eltern über alles; es gilt auch da die Bindung aus dem Licht.

*

58. Am Abend dieses Tages stürzt Meira Bartels, die Höckerin, bei dem Ratsherrn Schöber in die Stube, tränenüberströmt. Sie hat vergebens ihre Wasserbäche abgewischt. Den ganzen Tag hat sie gebraucht, um sich zu beruhigen. Der Traum, das 'Gesicht', das auch ihr geworden war ‒ O Gott! Nein nein, lasse uns doch unseren Engel! Und hatte es gewußt, der hehre Gotteswille würde sich erfüllen.

59. "Was ist los?" Schöber schiebt ihr einen Schemel zu. "Setze dich und sage, was dich außer Fassung bringt."

- "Ihr verliert die Ruhe auch, wenn ich …" Endlich kann sie ihren Traum berichten. "Ach, Ratsherr, die lange Zeit, die Pest ‒ Was jetzt geschieht, das wird unsere höchste Prüfung sein. Denn Menschen an die Grube abzugeben, treue Vielgeliebte, die einem Gutes brachten, das ist gewiß das Bitterste im Leben."

60. "Muß ich Knechte alarmieren? Was kommt auf uns zu?"

- "Die Knechte helfen nicht. Uns ‒ uns hilft allein der Herr! Möge Er mit Seiner Gnade bei uns sein! Diese Nacht sah ich den Pfarrherrn mit Beate Hand in Hand. Sie gingen einen wundervollen Weg, wie man ihn auf Erden nirgends finden wird. Sie werden uns genommen, die sind… sie haben…" Neue Tränen stürzen aus den rotgeweinten Augen.

61. "Beruhige dich erst mal. Du weißt wie ich und alle: Sinkmann und Beate waren ausersehen, durch Worte oder Träume viel zu offenbaren, was uns der Herr bescheren wollte. Deshalb sahest du sie Hand in Hand. Der Weg…? Ja, ja, durch beide kam das Licht des Herrn. War ja unsere Tröstung in der Zeit der Trübsal und der Not. Hast also völlig recht geträumt."

62. "Es war auch eine Stimme und die sprach: 'Beide waren vor dem Weg zur Erde eine Einheit in dem Licht, etwa wie die Ehe auf der Welt, bloß himmlisch rein, wie es im Vaterhause ist. Nun haben sie ihr Tagewerk vollbracht. Wie sie aus dem Lichte zur Materie gingen, so kehren sie gemeinsam heim. Der Altersunterschied der Erde ist das äußerlich Vergängliche. Sie gehörten stets zusammen, wie es irdisch seltenst möglich ist.

63. Gönnt ihnen ihren Heimkehrweg. Nach und nach werdet ihr geholt und werdet geistig herzfroh sein, wenn sich jedermann des Lichtes Türe öffnet.' Genau so habe ich's vernommen und deshalb ‒ ach ist schwer, die Trennung zu ertragen." Noch ein abgrundtiefer Seufzer und auf einmal strahlen Meiras Augen sonnenhell. Bloß zwei letzte Tränen perlen nieder. "Man denkt zu sehr an den eigenen Verlust; Freud' und Leid des anderen stehen oft im Hintergrund. Immerhin …" Frau Bartels schweigt.

64. Der Stadtrat hat die Stirne aufgestützt. Ihm geht es wie der Frau. Zwei dicke Tropfen kollern in den Bart. Sie werden fehlen, Sinkmann und Beate, ihm, den anderen. Oh, er hat viel Geistiges gelernt, ist nicht verwunderlich, wenn er nun denkt: 'Eine Offenbarung gilt der ganzen Welt, selbst wenn erst wenige Leute sie vernehmen. Es kommt doch auf den SEGEN an, der damit verbunden ist. Der Herrgott tut niemals etwas nur für Wenige. IHM gilt ja stets Sein ganzes Werk.' Aus diesem Sinnen sagt er jetzt verhalten:

65. "Meira, sei stark, ich auch; den meisten Trost brauchen dann die Eltern. Ein blühend schönes Mädchen an den Tod verlieren? So sagte man. Nun weiß ich längst: Nichts verlieren wir, weil Gottes Segen bei uns bleibt! Lasse dir nichts merken und hab' Dank, weil du zu mir gekommen bist. Warten wir, bis wir eine Kunde hören. Ich rate dir, deinen Traum, erst zu erzählen, wenn das erste Herzweh sich ein wenig legt. Da du ihn mir gleich berichtet hast, wird man später daraus Trost und Gnade schöpfen."

66. "Hätte es nie übers Herz gebracht, den Eltern zu berichten. Aber jemand mußte es erfahren. Nicht darum, daß man mir später glaubt. Habt recht, Herr. Vielleicht gelingt's uns allen, daraus Kraft zu schöpfen. Gehabt euch wohl." An der Türe wendet sich die Höckerin noch einmal um. "Bei unseren Beiden werde ich am Grab nicht beten; wenn sie die Augen schließen, dann sind beide nimmer auf der Welt und ‒ und ‒ ‒ Für uns legen sie ihr erstes Lichtgebet dem Vater in die Hand… vor seinem Thron." Schon ist sie enteilt.

67. Sinnend bleibt der Ratsherr sitzen. 'Hätte nie gedacht,' sagt er zu sich selbst, 'daß sie so tief veranlagt ist. Als gutes Weiblein hab' ich sie geachtet, nur halt ein bißchen ‒ na ja, sie wäre nicht ganz richtig. Herrgott im Himmel, ist eine Bürde. Doch DU wirst die Last in Deiner Güte tragen helfen. Ja, hilf mir, immer eingedenk zu bleiben: Dein Segen hört in Ewigkeit nicht auf!'

68. Er geht, sich bezwingend, wie beiläufig zu den Meurers. Als er an die Türe klopft, kommt's ihm vor, als sei es drinnen still und wäre niemand da. Nach einer Weile öffnet sich die Pforte. Heraus tritt Berthold Meurer. Man sieht‘s ihm an, daß ihn bitterste Sorge quält. Das Verwundern unterbleibt, weil der Ratsherr heute noch so spät gekommen ist.

69. "Komm herein, Freund Schöber, bloß sei bitte leise, wir haben unsern Arzt geholt. Zwei Kranke sind im Haus."

- "Doch etwa keine Pest?" Der Städter fragt's mit großem Bangen. Es kam vor, daß schon die schwarze Seuche abgegangen war und hinterher schlüpfte sie auf einmal wieder in ein Haus.

- "Nein! Nein!" wehrt Berthold ab, "unser Strauber weiß sich jetzt noch keinen Rat. Der Pfarrherr ist bloß müde, zudem sehr schwach.

70. Die Schwäche kam ganz plötzlich über ihn. Er sieht verändert aus und ‒ ach Freund Schöber ‒ schier bricht es meiner Frau und mir das Herz entzwei. Ganz genau so geht es unserer Beate. Sie liegt müde da, lächelt, schläft, hebt ab und zu die Lider, die Augen glänzen anders als bisher. Fragen wir, was sie haben möchte, schüttelt sie ihr liebes Haupt."

71. Eben kommt der Doktor von Beate. Man merkt ihm die Bedrückung an. Er kann nicht helfen und ist doch, für diese Zeit gesagt, ein guter Arzt. Er hat auch untersagt, daß der Anger, wo die armen Seuchenmenschen lagen, für das Vieh ein Jahr lang nicht als Weide dienen darf. Streng hatte er gedroht:

72. "Bedenkt es, liebe Leute, die Tiere können durch das verseuchte Gras erkranken. Die Todeskeime würden auf euch übertragen werden, wie schon passiert. Die zweite Pest in kurzer Folge würde dann weit größere Opfer fordern als jene, die eben erst vorüber ist."

- Da hatte man gemurrt, wo die Tiere denn ein ganzes Jahr hindurch verbleiben sollten; doch Stadt-rat Schöber im Verein mit Einsichtsvollen gaben Strauber recht. Der Anger ist gesperrt. Der nächste Winter kann ihn wieder sauber machen.

73. Bang fragt der Vater, wie es um Beate steht. Wie gut, die Frau sucht ihren Peter, sieht also nicht das hoffnungslose Schulterheben von dem Arzt. Dann sagt er aber: "Es ist ein Herzversagen. Der Puls ist matt, zu langsam, setzt öfter aus, wie bei unserm Pfarrherrn. Eigenartig, daß der viel ältere Mann und die junge Maid die gleiche Krankheit haben."

74. Schober weiß nun durch die Höckerin, wie das zusammenhängt. Als er dann mit Strauber durch die stillen Gassen geht, erzählt er das 'Gesicht' der Frau. "Hier hilft weder Tee noch sonst etwas, es sei denn, ein Wunder fiele auf uns nieder. Kaum zwei Tage und sie sind dahin."

- Jäh schlingt Strauber einen Arm um Schöber. "Ich bin nicht schwach…", dabei verschluckt er seine Rührung, "…aber unser Sinkmann ‒ wenn ihr dabei gewesen wäret, wie er acht Nächte lang uns geleitet hat, stand selbst in bitterster Gefahr ‒‚ und ihr würdet mich verstehen "daß ich ‒ daß wir …"

75. "Ich versteh' es trotzdem gut. Erst nicht gern aufgenommen, was damals verständlich war, und dann die lichten Worte, das erstemal in unserer Kirche, ah, da hab' ich aufgehorcht und mich gefreut! Mir geht's wie allen, glaub' es mir, Strauber. Und das Kind ‒? Da sind wir alle überfragt." Stumm wandern sie dem Stadthaus zu, in welchem Schöber seine Wohnung hat.

*

76. Nun kommt der Tag, der nicht allein den Freunden bitteres Weinen bringt, nein, die ganze Stadt nimmt Anteil an der Trauer. Kaum die schrecknisreiche Zeit mit aller Müh' und Plage hinter sich, da ist es zu verstehen, wenn ein Gläubiger fragt: 'Herr, warum?' Obwohl die Leute nichts vom hohen Wundersamen wissen, was gnädig zu den Freunden kam, hat man Pfarrer Sinkmann doch verehrt. Er ging sehr gern von Haus zu Haus, wie es Doktor Strauber tat. Da wurde nicht erst groß gefragt: was für ein Gläubiger bist du? Oder überhaupt, ob einer glaubt ‒‚ die Hilfe, die in jedem Hause nötig war, wurde fraglos dargebracht.

77. Und Beate, das Flüchtlingskind? Man sah sie immer froh, freundlich grüßend. Half hingefallenen Kindern wieder auf, trug mancher alten Frau ihr Säckchen heim und vieles mehr. Immer war sie wie der Wind davon, ehe denn ein Dank gegeben werden konnte. Wie sollte man dies sonnige Gemüt nicht lieben? Wie ein Schlag, so geht es fragend durch die Stadt, als man erfährt, was sich in der Frühe zugetragen hat. Und am andern Tag noch mehr.

78. Noch steht die Sonne nicht am Himmel, langsam weicht das Nachtgrau aus dem weiten Tal, in dem das Städtchen eingebettet war, als die Mutter an das Lager ihres kranken Kindes tritt. Noch leuchteten die Augen wie aus innerem Schein erhellt, lächelte der blasse Mund, streckte sich die Hand dem Mütterlein entgegen; doch Helene, allzu tiefst erschüttert, weckt ihren Mann.

79. "Komm, ich glaube…"

- Der Vater ahnte schon am Abend ihres Kindes Ende. Dennoch hatte er gehofft, Gevatter Tod möge warten. Er hörte aber dann im Traum des Lichtes Stimme: "Es ist der Lebensengel, der heute zweimal zu dir kommt. Gottes Trost und Kraft wird bei dir sein." Im Nu ist er in seinen Kleidern. Peter, den man zu den Eltern umgebettet hatte, schläft noch fest.

80. Nun steht das Ehepaar vor ihres Kindes Bett. Einer klammert sich am andern fest. Gestern Nacht, als der Ratsherr mit Doktor Strauber weggegangen war, hatte Meurer sein Haus nicht verschlossen, damit der Doktor sofort Einlaß fände. Er kommt, bleibt zu Füßen 'dieses Himmelskindes', muß er denken, stehn. Trotz Trauer winkt er seiner kleinen Helferin ermunternd zu, als sie auch ihn mit einem Lächeln grüßt. Kostet Kraft, der starke Mann spürt's bis zum letzten Nerv. Oh, die bedauernswerten Eltern ‒ ‒

81. Er hält sich jetzt zurück; die letzten Erdminuten sind den Eltern vorbehalten. Da wird es hell, gewiß der erste Sonnenstrahl, der die Menschen aus dem hohen Himmel trifft. Sie ist aufgegangen, eines jeden Tages Licht, wenn man auch die Sonne nicht mal sieht. Denkt Strauber: 'Ist es mit Gott. Man sieht Ihn nicht oder selten; aber ER ist da!' Wie die Sonne mit und ohne Wolken.

82. Beate streckt verlangend ihre Hände aus nach etwas, was niemand sieht.

- 'Ihr Engel', denken beide Männer.

- 'Der Heiland', ahnt die Mutter.

- "O Heiland", flüstert es vom Bette her. "O lieber Engel, ich kehre heim." Das Letztere war kaum zu verstehen, war wie ein Hauch. Strauber legt den Körper sachte nieder, schließt die Augen, die lieben Hände, treulich allezeit geholfen, schlingt er auf der Brust, die nie mehr atmet, im Gebet zusammen. Und geht hinaus. Die erste Stunde muß er Meurers lassen, auch wendet er sich, als die Augen nicht mehr nässen, ins Gemach, wo ihr Pfarrherr liegt ‒ auch für seinen letzten Erdentag.

83. Der Kranke schläft. Die Wandlung, die sich bei ihm zeigt, ist dem Arzt das Zeichen: 'Heute Abend.' Er fühlt vorsichtig nach dem Puls, nickt vor sich hin: recht hat die Meira, diese beiden Seelen sind verwandt, was sich nun in ihrer Todesstunde in beider Antlitz eben spiegelt. Als Sinkmann weiterschläft, geht Strauber zu den Eltern. Weinend stehen beide da, streicheln immer wieder einmal das Gesicht, das überirdisch friedlich wirkt, wie man es wohl seltener bei einem Toten finden kann.

84. Oh, manch Gläubiger geht im Frieden seinen letzten Gang auf dieser Welt. Hier jedoch, ein Kind…? «Werdet wie die Kinder», hat der Heiland einst gesagt. «Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht ins Himmelreich gelangen.» Daß der Arzt die Worte leise spricht? Er hat sich umgewandelt, er als Arzt naturgebunden, nicht an Wunder glaubend, war aber niemals völlig ohne Gott.

85. Seit er Sinkmann und Beate kennt, ist die Welt von ihm gefallen. Diese Jesu-Worte waren Inhalt einer letzten Predigt. Da war die Kirche voll, wurde wieder nicht gefragt: 'Bist du katholisch? Bist du evangelisch? Bist du Heide?' Die Herzen wurden aufgetan und des Himmels Worte flossen wie der segensreiche Tau herab. Ja, eben fielen Strauber beide Bibelstellen ein.

86. Berthold Meurer sieht den Doktor dankbar an. Er führt seine Frau hinaus. "Lasse unsere Tochter schlafen; wir müssen auch an Peter und an Sinkmann denken."

- In der Küche setzt man sich zu Tisch. Nur einen Trunk holt Meurer, währenddes die Mutter Peter weckt. Es wird eine schwere Sache werden. Wie hat der Knabe gestern noch gebetet? "Lieber Gott, mache mir die Schwester wieder heil. Ich liebe sie, und sie ist so gut. Amen." O weh!

87. Es wird anders, als man sorgend dachte. Auf die Frage, ob Beate zum Frühmahl käme, vor Peters Platz steht eine Schüssel, mit Milch und Brot gefüllt.

- Sagt Strauber, weil es die Eltern nicht vermögen: "Peterle, mußt tapfer sein. Bist schon ein großer Bub, eine rechte Stütze; denn…", ein Räuspern, "…Beate ist im Himmel. Der Heiland und ihr Engel haben sie geholt."

88. "Ge… storben?" erzittert es.

- "Nicht gestorben", fängt der Vater an. "Weißt, Peter, gute Leute kommen gleich zum Vater in den Himmel. Unsere Beate…"

- "…war am bravsten", sagt der Junge unter Tränen. "Sie hat mir aber nicht 'lebwohl' gesagt, dann wäre es mir nicht so… so…" 'Schwer' will er sagen.

89. Die Mutter streicht ihm die vom Schlaf verwirrten Haare aus der Stirn: "Du hast fest geschlafen, wir wollten dich nicht wecken. Für alle hat sie noch 'lebtwohl' gesagt." Stimmt. Ehe sie den Heiland und den Engel sah, sie hätte sonst die Namen nicht genannt, hat sie es geflüstert.

- "Sie ist schon beim lieben Gott?" Noch kullern Tränen, doch kommt es wie ein Trost, der den leidgeprüften Eltern wird. "Da habe ich doch gestern recht gebetet, der Heiland hat die Schwester gleich gesund gemacht, im Himmel, nicht wahr?"

90. "Genau so ist es, Peter." Ein Kind kann das Heiligste erfassen. Sicher nicht bewußt, wie es Erwachsene könnten ‒ wenn sie wollten. Der Knabe hat die Wahrheit aufgenommen. Gesund, ohne Leiden, ohne Schmerzen dieser Welt ist das Mädchen, den Heiland innig hebend, heimgegangen, in das Reich der Ewigkeit.

- "Darf ich Beate nochmal sehen?"

- "Ganz gewiß." Der Vater nimmt ihn bei der Hand, die Mutter und der Doktor folgen hinterdrein.

91. Wie schlafend liegt Beate da, als müßte sie nun gleich erwachen. Peter streicht ihr über beide Hände, küßt sie auf die Wange, wie er oft getan. "Wie du, Beate, werde ich wohl nicht, so gut, brav und lieb. Doch ich will mir Mühe geben; und bist du nun im Himmel, da kannst du mir noch besser helfen, weil, weil ja …" Ist vorbei mit des Knaben Standhaftigkeit. Strauber hält ihn fest, als sich Peter über seine Schwester werfen will.

92. "Tu' es nicht", mahnt er gütig, "laß Beate ihren Frieden. Den darf man nicht stören. Was du wünschst, wird sich erfüllen, wie sie dir eine Schwester war" ‒ jedem wie des Lichtes Schein, denkt er weiter, "also wird sie auf dich niedersehen und dir allzeit helfen. Ich bringe dich zur Meira Bartels, die hat dich gern; denn wir, deine Eltern, haben erst noch viel zu tun."

93. Ungern löst der Junge sich vom Totenbett der Schwester; noch ein bittervoller Blick, dann wendet er sich um. Bei der Höckerin wird er wundersam getröstet. Man hat sie oft verspottet, weil sie an Gräbern betete, ob darunter gute oder böse Menschen lagen, das war ihr egal. Sie hat gewußt, was für diesen oder jenen im Liebesdienst zu beten war.

94. Als der Arzt zu Sinkmann in die Kammer tritt, stehn die Eheleute schon am Lager. Der Kranke ist erwacht. Sehr müde sieht er aus. Er geht auch dahin, weiß Strauber, wo unsere Beate hingegangen ist. Sonderbar, den Traum, den die Meira hatte, erzählt der Pfarrer, ein wenig abgewandelt, sinngemäß aber völlig gleich. Er spricht:

95. "Vergangene Nacht bekam ich ein herrlichschönes Bild. Unser Herr war gekommen. Bezwingend war Sein Lächeln, Beate führend und sagte mild: 'Das Kind hole Ich zuerst; auch du wirst abgeholt ‒ bald! Ihr seid in Meinem Reich zwei Kinder, seit eurer Lichtgeburt vereint und sollt es bleiben in der Liebe Meiner heiligen Lichtwesenheit. Wie aus Meinem Lebensquell herausgehoben, werdet ihr für immerdar die gnadenvolle Einheit sein.

96. Du, auf dieser Welt ein Pfarrer, kennst das Wort, das Mose einst empfing: 'ER, also Ich, schuf sie beide, einen Mann und ein Weib' (1.Mo. 1,27), womit gegeben ist, daß die geschaffene Zweiheit immer vor Mir gültig ist. Wer dagegen frevelt, der zerstört sich viel von seinem Weg! Denn es ist das höchste Zeichen: ICH, der Schöpfer und das Geschöpf; ICH, der Vater und das Kind! Diese Zweiheit habe Ich geprägt, als Meines Lichtes Kinder noch in Meinem Urborn ruhten und entspricht zugleich den beiden Schöpfungsfundamente auf denen alle Werke stehn, die Lebenskinder und das für sie zum Segen durch Meine Macht geschaffene hehre Empyreum!

97. Die Fundamente, was du noch nicht wußtest, sind die Urbedingung, ohne welche nie ein Werk erhalten werden würde, und der eingesetzte aus der Bedingung für das Kindervolk gegebene freie Wille. Aus und mit diesen beiden Fundamenten ‒ vergleiche hiermit auch die beiden Füße ‒ erhalte Ich Mir Selber eine jede Schaffung: das bewußte ‒ und das unbewußte Lebende.

98. Bereite dich nun vor, gib Mir dein Erdenleben in die Hand. Was Ich aus diesem dir zu sagen habe, erfährst du nach der Heimkehr in Mein Reich. Sei gesegnet und alle, denen du mit Meiner Hilfe helfen konntest, die durch Meine Lebensworte, die ICH dir sagen ließ, zur guten Umkehr kamen. Ein jeder, für den du deine Hände ineinander legtest ‒ sieh, alle habe Ich bedacht'!"

99. "O Freunde", haucht der Kranke, "da habe ich verneint und dem Herrn gesagt, ER würde niemals erst bedenken, wenn ein armer Mensch, wie ich es wäre, Ihn um Seinen Gnadensegen bäte. Da kam wie des Lichtes Flut, unermeßlich heilig, und da ‒ da hab' ich einmal kurz gespürt, wer und was die Gottheit ist. War ein Blitz, der mich durchzuckte. Mehr würde wohl kein Mensch ertragen und… und wohl auch bloß vor seinem Erdenende. Er aber sprach:

100. 'Nie, merk' es dir, werde ICH erst etwas tun, wenn Mich jemand bittet. Doch wieder niemals so, daß ein Bittgebet vergeblich sei, unnütz dargebracht, sondern es ist so: Meine heilige Allwissenheit kennt jedes Kindes Weg und Steg, sie sieht das Auf und Ab, zumal in der Materie. Wenn nun jemand für den andern bittet, nehme Ich in heilsgewohnter Liebe jede Bitte, jederlei Gebet in die Allwissenheit hinein, verflechte sozusagen dies Mein Wissen mit der Bitte, dem Gebet, was in getreuer Liebe Mir in Meine Hände fließt. Um so mehr sind Fürbitten stets gesegnet!

101. Wenn du im Vaterhause bist, wirst du hell verstehen, wie dies Mein heiliges Gebahren alles ineinanderfügt: Mein Tun, stets zuerst und ewiglich, der Kinder liebes Dienen wie ein Kleinod aufbewahrt, zu ihrer Seligkeit, zur Seelenhilfe für die anderen, denen Bitte und Gebet gegolten hat. Abermals: halte dich bereit!"

102. Es war dann noch einmal ganz hell, um mich herum viele herrliche Gestalten und unsere Beate, dies holde, liebe Kind, jetzt ‒ meinen Blick konnte ich nicht von ihr lösen. Fröhlich winkte sie mir zu, als ob sie sagen wollte: 'Ich warte auf dich'. Dann war die ganze Herrlichkeit verschwunden; doch im Herzen … ich kann's nicht gut beschreiben, war noch, alles da, war nichts vergangen und ich halte es ‒ mir ‒ fest ‒ bis …"

103. Stockend war die Stimme, wie verweht. Nun sieht man deutlich: das Gesicht überglänzt die Seligkeit empfangener hoher Gnade. Friedlich schläft er bis zum Abend. Die Freunde, Städter und der Pater kommen her, um zu hören, wie es Sinkmann geht. Traurig wendet man sich um, als der Doktor, selber sehr bedrückt, gesteht: "Morgen ist er schon von uns gegangen."

104. Berthold hat in Eile aufgeschrieben, was er vom herrlichen Gesicht behalten hat. Er kann das Meiste wörtlich wiedergeben. Später, wenn das schwerste Leid vorüber ist, wird man sich an dem für ihre Zeit letzten hehren Gnadenwort erfreuen. Noch dominiert das weltliche Empfinden; und auch das ist gut, gesegnet, wo die Herzen sich dem Willen Gottes beugen. So bricht der Abend an.

105. Wie am Morgen Gottes Sonne wundersam die Erde wie mit purem Gold beleuchtete, hüllt sie auch am Abend mit dem letzten Schein die Welt in ihres Lichtes Strahl. Alle sind versammelt, die Freunde aus dem Heimatort, soweit sie noch am Leben sind, die Getreuen aus der Stadt, sogar Scharfner von der Burg, obwohl er es nicht wußte, was indes geschehen war. Seine Trauer, bei dem Schwertmann kaum geahnt, erschüttert ihn. Von Beate nimmt er ganz alleine Abschied und man läßt ihm dieses zu.

106. Dann sind sie im Kämmerchen versammelt, in welchem ihr geliebter Pfarrer ruht. Er sieht alle an. Ist's des Himmels Sonne, die durchs kleine Fenster flutet? Ist es ein fremdes, fernes Licht, das dem Antlitz einen Himmelshauch verleiht?

107. "Meine Gottgeliebten, nun scheide ich von euch; doch des Vaters Gnade, Liebe und Barmherzigkeit hält uns fest. ER, der Heilige, der wunderbare Gott, hat uns verbunden, ER führt uns einst zusammen, wenn jeder seinen Heimkehrweg beschreitet. Wir hoffen auf die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, glauben an das ewige Leben, das war, ist und bleibt. Vom Licht gekommen, den Wanderweg gegangen, wieder heimgefunden bis zum Gnadenstuhl des Heiligen, dem hochgeliebten Vater-Gott. Laßt uns freuen und fröhlich sein; der HERR ist bei uns immerdar. Amen!" (OJ. 19,7).

108. Sachte legt man den entseelten Körper nieder. Mit dem 'Amen', das der treue Diener Gottes sprach, waren ihm die Augen zugefallen, der letzte Atemzug der Brust entflohen, fanden sich die Hände im Gebet zusammen. Ein Friede füllt den äußerlich so armen Raum, als ob in ihm des Himmels ganze Herrlichkeiten eingezogen wären. Den Menschen ist, als gäbe es jetzt nichts von ihrer Welt. Nur das Licht, spürbar des Friedens Hauch.

- Der Pater spricht: "Amen; ja, laßt uns freuen und fröhlich sein, der Sohn ist heimgekehrt."

109. Man bettet Sinkmann und Beate in ein Grab. Trotz des Friedens und des Lichtes Freude dauert es sehr lang, bis die Trauer, die man auf Erden haben darf, sich im stillen Danken an den Gott der Liebe löst. Losgelöst vom Gebaren ihrer Welt. Sie kommen oft zusammen, reden über die erlebten Gottesworte. Der Pater ist es nun, der die kleine Lichtgemeinde führt und in der Stadt am besten predigt. Es ist, als würde er vom nie vergessenen Pfarrer Sinkmann inspiriert. Das Kind, die Beate ‒ immer ist es so, als wäre sie bei ihnen ‒ unter Gottes höchstem Schutz und Schirm.

110. ER waltet über allem, ER gibt Seinen Segen, Seinen Frieden, Seine Offenbarung her. Das ist der Glaube:

Gottes Worte hören niemals auf!

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[ VH-LIF /  2014 ]