Anita Wolf

1975-1976

 

Ruth

die Moabitin


1150 v.Chr.

 

(Ref. Ch-10): "Wo gehst du hin, ich will auch hin ..." – Wer kennt nicht die wunderbare Geschichte von Ruth und Naemi? Ruth, die Mutter von Davids Linie, aus deren Zweig unser Heiland hervorgegangen ist. In dieser herrlichen Offenbarung wird uns die Lebensgeschichte einer opferbereiten Frau und der geistliche Hintergrund ihres Handelns für die Zukunft nahe gebracht.

 

„Die Gottesquelle“

 

Ach bleib' mit Deiner Gnade

Verborgen in der Tiefe,

da liegt ein Quell so rein,

Mir ist's, als ob es riefe:

'Wer Durst hat, kehre ein!'

 

Es ist die Gottesliebe,

sie will auch dich erfreu'n

wenn deine Seele trübe,

weiß weder aus noch ein!

 

Die Quelle ewig fließet,

nie trinkest du sie leer.

Soviel man draus genießet,

soviel wird's wieder mehr!

 

Drum eile zu der Stelle,

vertrau' nur Gott allein

und wirf in diese Quelle

all' deinen Schmerz hinein!

                              J. K.

 

 

 

INDEX

Kap. 1

Die Emigranten – Eine Stadt nimmt sie auf

Kap. 2

Der Verspruch, und sechs Jahre Wartezeit

Kap. 3

Die Pest bricht aus – Naemis Feindesliebe

Kap. 4

Guter Rat – Die Rückkehr in die Heimat – Des Lichtes Lehre

Kap. 5

Habgierige Zöllner – Ein Jüngling hilft

Kap. 6

Die Ankunft in Bethlehem - Gute Lehre tröstet, aber das Haus liegt in Trümmern

Kap. 7

The Richtersache böse  – Ein Mord wird aufgeklärt – Das Licht beseitigt ein menschliches Urteil

Kap. 8

Weitere himmlische Worte – Brüder oder Diener? – Kann man Gott helfen? – Ein Wort über Micha 5,1

Kap. 9

Naemi wird mit ihrer Hingabe an Gott belohnt – Die beiden Klaren lehren in einem Licht

Kap. 10

Die Ährenleserin – Der Ernteschmaus – Ruths Wort: 'Wo du hingehst …'

Kap. 11

Der Erbe kommt – Sein gutes edles Handeln

Kap. 12

Isremia und Judas Fürst – Die Ältestenversammlung

Kap. 13

Die liebe Tochter Gottes – Gute Erkenntnisse und böse Kunde in Michmas – Die Auslandshilfe

Kap. 14

Der Fürstenrat – Bestes Einvernehmen

Kap. 15

Der Widerstand des Prinzen von Benjamin – Boas' langes Warten – Gute Aussichten für die Zukunft - Die Melchisedekische Höhle

Kap. 16

Auch Priester müssen neu lernen – Alarm über einen syrischen Händler

Kap. 17

Isremia in Antiochien – Schweres helfendes Urteil

Kap. 18

Hochzeit in Bethlehem – Eine Fahrt nach Ar-Moab

Kap. 19

Glückliche Rückkehr – Alle Menschen sind Gottes Kinder – Corusja entblößt sein Gewissen – Die Lehre Labans – Das Wort des Engels

Kap. 20

Corusja rückt dem Glauben näher – In der Grotte von Bethlehem offenbart sich Gott

Kap. 21

Ja, es war Gott! Die heilige Nacht –  Eine Fahrt nach Silo zur Bundeslade – Der Traum des Jorah

Kap. 22

Auf Golgatha eine weitere Offenbarung über die Geburt Christi, über das Opfer, über die Erlösung der Gefallenen

 

 

 

PERSONEN

Der junge                - Engelführer Tullay (ehemals Deguel ein älterer Prinz auf Erden zur Zeit des Moses)

Adonikam               - Priester in Jerusalem

Anacaria                 - Oberpriester in Jerusalem

Askamar                 - Prinz von in Manasse

Ben Masa-Lubias - ein ägyptischer Kaufmann in Antiochia israelitischer Herkunft, Sohn von Gureano

Beraba                    - Richter in Israel

Boas                        - junger Bauer in Bethlehem, Sohn von Kemali

Chilijon                    - jüngerer Sohn von Elimelech und Naemi

Corusja                   - König der Stadt in Ar-Moab

Demach                  - Prinz in Ruben

Ebolo                       - bei älteren Menschen in Jesreel

Elimelech                - Bauer in Bethlehem, Ehemann von Naemi

Ethaman                 - 2. israelitischer Ältester in Antiocchia

Euphorinas             - Obere in Antiocchia

Foadar                    - Prinz in Naphtali

Josamath                - Prinz in Gad

Gureano                 - 1. Israelit in Antiocchia

Haakeron                - ein ermordeter Ethal-Händler

Hamato                   - Meisterschnitter in Bethlehem

Hanea                     - Mutter von Boas

Heleana                  - Frau von Isremia

Herias                      - Ältester von Jerusalem

Isremia                    - Grundbesitzer in Bethlehem, Enkel von Kemali

Isremia                    - Fardachai Vater (verstorben) von Isremia

Jorah                       - Priester in Silo

Jashu                      - Priester in Jerusalem, Schriftgelehrter, Zölibat

Kemali                     - Vater von Boas, Ehemann von Hanea (verstorben)

Kenias                     - Lais-Dan Elder

Laban                      - der Obere im Jerusalemer Ältestenrat

Mahlon                    - ältester Sohn von Elimelech und Naemi

Masa                       - Ägyptischer Kaufmann in Antiochia, Vater von Ben Masa-Lubias

Naemi                      - Ehefrau von Elimelech

Nafeot                     - Hotelier in Ruben

Orpa                        - Tochter von Corusja

Pereztha                 - Prinz in Judäa

Pisador                    - Priester in Jerusalem

Ruth                         - Tochter von Corusja

Sadmach                - Ältester von Samaria

Selemech               - der Älteste von Jerusalem

Sinehas                   - der Älteste von Emmaus

Thokar                    - Arzt, Schreiber, Wächter in Ar-Moab

ein Hotelier und seine Frau

ein Zollbeamter

 

 

 

 

Kap. 1

Die Emigranten – Eine Stadt nimmt sie auf

1. Erleichtertes Seufzen eines Mannes, der mit seiner Frau und zwei Söhnen ausgewandert ist. Drei Ochsenwagen wühlen dicke Staubwolken auf. Seit zwei Tagen liegt die Grenze hinter diesem kleinen Zug und man macht bei einem Brunnen Halt, nahebei am Wege. Die Ochsen werden ausgeschirrt, beim Brunnen gibt es Gras und ein paar Palmen, die gerade reife Früchte tragen.

2. Der Mann bindet seine Tiere, sie sollen nicht entlaufen. Der älteste Sohn erklettert eine Palme und holt saftige Datteln. "Gut, mein Junge", sagt die Frau, "mach' ein Feuer an, ich will ein Mahl bereiten. Die Palmen spenden Schatten, das Wasser ist so köstlich frisch." Sie nimmt aus einem Wagen ein paar Töpfe, sich dabei an ihren Gatten wendend, ein wenig ängstlich:

3. "Wie wird es uns in Moabit ergehen, Elimelech?" / "Ist abzuwarten, Naemi. Wir sind zwar hungrig, die teure Zeit in Israel war schwer; doch wir fallen niemanden zur Last. Hauptsache, wir finden eine Unterkunft." / "Wie bei Bethlehem?" ruft Chilijon, der Jüngere, zweiundzwanzig Jahre alt. Der andere, Mahlon, ist vierundzwanzig. Beide sehen kräftig aus; aber sie sind krank, was man nicht weiß. Es gab zu viel schwere Jahre.

4. "Wir werden sehen." Sehr zuversichtlich ist der Vater nicht. Der Tiere wegen ruhen sie noch eine Stunde. Ihr Ziel ist Ar-Moab, von wo man hörte, es sei eine gute Stadt und gäbe es dort Möglichkeiten, sich ‒ wenigstens vorübergehend ‒ anzusiedeln. Es dauert aber noch zwei Tage, bis sie dieses Ziel erreichen. Die armen Ochsen waren auch sehr mager durch die teure Zeit. Erst unterwegs fanden sie des öfteren genügend Futter.

5. Der Abend sinkt herein, als die Emigranten an die etwas niedrige Mauer von Ar-Moab kommen und an eines der bereits geschlossenen Tore pochen. Sie brauchen nicht arg lang zu warten, als von innen Riegel fallen. Ein untersetzter Mann, bewaffnet, steht inmitten. Nicht besonders freundlich, aber auch nicht barsch erfragt er das Begehr der Fremden.

6. "Wir bitten um ein Domizil." / "Für wie lange?" / "Wir wissen es noch nicht", erwidert Elimelech. "Führe uns zum Städteältesten." / Der Wächter kontrolliert die Karren und bezwingt den Unwillen, der in ihm aufgestiegen war. "Kommt!" Er nimmt das erste Ochsenpaar beim linken Joch, führt es in die Gasse und schließt das Tor. Er geht voraus und bringt die Emigranten auf einen freien Platz, der hier zugleich als Basar dient.

7. "Hier richtet eure Zelte", meint er gönnerhaft. "Vielleicht er meint Elimelech, "mußt du heute noch zum König." / "Wir danken dir." Elimelech gibt dem Manne eine Münze aus Damaskus. Unbesehen wird sie eingesteckt. Daß er nichts Minderwertiges bekam, bewies ihm die Kontrolle. Er wird ein Wörtchen für die Fremden wagen; an sich ist der Stadtälteste recht streng.

*

8. "Du hast Fremde nachts in unsre Stadt gelassen? Bist du denn von Sinnen?" Corusja, der Gewaltige, geht grimmig auf und ab. / "Es besagt nicht viel, weil ihre Wagen ordentlich gefüllt gewesen sind. Kommt zuviel fremdes Bettelvolk vom Jordanland! Haben die dort Teuerung, was können wir dafür? Ich sorgte vor, daß niemand bei uns hungern soll. Kann ich Fremde nähren, ohne unserm Volk das Brot zu nehmen? Erst die Eigenen!"

9. "Sie sehn ganz anders aus", wagt der Wächter zu erwidern. / "Lasse sie in dieser Nacht in ihren Zelten ruhen, auch der abgetriebenen Tiere wegen. Morgen früh besiehe sie dir selbst, die Leute meine ich, nicht die Ochsen. Dann kannst du immer noch ein Tor für sie nach auswärts öffnen lassen."

10. "Mögen sie die eine Nacht kampieren! Siehe aber öfter nach, ob sie nächtens schleichen. Wenn, dann gleich hinaus mit ihnen!" Der Wächter nickt und geht. Ab und zu umwandert er das kleine Lager. Allein, es bleibt ruhig, die Leute schlafen. So zieht ein neuer Tag herauf, der sich für die Israelen schicksalhaft, erst aber einmal gut, gestalten soll.

11. Der kühle Morgenhauch dringt durch die Öffnung in das Zelt. Auch die Stadt erwacht. Noch sind es einzelne Gestalten, die durch die Gassen gehn, doch belästigt man die Fremden nicht. Eine Türe öffnet sich am Haus des Obersten und ein Knecht tritt heraus. Suchend geht sein Blick umher. Er gewahrt die Zelte. Ah, die Fremden! Sein Herr möchte 'diese Sache' schnell erledigen. Am liebsten gleich mit dem Befehl: 'Fort mit euch!'

12. Der Bote ruft ins Zelt: "Heda, wer ist bei euch verantwortlich? Unser Ältester gebietet euch, zu kommen! Alle!" / Elimelech tritt würdevoll heraus. "Ich komme", sagt er ruhig, "mein Weib und unser ältester Sohn; der jüngere bleibt bei unserm Hab und Gut. Will dein Herr ihn auch noch sehen, kommt er nach." / "Wie du willst." Der Bote geht voraus.

13. Sie stehn sich gegenüber, der 'Stadtkönig' von Ar-Moab und der Emigrant aus Israel. Hm, ist kein wüstes Volk. "Wer bist du? Gib an, wie die Wahrheit es erheischt, dann ist zu entscheiden, ob ihr bleiben könnt oder weiterziehen müßt. Eines hast du zu bedenken", er tippt Elimelech auf die Brust, "seit zwei Jahren kommen aus dem Westen viele Leute her, weil dort die Teuerung ihr Zepter schwingt. Alles pocht an unsere Tür.

14. In Kir-Moab, der Hauptstadt, und in andern Flecken halten wir es so: Ein paar Wenige dürfen bleiben, von denen zu erwarten ist, uns nicht zur Last zu fallen." ‚Jene,‘ denkt Elimelech bitter, ‚die reich und angesehen sind und …‘ / Den Gedanken unterbricht der König. "Wer bist du nun?" / "Du hörst die Wahrheit", erwidert Elimelech wieder ruhig, wie es immer seine Art gewesen ist. "Ich habe meine Rollen der Familie bei mir, und du sollst sie sehen."

15. Er zieht aus seinem Mantelfach drei Rollen vor. Die erste öffnet er. "Ich bin Elimelech, ein Benjaminite vom Volk der Israelen. Mein Vater war gebürtiger Benjaminite, bei Bethlehem zu Hause. Er starb vor drei Jahren und meine Mutter folgte ihm bald nach. Wir besitzen einen großen Grund, hier, die dritte Rolle", er öffnet sie. "Das bleibt uns zu eigen. Sobald als möglich kehren wir zurück. Durch die Teuerung und vieler anderer Not gingen unsre Knechte fort, und so blieb uns gar nichts anderes übrig, als zunächst die Heimat zu verlassen." Der wahre Grund wird noch verschwiegen.

16. "Meine Mutter war Syrerin, aus gutem Hause in Damaskus. Nun hast du die Familiensippe eingesehen." – Der Moabite prüfte sie genau und greift nach der zweiten Rolle. Da tritt Naemi an den Tisch, auf dem die Rollen liegen. ‚Wie, ein Weib geht einfach auf den Ältesten im Amte zu?‘ Corusja zieht die Augenbrauen hoch, doch ergeht's ihm wie dem Wächter. Diese Frau hat leuchtend klare Augen, bezwingend. ‚Na, mag sie stehn, er wird nur mit ihrem Manne reden.‘ Als ob Naemi die Gedanken lesen könne, lächelt sie und setzt sich wieder auf den ihr angebotenen Platz.

17. "Mein Weib", sagt indessen Elimelech, "stammt aus Ijon, wo die Völker sich vermischen. Ihr Vater ist ein Naphtalie, die Mutter ist Sidonierin." / "Ein arg gewürfeltes Gemisch", ertönt's verächtlich. / Elimelech widerspricht: "Ihr und mein Vater waren Israelen, und ein wenig anderes Blut in einer starren Sippe ist gut angebracht. Eine Sippe, nur aus sich selber schöpfend, blutsmäßig, meine ich, geht rasch zugrunde."

18. "So?" Corusja ist erstaunt. "Wollt ihr Moabiter werden?" / "Nein, bloß wenn die Landgesetze es verlangen, und auch dann bloß in der Zeit, solange wir ‒ mit Dank ‒ die Gastfreundschaft genießen dürfen. Hilfst du mir, einen Grund zu kaufen? Wir wollen uns gern selbst ernähren und soll auch nicht dein Schaden sein."

19. "Ich habe selbst ein Land, auf dem zwar Dorn und Disteln wachsen und viel Steine liegen drauf. Ich wäre froh, wollt ihr es bebauen und nehme nichts dafür. Wenn ihr wieder in die Heimat zieht, soll dann dafür der Grund, wie er hernach ist, kostenlos mir überlassen bleiben." / "Das gilt!" schlägt Elimelech ein. "Aus den Steinen bauen wir ein Haus, und wie das Ganze steht und liegt, so bleibt's dein Eigentum!" / Der Handel wird beschlossen, Corusja geht mit Elimelech vor die Stadt und zeigt ihm das Gebiet. Es ist ein großes Feld und mit Gesträuch umzäunt.

20. "Ich kann dir einen Maurer stellen." / "Vielen Dank, Altrat!" / Sie gehen in die Stadt zurück und Elimelech zu den Seinen. Viele Fragen prasseln auf ihn nieder. Er lacht leise vor sich hin. Im Gegensatz zur starren Haltung in Familien, nicht allein in Israel, liebt er es, wenn Weib und auch die Söhne mit ihm reden. Ihr Familienleben ist ein gutes.

21. "Welcher Frage soll ich nun den Vorrang geben?" / "Meiner", bestimmt Chilijon und blitzt seinen älteren Bruder an. Bei der Mutter wird das nicht gewagt. Mahlon ist genauso wie sein Vater, und er liebt den Jüngeren, obwohl bloß zwei Jahre Altersunterschied bestehen. "Draufaus ist wieder mal vornweg." "Das merke ich", sagt Naemi, "bin aber selbst begierig, wie alles ausgegangen ist."

22. Elimelech setzt sich nieder. "Habt ihr schon gefüttert?" fragt er erst. / "Ja, Vater", bestätigt Mahlon, "alles ist in Ordnung." / "Sehr gut", lobt der Mann. "Nun, mit Corusja, wie der Städtekönig heißt, bin ich bestens übereingekommen, viel schneller, als ich selbst zu hoffen und zu denken wagte.

23. Vor der Mauer liegt ein Grund, er ergibt vier Felder. Viele Mühe kostet es, um bis zur Erntezeit noch einiges zu schaffen. Steine haben wir genug und einen Mauersmann. Wir bekommen also Chilions Haus. Die Felder sind gleich zu beackern.

24. Wir bauen Weizen, Hirse und Bohnen an. Das vierte Feld bleibt für die Tiere. Der Stadtkönig, wie sich Corusja nennen läßt ‒ es ist geraten, ihn mit diesem Titel anzureden ‒‚ gibt uns seinen Grund umsonst. Ziehen wir wieder fort", Elimelech ahnt es nicht, wie es werden wird, "bleiben Grund und Boden ihm zu eigen. Es darf von uns nichts berechnet werden. Merkt es euch, falls …"

25. Naemi schlägt die Hände überm Kopf zusammen. "Was ficht dich an? Keiner von uns soll in fremder Erde ruhen!" / "Das denk' ich auch", sagt Elimelech ernst. "Immerhin ‒ wer weiß zuvor, wann seine letzte Stunde schlägt? Mancher merkt es zwar, wenn die Glieder steif, die Augen müde werden. Aber früher ‒ ‒?

26. Gott hat es weise eingerichtet, daß der Mensch die letzte Stunde auf der Erde nicht errechnen kann. Bloß wer sich selbst entleibt, setzt sich diese. Doch die meisten sind nicht fähig, klar zu denken. Also geht auch ihnen ihre 'letzte Zeit' nicht wirklich ins Gefühl hinein. Nun, lassen wir das jetzt.

27. Die Frage, liebes Weib, was wir vom Mitgebrachten opfern müßten, ist geklärt, indem wir dieses Feld umsonst erhalten. Freilich, wenn wir mit Fleiß und Schweiß den Boden düngen, so bekommt der Älteste einmal ein gutes Land. Nun Mahlons Frage: da war er einsichtsvoll. Wir werden keine Moabiter, was für die Heimkehr späterhin für uns zum Segen ist.

28. Die letzten Richter waren unbeugsam, wenn jemand aus der Fremde wiederkam und aus Zwang ein Fremder wurde. Man ließ nicht gelten, wer es aus Sorge um die Seinen tat. Uns fehlt ein Mose, Josua, die ersten guten Richter, die des Volkes Wohl bedachten. Jetzt ‒ ‒ Man achtet allzu sehr aufs eigene Kleid!

29. Dazu kommt der Wunsch der Irrgeführten: wir wollen einen König! Wohl ‒ ein gesammeltes Regime kann jedem Volk zum Nutzen sein; aber eingesetzte Herrscher leben teuer, während unsre Richter ihre Hände regten. Regenten oder Könige leben nur vom Volk, das seine Arbeit opfern muß; davon muß man einen König kleiden und ernähren. O, wer bedenkt denn das? Sand in die Augen und ‒ man wird blind."

30. "Ich dachte auch darüber nach", läßt sich Naemi hören. Sie geht nicht blindlings einen anbefohlenen Weg. "Kemali, der in Bethlehem mit seinem Sohne Boas blieb und auf unsere Besitzung achtet, hatte mich gewarnt, wir sollten unsre Augen offen halten, wenn man Stimmen sammeln würde. Ich sollte es dir sagen. Da wir so hastig weggezogen sind, hatte ich es ganz vergessen."

31. "Das kann lange Wege haben", sinniert Elimelech. "Juda wird den König haben, eher, als wir denken. Und das ‒ wird der Untergang des Volkes sein!" Naemi und die Söhne staunen. Nie hatte er ein Bild; er ist doch kein Prophet! Wie überkommt ihn das so jäh? Sie erschauert, als ob ein Ungesehener eingetreten wäre, der nun für die Gnade des Prophetentums den 'Zins' erheischt, von ihr!

32. Elimelech spricht indessen weiter: "Wir haben einen König, GOTT ZEBAOTH, Dem die Väter dienten, Der dem Volk die Stätte wiedergab, die Abraham zu eigen war. Ist ER nun unser König, wozu brauchen wir dann einen irdischen, der uns nicht selig machen kann? Wir sehen es rundum bei allen Heiden, wie sie sich gebärden. Juda fiele in ein Joch, das nur mit seinem Untergang zerbrochen werden kann!

33. Behalten wir jedoch den einzigwahren König, den Herrscher übers Firmament, dem Wetter, Wind und Wellen, Sonne, Mond und Sterne zu gehorchen haben, ah ‒ was brauchen wir dann die Vergänglichen, wenn wir den EWIGEN besitzen? Besser, daß wir IHM gehören! Daß wir Sein Eigentum auf ewig sind!"

34. Elimelech überflutet die Ekstase, die aus dem Licht geboren wird. Sein Blick geht in die Ferne, festgebannt auf einen Punkt, aus dem er Gottes Wahrheit schöpft. "Es können tausend Jahre werden, aber mit den Königen der Welt geht unser Volk verloren! Aus deiner Seite…", er legt Chilijon die Hand aufs Haupt, "…wird ein großer König (David) kommen. Doch du, mein junge, bist von Schuld befreit, weil sich Israel die Grube selber gräbt.

35. Der vierte aus der Reihe (die vierte Generation: David!) wird der zweite König werden und wird's erst sein, als wäre alles Glanz und Herrlichkeit. Doch wie jeder Mensch die Welt verlassen muß, der Leib zur Erde fällt, die Seele in das Jenseits kommt, also werden Macht und Glanz der Weltlichen erbleichen und vergehen. Nichts wird einst bleiben als ein Chaos und ein Untergang, für jedes Volk nach seiner Art, für die Welt, für die Materie nach ihrer Art!"

36. Elimelech sinkt auf seinen Sitz zurück. Es ist, als würde er aus einem Traum erwachen und spürt es doch, was er zu sagen hatte. Jedes Wort ist in ihm wach, muß jedoch den Sinn ergründen, ob er sich der 'Stimme Gottes' völlig hingegeben hat. Er nickt ein paarmal vor sich hin. Ja, er ist frei von selbst Erdachtem, er hat die Offenbarung bringen dürfen. Indem er Chilijon umarmt, setzt er hinzu:

37. "Sei nicht bedrückt! Nicht du selber wirst der Leibesträger eines Königs sein. Ein Weib, in Moabit gewählt und dir zu eigen auf die Zeit…", daß sie kurz bemessen ist, soll er, Elimelech, selbst nicht wissen, "…wird der Grundstock eines Thrones sein. Daher seid ihr, meine Lieben, frei! Nur aus deiner Seele um der Liebe willen kommt ein Strahl hinzu über jenes treue Weib. Und du, Naemi, wirst ihre Treue an dir spüren."

38. Wie plötzlich aufgegangen, so plötzlich ist des Himmels Licht als WORT verlöscht. Elimelech weiß nichts mehr zu sagen und das Ganze bleibt für die Familie ein Fragment. Erst viel später wird Naemi sich daran erinnern und zu einer Schau gelangen, wo sich des Bildes Anfang dann ergänzen läßt.

 

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Kap. 2

Der Verspruch, und sechs Jahre Wartezeit

1. Zwei Jahre später. Man hat sich an das Moabitische mit angelehnt, ohne eigene Glaubensüberzeugung an den einen Gott, an Seine Führung dranzugeben. Im Gegenteil ward manche Saat gestreut, mancher Heide hat sie aufgenommen. Wohl wurzelt deren Althergebrachtes tief im seelischen Geblüt und ist nicht völlig auszumerzen; aber Elimelech und Naemi, die man achtet, haben manche Wucherung zerstört. So ist das Verhältnis gut geworden; und Israelen, die nachgekommen sind, durften gleichfalls siedeln.

2. Corusja ist ein Witwer. Er hat zwei Söhne und zwei Töchter. Die Söhne brachten Schwiegertöchter heim, die sich in die Hausgesetze fügten. Die Töchter sind bei Elimelech oft zu Gast und deutlich ist zu sehen, daß sie des Israelen Söhne dahin zieht. Vor ungewissem Schicksal muß er sie bewahren. Weiß er denn, was den Heidenmädchen einst in Israel erblüht, wenn sie…

3. Ruth, die jüngere, kommt hereingestürmt, was der Vater rügt. "Du Irrwisch, ich bin im Amt, du darfst nicht stören!" / "Vater", lacht das Mädel, "ist ja niemand da, mit dem du amten müßtest. Ich muß dir Wichtiges verkünden." / Sie wird verlegen. Als Mädchen darf sie es nicht sagen, daß sie … / "Na, was hat mein Käferchen?" Corusja streichelt ihre heißen Wangen.

4. "Vater, ich hab' ihn lieb und er mich auch, und Orpa ergeht es ebenso." "Da scheint es ja zu brennen. Wer ist der 'er'? Ich hoffe, meine Töchter wissen, was sie ihrem Vater schuldig sind!" Ja, eine Heirat bloß mit Stammesmännern. Ruth schüttelt ihre langen dunklen Locken. "Ich weiß. Hast du unsre Mutter sehr geliebt?" fragt sie diplomatisch.

5. "Ja, mein Kind!" / "Du hättest keine andere Frau genommen als unsre Mutter?" / "Das nicht, wir liebten uns." / "Wenn ich nun jemand liebe und er mich auch, wie er heimlich zu verstehen gab, darf ich nicht so handeln, wie du und Mutter es getan?" / Wahrhaftig, seine Jüngste ist sehr klug, sie appelliert an seine eigene Geschichte, die aus Liebe Gegenwart geblieben ist, bis übers Grab hinaus. Wie stark gerade dieses seine Ruth erfüllen wird, soll er noch erleben. Jetzt bangend, wie er sich entscheiden müsse, nachgebend oder brechend, fragt er abermals: "Wer ist der 'er'?"

6. "Elimelechs jüngster Sohn, sein Bruder hat sich Orpa auserkoren." Sie sucht hastig ihren Vater zu beruhigen, dem das Blut bis an die Stirne steigt. Dir, als Stadt-Oberster, ist ein 'ja' zuwider. Du erwägst, was deine Freunde sagen würden, wenn deine Töchter Fremde freien wollen und ob sie den Besitz in ihrem Land zurückerwerben könnten. Wer weiß denn das?

7. Ich teile dein Bedenken, lieber Vater. Immerhin die Elimelechs sind sehr angesehen, uns nicht mehr allzu fremd." / "Bis auf ihren Glauben!", unterbricht der Vater hitzig. "Daran muß man denken! Und willst du einem Fremden folgen, mußt du auf alles das, was du von Kindheit an geglaubt, geliebt und eingehalten hast, verzichten und des Mannes Art dich beugen: seinem Willen, seinem Glauben! Das ist nicht leicht, was du aufzunehmen hättest.

8. Gegen Elimelech ist nichts einzuwenden; was er aus meinem toten Grundstück machte, grenzt an Zauberei. Auch die Leute sind mir wirklich angenehm. Dich und Orpa würde ich verlieren. Wie ich hörte, ist die Teuerung in Israel und westwärts bis ans Meer behoben, die Länder blühen also auf. Über kurz oder lang zieht Elimelech mit den Seinen heim nach Israel.

9. Sie waren einstens reich, ihr Besitztum groß; doch ihr letzter Richter hat von allen Leuten, die das Land verließen, neun Zehntel ihrer Habe weggenommen. Und was sie hier erwerben konnten, außer etlichem Wert und Geld ‒ alles lassen sie zurück, wie das Abkommen zwischen uns getroffen worden war.

10. Im Elternhause hast du unbeschwert gelebt, ich ließ euch Mädchen keine schwere Arbeit tun. Geht ihr mit den Fremden fort, so bleibt euch nichts zu eigen, als was in euren Truhen ist. Das Moabitische Gesetz schließt die Töchter von der Erbschaft aus. Daher ist's viel besser, wenn sie nur solche Söhne freien, die vom Elternhause her begütert sind, damit sie keine Not zu leiden brauchen. Habt ihr, du und Orpa, das bedacht?"

11. "Ja! Kann man der Liebe wegen nicht auch leiden? Kann Liebe nicht auch überwinden? Naemi ist in ihrem Haus der Mittelpunkt, braucht keine schwere Arbeit zu verrichten und hat zwei Dienerinnen. So, sagte sie, würden ihre Söhne mit uns handeln. Denn ihre und auch Elimelechs Sippe wären anders eingestellt, als jene, die man Juden nennt und in sturer Haltung sich ans Äußerliche binden. Ich und Orpa hätten es bei ihnen gut.

12. Elimelech möchte mit dir sprechen, hörte ich. Deshalb wollte ich dich vorbereiten, damit du nicht aus allen Wolken fällst, wenn er gleich um beide Töchter bittet." Sie umarmt den Vater, Tränen rinnen über ihre Wangen. "Ich habe dich so lieb, und die Trennung würde mir und Orpa schwer. Allein ‒ auch bei uns gilt das Gesetz: das Weib folge seinem Mann!"

13. "Für die Frauen ist's ein schweres Muß", Corusja murmelt es. 'Ist bitter, sie als nebensächlich zu betrachten', fügt er in Gedanken an. Nun, man kann die Welt nicht aus den Angeln heben, seit je ist's so gewesen, also wird es auch so bleiben. Er, ein Moabiter, wird es niemals ändern können.

14. "Mag Elimelech kommen; wie es sich ergibt, sei dahingestellt." / "Wenn du an die Liebe zwischen dir und Mutter denkst, dann bin ich gewiß, daß du das Beste tust." / "Auch wenn ich euch nicht ziehen lasse?" / Ruth zuckt zusammen, schmiegt sich aber fester in des Vaters Arm. "Ich und Orpa glauben, daß wir uns zu fügen haben und deine Liebe, Vater, wird uns helfen, diese Last zu tragen. Aus Liebe zu uns Kindern wirst du edel handeln."

15. Mit einem Kuß, was seltener geschieht, enteilt Ruth hastig und läßt einen Mann zurück, der seine Stirn in beide Hände stützt. An sich hat er nichts dawider. Elimelech ist ihm Freund geworden, aber beide Töchter dranzugeben?, an ein fremdes Volk? Vielleicht gibt's nie ein Wiedersehen? ‒? Er seufzt tief auf.

16.  Schon wird jener angemeldet. Verständlich, daß Corusja eben nicht sehr freundlich ist, wie es sonst in beiderseitiger Begrüßung war. Der Israele ist zu klug, zu bedächtig, als daß er nicht des andern Kummer spürt. Erst recht hält er am freundlichen Gebaren fest, fragt zunächst nach allerlei und leitet sachte darauf über, weswegen er gekommen ist.

17. "Stadtkönig", beginnt er herzlich, "du hast zwei liebe Töchter, die mir und meinem Weib ans Herz gewachsen sind. Und ich hab‘ zwei Söhne, fleißig und in allen Stücken brav. Sie würden ihre Frauen lieben, kein Leid dürfte auf sie kommen. Wie wir während unseres Hierseins dir beweisen konnten, sind wir nicht allein aufs Unsere bedacht. Was Moabit an guten Sitten hat, haben wir erkannt, wie wir verabscheuen, was unserm Volk an Ungut haftet. O ‒ keine Volkschaft ist von beidem frei: gut und ungut, hell und dunkel, und ist immer angetan, beides zu bedenken.

18. Man sollte gut und hell stets höher stellen als das Mindere. Dann hat man Frieden auf dem Pilgrimweg durch diese Welt. Daher wollest du bei mir das hell und gut zuerst betrachten, wie …" "… du bei mir?" fragt jener. Ein kleines Lauern liegt im Blick, von Elimelech sofort registriert.

19. "Bei dir", entgegnet er in Ruhe, "habe ich von Anfang an nichts abgewogen, weil es da nichts abzuwiegen gab. Unser Handel auf dem Felde machte mich gewiß: du bist einer, bei dem man sich geborgen weiß. Das sag' ich nicht…", wehrt der Israele ab, als der Moabite sagen will, man würde nur so plappern, um zu gewinnen, "…um dir um den Bart zu streichen.

20. Wir haben ein Gesetz: 'Deine Rede sei ja und nein; was darüber ist, ist vom Übel!' Würde ich's nur meinen, um dich zu umgarnen, wäre ich ein Schelm und hätte meines Gottes Worte übertreten. Ein Mann soll sich vor solchen Übeln hüten. Wenn Kinder oder wenn ein Weib mitunter diesem Übel dient, sei gerne etwas nachgelassen. Doch bei einem reifen Mann…? Da sieht es anders aus, zumal wenn einer Oberhaupt der Sippe ist.

21. Einst, vor grauer Zeit, war ein Mann mit seinem Weib (Adam-Eva) in Gottes Garten. Beide wurden sündig! Der Mann versteckte sich, wollte seine Schuld nicht eingestehen. O, GOTT Selber rief ihn vor Sein Angesicht ‒ zuerst, Corusja, und zuerst mußte er bekennen! Er war Erst-Verantwortlicher, was nicht behob, daß auch das Weib vor Gott die Eigenschuld bekennen mußte. Das besagt:

22. Ob in einer Sippe Glieder schuldig werden, braucht nicht GOTT zu prüfen. Er weiß, wo die Wurzel eines Übels wuchert. So hat jeder seine Eigenschuld durch Reue und durch Buße abzutragen. Gott, der gerechte Richter, scheidet rechts und links, gut und ungut, hell und dunkel. Wo jedoch der Sippe Oberhaupt versagt, liegt die Schuld der andern mit auf seinen Schultern!

23. Mein Wort an dich ist rein und ohne Falsch. Daran knüpfe ich die Bitte, weswegen ich zu dir gekommen bin. Meine Söhne lieben deine beiden Töchter. Ich steh' für meine Söhne ein und mein Leben gebe ich dafür in deine Hand. Du bist der Städte-König, kannst über mich entscheiden, wenn meine Söhne nicht das Wort der Ehre halten gut vom Elternhaus gekommen, so sollen deine Kinder bleiben, so werden sie betreut! Genügt dir das, so lasse mich noch sagen, was dir mit zur Freude dienen soll."

24. "Freude ‒? Ich liebe sie und bin nicht so töricht, zwischen Sohn und Tochter einen Unterschied zu machen. Daß unser Hausgesetz die Söhne erblich in den Vorrang stellt, weißt du selbst. Ich kann den Mädchen nur das Ihre überlassen, was in ihren Truhen an Geschenken liegt. Arm gehen sie aus ihrem Vaterhaus, arm werden sie dein Haus betreten! Und obendrein ‒ beide in ein fremdes Land, von dem ich manches Böse hörte. Was sollen sie bei euch? Euere Obersten werden sie verachten, weil sie Heidenkinder sind!"

25. "Hast wohl recht, daß Fremde bei uns nicht viel gelten; umgekehrt ist's ebenso. Israel ist wegen Hungers oftmals ausgewandert und ist nirgends gerne aufgenommen, sogar der Weg verweigert worden; man hat uns manches Ungemach getan. Doch ich beruhige dich.

26. Wir wohnen außerhalb von großen Städten und unterstehen weniger den Augen derer, die das Volk zu leiten haben, Noch ziehen wir nicht fort. Mein Nachbar führt für mich Prozesse gegen unsern Richter, weil …" / "Bin unterrichtet", fällt Corusja ein. "…don denen, die wie du das Land verlassen haben; nahm der Richter meistens alles weg, angeblich als Strafe, weil ihr vor der Not geflüchtet wäret und hättet so das Volk verraten."

27. "Er legt so aus. Daß durch Wegzug vieler Sippen teils die Not behoben ward, läßt er nicht mehr gelten. Zuerst war es ihm recht, daß viele wanderten und war es ihm egal, wohin sie gingen, was aus ihnen wurde. Nun er selbst durch Mißwirtschaft viel Schaden angerichtet hat, deckt er ihn mit unsern Gütern zu. Mein Nachbar Kemali sandte mir vor kurzem Botschaft zu.

28. Nun ist's freilich fraglich, wer den Prozeß gewinnen wird. Wie dem aber käme ‒ du stelltest in zwei Jahren fest, was wir mit vielem Fleiß vermögen. Ich bin noch nicht alt, meine Frau Naemi weiß mit anzufassen, wenn es nötig ist. Meine Söhne, jung und stark, können ihre Hände regen und die Schultern stemmen; wir werden in der Heimat nicht verderben. Deinen Töchtern wird nichts mangeln. Gib mir dein 'Ja', als Freund, damit unser beider Kinder glücklich werden können."

29. Der Moabite sitzt versunken da. / Elimelech wartet in Geduld. Und dann… er behält die Söhne und bekommt zwei liebe Töchter noch ins Haus; jener muß sie opfern. Allerdings ‒ dessen Söhne brachten auch zwei Frauen heim, so hätte jeder ein gerechtes Teil.

30. Endlich sieht Corusja hoch: "Wir wollen ein Jahr warten. Sind deine Söhne dann bereit, haben meine Töchter sich nicht abgewendet, so gelte der Verspruch." Er hat sich die Bedenkzeit vorbehalten, um zu prüfen, was seine Leute sagen werden, wie sich der Prozeß entwickeln wird und… / Elimelech drückt ihm beide Hände. "Gut bedacht! Freilich", lacht er auf, "die jungen Leute, wie wir früher auch, werden ungeduldig sein. Für sie ist doch ein Jahr sooo lang, während es für uns, die Älteren, oft allzu rasch enteilt." "Kommt heute Abend her zu mir, sprich vorher nichts, wir setzen dann die Klauseln auf, auch ‒ wie lang ich wünsche, hier in meiner Stadt zu bleiben."

31. "Der Richter in Jerusalem ist hart, und bevor ich nicht auf meinen Grund gelange, kehre ich nicht heim." 'Das kann Jahre dauern', denkt Corusja. 'Und wenn sie immer bei uns bleiben, ist mir's auch ganz recht. Dann überschreibe ich das Feld den Söhnen für meine Töchter. Das wäre bestens ausgeglichen.' Beide, er und Elimelech, wissen nicht, das alles anders kommen wird.

32. Corusja ließ zwei höhere Beamte zu sich kommen, mit ihnen erwartet er die Israelen. Seine Töchter wagten nicht zu fragen, wie er nun entschieden hätte; er zeigte sich verschlossen und wartet ab, was die Städter sagen werden. Auch Elimelech und die Seinen sind nicht ruhigen Gemüts, als sie an dem Abend zu Corusja gehen. Ebenfalls fragten seine Söhne nicht, wie des Vaters Bittgang ausgegangen war. Nur Naemi gab er einen Wink.

33. Bei den Beamten hat Corusja vorgefühlt und erstaunte, weil beide ihn mit keinem 'nein', wie anzunehmen war, bestürmten. / Der erste Schreiber namens Thokar sagt: "Weißt du, wenn sich die jungen Leute lieben, sollte man bloß dann dagegen sein, wenn sich das eine oder andere nicht zum Gesellen eignet. Nichts Gegenteiliges nahmen wir von Elimelechs Sippe in den Jahren wahr; ich wollte, alle Moabiter wären so wie sie ‒ ich meine in der Art."

34. "Ausnahmen", widerspricht Corusja. "Nun, ich brauche nichts zu fürchten. Elimelech sicherte mir zu ‒ und der hält sein Wort ‒‚ daß meine Töchter nicht gezwungen werden, unsern Göttern abzuschwören, es sei denn um ihrer Ehe willen. Dann kann ich nicht dawider sein. Der eheliche Friede geht mir über alles. Und ich betone: einerlei Glaube in der Ehe kann ein Haus erhalten, kann's sogar vermehren, zweierlei bringt meistens seinen Untergang. Mag es werden, wie die Götter wollen!"

35. Man begrüßt die Israelen freundlich. Außer den drei Männern sind Corusjas Söhne mit im Saal, die Töchter und die Schwiegertöchter dienen heute, (da auch ihre Söhne im Raum sind, gibt es die Töchter von Corusja, die heute als Schwiegertochter dienen), was hier allgemein nicht üblich ist, doch dürfen sie hernach zur Tafel niedersitzen. Außer wenigen Worten hin und her wird erst gespeist.

36. Selbst Ruth hält sich zurück. Mitunter überschreitet sie die eng gezogenen Geleise, wofür es eine Mahnung, niemals Strafe gab. Die ältere Orpa ist stilleren Gemüts; sie hätte nie gewagt, von sich aus ihren Mund zu öffnen. Man bleibt am Tische sitzen, es werden Früchte aufgetragen. Ruth sieht ihren Vater flehend an, die Lippen halb geöffnet. Er lacht, er kennt ja seinen Irrwisch, und klatscht jetzt in die Hände.

37. Als ob vorher nichts beraten worden wäre, bringt er Elimelechs Bitte vor, das Für und Wider und dehnt seine Rede sehr lang aus. Er sieht die Ungeduld vier junger Menschen, Elimelechs ernsten Blick, die leise Trauer der Naemi, die meint, mit viel Gerede würde sich Corusja tarnen. Um so freudiger atmet alles auf, fliegt Ruth an seinen Hals, schmiegt Orpa sich an seinen Arm, stehen Chilijon und Mahlon hinter ihm zu beiden Seiten und alle andern stehen auf, als er, sich ebenfalls erhebend, sagt:

38. "Ich habe mich geprüft, meine Kinder, Elimelech, sein Weib samt Söhnen: es ist nichts Ungereimtes gegen euch zu sagen. Also gebe ich mein 'Ja' zur Bindung unserer Kinder, doch müssen sie ein Jahr lang warten. Sie sollen prüfen, ob sich fremd mit fremd vereinen läßt, ob sie gegenseitig sich die Treue wahren. Wenn ja, so ist in einem Jahre der Verspruch.

39. Noch ein Weiteres hänge ich daran. Ihr Israelen sollt mir vor den Ohren meiner Freunde schwören: Ihr dürft erst dann in eure Heimat ziehen, wenn der laufende Prozeß soweit zum Guten ausgegangen ist, daß alle, zumal meine Kinder, keine Not zu leiden brauchen. Doch sei die Klausel nicht über fünf Jahre ausgedehnt.

40. Von heute ab im sechsten Jahr ihr könnt auch länger oder immer bleiben, mir wäre das sehr recht ‒ dürft ihr heimwärts ziehen, ließ sich die Richtersache nicht zum Guten wenden, du, Elimelech, wirst genügend Freunde haben, die dir helfen, wieder alles zu gewinnen, was man euch räuberisch gestohlen hat. Seid ihr einverstanden, so sagt 'ja' vor den Ohren meiner Söhne, meiner Freunde. Als dann laßt uns fröhlich sein!"

41. Noch sechs Fremdenjahre, es würden acht, fern der Heimat, fern der Hütte, in der noch echte Priester wirken. Trotzdem: die Augen strahlen, Ruth und Orpa weinen und denken jetzt nicht an die Länge eines Jahres, auch nicht Elimelechs Söhne. Es winkt das Ziel, und jene Liebe die noch Zucht und Ordnung kennt.

42. Sagt Elimelech feierlich: "Ich anerkenne die Bedingung, dein und mein Wort sollen gelten. Aber meine Söhne sollen selber zeugen, ob sie in Ehr und Würde halten, was heute zum Verspruch gekommen ist." / Thokar lustig Ruft: "Nicht mehr als billig, also her, ihr jungen Männer, zeigt eure Willigkeit, euch unter unsers Obersten Spruch zu beugen!"

43. Wie in Moabit die Sitte lehrt, knieen Chilijon und Mahlon vor den beiden Vätern nieder und bekennen freudig: "Was der König dieser Stadt, die uns Zuflucht gab, bestimmte, anerkennen wir zu treuem Wort. Ohne Ehre soll man uns verjagen, wenn wir nicht gehorchen, würden wir die Jahre nicht erwarten, bis wir heimzuziehen dürfen. Wir bitten um den Segen für den Bund."

44. Sie lassen sich von Elimelech segnen, nach dem Mose-Brauch, vom Moabiter auf die Wangen küssen als ein Zeichen, daß dies auch ein Segen sei, die Liebe eines Vaters, die den Kindern gilt.

45. Diener füllen abermals die Tafel. Man zecht nicht, wie wenn man Feste feiert. Es mag Elimelechs ernste Art, Naemis gütiges Gesicht, die Zurückhaltung der Söhne sein, die die Freude in den guten Bahnen hält, weil die Israelen ihren stillen Dank zum Schöpfer senden, von Dem sie alle guten Gaben mit Anbetung und Ehrfurcht nehmen. Ein Abend voller Segen ‒ auch für die Heiden.

 

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Kap. 3

Die Pest bricht aus – Naemis Feindesliebe

1. Fünf Jahre sind dahingegangen, das Familienband ist eng geworden. Kluge Moabiter holen sich bei Elimelech öfters einen Rat. Ruth und Orpa kennen keinen Kummer bis auf jenen; sie sind noch ungesegnet, wie man so sagt. In manchen Häusern wird getuschelt: 'Die Götter zürnen, weil sie fremde Männer nahmen.' Ruth ist lieb und still geworden, ist kein Irrwisch mehr.

2. Naemi tröstet ihre Töchter. Lästermäuler wurden schon bestraft, womit die Tuschelei nicht ausgetrieben wird. Mehrmals hat man einen Anschlag auf die Israelen abgewehrt und Corusja meint, jetzt wäre besser, sie zögen fort. Man rüstet auch, obwohl aus Bethlehem die Nachricht kam, es würde der Prozeß hinausgezögert und sähe aus, als ob Elimelech ihn verliert.

3. Da tritt ein anderes schweres Los an ihn heran. Weit und breit fliegt eine Seuche auf, die zumal auf Männer und auf Kinder fällt. In Ar-Moab sind schon Todesfälle eingetreten. Die Ärzte, zeitgemäß sehr tüchtig, stehen machtlos da. Bloß Linderung ist zu beschaffen und einige werden nach und nach gesund. Die meisten holt der Tod nach langer Liegezeit. Ein Fieber zehrt sie auf.

4. Elimelech geht mit seinen Söhnen zu Corusja, um die Reise abzusprechen. Dieser sagt ihm jede Hilfe zu und bietet ihm für Haus und Grund ein Entgelt an, das jener für die Töchter nimmt. Das hebt ihn bei Corusja hoch. Auf dem Heimweg taumelt Elimelech. Erschrocken springen beide Söhne zu und führen ihn behutsam heim. Naemi wird totweiß. Soll ihr Mann die Seuche haben? Sie bettet ihn, hatte auch aus Vorsicht, ohne Wissen aller anderen, bei einem Arzt sich Rat geholt, falls ‒ ‒

5. Nun ist es eingetroffen. Sie kocht Sud und gebietet, daß niemand zu dem Kranken kommen darf, sie allein will pflegen. Auch fürchtet sie, wie schon geschehen, eine Ansteckung. Sie schickt Ruth nach Hause, um dem Vater anzuzeigen, daß vorerst an Heimfahrt nicht zu denken sei. Corusja bringt sein Kind zurück, lobt die Maßnahme von Naemi und holt selber einen Arzt herbei. Der wirft nur einen Blick aufs Krankenbett, zuckt die Schultern: "Da ist keine Hilfe möglich, die böse Seuche steckt schon lang in ihm, er hat sich wohl nichts merken lassen." Naemi nickt, so wird es sein.

6. "Wenn wir ihn in einen Wagen betten, könnten wir nicht dennoch reisen?" / "Auf dem Wege gibt es keine Möglichkeit, ihn zu betreuen, nirgends öffnet sich für euch ein Herbergshaus. Am Jordan herrscht die Pest noch nicht, ihr würdet fortgetrieben. Wohin denn dann mit euch?" Der Arzt hat recht. Die Aussicht, heimzukommen, ist zerbrochen. "Bleibet in Ar-Moab, da kann ich ab und zu nach euerm Kranken sehen."

7. Corusja schließt sich dieser Meinung an, geht auf Drängen der Naemi mit dem Doktor fort. "Du kannst nicht helfen", sagt sie traurig, "und stehst hier in der Gefahr. Lasse Boten bloß zur Haustür kommen und ich selber werde solche auch nur bis an deine Türe senden."

8. "Eine tapfere Frau", lobt der Doktor unterwegs. / "Ja, diese Leute haben mir in allerlei geholfen. Bloß daß nun meine Töchter Frauen ihrer Söhne sind, ängstigt mich. Komm und berichte mir, woher die Seuche kam, was Schweres weiter zu erwarten ist."

9. Sie gehen wortlos ihren Weg und sitzen sich dann gegenüber. Der Arzt erzählt: "Edomiter Krämer sollen in Kir-Moab, in Geschäften daselbst weilend, plötzlich umgefallen sein. Anzunehmen, die Seuche kam durch ihre Tiere. Kamele und auch Dromedare sollen schwarzen Speichel ausgeworfen haben.

10. Vielleicht ‒ wer kann es wissen? ‒ ist so das Übel ausgebrochen, zumal in Edom Mensch und Tier davon befallen sei. Daß die Männer es betrifft, macht mich stutzig, Frauen werden oft gesund. Von Männern war bis jetzt erst einem einzigen zu helfen. Woran das liegt, mögen unsre Götter wissen, nicht ich!" Damit macht er eine Handbewegung: 'Frage mich nichts mehr!'

11. Corusja ahnt die Geste, er hat sogar mit Elimelech schon davon gesprochen. Wohl zu dem, was dieser aus dem Glauben sagte, fand er keinen Weg. Des einen Gottes Walten ‒? Wenn schon, da Er die Güte wäre ‒ warum läßt Er das auf Männer kommen, die nachweislich in aller Welt die Vorherrschaft besitzen? Was ist denn so ein Weib? Ein kleines Nichts!

12. Daß er früher nie so dachte, ist ihm jetzt entfallen. Es ist eine stille Wut, aus Unkenntnis geboren und ist die große Sorge, die ihn drückt. An sich selber denkt er nicht. Er sieht den Doktor wortkarg an. / Der selber schweigt, aufsteht und sagt: "Hat keinen Zweck, zu denken. Ich dreh' jetzt meine Runde, auf den Abend melde ich die neuen Fälle."

13. Alle Häuser, die betroffen sind, müssen an die Tür ein violettes Zeichen malen, um Unwissende zu warnen. Strafen werden angesetzt, wer das Gebot mißachtet. Naemi hat es nicht versäumt, selbst das Zeichen anzubringen.

14. Wochen gehen in das Land, die Pest verliert sich nicht. Kein Tag, wo nicht in jedem Ort die Sterbefackel brennt. Naemis Söhne werden krank auf einen Tag. Dabei wurde Elimelech isoliert. Er merkt es nicht. Das Fieber bleibt, der Körper fällt zusammen, die Gedanken sind höchst selten klar. Dann fragt er stets: "Sind wir zu Hause?" Um ihn zu beruhigen, nickt die Frau, sie lügt nicht mit Worten, hat sie ja bemerkt, wie er ruhig wird, sobald er glaubt, im Heimatland zu sein. "Da will ich auch begraben werden", murmelt er. Auch dazu nickt Naemi still.

15. Ruth und Orpa weinen tagelang. Naemi hat mit ihnen ihre Not, läßt die Kranken in ein Zimmer betten, denn die allzu schwere Last, die dreifach auf ihr ruht, wird dadurch etwas leichter. Corusja kommt, als er das Schrecknis hört und es ist kein Trost, was er noch der schwergeprüften Frau, den Töchtern sagen muß.

16. "Seid gewappnet, ich ‒ ich habe vorgesorgt. Meine Magd wird euch bringen, dessen ihr bedürft. Bleibt im Haus; denn ‒" Er stockt. Wie ist zu bemänteln, welch bösere Seuche, unberechtigt, unter den verstörten Leuten ausgebrochen ist? "Geht bloß in euern Innenhof, um frische Luft zu atmen. Geht auch nicht aufs Feld, das wird von mir aus mit besorgt. Nun ja ‒ ich muß es sagen, damit ihr nicht in eine Falle lauft.

17. Weil ihr für das dumme Volk noch immer Fremde seid, also hat man ausgestreut, euer Gott, den ihr mit ins Land getragen hättet, hätte uns geschlagen. Weil ich euch hausen ließ, muß ich selber mich von Knechten hüten lassen, wenn ich meine Wege gehe. Euer Haus umsteht ein Rudel Söldner, es kann euch nichts geschehen." Er sieht Naemi ängstlich an. "Was sagst du jetzt zu unserm Volk?"

18. "Ich ‒?" Ein wenig denkt Naemi nach. Plötzlich sinkt sie an des Freundes Brust, heiße Tränen netzen ihre abgehärmten Wangen. "Man muß die Angst bedenken, weil nach dem Westen, beinah wie vom Jordan abgeschnitten, diese Seuche nicht kursiert. Daraus ist die Angst entstanden, die schon lang auf deinem Volke ruht, auch anderwärts. Nimmst du den Menschen den Verstand, dann kannst du sie wie Lämmer weiden.

19. Nichts kann ich tun als mich erbarmen. Du wirst das Deine tun, um aufzuzeigen, daß die Pest schon lang im Lande war, bevor sie meinen Mann befiel. Und jetzt erst meine Söhne. Ich ‒ ich werde alle drei in fremde Erde betten müssen, wenn …" Neue Tränen.

20. Corusja kannte bisher keine nassen Augen; nun glitzert es darin. Er drückt Naemi fest an sich, sie tröstend: "Der Arzt, der immer zu dir kommt, hat den Mund weit aufgemacht. Das brachte manche zur Vernunft, als er auf dem Basar sprach, …und er konnte noch gut brüllen‚ er wäre bei euch Tag für Tag gewesen und sei noch gesund. Andere Medikusse, die allein bei Moabitern waren, seien auch gestorben.

21. Das war die erste Bresche und meine folgt. Freilich wenn einer flüstert, schäumt das 'Meer der unbedachten Rede' über alle Dämme. Gut weil", grüßt er hastig, er kann den Kummer dieses Weibes nicht ertragen. Sie ist ihm ein Licht geworden in seiner Einsamkeit, und heimlich eingestanden: in der Verkapselung des Götzenglaubens. Den Töchtern, weil er nichts besseres weiß, ihnen Liebe zu erzeigen, schickt er goldene Geschenke. / Sie werden dankbar angenommen, doch mit tiefbetrübtem Herzen: 'Was gilt uns Gold, wenn wir unsre Männer an den Tod verlieren ‒?'

22. Wieder geht der Städter seinen Amtsgeschäften nach und er kommt in einen Schwarm hinein. "…und wenn die Knechte unsers Obersten das Haus umstellen, wir dringen ein. Die Brut wird ausgerottet, die das Unheil brachte. Auch die Töchter werden nicht verschont, weil …" Weiter kommt der Hetzer nicht. Unaufgefordert greift Corusjas Garde zu, nimmt eine handvoll Männer und auch Frauen fest. Im Nu sind sie gefesselt. Der Schwarm fliegt auseinander, 'Rette sich, wer kann; ich war nicht dabei!'

23. Die Fesseln fliegen ihnen nach. Das Stadtgefängnis füllt sich mit Rebellen. 'Was ist zu tun?' Der Oberste denkt an Naemis Wort: 'Nimm den Menschen den Verstand, dann kannst du sie wie Lämmer weiden! Und… ', als mich erbarmen'! Oh, das hat er noch nicht gelernt. Der Verstand läßt sich durch keine Prügel, nicht durch eine lange Haft verbessern. Er läßt die Leute einen Monat sitzen, ohne Drangsal, wie sonst üblich wäre. Und er, der Heide, holt sich bei Naemi wieder einen Rat. Vielleicht, weil sie selbst gemischten Blutes ist, hat sie einen sogenannten 'sechsten Sinn', der den Rat aus Gottes Wort empfängt.

24. "Laß sie laufen! Gut, daß das moabitische Gesetz nicht angewendet wurde. Man soll keine Menschen schlagen, auch kein Tier." / "Tiere?" Wunderlich gefragt. / "Unser Mose lehrte es. Du kannst erleben, wie ein Tier dich wiederliebt, auf seine Art, wenn deine sanfte Hand es leitet. Den Rebellen binde es auf ihre Seele, daß du sie nicht stäupen ließest, ein andermal aber um so härtere Strafen über sie verhängen würdest.

25. Eine Drohung! Man sollte diese unterlassen, hier hilft's; damit wirst du wieder Herrscher über diese Stadt. Das Weitere mag aus dir selber kommen. Unser Gott, der Einzige, Schöpfer Himmels und der Erde, segnet dich." / "Wie geht es deinen Kranken?" / Tränen hat Naemi keine mehr. "Elimelech geht noch heute heim zu seinen Vätern; eh die Sonne sinkt, wird er seine Augen schließen. Meine Söhne leiden sehr, doch ist ihr Zustand ungewiß. Manchmal hoffe ich, sie würden uns gesund."

26. Corusja wandert mit Naemis Segensworten heim. Er bespricht sich mit den Räten wegen der Gefangenen. "Übel war es nicht, daß du die unverdiente Milde walten ließest", sagt der eine. / Und ein anderer: "Allzu milde Strafe hilft nicht viel." / "Manchmal doch!" Corusja hat den Rat der frommen Frau bedacht.

27. "Mit Schlägen wäre neuer Haß hervorgerufen worden, der auch uns betroffen hätte, nicht bloß Elimelechs Leute, Lasse ich verlauten, daß sie keine bösen Strafen wünschten, dann mag dieser oder jener doch zur Einsicht kommen. Warten wir es ab. Morgen lasse ich sie frei." / "Warum heute nicht?" fragt der erste Schreiber. Damals stand ein solcher in gehobener Position.

28. "Heut' geht Elimelech heim zu seinen Vätern, sprach Naemi, einer ihrer Glaubenssprüche. Wir wollen diese Zeit nicht stören lassen, weil die Toten gleich in ihre Grube müssen. Ein rasch verwesender Leib richtet größeres Übel an als Kranke. Kommt morgen mit, dann zeigt sich's ja, wie sie ‒ die Gefangenen ‒ sich gebärden werden." Bedrückt geht jeder von den Männern fort. Daß die Seuche gar nicht weichen will.

29. Manchmal sieht es danach aus, als hätte sie ein Dorf, eine Stadt verlassen, doch nach wenigen Wochen kommt sie wieder. Es ist, als flöge sie wie Drachen hin und her, sitzt plötzlich auf gar vielen Orten nieder und ist keine Hilfe möglich. Die Leute weinen und es gehen allerlei Gerüchte um.

30. Strenge Maßnahmen sind erlassen worden, nicht bloß wegen dieser Pest. Daß sie bei Corusja gleichfalls streng, allein nicht hart zu nennen sind, ist Naemi zu verdanken, früher Elimelech. Seit dessen langer Krankheit, fast ein ganzes Jahr, ist's die 'liebe Frau', die allerwärts zum Guten rät.

31. Der Raum ist abgedunkelt. Eine Lampe gibt gerade so viel Licht, um den Kranken zu betreuen. Seit Tagen liegt er wieder isoliert. Die Söhne, nicht immer fiebrig, sollen nicht erleben, wenn der Vater seine Augen schließt. Die Töchter wissen auch noch nichts. ‚Schwer! Schwer!‘ Naemi trocknet immer wieder das Gesicht des Sterbenden, die Stirn, auf der ein Licht zu liegen scheint, den Mund der den ganzen Tag noch nichts gesprochen hat.

32. Da… Wie nie seit er gebettet ward, öffnet er die Augen, sieht sein Weib, gebückt von Sorgen, streckt beide Hände nach ihr aus und sagt deutlich: "Ich bin gerufen worden, jetzt weiß ich, wo ich bin. Oh, Naemi, liebes Weib, weine nicht, die Erlösung winkt! Ich ahne nicht, weshalb der Herr uns schlug und ob es eine Sünde war, unser Land des Hungers wegen zu verlassen." Er verrät auch jetzt die wahre Not noch nicht.

33. "Einst tat es unser Volk. Es ging des Hungers wegen nach Ägypten und wurde lange drangsaliert, bis Gott in herzlicher Erbarmung ihm den Mose sandte. Wohl, …und das weiß der Herr: nicht meinetwegen ging ich fort, sondern euretwegen griff ich nach dem Wanderstab. Heute war ich immer klar bei Sinnen, konnte bloß nicht reden, sah dein mütterliches Walten, deine Opfer, deine Treue; und dafür wird der Herr dich nicht verlassen. Nicht völlig einsam kehrst du heim nach Bethlehem.

34. Ich komme nicht zu unsern Vätern; doch mir ward gezeigt, daß dies müßig ist. Überall ist Gottes Erde! Einem Volk gehören nur die Grenzen. Das Land ist GOTTES Eigentum, Seine Erde! Und in diese laß mich betten, wenn der Lebensengel ruft. Dort…", Elimelech zeigt mit matter Hand nach oben, "…ist unsre Heimat. Dorthin kehre ich zurück. Dort werden wir uns wiederfinden!

35. Lebe wohl, Getreue! Grüße meine Söhne", Elimelech weiß es nicht, daß sie dem Tod verfallen sind. Nur aus einer Ahnung, aus dem Licht gegeben, fügt er an: "Sie folgen mir bald nach. Grüße meine lieben Töchter, grüße unsern Freund Corusja und die andern, mit denen wir verbunden sind. Grüße ‒ ‒" 'Bethlehem,' wollte er noch sagen.

36. Die Worte sind verhallt. Eine Weile sitzt Naemi starr auf ihrem Stuhl. Dann drückt sie leidgefüllten Herzens 'ihrem lieben Toten' beide Augen zu, legt Kräuter in ein reines Laken, spritzt darüber einen Saft, hebt allein den Mann ins Leichentuch, bindet auch die Bänder fest, damit das Tuch nicht auseinander fällt und öffnet die verhängten Fenster.

37. Der Nachtwind streicht herein. Naemi nimmt den Sud, wäscht sich, zieht bereitgelegte Kleider an und steckt die alten und des Elimelechs Wäsche im Hof in einen Zuber. Bald steigt eine Lohe auf. / "Was ist?" flüstert Ruth erschrocken. "Das ist ‒ sollte unser Vater …" Sie bricht in Jammern aus. / Orpa eilt zur Fensteröffnung. Da sieht sie, was geschehen ist. Im Fackelschein erkennt sie ihre Mutter und die Augen strömen über. "Unser Vater, der liebe Vater!" ruft sie wie erstickt.

38. Sie kleiden sich in Eile an und laufen in den Hof. Weinend knieen sie am Zuber nieder, als wäre es bereits das Grab. Noch zeigt sich kaum die Sonne, als die Knechte ihren Herrn zu Grabe tragen. Naemi und die Töchter folgen; Corusja kommt mit seinen Knechten. Er hebt der Sitte nach die Hände, Ruth und Orpa tun es nach, Naemi faltet ihre Finger, wirft noch einen Blick hinab ins Dunkel einer fremden Erde. ‚Nein‘ durchfährt es sie: 'Gottes Erde', hat der Sterbende gesagt. So will sie es zur Heimat bringen, das gute Wort das ihr immer eine Tröstung bleibt.

39. Man bedeckt das Grab mit einem Stein. Noch sind wenig Städter auf den Straßen, und die Knechte müssen schwören, diesen Gang nicht zu verraten. Sagt ernst gemessen der Älteste von ihnen: "Herr, wir wissen, was wir dir und deinem Hause schuldig sind. Dazu gehören deine Töchter, obgleich sie fremde Männer nahmen. Und dann ‒ noch verriet es niemand, wer einen solchen Abgestorbenen zu Grabe trug, weil sie dann als ausgestoßen gelten. Die Angst, Herr, die Angst wenn die nicht wäre ‒".

40. "Mein Gott hat jetzt die Angst als einen Segen ausgeschickt, der mehr behütet und mehr Ungut unterdrückt, als der Mensch verstehen mag. Geht heim, ihr guten Knechte, mein Gott segnet euch um eurer Hilfe willen," Naemi gäbe ihnen gern die Hand, aber das ist jetzt nicht angebracht. Die 'innere Hand' zu geben, das versteht sie aus dem Licht. Niemand weiß es als die nächsten Freunde, daß der Israele auch gestorben ist.

*

41. Monde bleiben vollgerüttelt mit dem 'bösen Stab der Götter'. "O Herr, ist's Deine Rute?" fragt Naemi bang. / Da erklingt in ihr ein Wort: "Ich habe keine Rute, aber eine Hand, die zweierlei zu geben weiß, was immerdar MEIN Segen ist! Willst du diesen messen, so ermesse MICH, wenn du das kannst!"

42. Tief erschüttert sieht Naemi in des Himmels Helligkeit. Kam von dorther Gottes Wort? Sie ist's nicht würdig, denn Mann und Söhne ‒ Nein, wenn auch bitterlich, es ist Gottes väterliche Hand. Wer mag das verstehen? 'Du hast gesprochen', dankt sie innig. Noch steht Schweres ihr bevor. Kann sie von den Töchtern denn verlangen, mit nach Bethlehem zu gehen? Kann man Schicksalsschläge einen Segen des Allmächtigen nennen? Was ließ die Heimat von dem übrig, was einmal ihr Besitztum war? Da die jungen Frauen keine Kinder haben, steht es ihnen frei, abermals zu ehelichen.

43. Als sie ins Zimmer ihrer Söhne tritt, sieht Chilijon die Mutter flehend an. "Was ist mit Vater? Ich sah ein Leichentuch, aus unserm Haus getragen." Vom Fieber sind die Lippen sprüngig, die jungen Männer sehen Greisen gleich. / ‚Was soll sie sagen? Herr, gib Du mir Deine Kraft!', schreit ihre Seele.

44. "Du hast Fieber, lieber Sohn, da sieht man mancherlei. Euerm Vater geht es gut." Ja, das stimmt, befreit von aller Leibesqual ‒ von arger ‒ "Es ist…" / "Du willst uns schonen, Mutter." Chilijon wirft einen Blick aufs Lager seines Bruders. Obwohl der Älteste, ist Chilijon in seiner Seele stärker und konnte oftmals helfen, wenn jener trüb und dadurch launisch war.

45. "Mir sag' die Wahrheit, teure Mutter, ich kann sie tragen. Unser Vater ist…" / Naemi nickt und streichelt tröstend ihres Jüngsten schweißbedeckte Stirn, nimmt ihn in ihre Arme und wiederholt, was Elimelech sprach, welches Wort sie hören durfte. Chilijon ergeht's wie seiner Mutter. Still liegt er zurückgelehnt, schlägt wieder seine Augen auf und sagt:

46. "So viel Leid hast du allein zu tragen, du bürdest unsern lieben Frauen keine Lasten auf. Ich spüre es: die Söhne, die deine Stütze werden müßten, lassen dich allein. Aber wenn ‒ wir ‒ ‒ Möge GOTT es führen, daß du nicht verlassen bist." Erschöpft fällt Chilijon zurück. Naemi holt ihm einen Trunk, fast das einzige noch, was die Kranken zu sich nehmen können. Eine Spanne hilft es jedes mal, daß sie leichter schlafen können.

47. Wieder reiht sich Tag an Tag. Allmählich ist die Macht der Pest gebrochen. Niemand wird von ihr befallen, nur die Kranken sterben noch, weil mancher Arzt sich auch die Seuche holte. Die Leute atmen auf, Handel und Geschäfte fangen an zu blühen, und von Edom hörte man, die härteste Gefahr sei abgeklungen.

48. Naemis Söhne sehen ihrem Tod entgegen. Da nun keine Ansteckungen zu befürchten sind, läßt sie Ruth und Orpa ins Gemach. Sie hat sie vorbereitet, wie die Pest den Leib verzehrt. Dennoch fassen sie sich an den Händen, lehnen sich an ihre Mutter an; es gibt keinen Trost der Welt, der ihren Schmerz zu lindern wüßte.

49. Mit einer Kraft, die Naemi nicht mehr zuzutrauen wäre, hält sie ihre Töchter fest. "Seht nicht die Gesichter an", mahnt sie, selbst voll Trauer, "schaut hoch, aus dem Himmel kommt der Trost für allen Weltenschmerz!" Sie will noch etwas sagen, doch da greift Chilijon nach Mahlons rechter Hand, die Betten stehen nahe beieinander, und wie sein Vater kann er deutlich reden:

50. "Komm, lieber Bruder, wir gehen heim!" / ‚Noch wähnt das junge Blut das Vaterland der Erde, aus dem es wie mit Händen winkt.‘ / "Der Vater ist dabei, hinter uns die Mutter, unsre Frauen." Wann… das deckt Gottes Güte zu, indem die Augen brechen. Wenig später streckt sich Mahlon aus. Es ist ein letzter Blick, der die Frauen hell umfaßt. Von was bewegt sich denn die Luft? Sind es jenes Engels Flügel, der… Dann ist vorbei.

51. Zwei Leben sind für diese Welt verlöscht, zwei Leben sind erwacht zum ewigen Sein! Der Schmerz ist viel zu groß, er läßt durch Tränen die Erleichterung nicht zu, Ruth und Orpa helfen, die Leichentücher zu bereiten, waschen sich im Sud und ziehen neue Kleider an. Alles Alte wird verbrannt.

52. Diesmal ist nichts zu befürchten, man kann die Toten ruhig in die Erde betten lassen. Sogar Nachbarn kommen, die mit Naemi und den jungen Frauen trauern. Klageweiber, die Corusja hoch bezahlt, gehen vor der Gruppe her, allerdings den Abstand wahrend. Vorsicht ist geboten. Ruth und Orpa bleiben bei Naemi. Die zwei Mägde und die Knechte, im Lauf der Jahre aufgenommen, und die die Krankheit nicht befiel, geben sich die größte Mühe, ihrer Herrin alles recht zu machen. Es ist nicht nur Dankbarkeit, weil sie verschont geblieben sind, es sind auch Achtung und die Liebe, denn eine gütigere Herrin werden sie kaum wiederfinden.

53. Die Pest ist tot. Man hat sie nicht ergründen können. Das ganze Land ist froh. Es feiert wieder Feste und bald ‒ wie Menschenart es ist ‒ denkt man nicht mehr an das Grauen. Im Hause der Naemi bleibt man ernst gestimmt, doch haben Knecht und Magd die Freiheit, sind ja junge Leute, ihres Volkes Feste auch mit zu begehen.

*

54. Es rundet sich das zehnte Jahr, für Naemi ein Dezennium der Fremde, die ihr halb zur Heimat wurde. Doch es zieht und zerrt in ihrem Herzen; und lassen sich die Gräber nicht mitnehmen ‒ ihre Lieben nimmt sie mit, wenn sie den Fuß gen Westen richtet.

55. Sie bespricht sich mit Corusja. "Ich lasse deine Töchter hier", sagt sie beklommen. Sie wird um beide trauern wie um ihren Mann, wie um ihre Söhne. / "Warte einen Mond", rät Corusja, "sie sollen selbst entscheiden, wohin sich ihre Sinne wenden." Auch er ist voller Leid. Nur hat er seine Söhne nicht verloren, die Schwiegertöchter sind gesund, und fünf Enkel darf er kosen. Soll er Naemi noch das Letzte nehmen, das ihr Halt und Hilfe werden kann? …?

 

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Kap. 4

Guter Rat – Die Rückkehr in die Heimat – Des Lichtes Lehre

1. "Ach Vater, rate uns!" Orpa steht Corusja gegenüber. Naemi hatte ihre Schwiegertöchter angeleitet, nicht mitzukommen. Wenn auch in Israel der Hunger längst behoben ist ‒ ihr Weg bleibt ungewiß. Die Schwestern werden von Gefühlen hin- und hergezogen, zwischen ihrem Vater und Naemi.

2. "Ich könnte euch gebieten, doch das will ich nicht. Euere Liebe ist mir stets gewiß, ganz gleich, wo ihr hausen werdet." Der Vater unterdrückt das Weitere. Er wendet sich Naemi zu, fragend, wer sie begleiten würde. "Da…", er holt aus einer Lade einen Beutel, gefüllt mit Silberlingen, "…es ist nicht mehr als recht und billig, dich für alle deine Mühe abzufinden.

3. Ihr habt den unfruchtbaren Boden reich gemacht, dazu vergrößert. Das gehört jetzt mir, wie es mit Elimelech abgesprochen war. Ohne Entgelt sollst du nicht von hinnen gehen. Du wirst's für dich und meine Töchter brauchen." / "Für diese nehme ich es an, ich brauche nichts, einiges haben wir erspart."

4. "Auch ohne meine Töchter ist's dein wohlverdienter Lohn, und ich gestehe: du hast mir viel von deinem Glauben beigebracht, nur darf ich mich als Oberster der Stadt nicht laut dazu bekennen. Ja, etwas drängt mich zu dem Glauben an die eine Gottheit hin; Eingeborenes läßt sich bloß nicht ausradieren."

5. "Das ist nicht nötig", sagt in ihrer stillen Art Naemi. "Du bist deiner Stadt ein guter Herr geworden; nicht gut wäre es, würdest du dich offen wenden. Dir wird mein Glaube immer helfen, mein Gott, meine ich! Feiere die Feste deines Volkes mit; denke dabei an den einen Schöpfer aller Lebensdinge, bete Ihn in deinem Herzen an. Und ruft man bei den Opferfesten eurer Götzen Namen aus, dann fällt's nicht auf, wenn deine Lippe schweigt und in dir den Namen deines… 'unseres' Gottes preist."

6. "Das will ich tun! Sei bedankt, Naemi! Nie fand ich jemals eine Frau, die so klug, so gütig und so tapfer ist wie du. Nein, wehre mir nicht ab! ‒ Doch das andere sei noch besprochen: wer von deinem Hause wandert mit?" / "Ein Knecht und eine Magd bleiben mir getreu, denn sie sind wie du zur Wahrheit durchgedrungen. Also habe ich des Weges auch genügend Schutz."

7. "Das langt nicht. Ich stelle dir drei Reisige, dein Knecht wird auch bewaffnet. Wieviel Wagen habt ihr denn?" / "Vier, jeder mit zwei Ochsenpaaren gut bespannt." / "Die leiten Karrenknechte. Sie bringen euch zum Jordan, können auch mit bis nach Bethlehem, dann kommen sie zu mir zurück. Ist dir das recht?"

8. Naemi atmet auf. Sie hat den Druck nicht merken lassen, der der Ungewißheit wegen auf ihr lag. "Dafür segne dich der Herr, du tust wohl an mir! Morgen mit der ersten Sonne wandern wir. Lebe wohl, getreuer Freund, lebt wohl, meine Töchter …" / "Nein, nein", rufen beide aus, "wir gehen mit, wir …"

9. "Ich habe von euch auch nichts anderes erwartet." Corusja reißt sich hart zusammen, seine Stimme soll nicht schwanken. Es wird ein bitterlicher Abschied von dem Vater, von allen Anverwandten, von den Gräbern, die das Letzte ihrer großen Liebe hüten. Bis fast zum Morgengrauen wird gepackt und aufgeladen.

10. Noch liegen Nebel über Berg und Tal, als der Oberste mit seinen Leuten kommt. Auf dem ersten Wagen sitzen die drei Frauen, Corusjas, Reisige und Naemis Knecht reiten nebenher. Eine weite Strecke gibt er das Geleit. Plötzlich kehrt er um. Naemi spürt die Trauer dieses Mannes, also sagt sie bei der ersten Rast in einer Wegherberge zu den jungen Frauen:

11. "Kehret um! Der Herr tue euch Barmherzigkeit, wie ihr an mir und an den Toten tatet. Gott gebe euch die Ruhe und daß ihr wieder gute Männer findet." Ihr Herzweh unterdrückend, küßt sie Ruth und Orpa und dreht sich ab. Zwei Reisige und ein Wagen, vollbeladen mit dem Gut der Töchter, sollen mit zurück.

12. Beide flehen: "Schicke uns nicht fort! Der Vater trauert, doch er hat die Söhne, Frauen und die Enkel; du aber bist allein. Der Herr strafe uns, wenn wir dich verlassen! Wir haben deinen Glauben angenommen, wollen mit zu deinem Volk, wollen Männer aus der Sippe deines Blutes nehmen."

13. Kann Naemi widersprechen? Oh, sie hat die Pflicht, Ruth und Orpa ihren Weg zu weisen. Wo jedoch wohnt größeres Heil als im Glauben an den einen Gott? ‒ Man wandert weiter. Corusjas Säckel ist ‒ zwar weltlich ‒ auch ein Segen. Naemi denkt daran, als er bedeutete, daß mancher Wirt zuviel verlangt, ausgegangen von der Teuerung. Ja — je mehr man nach dem Jordan strebt, umso teurer werden Unterkunft und Futter für die Tiere.

*

14. Die dritte Rast am ersten Tag. Noch ist's moabiter Land. Orpa ist sehr still geworden. Sie war immer ruhig, doch wie Ruth verläßlich. Nun gewahrt Naemi, wie jene öfters rückwärts sieht, Ruth hingegen stets voraus. Es ist später Nachmittag, als man, gut gestärkt, an Aufbruch denkt.

15. Naemi nimmt die Töchter bei den Händen. "Kehret um", spricht sie hastig. "Warum wollt ihr mit mir gehen? Wollt ihr denn aus meiner Sippe Blut aufs neue ehelichen? Ich weiß, wie ihr es meint", um ihr aller Weh zu dämpfen, macht sie einen kleinen Scherz, "Seht, ich bin viel zu alt, und ich brauche keinen anderen Mann. So aber doch und es kämen Söhne, wollt ihr warten, bis sie groß geworden sind? Dann könntet ihr am ehesten die Mütter sein."

16. Ein Lächeln läuft über Ruths Gesicht, während Orpa traurig ist. Naemis kleiner Scherz verweht. "Nicht also, liebe Töchter, mich jammert euer sehr und über mich sind Gottes Hände ausgegangen. Ihr traget mit an meiner Last. Kehrt heim, meine Lieben!"

17. Orpas Tränen rinnen wie ein Bach, sie küßt Naemi, nimmt Abschied und flüstert leise: "Dich zu vergessen, teure Mutter, wäre eine große Sünde. Unsere Leibesmutter ist uns allzu früh gestorben; in dir fand ich eine liebe neue. Und alles, was du mich gelehrt, das halte ich in meinem Herzen fest. Nur ‒ du verstehst ‒ ich habe Angst vor einem fremden Land, ich bin nicht wie Ruth so tapfer, ich habe leider …" / "Sei getrost, meine Orpa, ziehe deine Straße in dein Vaterhaus. Du tust recht, zurückzukehren. Ruth ebenfalls."

18. Naemi läßt ihren Wagen aus der Reihe nehmen. Aber Ruth verharrt, während sich der Karren schon nach Osten wendet. "Was stehst du noch?" fragt Naemi, denn schon hat eine Bodenwelle Orpa samt Geleit verdeckt. "Gehe deiner Schwester nach, es ist… vielleicht… von Gott gewollt für dich das Beste." Sie gibt einem Reisigen Befehl, Ruth auf seinem starken Tier dem Wagen nachzutragen und dann… wenn er wolle… wieder her zu ihr zu kommen. Allein, Ruth streckt beide Arme nach Naemi aus und ruft:

19. "Rede mir nicht ein, daß ich dich verlassen soll! Ich habe deinen Glauben treu bewahrt und für echt befunden. Gott wolle mir auch tun dies und das, kehrte ich mit Orpa heim! Für sie ist's gut, das weiß ich längst, aber ihre Liebe wird mit ihrer Treue bei uns sein. Und so sage ich denn dir:

«Wo du hingehst, da will ich auch hingehen;

wo du bleibst, da bleibe ich auch.

Dein Volk ist mein Volk, dein Gott ist mein Gott!

Wo du stirbst, will ich auch begraben werden.

Der HERR tue mir dies und das,

der Tod muß mich und dich scheiden!' ‒ "»

(Ruth.1,16-17)

20. Als Naemi dieses wunderbare Wort aus jungem Mund vernimmt, bleibt sie lange still, hält Ruth ganz fest an sich gedrückt und spricht verhalten: "Dank sei dem Herrn für diese große Güte! Nun besitze ich doch eine Tochter und will meine Hände regen, damit es dir noch wohl ergehen soll."

21. "Meine Hände rege ich, Naemi-Mutter! Du hast in deinem Leben viel geschafft und mir ziemt so, für dich zu sorgen. Doch wir müssen weiter, um zur Maut zu kommen. Der Vater nannte sie. Der Wirt ist uns bekannt, da können wir in Ruhe rasten."

*

22. Die Nacht hat schon die ersten Sterne angezündet, die Reisigen ihre Fackeln, und so kommt man wohlbehalten an der Mautherberge an. Der Wirt samt Frau sind sehr beflissen, die Wanderer zu bedienen. Man überläßt sie ohne viele Fragerei der wohlverdienten Ruhe. Erst am anderen Morgen forscht er fleißig nach, wie es in Ar-Moab war, er drückt Ruth gegenüber seine Freude aus, daß "der Vater und die Brüder nicht befallen worden sind". Er sagt es, als Naemi nicht zugegen ist.

23. "Bei uns, obwohl wir abseits wohnen, gab es in den Jahren viele Todesfälle. Mein Haus blieb nicht verschont. Ein Sohn und dessen Knabe, eine Schwiegertochter wurden Beute dieser fürchterlichen Pest. Ich danke allen Göttern: einer unter ihnen ‒ welcher? ‒ hat sie ausgelöscht." / Indem Naemi wiederkommt und sich zu ihnen setzt.

24. Sagt Ruth leicht lächelnd: "Hast recht, Freund meines Vaters, einem Gott zu danken, weil es ernstlich auch nur EINEN gibt! Du bist, wie ich gleichfalls früher, so erzogen worden, daß es viele Götter gibt. Doch man hat sie sich erdacht. Kam etwas über diese Welt, ob Freude, Schmerz, Schönheit oder anderes ‒ wenn man nicht wußte, woher es kam oder was man da zu denken hätte, so griff man unbewußt ins Übersinnliche und nannte es 'die Götter'.

25. Man suchte sich die Vielzahl aus, geleitet von des Lebens Drang. Allmählich aber werden Zeiten kommen, wo man an einen Herrgott glaubt. Wie man Ihn nennt, wo man Ihn sucht, wird unterschiedlich bleiben, was sich durch die Völker, zueinander fremd, ergibt. Aber ER, der EINE, ist und bleibt, was Er ist und fragt nicht danach, welchen Namen man Ihm gibt, sondern nur danach, ob man Ihn liebt und die Nächsten wie sich selbst!" Ruth atmet auf.

26. Der Wirt fragt baß erstaunt: "Mädchen, wo hast du diese Weisheit her?" Ruth zeigt auf Naemi, indem er weiterspricht: "Nicht viele Götter? Bloß einen einzigen? Das ist nicht schön! Bei den vielen Dingen verschiedene Götter sich geneigt zu machen, ist nicht zu unterlassen.

27. Kann ein Gott das Viele, was uns nahegeht, allein bedenken oder ordnen? Mir schwirrt der Kopf, wenn mein Weib, die Knechte, Mägde und die vielen Gäste mich bestürmen. Da weiß ich manchmal nimmer ein und aus. Wie möchte es dann einem Gott ergehen, wenn …"

28. Naemi greift nach seiner Hand. "Überlege dir einmal: Du bist überzeugt, daß die Götter, wenn es welche gibt, Giganten sind; sie stünden über uns. Von unserer Warte aus gesehen hättest du ganz recht, wie denn ein Gott das Vielerlei, was von der Erde zu Ihm dringt, bewältigen soll. Befasse dich mit diesem Schöpfer und zwar so:

29. Vom Gewirr der unbestimmten Bitten, vom Geschrei, das Menschen in die Höhe senden, bleibt vieles unter Wolkendecken hängen. Nicht, weil es nicht bis vor die Ohren käme, weil Er das Geschrei nicht hören will, etwa auch nicht hören kann, sondern weil die Kraft der menschlichen Gebärde so erbärmlich ist; daß der Höchste sie zum Schutz und Segen Seiner Menschen unter eben diesen Wolken hängen läßt." Weil der Wirt hinauf zum wolkenlosen Himmel starrt, erklärt Naemi weiter:

30. "Nicht die Wolken, die uns Regen bringen, ‒ es ist das Neblige im Menschenhirn, das den eigenen Weg verdunkelt und erschwert. Heute bittet man um dies, morgen um das Gegenteil! Sag' selbst, was hätte es für einen Zweck, wenn Gott, der gestern wußte, was du morgen bittest, Sich nach deinen Wünschen richtet, die dem verdorrten Gras im Winde gleichen? Da müßte Er Sich Selber widersprechen, sollte Er ‒ was Er durchaus könnte ‒ den Menschen ihre fehlerhaften Bitten Tag für Tag erfüllen!

31. Weil Er die Weisheit ist, voll Güte und Erbarmen, daher läßt Er nur die Bitten gelten, die eines Kindes Nutzen sind. Merke auf: Er hat längst in Seinem Wegeplan für dich, mein Freund, für mich, den Pfad bedacht, im vorhinein gesegnet! Selten ist das die Erfüllung unserer Bitten, die allzu oft sehr töricht sind. Segen ist Erfüllung der Gedanken Gottes, solang es Menschen gab und geben wird!

32. Doch nicht wir Menschen sind allein in Gottes Heilsgedanken eingeschrieben. Für zahllos andere Kinder gibt es immerdar in Seinem Herzen einen Platz, auf den Schöpfungswegen, die der Höchste jedem zubereitet hat. Noch schüttelst du den Kopf", spricht Naemi, "so will ich dir an einem Beispiel zeigen, wie das heilig-himmlische Regime beschaffen ist.

33. Du hast vierzig Knechte und dreißig Mägde, denn dein Besitz ist groß, und die Mautherberge an der Nord-Süd Ost-West-Straße bringt täglich eine Menge Leute. Müßtest du allein das eine wie das andere bewältigen, da kann dir wohl dein Schädel schwirren. Du warst also klug und hast dir einen Oberknecht und eine Obermagd herangebildet. Was diese selber schlichten können, damit liegen sie dir nicht im Ohr. Nur was sie nicht entscheiden können, um das wirst du befragt nach deinem Willen."

34. "Du bist das erstemal in meinem Hause, woher weißt du das?" Der Wirt ist mehr betroffen als erstaunt. / "Das zu erraten ist nicht so schwer. Bei Bethlehem war ein großes Grundstück uns zu eigen und trotz ohne öffentlichem Hause nahmen Fremde, die des Weges kamen, gern bei uns die Ruh' und Rast.

35. Wir hatten so wie du gehandelt, hatten einen Oberknecht, unter ihm noch einen Mittelknecht und eine Mittelmagd. jeweils am Morgen gab mein Mann die Arbeit aus, was am Tage zu erfüllen sei. Daß dies möglichst reibungslos geschah, dafür war der Oberknecht und die beiden ihm zur Seite Stehenden verantwortlich. Natürlich hat mein Mann das Ganze überwacht und ließ sich melden, was zu melden war. An diesem Beispiel sollst du etwas lernen.

36. Gott, der Schöpfer alles Lebens, hatte sich die ersten Kinder (Lichtfürsten) zubereitet, von denen jeder eine Hauptaufgabe übernahm. Unter diesen stand dann eine zweite Gruppe, der die dritte folgte und so fort, weil das 'Volk der Gottheit', für uns gesagt, unzählbar ist.

37. Was wir wollen ‒ denken wir zunächst an uns ‒ ‚ richtig machen oder falsch, darüber wacht der uns zunächststehende Engelgeist. Ist es eine Kleinigkeit, hat er von Gott genügend Kraft, um zu helfen und bedarf es nicht, daß er unsere Sache hin zum Schöpfer trägt. Denn niemals würde unser Führer-Engel anders handeln, als im Lichtplan Gottes vorgesehen ist!

38. Will oder könnte er nicht selbst entscheiden, so stellt er unsere Sache dem ihm überstehenden Engelsgeist anheim. Kann es dieser, so tut er es im Plane Gottes, wenn nicht, geht es weiter, jeweils, wie wichtig eine Sache ist. Zumeist handelt es sich dabei kaum noch um ein einziges Menschenkind, und so steigt's von einer Stufe zu der anderen, bis vor Gottes Thron hinauf.

39. Denke nicht, der Höchste müßte es erst 'hören', um hernach dann Seinen Willen kundzutun! Das hängt mit der Seligkeit zusammen, die Er Seinen Kindern angedeihen läßt. Dein Obermann ist stolz, weil er dich vertreten darf. Ein Lichtkindgeist, wie die Engel heißen, kennt pur die Freude an dem Dienst, die Ehrfurcht und die Liebe, mit der er seine Pflicht erfüllt.

40. Wir sind nicht fähig, das Regime der Gottheit zu verstehen; und ergründen werden wir es nie! Wir brauchen das auch nicht. Gottes Walten ist so wunderbar, da genügt's vollauf, daß wir dankbar daran glauben. Wer das tut, wird allezeit ein 'offenes Ohr des Höchsten' haben, was freilich nicht besagt, unser ungereimtes Wünschen, was zumeist am 'Weltsinn' klebt, würde alsobald erfüllt.

41. Tut Er es nicht, alsdann geschieht das weitaus Bessere zu unserem Heil. Würden wir erst nach dem Tod erkennen, so bleibt doch dieses Heil als Segen, als Gottes Herrlichkeit, über unserer Lebensstraße ausgebreitet. Genug für jetzt. Willst du dieses glauben und dir gern zu eigen machen, so wird Gott dir einen senden, der mehr weiß und kann als ich. Er wird dich jene Weisheit lehren, mit der du deinen Weg der Welt bezwingst."

42. 'Noch mehr?' denkt der Wirt. "Von wem weißt du das, was du mich lehrtest? Das heißt, …lehren, ob ich alles glauben kann? Bloß das mit dem Oberknecht und der Abstufung, …das sieht richtig aus. Ah…", meint er schlau, "…die du Engel nanntest, sind dann Untergötter und gibt es deren mehr, als Moabit besitzt." Er lacht breit, als hätte er Naemi in die Flucht geschlagen. Sie bleibt ernst gestimmt und erwidert:

43. "Mache dich vom Götzenglauben frei! Auf hoher Ebene kann ein Engel uns betreuen, doch müssen sie nicht erst durch eine Welt gegangen sein. Die vom Anfang ihres Lebens an GOTT treu gewesen sind, haben ohne jeden Zweifel das Beschützerrecht. ‒ Wir müssen fort, die Sonne hat den Morgendunst gelöst." Sie legt Münzen auf den Tisch. Der Wirt nimmt sie in die Hand. Nein, die Tochter seines Freundes suchte bei ihm Rast, und dann die Frau ‒ ‒ Er gibt das Geld zurück, in seinem Leben sicherlich das erstemal.

44. "Du hast mir mehr gegeben als ich dir für eine Nacht. Nimm dein Geld, du wirst es brauchen. Wenn du meinst, es käme jemand, der mich ‒ der dann ‒ ‒" Naemi mußte alles sagen, unwissend, ob es sich erfüllt, wer der 'jemand' wäre. Bescheiden denkt sie bloß an einen ihrer Priester, den der Herr dem Braven senden wird.

45. "Gott segne dich samt Haus!" Die Karren rollen. Der Wirt und seine Frau, die dem Gespräch begierig folgte, sehn den Weg entlang, auf dem bald eine Wolke voller Staub die Sicht verschließt.

46. "Mir ist, als wären liebe Leute weggegangen." "Eine kluge Frau! Was sie sagte, ist mir nah gegangen; ich möchte alles glauben, was aus ihrem Munde kam." "Ich ja auch", bekennt der Mann, "bloß ‒ wir werden sehen, man muß sich alles überlegen."

47. Immer wieder sprechen sie zusammen über das Gehörte, bis es sich erfüllt, was Naemi prophezeite und wußte selber nicht, ob und wie es kommen würde.

 

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Kap. 5

Habgierige Zöllner – Ein Jüngling hilft

1. An den Karawanenwegen, die die Grenzen kreuzen, sind seit Jahren Posten aufgestellt, hüben und auch drüben. Die lange Teuerung, die Pestgefahr, das feindliche Gedräue zwischen Nachbarvölkern, ließ das nötig werden. Auf Schleichwegen wandern oder fahren ist gewagt, Räuber machen dieses zur Gefahr. Lieber wird man kontrolliert, als sich Überfällen auszusetzen.

2. Man hatte in der Maut drauf hingewiesen, doch es gibt nichts zu verbergen. Corusja gab zudem ein Schreiben mit, wer Naemi, Ruth und die Begleitung wären. Allein wie üblich auf der Welt geht es nicht ganz 'ohne' ab. Der Hauptmann auf der moabiter Seite fragt Naemi aus, wühlt die Wagen durch und möchte selbst ein bißchen räubern. "Staatsabgaben" sagt er dreist.

3. Ein Reisiger ruft wütend: "Dich melde ich bei unserm Obersten und dieser führt die Sache weiter bis zum König. Verlaß dich drauf: du wirst bestraft, nicht wir! Deine Leute sollen unsre Wagen wieder ordnen und dann gib die Straße frei!" Das hilft. Gleichfalls wütend höhnt der Hauptmann:

4. "Fahrt ab! Drüben bei den Israelen werdet ihr ja sehen, was die tun!" / Naemi denkt: 'Wenn sie strenger mit uns sind? Umkehren hätte keinen Zweck.‘ / "Vertrauen wir dem Herrn", mahnt Ruth, "Er hat uns wunderbar geführt." / "Kind!" Beschämt stößt es Naemi aus. Wohl die Verantwortung liegt ja auf ihr und da ist's verständlich, wenn sie ob des Übels einmal zaghaft wird.

5. Ein Moabiter beruhigt sie. "Wir begleiten euch, soweit es möglich ist. Drüben", er deutet mit der Hand nach einer Furt durch einen schmalen Fluß, jenseits stehn die Wächter Israels, "werden wir mit denen auch noch fertig." Unbemerkt hat sich ein Wanderer hinzugesellt, dem Aussehen nach, ein junger Mann.

6. "Gehört der auch zu euch?" fragt der Hauptmann und forscht ihn aus, was er in seinem Beutel trüge. / "Nichts für dich! Schaue nach, ich habe nichts als Brot und einen Trunk bei mir. Zwar eben erst gekommen, gehöre ich dem Zuge an, mein Herr schickte mich ihm nach." / Ruth sieht ihn verwundert an, sie kennt alle Leute ihres Vaters, diesen jungen Menschen aber nicht. Klugerweise schweigt sie über ihre Wahrnehmung.

7. Naemi grübelt. Das Gesicht, das helle Haar, die hellen Augen sind ihr wesensfremd. Er nickt ihr zu: "Wirst mich kennen lernen. Mein Herr hat mir geboten, dich nach Bethlehem zu bringen, die Reisigen brauchen nur noch durch die Furt zu helfen."

8. Einer lacht erheitert: "Du? Willst die uns Anvertrauten leiten? Ich meine, daß man dich beschützen muß!" / Der Junge lächelt vor sich hin. "Ich werde dir beweisen, ob ich etwas kann. Ein Zauberer bin ich nicht. Wer sich so nennt, tut es zur Belustigung der Leute oder ist ein Tagedieb."

9. Er tippt den Grenzer an, dem das durch die Glieder fährt. Stumm sieht er zu, wie sich die kleine Karawane in Bewegung setzt. Der Jüngling geht voraus. Beim Fluß, einen Steinwurf weit entfernt, ist man aufmerksam geworden. Der Israele, ein Zöllner, sagt zu seinen Knechten, die ihm unterstehen:

10. "Die Halunken haben uns das Beste weggenommen! Na, erleichtern wir die Kommenden ums Letzte. Drei Knechte und ein Bub, jeder von euch nimmt sich einen vor. Ah, sie sind durch die Furt! Auf einem Wagen sitzen Weiber. Sind es Moabiterinnen, jagen wir sie gleich zurück, und zu Fuß; alle Beute, denn die steht bereits auf unserem Gebiet, wird abgenommen." / "Für uns oder für den Richter?" grinst einer frech.

11. "Dummkopf, halte du dein Maul, dann bekommst du auch das Deine! Sind drei Wagen anzugeben?" / Der Bewaffnete verneint. / "Stellt euch querüber!" – Die ersten Ochsen aufzuhalten, ist nicht schwer. Man braucht ihnen bloß die Lanzen in die Brust zu stoßen und hat zudem ein gutes Fleisch.

12. "Heda, Bub!" ruft der Zöllner, "geh' uns aus dem Weg, sonst mache ich dir Beine!" / Der 'Bub' bleibt vor dem ersten Wagen stehen und hält die Karren an. "Du kannst mich Bube schelten", sagt er ruhig, jedoch mit einem sonderbaren Ernst, den sogar der Zöllner registriert. "Ob du mir oder ich dir Beine mache, kannst du sehen, wenn du willst."

13. "Du willst mich höhnen? Das zahle ich dir heim!" Er winkt einem Knecht, der die Spitze seiner Lanze auf den Jüngling richtet. / Ruth schreit auf und Naemi klettert von der hohen Karre. Mit ein paar Schritten ist sie vorn. Es ist die erste Lüge ihres Lebens, die aus ihrem Munde kommt, wobei sie mutig nach der Waffe greift. Im Herzen um Verzeihung bittend, sagt sie resolut: "Tu' ihm nichts, er ist mein Sohn! Ich bin Witwe, gehöre zu dem Stamme Ephraim und kehre jetzt zurück. Hier die Rolle, Zöllner!" / Allein, der Zöllner ‒ welche Schande ‒ kann nicht lesen. Um das zu verdecken, stößt er Naemi fort, "Das hilft dir nichts! Ihr seid von Feindesseite eingebrochen, also haben wir das Recht, euch alles wegzunehmen."

14. Sagt der Jüngling: "Wirst du dadurch reicher? Was wir haben, brauchen wir, um uns aus einem wilden Land ein gutes Feld zu machen." Wer weiß den Sinn zu deuten? Naemi ahnt: Israel, in dem viel Unrecht herrscht und sollte doch ein Beispiel werden, gleicht dem wilden Land. Bloß GOTT kann daraus wiederum ein Eden schaffen, nicht die arme Habe, mit der ein Häuschen einzurichten ist.

15. "Hm, in Moabit ist wildes Land, das gute Feld ist Israel", lacht der Zöllner.  Darüber sind die Moabiter so erbost, daß sie zu den Waffen greifen. / Der Jüngling hebt die Hand: "Vergießt kein Blut, ihr lieben Brüder, mein Herr will das nicht!" / 'Wenn man wüßte, wer der Herr und Knabe sind. Der kann ohne Angst durchs Feuer gehen', denkt jeder Streitende.

16. "Kurz getan!" Der 'Bub' geht auf die Israelen zu. Da ist's, als ob ein Reitertrupp sie an des Weges Seiten drängt. / Unfähig, sich zu rühren, sehen sie, wie die Wagen weiterrollen. / Naemi geht neben 'ihrem Sohn' einher. "O Herr, verzeihe mir die Lüge, ich mußte ihn doch retten." / "Ich, dich, Naemi", flüstert er ihr zu. "Warte bis zur nächsten Rast, dann sollst du alles wissen und alle deine Rätsel werden aufgelöst."

17. Naemi geht es durch das Herz: 'Er ist ein Bote Gottes.' Demütig steigt ihr stiller Dank zum Himmel auf. Ruth, noch jung, der Welt verhaftet, sieht ihn anders an. 'Man könnte ihn von Herzen lieben, selbst wenn er jünger ist als ich.' Als ob er die Gedanken lesen könne, sagt er nach einer Weile, während sie die Grenze hinter sich gelassen haben und erst zu Naemi:

18. "Du hast sehr nah gedacht. Das gute Feld ist jede brave Seele, das wilde Land die anderen. Hierbei war Israel gemeint, tief gesunken durch die letzten Richter, die vom Amt des Josua, anderer und der Debora nichts mehr wissen wollen. Das gute Feld ist aber stets das Licht. Wohnt es in eines Menschen Brust, kennt ein ganzes Volk noch Ethik und den echten Glauben, dann gehören sie zum guten Land, das immer GOTTES Eigen ist!

19. Du, liebe Ruth", er reicht ihr seine Hand hinauf, "kannst mich lieben. Du bist mir eine Schwester, ich dir längst ein Bruder, was du noch begreifen lernst. Auf Gottes Wegen wird es deiner Seele wohlergehn." Er begibt sich wieder vor, und Naemi, reichlich müde, steigt zu Ruth hinauf.

*

20. Ein neuer Abend senkt sich nieder. Die Reisigen sind umgekehrt. Über diesen 'Jungen' und was sich zugetragen hat, berichten sie dem Obersten. / "Ja, ja", sagt er, "die Naemi ist sehr fromm, da ist zu glauben, was sie sprach: – Es gibt Dinge, über unsrer Welt, unter Gottes Himmel, erst recht in diesem, die wir Menschen nie ergründen und uns doch nahgetragen werden, das man ihrer inne wird, …aus dem Geist, den uns der Schöpfer gab."

21. Es ist mehr ein Selbstgespräch, das der Moabite hält. "Es wird mir eben hell und ich glaube an das Wort." / Das kündet späterhin der Jüngling, wenn sie nach Bethlehem gekommen sind. Jetzt, am ersten Abend, im Vaterlande Elimelechs, finden sie am Weg ein kleines Herbergshaus. Dessen Leute kommen vor das Tor und laden freundlich ein, bei ihnen Rast zu halten.

22. "Wo befinden wir uns hier?" fragt Naemi. / "Der Weg führt nach dem Atheroth, ihr seid im Stamm der Rubeniter. Darf ich wissen, wohin ihr wollt? Kann ich euch beraten. Bin hin- und hergereist und helfe gern." / "Das tust du, Napheot, der Herr hat dich gesegnet. Deshalb sind wir bei dir eingekehrt, damit Friede werde zwischen dir und deinem Nachbarhaus."

23. Entsetzt starrt der Herberger drein. / "Soll ich dir sagen, um was es geht?" fragt der Jüngling. / "Du…? Wie kannst du wissen, daß…" / "… dich der Nachbar kränkte, so schwer, daß du ihm an einem dunklen Abend aufgelauert bist. Eine handfeste Keule schwingend, liefst du hinterrücks ihn an. Ein Mörder wärest du, hätte nicht ein Dritter dich zurückgerissen und deinen Nachbar, der selber auf dich kommen wollte, ebenfalls.

24. Der Unbekannte sagte ernst zu dir: «Hüte dich und denke an den Brudermörder Kain!» Seither bist du deinem Feinde ausgewichen, hast manches Übel über dich ergehen lassen. Eine echte Sühne für den Willen, dem andern aufzulauern. Sieh, dein Haus ist besser, also spielt der Neid die größte Rolle. Ihr könntet Freunde werden, wenn du willst und jener wird auch manches von mir hören. Da wird er rasch verstummen."

25. Die Frauen hörten ängstlich dem Gespräche zu. Die Frage bohrt sich ein, wer der Jüngling wäre. Ruth deckt den Wunsch des Herzens zu, ihn ehelich zu lieben. Nein, er ist nicht von dieser Welt, und wenn so, dann gibt es keinen Bund, wie er mit ihrem Manne Chilijon bestand.

26. Der Wirt ergreift die helle Hand. "Längst habe ich bereut! Der Fluch lastet schwer, ohne Eingriff jenes Unbekannten als ein Mörder da zu stehn. Aber alle Mühe, mich mit meinem Feinde auszusöhnen, ist mißlungen. Er hielt mir meinen Mordplan vor. Doch ich wollte ihn nicht töten, bloß …" "… einen Denkzettel wolltest du ihm geben. Daß dabei ein Mord geschehen konnte, hattest du nicht überlegt." Kleinlaut gibt der Wirt das zu.

27. "Wenn der Nachbar kommt, und er kommt bestimmt, darauf kannst du dich verlassen, dann begrabet euren Haß, der wegen Kleinlichkeiten ausgebrochen war. ‒ Jetzt…", der Jüngling zeigt auf Naemi, Ruth, auf Knecht und Magd, die eben eingetreten waren, "…richte uns ein gutes Mahl und weise jedem seine Kammer.

*

28. Bald wird aufgetragen, was dem Hause zur Verfügung steht. Danach geht man schlafen. Niemand sieht den Jüngling und man hört es also nicht, wie er den üblen Nachbar, der aus purem Neid und Habsucht handelte und zuerst die Waffe hob, mit dem Wunsch, zu töten, in des 'Himmels Zange' nimmt. Ganz erbärmlich wird der arme Wicht, als ihm der Himmel durch den Jüngling kräftig auf die Finger klopft ‒ moralisch, unerbittlich.

29. "Du bist nicht wert, daß dich die Erde trägt! Was soll Gott mit dir beginnen? Du hast den Ehrlichen so herb gekränkt und wolltest eine fremde Habe an dich bringen ‒ durch den Mord! Dein heimliches Gespinst ist aufgedeckt ‒ durch mich: Du brauchst nicht zu wissen, wer ich bin, habe aber jene Gabe, einem Menschen, bis ins tiefste Herz zu sehen! Der Nachbar ist bereit, dir zu verzeihen; es liegt an dir, zu ihm zu gehen, alles zu bekennen, und dann wird Friede werden zwischen euch.

30. Du hast dich immer wieder hart gehämmert, wenn schon hie und da dir der Gedanke kam, dein Unrecht einzusehen. Denn es war dir ja bewußt geworden: in dein Haus wagte sich gar selten jemand. Die Tat, sieh ‒ die war wie eine Dunkelmauer, ungesehen zwar, jedoch vorhanden. Aus diesem Grunde ging man lieber zu dem anderen, der besseres Gemütes ist als du.

31. Der breite Streifen Sand, der euere Häuser trennt ‒ ein Zeichen für die Welt, wo man wegen Nebensachen bitter kränkt ‒‚ könntet ihr zu einem Viehhof umgestalten, und größere Karawanen würden nicht vorüberziehen wie geschehen ist. Daß dich aber nicht der materielle Vorteil leitet, sondern nur die gute Einsicht und wieviel du gegen Gott gesündigt hast!"

32. Der Jüngling geht, man hört kaum, wie er die Türe schließt. Weit mehr benommen als der bessere Wirt, sitzt jener da. Es hämmert auf die Seele, es bäumt sich in ihm auf der Stolz und Widerwille, es drückt schmerzend wie mit Feuer in ihn ein, was der Unbekannte ihm zu sagen wußte. Alles hat er aufgedeckt, nichts blieb verborgen von all dem, was keiner als er selber weiß.

33. Er fragt nicht, wer der Junge war. Ein …Engel? Pah! Über Gott hatte er sich ganz hinweggesetzt; Er war ihm unbequem geworden, Er war der große Mahner im Gewissen, das gänzlich totzuschweigen nicht gelang. Bis zur Morgenröte sitzt der Mann, hadernd, einmal weinend und wußte nicht, wem die Träne galt: der Schmach, dem bedrücken den Gedanken… Ich muß meine Schuld vor Gott bekennen und mir bleibt nichts anderes übrig, als 'den Weg' zu gehen, den der Unbekannte anbefahl.

34. Naemi gibt am nächsten Tag dem Wirt das Seinige. Da er ärmlich ist, nimmt er auch die Silberlinge an. Der Jüngling sagt, es wäre richtig, die Bezahlung anzunehmen und fügt an: "Sobald du merkst, der Nachbar möchte kommen, bloß die Scham hemmt seinen Schritt, so winke du ihm zu. Denn sieh, der Mensch schämt sich vor Gott, soll er seine Sünden einbekennen.

35. Höbe Gottes Güte nicht den Finger, um dem Menschen zuzuwinken: 'Nun komme her, bei Mir findest du Vergebung!' ‒ oh, das meiste Unrecht bliebe ungesühnt! Du hast auch gezögert, Gott dein Herz zu öffnen und hast an manchem Gnadenakt gemerkt, wie der 'Herr der Liebe' dir geholfen hat. Das waren Seine Fingerwinke, und so vergiß es nicht, ebenfalls zu winken!"

36. Mit einem Segensgruß geht der Jüngling wieder an die Spitze, die Ochsen ziehen an. Hinter einer Säule steht der Wirt vom Nachbarhof und sieht dem Zuge nach. Erleichtert und verdrossen, übersieht er seine Arbeit, setzt öfter seinen Fuß hinaus, wohin er gehen müßte, schielt hinüber und kehrt wieder um. Daß 'Gottes Hand' ihn treibt, kann er noch nicht wissen.

*

37. Am Mittag rastet man in einem Garten. "Er gehört einem Reichen." Keiner wundert sich, weil der Hellgelockte alles weiß. "Er ist ein guter Mann, der den Garten offen läßt für jene, die kein Herbergshaus benutzen können. Darum ist er auch gesegnet und niemand könnte ihm ein Übel tun.

38. Ich pflücke euch das Obst, der Knecht kann hier…", er zeigt auf eine kahle Stelle, "…Feuer machen. Dort liegen Stäbchen, mit denen man die Funken schlägt." Man löst erst die Gespanne und pflockt sie an. Die Magd holt vom Brunnen Wasser, Naemi kocht das Mahl, Ruth trägt das Obst herbei. Der Tiere wegen ruht man etwas länger. Naemi setzt sich nahe bei dem Jüngling nieder und fragt zögernd, ob sie etwas sagen dürfe.

39. "Warum nicht?" erfolgt die Antwort. Die feine Hand greift nach der von Arbeit müde und runzelig gewordenen Naemis. "Kann man Gott nicht alles sagen?" / "Gott bist du nicht; allein …sein Bote, und so hängt vor Gott und dir die Zunge." / "Willst du dich davon befreien lassen?" So dankbar trifft ein Blick den Jüngling, daß er seine Arme um Naemi schlingt.

40. "Man kann nichts vor Gott verstecken, auch nicht nur Gedachtes. Es gibt eine Scham, tut man absichtlich Böses und des Übels inne wird. Ein Herz, das zeitlebens fromm geblieben ist wie das deine; braucht sich der Fehler wegen nicht zu schämen. Gott kennt ja das Gemächte, das Menschlichste am Menschen, den Tiefgang eines Geistes in die Welt, für ein Hingefallenes auch mit lebend. Er kennt das Wesenhafte der Gefallenen, Er sieht bis ins Dunkelste hinein. Vor Ihm ist nichts verborgen! Wenn nicht, weshalb dann eine Scham, die nicht am Platze ist?"

41. "Du hast dein Wort vom Himmel hergebracht…" Naemi seufzt. "…und bleibt doch mancherlei zurück. Ich bin keineswegs so fromm, wie du von mir hebend sprichst. Elimelech war sehr fromm und zeigte mir, was ich tun und lassen müßte, glaubensmäßig, meine ich. Du wirst wissen, daß ich aus Ijon stamme, wo das Heidenwesen gang und gäbe ist. Mein Mann hat mich zum wahren Gott geführt.

42. Da lernte ich die Grundgebote, die Gott dem großen Mose auf dem Horeb gab: Zehn Gebote! Und da fängt meine Frage an. Gewiß führte Elimelech uns nach Moabit, um uns der Verderbnis zu entreißen, das über Israel gekommen war. Ich glaube nicht, daß dies als eine Sünde angerechnet wird.

43. Warum mußten wir zehn Jahre warten? War das keine Übertretung der zehn Gott-Gebote? Fällt die Last auf mich, weil ich vormals heidnisch war?" Naemi weint. Ruth bedrückt es auch, daß sie, die Heidin, schuldig sei am Tode ihres Mannes. Die Tranen rinnen. Der Jüngling rückt an ihre Seite und setzt sich zwischen beide Frauen nieder.

44. Er streicht über ihre Wangen. "Kein Grund, zu wehklagen oder vor dem Herrn sich schämen. Wäre euer Weg die Übertretung der heiligen Gebote, dann, meine Lieben, gäbe es auf dieser Welt nicht einen einzigen Menschen durch Jahrtausende, der würdig wäre, mit seinen Sünden sich zu Gott zu flüchten.

45. Es war geführt, weil Elimelech euerm Richter unbequem geworden war. Die Rechtlichen waren ihm zuwider. Viele auszumerzen, um sein Gewissen zu betäuben, dazu war ihm keine Tat zu schlecht. Er mag zetern, die Strafe sei auf dich gekommen, weil deine Lieben in der Ferne starben. Weltlich sieht's so aus, zumal du arm geworden bist. Daß der Richter ein Verleumder ist, Mörder und ein Dieb, muß er bald bekennen, wenn Gottes Hand sich wider ihn erhebt, ‒ da nicht als treuer Fingerwink!

46. Wie ungut wäre Gott, jemand abzustrafen, der durch Geburt ein Heide ward! Das Wort bedeutet weniger als ein Wind, der in der Steppe über Gräser streicht! Allerwärts gibt's gute Seelen wie in Israel. In diesem gibt es gleichfalls eine Menge böser Leute. Der Herr läßt Seine Sonne nicht allein auf eine Stätte scheinen, und Sein Regen segnet Seine ganze Flur.

47. Kein Volk, keine einzige Sippe kann bestehen, wenn in ihnen nur die Finsternis regiert! 'Einer trage des andern Last', heißt es. Wie könnte demnach eine Sippe oder gar ein ganzes Volk beständig bleiben, soweit zum Nutzen für die Welt, wenn nicht in jederlei des Lichtes Kinder jene Lasten trügen, die die Dunkeln aus der armen Tiefe mit sich bringen?

48. So segnet Gott die Bösen durch die Guten, und deren Lasten nimmt Er Selbst in Seine Hand. Wie und wann für diese Welt ‒ sollt ihr in vollem Umfang nicht erfahren. Ihr seid den guten Weg gegangen, nachdem ihr Gott gefunden habt. Immer seid ihr treu geblieben, den Männern trotz der Pest, ihr liebtet auch die Armen und Verlassenen. Daher steht in euerm Lebensbuch manch Gutes, das auf Gottes Altar aufgeschlagen liegt ‒ alle Büchlein!

49. Das sei kein Lob, es befreie euch nur von der Angst, ihr könntet nicht vor Gott bestehen. Man kann von sich aus durch den Weltenweg nicht viel erringen, ich meine ohne IHN! Er ist ein Vater aller Kinder, die sich einstens abgewendet haben wie den Treuen, die allzeit unter Seinem Regiment verblieben sind.

50. In der rechten Hand liegt Seine Gnade, Er weiß, wie schwer ein Weltweg werden kann. In der Linken hält Er die Barmherzigkeit. Diese Eigenschaft krönt jedes Werk, das aus Seinem Schöpfer-Reichtum kommt. Wie sollte nun zumal dem Kindervolk nicht Gnade und Barmherzigkeit gehören? Daher werfet eure Sorgen über Bord! Es kommen andere Sorgen, wozu ihr Kräfte aus dem Lichte braucht. Daß ihr Gottes hohe Lehre, in Seinem Grundgesetz verankert, haltet, sollt ihr beweisen, wenn ihr nach Bethlehem gekommen seid. Fürchtet euch vor diesen Tagen nicht, GOTTES HAND ist über euch!"

51. "Bleibst du nicht bei uns?" fragt Ruth. Sie empfindet wie Naemi, als ob Gott Selber mit dem Jüngling neben ihnen wandelt. / Der Helle lächelt. "Hat jemand einen Auftrag ausgeführt, so kann er andere Pflichten übernehmen. Würde Gottes Hilfe immer sichtbar sein, wer könnte sich bewähren? Die geheimen Hilfen sind für Menschen meist die besten, hie und da auch offene. Eines gleicht das andere aus. Nun kommt, damit wir morgen Bethlehem erreichen."

52. Alles, was der Jüngling sprach, senkt sich in die Frauenherzen tief hinein. Aus allem holen sie sich jene Kraft, die pur GOTT zu schenken weiß.

 

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Kap. 6

Die Ankunft in Bethlehem

Gute Lehre tröstet, aber das Haus liegt in Trümmern

1 . "Wer sind die denn?" Ein Knecht stößt einen andern an und deutet auf den kleinen Wagenzug, der sich vom Feldweg her nach Bethlehem bewegt. Es sind des reichen Boas Leute. Er hat die Jahre besser überstanden als andere, dank einem Freund in Syrien. Der Vater starb vor ein paar Jahren, die Mutter steht noch dem Gesinde vor. / Sie ist rüstig, gutmütig und hat oft einen 'weiten Blick', natürlich, aus der Menschenliebe ihres Herzens. Das macht sie sehr beliebt, weil sie hilft, wie und wo sie kann.

2. Auch sie beschattet ihre Augen, als sie aus dem Hause tritt und fragt sich wie die Knechte, was die ärmlichen Gefährte zu bedeuten hätten. Der junge, der das erste leitet, fällt ihr sofort auf. Eine unbekannte Zuneigung füllt ihr Gemüt, und Mitleid mit den Leuten, die ihrem Ort entgegenrollen.

3. Da erspäht sie das Gesicht der Frau. "Ist das nicht …kann es möglich sein?" Sie sieht Naemi ähnlich, freilich alt geworden. So alt wäre sie noch nicht, trotz des Jahrzehnts, seit sie sich zum Abschied ihre Hände drückten. Und neben ihr die Frau? Beide tragen gute Kleider; nur der Wagenzug sieht mitgenommen aus. Der Junge ist vielleicht der Mann der jungen Frau?

4. Von den Erwägungen erfüllt, drängt sich Boas Mutter näher. Mit freudigem Geschrei hält sie die Wagen an, stürzt auf Naemi zu und ruft: "Du bist es wirklich? Wo ist Elimelech?, wo die Söhne? Ich muß Boas rufen, kommt zu uns, ihr müßt wissen, wo eure Bleibe ist!" / Naemi deutet auf ein weites Feld, jetzt verwahrlost und inmitten auf ein Haus, das, vom Zahn der Zeit benagt, ruinenmäßig wirkt. Die Augen werden starr.

5. "Dort, Hanea, ist mein Zuhause, dort will ich hin…!" / "Bitte nicht sofort", fleht Hanea, "sprich erst mit meinem Sohn. Ihr seid müde, hungrig, und eure Tiere fallen auch bald um. Laß mich um der alten Freundschaft willen für euch sorgen!" / Der Jüngling nickt, hilft den Frauen von der Karre und sagt zu Hanea: "Dein Haus ist gesegnet und steht unter Gottes treuer Hut, weil ihr an euern Nachbarn edel handelt und das ärgste Unrecht abgehalten habt. Ich selber danke dir dafür."

6. Hanea ist verwirrt. Der Jüngling ist so anders als die Buben hier im Ort. Rasch winkt sie einer Magd: "Geh' aufs Gerstenfeld, rufe meinen Sohn." Die Magd surrt los und dauert auch nicht lang, kommt Boas schnellen Schrittes heim. Inzwischen hat man die drei Wagen in den Hof gelenkt, die müden Ochsen ausgeschirrt und auch gleich gefüttert. Im Stubenraum nötigt Hanea die Gäste an den Tisch. Die Hausmagd, die die Kost bereitet, wird angetrieben. Sie eilt willig, selbst gern lauschend, was sich mit den ihr fremden Leuten wohl ergeben wird.

7. Boas erkennt Naemi auf den ersten Blick, dabei war er damals noch sehr jung. Nie hat er vergessen, wie oft sie ihm geholfen hat, wenn er so manche kleine Büberei beging und beim strengen Vater für ihn bat, wodurch die wohlverdiente Strafe meist gemildert ward. Er ist ein guter Mann geworden, strebsam, rechtlich und beliebt. Gleich fällt er Naemi um den Hals, seine Sorge deckend. Viel Ungutes hat er ihr zu melden.

8. Bei dem Jüngling ergeht's ihm wie der Mutter. Er sieht prüfend zwischen diesem und dem Mädchen hin und her. Er weiß ja nicht, daß Ruth schon Witwe und Naemis Schwiegertochter ist. Das erfährt man nach und nach. Naemi schildert ihre Jahre in Ar-Moab, des Mannes und der Söhne Tod, hebt die Hilfe von Ruths Vater, auf dem Wege die des Jünglings, Ruths Treue stark hervor, vergißt nicht dazu, Knecht und Magd zu loben. "Meine Sehnsucht nach dem trauten Bethlehem… ach…", schließt sie den Bericht.

9. Erschüttert hören Sohn und Mutter zu. Und wieviel Angst kommt noch nach. Boas ballt die Fäuste unterm Tisch. Der Richter. Richter ‒?! Ein Lump ist er, unwürdig, ihr Volk zu führen! Doch was hilft's? Naemi muß die Wahrheit hören. Am besten gleich. Da legt der Jüngling eine Hand auf Boas Schulter. "Schon bricht die Nacht herein, lasse meine müden Leute friedlich unter deinem Dache ruhen. Dunkle Dinge kommen früh genug."

10. "Hast recht, Sonderbarer", gibt Boas zu. "Wenn du nicht zu müde bist", er sieht den Jüngling forschend an. "Möchte ich ein Weilchen mit dir plaudern." / "Ist auch mein Gedanke. Wenn du willst, gehen wir ins freie Feld." Nachdem die Heimgekehrten ihre Lagerstätten haben und trotz vielerlei Gedanken, die zumal Naemi plagen, als bald eingeschlafen sind. Verlassen Boas und der Jüngling, die Mutter schließt sich ihnen an, das Haus.

11. "Darf ich fragen, wer du bist?" Boas verhält den Schritt, als sie das Feld betreten, auf dem heute eine reiche Ernte war. / "Fragen ist kein Übelstand, wenn sich der Fragende mit dem zufrieden gibt, welche Antwort er erhält." gewährt der Jüngling.

12. Hanea wirft ein: "Deine Antwort wird für uns ein Rätsel sein. Ich mag aber vieles von dir wissen." "Auch Wissen zu erlangen ist kein Übel, wenn Hilfsbereitschaft Unterpfand der Wißbegierde ist. Ihr macht euch viele Sorgen und ihr tut recht daran. Doch es wird sich vieles ändern. Die Habgier fällt in ihre eigene Grube und den Bösen nimmt der Tod hinweg!" So schwer betont, daß Boas und die Mutter etwas abseits weichen.

13. "Keine Angst", der Jüngling deutet auf das helle Sternenheer, das inzwischen aufgezogen ist. "Dort ist des Himmels Feld, wo Gottes Kinder wirken und kommen her, Seinen Willen auszuführen. Ich…" / "Verzeih, daß ich unterbreche", ein Schluchzen schüttelt Hanea, "du bist herabgekommen, um unsrer armen Nachbarin zu helfen. Man hat ihr bitteres Unrecht zugefügt."

14. "Das auch! Wenn ich gegangen bin, werdet ihr es wissen, wer ich war." / "Willst du ihr in ihrer schweren Zeit nicht helfen?" / Boas ist verwundert. "Wer könnte das so gut wie du?" / "Ganz recht, lieber Bruder. Nur sage mir, was wollt ihr dann tun? Du hattest dir gleich vorgenommen, nach Jerusalem zu reiten, um das Übel auszumerzen, und du, meine liebe Schwester," er nimmt Hanea fest in seinen Arm, "du willst die Nachbarin im Haus behalten, bis sie unbeschadet wieder in ihr Eigen kommen kann.

15. Das könnte gleich geschehen, wenn es zum Nutzen aller wäre. Bloß sind Gottes Wunder anders, als der Mensch sie sich erträumt. Oh, sie können wie ein Sturmwind kommen, dann ist ein Himmlisches dabei, das keinem Einzelnen gilt, selbst wenn es sich an einem Einzelnen erfüllt. Überdies ‒ du hattest eine Frage", wendet er sich Boas wieder zu.

16. Boas bekennt: "Ist schon überholt, weil ich weiß, daß nichts Irdisches dich mit Ruth verbindet. Ach, sie ist schon Witwe und hat noch so ein kindliches Gesicht, so lieb." / "Weil sie reinen Herzens ist! Euer Volk glaubt allgemein: alle Leute, die ihr Heiden nennt, wären schlecht. Die Götzenlehre würde sie verderben. – Wie sieht's in euerm Volke aus, das an eine Auserwählung glaubt als einziges unter allen Völkern dieser Welt?"

17. "Höre damit auf! Ich und meine Mutter glauben nicht daran! Denn da dürfte es nicht solche Richter geben, wie unser jetziger einer ist. Es gäbe bei uns keine Diebe, Heuchler, Räuber, Mörder! Nein, in diesem Sinne sind wir allen Heiden gleich. Nur die vielen Götter ‒ die sind uns ein Greuel, die Götzen."

18. "Anderen auch. Doch wie oft hat Israel dem Götzenkult gehuldigt? Forsche bis zum Berge Sinai zurück! Hat Gott nur einen Finger, mit dem Er schaffen kann?, einen Lichtgedanken, aus dem Er Seine Werke hebt? Muß Er Sich mit einem Volk auf einer armen Welt begnügen? Sagt Er zu dem einen: Komme her, zum andern: gehe fort?! Daran möget ihr erkennen, wie auch euer Volk beschaffen ist. Soll sich Gott, der Heilige, nur eine Einzahl wählen, wenn Er doch die ewig-unmeßbare Vielzahl ist!?"

19 "Ich bin dir dankbar, du hast das innere Auge aufgetan." flüstert Hanea. / "Das ist stets das Wichtigste! Wer innerlich zu sehen weiß, dem wird die äußere Schau nicht fehlen. Wegen der Naemi seid beruhigt. Wohl ist's noch schwer für sie, doch vollgerüttelt mit der Gnade Gottes. Ihren guten Stolz, den die Armut hat, sollt ihr anerkennen und nicht brechen wollen.

20. Morgen bleibe ich noch da und reite mit dir hm zum Richter nach Jerusalem. Erst wird's sein, als wäre gar nichts zu erreichen; aber Gottes Hand ist über ihn gekommen, der auszuweichen er nicht mehr vermag!" Man wendet sich dem Hause zu. Boas küßt den Jüngling und Hanea streichelt sein Gesicht. Des Hellgelockten Augen strahlen auf im Schein der Lampe, die Hanea angezündet hat, um ihm in sein Kämmerlein zu leuchten.

                                                                                                                *

21. Der Morgen tagt, grau verhangen. So verhangen sieht es in Naemi aus. Viel Gutes war nicht zu erwarten. Denn zehn Jahre fern, wer sollte sich um Haus und Felder kümmern, wenn keiner wußte, ob der Besitzer wiederkam?

22 Man sitzt beim Mahl. Hanea teilt die Speise aus. Sie hat, als es noch dunkel war, in eine Karre viel hineingetan. Plötzlich stand der Jüngling neben ihr und sprach: "Wer reichen Herzens gibt, hat den reichsten Segen. Noch gibt's den allgemeinen, den Gott jedem durch das Leben angedeihen läßt. Für jene, die Gott, den Höchsten, leugnen und können es doch nicht, gilt der Gnadensegen. Gewiß, sie leugnen, doch nützt das nichts, weil für diese GOTT das schwerere Gewissen ist!

23. Kannst du glauben, daß Gott allgegenwärtig ist?" Keine leichte Frage. / Hanea zuckt zusammen. "Ich weiß es nicht; ich weiß nur, daß Gott allmächtig ist und nicht neben uns zu stehen braucht, um uns zu führen, zu mahnen und vor manchem Übel zu bewahren. Ob das die Allgegenwart bedeuten kann?"

24. "Eine wunderbare Antwort", lobt der Jüngling. "Genau so ist's! Über dieses noch hinaus wird Gott, unsichtbar und sichtbar, überall erscheinen, wo es zu hohem Zwecke dienlich ist. Seit Naemi deinen Grund betrat, ist Er auch zugegen. Nein", wehrt er freundlich ab und hält Hanea auf, die sich niederwerfen will, weil sie wähnt, es könne ja der Jüngling sein ‒ in zugedeckter Form. "Ich bin nicht Gott, ich bin einer Seiner Söhne.

25. Du erlebst wie sich dicke Knoten lösen, und wie die verwirrten Wege aus dem Dunkel menschlicher Verworrenheit ins Licht des Tages führen. Du dachtest nicht zu Unrecht, zu dem schweren, grauen Himmel blickend: 'So sieht Naemis Zukunft aus!' Vorderhand, liebe Schwester! Es ist eine Probe für euch alle.

26. Dein Sohn seufzte, die Gedanken hielten seinen Schlaf zurück, was die Arme heute hören muß. Ist Gott allgegenwärtig, dann kannst du deine Sorge fallen lassen, dein Besorgtsein für Naemi und die ihren aber nicht, Und wie du es bewiesen hast", dabei zeigt er auf die Karre, unter deren Plane das Hineingelegte liegt, "so ist es deinem Vater wohlgefällig."

*

27. Durch das Gespräch sieht Hanea beim Morgenmahl so heiter aus, daß Boas denkt: 'Wie kann Mutter fröhlich sein, wo …' Ein Blick von ihr, als wäre sein Gedanke ihr bewußt geworden, läßt ihn auf den Jüngling schauen, der gleichfalls fröhlich ist. Ach ja, er ist ein Überirdischer, den der arge Kram der Welt nicht drückt. Aber er, Boas, die Mutter, Naemi und ‒ ‒

28. Man hat das Mahl hinausgezögert zur Verwunderung der Leute. Sonst geht die Arbeit früh beizeiten an und die Dämmerung beschließt das Tagewerk. Entgegen sonstiger Gewohnheit fragt der Großknecht, was denn heute werden soll. / Sein Herr gibt ihm Bescheid. "Wir fangen mit dem zweiten Gerstenfelde an, der Weizen hat noch Zeit, ebenso das übrige. Die Hirten sollen näher treiben, manches Tier ist zum Verkaufe fällig." Dabei seufzt er wieder. Ungern trennt er sich von einem Tier, das geschlachtet werden muß. Sind die Herden aber gar zu groß, gibt es nicht genügend Weide…"Du mußt heute überwachen."

29. Der Großknecht steht geschmeichelt auf und verteilt die Arbeit, wie es Boas wünscht. Naemi war bereits hinausgegangen. Trotz grauem Himmel, der vielerlei verdeckt, sieht sie den Verfall des einst so schönen Hauses. Es war weiß gestrichen und selbst die Stallungen hell getönt. Von allem ist nur Bruch zu sehen. Sie geht allein dahin. Boas will ihr nach.

30. Ernst hält der Jüngling ihn zurück: "Laß das Schlimmste über sie ergehen, allein wird sie eher damit fertig. Ihre Tränen, ihr Gebet, braucht nur der Herr zu sehen und zu hören." / "Sie ist eine Frau", wehrt Boas ab, "kann sie die Last allein bezwingen?" / "Doch! Du kennst Naemis starke Seele nicht. Du sollst ihr nachher helfen und ich bin dabei, weil sie das Weltliche nicht gleich verstehen wird."

31. "Ich bin mir gram, weil ich dem Gebot des Richters unterlag. Wie wird Gott erst mit mir zürnen!" "Er zürnt nicht! Manchmal sieht es aus, als ob Er Sich um Weltliches nicht kümmerte, als ließe Er das Unrecht zu. O, nichts geht über jene Grenze, die der Allmachtsvolle zieht: für den Einzelnen, für jede Sache, für jedes Volk! Morgen wirst du dessen inne werden."

32. "Bei dem Richter?" Der Himmlische wird sich nicht fürchten, wenn die Welt die Rute schwingt? / Das Licht lächelt. / Ruth kommt aus dem Haus und will Naemi stürmisch nach. Auch sie wird angehalten, und Hanea dazu. "Bleibt zurück!" mahnt der Jüngling. "Ein Schmerz kann heilig sein, da kann kein Fremder trösten." / Ruth weint auf: "Ich, die Tochter, lasse die Naemi-Mutter nicht allein. Ich bin ihr doch nicht fremd!"

33. "Gemach, liebe Ruth. Du kannst nicht das Tiefste sehen, was im andern vor sich geht. Meinet ihr es noch so gut, was stets gesegnet wird, so bleibt dennoch manches besser ungetan. Nachher gehen wir gemeinsam hin, dann ist's Gottes rechte Zeit. Kommt, wir helfen, die Wagen hinters Haus zu führen." / "Nichts ist da vorhanden, wo sie stehen können", erwidert Boas.

34. "Habt ihr das Haus gemieden?" fragt Ruth. / "Anfänglich nicht. Wir sahen nach dem Rechten, bis Nachbarn bei dem Richter klagten. Also mußten wir es lassen, sonst wäre Elimelechs Haus noch so, wie er es verlassen hat. Mutter hat sich oft gewundert, weil er plötzlich in die Fremde ging. Nun, die Hungerjahre waren schwer, doch wir haben sie ja auch ertragen."

35. Klärt der Jüngling auf: "Du und Hanea wußten nicht, und dein Vater schwieg, daß der Richter Elimelech durch ein falsches Zeugnis töten wollte und die Habe stehlen, wie er es bei vielen tat. So nahm Elimelech lieber diese Schmach auf sich, wegen eines Hungers auszuwandern, wirklich um sein Weib, die Söhne und sich selbst zu retten. Für die Männer ist es gut, daß sie nicht mit in die Heimat kamen, denn die Schlinge kann noch offen sein. Ihre Seelen haben heimgefunden, und Gott hat es herrlicher gemacht, als ihr Menschen euch erhoffen könnt."

*

36. Zwei Stunden sind vergangen. Man fragt nervös, was im verfallenen Hause vor sich geht. Ach, es ist ein Leid, wenngleich es Äußeres betrifft. Solang der Mensch auf Erden lebt, braucht er dies, ob nun groß, bescheiden oder nicht. So ergeht es auch der Frau, die in ihr Eigentum zurückgekommen ist und nichts anderes als den Verfall und wüste Stätten findet.

37. Sie schlägt nicht die Hände überm Kopf zusammen. Sie geht durch die Gemächer, die Türen ausgerissen, nichts, gar nichts vorhanden von all dem, was man zurückgelassen hat. Da kommt ihr der Gedanke: 'Waren Hanea und Boas gut, weil sie sich schuldig fühlen? Konnte nicht ein wenig achtgegeben werden? Sie und Elimelech hätten nie des Nachbars Eigentum in Stich gelassen. Und auch kein Feld bebaut? Das wäre doch zu ihrem Nutz gewesen. Nun nichts, gar nichts ‒ das ist bitterlich!'

38. Sie kämpft gegen ihre Tränen an. Zehn Jahre! Ja, wer weiß, was hier geschah. Daß alles bis zum letzten Stück gestohlen wurde, ist Naemi klar; doch bei Hanea sah sie nichts, von dem sie hätte sagen können: das ist mein! Allerdings ‒ Bethlehem ist ein armer Ort, sie und Haneas Mann waren weit und breit die reichsten Leute, reich im Gegensatz zu vieler Armut, gleichfalls weit und breit. Also ist's verständlich, daß bei Nacht und Nebel eingebrochen wurde. Auf die Wahrheit kommt sie jetzt noch nicht.

39. Durch breite Mauerrisse, über die des Daches Reste hängen, sieht sie auf die steiniggrauen Felder. Sie sitzt auf einem umgeknickten Pfosten nieder und sinnt, wie dem Ruin zu steuern wäre. Auf einer Karre liegt noch Saat. Boas würde helfen, ein Feldstück einzueggen. Nur ist jetzt Erntezeit, ein Jahr wäre abzuwarten, bis man an eine kleine Ernte denken kann, wenn ‒ der steinhart gewordene Boden die Saat zum keimen bringt. O weh!

40. Sie überschlägt, wie lange sie vom Mitgebrachten zehren könnten. Von Knecht und Magd will sie sich nicht trennen; sie braucht auch deren Hilfe. Selber kann sie nicht mehr fleißig sein. Und Ruth, die Tochter eines Vizekönigs ‒ nein, sie ist keine Magd. Sie ahnt es nicht, was Ruth alles fertig bringt. Versunken hockt Naemi da und überhört das Kommen ihrer Freunde.

41. Der Jüngling tröstet sie. "Mit Recht bist du sehr traurig. Man nahm alles weg, was euer Eigentum gewesen ist. Mit Absicht hat man alles dem Verfall anheim gegeben. Aus zwei Gründen. Es sollte eine Warnung sein, daß niemand so wie Elimelech fliehen solle. Und käme er zurück, alsdann sollte er zum Spott und Hohn ein Ärmster seines Volkes sein, wenn ‒ ‒ Es ist verziehen, ehe der Gedanke dich betraf, weil die Nachbarn nicht die Hände regten, um das Deine zu bewahren. Du weißt noch nicht, warum dein Mann mit euch das Land verlassen hat. Du wirst deines Mannes große Liebe messen können, der bloß euretwegen in die Fremde floh.

42. Der Richter hatte viel vertan. Um es auszugleichen, wollte er die Männer, die gegen ihn gesprochen hatten, eure Besten, mit dem Tod bestrafen. Falsche Zeugen wählen war nicht schwer bei dem Gesindel, das in jedem Volke lebt. Elimelech hatte es zuerst verlangt, eueren Richter abzusetzen. Dessen Wut kannte demnach keine Grenzen. Doch ehe er die Pranke hob, um das 'Wild' zu schlagen, wurde Elimelech eines Nachts gewarnt und du weißt, wie hastig er am andern Morgen aufgebrochen war.

43. Für sich allein hätte er des Richters Unrecht gern ertragen; denn dadurch wären viele Laue aufgewacht und hätten ausgeführt, was ihm nicht mehr möglich war. Doch es ging um dich, um euere Söhne, die mit ins ungerechte Urteil fielen, weil jener eure Habe einkassieren wollte. Da ihr ihm entgangen waret, gab er das Gebot heraus: jeder käme in die Folter, der auch nur eine Hand, nur einen Finger für euch rühren würde.

44 Haneas Mann, Hanea selbst und Boas wollten wenigstens das Haus erhalten, doch sie wurden angezeigt, wenn sie nachts für Ordnung sorgten. Was an Hab und Gut, an Vieh zu holen war, alles nahm der Richter weg. Dazu die ganze Ernte. Der gute Baumbestand, mit viel Mühe angezüchtet, das Gebäude, alles ward zerstört. So kam es, was du heute sehen mußt.

45. Naemi, wird es dir sehr schwer, die Last aus Gottes Vaterhand zu nehmen?" Hanea weint in ihr Tuch hinein, Ruth kniet neben ihrer Mutter, auch Boas versteht den Jüngling nicht. Als Überirdischer müßte er es wissen, was er, Boas, sieht: die arme Frau ist am Ende ihrer Kräfte angelangt. Ein Blick trifft ihn, so ernst ermahnend, so daß er in der grauen Hitze friert. Er hört Naemis Antwort ganz erschüttert zu.

46. "Aus Gottes Vaterhand das Schwerere zu nehmen ‒ ach, heute weiß ich es noch nicht, ob auch das als Segen anzusehen ist. Als mein Mann, die Söhne starben, war es mir trotz bitteren Harms, man könne Gott, dem Höchsten, danken; denn sie wurden von der Pest befreit. Es ist die größte Liebe, nicht an sich zu denken, nur an jene, die zur 'Himmelfahrt' gerüstet worden sind. Ich dankte auch im Schmerz dem Vater der Barmherzigkeit dafür.

47. Heute…?" zeigt sie auf die Wüstenei, "geht es nicht um die Befreiung von der Mühsal dieser Welt. Ich denke nicht an mich, ich denke an die arme Tochter", sie zieht Ruth auf ihren mütterlichen Schoß, "an meine Treuen, die mir willig folgten. Wie soll ich ihnen helfen, wenn meine Hände leer geworden sind? Ich will Gott nicht betrüben, ich will die Last mir auf die Seele bürden lassen; aber danken ‒ wie kann ich's tun?" Bäche stürzen aus Naemis Augen. So lang verhalten, tapfer bis zuletzt ‒ nun ist die Kraft gebrochen, wie es Boas richtig sah.

48. Der Jüngling hebt die Hände auf. Im Grau des Raumes fliegt es wie ein Schein in alle Winkel, als er sagt: "Naemi, sei getrost! Eine kleine Weile harre aus. Du wirst nicht geprüft, sondern deine Sache wird des Volkes Sache werden! An deiner Seelengröße sollen andere sich ranken, bis sie den Glauben wiederfinden, der in Israel so rar geworden ist ‒ wie oft, seit die Ersten eures Volkes ausgewandert waren aus dem Land des Abraham.

49. An dir soll man erkennen, daß Gottes Regiment kein Ende hat, und daß das Schwerste dieser Welt nicht bis zum Himmel reicht! Allein ‒ der Himmel, nämlich Gottes Licht und Liebe, Seine große herzliche Erbarmung, reichen an die fernsten Fernen aller Schöpfungsgrenzen. Wie wenig ihr jedoch die Höhe bis zum Himmel messen könnt ‒ er wird für Menschen immer endlos sein ‒, so noch viel weniger meßt ihr die Grenze jeder Schöpfung aus, die Gott aus Seiner Allmacht schuf und ewig schaffen wird!

50. Boas, rufe einen Knecht und eine Magd; dieser Raum", zeigt er ins Gelaß, "läßt sich räumen, daß er zunächst als Wohnung gelten kann. Im Stall soll bis zum Abend eine Stelle hergerichtet sein, um die Tiere und die Wagen aufzunehmen. Es ist besser, wenn der Mensch den Freunden hilft, als wenn ein Wunder aus dem Himmel fällt. Dabei ist's ein wahres Wunder Gottes, wenn jemand seine Seele lenken läßt.

51. Wir beide gehen durch den Ort, man wird fragen, wer ich sei. Das Unbestimmte hemmt; keiner wagt es anzugeben, das Gebot des Richters würde übertreten. Später helfe ich hier mit." Wie liebreich kann der Jüngling lächeln, ein Aufrichten ist's, ein wahrer Trost.

52. Ruth schürzt ihr Kleid und holt aus einem Wagen die Geräte, den Unrat zu beseitigen. Die Magd geht ihr zur Hand. Hanea läßt grobe Besen bringen und Knechte richten provisorisch Mauern auf. Boas und der Jüngling trinken einen Wein beim Herbergswirt und bald trägt einer es dem andern zu: 'Naemi ist zurückgekommen, endlich wird es bei uns besser werden.'

 

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Kap. 7

The Richtersache böse  – Ein Mord wird aufgeklärt

Das Licht beseitigt ein menschliches Urteil

1. Sie kommen gegen Abend nach Jerusalem. "Ich habe einen Freund wo wir übernachten können." sagt Boas. / Der Hellgelockte nickt und steigt vom Maultier ab. Das holprige Pflaster eignet sich nicht gut zum Ritt. "Schade um die einst so schöne Stadt." / "Einst? Soviel ich weiß, hat erst Josua die Stadt, wie sie zum Teil noch heute ist, erbaut." Boas ist erstaunt.

2. "Ganz ummauert war sie nie. Aber wenn, brechen ihre Mauern wieder ein. Abraham hatte sie, die damals Je-Ru hieß, zu einer schönen Stadt gemacht. Sie hatte festgestampfte Straßen und gerade; unter seinem Regiment durfte niemand hie und da ein Haus erbauen. Er gab die Plätze an, damit die Stadt ein 'Lichtgefüge' würde und nannte dieses 'Je-Ru-Salem'.

3. Nachdem die erste Nachkommenschaft, wegen Hungers, ausgewandert war, mit allen Leuten, übernahmen andere Stämme alles Land. Durch nachbarlichen Krieg und Fehde ward auch Je-Ru wie so viele Orte dem Verderben preisgegeben. Wer achtete noch des guten Städteplanes, wie Abraham ihn kannte?"

4. 'Woher wußte er denn das?' / "Solches gab es bei ihm in der Heimat Ur. In seinem Geiste lebten auch des Himmels Bilder, wo alles höchst geordnet ist. Sein Geist blieb immer mit dem Licht verbunden; und so fand er vieles Gute, was zum Nutz der Menschen und des Landes anzusehen war."

5. "Das muß man wissen! Nun", lächelt Boas, "da ich inne ward, daß auch du im Licht zu Hause bist, kannst du das Irdische gewißlich übersehen. Kennst du unseren Abraham?" / Wieder jenes feine Blinken in den Augen, jene Geste, die den Jüngling von der Menschen trennt, diese übersteigt.

6. "Ich kenne ihn, im Lichte der Fürst Muriel. Als Mensch gehörte ich zu deinem Volk." / "Aaaah!" Lang gedehnt. "Ich kenne unsere Alten nicht genau. Abraham, Isaak, Jakob und natürlich Mose und noch ein paar. Wer bist du gewesen, wenn ich fragen darf?" Boas geht jetzt nebenher, ihre Tiere traben hinterdrein am langen Zügel. Die Stadt liegt wie ausgestorben da, weil auch die nahe Abendzeit noch keine Kühle bringt. Wer kann, bleibt hinter seinen Mauern hocken. In den Gassen brodelt noch des Tages Hitze.

7. "Der Name wird dir nicht viel sagen, es sei denn, du kennst auch die zwölf Fürsten unter Moses letzter Lebenszeit. Ich war Deguel, schon Altfürst in Ägypten. Behalte es für dich, denn das Weltliche, mein Freund, hat keinen Himmelsstand. In Gottes Reich gilt nur das Himmlische. Das sind Wahrheit, Reinheit, Liebe und Barmherzigkeit und vieles andere mehr."

8. "Und wie heißt du jetzt?" / "Auch das darfst du noch wissen, weil du rein und fromm geblieben bist wie deine Mutter. Mein Name ist Tullay, was nicht viel für dich besagen kann; doch der Name bleibt dir haften. Vielleicht hole ich dich einmal ab." / Boas schauert. So viel Herrliches hat er erlebt und morgen wird der Richter all das Himmlische verwischen.

9. "Keineswegs", wird der Gedanke offenbart. "Wie soll ich dich denn nennen? Der Richter quetscht uns aus wie die Zitronen. Das versteht er nämlich gut." Ein Lachen, so verächtlich, hallt von den engen Mauern wider. "Warte ab! Man kann freilich leichter einen Tiger zähmen, als einen abgrundbösen Menschen. Noch aber steht der Himmel über eurer Welt! Was willst du sorgen?" "Hast recht, Überirdischer. Bloß bei meinem Freund …"

10. "Sag' ihm, ich wäre ein Begleiter der Naemi ‒ Elimelech war dem Freund, der älter ist als du, bekannt ‒, aus Moabit gekommen, um sie auf dem Weg zu schützen. Er wird die Stirne krausen und denken: 'So ein junges Blut?' Da er ein Mann von wenig Fragen ist, bleibe ich bei ihm im Hintergrund. Morgen sieht es wieder anders aus, dein Freund und andere werden dich begleiten."

11. "Kann ihm nichts Böses widerfahren?" / "Glaubst du, daß da, wo das Licht zugegen ist, sich Gottes Hände regen?" / Beschämt blickt Boas nieder. "Verzeih, zu rasch ist man menschlich, und die widerlichen Dinge gehen einem nach wie das eigene Schattenbild." / "Das schadet nichts", erfolgt ein Trost. "Der Richter darf nicht merken, daß du mit Sorgen kommst, sondern mit gerechter Forderung, wobei der gute Freund dich bestens unterstützt."

12. "Und …du zumal!" Boas atmet auf. "Jetzt hab' ich plötzlich eine Kraft, als könnte ich die stärksten Bäume fällen!" / "Solche Kraft kommt pur vom Lichte her; und der Böse ist ein starker Baum, innen aber hohl und faul. Er kostet wenig Mühe, ihn zu stürzen, wozu Gott nicht mal Selbst die Hände hebt. Das überläßt Er dir, dem Freund und Helfer." / "Und dir!"

13. Indessen sind sie angekommen. Als der Freund vom Tode Elimelechs und der Söhne hört, von Naemis Rückkehr, flammt er auf: "Ich komme mit! Da, ich, der Altrat dieser Stadt, trug Material zusammen", er zeigt auf einen Rollenstoß, "das soll von allen Ältesten in Kürze unserm Richter vorgetragen werden mit dem Befehl ‒ wohlgemerkt – das Ruder aus der Hand zu geben."

14. Boas sagt: "Dann komme ich gerade recht, und mein Begleiter auch. Er…" / Dieser hebt die Hand. / Boas kratzt sich hinterm Ohr. / Da der Rat sagt: "Ich frag' keinen aus, wie er heißt noch was er ist. Ein Verschweigen ist zu achten, denn wer weiß, weshalb einer ein Geheimnis aus sich macht."

15. "Du bist klug, Selemech", der Jüngling gibt dem Mann die Hand. Ein Händedruck, der dem Altrat seine Stirne krausen läßt. Da, war eine Kraft zu spüren. Einbildung? Vielleicht! Doch des Jugendlichen helle Augen haben einen starken Glanz. / "Es ist das erstemal", sagt er, "daß ich gern erfahren würde, wer mein Gegenüber ist. Willst du aber schweigen, so sei mir das ein innerliches Zeichen, ein… Er unterbricht sich selbst.

16. "Ein innerliches Zeichen stimmt", erklingt es freundlich, "du fühltest, daß ich von woandersher gekommen bin, ohne daß es nötig wäre, dir die Stätte anzugeben." / "Oh! Ja ‒ gewiß ‒ es ist… Boas, Dank dir daß du mir ihn brachtest; da wird's morgen leichter, ein Unkraut aus dem Land zu reißen." / Bestätigt Boas: "Das auch, nur der Unterschied: ich hab den Gast nicht mitgebracht, er ist von selber mitgegangen."

17. "Hm. Nun ‒ halten wir das Mahl, dann gehen wir zur Ruhe. Es ist gut, morgen sehr beizeiten aufzubrechen, um das …" / "… Füchslein noch im Bau zu finden!" Ein silbernes Geläut perlt aus des Jünglings Mund. Das dunkle Lachen beider Männer fällt mit ein. / "Das dachte ich", bekennt Selemech, "bloß wollte ich vor dir den Ausdruck eben nicht gebrauchen."

18. "Man soll das auch nicht tun. Hie und da ist's anzuwenden, vor allem, wenn der Name den Charakter offenbart und wenn man es nicht böse meint. Der Himmel nimmt solch Weltliches nicht ernst, läßt es jedoch gelten, ist der Genannte damit anzusprechen." / "Unser Richter nicht", wehrt Selemech. "Aaah, dem kann man sagen, was man will, das tropft bei ihm wie Wasser von dem Fels, der bloß außen davon näßt. Nach innen dringt da nichts!"

19. "Das Wasser ist noch nie vom Fels durchdrungen worden, doch das härteste Gestein vom Wasser. So geht's den harten Seelen. Es dauert lang, aber Gott hat eine lange Zeit und ‒ einen langen Arm! Was sind Ihm Zeiten einer Seele dieser Welt? Teilt einen einzigen Atemzug in unzählbare Teile, und solche abermals im Maß der Ewigkeit geteilt, das ist solche Zeit, die der Herr zum Nutzen einer Seele anzuwenden weiß. Könnt ihr das errechnen?"

20. "Nein!" rufen beide Männer aus. / "Nur dir wird das gelingen, weil du himmlisch bist", fügt der Altrat an. "Ich auch nicht, lieber Freund. / Wir vom Lichte ahnen diese Zeit, wissen, was sie zu bedeuten hat; und das genügt. Denn das Tiefste aller Dinge weiß allein der Heilige, unser aller Gott."

21. Da erklingt der Klopfer an der Tür. Selemech geht, um einen Gast hereinzulassen. Es ist der Oberste der Ältesten, schon über siebzig Jahre alt, doch sehr rüstig, klug und gut, dem Richter oft genug ein Dorn im Auge.

22. Als er Boas und den Jüngling sieht, sagt er bedauernd: "Schade, du hast Besuch, ich wollte mit dir reden." / "Das kannst du offen tun, setze dich, Laban und iß mit uns. Das ist Boas aus Bethlehem," er zeigt auf ihn, "er kam, um morgen mit dem Richter eine Sache auszuhandeln. Der Jüngling…", weist er auf diesen hin, "…hat bereits gezeigt, daß er seine Lampe leuchten lassen kann. Dabei ist selbst mir ein Lichtlein aufgegangen."

23. Laban hält von jugendlichem Wissen nicht sehr viel. / Boas denkt leicht verschmitzt: 'Du wirst's erleben, daß man Himmlisches nicht mit der Welt verwechseln darf.' / Indes beruhigt Selemech den Laban. "Trag' nur deine Sache ruhig vor. Du weißt sicherlich noch die von Elimelech, der um seiner Lieben willen ausgewandert war und was der Richter mit dem Gut getrieben hat. Jetzt höre: Elimelechs Witwe ist zurückgekehrt mit …"

24. "Witwe?" unterbricht der Oberste. / "Elimelech und die Söhne sind in Moabit gestorben. Beide Söhne hatten in Ar-Moab, wie Boas mir erzählt, geehelicht, hochangesehene moabiter Töchter. Die Jüngere ist mit nach Bethlehem gekommen, seit vorgestern. Boas will einen Rechtsstreit führen, denn Naemi sitzt in einem ausgeraubten und verfallenen Haus. Die Felder sind verwüstet. Du kannst dich ganz gewiß erinnern, daß auf dem Grundbesitz des Elimelech niemand etwas schaffen durfte."

25. "Genau! Jetzt…‚“ Laban fährt sich durch das graue Haar, "…ist wieder was, das schier zum Himmel schreit. Der Kaufmann Haakeron in Ethal …" / "Was?" / "Gestern hat der Richter ihn kassiert, die Frau mit vier kleinen Kindern fortgejagt. Heute sind schon Wagen, voll mit Stoffen, Spezereien und anderem nach Jerusalem geführt und dem Volk wird vorgeplärrt, Haakeron hätte unserm Glauben abgeschworen, ein fremdes Beilager hielte und mit Sidon konspiriere. Natürlich alles Lüge!"

26. "Auch das ist Lüge, daß er vor vier Tagen einen Mord auf eueren Richter plante. Er war am gleichen Tag in Michmas. Seine Zeugen wurden mit verhaftet." (der junge mann sagt das) / "Sage: woher weißt du das?" / Der Oberste ist entsetzt. / Der junge, sicherlich kein Israele, woher sollte er das wissen? Er selber, dem doch alles zugetragen wird, weiß noch nichts von der Verhaftung beider Zeugen.

27. "Du siehst…", wird er beruhigt, "…daß ich manches weiß; und wirst's erfahren daß der 'Gott eurer Väter', wie ihr sagt, statt einfach: 'unser Gott', euch nie verläßt, würdet ihr im Glauben bleiben. Das blieb Naemi; und so ward ihr auch ein Licht gesandt, um ihr auf den schweren Wegen beizustehen. Nimm an, ich sei dieses Licht." Ruhig ausgesprochen, daß es mehr frappiert, als wäre solche Feststellung mit Pomp erfolgt.

28. "Dann… dann wärest du…" / Der Jüngling hält die Frage an. "Ich sage dir: morgen wird es nicht so leicht, wie du wähnst, weil du mit allen Ältesten aufmarschierst. Aber dann… ja, wird der Himmel aufmarschieren, und da sollt ihr es erleben, was der Herr in Seiner Herrlichkeit vermag! Nicht mit Feuer oder Donner, es können aber Jerichos Posaunen sein."

29. Ein Grauen kriecht den Männern übers Herz; der Druck des Lichtes und der Druck der Welt streiten miteinander. Boas gibt dem Jüngling seine Hand. "Unser Gott ‒ du hast recht gelehrt ‒ wird die Schlange schlagen und ‒ vielleicht", ein sehnsuchtsvoller Atemzug, "gibt Er uns einen rechten Richter."

30. "Ein Guter kommt (Samuel), dann schwankt abermals das Volk, bis ein Großer kommt (Elia), der für seine Zeit und des Nächsten Zeit GOTTES Ordnung schafft. Diese könnte immer bei euch sein, wäret ihr nicht gar so wankelmütig. Gewiß, ich weiß, was du sagen willst, Selemech: Wankelmütig wären alle Völker, alle Menschen! Ihr eben auch sehr oft. Ganz recht!

31. Aus Abraham, ein Fürst aus Ur, kam nach Kanaan der Glaube an den einen Gott; von hier aus sollte er erstrahlen über alle Welt. Das geschieht sogar noch einmal, doch von Menschen, die nicht volksverhaftet sind. Es spielt auch keine Rolle. Licht bleibt Licht! Es kann scheinen, wie, wo und wann es will. Wer vom Lichtreich eingeboren wird, kann sein und heißen wie er will: sein Geist aus Gottes Geist bleibt Licht und Geist!

32. Dem Volke wird der Stab genommen, weil es untreu ist. Aber weil die höchsten Lichter in das tiefste Dunkel gehen, zuerst die Welt gemeint, eures Unglaubens wegen einst auch ihr, darum bleibt ihr an den Stab mit angebunden, von GOTTES väterlicher Liebe und Erbarmung aus; denn keine Seele soll verloren sein."

33. Labans insgeheime Frage ist bestätigt: ‚Einer aus dem Licht!‘ Die Prophezeiung drückt zwar hart; allein, sie ist wahr. Er studierte Israels Geschichte. Kam ein Großer, wie Abraham, Mose es gewesen sind, dann blieb das Volk im Glauben treu ‒ nicht mal immer. Was im Wüstenzug geschah, da sah der Höchste gnädig auf das Volk, das bei der langen Wanderung den Widerwärtigkeiten bis ins täglich kleine Leben ausgesetzt gewesen ist.

34. Als Josua hernach das Volk ins Land der Väter führte und gerecht verteilte, durch Jahrzehnte treu gewaltet hat, es bis zu seinem Tod ermahnte, dem einen Gott zu dienen, da hätte Israel auf diesem Pfad verbleiben können. Und was geschah? Er wischt sich die Gedanken von der Stirn. Was der Jüngling kündete, das wird geschehen ‒ mit dem ganzen Volk. Gott sei's geklagt!

35. "Morgen mit dem Sonnenaufgang bin ich oben an dem Tor", er meint das Richterhaus, "zwölf Älteste mit mir. Seid gleichfalls dort." Verlegen dreht er sich dem Jüngling zu. "Wenn du uns helfen willst, ich meine…" / "Ich komme, um euch GOTTES Hilfe nachzutragen. Zanket nicht, wie es bei jeder Ratsversammlung üblich ist. Der Richter wird euch reizen. Nehmet ihm den Wind vom Segel, indem ihr ruhig bleibt und seid gewappnet."

36. Teils verstört, teils froh, geht Laban fort. Obwohl spät, sucht er einige Älteste auf und erzählt, was sich beim Altrat zugetragen hat. Ungläubig wird der Kopf geschüttelt, manchen glimmt es wie ein Feuer auf, doch wird zugesagt, die Parole 'Ruhe' einzuhalten. Man sieht selber ein, daß man mit ihr weiter kommt, als mit Zank und Streit. So tagt der nächste Morgen.

*

37. Zwölf Älteste, Laban, Selemech, Boas und der Jüngling stehn beisammen. Letzterer wird heimlich angestarrt. Die von ihm hörten, bejahen gern, was der Oberste berichtet hat. O ja, das Gesicht, die wunderbare Ruhe, die aus seinem ganzen Wesen auf sie überströmt, da kann man an das 'Märchen' glauben, daß ein Engel einst mit Josua Jericho zerstörte und Kanaan eingenommen hat. Nur: …ist zu glauben, was man niemals sah?

38. Da sagt jener ernst: "Ihr sprecht allezeit: 'Gott unserer Väter Abraham, Isaak und Jakob!' Wer hat sie je von euch gesehen?" / "Wie könnten wir sie denn gesehen haben? Nach hunderten von Jahren?" / "Sehr wahr!" Es klingt wie leiser Spott. "Glaubt ihr trotzdem, daß die Väter lebten?" / "Ich bitte dich", ereifert sich ein Mann, "daran ist doch nicht zu zweifeln!" / "Eben! Und so braucht man nicht an GOTT zu zweifeln, den ihr auch noch nie gesehen habt. Aber eure Väter sahen Ihn, und Seine Engel!"

39. Da neigen sich die grauen Köpfe. / Sagt Boas: "Du weißt, was ich bekennen will, wenn du es erlaubst." / "Noch nicht. Man soll selber zur Besinnung kommen." / Eben wird das Tor geöffnet. Waffenträger treten vor und auf der Schwelle steht der Richter, ein stattlicher Mann, aber im Gesicht die unverkennbaren Züge von Herrschsucht, Zorn und Härte.

40. Er herrscht die Männer an. "Heute ist kein öffentlicher Tag. Kommt morgen wieder, wenn ihr wollt!" Er will sich wenden, in Erwartung, daß die Ältesten, wie üblich, wütend werden. Nichts geschieht ‒ zur eigenen Verwunderung der Wartenden. Eine sonderbare Ruhe strömt von ihnen aus und weiß keiner, daß der Jüngling wirkt, im Auftrag seines hohen Herrn.

41. Der Richter dreht sich wieder um, starrt die Männer an und sein Blick fällt auf den Jungen. "Was will der Milchbart hier? Könnt ihr selber nimmer reden und schickt einen Knaben vor?" Boas reckt die Hand. "Heute ist für uns ein öffentlicher Tag, und du, Beraba, wirst uns hören!"

42. "Er hat keine Zeit", fällt der Jüngling ein, "er muß nach Ethal, die letzten Karren holen, von Haakeron, der diese Nacht ermordet wurde." / Ein Schrei. Beraba wird fahl wie eine Leiche. Wer kann es wissen, daß sein – eingeschworener – Knecht den Kaufmann töten mußte? Und es sollte heißen, er wäre ausgebrochen und geflüchtet. Noch ermannt er sich, von den Knechten heimlich angestoßen.

43. "Du Lügenmaul! Kommt ins Gefängnis, da liegt der zweite Rock des Haakeron, der bei seiner Flucht am Fenster hängen blieb!" / "Soll ich dir zeigen, wo der Kaufmann liegt?" / Noch mehr ist man beklommen, bloß daß die Ältesten jetzt die Gewißheit spüren: der Jüngling ist kein Mensch wie sie.

44. Keiner hat's vom anderen gewußt ‒ die Männer ziehen unter ihren Kitteln Waffen vor, die man bei Nahgefecht benutzt und umzingeln Beraba und seine Knechte. "Kommt", winkt der Jüngling allen zu. Ob sie wollen oder nicht, der Richter und die Knechte müssen mit. Noch ist Jerusalem nicht groß, rasch erreichen sie das Freie, und der frühe Morgen ist noch menschenleer.

45. Auf einem Hügel findet man frisch aufgeworfene Erde. "Da liegt sogar noch eine Schaufel. Es ging ja eilig zu, nicht wahr?" / Beraba muß sich stützen lassen. Wenn er wüßte, wer sie gesehen und verraten hat… Die Ältesten sind selbst zu sehr erstaunt, die konnten es nicht wissen. Der Junge…? Buben streichen oft umher, möglich, daß es dieser sah. Doch man hatte keine Fackel mitgenommen.

46. Da ruft der eingeschworene Knecht: "Ich kam nachts sehr spät zurück, war bei meiner Mutter. Da sah ich hier an dieser Stelle zwei Männer kämpfen, der eine nicht sehr groß, der andere war der Bub", zeigt er auf den Jüngling. "Öffnen wir das Grab, da erweist es sich, daß er den Kaufmann niederschlug und hier verscharrte."

47. "Ah, wie konntest du", fragt der Oberste den Knecht, "in dunkler Nacht gesehen haben, was hier vor sich ging?" / "Ganz dunkel war es nicht, es schienen ja die Sterne; ich stand ganz nahe hinter diesem Baum." Er lehnt sich frech an einen Feigenstamm.

48. "Und da, bist du als ein Knecht mit starken Fäusten hinterm Baume stehn geblieben und hast feige zugesehen, wie ein Mord geschah? …ohne einzugreifen?" / "Das mag glauben, wer da will, ich nicht!" ruft der Altrat aus. / "Nunmehr aufgeschaufelt, wir werden sehen, ob ermordet oder ‒ ob erschlagen!"

49. Des Richters Streit hilft nichts, der Knecht hätte es ihm gleich berichtet und er dächte auch, daß Haakeron dem Raufbold in die Hände fiel. Den Jüngling trifft ein giftiglanger Blick. "Aufgeschaufelt!" ordnet Laban an, "oder ich befehle ganz Jerusalem zusammen, es mag entscheiden, was geschehen ist!"

50. Die Erde wird beseitigt. Da liegt ein verkrümmter Leib, noch an Hand und Fuß mit Fesseln. 'Asmodi hole uns', denkt der Richter, und schaut sich um. Das Blut der Ältesten wallt zornig auf und es fehlt nicht viel, man würde sich auf Beraba und seine Knechte stürzen. Der Jüngling tritt dazwischen.

51. "Haltet an!" In seiner Stimme schwingt ein harter Ton, der Beraba erstarren läßt. Er hat nie geglaubt, es gäbe Engel; ja ‒ nur des Amtes wegen tat er so, als glaube er an Gott und hat gefoltert und getötet, um fremde Habe einzustreichen und ‒ sich auf Mose stützend ‒ ausposaunt, die Verurteilten hätten ihrem Glauben abgeschworen, somit gegen Gott gesündigt.

52. "Nun seht ihr, was an Lügen euer Richter aufzubringen weiß. Den man niederschlägt und verscharrt, fesselt man nicht hinterher. Die Leiche ist noch frisch, man sieht, wie hier üblich, daß Haakeron im Gefängnis starb, hinterrücks erdrosselt; als Gefesselter konnte er auch gar nicht fliehen. Ungerechter Richter, was sagst du jetzt dazu?"

53. "Verdammt sollst du sein, weil du …" / "Du fluchst? Ich denke, bei dir ist jeder Fluch verboten, weil eine Sünde gegen Gott? Du machst dich lächerlich vor einem Jungen, wie du von mir denkst, vor allem vor den Ältesten und Boas, den ich hierher begleitet habe, gestern Abend. Da wir bei dem Altrat mit dem Obersten beisammen saßen, weiß man, wo ich war.

54. Ich rate euch, ihr Männer von Jerusalem, legt Haakeron gerade in sein Grab, denn das Fleisch gehört der Erde an, Seine Seele ist bei Gott! Schaufelt zu und kehrt ins Richterhaus zurück, bevor die ganze Stadt erwacht. Ratet daselbst weiter," / "Was gibt's noch zu beraten?" grollt Laban, der bei des Toten Anblick es wie Stiche fühlte, so tief war er betroffen. Wie wahr gesprochen: 'Ungerechter Richter!' (Ri. 21,25)[1] Und so etwas gibt es in Israel, dem Volk des einen Gottes…

55. "Beruhige dich!" Der Helle führt ihn fort. In Hast hat man die Grube zugeschaufelt und es ist gut, daß man auf den kurzen Gassen wenig Leute trifft, die sich gar nichts dabei denken, den Richter und die Knechte von den Ältesten umgeben zu sehen. Das ist bekannt. Man grüßt eilig, den Richter darf man nicht erzürnen, zu rasch streckt er die Hände aus.

*

56. Die Knechte werden eingesperrt. Im Richtraum stehn vier Älteste an der Tür, die übrigen rechts und links. Hinter Beraba ist die kahle Wand, vor ihm sitzen Laban, Selemech, Boas und der Jüngling. / 'Eingekreist! Aber halt… ich kann doch heraus, habe das verbriefte Richterrecht, das nur in einer Vollversammlung aufzulösen ist. Bis dahin...'

57. Er zieht aus einem Fach die Rolle vor. "Hier liegt das Recht in meiner Hand, von allen Obersten bestätigt. Wollt ihr paar Wenigen es entkräften? Ruft die Obersten zusammen und ich beweise euch, daß ich richtig handelte. Da seht her", er hebt eine Tafel hoch, "das hat Haakeron bestätigt, kurz vor seinem Tod, daß er alles tat, was ihm zur Last zu legen war:

58. Abschwur vom Glauben an den Gott der Väter Israels; Mordversuch an mir; Aufwiegelung in Sidon und… viertens: die Hälfte seiner Habe sollte Syriens König haben, wenn er Israel den Krieg erklärte und uns mit Sidon überfiel, sobald wir bei den Neuwahlen unter unsern Stämmen selbst nicht völlig einig sind. Genügt das nicht, es mit dem Tod zu rächen?"

59. Man ist bedrückt. Trotzdem war das Urteil nicht gleich auszuführen, die Volksältesten waren zu befragen. Selemech hält dem Richter diesen Fehler vor, während Laban denkt: 'Mein Fehler; ich mußte Haakerons Sache öffentlich verkünden, auch wenn darüber einige Zeit verstrichen wäre. Haakeron war mein Freund, und der hatte niemals so etwas geplant. Er war ohne Arg.'

60. Er verlangt die Tafel um die Schrift zu prüfen. Ja, seine Hand, etwas zittrig, was durch die Inhaftierung zu verstehen ist. Ach, er glaubt es nicht. Er sieht den Jüngling an, der wüßte, wie die Tafel einzuschätzen ist. Auch der Altrat zweifelt am Geständnis. Boas, obwohl er Haakeron nicht kannte, nennt das Ganze einen Bluff. Und der Jüngling ‒?

61. "Es ist kein Bluff, Haakeron schrieb die Tafel selbst. Aber wie? Erzähle es uns doch", fordert er den Richter auf und stellt sich neben ihn. / "Was gibt's denn zu erzählen? Er schrieb, Laban hat's bestätigt. Vorwitziger Bursche, wenn du im Rat von reifen Männern nicht bald ruhig bist, kannst du Bekanntschaft machen mit …" / "… den Folterknechten, die …" / "Halte an, sonst wirst du ausgepeitscht!" schreit Beraba wild.

62. Da öffnet sich die Tür. Judas Fürst tritt ein mit einem, der dem anwesenden Jüngling ähnlich sieht. Verdutzt sieht der Fürst rundum. Er weiß nicht, das es abermals ein Unrecht auszufegen gibt. Berabas Habsucht, seine Ungerechtigkeiten sind ihm zwar bekannt; aber da die Stämmefürsten samt den Ältesten nicht einig sind, war nichts zu unternehmen, jetzt …sieht's ja aus, als gäbe es für Beraba den letzten Strick.

63. "Was geht hier vor?" Er unterdrückt die Erregung. / "Der Junge…", jener, der mit ihm gekommen war, ist gemeint, "…weckte mich in aller Frühe: 'Auf, Fürst Juda, Israel muß gereinigt werden!' Ich schalt meinen Diener, der die Tür dem Jungen öffnete. Doch dieser sprach, er käme in des 'Hohen Königs' Auftrag, um endlich alles Unrecht aufzudecken. Welcher König denn? fragte ich. Da sah ich lohend Augen“.

64. „Du bist einer von den wenigen, die noch wissen, wer euer König ist. Bald werdet ihr euch einen von der Welt erwählen, aber damit wählt sich Israel den Tod! Die guten Seelen finden wohl das Licht, doch das Volk im Ganzen geht mit einem Weltthron unter. Nun komm', es eilt und frage nicht!'

65. Wie unter einem Zwang… / Höhnt der Richter, "Ach, ein Fürst unterliegt dem Zwange eines Knaben? Ha! Da sieht man …" Der erste Jüngling tippt ihn an und es fährt dem Richter wie ein Blitz durch seinen Leib. / Der Fürst spricht: "Ob ich dem Zwange eines Knaben unterlag oder mich von meinem König führen ließ, wird sich zeigen, wenn es im Richtraum 'richtig' wird." Sehr deutlich! / Beraba erbleicht. Nutzt seine Richterrolle noch etwas? Der Fürst kennt sie ohnehin. Der befragt die Ältesten und Selemech berichtet, was in dieser Nacht geschehen war. Entsetzt sieht der Fürst umher, dann bleiben seine Blicke, stählernhart, am Richter hängen.

66. "Jetzt verstehe ich, weshalb der Himmel kam! O Israel, o Richter! Wie tief seid ihr gesunken und ‒ wir alle mit, weil wir dem Volke angehören! Aber dieses Unrecht ‒ wahrlich, das soll dein letztes sein!" Mit einem Ruck reißt er die Richterrolle mittendurch, wirft die Teile auf den Boden, tritt darauf, so ehrlich wütend: "Hier hast du deine Rolle, es bedarf nicht mehr, daß noch lang beraten wird, was mit dir geschehen soll. Ich verlange Abrechnung von allem Hab und Gut, was du bisher gestohlen hast!

67. Mich hört man an, zumal der König Seine Boten sandte. Du sollst der letzte Richter sein! Abzuwarten, was für ein Regime zu bilden ist. Helft ihr Ältesten, so führen wir das Volk zur Einigung, damit nicht jeder einfach tut, was ihm beliebt! Das Weltrecht müßte an dem Unhold tun, wie er an so vielen tat. Doch wir stellen uns nicht auf die Stufe des Verbrechers. 'Du sollst nicht töten! Du sollst nicht stehlen!' (2. Mo. 20,13 und 15) Ich schlage vor, ihn des Landes zu verweisen."

68. Sagt ein Jüngling: "Bedenke, viele sind in bitterster Not vor ihm geflohen, um grauenvollem Tode zu entrinnen. Elimelech mußte all sein Gut verlassen. GOTT kann züchtigen, auch das Licht kann Gnade und Barmherzigkeit verweigern, ist dadurch eine Seele zu erretten. Ob sie sich erretten läßt, ist eine Frage an sie selbst."

69. Der Wunsch lag nahe, Beraba zu töten. Die Gott-Gebote zügelten den schweren Männerzorn. Der Fürst blickt auf den Jüngling, und da ist's, als käme Gottes Wille über ihn. "Der große Rat entscheidet; doch des Himmels Worte wollen wir beachten.

70. Dein Weib und deine Kinder sind geflohen. Dir bleibt soviel, um einen Mond dich zu ernähren. Die Knechte sind mit auszuweisen. Dir folgen Briefe nach, die die Regenten vor dir warnen!" Der Atemzug, der des Fürsten Brust befreit, steigt aus stiller Wehmut auf, als beide Hellen nicken. Also ist's des Höchsten Recht.

71. Im vorhinein gesagt: des Fürsten Rat wird angenommen. So ist ein Unhold ausgemerzt. Ob Israel dadurch genesen wird ‒ ‒ ‒ ‒

 

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Kap. 8

Weitere himmlische Worte – Brüder oder Diener?

Kann man Gott helfen? – Ein Wort über Micha 5,1

1 . Boas kehrt nach Bethlehem zurück. Er sieht versunken vor sich hin. Selemech, Laban und der Fürst schließen sich ihm an. Es ist Naemis Sache nachzuprüfen. Die drei Männer sprechen über das, was mit dem Volk geschehen soll. Ob die Hellen sie beraten?

2. Der Erste sagt auf eine solche Frage: "Weltliches sollt ihr selbst erwägen: was ist gut zum Heil und Nutzen, auch für alle Menschen, soweit sie zu erfassen sind." / "Es war beim Unhold Weltliches, was auszutragen war." / "Teils", meint der Zweite, "doch lag die Rettung einer armen Seele in des Himmels Hand und …"

3. Der Fürst unterbricht: "Verzeih, nach der ersten Überprüfung sind's schon über hundert Fälle, die Beraba zur Last zu legen sind. Was Ungeklärtes wird noch kommen? Und da ‒ natürlich weiß ich nicht, wie GOTT darüber denkt. Vom Verstande her muß die Rettung erst den Unterdrückten gelten und nicht einem ‒." Zorn geht wieder mit dem Fürsten durch.

4. Ein Heller greift nach seiner Zügelhand:"Vom Verstande her, da hast du recht! Glaubst du etwa, daß der Heilige, der große Wunder tut, all die Bedrückten nicht beachtet, die Gemordeten vergißt und am Verbrecher Milde übt?" / "Nein", ruft der Fürst beschämt, "ich meinte bloß, daß man eben die Bedrückten erst bedenkt, hernach den Unterdrücker, falls diesem eine Gnade gelten darf."

5. "Du hast heute Gottes Recht erkannt; bloß sieht manches anders aus. Gottes Tiefe, Seine Höhe sind nicht auszuschöpfen; nicht zu übersehen ist die Weite Seiner Werke. Und wenn du denkst, es wäre Seine Gottesnähe zu erkennen, so sag' ich dir: aus dieser gehen alle Werke, geht Sein Licht hervor samt allen Lebensdingen, die kein Geschöpf ermessen kann und auch nicht braucht!

6. Was zu erfassen, festzuhalten ist, sind Barmherzigkeit, Güte und die Liebe und was uns Gottes Gnade schenkt. Eben diese Gnade gilt doch jedem Kind. Ob es ‒ wie in eurem Falle ‒ die Bedrückten oder die Bedrücker sind, bleibt sich in Hinsicht Seines 'Retterwillens' gleich, nicht aber in der Art, wie er jeder Seele zuzukommen hat. Ort und Zeit sind gleichfalls unterschiedlich.

7. Gott erlöst! Er senkt erst die Unterdrückten in die Gnade, zumal, wer sein Ungemach ertragen lernt. Bösen wird die 'Schnur' gelegt, darauf kannst du dich verlassen! Die arme Seele aber ist wie alle andern auch des Reiches Eigentum, und da frage nur, welcher Mensch der Gnade nicht bedarf.

8. Sind die Gewichte unterschiedlich, Reue- und Bußezeiten lang und kurz, kann mancher seine Himmelsleiter leicht besteigen, andere hingegen mühsam klimmen erst die Abrechnung, dann die Gnade, die Erlösung, am Ende heimgekehrt und heimgeführt zu Gott! Verstehst du, was dir jetzt zu sagen war?"

9. "Hast ein gutes Licht mir angesteckt." Dankbar drückt der Fürst des Sprechers Hand. "Nun weiß: ich es, daß ihr Himmlischen euch um das Weltliche nicht kümmert, sofern ‒ wie hier gesagt ‒ wir selbst entscheiden können. Wer verspürt jedoch in sich ganz klar, welche Richtung einzuschlagen ist? Oft passiert mir, daß ich nach bestem Denken handelte, hernach erwiesen sich die Fehler." Unwillkürlich seufzt der Fürst.

10. "Seufze nicht! Gott sieht den Willen an. Ist er brauchbar, so ist er dem zum Segen, dem dieser Wille gilt. Geht er fehl, macht Er aus Spreu noch immer einen Weizen. Wie das vor sich geht, erahnt ihr nicht. Hilft der gute Wille diesem oder jenem nicht oder nur sehr mäßig, dann hat der Betreffende ihn nicht verdient. Das muß nicht die Zeit betreffen, in der die Hilfe hergegeben wird. Gott rechnet ab nach Seinem Maß! Ihr kennt ein Wort:

Gottes Mühlen mahlen langsam,

mahlen aber trefflich fein;

was an Langmut Er versäumt,

holt durch 'Schärf' Er wieder ein!

11. So wird manche alte Schuld, die der Mensch verdeckt, hervorgeholt ‒ von GOTT!, und diese Abrechnung, wer es nur erkennen will, ist die gnadenreichste bei dem Herrn. Da gibt's nichts mehr noch weniger an gnadenvollem Tun.

12. Als ein Fürst, im Verein mit einsichtsvollen Ältesten, wirst du in naher Zukunft schwer zu tragen haben, und nicht alles geht nach deinen Wünschen aus. Dann denke an mein Wort und schau aufs ganze Volk, nicht auf einen Einzelnen. So wirst du merken daß es mit ihm abwärts geht …für diese Welt, in welches Abwärts sich noch jedes Menschenvolk begeben wird.

13. Ihr denkt betrübt, was hätte das bewußte Erdenleben da für einen Zweck? So sieht es aus, schaut man niederwärts, statt hinauf, von woher jede Hilfe kommt. Wäre diese Hilfe nützlich, wenn es doch mit allem abwärts geht? Oh ‒ Gottes Heilsverfahren bleibt nie ohne Zweck und wird trotz Materie erreichen, was Sein Herrschaftswille aus Äonen vorgesehen hat.

14. Israel kann ein Beispiel sein für alle Völker, die vergangen sind, die da kommen werden. Welchen Samen trug ein Abraham vom Reich zur Welt, er, der Fürst des Ernstes vor dem Stuhl des Herrn! Hat Israel den Samen ausgestreut, wie Abraham es bei den sieben Heidenstämmen tat? Hat es Gottes Führung über Mose anerkannt und auch bewahrt? Wo ist der Weizen aus der Offenbarung Sinais? ‒?

15. Ihr könnt die Fragen nicht bejahen, weil das Licht die Wahrheit spricht. Seht: überall gibt's gute Seelen, die die Erhalter dessen sind, was Gott als Segen hergegeben hat. Geht auch dies und jenes Volk zugrunde, bleiben wenig übrig, die den nationalen Namen tragen oder nicht, ‒ was von oben dominiert, wird aus Gottes Schöpferhänden die Erhalter sein und bleiben, bis die Materie einmal aufzulösen ist, weil ausgedient.

16. Auch bei euch erhält der Höchste Sich die Lichter; und aus Seiner Güte, die Er den Getreuen schenkt, dürfen sie die Miterhalter sein all derer, die sich an ihre Finsternis verloren haben. Ihr glaubt an einen Asmodi (Satan); allein ‒ ihr könnt tagsüber gehen oder nachts, das steht euch frei. Die Menschen sind befähigt, sich dem Lichte zuzukehren oder abzuwenden. Wer das Licht vermeidet, wandelt in der Finsternis. ‒

17. Doch seht, Bethlehem kommt in Sicht. Heute helfen wir, soweit es nötig ist." / "Und später?" fragt Boas, der sich aus der Versunkenheit längst aufgerichtet hat und dem Gespräch der Hellen eifrig folgte. Er hat ein offenes, weltlich unbeschriebenes Gemüt und er hat die wunderbare Lehre bestens aufgenommen. "Ach ja", fügt er an, "euere Hilfe wäre immer nötig."

18. "Schon recht", wird ihm bestätigt, "doch stelle ich die Frage, ob Gott bloß in der Nähe wirken kann oder nicht auch aus der Ferne," "Natürlich beides, dessen bin ich ganz gewiß", erwidert Boas. "Ich dachte nur, daß eure liebe Nähe schon ein Segen sei. Für Naemi", er wagt Ruth nicht zu erwähnen, "ist's so bitter schwer geworden und sie benötigt euch."

19. "Euch! Aus hoher Weisheit ist es für die Menschen gut, einander beizustehen. Kommt die Hilfe obendrein aus vollem Herzen, so geht sie stets durch Gottes Hand. Es spielt keine Rolle, sichtbar oder unsichtbar. Letzteres ist nicht geringer, als wenn vom Gnadenakte her die Sichtbarkeit geschieht.

20. Hier ist äußerlich nicht alles auszugleichen, nicht sofort; ihr sollt euch bewähren, sollt tragen. Dann wird es sich ergeben, daß Leid und manche Sorge schwinden." / Sagt Selemech: "Es ist gut daß ihr heute bei uns seid. Wir…", zeigt er in die Runde, "…wollen immer an euch denken, also wird des Lichtes Hilfe allzeit bei uns sein." Das bestätigt jeder gern.

21. Im Hof des Boas tritt die Mutter aus der Tür. Sie kennt Pereztha, Selemech und Laban, bloß der zweite Jüngling ist ihr fremd. Doch sieht sie gleich die Ähnlichkeit der beiden Hellen. 'Also auch von oben', murmelt sie und heißt alle auf das herzlichste willkommen. Ein Mahl wird angerichtet, zu dem sie auch Naemi rufen möchte und natürlich Ruth.

22. Der Fürst winkt ab: "Wir wollen uns erst vergewissern, ob noch vom Geraubten einiges vorhanden ist." / "Nein, Beraba hat Stück um Stück verkauft; Ich weiß es von der Muhme in Jerusalem. Die Flur liegt ganz danieder. Gern hätte es mein Mann erhalten; aber da er selber angekreidet war und Beraba uns mit dem Tod bedrohte, rührten wir nur einen Finger an, war leider unsere Hilfe abgeschnürt. Es kostet Jahre, bevor hier wieder etwas wächst."

23. "Ich war lange nicht in Bethlehem", beschuldigt sich der Fürst, "das ist mir unbekannt geblieben. Die Hilfe kommt zu spät." / Tröstet ihn ein Jüngling: "Ein Einzelner kann nicht in jedem Winkel sein; also trägst du keine Schuld. Und selbst als Fürst ‒ ihr wißt, welche Macht der böse Wicht sich angeeignet hatte ‒ hättest du dem Elimelech einst nicht helfen können, wie auch nicht anderen. Wir besuchen dann Naemi."

*

24. Das Städtchen ist um diese Tageszeit wie ausgestorben, als man sich auf den Weg begibt. Die Jerusalemer sind erschüttert, als sie die Gebäude sehen, die einzustürzen drohen. Und rundum die kahlen Acker, einer Wüste gleich. Der eine Brunnen in der Nähe ist ganz ausgetrocknet, weiter ab erst sieht man einen Wasserquell. / "Ja, wie kommt denn das?" fragt Laban. "Der Brunnen war einst tief und mit gutem Wasser angefüllt."

25. "Ein Zeichen", sagt ein Heller. "Bedenkt, nicht alles Sichtbare ist innerlich vorhanden. Jemand, der so fest im Gottvertrauen steht wie die Naemi, ist ein wahrer Brunnen und trägt die Last, wissend, was sie zu bedeuten hat, Überdies", lacht er, was auch der andere Hellgelockte hören läßt, "handelt ihr und helft. Wem?" / "Natürlich unserer Naemi", ruft der Fürst spontan. / Wieder jenes liebe, leise Himmelslachen.

26. "Von eurem Standpunkt aus gesehen ist es recht bedacht. Denkt aber auch an euch." / "Ich meine", wagt Selemech den Widerspruch, "die Hauptpflicht liegt stets darin, erst den Nächsten zu bedenken und dann erst sich. Mose lehrte schon die Nächstenliebe (3.Mo.19,18). Vordringlich ist sie sicher bei Naemi angebracht, wobei das Unsere zurückzustehen hat."

27. "Meinst du, lieber Bruder, wir dächten anders?" / Selemech wehrt mit beiden Händen ab. Er rutscht dabei auf einem glatten Felsstein ab, so daß er beinah hingefallen wäre. / Boas rettet ihn vor einem Sturz. / Das Licht belehrt: "Selbstredend ist das Bedenken für Naemi recht; zwar aus eurem hilfsbereiten Willen her, steigt es doch aus Gottes hehrem Willen auf, einer Tochter, die Er liebt, zu helfen ‒ über euch, wohlgemerkt! Nicht ihr selbst vermöget es.

28. Weil der Höchste alle Kinder liebt, die guten, bösen, fernen und die nahen, gilt eben Seine Hilfe euch, daß ihr aus dem Begebnis lernen sollt. Da könnt ihr von der schwergeprüften Frau und Mutter lernen, für euch, aus dem weitere Lichtgedanken steigen, über euch für eure Umwelt mit. Jetzt versteht ihr unsere Frage, die GOTT an euch gerichtet hat."

29. Da halten die vier Männer ihre Schritte an. / Laban sagt verhalten: "Ihr nennt uns 'Brüder' und wir können doch nur eure Diener sein. Denn diese Lehre kam von Gott, über euch, wie ihr so fein gedeutet habt. Doch wie wenig wir die Brüder Gottes wären, so wenig auch die eueren, die ihr turmhoch in der Liebe, in der Weisheit über uns, über allen Menschen steht. Also ziemt es uns, sich im Dienst vor euch zu neigen."

30. Sagt der zweite Helle: "Das, lieber Laban, kam aus reinem Herzen und ist zu Gott hinaufgestiegen. Nimmst du noch eine weitere Lehre an?" / "Soviel, wie ihr zu geben wißt! Möge mein Gemüt es fassen und bewahren!" – In Letzteres stimmen auch die andern Männer ein. "Also höret zu.

31. Kennt ihr einen Turm, der keine Stufen hat?" / "Wenn es solche gäbe, was wären sie uns nütze?" entgegnet Boas. / "Eben! Doch erst besehen wir die 'Brüder', worin des Himmels und der Erde Schwestern auch mit eingeschlossen sind, und nicht, wie viele törichtdumme Männer bei euch denken, nur sie wären auserwählt vor Gott, während Frauen dienen müßten.

32. Dieser 'Dienst', vom Höchsten anders angesehen als vom Menschen, ist ein ewiges Prädikat, das Er Sich Selber vorbehielt. In diesem sind die Dienenden mit eingeschlossen, während die pur Herrschenden außerhalb des Gnadenringes stehen, solang sie ihrem Herrscherwahn verfallen sind. Dazu gehören alle Überheblichen, aber nicht bloß Weltregenten, von denen manche wirklich dienen.

33. Der eine Gott, der alle Kindgeschöpfe schuf, stellte sie auf eine Stufe: auf die der Kinder. Ihr Männer…", der Sprecher sieht die drei älteren an, "…habt Söhne und auch Töchter. Frage: sind die Töchter nicht auch eure Kinder?" / Das wird stumm bejaht. / "Genau so ist's bei unserem Vater! Wir sind, zwar mit verschiedenen Gaben ausgerüstet, alle Seine Kinder und somit unter uns Geschwister. Wie also wäret ihr nicht unsere Brüder?"

34. "Wohl", nickt der Fürst. "Ihr seid uns in argen Weltgeschäften beigesprungen; so können wir, die Menschen, eure Diener sein. Und da…", ein feiner Augenblitz, eine himmlische Parade[2], "…stünden wir, die Söhne, auch nicht außerhalb des Gnadenringes, in dem da etwa nur die Töchter wären."

35. "Gut gemerkt!" wird der Fürst belobt. / Fragt Selemech: "Müßten wir als Söhne Gott nicht dienend helfen?" / "Die beiden letzten Worte trennen wir. Gott gilt allein das Dienen im Gehorsam, in Erfüllung der Gebote, in der ‒ für Menschen wichtig ‒ demutsvollen Hingebung, daß man sich stets erprüft: Was ist gut? Was nicht? Was darf ich tun? Was muß ich meiden?

36. Selemech hat das 'helfen' gut gemeint. Diesen Falles wäre es auch angebracht, wenn … auf dieses 'Wenn' kommt's an! – Glaubt ihr an den Gott der Herrlichkeit in aller Seiner Allmacht? Der alles tut und alles kann?" – Eine ernste Frage, die man gern bejahen würde. Es ist jedoch zu prüfen, ob man stets an Gottes Tun und Können glaubt. Ja, glauben schon! Doch immer einbeziehen in die Dinge dieser Welt? Ist man nicht oft ungewiß?

37. Da hapert es, was der Fürst bekennt, mit Trauer in der Stimme: "Denke ich daran, was ich als Oberster des Volkes auszugleichen habe, so wird mir bang, ob Gott es lenken möchte. Ein zwiespältig Ja muß ich bekennen. Ihr Himmelsbrüder seht, wie so vieles bei mir mangelt. Dem Wissen nach, Gott tut und kann alles, daß wir Menschen Ihm in Seinen Allmachtsdingen gar nicht helfen können, ach ja, so will ich sagen. Aber was hinkt hinterdrein?" Der Fürst ergreift die Hände beider Hellen. "Belehrt uns bitte, dann ersparen wir viel Zeit und unnötiges Gefrage."

38. "Rasten wir", gibt der zweite Helle an. "Es ist gut, wenn Naemi noch ein Weilchen denkt und ‒ betet. Ich bestätige das zweigeteilte Ja. Vom Glauben her, von Kindheit in euch eingeprägt, wißt ihr von des Schöpfers Allmacht und der Herrlichkeit und das

'Ihm ist kein Ding unmöglich!'

39. Ob Er stets mit Seiner Wunderherrlichkeit hausieren geht, ist der Brennpunkt einer Frage, der noch nach tausenden von Jahren viele Gläubige im dunklen Wahn erstarren läßt. Gott aber läßt Sein Licht von Zeit zu Zeit wie eine Morgenröte flammen, und das genügt, um das Menschenvolk entsprechend zu erwecken. Er sendet Lichter aus, weniger, wie Er uns diesmal sandte, sondern in den Menschen, deren Geist und Himmelsseele auch von Gott herniedersteigt.

40. Das bedingungslose 'Ja' fordert Gott vom Menschen niemals bis zum letzten Scherf, weil ‒ von der Materie beengt ‒ das Himmlische nie völlig zu erringen ist. Wo es hie und da geschieht (z.B. Elia), hat ein Geist auf Erden ausgedient. Im Licht ist der Kontakt zu bilden zwischen Schöpfer und Geschöpf, zwischen Kind und Vater. Das jetzt Gesagte reicht für euch bis ans Ende eurer Tage auf der Welt. Wenn ihr immer daraus schöpft, werden euere Seelen allzeit vollgefüllt, so daß ihr ‒ auch in eurer Stille ‒ bloß noch danken, jubeln und Gott preisen könnt.

41. Gut erfaßt", der Helle drückt des Fürsten Hand, "daß ihr GOTT nicht helfen könnt und auch nicht braucht. Und sei gewiß: sogar wir Himmlischen, stehend an dem Herrschaftsstuhl des Herrn, können Ihm in gar nichts helfen, weil das ganz unmöglich ist. Nur dienen ‒ ja; das tun wir in Ehrfurcht und in Anbetung und wohin zur Hilfe uns der Höchste für die Kinder in der Ferne sendet; für die 'lieben Wanderer', wie ihr nun welche seid, kurzum für jene alle, die eine Hilfsstellung benötigen.

In allen Lebensdingen ist der Herr

der Helfer ganz allein!

42. Wenn ihr, soweit in der Materie möglich ‒ und mehr verlangt der Vater nicht! ‒‚ zu jenem zweiten 'Ja' gelangt, dem geistigen, daß ihr vollstens an die Allmacht glaubt, erst recht dann, wenn es den Anschein hat, als hätte Gott des Himmels Türen und die Fenster fest verschlossen, so habt ihr euch geholfen. Hierin darf der Wanderer durch die Materie erst sich betrachten. Mit leeren Beuteln kann man niemand speisen, und aus einem leeren Krug kann niemand trinken!

43. Das besagt: Wer nicht des Himmels Anteil in sich trägt, den ein Kind von Gott erhält, gleichgültig, ob es Gottes Anteil gut verwahrt oder ihn verschleudert, wie will er einem Nächsten helfen, wenn man arm und lichtlos ist? Das könnte jeder Mensch, weil jeder einen Geistanteil erhalten hat. Dieser ist das königliche Erbe, das von Gottes Warte aus nicht erst nach einem Weltentod, sondern jedem mit auf seinen Wanderweg gegeben wird. Ohne dieses Erbe könnte man in der Materie niemals existieren.

44. Aber ob ein Kind das Erbe anerkennt, bewahrt, und durch 'Dienst am Nächsten' für sich selbst vermehrt, was bedeutet: es wird ganz des Kindes Eigentum, ‒ seht, das liegt an jedem selbst. Da streckt Gott bloß geheim die Hände aus, weil ohne die 'geheime Führung' niemand leben, nicht sich selber vorwärts bilden kann. Es ist des Kindes Sache, zu erwerben, was das Licht ihm als Geschenk mit auf die Lebensgasse gibt.

45. Ihr habt viel gehört; ihr werdet es bewahren und damit wuchern, ohne diese Kostbarkeiten zu verschleudern. So gemeint, weil unser jugendlicher Boas sich gleich vorgenommen hat, er wolle diese Lehre in ganz Bethlehem verkünden, damit aus seiner Vaterstadt das Licht hinausstrahle übers ganze Volk. Man gibt der Tierwelt das gewohnte Futter, aber keine Perlen, mit denen sie nichts anzufangen weiß als höchstens zu zertreten. Das bedeutet wieder:

46. Ihr könnt manch Wörtlein fallen lassen; wer sich davon berühren läßt, wird Fragen stellen, an denen ihr erkennt, wie tief der erste Same eingedrungen ist. Dann könnt ihr weiter Körnlein streuen. Wo gleich beim ersten Wort die Ungläubigkeit zu sehen ist, da haltet euch zurück. Denn solche Seelen sind nicht reif genug, das Tiefste zu erfassen. Belehren, soweit der allgemeine Glaube es ergibt, das könnt ihr überall, zu jeder Zeit.

47. Weil Boas einen echten Wunsch im Herzen trägt, deshalb sei euch noch gesagt, was ihr still in euch behalten sollt; denn es vergehen nahezu zwölfhundert Jahre, ehe es geschieht, was ihr nun noch hören dürft.

48. In Bethlehem wird zur letzten Welt-Epoche, die man die 'halbe' nennt, GOTT erscheinen. Von hier aus werden jene heiß gewünschten Strahlen im gesamten äußerlichen All sich zeigen, und bleibt doch im Licht die ewige Stätte der Unendlichkeit. Aus Boas Haus ergeht ein Strahl zu einer Tochter, in deren Schoß das Licht sich legt – zur Löse für den ganzen armen Fall, der einst geschah. Ein Prophet wird einmal künden:

«Und du Bethlehem Ephrata, die du klein bist unter den Städten Judas,

aus dir soll mir kommen, der in Israel HERR sei,

dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist!» (Micha.5,1)

49. Dieses Wort sei noch erklärt, dann soll Naemi nicht mehr länger auf uns warten. Höret also zu!

Bethlehem ist der Materie wegen diese kleine Stadt", der Jüngling zeigt voraus. "Aber Ephrata bedeutet sinngemäß das 'Maß des Herrn', das Er in Seiner Rechtshand hält. Es bedeutet auch der 'Himmelsort', daher nicht von der Materie, was das Weitere beweist: 'Klein unter den Städten Juda'. Nicht anerkannt und nicht hervorgehoben. O, die Jerusalemer und auch andere sehen scheel auf solchen kleinen Ort, wie Bethlehem es ist.

50. So wird man 'scheel und haßerfüllt' auf JENEN blicken, der wie arm durch eure Lande geht. Deshalb kommt der Höchste Herr als GOTT und als ERLÖSER aus dem 'Ephrata des Lichts', aus Seinem Maß, das Er in Voll-Erbarmung der Materie, dem Falle angedeihen läßt! Also heißt es richtig: 'Er sei ein Herr in Israel', man sollte ihn als solchen anerkennen. Weil das aber kaum geschehen wird, daher sagt hier der Prophet sehr recht vom 'sei'!

51. Daß der Herr es ist, besagt: Israel ist weltlich ein geborgter, hergeschenkter Name. Wie Ephrata als Lichtmaß und als 'Licht-Stadt' anzusehen ist, so Israel, das Volk des Lichts und nicht von dieser Welt. In diesem ist der Herr! Wunderbar gesagt: Er, dessen Ausgang stets aus Seinem Lichte kommt, wie von Anfang an Sich vorgenommen, den Hinfall zu erlösen, ebenso auch das

'von Ewigkeit gewesen ist!'

52. Dieses Herrliche als Offenbarung kann die Materie bloß hie und da erhalten und bleibt die Gabe aus dem Licht ‒ für das Reich, nämlich so: das Hingefallene wird durch den Erlöser, von Ewigkeit und so vom Opfer-Anfang her, wieder aufgerichtet und nach dem VOLLBRACHT, jeglicher nach seiner Art und Zeit, auch heimgebracht. Das ist der

'Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her ‒!'

53. Noch ist Ephrata ein weiteres Zeichen. Wie die Gesamt-Materie gegenüber der UR-Ewigkeit das Kleine ist, Esaus Linsensuppe, für die er seine Erstgeburt vergab, ebenso ist diese Welt das Kleine im Kranze aller Himmelskörper. Doch das vom Hinsturz sich Verkümmerte wird in den Kreuzpunkt aller Herrlichkeit und Gnade aufgerichtet. Ins Kleine kommt der HOHE für die Kleinen; daher ist symbolhaft Bethlehem der Ort, Israel das Land, die Welt der Klein- Planet und die Materie jenes Ephrata, das sich der Herr als 'Spiegel Seines lichtgemäßen Ephrata' erkoren hat. ‒ Das war schwere Kost, doch kommen Stunden, wo ihr euch besprechen werdet. Der Geist, von jenem Ausgang her uns überkommen, als wir aus den Schöpferhänden unser Leben nahmen, wird euch weiterleiten und wird des Lichtes Stimme in euch sein."

54. Keiner der vier Männer wagt ein Wort zu sagen. Ihr Dank, der in ihren Augen glänzt, in ihren Herzen wie ein Feuer glüht, der steigt zum Thron des Höchsten auf, von wo er als ein Segen wieder auf die Menschen niederfällt.

 

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Kap. 9

Naemi wird mit ihrer Hingabe an Gott belohnt

Die beiden Klaren lehren in einem Licht

(in Naemis Haus)

1. Auf Naemis Scheitel legt sich eine Hand. Verwundert blickt sie hoch. Wie lange sie inmitten ihrer Trümmer saß, versunken, betend, weinend ‒ sie weiß es nicht. Niemand hatte sie gestört. Knecht und Magd sind unter Mithilfe ihrer Nachbarn auf den Äckern, eine mühevolle Arbeit. Felder, zehn Jahre ohne Pflege, ohne Pflug, müssen erst gerodet werden.

2. Leib und Seele waren so bedrückt, manch Seufzer stahl sich über ihre Lippen. Dann ‒ o, daß sie aufwärts sehen kann, in des blanken Himmels Höhe, und ihr Dank, ihr Flehen steigen auf: 'Herr, Du hast mir viel genommen von der Welt, doch ich weiß, daß Deine Hände damit Gutes taten, wenn ich auch ins Seufzen kam ob aller Last. Du gabst mir Deinen Engel bei, den lieben Jüngling, und hast durch ihn mir Deine Hilfe hergebracht. Mag das Weltliche versinken, mag ich arm und elend bleiben, wenn nur mein Herz dich loben, mein Geist dich preisen kann und Gemüt und Seele stille wird in Dir, dem Vater der Barmherzigkeit!

3. Mose sagte ja zum Volk als letztes Liebewort von Dir: «'Ist Er nicht dein Vater und dein Herr?» (5.Mo.32,6) So weiß ich, daß Du allezeit mir VATER bist und bleibst! Nur wegen des mir anvertrauten Kindes, das aus der Fremde mit in meine Öde ging, da wollest du mir helfen, daß ich es noch richten mag und sie eine Heimstatt findet auf der Welt. Ich aber ‒?‚ ich erwarte Deinen Ruf. Denn hier…" Naemi spreizt die Finger "…ohne Welt bin ich in diese Welt gekommen, ich will sie ohne Welt verlassen. Dazu hilf mir aus, mein treuer Gott!‘

4. Die Hingabe in den Willen Gottes, aus tiefstem Herzen kommend, ist beendet, als die Hand sie leicht berührt. Deshalb ist Naemi nicht erschrocken, sie hatte nur den Sinn für ihre Zeit verloren, ja sie hatte nicht einmal die Traurigkeit bedrückt. Nicht mehr, nach dem Gebet, dem Höchsten dargebracht. Es steigt ein leises Freuen in ihr auf, als sie 'ihren' Jüngling sieht, der sie auf dem Weg vor aller Unbill schützte.

5. Längst ahnte sie, daß er von Ar-Moab an schon bei ihr war, nicht zu sehen, bis über ihn des Vaters Führung offenbar geworden war. Sie kann sich nicht des Augennaß erwehren, als sie sagt, indem sie sich erhebt: "Nächst dem Herrn danke ich auch dir für alle Hilfe, die mir durch dich geworden ist. Nimmst du Abschied, weil ich nun zu Hause bin?" Verständlich, daß sich bei dem 'zu Hause' eine große Träne löst und auf des Jünglings Hände fällt.

6. Er führt sie an den Mund, trinkt die Träne, dabei sagend: "Die trage ich hinauf zum Vater-Gott, wo sie eine Perle wird. Dein Gebet ist auch hinaufgestiegen und ist eingeschrieben worden in dein ‚Lebensbuch‘. Das sei kein Lob, wie sich die Weltlichen gern loben lassen; es ist nur ein Hinweis, was die Barmherzigkeit mit solchen Tränen und Gebeten tut.

7. Wer viel zu tragen hat, darf weinen, wenn er sich der Allmacht Gottes beugt. Nichts kommt aus Gottes Händen, was des Lebens Weg beschwert. Denke nicht, manch Reicher lebe herrlich und in Freuden, wie Elimelech nie getan. Merke auf: solche Reiche sind die Ärmsten unter Armen! Sie sammeln nichts für ihre Seele, ihr Herz bleibt liebeleer. So kommen sie in ihre Kammer (Grab), in welcher alle Habe dieser Welt für sie zum Plunder wird, zu einem Staub, der durch verdorrte Finger rinnt.

8. Du hast dich bei Gott angeklagt und ‚glaubenslos‘ genannt. Das bist du nicht! Er läßt dir verkünden: 'Du bist Mir nicht nur eine liebe Tochter, du sollst ein Zeichen sein für viele, die in fernen Zeiten von dir hören werden, jetzt schon lernt manch Sohn von dir. Du bist nicht umhergelaufen, hast gebettelt und gejammert, weil dir der böse Richter die gesamte Habe nahm.

9. Viele lernen aus dem Unglück nicht, es als einen unbekannten Segen anzusehen, von MIR gegeben. Das Unbekannte an dem Segen hängt damit zusammen, weil Ich weiß, wie ein Mensch beschaffen ist, ob er aus einem Unglück lernen will. Den Hadernden, weltlich nur berechtigt ‒ vor MIR aber nicht! ‒ überkommt der unbekannte Segen; denn Ich rechne ihre Lasten aus Erbarmung an, im Ausgleich allen Unrechts, das ein Oberster an ihnen tut.'

10. Das jedoch, Naemi, wird erst offenbar, wenn solche Seelen ihre Welt verlassen haben. Dann wird ihre Last im Urteilsspruch zu ihrem Gunsten auch mit angerechnet; denn

GOTT, der Herr, ist der einzig wahre Richter!

Er richtet nicht allein nach Soll und Haben, Er gedenkt der Schwäche auf dem Weltenweg und zwar zweierlei in einem Grad, ist Er ja der eine Gott und Schöpfer, Vater aller Lebenskinder!

11. Die freiwillig der Materie ihr Opfer bringen, sind 'lastenfreie Lastenträger'. Jene, die einst mit dem ersten Himmelskind gefallen sind, tragen ihre Last als Bürde, selbst im Fallen aufgeladen. Denen rechnet Gott aus Seinem einen Gnadengrad das Zweite an: teilweise die Befreiung aus Erbarmung, aus Seinem Schöpfer-Willen, daß kein Kindgeschöpf verloren gehen soll.

12. Wird das Letzte heimgeholt, durch ein Opfer, das nie nur deinem Volke gilt, nicht bloß dieser Welt, sondern der Gesamt-Materie, in welcher all das Abgestürzte bis zur letzten Heimholung die finstere Behausung ist, wie sonach sollten andere keine Gnade und Vergebung haben? Denke nicht, es wäre etwa nicht ganz recht, wenn die Treuen keinen anderen Platz bekämen als die Ungetreuen! Was weißt du von Gottes Vaterherzen?"

13. "Nichts!" schluchzt Naemi die sich ob des Gedankens sündig wähnt. / Der Helle druckt sie sich ans Herz: "Beruhige dich, du weißt ja, wer und was ich bin und ist's ganz recht zu glauben, daß wir, im Lichte wohnend, Gottes Vaterherz ergründet hätten. Nun ‒ in etwa schon, dahingehend, daß wir uns durch Seinen Willen leiten lassen und uns Mühe geben, Ihm zur Freude jede Arbeit auszuführen.

14. Allein das sei bekannt: Auch nicht die Fürsten vor dem Allmachtsstuhl vermögen Gottes Herzenstiefe auszuloten. Niemand greift in Seine Höhe, keiner mißt die hehre Weite Seiner Herrschaftsherrlichkeiten aus, ebenso auch niemals das Geheime Seiner Lichtgedanken! Das obendrein zu unser aller höchsten Seligkeit!

15. Und stehen wir vor Seinem Angesicht, in Seiner Nähe, so wie du an meinem Herzen ruhst, Oh, keiner von uns Lichtkindgeistern wird das Heiligste der Gottesnähe je erfassen! Verspüren ‒ ja; das kann auch jedes heimgekehrte Kind, das das Erste aus dem einen Gnaden grad des Richterrechts erhält. Bloß hinzugegeben wird's den Heimgeführten, die aus ihrer selbstgewählten Ferne einmal durch des Lichtes Tore gehen dürfen.

16. Aber was empfunden werden kann, ist viel, und es reicht in jene Tiefe Gottes, die Er für uns aufgeschlossen hat. Das genügt in alle Ewigkeit, um uns steigernd zu beseligen. Daher gilt, wird GOTTES Opferwille offenbar, sogar auf dieser Welt die 'Löse aus dem Opfer' allen Kindern, wenn auch verschieden dargebracht. Ich will es dir erklären, soweit für diese Zeit es wichtig ist.

17. Die Treuen, die ihre Wege gingen und noch gehen werden, tragen an der Last der Armen mit; und solang die Lasten währen, solange bleibt das Höchste ihrer Seligkeiten aus! Du und Elimelech habt geweint, wenn einem Freunde etwas widerfuhr, habt manchesmal nicht essen mögen, obwohl der Tisch nie leer gewesen ist. Ihr konntet dann nie fröhlich sein. Und nicht anders ist im Licht, zu dem die Wanderer gehören.

18. Mit den Gestürzten trauern wir. Solang der Abfall währt, bleibt's wie eine Nebeldecke über unsrer Freude. Sind die Abgewichenen der Trauer würdig und wie kann man sie denn Freunde heißen? Weltlich gilt die Frage; jedoch einmal ‒ dir jetzt voraus gesagt ‒ wird der höchste Opferträger sprechen:

«Niemand hat größere Liebe,

denn das er sein Leben läßt für seine Freunde!»

19. Ein Freund denen sein, die nackt vor Gottes Schöpferaugen stehen! Einem Bettler gabst du nie ein böses Wort, wenn einer für die Gabe mäßig dankte. Wenn du schon also handelst und weißt es nicht, woher du kamst, wohin du gehst (vom Licht ins Licht), so sage mir, ob unser Vater-Gott wohl weniger tut als du?, oder wir? Viele von uns sind durch die Materie gegangen, deren Vorzeit du nicht wissen kannst und mußte jeder seine Lasten tragen.

20. Gott ist der höchste Freund, der Sein Leben gibt für alle, die das Opfer aus Erbarmung brauchen." / Fragt Naemi: "Gott kann doch nicht sterben? Da müßten alle Schöpfungen vergehen. Wäre Er schon tot aus eigenem Willen, wer soll regieren?, wer die Welt erhalten, wer die Sonne, Sterne, Mond, das ganze Firmament?"

21. "Ganz recht, wenn es auch nicht völlig stimmt. Das Leben, das der Schöpfer Selber ist, wird niemals sterben, wird nicht den armen Freunden aufgeopfert, weil da jede Schöpfung untergehen müßte. Es gäbe dann ein Nichts im Nichts! Aber so ist es gemeint und, wenn nicht anders möglich, vorgesehen:

22. Der Herr gibt einen Teil aus Seinem Wesen her, der wie ein Mensch, zur dunklen Tiefe geht: für die Gesamtmaterie. In dieser Teilung braucht Gott nicht Sein Opfer überall zu wiederholen. Er tut alle Dinge nur einmal! Das durchstrahlt erst Seine Tiefe, Seine Höhe, Weite und die Nähe, Sein Inneres und Äußeres, das Lichtgefilde ohne Schau und was wir sehen dürfen, was besagt, daß Sein eines Tun für die UR-Ewigkeit zu gelten hat!

23. Eben dieser, eine Teil ‒ erschrecke nicht, Naemi ‒ wird menschlich wandeln, ohne wirklich Mensch zu sein und wird doch das Menschtum völlig an sich ziehen. Diesen Teil unterstellt Er aus Sich Selbst den Lebens- und den Weltgesetzen, daß ‒ wie etwa möglich wird, was wir wissen, nur noch nicht zu künden ist ‒‚ derselbe 'Menschteil' sterben kann, im Opfertod für alle Freunde: für die treuen und die ungetreuen! Denn GOTT ist der höchste Freund und niemand ist, der neben Ihm im gleichen Range steht!“

24. Du bist über dieses kommende 'Entsetzen' tief erschüttert, das geschehen kann, weil du, vom Geiste her begabt, es 'siehst', was im Volke deines Mannes vor sich gehen wird. Ich löse diese Last; sie ist keine Gnadenbürde ‒ jetzt noch nicht, Naemi. Die Späteren werden Last und Bürde tragen müssen, die Menschen und die Wesen aus der Finsternis."

25. Das Licht nimmt das klein gewordene Weiblein auf den Schoß, und es ruht für eine Weile wie ein müdes Kind an einem Herzen, das die Freundschaft von dem höchsten Freund für sie hernieder trug. Und sie schlummert ein. Die Männer, an der Öffnung stehend, hörten alles, nun gehn sie mit dem zweiten Jüngling still zurück.

26. Der Richter hat sie sehr bedrückt, trotz des Lichtes Hilfe. / 'Wenn diese nicht gewesen wäre, da wäre alles schief gegangen', denkt Fürst Pereztha. / Der zweite Helle sagt entlastend: "In einem hast du recht; doch den 'großen Anschnitt' hättet ihr erreicht. Es war bloß besser und vom Vater-Gott bestimmt, daß der 'ganze Schnitt' geschah. Dir vorher gesagt: man wird dich wählen als Ersten über allem Volk, bis die Stämme sich zusammenfinden, um ein geeintes Regiment zu bilden."

27. "Ich protestiere gegen einen König", erklärt Laban. / Selemech Nick: "Ich auch Man sieht es an den Heidenvölkern, was ein König mit sich bringt. Sie sind im eigenen Bereich nicht einig, nicht eines mit dem anderen. Was also hätte denn ein König dieser Welt für einen Zweck?"

28. Sagt der Jüngling: "Ein solcher führt nicht weiter, als ein Volk, von Dunkelheit befangen, stecken bleibt. Es sei nicht euch zur Last gelegt", zeigt er rundum, "auch euer Israel ist in Finsternis verstrickt. Dagegen hilft kein äußeres Regime, es mag heißen wie es will. Da hilft nur die Willensbeugung an den Schöpfer aller Lebensdinge! Ob das je ein Volk erreicht? ‒ Ihr seid gewiß der Hilfe, doch auch im Ungewissen kann die Hoffnung existieren, die zur positiven Schwingung führt, selbst wenn sie sich allein aufs Geistige verlagern läßt. Im weltlich absoluten Wissen, das ein Ding verneint, gibt es keine Hoffnung und bleibt demnach schwingungsarm.

29. Anders gilt's bei denen, deren Geist ‒ soweit hier möglich ‒ eine Vorherrschaft besitzt und die Seele sich zu Gott erheben läßt. Da gilt sogar das absolute Wissen, nämlich die Gewißheit, daß Gott im Regimente sitzt, obwohl die Weltlichen sich ganz verkehren; das hilft den Weg bezwingen, das Äußere überwinden, womit sich alles regeln läßt. Ihr werdet es erfahren, daß über jeder Weltkluft Gottes 'Gnadenbogen' steht! Jetzt ruht aus, es wird an diesem Tag noch allerlei geschehen, daran ihr merkt, daß auch größte Finsternis die GÜTE GOTTES nicht verschlingen kann."

*

(in Haneas Haus)

30. Ruth und Hanea hörten fleißig zu. / Nun sagt Hanea: "Ich will nach meiner Freundin sehen, sie ist im Morgengrauen in ihr Haus gegangen und niemand hat sie mehr gesehen. Die Trümmer müssen sie doch so bedrücken, je länger sie in ihnen weilt," Auch Ruth ängstigt sich um die Naemi-Mutter.

31. Boas zieht die Frauen an den Tisch zurück. "Wo des Vaters lieber Helfer wirkt, da sagt, was unsere kleine Hand vermag. Ihr meint es gut; besser aber hilft der Herr in aller Trübsal, die Naemi seit zehn Jahren trägt. Zwar ist das letzte Stück das Schwerste, das auf ihrer Seele lastet; aber laßt den Himmelsfreunden über, was für uns zum Besten zu geschehen hat."

32. "Recht gesprochen", sagt Pereztha. "Ein Zeichen echter Liebe! Es ist nicht ganz so leicht zu unterscheiden: wo soll man den Höchsten Selber wirken lassen, wo dürfen wir die Hände rühren. Ja ja, euch Himmelsboten fällt's nicht schwer, während bei uns Menschen manches Wirrnis sich ergibt."

33. "Darüber sei einiges gesagt, dann werdet ihr erkennen, ob uns die Unterscheidung leichter fällt. Leichter dahingehend: Seht, wenn Gott Seine Engel sendet, daß sie sichtbar kommen sollen, dann sind es solche, die bereits den Beihilfsweg durch die Materie gegangen sind. Diese haben den Kontakt mit euch, weil einen Weltweg selbst erlebt. Insofern ist es leicht, den Unterschied herauszuschälen: 1) wo steht GOTT allein im Helferstand; 2) wo dürfen wir aus unserer Erkenntnis handeln.

34. Lichtkindgeister, die noch keinen Weltweg gingen ‒ sie tun es noch ‒‚ kommen unsichtbar ins Weltenall. Glaubt aber nicht, daß darum deren Hilfe weniger kräftig wäre als die unsere. Nur steht im Vordergrund bei ihnen Gottes Führung; über uns, die Sichtbaren, zeigt sie sich geheim, weil wir durch den Beihilfsweg in manchem selber handeln können.

35. Macht keine Unterschiede zwischen uns. In der TREUE, die wir dem Schöpfer-Gott bewahren, stehen wir auf gleicher Stufe. In Hinsicht einer offenen und geheimen Hilfe ist nur für euch Menschen solcher Unterschied gegeben. Das habt ihr verstanden und so warten wir, bis mein Bruder die Naemi bringt."

*

36. Hanea hatte für die Männer Matten[3] ausgebreitet, selber zieht sie sich mit Ruth in ihr Gemach zurück. Ach, ja, sie ist nicht mehr die Jüngste und die Arbeit samt der Sorge zehrt an ihrer Kraft. So geht eine gute Stunde um. Die Schläfer werden wach, als sich am Hause Schritte hören lassen.

37. Es ist der Führer, der die schlafende Naemi bringt. / Hanea will sie in ein Zimmer tragen. / "Mir fällt es leichter", sagt der Helle, "richte eine Liege, Naemi ist erschöpft." / "Ich pflege sie", ruft Ruth. / Im Oberteil des Hauses öffnet Hanea die hellste Kammer, und bald ist die müde, kranke Frau gebettet. / Ruth weint leise vor sich hin, sie hat Naemi lieb.

38. Der Helle streichelt ihre braunen Wangen. "Sie ist nicht schwer erkrankt, nur erschöpft. In wenig Tagen ist Naemi wieder auf." / Flüstert Ruth: "Ich bin so dankbar daß ich zu ihrem Glauben kam, dem Herrn zu danken weiß und auch dir, der du uns geholfen hast. Jetzt wieder." Sie küßt die helle Hand. / Er läßt's geschehen mit so liebem Lächeln, daß Ruth es weiß: In Liebe umgewandelt für den Herrn! Ein paar Tage lang ‒ vorausgesagt ‒ bleibt Ruth auch nachts bei ihrer Mutter. So erfährt sie es erst später, was sich indessen zugetragen hat …der nächste Tag.

*

39. Am Horizont verglüht die Sonne, als ein Zug von Männern vor dem Haus erscheint. Knechte eilen, um die Tiere abzunehmen, Boas tritt mit einem Hellen vor die Pforte, um zu sehen, wer die Leute wären. Er erkennt einige der Ältesten von Jerusalem, die mit beim Richter waren; die meisten sind ihm unbekannt. Der Kleidung nach sind sie Höhere des Volkes. Was sie wohl wollen? Die Hellen hatten nichts verlauten lassen.

40. Einer stellt sich vor. "Ich bin Sinehas von Emmaus. In der Frühe kamen drei Jerusalemer Älteste, mir die Richtersache darzutun, Gott unsrer Väter sei gedankt: der Schakal kam zur Strecke! Wir holten nahe alle Ältesten zusammen. Fürst Pereztha soll nun Richter sein und wir bemühen uns, daß das Volk die Wahl bestätigt, bis Friede werde unter den zwölf Stämmen."

41. "Tretet ein", bittet Boas. / "Du bist der Sohn des Hauses?" fragt Sinehas. "Wer ist der Junge? Ich meine …" / "Es ist nicht des Vaters Brudersohn"[4], fällt Boas in die Rede, "der ‒ kommt er wieder heim ‒ der eigentliche Erbe ist. Sie waren ausgewandert und bis jetzt ist von der Sippschaft niemand heimgekehrt. Immerhin ich muß warten, bis …"

42. "Gehen wir hinein!" Sinehas Blick fällt sonderbar auf Gottes Sendling / und der sagt: "Du wirst mit mir zufrieden sein, auch wenn ich jung erscheine." / Ist's ein Schreck, der ihn überfällt? Pah… Die Fürstensache ist zu wichtig, als daß man sie um eines Jungen willen auf die Seite schiebt.

43. Hanea, die an der Fensteröffnung stand, beauftragt ihre Mägde, ein Mahl zu richten, und im Saal die Lagerstätten. Selbst bleibt sie im Hintergrund, als die Männer eingetreten sind und die Anwesenden begrüßen. Nicht gleich stürmt man aufs Ziel. Verwundert sind die vierundzwanzig, als sie ‚einen Bruder' jenes Jungen mit am Tische sitzend finden.

44. 'Daß sie nicht zu Israel gehören, sieht man auf den ersten Blick. Sie sind von der Beratung auszuschießen. Offensichtlich sind der Fürst, Boas, Selemech und Laban von den Jungen eingenommen. Das wundert alle sehr, denn der Fürst ist unbestechlich und ein großer Menschenkenner. Er hat schon manchem Mann das Innerste zum Äußeren gekehrt, wenn im Inneren was 'faul' gewesen war. Läßt er sich von Knaben täuschen…?'

45. Pereztha lächelt vor sich hin. Wie wenn er den Gedanken wie ein Wort vernommen hätte, so spiegelt sich's in ihn. Nachdem das Mahl verzehrt und ein Wein getrunken wurde, rückt Sinehas als Sprecher für die anderen mit seinem Plan heraus. Er rollt erst das Bild der letzten Zeiten auf, wie unsicher man durch Uneinigkeit der Stämme unter sich gewesen sei, die kleinen und die großen Fehden, und daß das Recht aus den Gesetzen nichts mehr gilt. Er vergißt dabei zu sagen: 'Die Gott-Gebote'!

46. Er sagt er hastig weiter: "Eben darum sind wir überein gekommen, daß über das gesamte Volk ein Fürst zu setzen sei. Wenn die andern Stämme hören, was sich zugetragen hat und sich die Nachbarvölker unsere Uneinigkeit zu Nutze machen, da werden alle unsern Vorschlag akzeptieren." Er erfaßt des Fürsten Hände, "Du sollst das Oberhaupt des Volkes sein!

47. Nimm an!" fleht er, als der Fürst verneint, weil im letzten großen Rat gefordert ward: jeder Stamm für sich! Dieser Wahn wird Israel zerstören, früher oder später, denn die Uneinigkeit wurzelt allzu tief. Immerhin ‒ muß man für das Volk nicht Opfer bringen? Ja, es würde eine Last, um es zu erhalten, die den einzelnen ‒ eben ihn ‒ zermalmen kann.

48. Da sieht Pereztha in den hellen Augen einen Funken, wie ein 'ja, nimm trotzdem an'. Der Fürst ist gläubig, nicht so im Gebrauch der äußerlichen Satzung, von der er nicht viel hält. Nein ‒ an seinem Gott hängt seine Seele. Oft hat er erlebt, daß GOTT noch stets zu helfen wußte. Wie letzthin auch und ‒ durch die Jungen. Er sagt jedoch bedächtig:

49. "Erst prüfen, ob ich des Amtes würdig sowie fähig bin. Es kommt darauf an, ob das ganze Volk die Vorwahl anerkennt." / "Nun", meldet Laban sich, "daran glaube ich. Daß du würdig bist", er sieht den Fürsten herzlich an, "braucht nicht geprüft zu werden. Wie jeder Stamm entscheidet, ist abzuwarten. Aber wie die Dinge liegen, bin ich überzeugt, daß jeder freudig mit beschließt; denn die Angst sitzt allen in den Knochen."

50. Sagt der erste Jüngling: "Aus Angst zu wählen, das hat keinerlei Bestand. Sobald die Angst vorüber ist, stellt jeder seine Eigensucht vors Haus. Eure Wahl ist zwar auch Gottes Wahl, weil, …" / "Erlaube mal", wird Sinehas heiß, "wo hast du deine Weisheit her?" Er lacht so spöttisch, daß Boas mit den Fäusten fuchtelt, so ärgert ihn die Ironie.

51. "Du sprichst vom 'Gott unsrer Väter', als ob…" / "Ist er nicht dein Gott?" fragt der zweite Helle. / "Komm' mir nicht mit solchen Reden", schimpft Sinehas. "Selbstredend ist der Gott unserer Väter auch der meine!" / "Da solltest du so sprechen", rügt der Erste, "und Gott nicht in eine Zeit verbannen, die du gar nicht kennst. Ob wir beide…", deutet er auf sich und seinen Bruder, "…unserem Gott sehr nahe stehen, wirst du allzu bald erleben!"

52. "Mit der Jugend ist's ein Kreuz!" Sinehas wischt sich den Schweiß von seiner Stirn. "Sie will die erste Zimbel spielen und ist grün hinter beiden Ohren!" / Lacht Selemech: "Abwarten wer am grünsten ist ‒ ich meine nur in Punkto Gott-Erkenntnis. Aber laßt uns erst das Wichtigste bereinigen." Die drei Jerusalemer Ältesten, die die Hellen kennen, schmunzeln auch in sich hinein.

53. "Ich rate dir, Pereztha, anzunehmen", sagt Selemech. "Nicht von ungefähr, daß des Lichtes Boten bei uns sind." Er deutet zur Verwunderung der Räte, die die Hellen noch nicht kennen, was er selbst von diesen hält. Ach, denken sie, hier wirkt ein Asmodi, einer, der uns ganz verwirren will.

54. Schade, man hatte auf Pereztha so gehofft. Nun ist er samt den andern in ein Wespennest geraten. Daß es 'böse Geister' gibt, steht fest für sie, aber nicht, daß sie den Hohen Geist nicht wirklich kennen. / Sinehas gibt der Gruppe einen Wink, um aufzubrechen, obwohl die Nacht bereits den Himmel überzieht. Da hält der erste Jüngling ihn zurück, ernst mahnend:

55. "Prüfst du nicht, was es für Bewandtnis mit uns hat? Oder glaubst du, nur ihr Alten wäret weise? Wo ist denn deine Weisheit, wenn du das Prüfen unterläßt? Die Gasse in die Nacht hinein kann gefährlich werden. Nicht für dich persönlich! Die Sache ist gemeint, die schon beim ersten kleinen Sturm gekentert ist.

56. Brause nicht gleich auf, weil das ein 'Knabe' sagt. Du hast still für dich gefleht, Gott möge eure Not bedenken und dir zur Ehre angefügt ‒ auch die Glaubensnot hast du gemeint. Denn wenn bei euch so böse Richter lange Zeit regieren können, gern zum Schaden eurer Nachbarn, ist das noch der Glaube aus der Lehre Gottes, die euch der treue Mose hinterlassen hat?

57. Wo ist der Glaube an die Zehn Gebote? Wo der gute Wille, sie zu halten? Ah, man hat Weltgesetze formuliert und stellt sie über die Gebote Gottes! Kannst du mir mein Wissen widerlegen, dann sorge ich dafür ‒ und sei gewiß, um dich zu bekehren, gibt GOTT Sein 'Ja' dazu ‒‚ daß du der Erste wirst und Israel regierst!"

58. "Das kann ich nicht, dazu fehlen mir die Gaben. Aber woher weißt du, was ich morgens sprach? Niemand hörte mich als " / "GOTT!?" / Jetzt ist's kalter Schweiß, der Sinehas am Rücken nieder rinnt. Die noch unwissenden Männer ziehen sich bis an die Wand zurück. "Ja ja, als Gott allein", murmelt Sinehas.

59. "Wenn du das nun weißt… Wer bist du? …Denn? Bist du ‒ ach, Gott zeigt sich nicht als Blättchen, das erst wachsen muß. Und ich bin auch nicht würdig, Ihn wie Abraham und Mose zu erleben." / "Um der Demut willen stimmt's. Gott würde Sich auch anders zeigen, als wir beide es jetzt tun. Weißt du aus eurer Frühgeschichte nicht, daß Gott manchmal Engel sandte, wie zu Sodom und Gomorra, auch zur ungetreuen Hagar in die Wüste?"

60. Man weiß es wohl; doch diese Gnadenzeit ist längst versunken wie ‒ der echte Glaube auch versunken ist. Wir sind nicht reif, daß uns Engel in den armen Weltendingen helfen. Fragen, die das Herz erschüttern, das Erkenntnisziel nicht sehen lassen. Laban holt die Männer wieder an den Tisch zurück.

61. "Hört zu, liebe Brüder! Hernach entscheidet selbst, ob das, was sich bei uns zugetragen hat, die Wahrheit ist. Niemand außer Gott hörte das Gebet des Sinehas, wurde aber offenbart. So muß ein Bote Gottes bei uns sein oder ein Prophet." / Laban hängt absichtlich eine kleine Atempause an.

62. Pereztha, Selemech und Boas nicken, / so daß es Sinehas entfährt: "Wenn das, der Gedanke, wenn …" Er stottert eine Weile, / bis Hanea sagt: "Es soll dich nicht als einer von den Ältesten betrüben, wenn ich als Frau bekenne: ich habe es sofort gemerkt, daß die 'lichten Freunde' nicht von dieser Erde sind. Ob es Engel wären, hab' ich nicht erwogen, doch als 'Boten Gottes' habe ich sie gleich erkannt. Kann denn der Höchste nicht durch liebe Menschen wirken, wie durch einen Engel?"

63. "Können schon", gibt ein Ältester zu, "nur bedenke, daß ‒ soweit wir von den Völkern rundum wissen ‒ keines unsern Ein-Gott-Glauben hat. Daher sind sie nicht mit Ihm verbunden und Gott kann durch sie nicht wirken. Und Engel…? Ich weiß nicht, ob das heutzutage noch möglich ist."

64. "Ich muß dir deine Fehler stechen", sagt ein Heller. "Einmal gibst du zu, Gott könnte, zum anderen verneinst du es. Ob Gott kann, das streiche, weil Er allzeit tut! Im Ja, im Nein, verhüllt, offen, das überlasse Ihm, dem 'Heiligen von Israel', wie ihr gern betont. Von Israel, das gilt, nämlich von, dem himmlischen! Er könnte wohl für euch der Heilige sein, befolgte man die heiligen Gebote. Dann wäre dieses Volk ein guter Abglanz jenes himmlischen, zu dem der gute Mensch gehören darf.

65. Was nun die Völker anbelangt, nennt ihr sie zwar Heiden, weil sie Kräfte 'Götter' nennen. Natürlich ist es falsch, allein bedenkt: sie glauben an die Überlieferungen ohne wahres Wissen. Es gibt da Menschen, die sich mit eueren Guten durchaus messen können, Naemi wird euch das bestätigen. Sollten also diese, nur weil sie völkisch anders sind als ihr, nicht eben auch die innere Verbindung mit der Gottheit haben? Kommt es denn aufs völkische oder auf die Seelen an, die geläutert sind? Könnte daher Gott sie nicht verwenden, daß Sein Wille auf der Welt geschieht?

66. Ist's nicht Hochmut, denkt ihr nur von euch erhaben und auf alle andern wird herabgeblickt? Ist's mit dem Gebot der Nächstenliebe zu vereinigen? O, wenn ihr reuig werdet, könnt ihr gute Samensträger sein und entsprechend mit zum Botendienst Verwendung finden. Und das möchtet ihr doch gern?"

67. "Wäre es uns möglich", sagt ein Ältester, "ich rief: 'Herr, ich bin bereit!' Mir ist es nunmehr klar geworden, daß ihr", er meint die Hellen, "Gottes Boten seid und will nicht fragen: Engel oder Mensch. Eins von beiden seid ihr ganz gewiß! Doch verzeih, daß ich unterbrach. Du wolltest noch von andern Völkern uns verkünden. Wir hören gern."

68. Der Helle lehrt: "Es ist kein Schade, weil ihr, der Zeit gemäß, die Gott der Welt diktiert, im Verhältnis wenig wißt von eben eurer Welt, wie groß sie ist und was auf ihr geschieht. Das heut' zu deuten führt zu weit und nützt euch nichts. Aber das: Fernab gibt es Völker, kleine und auch größere, die an eine Allmacht glauben, ganz gleich, wie sie es bezeichnen. Der äußerliche Name, der aus eines Volkes Sprachschatz steigt, ist für Gott belanglos. Er kennt ja Seine Erdenkinder ebenso wie die vom Licht.

69. In den euch noch unbekannten Völkergruppen herrscht ein besseres Leben als bei euch und rundum vor. Manchem dieser Menschen ist es möglich, sich in somnambulen Zustand zu begeben, wobei der Geist in der wie körperlichen Manifestation erscheint, unter Gottes Führung oder eines Engels, der dazu beauftragt wird. So ist einzusehen, daß überall es Menschen gibt, die in Hinsicht eines Ein-Gott-Glaubens mit euch auf der gleichen Stufe stehen, ja sogar in ihrem Dasein weiter sind als ihr, geist-seelisch und auch in den naturbedingten Lebensäußerungen dieser Welt."

70. "O halte ein!" ruft der Älteste Herias. "Kann man denn so blöde sein? Ihr beide waret mit beim Richter, wie unsere Jerusalemer es erzählten. Da muß ich um Verzeihung bitten und", der Israele beugt sich bis zur Erde, "müssen wir uns vor euch neigen. Hattet ihr, die mit zugegen waren, jetzt gleichfalls einen Isis-Schleier, wie ich eben selbst?" Herias lacht verlegen.

71. Die drei verneinen es mit freundlichem Gesicht. / Sinehas meint: "Merkwürdig ist's, doch frage ich, ob ihr jetzt nicht irrt. Wenn Gott Seine Boten sendet, werden sie in ihrer Art und Weise ähnlich sein. Es kommt euch also bloß so vor, als wären es dieselben, die euch ‒ das Wunderbare gebe ich gern zu ‒ bei der heiklen Sache beigesprungen sind."

72. "Himmlisch, nicht bloß irdisch", versetzt der Fürst sarkastisch. "Mir traut ihr nicht zu sagen, ich ließe mich durch Ähnlichkeiten blenden. Dazu bekunde ich: unsere lieben Brüder aus dem Licht sind jene, die uns geholfen haben. Außerdem ‒ frage Laban, Selemech und Boas; und wenn vier Zeugen vor dir stehn, mein Sinehas, das mag dir wohl genügen. Oder nicht?"

73. Der fährt sich durch den etwas wirren Bart. "Hm, ich rede nicht dawider, weil ich nichts bezeugen kann. Ohne Kränkung sage ich, daß wir, die das Volk zu leiten haben, uns niemals bis zur Erde beugen brauchen, auch wenn …" / "… es Gottes Boten sind?" fragt Selemech. "Oder meinst du, weil die Helfer keine grauen Bärte tragen, wäre das nicht angebracht?"

74. Sinehas schüttelt es. Hier müssen Kräfte wirken, die ‒ ‒ Genau so hatte er gedacht. Ob es wirklich solche ‒ ‒ Der erste Helle setzt sich neben ihn, für Sinehas nicht zur reinen Freude. Gern rückte er ein wenig ab, allein an seiner andern Seite sitzt Herias.

75. Das Licht lächelt: "Darf ich dir erklären, was du nicht weißt?" Ha, sind dem Schöpfer Seine Menschen kümmerlich geraten, daß reife Männer von der Jugend sich belehren lassen sollen? Das Licht 'spießt' den Gedanken auch mit auf.

76. Der Fürst sagt ernst dazwischen: "Ich wäre dankbar, würde sich das Licht um mich bemühen, damit in vielen Dingen in mir helle wird! Ich verstehe aber Sinehas. Er ist durch das Erlebnis, das in nichts ins weltliche Gefüge paßt, erschüttert und fürchtet, sein Prestige als Ältester des Volkes zu verlieren. Ich bekenne jedoch frei:

77. Mein Rang ist vor dem Lichte null und nichtig. Ich vergebe mir nichts, wenn ich meine Himmelsbrüder bitte, mich zu lehren." / Manche ducken ihre Köpfe und der Emmauser (Sinehas) gibt klein bei: "Ich höre, was mir zu erklären ist."

78. "Das macht dich reifer, als du ahnst", wird ihm erwidert. "Ich stelle eine Frage: Was war vor der Welt? Das Lichtreich oder die Materie? Wurden sie zugleich erschaffen, von denen eure Erde einem Sandkorn gleicht? Kannst du diese Frage lösen?"

79. "Nein! Wir wissen nur aus alten Bilderschriften, daß unsere Welt viel später ward als andere. Ob es sich bei früheren Gebilden um jenes Reich gehandelt hat, das als Gottes Lichtreich anzusehen ist, hat ‒ soweit ich weiß ‒ noch niemand lösen können. Vielleicht wußte Mose mancherlei davon.

80. Unser Unwissen wird den Glauben nicht verringern, wenn wir da im Dunkeln tappen. Ah ‒ ein Strahl, der mir sozusagen eingeschossen ist", prüfend sieht er auf den Jüngling. "Gott, der Erschaffer aller Dinge, ist Geist, Licht, Heiligkeit, Reinheit und noch mehr, was allgemein uns Menschen fehlt. Wird also sicherlich das Reich zuerst gegründet worden sein."

81. "Es stimmt! Es fällt den Wanderern durch die Materie schwer, ein Problem zu lösen, das das Übersinnliche betrifft. So nennt man das, was der Weltverstand verneint. Übersinnlich ‒ über eng begrenzte Sinne gehend! O ja ‒ über allen Dingen der Materie schwebt Gottes SINN! Denn Er hat 'besonnen', Seine Innerwerke, die Er aus Seinen Fertigkeiten hob, ins Äußere zu stellen, geistig ‒ wohlgemerkt, um danach ein Kindervolk zu schaffen, das in und auf den Werken lebend sich entwickeln konnte.

82. Aus der Kardinalsfrage und der Antwort", folgt die Erläuterung, "läßt sich eine Himmelsleiter zimmern, auf der auch Irdisches zur Sprache kommen kann, weil ihr für das Volkswohl einzustehen habt. Nun könnt ihr wissen, daß das Reich zuerst erstand und wir, seine Bürger, es als unser Vaterland betrachten, ewig-unvergänglich! Durch den Hinfall eines Kindes, euch in vollem Ausmaß nicht bekannt, ward es nötig, ihm und seinem Anhang einen Ort zu schaffen, der allerdings ‒ vom Schöpfer aus gesehen ‒ längstens vorbereitet war, um einen Hinfall aufzufangen. Dieser Ort ward zur Materie, zu der auch eure kleine Welt gehört.

83. Um wieviel wichtiger ist der Sinn über aller Welt! Aus dem GEIST nimmt man die Kraft zum Regiment. Nachher ist es kein Problem, die Welt in sich zu überwinden. Aus dem 'Über-Sinn' ist jede Last zu tragen, eigene und fremde. Wer sich so vom Licht regieren läßt, kann ein guter König seines Volkes sein. Nicht wie eure Nachbarn haben. Nein ‒ König aus dem Geist und Können, das ist ein Regent, den Gott für seine Arbeit extra segnet."

84. Sagt Boas: "Mir wäre sehr zuwider, würden wir uns mit den Heiden auf die gleiche Stufe stellen, ich meine nur in dieser Hinsicht. Sonst ‒ überall gibt's gute Leute. Ich erkenne nur den Schöpfer als den KÖNIG aller Völker an. Der Glanz der Welt ist Herbstspinnweben, den ein leiser Hauch verweht. Und wer weiß, ob nicht GOTT in diesem Hauche wirkt."

85. "Hast mir aus dem Sinn gesprochen", sagt Pereztha. "Daß ich Fürst geworden bin, ist nur ein Erbe meiner Ahnen. Mich bei meinem Namen nennen, ist mir lieber. Eine Frage", wendet er sich an den Jüngling. / "Frage, andere haben dein Bedenken auch."

86. "Ein Bedenken ist's zwar nicht, weil sich bei Gottes Segen nichts bedenken läßt außer: hat man ihn verdient? Du sprachst von einem Extra-Segen und vom einen Gott, Der alle Dinge einmal tut (Hebr.9,12). Demnach müßte auch Sein Segen ohne Unterschiede fließen und nicht dem einen mehr, dem andern minder überkommen. Dürfte es nicht heißen: Gleiches Recht für alle?"

87. "Gottes Recht heißt GERECHTIGKEIT! Aber so: wie ein Kindlein kann nur wenig essen, ein größeres schon mehr, ein Erwachsener viel. So ist es mit der Seele, dem Gefäß, in das Segen, Gnade und …Gerechtigkeit zu gießen sind. In der Gerechtigkeit liegt das 'Gericht', was meist fälschlich angesehen wird. Nun, wie groß das Gefäß der Seele ist, soviel nur kann es fassen, mehr nicht, weil es bei dem Herrn kein 'überfließen' gibt.

88. Ob das nicht der Extra-Segen wäre? Nein! Was im Menschen wachsen soll, ist nicht der Geist, nicht einmal die Seele; denn beide sind das 'Wesen', wie der Schöpfer es erschuf. Aber die Erkenntnis, aus dem Suchen nach den Gottesdingen kommend, die muß wachsen. Logisch, daß dann aus Gottes Segen mehr hineingegeben wird. Bei Gott gibt's nur die vollen und die leeren Herzen. Eine Halbscheid kennt Er nicht! Allein ‒ Sein Segen bleibt sogar auf einem leeren Herzen, weil es ihn so bitter nötig braucht. ‒

89. Nun kommt der liebe Heißsporn an die Reihe, er kann sich an den Weltenkönigen nicht erwärmen. Immerhin – sind die meisten arm und brüchig, so darf bei denen, die wirkliche Regenten sind, das Wort 'König' auch mit gelten. Nennen wir es einen kleinsten Abglanz von der ganzen Herrlichkeit des Königs Zebaoth.

90. Keiner von euch wird es noch erleben, daß gerade hier, wo unser Boas sitzt, ein Knabe seine Heimstatt hat, der der zweite König (David) eures Volkes wird. Was sich ergibt, braucht nicht voraus gesagt zu werden; die Leute jener Zeit müssen die Probleme selber lösen. Weltlich aber hat Freund Boas recht; denn was Menschen sich zusammenschmieden, ist ein Bruchstück in des Höchsten Hand! Er kann's zusammenfügen, Er kann's zerstäuben und wird beiderlei Sein Segen sein."

91. Sinehas stellt eine neue Frage. "Von Mose wissen wir, daß zwei Zeugen gelten sollen (4.Mo.35,30). Auch spielt die 'Zwei' in vielen Dingen eine Rolle. Etwa dies: «Gott machte zwei Lichter, ein großes und ein kleines» (1. Mo.1,16). Im Zusammenhang damit, weil der Fürst von vier Zeugen sprach. Was hat das zu bedeuten?"

92. Der zweite Helle nickt ihm zu: "Du hast den Strahl in dich hineingesenkt, den dir mein Bruder leuchten ließ. Und du hast die Frage, wer wir sind, schon über Bord geworfen und dein Erkenntnisschiff hat flotte Fahrt gefunden. Die vier Zeugen haben eine tiefere Bewandtnis, als ihr es ahnt. Nun, ein Licht sei aufgesteckt, das Weltliche sei nebenher erwähnt. Die Vier ist nebst der Eins, Zwei und Sieben Gottes höchste Schöpferzahl. In diesen Zahlen offenbaren sich die Werke, enthüllt sich überall Sein heilig-hohes Manifest.

93. Die '1' ist ER, der Eine! Die '2' sind Er und Seine Werke, zumal der Vater und das Kindervolk gemeint. Da Er allein der Höchste und jedes Werk, zwar Seiner UR-Vollkommenheit entnommen, das 'zweite' ist, gilt nach Mose auch das große Licht der Gottheit, das kleine ihrem Volk. Dazu der Über-Sinn:

94. Das große Licht regiert den Tag, Gottes Offenbarung in Wort und Schau; das kleine in der Nacht zeigt an, daß die Kinder erst aus Gottes Lehre helle werden, wie euer Mond sein Licht sich von der Sonne borgt. Wie wunderbar: allgemein besitzt der Tag, das große Licht, sechzehn Stunden Regiment, pro Anteil eurer Welt, das kleine nur die Hälfte, was mit besagt: Gott schließt das Kleine in Sein ewig Großes ein.

95. Nun noch die '4', von der alte Schriften Zeugen. Es genügt ein Bild. Eden, inmitten Gottes Quell. Er inmitten jene segenspendende Labe. Ohne Wasser kann man keine Wüstenei durchqueren, ohne Gottes Segensquell existiert kein Kind. Und vier Ströme gingen aus vom Quell, aus GOTT hervor!

96. Die '7' kennt ihr als die sieben Gotteskräfte. Die '4' zeigt sich in allem, und ihr uns nicht kanntet, durch die vier Zeugen mit. Von Gottes Tiefst-Geistigem sei es jetzt genug, doch was noch zu erklären ist, steht nahebei. Betrachten wir des Herias 'Beugen bis zur Erde'.

97. Daß das für uns nicht nötig ist, könnt ihr wissen. Herias dachte dabei mehr an Gottes Offenbarung. Davor erstens hat er sich geneigt und vor uns, weil wir Gottes Gabe brachten. Insofern ist das Beugen auch gerecht. Da wir Gottes Söhne, Seine Töchter sind, brauchen wir uns gegenseitig nicht zu ehren, was so von Weltlichen als Ehrung angesehen wird.

98. Ein angemessener Respekt vor denen, die in guter Lebenskenntnis ihre Völker führen, gilt auch vor Gott. Doch in Angst und Schrecken sich verneigen und den Hochmut stärken, ist dem Herrn ein Greuel. Nackt kommt jeder Mensch zur Welt und ohne Habe werden sie zu Grab getragen. Pereztha gibt uns da ein gutes Beispiel ab. Es sei kein Lob", wendet er sich an den Fürsten, der leicht errötete. "Was das Licht enthüllt, ist immer eine Wahrheit, manchmal schwer, manchem auch zur Freude.

99. Gern gehn die Bittenden zu ihm, und nie kehrt er sein Fürstenamt hervor. Leutselig bis ins letzte, spricht er mit den Ärmsten, den Bedrängten. Darum haben viele ihn vor einem Tod bewahrt, den der Richter plante. Niemand hatte es erfahren, die guten Helfer blieben still. Hunderte hatten sich des nachts ums Haus geschart und des Richters Knechte zogen wieder ab."

100. "Ich weiß nichts davon", ruft der Fürst. Nachträglich sind die Ältesten entsetzt. Pereztha war von jeher aller Halt. / "Nenne mir die lieben Leute, ich möchte ihnen danken." / "Tu es nicht", rät der erste Helle. "Sie sind glücklich über ihre Tat, und wenn sie sich begegnen, nicken sie einander heimlich zu. Diese Herzensfreude ist geheiligt, und das bewahre still." / "Ja, dafür will ich um so mehr dem Schöpfer danken und Ihn bitten, meine 'lieben Leute' allesamt zu segnen ‒ mit dem Extra-Segen."

101. "Wähnst du, Gott täte es erst dann, wenn du Ihn bittest?" / "Wenn nicht, hat die Bitte keinen Wert." / "Im Gegenteil! Die stille Tat war schon gesegnet. Gott wartet nicht erst ab, bis einer kommt; Er weiß alles im voraus. Trotzdem sind die Bitten nie vergeblich. Wie ewig Seine Quelle fließt, so nimmt Er jede Bitte in den Segensfluß hinein. Mit einem Rückstrahl für den Bittenden. ‒ Nun noch Sinehas geheime Frage, ob dem Schöpfer Seine Menschen kümmerlich geraten wären, daß reife Männer sich von uns belehren lassen sollten. Da er nicht wußte, wer wir sind, war die Frage mit am Platz ‒ von der Weltsicht her betrachtet. Wir werden sehen, wie sich dieses Rätsel lösen läßt.

102. Sind des Schöpfers Werke innen oder außen voller Mängel? Bei euch Menschen, die ihr durch die Materie wandert, ist von Ihm aus alles gut, wie Er sprach: «Und siehe da, es war sehr gut!» Demnach sind Ihm auch die Menschen gut geraten, Seine Kindgeschöpfe, die Er die Weltenwege gehen läßt.

103. Seine Hellen nehmen das verschleuderte 'Gut' vom Fallkind auf, um es durch den Beihilfsweg zurückzubringen. Die Materie verdunkelt Seine Perlen, äußerlich – wohlgemerkt! Und dieses Äußerliche muß gereinigt werden, die Schlacken von dem Golde fallen. Das gilt für das Fallkind durch die Beihilfswege aller Hellen, erstrangig und darin alle Beihilfswege einbezogen ‒ durch das Opfer Gottes, das man 'Lustrum'[5] nennt.

104. Damit verbunden: wer ist älter, wir oder ihr?" Sagt Boas rasch: "Ihr beide, sonst hätte Gott euch nicht zu uns geschickt. Ein Kind kann keinem Manne helfen. Es handelt sich doch schließlich um des Geistes Reife oder ‒ nun ja, ihr seid als Lichtkindgeister, wie ihr euch nennt und im Reiche Gottes lebend, älter als wir Menschen. Daß ihr jugendlich erscheint, ist vielleicht ein weiteres Geheimnis, das wir noch nicht kennen. Der Geist altert nicht! Daher seid ihr auch vom Geiste her berechtigt, auf dieser Welt die alten Leute zu belehren."

105. Der Fürst, Selemech und Laban lächeln und ersterer sagt: "Seht an, unser Jüngster hat den Kern herausgeschält! Was sagst du jetzt dazu, Sinehas?" / Der schüttelt wunderlich den Kopf. "Komisch, daß die Jugend manchmal weiter ist als wir. Ich gebe Boas recht, und des Lichtes Lehre geht mir ein. Möge Gott mein Unwissen nicht als Unglauben angesehen haben."

106. "Mir ging es ebenso wie dir", bestätigte Herias. "Nun kann durch Gottes Güte unser Glaube auch bestehen. Oder nicht?" / "Wir haben es schon angedeutet: die Materie deckt viel vom Lichte zu, da, wo man nicht allzu tief den Spaten stößt.

107. Sinehas hat die unbekannte Kraft gespürt, als Selemech die Frage wegen eurer grauen Bärte stellte. Das zeigt an, daß auch zwischen Menschen möglich ist, Gedanken aufzunehmen. Ein Gedanke ist in sich schon eine Kraft. Denn nichts wird ohne sie bewegt, bewußt so wie unbewußt. Ihr merkt es nicht, wenn sich eure Innerkräfte regen, die die Gedanken produzieren.

108. Ihr fragt manchesmal: ‚Wo kommt der Gedanke her?‘ Ihr habt ihn nicht gewollt. Für böse müßt ihr selbst geradestehen, obgleich ihr sie nicht wolltet. Bei guten wird der weiße Mantel präsentiert. Der gute Kraftquell kommt vom Geist, von des Lichtes Existenz, teils dem Menschen unbewußt, denn zu leicht würde der materielle Seelenteil das Gute in das Gegenteil verkehren. Die minderen Gedanken kommen aus dem Dunkelteil der Seele, jenem Kraftanteil, einst vom Fallkind her verdorben.

109. Dankt ein Mensch dem Herrn für einen Lichtgedanken, alsdann wird er gleich ein Eigentum der Seele sein, wodurch ein finsterer Gedanke auszulöschen ist. Nimmt man sich vor, die finsteren Gedanken, jene 'woher gekommen'?, durch ernste Bittgebete auszumerzen, so steht alsobald der Geistteil an der Seelenpforte und treibt den Dunkelteil hinaus.

110. Noch wälzt Sinehas die Frage, ob Mose davon wußte. Er hat sogar sehr viel gewußt! Als einer von den sieben Fürsten[6] nahm sein Geist viel Licht in euere Welt herab. Aber offenbaren ‒? Wem waren die Geheimnisse zu künden? Mit einigen Treuen ließ sich das Himmlische besprechen. Diese sahen hie und da den Herrn, Mose aber oft in der ihm zubereiteten vollen Schau."

111. Sagt ein anderer der Männer, ob auf einer Himmelsleiter Irdisches hinaufzutragen sei. Er denke, daß das Weltliche 'oben' nichts zu suchen hätte. / "Ja, so wie du es meinst", wird er belehrt, "hast du es getroffen. Was man jedoch als Unrecht vor dem Herrn bekennen muß, geht mit hinauf. Ihr wisset jetzt, daß ihr als Wanderer vom Lichte ausgegangen seid, wie die Materiellen aus der Finsternis. Nicht die Armen einer äußerlichen Habe sind die Materiellen, nein, die einst Mitgefallenen sind gemeint.

112. Diese kommen aus sich selber selten bis zur Himmelsleiter; und nur kraft einer Hilfe steigen sie empor. Den großen Anteil schafft des Herrn Barmherzigkeit. Er hat sie in Sein Opfer eingeschlossen, ohne dem sie nie ins Licht gelangen würden. Gottes Heilsplan lautet:

Alle retten!

113. Weltliches läßt sich aufwärts tragen, nämlich was das Dasein oft so mühsam macht, was sich ohne Schuld ergibt. Dazu gehört sogar ein Glaubensschwanken, drückt die Bürde allzu schwer. Wichtig ist, daß man des Feindes Fehler mit zum Aufstieg schleppt, um durch echte Nächstenliebe seinem Feind vor Gott zu helfen."

114. "Wunderbar!" ruft der Älteste. "Ich danke dir, du hast mir eine große Lampe angezündet." / "Uns allen", beteuert Selemech. "Hat Jakob seine Weltlast sprossenweis hinaufgebracht?" / "Ja, und es war nicht wenig, was an Eigenschuld mit auszugleichen war. Immerhin ‒ er hatte einen Sonderweg erhalten und trug Esaus Lasten mit hinauf.

115. Nun könnt ihr lange von des Himmels Gaben zehren, Euch zum Trost gesagt: es geht nichts verloren." Still sitzt man da, aber weil es spät geworden ist, geht man schlafen, mit dankerfüllten Herzen, weil sie diese Herrlichkeit erleben durften.

 

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Kap. 10

Die Ährenleserin – Der Ernteschmaus

Ruths Wort: 'Wo du hingehst …'

1 . Hanea sitzt ihrem Sohne gegenüber. Die Freunde sind vor Tagen abgereist; des Fürsten Wahl erforderte, daß jeder Älteste in seiner Pflegschaft Sorge trägt, damit der Fürst ans Ruder kommt. Aber das die Himmlischen am Morgen nach der denkwürdigen Lehre nicht mehr anzutreffen waren, hat sie allesamt bedrückt, …gerade jetzt, wo sich so viel entscheiden soll.

2. Da tritt Ruth herein. Hanea hatte es bedauert, daß sie und Naemi jenen Wunderabend nicht erleben konnten. / Ruth sagt, Naemi wisse viel, sie selber wäre jung, da bliebe ihr noch Zeit, das Fehlende zu lernen. Die Pflege ihrer Mutter ginge vor. / "Tapfere Frau", hatte Boas seiner Mutter zugehaucht. / "Was ist, Ruth? Du bist aufgeregt", fragt Hanea.

3. "Hilf mir! Der Mutter geht es etwas besser und, sie will nun nach Jerusalem, um ihre Sache auszufechten, Ich weiß nicht, ob ich ihr das mit dem Richter sagen darf und sie warten müßte, bis ein neuer Richter ausgerufen wird."

4. Boas sieht verstohlen her. Er möchte Ruth, die so viel Bitternis des Lebens tragen mußte, wie eine Schwester lieben, oder… / Sagt Hanea: „Komm, ich gehe mit hinauf. Es ist allerlei geschehen, was du noch nicht weißt. Gutes, liebe Ruth, obgleich noch manche Schatten auf euch liegen. Jedes Ding braucht seine Zeit; doch glaube ich bestimmt, daß kein Jahr vergeht, und Naemi sitzt mit dir auf ihrem großen Grund."

*

5. Oben geht Naemi schwankend auf und ab, für sich murmelnd: "Was würde Freund Corusja sagen, wenn ich seiner Tochter kein Zuhause bieten kann ‒? Wenn auch gute Nachbarn, sind wir doch auf fremde Hilfe angewiesen. Knecht und Magd verdienen sich ihr täglich Brot bei anderen und opfern jede freie Zeit für mich. Das kann nicht so weiter gehen. Herr, hilf!"

6. "Er hat bereits geholfen!" Hanea drückt Naemi auf ihr Lager und setzt sich neben sie. "Du warst krank und mußt dich schonen. Nach Jerusalem brauchst du nicht, deine Sache ist in besten Händen." / "Ja, mein Jüngling sorgt für mich. Wo ist er denn?" / "Du weißt es ebenso wie ich: er ist kein Irdischer. Gottes Boten kommen dann und wann, nicht wahr? Nun höre zu."

7. Hanea berichtet, was sich zugetragen hat und daß Pereztha an das Ruder käme. Des Rechtes wegen müsse er die Fälle, wie sie der Reihe nach geschahen, erledigen, sonst gäbe es gleich böses Blut. Naemis Sache wolle er so bald als möglich führen. "Er meint…", fügt Hanea zaghaft an, "…es könne ein paar Monde sein, du mögest dich gedulden und ‒ mir bist du keine Fremde, Ruth gleichfalls nicht. Laß nur erst die Erntezeit vorüber sein, dann können unsere Leute dir in allem helfen."

8. Ruth nimmt Naemis Hände. "Bitte tue so, wie Hanea geraten hat. In deinem Haus ist eine kleine Kammer fertig, da wohnen wir zunächst in deinem Eigentum." / "Ja, meine Tochter; was aber hast du für mich aufgegeben? Deines Vaters Haus, in dem du wohlbehütet wohntest. Hier hast du Bitterkeit und weiß ich nicht, wie ich dich ernähren soll."

9. Ruths Augen glänzen: "O Mutter, was wiegt äußerliche Armut gegen deine Liebe, gegen deinen Glauben, in dessen Gnade du mich eingeschlossen hast? Sei nicht mehr traurig! Allzeit hast du auf den Herrn vertraut, deinem ‒ meinem Gott, Dem du mich in Seine Hände legtest. Das Himmlische hast du nie um Weltendinge eingetauscht. Sieh: so mag das Weltliche mir ganz entschwinden, wenn ich nur in deinem Glauben bin und in deiner Liebe und in deinem Vaterland!"

10. Hanea staunt. Das war ein Heidenkind? Wie oft wird hier bei einem Ungemach gezankt, wo doch ‒ Ah ja, was? arme Tröpfe, glaubenslose Seelen sind's! Dagegen Ruth? Vom Vaterhaus entfernt, den geliebten Mann verloren, ehe sie so recht sein Weib hat werden können. Und dann das Vertrauen, diese Liebe! Flüchtiger Gedanke: 'Sie wäre mir das rechte Weib für meinen Sohn.'

11. Dabei steht über ihrem Hause auch ein Schatten. Wer weiß, wie alles kommt. Schon ruft sie sich zur Ordnung auf: ‚Vertraue, wie die liebe Heidin.‘ Naemi legt ihre Hände auf Ruths Haupt, ihre Stimme zittert: "Dich hat der Herr mir beigegeben, Er segne dich für deine Treue! Aber das… ich kannte unseren Fürsten; Elimelech war mit ihm befreundet. Wenn er ans Ruder kommt, da will ich gerne warten, bis ich an der Reihe bin. Nur bis es soweit ist …" "O Mutter, denke nicht, ich hätte bloß gepflegte Hände, wie es bei uns üblich war. Nein, ich werde für uns schaffen! Jetzt leg' dich wieder hin, ich sehe dann nach dir." Gern läßt sich Naemi betten, sie ist noch müde und so schwach.

12. Ruth geht mit hinab und fragt: "Würdet ihr erlauben, daß ich auf euren Feldern Ähren lese?" / "Aber Ruth, das brauchst du nicht, wir sorgen doch für euch!" / "Ich möchte gern. Eine Hilfe kann man eine Zeit hindurch ertragen, allein für lange…? Nein! Bloß wer keine Ehre hat, streckt unentwegt die Hände aus, ohne seine eigenen zu rühren.

13. Mein Vater hat uns Kinder ehrenhaft erzogen; also will ich mich jetzt regen, zumal es eure Felder sind." / "Gutes Kind!" Da sieht man wieder mal, wie engstirnig die Leute sind, die immer auf die Heiden schimpfen und sich selbst mit Gold und Purpur schmücken ‒ außen und auch innen. 'Ich habe von der Heidin viel gelernt', denkt Hanea und daß sie von dem 'alten Zopf' schon viel verloren hat. Boas hatte nichts von dem gehört, was beide Frauen sprachen; er war aufs Feld gegangen. Hanea führt Ruth zur Bank, die an einer Wand hinter einem großen Tische steht.

14. "Frage erst Naemi, ob du Ähren lesen sollst. Von mir aus 'ja'; und Boas wird es dir nicht wehren. Rundum, aus dummem Stolz, werden Ährenleserinen schief betrachtet. Man nennt sie ‚Bettelvolk‘. Laß dich dessen aber nicht betrüben."

15. Ruth ist höchst verwundert. "Bei uns werden Ährenleserinnen stets belobt, weil sie das, was die Götter uns bescheren ‒ jetzt sage ich ja 'unser Gott' ‒‚ nicht verderben lassen. Es ist doch so: manchmal hat der Landmann bei der Ernte nicht genügend Leute, die jede Ähre einzeln bergen. Man läßt allerdings, wo keine Leserinnen sind, das Vieh hernach aufs Feld, damit nichts verloren geht. Doch den Tieren dient das Stroh und Gras, den Menschen alles gute Korn, Denkst du nicht ebenso?"

16. "Bist noch so jung und klug und gut; paß auf, ich werde nicht mit Boas sprechen, wir warten ab, wie er reagiert. Nachher ist's noch Zeit, daß ich ein Wörtchen mit ihm rede." Das tut Hanea, damit Ruth ihren Sohn von seiner besten Seite kennen lernt, wie sie, Hanea, jetzt Ruth von deren guten Seite.

17. Naemi ist entsetzt. Sie weiß es ja, wie hierorts Ährenleserinnen angesehen werden. "Nie gebe ich das zu", sagt sie heftig. "Wenn das dein Vater wüßte, er würde mich zu Tod verachten! Du, sein jüngstes Kind, und dann hier verschimpft? Nein, meine Ruth, ich werde Ähren lesen; mir macht es gar nichts aus, wenn man mit Fingern auf mich zeigt. Aber du ‒ ‒?"

18. "Mutter, was die Leute sagen, ist mir ganz egal. Die sind bloß eingebildet, weiter nichts. Lasse sie doch hetzen! Sie machen sich ihr Leben selber schwer. Wer mit Unrat wirft, bewirft sich selbst! Du hast dein Leben lang so viel getan, die Alten dürfen ruhen, die Jungen sollen schaffen. Bitte, laß mich gehn, ich glaube nicht, daß Boas mich vom Felde jagt."

19. "Das tut er nicht." Naemi sähe gern, käme ihre Ruth ins Haus der Nachbarn. Wie hier die Dinge liegen ‒ eine Ährenleserin kann Boas nicht zum Weibe nehmen. Ein Traum versinkt. Diese Not! Nach langem hin und her gibt sie die Erlaubnis. "Für einen Tag, dann will ich sehen, wie es wird." Ruth verspricht es gern. Sie hat einen tiefen Glauben, nicht nur zu Gott, Dem sie vertraut; auch Hanea und Boas vertraut sie gern.

20. Der nächste Morgen dämmert. Man richtet schon auf einem großen Gerstenfeld die Garben auf. Ruth kommt mit ihrem Lesetuch. "Boas", bittet sie bescheiden, "darf ich Ähren lesen?" / "Du? Nein, Ruth, du weißt nicht, wie man hier …" / "Doch, ich weiß und sehe drüberweg. Ich verstehe eure Leute nicht. Ist's denn unehrenhaft, Gottes gute Gaben aufzuheben?"

21. "Hm." Boas sieht und hört, wie einige Mägde kichern. Wütend geht er auf sie zu. "Vorwärts, an die Arbeit! Und wehe, wer mit Fingern auf die Königstochter zeigt, die allein durch Unglück arm geworden ist! Ich gebiete euch: laßt mehr zwischen allen Garben liegen und nehmt der braven Ährenleserin nichts weg. Wer zuwider handelt, kann sein Bündel schnüren!"

22. Nie sprach Boas streng, allzeit war er freundlich. Heute…? Man macht sich stumm davon, bückt sich fleißig und tut, was anbefohlen worden war. Boas geht indessen heim und fragt die Mutter, wie er sich verhalten soll. Ruth ist der Schimpferei nicht auszusetzen, Hanea lächelt still verstohlen. Ah, da brennt es schon ein bißchen, sagt jedoch wie nebenher:

23. "Laß sie lesen, etwa kann jetzt eine Wende kommen." / "Ich habe angeordnet, daß man mit Absicht Ähren liegen lassen soll als üblich ist." / "So so! Nun, daran hast du recht getan. Ruth hat einen echten Stolz, den alle Menschen haben sollten. Statt dessen schmückt man sich mit Eitelkeit." / "Bringst du uns dann Brot aufs Feld? Durst gibt es auch. Wir wollen möglichst diese Woche fertig werden und kommen nicht zur Brotzeit heim."

24. "Die Hausmagd kommt," Boas eilt wieder fort. Trotz Verbot gibt es Sticheleien. Ruth geht jetzt am Rand des Feldes, wo wenig Ähren liegen. / Boas merkt sofort das grausame Spiel. Er ruft einer Magd: "Gestehe, wer hat gestichelt!" / "Ich verrate niemand." / "Damit hast du eingestanden, daß ihr unsern Gast beleidigt habt. Heraus mit der Sprache, aber schnell!"

25. Ein Knecht kommt hinzu. "Boas, wenn du ein dummes Maul entläßt, gehn wir alle und kannst du sehn, wie du die Ernte in die Scheuer bringst!" / "Du willst mir drohen?" Boas ist so aufgebracht wie nie in seinem Leben. "Ich trommele Bethlehem zusammen, auch ohne euch bringe ich die Ernte heim! Ob ihr sofort Arbeit findet, müßt ihr selber wissen." / Unter dichtbelaubten Bäumen hat die Hausmagd schon das Essen hingestellt.

26. Der Schnittermeister kommt, der bei allen Bauern tätig ist. Boas fragt ihn mit Absicht, wer die Dirne sei, die am Feldrand Ähren liest. Freundlich sieht der Schnitter auf das junge Weib. "Sie heißt Ruth und soll aus Moab mit Naemi hergekommen sein. Sie wäre eines Königs Tochter. Na, muß nicht gerade stimmen. Sie bat mich eben, ob sie lesen dürfe. Ich hab' es ihr erlaubt und denke, daß du nicht dawider bist."

27. "Keineswegs. Naemi ist bei meiner Mutter, krank, von der Mühsal ihrer langen Fahrt. Fürst Pereztha sorgt dafür, daß sie ihr Eigentum zurückerhält." / "Ah, das freut mich sehr! Ich kannte Elimelech gut, und himmelschreiend war das Unrecht, das ihm widerfuhr. Ob unser Fürst jedoch was richten kann?"

28. "Beraba ist abgesetzt und außer Landes." / "Was du nicht sagst! Wie kam denn das?" / "Komm' am Abend, ich erzähl' es dir." / "Ist die", der Schnittermeister zeigt auf Ruth, "wirklich eines Königs Tochter?" / "Ja! Halte mit, die Leute sollen essen." Er ruft allesamt herbei. Ruth setzt sich an einen Rain und drückt sich ein paar Körner aus den Ähren.

29. "Komme her!" ruft Boas. "Iß von unserm Brot; hernach sollst du durch die Garbenreihen gehen, da füllt sich rasch dein Lesetuch." / "Wie du willst, mein Herr." / Und Boas: "Von eurem Begleiter hörte ich, was du nach Elimelechs und nach deines Mannes Tode Gutes an Naemi hast getan, hast dein Vaterland verlassen und bist mit her zu seinem Volk gezogen, und du kanntest es doch nicht." Er sagt es laut, jeder soll es hören.

30. "Möge dir der Herr die Tat vergelten", spricht er weiter, "dein Lohn soll vollkommen sein vor Gott, zu Dem du hergekommen bist, daß du unter Seinen Flügeln stehst." / "Du tröstest mich." / Ruth schlägt die Augen zu ihm auf, so wundersam, Boas möchte sie am liebsten küssen. "Laß mich immer vor dir Gnade finden." Sie meint, daß sie bis zum Ernte-Ende lesen darf.

31. "Du ißt wenig." Boas gibt ihr viel geröstetes Korn. / Nun geht sie wieder ihrer Arbeit nach, still in sich gekehrt, denkt nicht, daß sie im Vaterhause nie die Arbeit einer Dienerin verrichten mußte, sich schmücken und lustwandeln konnte. Sie denkt einzig an Naemi und an ‒ 'ihren neuen Gott'.

32. Sie trägt ihr Tuch viermal hinüber in Naemis Haus. Dankbar sieht sie auf zum Firmament, von dem jene lehrte: 'Ein Symbol, denn Gott wohnt immer über uns. Er sieht auf uns herab und weiß, wessen wir bedürfen. Blicken wir hinauf ins Himmelszelt, so wahrhaftig auf zu Ihm, der unser aller Licht und Leben ist.' Ruth steht mitten in des Himmels rotem Abendglanz.

33. Sie geht ins Gemäuer und findet ihre Magd, die wieder eine Ecke säubert. Der Knecht nagelt eine Diele. Zu dritt worfeln sie die Körner aus. Als sie messen, ist es fast ein Bath (Epha, 36 Liter). / Die Magd, noch halb heidnisch, sagt: "Der Segen unsrer Götter! Nie hat ein Mensch an einem Tage soviel lesen können."

34. "Der Segen unseres Gottes", erwidert Ruth. "Lerne es, daß wir im Land des einen Gottes sind, der alle Wunder tut." / "Mag so stimmen. Und das viele Stroh, da werden unsre Ochsen heute satt." Magd und Knecht schlafen im Gemäuer, Ruth geht hinüber zu Naemi, die unruhig auf sie wartet.

35. "Wie ist es dir ergangen, liebe Tochter?" / Ruth erzählt von dem Bath und daß sie mit allen essen mußte. Sie bringt von 'ihrer Ernte' eine Schale Körner, frisch geröstet und ein Brot, das sie für Naemi übrig ließ, obwohl Hanea für jede Mahlzeit sorgt.

36. "Der Schnittermeister war sehr gut zu mir, ich brauchte nicht am Rand zu lesen." / "Hast du geweint?" Naemi sieht Ruth prüfend an. / Sie gesteht es ein, sagt aber gleich: "Man muß sich erst gewöhnen, am ersten Tag geht's nicht so leicht. Boas zankte seine Leute aus, was gar nicht nötig war. Morgen kommt das Mischfeld an die Reihe, da steht Weizen drin. Wir scheiden ihn, dann kann ich dir auch einen Kuchen hacken."

37. "Es geht mir besser, ich lese auch mit auf." / "Nein, die Magd darf mit aufs Feld. Was meinst du, wieviel wir nach Hause bringen? Das reicht lang." / "Und dann?" Nicht ohne Glauben, nur ungewiß gefragt. Gott tut nicht Wunder Tag für Tag; Er läßt die Menschen schaffen, den Weg durch die Materie mit allem Auf und Ab, oft schwer, immer aber segenreich.

38. Nach Tagen zieht Naemi in die Trümmer. Ringsum kahle Felder. Der Knecht holt aus einem fernen Haine junge Bäume und fragt niemand: 'Woher hast du sie?' Der ganze Ort steht auf Naemis Seite. Immerhin ‒ sie bedenkt es hin und her, wie sie Ruth zu einem richtigen Zuhause verhelfen könne.

39. Boas wäre wohl der rechte Mann, er ist nur nicht der Erbe. Der Hof gehört dem Ohm, der ausgewandert war. Er hatte Boas Vater seine Liegenschaften zur getreuen Hand gegeben, bis sie wiederkämen. "Was du in dieser Zeit verdienst, ist dein", hatte er gesagt. Nun sind zwölf Jahre schon dahingegangen.

40. Reichen Segen hat der Herrgott hergeschenkt. Boas und die Mutter danken, heben ihre Hände hoch, um Gott zu preisen. Morgen hält man Ernteschmaus. Nicht alle Leute denken an den Segen. Manche sind auch neidisch, wenn bei einem andern dessen Ernte besser ausgefallen ist, wie bei Hanea. Wie überall ‒ die Weltlichen sind ihrem armen Seelenteil verhaftet.

41. "Soll ich Naemi zum Schmaus bitten?" Boas schielt ein wenig auf die Seite. / "Ich denke schon", erwidert Hanea. "Ruth darfst du nicht vergessen. Sie hat zwar für Naemi aufgelesen, doch die Felder sind wie rein gefegt. So sauber waren sie noch nie." / "Hm, ob sie aber kommt? Sie ist so stolz." / "Liebst du sie?" fragt Hanea geradeher. Ungewißheit mag sie nicht.

42. "Hm hm", macht Boas wieder und graut sich seinen dunklen Schopf. "Etwa hängt sie noch an ihrem Mann oder will sich ungern schenken lassen; und es wäre ein Geschenk, wenn die ungewisse Zukunft für sie sich auf einmal klärt, indem sie als geachtete Frau im Hause schalten dürfte."

43. "So ist es auch. Als eines Städtekönigs Tochter war sie stets die Gebende. Jetzt müßte sie bloß nehmen; und das ist für sie bitter schwer. Warte eine Weile, bis Fürst Pereztha etwas unternehmen kann und Naemi weiß, daß sie wieder ihren Grund und Boden hat. Nachher gleicht sich vieles aus.

44. Ich hatte einen Traum. Es kam ein Mann, der streckte seine Hände nach uns aus und …" / Hanea verstummt. Sie hat Angst, sie müßte von dem Liebgewohnten scheiden. / Ihr Sohn beruhigt sie. "Hab' kein Weh, liebe Mutter. Arbeit gibt es überall. Wäre ich jetzt arm, leicht könnte ich das liebe Heidenmädchen mit dem echten Glauben zu mir nehmen. Wird Naemi reich und wir verarmen, dann könnte ich nicht werben. Gleich und gleich verträgt sich auf die Dauer, innerlich wie äußerlich. Anders nicht!"

45. "Allgemein. Doch kommt Reichtum immer nur zu Reichtum, gibt die Armut bloß der Armut eine Hand, so kommt das Weltgetriebe aus den Fugen. Bei echter Liebe, von GOTT gesegnet, nicht die törichte der Welt, mag hoch und nieder sich vereinen ‒ immer bleibt das in der Segenshand des Herrn. Warte ab, wie es sich ergibt." – Oh, warten ist nicht Boas stärkste Seite.

46. Der Ernteschmaus vereint die Herrschaft und die Leute. Der herbe Essigwein löst manche Zunge und webt manches Band. / Naemi hatte sich bedankt, sie könne nicht mit kommen, sie gehöre jetzt noch nicht dazu. Man achtet ihre Einstellung. Als der Abend aber niedersinkt, befiehlt sie Ruth: "Bade dich, nimm von der Salbe, zieh' das Kleid aus deines Vaters Hause (ein männlicher Anzug) an und geh 'rüber in die Tenne, wo die Feuer flammen. Warte ab, bis sie verlöschen und ich weiß, daß die Männer meistens auf der Tenne liegen bleiben. Das ist so Sitte hier; auch kommen manche schwer nach Haus. Zu Boas schlüpfe hin und lege dich zu seinen Füßen nieder. Er darf dich nicht erkennen. Decke auf, so wird es dir noch wohlergehn."

47. "Was bedeutet aufzudecken?" Voller Scham schlägt Ruth die Augen nieder. So wie in Moabit will sie nicht gehorchen. / "Schäfchen", sagt Naemi zärtlich, "du sollst ein Bündel Stroh zu seinen Füßen legen und dich darauf hocken und warten, bis er erwacht." / "Das… oh, ja, Naemi-Mutter, das will ich tun."

*

48. Es ist fast Mitternacht, als Ruth auf nackten Sohlen in die Tenne huscht. Die Knechte schlafen an der Hinterwand, Boas liegt in einem Winkel hinter dicken Garben. Wie ein scheues Wild, ohne jederlei Geräusch, legt sie sich nieder. Boas hört ein Rascheln, das von seiner eigenen Liegestatt kommt. Durch die offene Vorderwand scheint der Mond und wirft seinen Strahl auf Ruth. Doch ist's nicht hell genug, um sie zu erkennen.

49. "Wer bist du?" fragt er leise. / "Ich bin Ruth, deine Magd. Breite deine Decke über mich, denn ich bin dein." / Vorsichtig steht er auf und zieht Ruth hinaus aufs nahe Feld. Noch hält er sich zurück und spricht: "Gesegnet seist du unserm Herrn, meine Tochter! Du hast deine Liebe mir erzeigt, bist brav und fromm, bist keinem andern nachgegangen, auch den Reichen nicht aus Bethlehem. Fürchte dich nur nicht", schmeichelt er, als er das Zittern ihres Körpers spürt. "Du bist eine echte Tochter unseres Herrn geworden, und so will ich tun, was du verlangst. Du bist wahrlich eines Königs Kind! Ich würde dich erhöhen, muß dir aber erst bekennen, damit du volle Klarheit hast.

50. Ich bin nicht der erste Erbe; es ist ein anderer. Meiner Mutter hat geträumt, es käme einer her, der die Hände streckt nach Haus und Feld und Vieh und Gut," Boas erzählt Ruth die Geschichte seines Ohms und es wäre durchaus möglich, daß sie wiederkämen, mindestens der Sohn.

51. "Kommt er her…", Boas ist voll Trauer, "…nimmt er das Haus, kann er nach dir auch die Hände strecken. Nimmt er dich nicht, werde ich dich als mein Kleinod hüten, ob arm, ob reich. So wahr der Herrgott lebt, soll dir an meiner Seite nichts geschehen! Er gab mir ja zwei Hände als ein heiliges Geschenk."

52. "Ich möchte keinen anderen und dir soll gelten, was ich bei der Abfahrt aus der Heimat zu Naemi sprach:

«Wo du hingehst, da will ich auch hingehen,

wo du bleibst da bleibe ich auch.

Dein Volk ist mein Volk,

dein Gott ist mein Gott!

Wo du stirbst, will ich auch begraben werden.

Der HERR tue mir dies und das,

der Tod muß mich und dich scheiden!»"

53. "Ruth!" Ein Ausruf voller Seligkeit. "Gott wird es führen, daß du mir gehören darfst! Sieh", zeigt er auf den Mond, der seine stillen Bahnen zieht, "der Morgen tagt, es soll niemand wissen, daß du mit mir im Felde warst. Der Mutter bloß will ich es künden." Wortlos kehren sie zurück und wortlos legt sich Boas in die Tenne auf den alten Platz. Ruth deckt ihm die Decke über und huscht hinaus, ein schmaler Schatten, den niemand sieht. Nach dem Ernteschmaus wacht auch in Bethlehem der Morgen später auf.

*

54. Hanea hat zum zweiten Mal geträumt, der Erbe käme. Boas hat ihr mitgeteilt, was sich nachts ergeben hat. Ruth, Knecht und Magd sind auf dem kleinen Feld beschäftigt, um es zur Einsaat zubereiten. So sind die Mütter ungestört.

55. Als Hanea meint, sie könnten notfalls zu Naemis Sippe, schüttelt diese ihren Kopf. "Dort wird niemand auf uns hören, keiner unserm Glauben lauschen, schwerste Fron wäre unser aller Los. Auch warte ich, was der Fürst erreicht. Ich habe die Erlaubnis, soviel Feld am Hause zu bestellen, als wir zunächst benötigen. Fügt es der Herr mit Seinem Segen, das Elimelechs Erbe mir gehört, so will ich dir und deinem Sohn vergelten, was ihr an mir und Ruth getan.

56. Boas soll das Haupt des Hauses sein; und alles kann der Erbe euch nicht nehmen. Die Au ist euer Eigentum. Kommt die zu dem meinen, so können wir im Frieden beieinander sein. Zwei Maurer wollen mir an jedem Abend helfen. Es wird alles abgerissen, da auf dem morschen Grund sich keine Wände richten ließen. Nur Holz und Steine muß ich kaufen. Ein Freund von Elimelech bot mir eine Summe an, so daß ein Teil des Hauses bis zum Winter fertig wird.

57. Gepriesen sei der Herr! Die Erbarmung hat Er ausgebreitet wie ein Fell, unter dem man ruhig schlafen kann. Sein Licht hat unsere Wege hell gemacht, Seine Freundlichkeit schenkt uns das täglich Brot. O Hanea, laß uns Ihm gemeinsam danken ob der Führung, wie Er sie durch Seinen Engel uns bewiesen hat. Ihm Vertrauen wir, unser Schicksal liegt in Seiner Vaterhand!"

58. Hanea hat die Worte tief im Herzen nachgesprochen. Ja, Gott ist der Schöpfer aller Dinge, Er ist auch ihr Erhalter, Er sorgt für alle Kinder, Er ist die Liebe selbst. Hanea geht getröstet heim und hofft, wie es mit dem Erben werden wird.

 

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Kap. 11

Der Erbe kommt – Sein gutes edles Handeln

1. "Sei gegrüßt, Fremder! Friede sei mit dir auf unserem Gefilde!" Boas tritt einem Mann entgegen, der langsam, einen Stab in seiner Rechten, des Weges kommt, wie suchend um sich blickt, als ob er es nicht wisse, wohin er nun geraten sei. Er ist etwa dreißig Jahre alt, stark gebaut, das Gesicht ohne Regung, bloß die Augen zeigen einen festen Willen an.

2. "Ich danke dir für deinen Gruß und gebe ihn zurück," spricht er mit leicht fremdem Anklang in der Stimme. / "Bitte komme in mein Haus, wenn du müde bist; du sollst die beste Wartung haben." / "Das war selten auf dem weiten Weg durch dieses Land zu hören, Mißtrauen stand als Wache vor den Türen. Wie kommt denn das? Sind Fremde bei euch wilden Tieren gleich?"

3. "Die letzten Jahre sind nicht gut gewesen", erwidert Boas. "Man lernte sich vor Fremden hüten und ‒ auch vor dem Nachbarn. Doch tritt ein, gern gebe ich dir Auskunft und helfe dir, falls du meine Hilfe nötig brauchst." / "Vielen Dank! Vielleicht nehme ich sie an, so ich deine Hilfe nötig brauche. Bald trifft noch meine Karawane ein, vierzig Dromedare und eine Sänfte und da fragt es sich, wo ich diese lassen kann."

4. "Vierzig Dromedare?" staunt Boas. "Dein Eigentum?" / "Ja, brauchst also keine Angst zu haben, ich fiele dir zu Last." / "Wer bei uns einkehrt und bewirtet wird, ob arm, ob reich, ist willkommen und dieser Art kein Fremder. Brauchst also auch nichts zu befürchten. Der Hof ist groß, die Ernte eingebracht, die Treiber und die Tiere werden keinen Mangel leiden."

5. Indessen sind sie eingetreten. Hanea kommt hinzu und bietet ihren Friedensgruß. / Leicht sich neigend, wie es hierorts nicht gegeben ist, sagt der Mann: "Ich danke dir, daß du einem Fremden deine Türe öffnest." Als Hanea von der Karawane hört, gibt sie ihren Mägden den Befehl, ein großes Mahl zu richten und Boas stellt die Knechte an, wo die Dromedare lagern können, beim Brunnen unter Bäumen, so daß sie nicht in praller Sonne leiden brauchen. Der Fremde sieht und hört heimlich zu, wie alles angeordnet wird. Er klopft sich an die Brust. 'Also wird es bestens gehen', sagt er zu sich selbst. 'Der Vater hatte recht.'

6. Als sie beim Mahle sitzen, fragt der Gast: "Wo ist der Herr des Hauses?" / "Er lebt nicht mehr", entgegnet Hanea. "Er war krank und ging vor Jahren heim. Jetzt ist nun mein Sohn der Herr. Eigentlich er nicht, er ist nur…" Fragend sieht sie Boas an. / Er nickt. "…Wir können es getrost dem Fremden sagen, was hierorts jeder weiß. Ich bin der zweite Herr. Der Ohm, meines Vaters Bruder, zog von hier fort, wo viel Gesetzlosigkeit geschah, …andere auch, er war nicht der einzige.

7. Seit zwölf Jahren haben wir nichts mehr von ihm gehört. Haus und Hof sind sein Eigentum, käme er oder seine Erben wieder. Wir haben es verwaltet und vermehrt. Er sagte uns zu Treu und Glauben, was wir in der Zeit erwerben würden, gehöre uns. Käme er nach dreißig Jahren nicht zurück, sollten wir Besitzer sein, selbst wenn später jemand aus des Oheims Linie käme. Wir haben alles treulich aufgeschrieben; nicht bei unserm Richter, dessen Mund die Lüge, dessen Arm das Unrecht war."

8. "Höre, du sprichst das offen aus und kennst mich nicht. Könnte ich dir nicht bei euerm Richter eine Falle stellen?" / "Nicht mehr! Er ist landverwiesen und darf nie wiederkehren, will er nicht des Todes sein. Alles Unrecht wurde aufgedeckt und soll nun seine Sühne finden." / "Ah!" Das ist eine Neuigkeit, die der Fremde noch nicht wußte; und er hatte sich vor seiner Reise bestens informiert. Es muß Hals über Kopf gegangen sein.

9. "Wer ist jetzt Richter?" "Noch ungeklärt. Der Fürst von Juda ist zunächst der Führende und wird vielleicht gewählt. Man hofft, daß er ans Ruder kommt. Er nennt sich seinem Rang gemäß 'des Volkes Fürst', was vorübergehend ist. Aber wenn nur erstmal alle Schmach getilgt, wieder Friede wird im ganzen Volk, dann sei dem Herrn für Seine Hilfe hoch gedankt."

10. Eine Pause, die keiner unterbricht. Hanea fühlt, in ihrem Lehen wird sich plötzlich etwas ändern. Auch Boas drückt es aufs Gemüt: es kommt etwas! Was…? / Da sagt der Fremde freundlich: "Was mir an euch gefällt: Ihr habt mich unter eures Daches Frieden eingeladen und habt nicht gefragt: wer bist du denn, damit wir wissen, wer an unserm Tische sitzt? Das macht euch rundum nicht gleich jemand nach. Aber so ‒ eben so sollte es die ganze Menschheit tun, sollte überall in Freundschaft und in Frieden leben und nicht in Haß, in Neid und Streit.

11. Ich kenne euren Glauben, der auch der meine ist. Das genüge erst einmal, um in mir ein Kind des Volks zu sehn. Meine Eltern ruhen in der fernen Erde. Ja nun… das ist oft der Lauf des menschlichen Geschicks: man muß wandern, man kehrt manchesmal zurück, oft ist die Fremde dann die letzte Liegestatt."

12. "So geht es unserer Nachbarin." Hanea erzählt Naemis Leidensweg. / Der Fremde nickt bei ihrem Namen, er braucht nicht nachzusinnen. "Wo ist die Nachbarin?" / Hanea führt ihn vor das Haus, zeigt hinüber auf die Trümmer, auf das ausgeraubte Land, / "Schrecklich! Da hat der Bösewicht ‒ ‒ Nur gut, daß man ihn von dannen jagte! Wer hilft denn nun der armen Frau?"

13. "Ein wenig konnten wir es tun", sagt Hanea bescheiden, indem sie mit dem Fremden wieder in das Zimmer tritt. "Der Fürst hat sich der Sache angenommen. Der Fälle sind es viele, die ausgeglichen werden müssen. Er hat aufgerufen, man solle eine Steuer geben, um den Armgewordenen zu helfen." Sie stockt, sie mag nicht sagen, wieviel böse Worte fielen und wie so ungern man den Beutel öffnet, um die größte Not zu lindern.

14. Da zieht der Fremde eine prall gefüllte Tasche vor, entnimmt ihr einen Haufen Silberlinge, legt sie auf den Tisch und sagt: "Das soll den Armen Bethlehems gehören, die Hälfte davon der Naemi, weil sie bis auf Weniges alles aufgegeben hatten, der Mann, der sich und die Familie retten wollte. Weshalb tu' ich das?" fragt er und sieht Sohn und Mutter an.

15. "Aus deinem edlen Herzen", erwidert Hanea. "Haben deine Eltern ähnliches erduldet?" / "Ja! Mein Vater hatte öffentlich geredet; sein Bruder mahnte ihn, mit Reden ließe sich nichts ändern. Recht hatte er. Vater wollte mit Gewalt ein anderes Regime errichten. Er hätte es geschafft, wären alle Ältesten des Landes hinter ihn getreten. Aber alle hatten Angst um ihren eigenen Hals ‒ nicht zu Unrecht, des sei bedacht."

16. ‚Sonderbar‘, sinnt Hanea vor sich hin. ‚Genauso handelte der Bruder meines Mannes‘. Fragt sie den Fremden: "Vielleicht hat dein Vater ihn gekannt?" / "Möglich schon", weicht der Befragte aus. "Bis ins kleinste hat mein Vater mir erzählt, wie hier alles war, und mir hat sich's eingeprägt, auch die Namen von den Guten, von den Memmen und ‒ den Bösen. Wer von Letzteren noch lebt, wird sich mit mir befassen müssen!"

17. Hart gesagt, doch verständlich. Oft ballte Boas seine Fäuste, um ein Haar, wäre auch sein Vater hingerichtet worden, der lange Zeit deshalb in einer Höhle lebte. Als er zurückgekommen war, starb er dann. Der Mann horcht auf. Da ist ein ‚Lauer‘ von der Abrechnung zu streichen. Oh, nein, abzurechnen hat er nicht; keinem ist es zu verargen, wenn er vor dem Unhold floh, um sich und Frau und Kind zu retten.

18. Immerhin, …Hätten damals alle 'ja' gesagt, als sein Vater auf die Barrikade stieg, um die Stämme zu vereinen, dann ‒ Zwölf Jahre Fremde wären auszustreichen, die Eltern nicht zurückzulassen. Was ist der dort erworbene Reichtum gegen alle Liebe, Wahrheit, Recht und Güte, was gegenüber seinem Vaterland?

19. Er ist voll Bitterkeit. Hanea und Boas warten still. Selber Angst ertragen, Naemis Schicksal und von anderen ‒ ach, leicht ist ein Heimgekehrter zu verstehen, der sich überwinden muß, um Vertrauen herzuschenken, von dem er noch nicht weiß, ob er ein Rückempfänger wird. Plötzlich sagt er, ohne Hinweis auf das eigene Bedenken, auf das, was langsam in ihm siegt:

20. "Euere Nachbarin möchte ich gern kennen lernen, wenn ich meine Karawane unter Dache weiß. Die Dromedare und die Treiber …ja, für ein paar Stunden können sie in euerm Hofe rasten; für längere Zeit brauche ich doch eine Unterkunft. Ich…" / "Darf ich unterbrechen?" fragt Boas. / "Hast du einen guten Rat, dann nur heraus damit!" Der Fremde zeigt sich aufgeschlossen.

21. "Hier sind die Herbergshäuser klein, und nach Jerusalem, falls du dorthin willst, gibt es auch kein großes Haus. Bleibst du aber hier, du hast deinen Fuß hierher gelenkt, so nimm ein totes Feld der Nachbarin. Deine Knechte können Stall und Hürde bauen, und ein Lagerhaus für all dein Hab und Gut. Doch bleibe unser Gast, bis der Weg sich dir geebnet hat."

22. "Dank für deinen Rat. Der Nachbarin gebe ich den Bodenzins, so lang ich eines ihrer Felder brauche, bis ich mich fest niederlassen kann. Ich habe allerdings vom Vater her ein verbrieftes Recht auf ein großes Haus samt Grund und Feld; ob ich es besitzen will, wird sich späterhin ergeben. Dann…" Er horcht auf: "Hört ihr nicht die fernen Schreie? Das muß die Karawane sein!" Er eilt hinaus, um zur Hilfe beizuspringen.

23. Staub steigt aus der nahen Bodenmulde auf. "Hast du flinke Tiere? Mein Kamel ließ ich zurück, es fing an zu hinken." Auf Maultieren flitzen beide Männer ab. / "Ich weiß nicht", Hanea geht ins Haus, "er ist mir vertraut, wie mein Schwager. Auch daß er hierher kam, läßt vermuten ‒" Sie hält inne.

24. Was wird geschehen, wenn die Vermutung stimmt? Trotz Herzensbürde geht sie ihrer Arbeit nach, beaufsichtigt die Mägde, die für die Treiber eine Mahlzeit richten, sieht nach, was die Knechte tun und so vergeht ihr rasch die Zeit, bis die Karawane näher kommt, alle Dromedare hoch beladen.

25. "Welch ein Reichtum", flüstert sie. Selbst die Tiere, stark und gut genährt. Kein Treiber schlägt ein Dromedar, sie leiten nur mit ihren Stöcken und sorgen, daß keins zu Falle kommt. Voraus wird vom Fremden ein wunderbares graues, fast weißes Tier geführt, das noch ein wenig hinkt. Schon eilt ein Knecht hinzu, nimmt den Strick und sagt: "Herr, ich weiß Bescheid. Gib mir dein Kamel zur Pflege, in ein paar Tagen ist's gesund."

26. "Ich belohne dich. Eine Bande fiel uns an, mußte aber fliehen. Ein Steinwurf traf des Tieres Vorderlauf. Du hast brave Leute", ein gutes Lob für Boas, indem er ihm die Hände drückt. "Ich sehe, wir haben etwas überein, was man häufig suchen muß: du und ich kennen die Gebote unseres Gottes und tun danach. Und wir richten uns nach Moses Tiergesetz. Unter meinen Leuten gibt's zwar ein paar rauhe Burschen, doch den Befehl beachten sie: kein Tier wird gequält, das dulde ich nicht!"

27. "Du bist ein edler Mann", erwidert Boas, "Ich habe sofort, als du kamst, ein inneres Gefühl für dich gehabt. Was es besagt, woher es kommt ‒ ich ‒ nun ja, mir war, als wären wir verwandt." / Der Fremde lächelt. Es gibt also Bande, die sich plötzlich zeigen, wenn sich zwei Leute, die sich vor vielen Jahren trennten, wiederfinden. Erst ist aber abzuwarten, denkt er weiter, doch ich übersehe schon, was es hier zu regeln gibt.

28. Er tritt zur Sänfte und hebt eine zarte Frau heraus. Ihr Gesicht ist hell und edel in der Form, das Haar glänzt wie reife Nüsse in der Abendsonne. Boas starrt auf das Mädchen, denn wie eine Frau wirkt sie nicht. Aber wenn ‒ wenn das des Fremden Gattin wäre, dann könnte er ‒ Er denkt an Ruth und wie lieb er diese hat. Vielleicht ‒ Schon ruft der Fremde ihn herbei.

29. "Winke bitte deiner Mutter, meine Frau …sie ist eine Griechin, …braucht Ruhe. Habt ihr ein Gemach, wo sie unbehelligt ist?" / "Das haben wir." Boas grüßt die schöne Frau. Und wieder steigt's ihm auf: 'Wenn jener, wie oft üblich, mehrere Frauen halten kann? Und Ruth ist schön, nur anders als die Fremde. Wenn…'  – Die Pflichten helfen, die Gedanken zu betäuben.

30. Auch Hanea hat die Fremde sofort lieb. Was für ein zartes, edles Ding! Sie führt diese in den Oberteil des Hauses und umsorgt sie selbst, denn keine Magd darf ihr dienen. Das wird Hanea so hoch angerechnet, wie sie es noch gar nicht wissen kann. / Die Griechin dankt: "Du bist wie eine liebe Mutter."

31. "Hast du dein Elternhaus verlassen, um deinem Mann zu folgen? Wo stand deine Wiege?" / "In Korinth. Mein Vater hatte dort ein Handelshaus. Da kam ein Mann mit Weib und Sohn und suchte bei dem Vater Arbeit. Er war fleißig, man konnte sich auf ihn verlassen. Meine Eltern starben jäh, doch Vater setzte vorher jenen Mann als Erben ein und bestimmte mich zum Weib des Sohnes. Er war mir zugetan und so folgte ich ihm gern, als er in die Heimat reisen wollte, nachdem auch seine Eltern starben. Er übergab das Handelshaus einem treuen Mitarbeiter zur Verwaltung."

32. "Liebes Kind, dein Mann hat soviel Waren mitgebracht, da ist doch sicherlich …" / "Oh, das Haupthaus in Korinth ist voll geblieben. Wir hatten noch ein Nebenhaus, das ist aufgelöst, weil wir dafür keinen guten Obmann fanden. Wie der Vater meines Mannes war, solche findet man sehr selten, treu und gut." Jäh schweigt die Griechin. Hat sie nicht zuviel geplaudert? Sie wird ängstlich und Hanea versteht, was jene bange macht.

33. Sie legt einen Arm um deren Schulter: "Du brauchst nicht bang zu sein, es bleibt unter uns. Dein Mann wird selber reden, wenn er es für richtig hält. Dann", ein klein-verschmitztes Lachen läßt Hanea hören, "vernehme ich's zum ersten Mal. Kaum im Hause, bist du mir wie eine liebe Tochter." Sie denkt dabei an Ruth. "Ich werde meinem Töchterchen kein Ungemach bereiten."

34. Die Griechin schmiegt sich an. "Ich bin in meines Mannes Glauben unbewandert, aber wunderbar hat uns sein Gott geführt." Sie weiß alles, ihr Mann hat sie eingeweiht, weil er auf sie bauen kann. Das Wenige, was sie erzählte, ist allgemein und hat mit ihres Mannes Plänen nicht sehr viel zu tun.

*

35. Hanea holt Naemi und erzählt, was sich zugetragen hat. Mit Ruth betreten sie die offene Halle. Noch ist's hell und lind, man nimmt hier das Abendessen ein. Bang klopft ihr Herz. Sie kennt die hiesigen Gesetze. Naemi hatte schon in Moab darauf hingewiesen. Eines davon ist das folgende:

36. Sie hat auf Boas Feldern Ähren aufgelesen und gilt so als dessen Magd. Noch dazu kann sie als Moabitin leicht vergeben werden. Aber hatte Boas nicht gezeigt, daß er sie liebt? Was geht sie denn der Fremde an? / Ähnliches geht Boas durch den Sinn. Er hofft sehr, jener ziehe weiter; dann wäre die Gefahr gebannt.

37. Naemi prüft. Sie ist selig wenn er es ist. …oh, Gott tut große Wunder! Sie bedenkt im Augenblick das Übel nicht, das Hanea und Boas treffen könnte, wenn… / Der Mann sagt indessen: "Ich hole meine Frau." Er geht hinauf, nicht ohne Absicht. Naemi hatte ihn erkannt, trotzdem er sich verändert hat. Hätte er es nicht gewußt, wo er sich befindet, wer weiß, ob ihm alle gleich bekannt gewesen wären. Das Leid gräbt tiefe Furchen und hier sind viele, die durch Gram und Trauer gingen.

38. "Er wird es sein", sagt indessen die Naemi zu den Nachbarn. / "Ich hab' es auch gefühlt", spricht Hanea, "allein warum gab er sich nicht zu erkennen? Besser ist ein rascher Schnitt, als…" / "Laß dich trösten, liebe Muhme Hanea." Ruth streichelt deren Wangen. "Er hat gute, treue Augen, in ihm ist kein Falsch. Hoffe doch auf Gott, Er wird euch helfen!"

39. Haneas Gesicht überzieht ein Lächeln. "Bist eine liebe Tochter und die Fremde ist mir auch vertraut geworden. Wie das kommt, du, von Kindheit anderes gewöhnt und kannst trösten aus dem Trost, den unser Gott zu geben weiß. Wir warten, wie es kommen mag, so nehmen wir es aus der Hand des Herrn."

40. Der Fremde kommt, am Arm sein Weib. Zwei Augenpaare treffen aufeinander. Ein gutes Licht zuckt hin und her, ohne daß die beiden Frauen wissen, wie leicht das Gute sich ergibt. Die Griechin kann es glauben, ihr Mann nimmt keine zweite Frau. Er hat's versprochen im Andenken ihres Vaters, durch den er reich geworden ist. Ruth aber denkt: 'Welche Schönheit! Für diese und den Liebreiz will ich alles opfern, würde Boas sie begehren, was allerdings ihm auch ein Opfer brächte ‒ den Verzicht.'

41. Naemi geht aufs Ganze. Sie spricht mit ihrer warmen Stimme: "Ich kannte einen Buben; er kam, wenn er Hilfe brauchte und stahl dabei die schönsten Früchte, obwohl der elterliche Garten reich beladen war. Das war eine liebe Neckerei. Bloß sein Vater durfte es nicht wissen, dann gab es …" "Prügel!" / Der Mann lacht fröhlich auf. Er gibt sich einen Ruck.

42. "Naemi-Muhme, hast du mich erkannt?" / "Ja, mein Junge und ich bin froh, daß du gekommen bist. Nun mach' alles gut", mit einem Blick auf Hanea. / "Das will ich tun, doch frage ich die Muhme Hanea, ob sie mich nicht erkennen konnte." / Ihr stürzen Tränen aus den Augen. Sie umarmt den Neffen und schluchzt: "O Ben Isremia, ich war bloß ungewiß und …" / "… war es mit die Sorge, was mit dir und deinem Haus geschehen würde?

43. Natürlich mußte ich erst sehen, was in den Jahren vor sich ging und ob ‒ verständlich ‒ des Vaters Bruder treuhänderisch gewesen sei. Von seinem Tode wußte ich noch nichts, nur daß der Richter sich an vieler Leute Hab und Gut vergriff. Kannst du es verstehen, daß Mißtrauen mich so dann und wann betraf?"

44. "Durchaus, Isremia; zu prüfen war dein gutes Recht. Jetzt…", ein Zögern, "…nimm Haus und Hof, lasse uns nur so viel Zeit, daß wir ein Unterkommen finden." / Heleana, die feine Griechin, fällt Hanea ins Wort. "Glaubst du wirklich, daß mein Mann so handeln würde?" Sie schmiegt sich in des Mannes Arm, wie um Verzeihung bittend ‒ für Hanea.

45. Er nickt ihr herzlich zu: "Muhme, auch wenn ich Haus, Grund und Boden nehmen würde, es wäre ungerecht, dich und Boas ohne Segen auszulassen. Ihr habt alles treu verwahrt und habt's vermehrt. Zu mindest das Vermehrte, wie der Vater wollte, wäre euer Eigentum, dazu Wohn- und Hausrecht für euch beide euer Leben lang.

46. Nun kann ich's aber gar nicht übernehmen. Ich bin ein Handelsmann und will hier ein Zweighaus richten. Was mein Vater euch dereinst zur Treuhand übergeben hat, ist nach seinem und nach meinem Willen euer Eigentum! Ich bin reich geworden durch die Güte jenes Mannes, der uns Flüchtlinge aufgenommen hat. Wie stünde ich vor Gott, wenn mir all der Segen ward und dann streckte ich noch meine Finger aus ‒ selbst wenn zu Recht ‒ nach dem, was ihr mit Angst, Not und mit Treue mir erhalten habt? Der Gott meiner Väter bewahre mich vor solcher Ungerechtigkeit!"

47. "Unser Gott, lieber Ben!" ruft Naemi selig. "Möge dir der Herr das tausendmal vergelten, was du an Hanea und Boas tust. Und mir das viele Geld… Da kann ich manche Schuld bezahlen und …" / "Mal sehen, was der Fürst vermag. Ich reise übermorgen hin zu ihm, lasse aber alles hier in Bethlehem, auch Heleana. Ich will prüfen, wo ich mich niederlassen kann. Nach den langen Jahren muß man erst die Heimat wieder kennen lernen."

48. "Daran tust du recht", mischt sich Boas ein, der ungläubig, weil seine kühnsten Träume übertroffen, allem lauschte, was Isremia mit wenig Worten klärte, mit einem reinen, reichen Herzen. Wird er ihm auch Ruth belassen? Isremia hat sie öfter angesehen. Ruth hat sich neben Heleana hingesetzt und flüstert: "Ich möchte dir gern eine Freundin sein. Darf ich das?"

49. "Wir kennen uns zwar nicht", sagt die Griechin. Sie hat ein gutes Angesicht. Auch Ruths Gesicht ist wunderschön. Nur ist sie bräunlich angehaucht, mit ganz dunklen Augensternen, während bei der anderen alles lichthell ist: Augen, Haare, Haut. Impulsiv umschlingt sie Ruth. "Ich will dir mehr als eine Freundin sein, ich bin dir eine Schwester, wenn du magst."

50. Ruth verfärbt sich bis ins tiefste Rot. Sie denkt an Orpa, ihre Schwester. Heimlich weint sie oft um sie. "Oh, das kann ich nicht erwarten, ich bin arm, eine Heidin und ‒" Fällt Boas ein: "Erlaube mal, du bist keine Heidin mehr; du hast ja Gott, den Einen, ganz erkannt, von einem Engel wurdest du geführt ‒‚ ja ja, mit Naemi, ich weiß. Winke mir nicht ab!

51. Heleana ‒ verzeih", bittet er sie artig, "ist als Griechin nach dem Glauben Israels gleichfalls eine Heidin. Ich verachte dieses Wort! Alle Menschen sind Gottes Kinder, einer wie der andere. Was kannst denn du dafür, daß du in Moabit geboren wurdest? und was Heleana, weil ihre Wiege in Korinth gestanden hat?, oder ich in Bethlehem das Licht der Welt erblickte?

52. Du, liebe Ruth, hast in kurzer Zeit dich völlig umgewendet und schon Gutes kundgetan. Hab' ich recht, Naemi?" Herausfordernd sieht er diese an. "Nicht so stürmisch! Es stimmt aber, was du sagst. Wir denken an des Engels Worte: nie sich selbst, nicht sich gegenseitig loben; doch die gute Wahrheit, auch wenn darin ein Lob enthalten ist, die darf man sagen. Ja, Ruth ist gläubiger als manche Frauen Israels.

53. Hat GOTT uns erschaffen und gab aus Seinem Aufbau Richtung, Lauf und Ziel, so soll mir einer sagen, wer vor Gott den Vorzug hat, nur weil der eine hier, der andere dort geboren wurde und aus seines Volkes Wurzel seinen Glauben nahm. Nur wie man handelt, das ergibt den Unterschied zwischen Mensch und Mensch.

54. Ruths Vater hat uns aufgenommen, als wir keine Bleibe hatten. Er mußte prüfen, wer wir sind. Denn als ein Städtekönig trug er die Verantwortung für seine Stadt. Als das Schlimmste aber über uns hereingebrochen war, da hob er schützend seine Hände über uns. Er gab mir seine beiden Töchter mit. Die stille Orpa ging zurück, was gut für sie gewesen ist."

55. "Möchtest du sie wiedersehen?" fragt Isremia. / "Ich? Ach lieber Junge, ich bin alt, die Reise weit." Ihre Augen werden trüb. 'Schön wäre es…‘, denkt sie für sich. '…Und Corusja, den Getreuen und den Arzt … Ach nein, ich bin zufrieden, wie Gott alles lenkte, auch für Hanea, Boas und für meine Ruth.‘

56. "Ich muß oft reisen und komme ich mal nach Ar-Moab, dann grüße ich sie alle, die gut zu dir gewesen sind." / "Du kämest nach Ar-Moab?" In Ruths Augen liegt die Sehnsucht unverschleiert da: der Vater, die Geschwister, nur einmal wiedersehen, nur einmal Vaters liebe Arme fühlen, einmal…

57. "Möchtest du gern mit?" fragt Isremia. / "Ich…", stottert Ruth, "…ich sollte, …ja …nein, ich kann die Mutter nicht verlassen, sie braucht mich doch." / "Bis es mal soweit ist…", wird sie beruhigt, "…ist Naemis Sache auch geklärt und kann sie dich für eine Zeit entbehren. Ich nehme Heleana mit, dann bist du nicht allein als Frau."

58. "Du fährst mit", entscheidet schon Naemi, als ginge diese Reise morgen an. "Nur, …kommst du wieder?" Eine bange Frage, mit einem kleinen Lächeln zugedeckt. / "Naemi-Mutter! Was denkst du denn von mir? Ich verlasse dich doch nicht?" / "Ich weiß, mein Kind, ich weiß! Doch wenn man seine Heimat wiedersieht und alle seine Lieben, da kann's passieren, daß man hängen bleibt."

59. Ruth sieht Boas an, der ganz blaß geworden war. Seine Ruth will er nicht verlieren. Isremia wird sie nicht begehren, und ihm gab sie das gute Wort: …'wo du bleibst, da bleibe ich auch!' Kann es Köstlicheres geben? Und Haus, und Hof, alles soll ihm bleiben durch die Güte seines Vetters. Jäh geht er auf ihn zu, umarmt ihn fest und stürmt hinaus. Wie eine Welle geht es über alle hin.

60. "Er ist überglücklich, von Sorgenlast befreit", sagt Naemi und küßt Isremia auf beide Wangen. "Ach Herr, unser Gott, wie herrlich ist dein Name! Du hast die Wolken dieser Welt hinweggeschoben, die Sonne Deiner Gnade leuchtet uns! Kommt, laßt uns lobsingen und Ihn anbeten, unsern Gott!" Sie spricht ein tiefschürfendes Gebet, von dem besonders Heleana angesprochen ist. So etwas hat sie noch nie gehört und ist dankbar, hier zu sein. Von dieser Frau will sie sich lehren lassen, um des Mannes Glauben aufzunehmen. Boas war wieder eingetreten, steht an der Tür mit fest verschlungenen Händen, und seine Seele lobt den Herrn.

 

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Kap. 12

Isremia und Judas Fürst – Die Ältestenversammlung

1. "Wieviel Bittsteller sind noch draußen?" Fürst Pereztha wendet sich dem Diener zu und wischt die Nässe vom Gesicht. Schwer, allen gerecht zu werden, und die Mittel sind beschränkt. Ja, wenn man etwas geben soll, gibt es festgeschlossene Finger. Nur manch Armer bringt sein Scherflein willig dar.

2. "Fürst, mit den Wartenden wirst du heut' nicht fertig. Einer ist dabei, der sieht aus, als ob er etwas bringt, hat sich aber ganz bescheiden hinten angestellt." Der Diener wagt nicht: 'Diesen nimm zuerst herein.' / Pereztha hätte zwischen allem Kram gerne Leichteres gehört. "Laß ihn ein und sag' den anderen, sie möchten warten." – Der Diener eilt hinaus.

3. "Bitte, du möchtest kommen, der Fürst erwartet dich." / "Wieso? Ich kam zuletzt." Es ist Isremia, der sehr früh aufgebrochen war. "Ich will nicht bevorzugt werden." / "Das ist kein Vorzug, du bist doch angemeldet", mogelt jener. / Warnend hebt Isremia einen Finger, aber ihm ist's recht, wenn er vorgelassen wird, dann kann er heute noch zurück nach Bethlehem.

4. Er tritt ein. Der Fürst steht auf, was er nicht bei jedem tut. "Womit kann ich dienen? Darf ich deinen Namen wissen, Vaterland? Wo kommst du her? Verzeih, ich horche dich nicht aus, bloß muß ich alles wissen, sonst kann ich ja nicht helfen." / Isremia nimmt, sich dabei verneigend, den ihm angebotenen Sitzplatz ein und zieht aus seiner Gürteltasche eine Rolle vor.

5. "Hier, mein Fürst, die Rolle meines Vaters; du hast ihn sicher noch gekannt." Er legt sie auf den Tisch. Beim Lesen sieht Pereztha den Besucher prüfend an. Rollen können ja gestohlen, Verstorbenen abgenommen worden sein und ist's nicht ausgemacht, daß jeder Überbringer ihm die Wahrheit sagt.

6. "Verzeih, dieser Rolle nach wärest du der Sohn des verstorbenen Isremia-Fardachei und dessen Frau. In den Wirrnissen der letzten Jahre sind manche Brüder ausgewandert, verstorben und kamen andere mit einer Rolle, natürlich jetzt, nachdem es sich herumgesprochen hat: der ungerechte Richter ist verbannt. Das klarzustellen ist sehr schwer. Ich lasse jeweils an dem fremden Ort der einst Geflüchteten erst alles prüfen."

7. "Ich bewundere deinen scharfen Sinn. Zwar komme ich als Bittender, aber nicht für mich, höchstens wegen einem guten Rat. Meine Bitte gilt Naemi, dir bekannt. Ich fühle mich für sie verantwortlich. Nimm dich ihrer Sache früher an, als sie an der Reihe wäre. Hier", wie bei Hanea entnimmt er einem Beutel eine Menge Geld, "ein Beitrag für die Ärmsten. Davon brauchst du für Naemi nicht zu sorgen, das tue ich."

8. Der Jerusalemer ist mit Recht erstaunt, noch mehr erfreut. "So viel willst du opfern? Kannst du das entbehren? Ich meine …" / "Wer bloß aus großer Fülle gibt, der hat nicht viel gegeben." / "Deiner Rolle nach bist du ein Kaufmann?" / "Ja, wie mein Vater es geworden war." Im Umriß berichtet Isremia seiner Eltern Weg. "Hast du einmal Zeit, so komm' nach Bethlehem, ich bleibe ein paar Wochen dort, bis ich weiß, wo ich mich niederlassen kann. Wo könnte ich wohl hier ein Handelshaus errichten?"

9. "Hm! Wenn du es schaffen kannst, und wie die Dinge liegen, würde ich dir raten, dich in Michmas anzukaufen. Noch liegt unser Volk danieder, allein, dort geht die fremde Straße durch, da hast du besseren Kontakt. Wäre es dir möglich, so errichte in Jerusalem ein kleines Nebenhaus."

10. "Hm", macht jetzt auch Isremia. "Ich danke dir für deinen guten Rat. Nun Naemi, wann kommt sie an die Reihe?" / Pereztha seufzt. "Von mir aus gleich! Bloß, oft wie die Obersten, so auch das Volk. Was würde ich nicht alles hören müssen, wenn ich… Du mußt bedenken, daß die Ältesten ein Wörtlein mitzureden haben und da ‒" Noch ein langer Seufzer.

11. "Wann könntest du die Ältesten versammeln, wenigstens die rascher zu erreichen sind? Ich käme her und glaub' es mir: In der Fremde lernt man mehr als nur die eigene Sprache! Sie brauchen nicht zu wissen, daß ich vorher bei dir war. Zu deren Gunsten, angemerkt und nicht, daß wir hinter einer Lüge uns verschanzen wollen." / "Das wäre mir auch gar nicht recht, obwohl ‒ nun ja, manchmal ist das Schweigen angebracht.

12. Einige sind gut: Selemech, Altrat von Jerusalem; Laban, Oberster im Altenrat; Herias, auch hier von der Stadt und Sinehas, Ältester von Emmaus und noch etliche. Du erkennst sie leicht. Natürlich sind von allen Stämmen einige sehr brav. Die meisten Fragezeichen ‒‚ lieber Isremia."

13. "Die lernten wir ja kennen und diesen hätte ich ein letztes Wort des Vaters auszurichten." / "Nun, Judas Älteste wären in drei Tagen da, doch ziehe ich die andern Ältesten hinzu. Die Boten sind schon abgesandt und ist möglich, daß sie heute in zwei Wochen kommen, wie ich es vorgeschlagen habe. Auf jeden Fall findet die Versammlung statt, auch wenn nicht alle kommen."

14. "Der Termin käme mir gelegen; bis dahin wird die zweite Karawane eingetroffen sein. Findet die Versammlung schon am Vormittag oder später statt?" / "Schon früh; bis mal alle unter einen Hut zu bringen sind ‒ o weh, da kann ich schwitzen!" / "Ich schwitze jetzt schon mit", lacht Isremia heiter. "Nun noch: dein Diener sagte mir, in der Nähe hätte ich ein gutes Unterkommen."

15. "Ja, jene Herberge, in der Abraham nach einer Sage einst gewesen sei, als er auf dem Weg zur Opferstätte war: der Bathrah-Hof (Der Patriarch – Kap. 21,4)." / "Hast du jemand, der mich hinbegleiten könnte? Sicher ist es gut, sich anzumelden." / "Sonst nicht; immerhin, es werden beinah alle Ältesten im Bathrah sich treffen. Hast du vorbestellt, kann dir nichts zuwiderlaufen."

16. "Draußen warten noch sehr viele, darum will ich gehen, ansonst ‒ ich hätte gern mit dir geplaudert." / "Ich mit dir auch." Der Fürst erhebt sich wieder. "Seit langem bist du mir das erste 'Licht', an dem ich mich erwärmen konnte." / "Darf ich, der Jüngere, dir einen Rat erteilen?" / "Schon angenommen!"

17. "Mach's mit denen, die nicht sauber sind, am kürzesten. Leutselig sein ist gut, aber nicht in jedem Fall. Darin heißt es gleich: ‚Den kann man um den Finger wickeln!‘ Auch scharfe Worte können helfen." / "Genau! Nur wisse das: Scharfe Worte gab es bei dem Richter. Würde ich das tun, bloß hie und da, dann hieße es: der ist auch nicht besser! In Umbruchszeiten ist's nicht leicht, zu handeln, wie man möchte." / "Verstanden", nickt Isremia. Ein warmer Händedruck von beiden Seiten.

*

18. Im Bathrah-Hof, der noch seinen alten Namen hat (später wird er ihn verlieren), findet Isremia, was ihm dienlich ist. Er bezahlt den Wirt, der entgegenkommend ist, im vorhinein und mietet in den Ställen einen Platz. "Weißt du", sagt er, "ich komm' mit meinen Tieren, da wirst du staunen. Das Maultier heute ist geliehen." / "Ist recht, Herr; wenn du kommst, ist alles vorbereitet. Kannst dich auf mich verlassen."

19. Isremia ist am Abend wieder bei den Seinen. Er staunt. An einem Tage sind ein großer Stall und eine weite Hürde fertig. "Seid ihr Zauberer?" fragt er seine Leute. / Der Karawanenleiter: "Dein Verwandter, Herr, hat seine Knechte abgestellt und Maurer hier vom Ort hinzugeholt. Wir müssen noch zwei Ställe bauen, den zweiten Zug bringen wir nicht unter."

20. "Veranlasse es. Die Helfer schicke Abend her zu mir, damit sie ihren Lohn bekommen. Sieh zu, daß ihr für euch ein Haus errichten könnt. Das Feld kaufe ich, es soll zur Weide dienen, denn die Tiere bleiben unter deiner Obhut hier." Er berichtet, wo er sich in Kürze niederlassen kann.

*

21. An jenem Tag, als die Gebäude fertig werden, trifft die zweite Karawane ein, dreißig stattliche Kamele, kräftige Maultiere, die beladene Wagen ziehen und einen, der die Leute wundern macht. Er ist mit vier weißen Pferden, herrlich aufgeschirrt, bespannt. Als Ruth die edlen Pferde sieht, geht sie auf sie zu. Natürlich gab es in Ar-Moab gleichfalls Pferde, nur nicht allzu häufig, und ein weißes hatte sie noch nie gesehen.

22. Isremia laut ruft: " Achtung Mädchen, du weißt nicht mit ihnen umzugehen! Sie sind zwar zahm, immerhin…" / Ruth sieht Isremia ruhig an. "Tiere spüren, wie man es mit ihnen meint." Schon steht sie am linken Leitpferd, streichelt dessen Nüstern und küßt es auf die Stirn. / Der Lenker ist perplex. "Eine Frau und solchen Mut!" Er springt vor. "Herr, dieser Frau kannst du allezeit vertrauen. Wer das vermag, ein ihm fremdes Tier zu streicheln und es wehrt sich nicht, der hat ein gutes Herz!"

23. "Das habe ich schon selber festgestellt", lacht Isremia, während Ruth die andern Pferde streichelt. / Auch Boas kam hinzu und sagt zu Isremia: "Wen ein Engel leitet, der kann Tiere zähmen. Ich würde mich nicht wundern, wenn sie sich zu einem Löwen setzt." / "Oh, nein", erwidert Ruth. "Es ist ein Unterschied, Tiere bei den Menschen oder wenn es wilde sind. Die haben Angst vor Menschen; aus Angst greifen sie dann an oder fliehen."

24. "Du hast den Engel schon mal angedeutet. Erzählt mir doch, wie das gewesen ist." sagt Isremia. / "Heleana weiß es, meine Mutter hat es ihr gesagt. Sie war sehr aufmerksam und von Naemi läßt sie sich belehren, wenn du nicht zu Hause bist. Sie wird sich freuen, wenn sie dir berichten darf."

25. "Meine Liebe! Wo ist sie denn?" / "Sie lernt Kuchen backen." Mit einem Blick auf Ruth, die zu Naemi geht, fragt Boas: "Wie ist's in Griechenland? Haben da die Männer auch mehr Frauen?" Er gibt sich Mühe, sich nicht zu verraten; denn vorhin, Isremias Angst um Ruth, wer weiß… Dieser lächelt insgeheim.

26. "Allgemein tut man das nicht. Und wenn, so bleibt die Hauptfrau stets die einzige, die anderen sind zur Unterhaltung da, wenn der Hausherr Gäste hat. Ich bin wie du ein Israele und mehrere Frauen geziemt uns nicht. Auch widerstrebt es mir persönlich." Ihm entgeht das tiefe Atmen nicht, tut aber so, als ob er es nicht merkt. Man kann Gutes stiften, wenn man will.

27. Isremia sagt Naemi nicht, daß er ihre Sache stark vorangetrieben hat. Er wartet, was die Versammlung mit den Ältesten ergibt. Ihr würde er am liebsten sofort alles geben. Doch der Fürst hat recht: jeder Älteste machte für den eigenen Stamm zuerst die Forderungen geltend. An sich verständlich. ‒

28. Morgen ist der Tag. Isremia läßt die Pferde schirren, nicht in einer Reihe, wie in Griechenland die Sitte ist. Judas Städte sind so klein, die Gassen schmal, besonders in Jerusalem. " / Ruth, die mit Interesse sieht, wie man die Gespanne richtet, sagt: " Schade ich würde gern mit fahren. Mein Vater hatte ein paar Pferde, nur nicht so schön und keine weißen."

29. Heleana nickt Ruth zu. "Ich bin oftmals mitgefahren, es ist ganz wunderschön. Man fliegt dahin, beinah wie ein Vogel in der Luft." / "Steigt auf…", lockt Isremia, "…wir fahren eine Runde." Das läßt sich Ruth nicht zweimal sagen; wie ein Wiesel ist sie oben. "Das mußte ich erst lernen", sagt Heleana, "und du kannst es gleich." Liebevoll schlingt sie einen Arm um Ruths Nacken.

30. "Ach, wenn ich lenken könnte! Was für ein Gefühl muß es sein, die Pferde zu bewegen!" Schwärmerisch sieht Ruth nach vorn, wo der Wagenlenker steht. / "Das wage nicht", warnt Heleana, "die klugen Pferde merken, ob ein Kundiger sie lenkt oder einer …" / "Der nichts davon versteht. Weiß ich!"

31. Isremia setzt sich zwischen beide Frauen. Schon läßt der Lenker seine Pferde los. Hui, es geht dahin! An des Wagens Innenseite sind Plätze angebracht und Griffe, um sich anzuhalten. Heleana benutzt sie auch. Ruth steht auf, stellt sich hinter den Wagenlenker und sieht zu, wie er die Zügel führt.

*

32. Ruth dankt, als sie ausgestiegen sind. "Das wäre eine Fahrt bis nach Ar-Moab!" / "Kannst du nun schon lenken?" scherzt Heleana. / "Wo denkst du hin; doch ich würde es gern lernen." / "Frag' den Lenker", meint Isremia lustig. "er fängt mit Maultieren an, die sind leichter einzuzügeln, mit zweien, liebe Ruth! Selbst ich überlasse ihm das Viergespann." / "Wirklich?" Ruth wird brennendrot.

33. Als es Naemi hört, schüttelt sie den Kopf, sie hätte nie gehört, daß Frauen Wagen lenken. Auf Eseln reiten …ja. / Boas zankt: "Wärst du meine Frau, da…" / "Noch bin ich's nicht; doch ich probiere es." Man nimmt ihren Eifer absolut nicht ernst. ‒ Isremia ist schon abgefahren. Auf guten Wegen läßt der Lenker seine Pferde springen, aber wie in Griechenland, wo die Wege dafür zubereitet sind, geht's hier nur bei kleinen Strecken. "Was für ein Land", fragt er, "nicht mal ordentliche Wege gibt es hier!" "Das wird bald besser", beruhigt ihn sein Herr.

34. "Auch Griechenland ist nicht an einem Tag geworden wie es heute ist. Mein Vaterland ist klein und nicht sehr reich. Würde unser Ahnherr (Abraham), der Begründer unsres Volkes, heute leben, da sähe es ganz anders aus. Achtung!" ruft er plötzlich, "rechts kommt eine Schlucht."

35. Isremia hat mit Absicht sein Gespann geschmückt. Eindruck ist oft schon Erfolg. Das merkt er, als einige Älteste mit ihren Eseln im Bathrah-Hof mit dem Wirte zanken. Der zuckt die Schulter. Er hält von denen nicht sehr viel, hat selbst die schwere Zeit verkosten müssen, die Uneinigkeit der Ältesten war ihm stets zuwider. Wer hat das auszuhalten? …Das Volk!

36. "Oh, Geduld!", ruft er. "Es kommt jeder an die Reihe." Ein Knecht bringt die Esel in den großen Stall. Als er und allesamt das herrliche Gefährt des Isremia sehen, fallen ihnen bald die Augen aus dem Kopf. / "Ein Fremder!" / "Ein König!" / Das Gemurmel breitet sich im ganzen Hause aus, jeder kommt herzugelaufen. Doch nur der Wirt eilt auf Isremia zu, mit tiefem Neigen.

37. "Nun verstehe ich, daß für deine Tiere ein Sonderplatz in meinen Ställen nötig ist. Sind sie aus Griechenland? Die beste Kammer ist für dich bereit, auch für deinen Lenker extra eine. Die andern…", wispelt er mit schiefem Blick auf ein paar Älteste, die mit saueren Mienen und mit Gemurre starren, "…mögen in den Sälen schlafen. Gut genug für die!"

38. "Sag' das nicht zu laut, es könnte deinem Hause schaden. Recht hast du aber. Groß aufgeputzt und innen hohl!" 'So waren sie, als die Eltern fliehen mußten.' Der Wirt bringt ihm das Essen auf die Kammer, der Lenker, etwas eingeweiht, geht in die große Essenstube, um zu horchen, wie die Meinung ist.

39. Darin geht es heftig zu. / "Was will der Fremde, wo wir morgen uns beraten?" / "He, Wirt, wer ist der denn?" / "Von mir aus kommt Pereztha nicht ans Ruder, wir wären alle abgeschafft!" / Ein Bedächtiger Sagt: "Langsam niemand eignet sich so gut, die Karre aus dem Dreck zu ziehen, als gerade er." / Alles trägt der Lenker Isremia zu und beschreibt ihm jeden ganz genau. Und so kommt der Morgen.

*

40. In der Frühe war Pereztha zum Gebet gegangen. Nun wartet er, was werden wird. Allmählich füllt sich der Beratungssaal. Einige lassen auf sich warten und verraten somit ihren Sinn. Isremia hatte noch am späten Abend ihm berichtet, was sein Mann und er erkundet hatten und gesagt: "Ich komme als der Letzte." Nun sagt der Älteste von Samaria, der ärgste Feind: "Fangt schon an, aus der Versammlung wird ja doch nichts werden."

41. "Wirst sehen, wie es wird", entgegnet Laban scharf. Als Oberster der Ältesten kann er jeden rügen, wer mit Absicht randaliert. / Der Fürst steht auf. "Ich danke euch, liebe Brüder, daß ihr gekommen seid. Ich warte noch auf einen Gast, der uns bereits sehr dienlich war." / "Paß' bloß auf", grollt der Samariter seinem Nachbarn zu, "das ist der Fremde. Na, da kann der Fürst sich gratulieren, was ich unternehmen werde!"

42. Kaum ausgeredet, tritt Isremia ein. "Verzeih…", wendet er sich an den Fürsten, "…ich komme etwas spät, hoffe aber, daß die Versammlung erst begonnen hat." / Schon hört man Murren. "Ich protestiere!" / "Ein Heide hat hier nichts zu suchen und wäre er der Pharao!" / "Was will der Fremde hier?" / "Geht es nicht um unser Volk?" / "Verrat!" – Schwirrt es durcheinander.

43. Laban hebt die Hand. "Älteste, wir sind Männer und keine Kinder! Durcheinanderreden gibt es nicht. Wer etwas sagen will, der melde sich, wie es bei uns Sitte ist. Und gleich im vorhinein: ich warne jeden Störenfried! Mir selbst ist der Fremde unbekannt, bin jedoch der Ansicht, daß ihn EINER schickte, der uns in der Trübsal unseres Volkes hilft. Wartet doch erst ab, was sich mit ihm ergibt!" Das hilft zunächst.

44. Pereztha traurig sagt: "Bis wir eine gute Straße finden, die uns eint, uns zum Aufstieg bringt, wird mancher Streit zu schlichten sein. Bitte, sage deinen Namen…", er sieht Isremia an, "…damit alle wissen, wer du bist." / "Mein Name nützt den meisten nichts", geht Isremia taktisch darauf ein.

45. "Ich heiße Isremia, Sohn eines eingesessenen Israelen, dessen Ahnen schon dem Mose dienten. Genügt euch das?" / "Ein Israele kommt nicht wie ein Heide, mit reichem Kleid und mit vier Pferden. So hat er sich im Bathra-Hof uns vorgestellt", geifert einer. / "So…? Vorgestellt…?" fragt Isremia.

46. "Vorgestellt habe ich mich nicht, keiner kam zu mir; den Wirt bloß habt ihr angestochen! Ich sehe aber hier und da und dort…", zeigt er auf mehrere, "…kostbarere Kleider als das meine ist. Seid ihr daher Heiden?" / "Das ist was anderes, das Volk soll wissen, wem es zu gehorchen hat!" giftet sich der Jesreeler,

47. Spottet Isremia: "Ach, mit Prunk knechtet ihr das Volk? Und wo ist eure Hilfe für die Armen, die flüchten mußten?" / "Mache du erst mal die Tasche auf, statt deinen Mund!" tobt einer. / Droht Laban: "Genug! Ich hörte, ein Fremder hätte eine große Summe hergegeben, freiwillig." Er blickt auf Isremia. "Beinah meine ich, daß du der Fremde warst." / "Abgekartet!" Der Samariter fuchtelt wild. "Ihr macht mich nicht dumm!"

48. "Behalte deine Bosheit!" Herias, der Älteste von Jerusalem, steht auf. "Wie manche zugegeben haben, kam der Fremde gestern Abend an, also kannten wir ihn nicht. Ob der Fürst, das weiß ich nicht. Wenn jedoch und er hat den uns noch Fremden eingeladen und zugelassen, so glaub' ich gern, daß es für uns zum Nutzen wird. Haftet endlich die Versammlungsordnung ein. Das Wichtigste von allen Punkten ist zuerst die Einigkeit, nicht bloß unter uns, wo es leider mangelt; es gilt, daß unsere Stämme einig werden. Wir haben uns schon allzu lang, zu sehr zersplittert. Um dem Volk zu dienen, bedürfen wir ein einheitliches Regiment."

49. "Fürst Pereztha aber nicht", ruft ein Störenfried. / Isremia sieht den Alten, dessen Griesgram das Gesicht zerfurcht, belustigt an und Laban sagt: "Noch wurde keiner aufgestellt, ganz unabhängig meiner Meinung, ob mir jemand einen Besseren zu nennen wüßte, als es Fürst Pereztha wäre, der so gut als möglich jedem Stamm Gerechtigkeit verschafft."

50. "Das sahen wir an Beraba, der uns ins tiefe Elend warf", schreit der Jesreeler, "vergiß es nicht, daß Beraba von deinem Stamme ist und sich in die Zentrale eingeschmuggelt hat, unter Hilfe eurer Ältesten. Deine Hilfe war ja auch dabei!" Das sitzt! Man zieht die Köpfe wieder ein.

51. Fangt Laban an: "Herias hat den ersten Punkt herausgehoben. Wir wählen einen Obersten, der…‚ von je einen Ältesten der zwölf Stämme unterstützt …das Regiment erhält. Sagen, wir erst auf drei Jahre. Der Fürst, hat mit Unterstützung lichtgesandter Helfer…", Laban meint die Engel, während einer zwischenmurrt: "Hach, der Fremde ist auch lichtgesandt? Und was bedeutet das?"

52. "… Beraba zu Fall gebracht", übergeht Laban das Geschwätz. "Ich kann für die Wahrheit zeugen. Deshalb sind wir, die dabeigewesen sind und in Bethlehem das 'Wort des Herrn' empfingen, einig: Fürst Pereztha wird ‒ sagen wir zunächst ‒ der Oberste des ganzen Volkes! In drei Jahren wird sich zeigen, wie er uns regiert. Dann ist eine neue Hauptversammlung fällig und man wird sehen, was nötig ist zu tun. Wer ist für Pereztha?"

53. Mehr als die Hälfte aller Ältesten steht auf. Einige heben wild die Hände. / "Protest!" / "Es sind mehrere zu nennen, über die das Pur entscheidet." / "Ich laß den Priester holen", hält Laban das Geschwirre wieder auf. "Bis er kommt, nennt jene, die ihr statt Pereztha haben wollt," Laban sendet den Versammlungsdiener fort. Der Hauptpriester von der Synagoge hatte sich bereit gehalten. In kurzer Zeit trifft er ein.

54. Indessen nennt, was wirklich abgekartet war, der Jesreeler seinen Fürst von Manasse und der Samariter den von Napthalie. / Pereztha sagt sarkastisch: "Nennt alle Stämme-Fürsten! Oder denkt ihr, daß ich gern die Lasten schleppe, die ihr auf meine Schultern legt? Für das Volk will ich die Bürde auf mich nehmen, nicht für euch! Schreibt gleich alle Zettel aus, dann mag Gott durchs Pur bestimmen, wen ER zur Führung vorgesehen hat."

55. Man ist damit einverstanden. Der Priester, einer aus der alten Schule, inzwischen schon das Pur bereitet, legt die geschlossenen ganz gleichen dünnen Rollen vor sich auf den Tisch. Über jede Rolle spricht er seinen Segensspruch und läßt die Würfel fallen. Bereits sieben schwarze haben sich gezeigt, und zwei weitere folgen. Judas Rolle war noch nicht dabei.

56. Da, beim zehnten Wurf entfallen weiße Steine. Laban, der die Rollen öffnete, Fürstennamen und den Stamm verlas, hält das Zittern seiner Hände an. Ausgerechnet fehlen Juda, Naphtali und Manasse. Gott sei Dank! Es ist Judas Zettel. Doch wirft der Priester über die zwei letzten auch das Pur. Beide wieder schwarz. "Noch einmal über die drei letzten!", verlangt der Jesreeler.

57. "Willst du GOTT versuchen?" Der Priester wirft. Es bleibt dabei: Pereztha hat die weißen Steine. Da ist nichts mehr einzuwenden. Ein Gottesurteil! Der Priester segnet den Gewählten mit dem Segen, den Gott dem Mose und dem Aaron anbefahl:

«Der Herr segne dich und behüte dich;

der Herr lasse Sein Angesicht leuchten

über dir und sei dir gnädig;

der Herr hebe Sein Angesicht über dich

und gebe dir Frieden!» (4. Mo.6,24-26)

58. Eine Weihe liegt über der Versammlung, sogar die Störenfriede neigen sich, nur nicht ihren Sinn. Für Weltlinge muß die Welt oft wirken. Und sie kommt! Eine Weile hilft die Gegenwart des Priesters und der Spruch. Erst, als Pereztha jetzt die Punkte aufmarschieren läßt, die zur Sprache kommen müssen, treten alle Feindlichen, zum Glück nicht mehr viele, auf.

59. "Es ist ein schwerer Dank, den ich meinen Brüdern zollen muß. Dem Höchsten meinen Dank zu opfern, tue ich mit denen, die mir in meinem Amte helfen werden. Diesen sei hier gleich gedankt. Seid gewiß: ich tue alles, was nur möglich ist, jedermann gerecht zu werden, unser Volk zu einigen, keinen Stamm hervorzuheben, sondern daß es werden möchte, wie zur guten Zeit bei Josua, als das Volk mit Freuden in das Land des Patriarchen kam. Ob es so werden wird ‒ ‒? Möge Gott uns helfen!

60. Mein Hauptpunkt ist: den Familien, durch Beraba vertrieben, deren Männer hingerichtet wurden, das vom Richter eingeheimste Gut wieder zu ersetzen und da will ich hoffen, daß jeder Stamm an seine Armen denkt. Darüber hinaus soll es eine allgemeine Hilfe geben. Es sind Gaben eingegangen. Soweit nicht für Bestimmte vorgesehen, von den Gebern, nicht von mir", muß er jene mit den argen Mienen zügeln, "wird das übrige auf alle aufgeteilt. Freilich kommt nicht viel auf jeden, bis jetzt, doch wird mancher gern sein Opfer bringen, damit alle Armen zu erretten sind."

61. "Ich halte nichts davon", meldet sich der Samariter. "Warum sind sie ausgerissen? Beraba konnte sie nicht alle töten." / "Aber viele", wirft der Priester ein. "Euch Älteste hat es nicht betroffen, weil er euch brauchte, und manche", ein kalter Blick, "staken mit ihm unter einer Decke. Ich nenne keinen Namen; es genügt, wenn sich jeder selber kennt."

62. Gegen den Obersten der Priesterschaft (später Hohepriester) geht man nicht vor. Es würde rebelliert. Trotz vieler Ungebärdigkeit hängt man am Glauben. Einer meint: "So ist es nicht gewesen; auch wir Ältesten unterstanden dem Regime." / "Dem manche auszuweichen wußten", greift der Altrat ein. / Pereztha fragt nun, ob und wie der erste Punkt Beachtung fände.

63. Gleich grollt der Samariter: "Wenn du als Fürst des Volkes nichts Wichtigeres vorzubringen hast, so hebe die Versammlung auf." / Der Griesgram sekundiert: "Es muß jeder seine Haut zu Markte tragen. Wer das Land verlassen hat und arm geworden ist, sollte seine Hände regen. Arbeit gibt's genug."

64. Es erhebt sich einer, der zurückgezogen lebt, seines Amtes aber bestens waltet. Er hatte nie Kontakt gesucht. Er geht zum Tisch der Führenden, allgemein nicht üblich. Jetzt steht er da, wie ein guter Patriarch, und seine Augen leuchten. Mit einer Handbewegung bittet er ums Wort. / Laban nickt ihm zu: "Du hast das Wort, und jeden rüge ich, der dich unterbricht!"

65. "Ich habe mich um Streit und Hader nicht gekümmert; es soll aber keiner glauben, ich hätte nicht Bescheid gewußt, noch wäre mir des Volkes Weh und Leid nicht nahgegangen. Ich habe alles Unrecht aufgesammelt, nicht nur das von Beraba, merkt es euch, die ihr nur Gegenreden wißt! Auf diesen Tag habe ich gewartet und bin froh, daß der HERR den Besten wählte, den wir haben: Fürst Pereztha! Wer den Hauptpunkt, von ihm richtig dargestellt, nicht anerkennt, der wird seines Amts enthoben.

66. Halt!..." wehrt er ab, als einige die Köpfe schnellen lassen, "…ich habe viel mehr Macht, als ihr es glaubt! Woher? Fragt mich nicht! Und wieder Halt! Nicht der Fürst, nicht der Oberste stehen hinter mir dahingehend, daß sie davon wissen. Nein, ein hoher Gönner hat mir aufgezeigt und ich lernte nach und nach die Ungerechtigkeiten überschauen. Er ließ mir sagen: 'Einer kommt, von GOTT gewählt, und diesem sollt ihr dienen.'

67. Daraus ist ersichtlich, daß ich Feindlichen zu wehren weiß. Ihr Törichten, was ihr hier zerstören wollt, geht ja gegen das gesamte Volk! Schüttelt eure Köpfe, Ebolo von Jesreel, Sadmach von Samaria und ihr, die ihr nicht wissen wollt, um was es geht! Labans Sache wäre es zu fragen, ob der Hauptpunkt angenommen wird. Wer dafür ist, stehe auf. Wir zählen Für- und Widerstimmen ab. Zwei Drittel gelten dann für alle."

68. Kaum erwartet: bis auf wenige stehen alle auf. Das ist ein Sieg aus Gottes Hand! Der Älteste, vom Stamme Dan aus Lais, wischt sich über seine Augen. "Ich danke jedem, der auf Gottes Seite steht." / "Oh, wir denken, auf der Seite des Erwählten?" wagt der Griesgram einzuwerfen. Unerwartet geht der Daner durch die Reihen auf ihn zu, und tippt ihn an.

69. "Du bist des Amts enthoben! In wenig Tagen wirst du den Beschluß erhalten!" Weiter sagt der Daner nichts und setzt sich still auf seinen Platz. Laban drückt ihm beide Hände. "Ich kenne jenen nicht, der dir zur Seite steht. Ist es aber der, von dem ich glaube, daß er mächtig ist, so danke ich von Herzen, daß über dich die Hilfe kam, wie es durch Gottes Pur geschah."

70. Einer grollt: "Weshalb nennt er seinen Hohen nicht? Ist's einer aus dem Volk, so trete er hervor; ist's ein Fremder, so unterstehen wir ihm nicht." / "Hast recht", sagt der Daner ruhig. "Du gerade wirst es nicht verstehen: er gehört zu unserm Volk und ist zugleich ein Fremder." 'Ach', denkt Isremia, 'der ganz große Helfer.' Dankbar fügt er seine Hände ineinander.

71. "Bitte", wendet sich Pereztha an den Priester, "die Spenden, die dem ganzen Volk zunutze sind, möchte ich durch deine Hände gehen lassen. Ich weiß, es ist kein Amt des Priesters; doch könnten wir den strengen Rahmen etwas lösen. Wenn ihr für die Seelen sorgt, so seht ihr auch die Not der Welt." / "Darf ich etwas sagen?" bittet Isremia. Man gibt ihm gern Gewähr.

72. "In Korinth lernte ich das Leben aus dem großen Rahmen kennen. Da war ein berühmter Arzt. Ihr meint noch immer, ein Arzt hätte bloß das Körperliche zu bedenken. Gewiß steht das im Vordergrund, dafür ist er eben 'Arzt'. Jener fragte seine Kranken nicht zuerst nach ihren körperlichen Leiden. Er forschte nach der Not, nach Kummer, Leid und Sorgen. Und war keiner, der ihm nicht alles anvertraute. Auch mein Vater war bei ihm.

73. So war ihm leicht, dem Leib zu helfen, wo nicht schon der Tod am Krankenbette stand. Demnach könnte wohl ein Priester umgekehrt zum großen Segen werden. Forschen diese nach der Not des Lebens und tun, wie und wo die Hilfe möglich ist, um wieviel leichter können sie den Seelen helfen.

74. Gott gab uns zwei Augen, das Innere und Äußere zu sehen; Er gab uns auch zwei Hände, die sich nach zwei Seiten strecken." Isremia spreizt die Arme aus, dabei leicht des Priesters und des Fürsten Schultern mit berührend. "Auch der Herrgott hat zwei Hände, mit denen Er zu segnen und zu helfen weiß."

75. "Wunderbar gesagt!" Spontan umarmt der Priester Isremia. / "Ich nehm' den Posten an. Hoffentlich kommt jetzt kein Widerwort." Es bleibt still. Pereztha dankt. "Für diesen Punkt und andere rufe ich in Kürze den gesamten Fürstenrat zusammen. Unser Oberpriester Anacarias, Selemech, Laban, Herias und Kenia aus Lais bitte ich, dabei zu sein, auf daß alle vom Verlauf des Fürstenrates volle Botschaft hören sollen." Auch hier gibt es kein Widerwort. Weil es schon Mittag ist, schiebt man eine Pause ein.

 

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Kap. 13

Die liebe Tochter Gottes

Gute Erkenntnisse und böse Kunde in Michmas

Die Auslandshilfe

1. Zwei Wochen sind vergangen, als eines Tages Fürst Pereztha in Begleitung des Altrats Selemech in Bethlehem erscheint. Er kehrt zuerst bei Hanea ein, wo er erfragen will, ob in Naemis Sache etwas unternommen worden sei. Es wird verneint.

2. klärt Boas auf: "Isremia sagt du willst Naemi melden, ihr Elend ginge bald vorüber. Daher hat er noch nichts unternommen und so haust sie noch in ihren Trümmern. Weil die Erntezeit vorüber ist, stellte ich drei Knechte für die Felder ab. Kostet viele Mühe, denn alles ist versteinert. Ich schätze mindestens drei Jahre, bevor der ganze Grund bestellbar ist."

3. "Hauptsache ist, es geht voran, wir danken euch, weil ihr Naemi helft." erwidert Selemech / "Das wollen wir, es war allzu schwer für sie." fällt Hanea ein. / sagt Pereztha: "Wie für so viele unseres Volkes. Aber Gott hat uns geholfen, das sei nie vergessen, Ihm zum Dank, zu Seiner Ehre."

4. "Wo ist Isremia?" / "Er ritt nach Michmas, hat dort ein großes Haus gefunden, um ein Lagerhaus daraus zu machen. Seine Frau blieb bei uns." / "Ist sie eine Fremde?" / sagt Hanea: "Eine Griechin, lieb und gut und neigt sich unserm Glauben zu. Sie ging zu Ruth, beide haben sich befreundet."

5. "Ich bin kein Gegner, bringt ein Mann ein gutes Weib mit aus der Fremde heim,“ sagt Pereztha. „Ach, ja, ja, der alte Zopf: die bösen Heiden, wir auserwählt! Mich widert das schon lange an. Leider ist das tief in unseres Volkes Wurzel eingegraben. Ob es einmal ganz zu überwinden ist…?"

6. Sagt Selemech bedächtig: "Streuen wir in unsrer Zeit das Korn der Wahrheit aus, so mag es einst zum Segen werden." / "Genauso denke ich. Wie das möglich ist, hat sich in Bethlehem gezeigt. Ruth, die Moabitin, ist überall beliebt, auch die Griechin Heleana hat schon manches Herz erobert." freut Boas sich.

7. "Männer?" lacht Pereztha. / "Wo denkst du hin!" eifert Hanea. "Sie ist Isremia treu ergeben. Nun ja", lacht sie auch, "natürlich gibt es Männer, die der schönen Griechin hold gewogen sind. Sie kann gut helfen, ist geschickt wie unsere Ruth. Für Hilfe sind die Menschen eben aufgeschlossen. Und wer wäre das auch nicht?"

8. "Ganz recht! Ich gehe zu Naemi, es ist besser, wenn wir, Selemech und ich, mit ihr allein das Nötige besprechen. Nächste Woche trifft der Fürstenrat zusammen, am Tage vor dem Sabbat." / Boas, der ans Fenster trat, deutet auf den nächsten Weg. "Eben kommen Ruth und Heleana, also ist Naemi jetzt allein." / "Sollen wir sie mit herüberbringen?" / "Selbstverständlich! Wenn ihr nicht zu lange braucht, könnten wir in einer Stunde essen." Damit ist man einverstanden. Der Fürst schlägt einen kleinen Umweg ein, es drängt ihn, Naemi anzutreffen.

9. Sie sitzt vor einer Schüssel Ähren von der letzten Lese. Sorgsam nimmt sie jeden Abfall weg. Noch immer schaut sie sich verstohlen um, unterdrückt die Sorge, weil sie Ruth nichts Besseres zu bieten weiß. Erst hatte sie gedacht, Isremia würde ihr bald helfen, er hatte sie so lieb begrüßt. Und nun…

10. "Ich darf nicht klagen. Gott hat mich heimgeführt, hat mir die Tochter Ruth geschenkt und gute Freunde. O Herr, verzeihe mir! Du bist mein Vater und mein Helfer in der Not der Welt, Du hast mich nie verlassen. Den ungerechten Richter hast Du fortgejagt, so wird wohl wieder über mich Dein Friede kommen!" Dabei wischt Naemi sich ein Tränlein vom Gesicht.

11. Sie hört nahe Schritte. Das ist Ruth oder Knecht und Magd, denkt sie. Bald ist Essenszeit. Dabei sieht sie in die Schüssel. 'Nicht viel.' Als sie in die Höhe blickt, steht Pereztha in der Öffnung, an der eine rohe Holztür lehnt, der Altrat hinter ihm.

12. "Sei gegrüßt, Naemi", ruft er froh, um das Düstere der Armut zuzudecken. – Hastig springt sie auf, beinah wäre ihr die Schüssel mit dem Korn entglitten. – "Wir sind gekommen, um dir etwas Wichtiges zu sagen." "Was? Leider kann ich nicht …" Zwei kleine Hocker hat sie erst, darauf müssen sich die Männer setzen. Verwirrt bietet sie die Sitze an. / Selemech sah vor dem Hause einen Klotz, den holt er sich herein, setzt sich drauf und nickt dazu: "Denkst du, daß wir dich stehen lassen?"

13. Sagt der Fürst: " Eben! Nun höre zu, Naemi. Deine Sache ist des Volkes Sache. Zu mir kam ein lieber junger Mann; er gab mir Geld für dich, daß dir von allen Armen erst geholfen würde. Für diese gab extra einen Schatz. Ich bin froh, daß es noch solche Männer gibt, dazu jung, wenig über dreißig. Ich wollte, unsere Alten, die es könnten, würden sich ein Beispiel an ihm nehmen."

14. "Ist.. Ist es Isremia?" fragt Naemi. / Der Fürst bejaht. / 'Ach, und wie dachte ich so falsch, nicht geduldig. Gott, verzeihe mir!' / "Er hat mir schon ein Geld gegeben, damit ich Magd und Knecht bezahlen konnte und das Nötigste am Bau." /  "Was er jetzt gegeben hat, sollte allen Armen Judas gelten."

15. "Nein!" Der Rat nimmt Naemis Hände in die seinen. "Für wen etwas gegeben worden ist, der muß es auch erhalten. Nächste Woche kommt der Maurermeister, er wird mit beiden Maurern hier vom Ort Haus und Stall errichten. Daß du nicht lange anderwärts zu bleiben brauchst, wird alles hundert Schritt vom alten stehen, was zudem günstiger zur Straße liegt."

16. "Bis zum Winterwetter wird alles fertig sein." Pereztha sagt es heiter. "Dann bleibt noch eine schöne Summe übrig, zumal du von den allgemeinen Spenden auch dein Teil erhältst. Isremias Gabe ist eine ganz persönliche, worüber keine Rechenschaft erfolgt. Helfen sich Verwandte oder gute Freunde gegenseitig, da hat sich die Regierung gar nicht einzumengen."

17. Aus Naemis Augen rinnt die Freude wie ein Wasserbach. Ist Wehmut mit dabei? Sie prüft es nicht. / "Still", mahnt Selemech, der wie der Fürst so leicht in diesem Antlitz lesen kann, in dem die Lebensrunen eingegraben sind, aber auch ein Licht, klar und schön, da muß man sagen: eine echte Tochter Gottes.

18. Fragt der Fürst: "Ist's dir recht, Naemi, wenn wir zunächst das Geld verwalten? Man wird hämisch sein, wenn du selber zahlst. Der Jerusalemer Meister wird von uns bezahlt und bekommt den Lohn auch für die Maurer, doch händigen wir dir soviel aus, damit du erst mal für paar Monde ohne Sorge leben kannst."

19. "Es ist gut. Wenn auch die meisten Leute zu mir freundlich sind, hilfsbereit mit kleinen Gaben, sie haben selbst nicht viel ‒ es gibt andere, die unterm Richter ungeschoren blieben und diese … Nein, ich will sie nicht verraten."

20. "Solche Leute kennen wir, nicht nur aus Bethlehem! Nächste Woche kommt der Meister." / Naemi faltet ihre Hände; und da ist es wieder, dieses Sonderbare, was oft um sie zu spüren ist, was auch die Moabitin an sich hat, weil sie gläubig wurde. Die Männer neigen sich, sie denken an die Engel, die wunderbar geholfen hatten und ‒ an Gott, der die Engel sandte.

21. "Komm", sagt Pereztha, "Hanea wartet mit dem Essen. Lasse deine Körner stehen." Er führt Naemi. / Etliche, die das sehen, lächeln: "Wie gut der Fürst von Juda ist; er kommt ins Regiment, es wird uns wohl ergehen." / Andere ärgern sich. "Da wird Naemi hochgebracht, die sich mit Mann und Söhnen aus dem Lande schlichen, als es ihnen an den Kragen ging."

22. Warnt ein Guter: "Du wärest rasch verschwunden, hättest Frau und Kind verlassen, wenn dir der Kragen enge ward. Danke Gott, daß du im Lande unbeschadet bleiben konntest!" / "Unbeschadet? Und die vielen Steuern?" / "Die hatte jeder aufzubringen; man war froh, wenn der Richter nicht das Leben, Haus, Hof, Vieh und Felder nahm! Denke dran!" – Die Hämischen verschwinden. Ein Knecht hatte das Gespräch gehört und trägt die Namen den Jerusalemern zu.

23. "Brav, wenn die merken, daß wir für die Armen sorgen, sind's die ersten, die sich melden." lobt der Fürst. / "Was tust du dann?" fragt Boas. / "Vertrösten. Zuerst kommen jene an die Reihe, die an Gut und Blut geschädigt worden sind. Doch es wird im Fürstenrat vereinbart, daß sich die Stämme gegenseitig unterstützen, sobald im eigenen Stamm die Fürsorge abgeschlossen ist.

24. Wir gehen durch den Ort und prüfen, wer von den Genannten träge ist. Die armen Fleißigen sind vorzuziehen." / "Ich kenne alle, vielleicht ist's nicht ganz angebracht, wenn ihr euch heute sehen laßt." sagt Boas / "Richtig", bestätigt Selemech. – Also werden nur die Namen aufgeschrieben.

25. Heleana macht auf die Männer einen besten Eindruck. Sie ist klug, die schöne Griechin, in vielen Stücken wohlbewandert. Sie sagt auf Befragen: "Mit Erlaubnis meines Vaters lernte ich bei unserem Arzt so manches; wenn möglich, möchte ich das hier verwerten. Natürlich nur im Kleinen. Manchmal ist ein Arzt nicht gleich zu haben, da kann eine erste Hilfe eine Rettung sein."

26. "Oh, Bethlehem hat einen großen Stern", lobt der Fürst. Er ahnt nicht, wie sich das einmal erfüllen wird. Naemi nickt für sich, sie sieht den 'Stern von Bethlehem', wie er kommt, sich niederneigt und wieder in die Höhe geht! (Gott). Heleana ist errötet. "Ich bin kein Stern, bin bloß… / "…ein gutes Kind", ergänzt Hanea. "Und weißt so viel. Bloß gut, daß der Oberpriester Anacarias aufgeschlossen ist; gern wird er deine 'kleinen Hilfen' anerkennen. Ansonst… Die anderen…"

27. "Die Priester lassen sich das Amt nicht nehmen, obwohl fast alle nichts davon verstehen. Da sollen Worte helfen. Wer etwas kann, der wird bekämpft." / "Bei uns auch", nickt Heleana Boas zu, "doch wird eine Hilfe anerkannt. Unsere Ärzte bilden eine Gruppe, unabhängig von den Priestern. Sie stehn in gutem Ruf. Schade, daß das in Israel nicht auch so ist."

28. "Schade ist das schon, nun …einige setzen sich ja durch." meint Selemech bekümmert- / Der Fürst bestätigt es. "Mose hatte einen guten Arzt, von dem ist's herzuleiten, wenigstens bei uns, daß sich diese Wissenschaft allmählich bildete. In andern Ländern soll sie schon sehr weit gediehen sein, bereits viel früher, bevor aus uns ein Volksstamm wurde."

29. "GOTT ist unser Arzt" (2.Mo.14,26), sagt Naemi feierlich. "Er hat uns viel von Seinem Lebensgut geschenkt, also sollten jene, die die Gabe eines Arztes haben, auch gewürdigt sein." Sie schaut wie in weite Ferne. "Das kommt einmal", erklingt es leise, "viel Not und Elend wird gelindert werden."

30. Ruth hängt an ihren Lippen. "Schmerz und alles Leid?" / "Nein, mein Kind." Zärtlich streicht Naemi über das gelockte dunkle Haar. "Das 'alles' liegt bei Gott! Es wird uns nach dem Weltenweg zuteil. O, dann gibt es keine Tränen, Schmerz noch Leid (Off.21,4), freilich erst, wenn wir die Materie überwunden haben, freigekauft von Gottes eigener Loskaufsumme! Geben wir uns IHM in Seine Hand, wird hinter unserm Grab die Auferstehung sein in Gottes Herrlichkeit hinauf. Darauf hoffen wir", mit lieber Geste deutet sie auf alle. "Gott ist unser Heiland von alters her, unser heiliger Erretter und Erlöser (Jes.43,3 und 11 / 63,16)."

31. Wieder ist es still, als wäre es ein 'Wort' gewesen, ihnen aus dem Himmel zugedacht. Der Fürst nimmt das liebe, altgewordene Gesicht in beide Hände, Rath schmiegt sich in Naemis Arm, während Heleana ihren Kopf in den mütterlichen Schoß gebettet hat, und bei Hanea kommen Tropfen.

32. "Ich habe mitgehört." An der Tür steht Isremia. "Ein Willkomm war das, wie kein besseres es geben mag! Dank dir, Naemi-Muhme." Er umarmt die alte Frau. / "Du bist schon zurück?" fragt Heleana. "Hat es nicht geklappt?" / "Gottes Segen war bei mir. Ich habe einiges zu melden und mir ist lieb, daß ich jetzt nicht nach Jerusalem erst reiten muß." / "So?" fragt Pereztha.

33. "Nächste Woche ist der Fürstenrat. Du kommst?" / "Auf jeden Fall. Ich will dort wiederholen, was jetzt zu sagen ist; da kann man dir nicht übelwollen." / "Wieder eine Stänkerei?" fährt Boas hoch. "Es ist ein Kreuz mit unsern Leuten!" / "Sei nicht aufgebracht," beruhigt ihn sein Vetter. "Menschen sind halt Menschen, anspruchsvoll und wankelmütig. Auch wir haben unsere Fehler."

34. Naemi nickt. "Man muß den Maßstab an sich selber legen. Würde man sich mehr betrachten, nicht im 'Spiegel Glanz', wieviel besser würde man am Nächsten jenes Gute sehen, was jeder hat." / "Na ja", dehnt Boas seine Stimme, "hast recht, bist auch alt und klug; doch das Gute sucht man oft vergebens."

35. Sagt Ruth: "Ich habe das bei uns erlebt, besonders in der argen Zeit. Natürlich, …man hat sich vor der Pest gefürchtet und an den Nächsten nicht gedacht. Aber unsre Ärzte halfen überall. Ist nicht der Nächstendienst bei Elend auszuüben? Was hat eine Hilfe denn bei guter Zeit für einen Zweck? O ja, da kann man leicht vom Überfluß den Armen etwas geben!"

36. "Sieh an, was wir für liebe Mädchen haben!" lobt der Fürst, "Deine Ansicht, Kind, wurzelt in dem Glauben unsrer Väter. Man glaubt an Gott, weniger an die Gebote ohne Ahnung, daß Er den 'Namensglauben' unwahr nennt. Allein ‒ wer Sein Gesetz erfüllt, wie wir Menschen es vermögen ‒ und mehr verlangt Gott nicht, denn Er weiß, was wir für ein Gemächte sind (Ps. 103,13)‚ der glaubt echt! Ich werde mir dein Wort gut merken."

37. Ruth wird brennendrot. "Ich habe aber bloß …" / "… gebracht, was Gott dir eingegeben hat, wie Naemi Gottes Wort verkündete. Das sei erkannt! Und ich meine, ein alter und ein junger Mund hat zu uns gesprochen. Es kommt nicht darauf an, wer etwas sagt, sondern was gegeben wird: – Gottes Offenbarung!"

38. "Ich stimme zu, füge jedoch an, daß bei manchen Leuten auch der 'Wer' in Frage kommt, bei Niedertracht! Denken wir an Beraba!" sagt Selemech. / Wieder gilt Naemis Wort: "Es gibt einen Unterschied zwischen gut und böse. Das Gute kommt von Gott, gleichgültig, wie und durch wen der Herr es offenbart. Da eben steht das 'was' im Vordergrund. Böses kommt von dieser Welt, von denen, die ihr dienen. Da muß der 'wer' betrachtet werden, alsdann geht man ihnen aus dem Weg; innerlich, im Gebet für die Ärmsten aller Armen, soll man sie nicht meiden."

39. Man setzt sich wieder an den Tisch. Isremia beginnt zu erzählen, wie er mit dem Städte-Ältesten zusammentraf ohne ihn zu kennen. Da ergab es sich, daß dieser seinen Vater kannte, was ihn zur Flucht getrieben hatte und er sehr gern auf des Vaters Seite stand, wenn nicht allzu viele gegen ihn gewesen wären, so daß er beinah selber hätte flüchten müssen.

40. "Das war der erste Segen, dem die anderen folgten. Der Städter machte mich mit einem Mann bekannt, der ob seiner Mißwirtschaft in Schuld geraten war und durch Verkauf der Liegenschaft sich retten wollte. Es sind mehrere Gebäude, Lagerhof und ein großer Grund, der sich leicht bebauen läßt.

41. Ich habe seine Not nicht ausgenutzt…," / "…wäre auch nicht gut gewesen", wirft Naemi ein. / "…und ließ ihm einen Acker samt dem Haus, das abseits steht." Der Dank wird nicht erwähnt, war zu viel Lob. Isremia ist jedoch ein Mensch, der so etwas verschweigt. Es kommt ihm viel zu eitel vor.

42. "Nun, was ich Pereztha sagen muß. Es ist besser, wenn du deine Leutchen kennst." / "Ich bin dir zu Dank verpflichtet. Wohl kenne ich mein Volk, doch in jeden Winkel sieht man nicht hinein; aber aus den Winkeln kommt die Dunkelheit, mit der man ‒ ach so oft ‒ zu kämpfen hat."

43. "Einige Namen schrieb ich auf, auch den Fürst von Benjamin. Der wollte wissen, was ich hier zu suchen hätte. Er verweigerte mir den Kauf. Darüber lachte bloß der Älteste: er solle seine Privilegien vom Richter zeigen, zufolge denen er noch etwas untersagen darf. Es ging hoch her, und ich fragte, ob er des Mannes Schuld bezahlen wolle, rechtlich, wie ich es täte.

44. Er wurde fast gemein. Wer in einem Elendsviertel groß geworden ist und nichts Besseres erlernte, könnte nicht gemeiner sein, wie dieser Fürst. Du, Pereztha, könnest ihm gestohlen bleiben, er käme nicht zum Fürstenrat. Alsdann würde seine Stimme fehlen, womit ein Rechtsbeschluß nicht gültig sei.

45. Du hättest manche Stimme dir erkauft und kämest du zum Regiment, sei die Zeit des Beraba die 'goldene' zu nennen." / Der Fürst wird bleich, so die Ehre seines Namens anzugreifen ‒ Oh! Naemi legt ihm eine Hand auf die geballte Faust und sieht ihn an mit einem Blick, der sagt: 'Was kümmert dich die Schlange, wenn dich Gottes Rechte hält?'/  Isremia spricht indessen weiter:

46. "Der Älteste schritt ein. 'Verraten! Du stakst mit Beraba unter einer Decke! Mich hatte ohnehin gewundert, weil bei uns so wenig Leute flüchten mußten, nur drei Reiche um ihr Leben kamen. Hast mit Beraba den Raub geteilt? Ehh?' Das war ein Stich ins Wespennest. Der Benjaminite schrie: 'Dir werde ich das Leben sauer machen und dir auch', fauchte er mich an.

47. Ich erwiderte, er solle es versuchen. Sein Tun und Lassen unter Beraba erführe dann das Volk. Mein Vater hätte aus der Ferne viel erkundet, von da aus besser, als es hier möglich war. Mir hat er alles kundgetan. Ich wüßte also gut Bescheid. Möge er sich immer regen, dann würde ihm das Dach, der sogenannte gute Leumund, weggezogen. O, wie stürmte er davon!

48. Der Städter hätte mich gern ausgefragt, doch ich sprach: "So alte Sachen solle man in Gräbern modern lassen. Was zur Sprache kommen müßte, erführe er zur rechten Zeit. Du, Fürst, brauchst dich nicht zu fürchten." / "Das tue ich auch nicht. Oft stirbt der Schlechte samt der Bosheit rasch. Nur sieht es manchmal aus, als ob das Übel über alles Gute triumphiert."

49. "Hm", macht Selemech, "doch wir bedenken Gottes Güte. Scheint nicht jeden Tag die Sonne, und wenn sie hinter Wolken steckt? Zündet Gott nicht nachts die lieben Sterne an? Gibt ER uns nicht an jedem Tag ein neues Leben? Und so vieles mehr! Was wiegt dagegen so ein Weltling, der nur die arme Gasse kennt? Die kommen und die gehen; Gottes Güte aber bleibt in Ewigkeit! Wiegen wir das gegenseitig aus, o Freunde, was verzagen wir?!

50. Mit einem hat das Füchslein nicht gerechnet: Kommt er nicht zum Fürstenrat, steht für ihn der Oberpriester ein, womit zugleich ein Stänkerer beseitigt ist. Ich bin der Überzeugung, daß alle Fürsten mit uns einig gehen. Damit fällt die eine Stimme aus. Man braucht sich gar nicht nach ihr umzusehen."

51. "Genauso denke ich." Isremia geht ein paarmal hin und her. "Das kleine Nachspiel, das der Fürst geliefert hat, ist kaum der Rede wert. Gestern Abend kamen ein paar Bürger aus der Stadt. Ihr Redner warf sich ins Geschirr, als müsse er des Volkes Fuhre ziehen. 'Der Fürst hat uns unterrichtet. Auch wir werden euch das Dasein sauer machen. Hier', er schob ein ziemlich kleines Männlein vor, grauen Bartes und verwitterten Gesichts, 'das wird bei der nächsten Wahl der Älteste der Stadt.'

52. Ich lachte: 'Euer Mann sieht danach aus, als ob in seinem Kopf die ganze Weltgeschichte stünde.' Ihn mahnte ich: 'Befolge einen Rat und nimm die böse Wahl nicht an.' – Er zog ein klägliches Gesicht, während mich der Hochgeschwollene bedrohte: 'Dein Geschäft zerstöre ich!''Ach,' sagte ich, 'weil du ein Kaufmann bist? Du hast eine Töpferei und Holzgerät, doch kein Handelshaus, nicht mal hier in Israel. Ich komme dir nicht ins Gehege, obgleich dir dienlich wäre, dich zu zähmen. Bist du aber boshaft wider mich, dann sollst du einen Ben Isremia kennen lernen!'

53. Er rief, er würde auf den Märkten gegen dich, Pereztha, hetzen und da kam mir doch das Lachen an: Paß auf, daß du dir die Lippen nicht verbrennst! Dem Ältesten ward das zu dumm. Schnell öffnete er die Tür, ohne Worte zeigte er nach außen. Sie gingen grußlos fort, manche mit erhobener Faust.

54. Wir waren froh. Und was meint ihr, was geschah? Heimlich kam das Männlein wieder, schwieg lang und sagte dann: 'Glaubt mir, ich bin ungern mitgekommen und ‒ und ich merkte, daß du ehrlich bist.' Er meinte mich. 'Natürlich hatte es den Mannesstolz entfacht, daß ich zur Ehre käme, respektiert, während ich noch nie etwas zu melden hatte. Mein Stolz zerstob wie Blütenstaub im kalten Wind. Dank dir, du hast mich gerettet.' 'Vor wem,' fragte ich. 'Erst vor mir selbst', bekannte er ganz ehrlich, 'dann vor den üblen Schleichern.' Ich drückte ihm die Hand:

55. 'Du bist klüger, als ich dachte, klüger als die Schwätzer.' –  'Kann man dir nicht schaden?' – 'Nein, mein Freund, ich handle mit anderen Waren als bloß mit tönernem Geschirr. Auch habe ich im Ausland gute Freunde.' Ich verriet ihm nicht, es wären meine Handelshäuser. Das erfährt der Händler früh genug. Und weiter sagte ich, handele ich mit Spezereien, Stoffen und mancher Kostbarkeit. Von sowas weiß der kleine Aufgeblasene nichts.

56. Ich fügte ernst hinzu, ich sei festen Glaubens. Nicht etwa wie so manche, die ihren Weltkram sich von Gott erbitten. Oh, nein! Gibt ER mir Seinen Segen, da danke ich dafür, bitte ihn um vieler Leute willen, die bei mir ihr gutes Brot verdienen, daß Gott mir meine Arbeit ihretwegen segnen wolle. Wenn einmal nicht, so lernte ich, um weltliches Verlorene nicht zu trauern. Verstehst du nun, daß die Drohung mir nichts gilt? Sie ist ein Wind gegen einen Sturm. Der Sturm ist hier der Herr!

57. Unser Alter ging mit einem 'Friede sei mit euch' hinaus. Das war an diesem Tag das Herrlichste von Gottes reichem Segen." Mit einem Blick auf Naemi fragt Isremia: "Weiß sie Bescheid?" / "Ja!" / Pereztha breitet eine Rolle aus. "Die kennt sie noch nicht; wir wollten erst erfahren, wie sich dein Unternehmen angelassen hat. Dabei hast du mir den größten Dienst erwiesen; nun kenn' ich meine Feinde."

58. "Mache sie zu Freunden", rät Naemi. / "Wenn möglich, gern. Bleibt aber einer stur, so brauche ich doch nicht sein Feind zu sein. Mit der heutigen Erfahrung läßt sich das Beste richten." / "Oh, ja", meint Selemech, "doch die Hetzer muß man beugen, sonst bleibt das Gute unterm Weg."

59. "Darf ich einen Rat erteilen?" / "Immer, Isremia", gibt der Fürst gern zu. / "Ich glaube, daß mitunter eine Fremde jemand weiterbilden kann, als wer bloß im Heimatwinkel hockt. Wohl, die Heimat ist die Mutter, ist Geborgenheit", / "… ohne böse Richter", wirft Hanea ein. / "Natürlich! Ich meinte eine eigene Verbundenheit zu ihr. Die ist nicht zu rauben, denn auch sie ist eine Gabe Gottes. Halten wir die Gabe fest, so bleibt sie ja der Seele Eigentum, selbst wenn man ungerecht verurteilt wird."

60. Das löst erst eine Rückschau aus in die kaum überwundene Zeit des Beraba und anderer auch. Allein ‒ man hat gelernt vorauszublicken, aufzuschauen zu dem 'Gott aller Hilfe', dem wunderbaren nahen Gott und von fernher wirkt und hilft. Darüber redet man ein Weilchen, bis der Fürst an Isremias Rat erinnert:

61. "Was ich aus Michmas sagen mußte, sollte noch für sich behalten werden, auch nicht andeutungsweise etwas sagen. Ob der Benjaminite dir die Absagetafel schickt, behalte auch für dich. Nur mit unserem Oberpriester Anacarias ist alles zu besprechen, damit er rechtzeitig einzugreifen weiß. Zudem wäre gut, er käme wie von ungefähr, etwa so, daß er ‒ von Gott geschickt ‒ euch Fürsten und den Fürstenrat zu segnen hätte. Was sogar stimmen mag.

62. So stellt man üble Klappermühlen ab. Anacarias ist einer von den Besten, die Israel besitzt, und wir wollen dankbar sein, daß wir solche Männer haben. Er wird den Rat für gut befinden. Vielleicht nicht ganz glatt vor Gottes Augen ‒ wenn ich von Michmas rede, als geschähe es erst dann, so wolle mir der Herr verzeihen. Es ist für unseres Volkes Wohl bedacht." / Isremia sieht Naemi an, was sie dazu zu sagen hat.

63. Sie blickt freundlich drein: "Gott hat nichts dawider, wenn man einmal klug sein muß wie eine Schlange, aber ohne Falsch wie eine Taube ist (Matt. 10,16). Darauf kommt es an. Leicht wird hinterher 'gesäuselt', was einen Sturm entfachen kann. Gott hat's gelenkt, daß Isremia all das Böse hören mußte. Ihr sollt gewappnet sein."

64. Dankt der Fürst: "Der Rat ist gut, und Naemis liebes Wort hat ihn mir erhöht und Isremia deutete es an, Gott möge unsre Unzulänglichkeit bedenken." / Selemech lacht ein wenig. "Ach, wenn wir immer wüßten, wie unser Tun und Lassen GOTT betrachtet, leichter könnten wir vom Glauben her die guten Wege wandeln. Nun ‒ Er ist die Güte Selbst, nur sollte man mit ihr nicht rechnen als ein Privileg, das uns zuzukommen hätte."

65. "Von der Naemi-Mutter lernte ich so viel und muß fleißig weiterlernen", sagt Ruth bescheiden, "aber das erkenne ich: man kann mit Gott nicht so verfahren wie mit einem Menschen. Man muß sich von Ihm führen lassen. Das zu lernen fiel mir leicht, weil der Moabiter Glaube ähnliches besitzt. Man darf bitten oder Opfer bringen, die Priester geben einem dann die Antwort. Aber nun auf GOTTES Antwort lauschen, auch wenn man sie nicht allezeit versteht, da fühle ich Geborgenheit."

66. "Gutes Kind!" Hanea streichelt ihre Wangen und Boas sieht sie strahlend an. Möge Gott es geben, daß er Ruth als Weib gewinnt. – Der Fürst schaut nach der Sonne, sie hat die Hälfte ihres Weges hinter sich. "Für den Heimritt wird's zu spät, zur Nacht wollen wir nicht reiten. Leider lungert mancher noch herum und ‒ Ja, und dann sei diese Rolle noch besprochen." Er nimmt sie in die Hand.

67. "Uns ist es recht, wenn ihr bleibt. Ihr seid immer unsere lieben Gäste." Der Fürst reicht die Rolle, die die ganze Zeit zur Seite lag, Isremia hin. "Ihr habt Naemi schon das Wichtigste gesagt und ‒ o weh weh, abermals ein Weg um sieben Ecken, den mir der Heilige verzeihen wolle.

68. Sieh, Naemi…" wendet Isremia sich ihr zu, "…man wird dich kränken, wenn man sieht, weil du ein gutes Haus bekommst, groß genug, daß späterhin zwei liebe Mütter ihren Lebens-Abend-Frieden da genießen können, wenn…", er zeigt auf Boas, "…er es macht wie jeder junge Mann: er holt sich ein gutes Weib. Unsere Mütter sollen von der Last der Mühsal ruhen. Da ich vom Ausland kam, hast eben du, Naemi, aus dem Ausland Geld erhalten, was durchaus stimmt. Sein Vermögen hat der Vater nicht in Israel erworben.

69. Da man jetzt weiß, daß Ruth eines Städtekönigs Tochter ist, wird man glauben, die Hilfe sei aus Moabit gekommen. So steht in dieser Rolle: 'Auslandshilfe!' Das genügt zuerst. Später, wenn wir nicht mehr leben, fragt kein Mensch danach, welches Ausland es gewesen ist; aber Ruth und deren Kinder bis in wieviel Glieder sind so für alle Zeit geschützt."

70. "Nicht für alle, doch für lange Zeit." Wieder sieht Naemi wie in weite Ferne. "Das Volk wird oft gerüttelt werden, damit es aus dem Glaubensschlaf erwacht, in den es fallen wird. Nun, dir danke ich, Isremia, du hast vorgesorgt, wir richten uns danach. O, wie wunderbar hat mir der Herr geholfen, unser Gott der Güte und der Gnade! Habe viel ertragen müssen; Er aber hat mich heimgeführt, hat mich jederzeit gestärkt, getröstet und mir wohlgetan."

71. Das bezeugen alle gern, und es wird ein Abend voller Licht und Wärme, ganz in Gottes Offenbarung eingehüllt.

 

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Kap. 14

Der Fürstenrat – Bestes Einvernehmen

1. "Der Fürstenrat ist gut", sagt der von Gad. "Die Heiden lachen über uns, wir nennten uns das 'auserwählte Volk' und wären wie die Hähne, die wild aufeinander gehn. Ganz recht haben sie! Du fragtest mich, ob ich den Judäer für den Besten halte, der uns aus dem Chaos hilft. Ich sage 'ja'; nicht, weil ich mit ihm befreundet bin, nein, er ist unter uns der Fähigste."

2. Der also Angeredete, Fürst von Ruben, zuckt die Schultern. Man soll nicht gleich zu allem 'ja und amen' sagen, und so erwidert er gelassen: "Mag sein; ich für mein Teil warte ab, was geschieht. Man muß erst die andern Stimmen hören, eine mit der anderen vergleichen und …" / "… nicht bloß die Stimmenmehrheit gelten lasen?" fragt Josamath von Gad.

3. "Genau! Damals galt die Mehrzahl für den Richter Beraba, und was kam dabei heraus? Es braucht Jahre, bis — wenn überhaupt Pereztha nur das Ärgste zu beseitigen weiß." / "Du bist ein Pessimist, Demach; immerhin ist's gut, wenn man den Wunschtraum zügelt. Das tu' ich auch! Wo aber Klarheit herrscht, und die hat Pereztha, sollte man mit Wort und Tat ihn unterstützen, statt ihm schon den Anfang sauer machen. Er wird zu kämpfen haben. Es möchte jeder gern des Volkes Führung übernehmen, um im 'Glanz zu glänzen'. Doch greift keiner von uns nach dem Regiment. Jeder weiß, was ihm dann blüht, unabhängig von dem Können oder nicht."

4. "Ich lehne für mich jeden Antrag ab. Wer kann, soll die Karre aus dem Dreckwust ziehen." / Mahnt Josamath: "Sei nicht ungehalten, du bist mir der rechte Kerl! Willst du nicht mit Hand anlegen?, nicht mit ziehen oder schieben?, willst zusehen, wie der andere durch allzu Schweres niederbricht und dann rufen: 'Da seht, er hat auch nichts Besseres vermocht als Beraba'."

5. Demach sieht ein Weilchen sauer drein; er wurde angegriffen ‒ mit Recht; doch bleibt's nicht ohne Widerhall in ihm. Es vergeht fast eine halbe Stunde, das nächste Tor der Stadt Jerusalem kommt schon in Sicht. Josamath achtet dieses Schweigen, er fühlt, was jetzt in Demach vor sich geht. Der greift unversehens nach der Zügelhand des Josamath, hält beide Tiere an und sagt, ohne jenen anzusehen ‒ aus verdeckter Scham:

6. "Mir sei ferne, zuzusehen, wie andere vor lauter Mühe nicht mehr weiterwissen. Wenn ich einen Treiber sah, dessen magerer Esel kaum noch ziehen konnte, bergauf, da habe ich geholfen. Wie viel mehr denn, wenn es unser Volk betrifft? Hast mich tüchtig angestochen, ich geb' es zu; und dein 'Stich' war mir nicht angenehm. Nun ‒ gib mir deine Hand, wir beide wollen Fürst Pereztha helfen, wenn er an das Ruder kommt."

7. "Einem andern nicht?" / "Kommt darauf an, wer die Wahl gewinnt", erwidert Demach. "Du sagtest selbst, nicht alle eignen sich zum Amt und so im Großen kennen wir uns gegenseitig. Dich unterstütze ich, fällt die Wahl auf dich und Fürst Foadar von Naphtalie, ansonst ‒ du weißt Bescheid."

8. "Ich halte es wie du: nebst den beiden kommst noch du für mich in Frage. Wir helfen uns am besten, wenn man seinen Stamm entsprechend lenkt, wie Pereztha es in Juda tut. Dann werden wir ein Volk, wie unter Josua und in der Zeit der ersten Richter, wie bei jener Richterin Debora. Sie muß eine einzigartige herrliche Frau gewesen sein." (s. »Das Richteramt«)

9. "Leider sagt die Rolle nicht sehr viel von ihr. Doch wer hörte je, daß ein Weib der Oberste des Heeres war und… siegte? Wenn ich diese Rolle las, habe ich mich in die Zeit zurückversetzt und wäre gern mit ihr geritten." / "Fein, das du so denkst! Wisse, auch ich habe diese Rolle oft studiert und gemerkt, daß vieles an der Kunde fehlt. Aber was, kann man nicht ergründen."

10. Sie sind am Tore angelangt. Die Stadt ist stark bewacht. Man weiß nicht, ob es zu Tumulten kommt. Das Volk ist schon erregt. Mit den 'vorläufigen Gesetzen des vorübergehenden Regimes' sind nicht alle Obergriffe einzudämmen. Die meisten Leute wünschen sich ein gutes Regiment, weil der Handel leidet. Ohne Handel und Gewerbe läßt es sich nicht leben. Allgemein wird den Fürsten zugejauchzt, so wie sich einer sehen läßt.

11. Josamath und Demach suchen sich ein Herbergshaus. Es ist später Nachmittag, da gilt's für morgen sich im Schlafe Kraft zu holen. Die eingeweihten Leute des Pereztha prüfen heimlich, wer angekommen ist, womöglich auch die Stimmung. Auf diese Weise wird ihm vieles zugetragen; er gewinnt die Übersicht, die er morgen bitter nötig braucht, Gottes Führung um des Glaubens willen und dem Dienst, den er übernehmen soll.

12 In aller Frühe geht es auf den Gassen hin und her, manche Männer freudigen Gesichts, daß endlich ‒‚ andere drücken sich um dunkle Ecken. Der Altrat hat geboten: 'Aufständige werden abgeführt!' Manche Stadtknechte sind leider nicht verläßlich und genügend neue waren nicht zu werben, um die Stadt in Ruhe zu erhalten, gerade heut' am Fürstentag.

13. Älteste der Umgebung sandten daher ihre Knechte; die Fürsten von Ephraim und Isaschar ‒ weitsichtig ‒ spannten ihre gleichfalls ein. Also bleibt es ziemlich ruhig. Die guten Knechte tauchen stets an jenen Winkeln auf, wo die bösen Brände schwellen. Gemäß der Anweisung 'handeln' sie, nur wird ein Störenfried nicht drangsaliert, das hat Pereztha streng verboten. Zudem bleiben sie nicht lang in Haft. Das vorausgesagt.

14. Zur Tagung kommen alle pünktlich. Als Vertreter der Ältesten, da man meinte, die Fürsten unter sich wären sich rasch einig, hat man Selemech, Laban, Sinehas, Kenias und Herias hinzugezogen. Das wird anerkannt. Noch ist die Stimmung ruhig, hie und da murmeln zwei sich etwas in die Ohren. Als Letzter kommt der Fürst von Gad, in Begleitung mit Isremia.

15. Schon hebt man die Köpfe. Den meisten ist er unbekannt und so gilt die Frage, was der Fremde hier zu suchen hat, Rufe werden laut: 'Ich gehe, wenn der Fremde bleibt! Sollen denn die Feinde wissen, was im Fürstenrat geschieht? Dann überfallen sie uns bald!' Isremia ist die Ruhe selbst, sieht die Sprecher an und da ist es sonderbar: die, klaren hellen Augen dringen durch und durch. Was ist denn das für einer, der solche helle Augen hat?

16. Auch Fürst Pereztha läßt die Reden über sich ergehen, tut so, als wäre das ganz recht und geht zum großen Tisch, der querüber vor den Versammlungsreihen steht. An ihm sitzen die vier Ältesten, Selemech davor. Der Fürst stellt sich zwischen die vier Ältesten. Da tritt Ruhe ein und er sagt, sich an Isremia wendend:

17. "Dank dir, daß du als Vertreter deines Vaters Isremia-Fardachai gekommen bist, einer unserer angesehendsten Ältesten. Weil er das war, darum mußte er mit dir und deiner Mutter fliehen. Nun bist du wieder hier und sollst den Platz erhalten, der deines Vaters würdig ist. Ehe wir beginnen", sagt der Fürst zu allen, "stelle ich anheim, eure Zustimmung zu geben. Nebst unserem Altrat von Jerusalem war Isremia-Fardachai ein Altrat von ganz Israel."

18. "Es steht nicht dafür, einem 'Grünen' gleich den Platz des Alten einzuräumen", kommt ein Widerwort. / Josamath stößt Demach an und der steht auf: "Es tut nicht gut, schon am Beginn zu zanken. Ich kannte Isremia-Fardachai, ein Mann, wie wir heute viele brauchten, um ein geeintes Volk zu werden. Darum halte ich dafür, daß man die echten Israelen mit im Rat beläßt. Fürst Pereztha wird schon wissen, wozu dies nötig ist. Wartet doch erst einmal ab, ehe man ein falsches Urteil fällt!"

19. Ein paar Fürsten geben Demach recht, die Ältesten enthalten sich absichtlich einer Stimme. / Isremia sagt, als wäre das das Schönste, was es gäbe: "Mein Vater, der in der Fremde starb, läßt alle guten Israelen grüßen. Er gab mir auf dem Totenbett die Namen an. Also mögen jene, die er meinte, seinen letzten Gruß entgegennehmen." Da das auch einige der Fürsten mit betrifft, gibt es einen sogenannten 'warmen Wind'. Isremia setzt sich seitlich in die Reihe, von wo der Raum zu überblicken ist.

20. Plötzlich sagt einer: "Es fehlt der Fürst von Benjamin; wir sind keine volle Zahl und so nützt das Wählen nichts." / "Weshalb ist er nicht gekommen? Weiß jemand das?" fragt der von Isaschar. / Erwidert Laban, und er weiß wirklich nichts: "Keine Ahnung, eine Stimme ist aber zu ersetzen und sind wir guten Willens, ‒ ob nicht GOTT uns eine, …Seine Stimme sendet."

21. Da tritt der Oberpriester Anacarias herein. Den nicht ganz Guten kommt es ungeheuer vor, weil Laban von der 'Stimme Gottes' sprach und der Oberpriester kam. Er wird gegrüßt. / Pereztha sagt: "Laban hat uns Gott verkündet und Sein Priester ist gekommen. So wollen wir dem Schöpfer danken." / "Daran tut ihr recht", wird er unterbrochen. "Ich war in Silo bei der Bundeslade und habe für den Fürstenrat gefleht.

22. Das hat der Herr im Feuer mir gesagt: 'Den Guten helfe Ich durch Meine Güte und es soll sich jeder hüten, gegen Meine Güte anzugehen. Er verdirbt sich seine Seele selbst! Oh, Ich will auch dem Volke helfen um der Guten willen, die ihr 'ich' mit Lasten in den Dienst der Nächsten stellen. Und so sei der Tag gesegnet, wo man sich bemüht um Meines Namens willen, daß die Welt erkenne: ICH bin der Herr und ist außer MIR kein anderer! Und wird keiner kommen, der sich neben Mich erheben kann!

23. Weil Ich Meine Kinder unter Mir belasse, darum ruhen Meine Augen auf dem ganzen Kindervolk. Keines geht mir aus dem Blick, keines wird von Meiner Hand gelassen! Wer sich wider Mich erhebt, auch wenn er Meinen Namen preist, wer so sein will, wie allein Ich ewig bin oder mehr wie andere, wer die Bemühung Meiner lichtgesandten Kinder hemmt, der läßt seine Seele darben, der stellt den Geist in sich zurück und kann des Todes ungut sterben. Und ist dabei ein Segen, vom Menschen schwerlich anerkannt. Durch solchen Tod rette Ich die Seele, bis sie ‒ erst oft nach langer Irre ‒ auch die Heimat wiederfindet, von der sie einstens fortgegangen war.

24. So nahm Ich euren Griesgram weg, so habe Ich das Herz verhärtet bei dem einen (Fürst von Benjamin), der nicht gekommen ist, um Mir die Ehre zu erweisen. Nicht so, das ICH die Härte gab; er selber hat sich hart gemacht und Ich habe zugesehen; denn auch er ist eine Grube, in die zum Tag der Fürsten mancher hätte fallen können.

25. Segen über Segen! Diesen, Anacarias, bringe deinen Brüdern und sprich Mein Wort: Seid einig in dem Geist der Gnade und des Friedens, was Ich, der Herr, euch schenken will!'."

26. Anacarias schweigt. Das 'Wort' muß erst in manchem Herzen Wurzel fassen. Jeder weiß: das kam nicht vom Priester, das kam von… Die Freien wissen es, und die sich jetzt von ihrem Dünkel lösen …durch Gott. Bloß zwei möchten an dem alten Faden hängen bleiben. Diese trifft ein Blick und der fährt durch ihre Seelen, schmerzlich, aber heilend durch die Güte Gottes. Nicht gleich ganz, doch so, daß sie lieber ruhig sind, als sich unbeliebt zu machen.

27. Pereztha sagt verhalten: "Nebst dem Herrn von alters her sei dir, Anacarias, gedankt für Gottes Segen, den du bringen konntest. Ich bin froh trotz aller Last, die auf uns wartet. Wir dürfen dienen! Unter Gottes reicher Güte kann man mit 'Seinem Geist der Gnade und des Friedens' tun, wie Ihm es wohlgefällt.

28. Euch Brüdern", der Fürst spricht die Versammlung an, "danke ich von Herzen, daß ihr heute einig seid. Die Wahl sei in des Priesters Hand gelegt, er möge tun, wie Gott es vorgesehen hat. Für den Fürst von Benjamin steht Anacarias ein; weil er sich jedoch nicht selber wählen kann, möge Isremia für ihn gelten. Unser Oberpriester sage an, ob dem Herrn das wohlgefällig ist."

29. Durch das 'Wort' ist mancher Große klein geworden. Hm, gut, die Lücke auszufüllen. Eingedenk, was für Israel jetzt auf dem Spiele steht, sagt Anacarias: "Ich danke auch den Fürsten für die Einigkeit. Was mich betrifft, gilt das Geistige für Benjamin, bei Isremia das Weltliche. Ward nicht zeitgerecht gefragt, weshalb der Fürst denn nicht gekommen sei?"

30. "Bisher konnte keiner eine Antwort geben." / "Das kann ich", steht Isremia auf, "ich traf ihn in Michmas an." / "Zuerst wählen wir", bestimmt der Priester. Obwohl begierig, was sich in Michmas zugetragen hat, wird die Wahl gleich vorgenommen.

31. Anacarias fragt, weicher Fürst zuerst zu nennen sei. Drei enthalten sich der Stimme, sieben nennen Fürst Pereztha, auch der Altrat und die Ältesten. Das ergibt die große Überzahl. Die von Isaschar, Gad, Naphtalie und Ruben werden aber mit zur engeren Wahl hin zugezogen, damit nicht bloß ein Fürst das Pur erhält. Man ist damit einverstanden. Die übrigen wollen nicht zur Wahl gehören.

32. Anacarias schüttelt seine weißen und die schwarzen Steine. Anders als sonst üblich behält er zwei in den zusammengefügten Händen und läßt einen Stein für Pereztha fallen. Es ist der weiße. Auch über die vier andern Fürsten wird das Pur geschüttelt. Stets fällt der schwarze Stein heraus. Um aber 'Gottes Zeichen' darzutun, wird für Pereztha noch einmal die Prüfung durchgeführt; und siehe da ‒ wieder kommt der weiße Stein hervor.

33. GOTTES WAHL! Hat der eine und der andere noch einen kleinen Wurm im Herzen, sind Wankelmütige nicht überzeugt, der Fürst von Juda könnte helfen, so zieht doch der Geist der Einigkeit durch ihre Reihen. Das große Dankgebet wird dargebracht, das stets nach einer Wahl gebetet werden muß. Gemeinsam ernst getan. Jeder ahnt: wer ans Ruder kommt, hat nichts zu lachen; und ohne 'Hilfe aus dem Licht' würde bald sein Schifflein kentern.

34. Ungewißheit, Dank und Flehen füllt des Fürsten Seele. Still kniet er nieder, um Gottes Segen zu empfangen. Isremia kniet sich auch mit hin und da folgen alle diesem Beispiel nach, erstmalig, das man das so einig tut. Jeder freut sich, weil wieder 'einer für alle einzustehen hat'. Sogar die beiden Wankelmütigen sind erfreut und gewillt, mitzuhelfen, statt Steine in den Weg zu legen, wie man sich erst vorgenommen hatte.

35. Bei heiklen Punkten kommt manch Widerwort, bei der Forderung, die der 'Landesfürst', wie man Pereztha nennt, erheischt: jeder muß für seine Armen sorgen, zumal für die von Beraba Geschädigten und 'jederlei Bedürftige'."

36. "Woher die Mittel nehmen", fragt der Manasser. / "Hast gut reden, Landesfürst, aber…" / "… er wird handeln, daß du staunst!" hält der Priester das Palaver auf. "Es ist ein Gott-Gebot: 'Liebe deinen Nächsten wie dich selbst' (3. Mo.19,18)! Wenn du in einer armen Hütte lebtest, wärest du nicht froh, so man dir helfen würde?"

37. "Ich stützte mich mit Stolz auf meine Kraft; Arbeit findet immer ihren Lohn, man fällt niemanden zur Last." / "In deinem Gau gibt's keine Kranken, die nicht schaffen können? Beraba hat die Manasser ganz verschont? Nun, dann brauchst du keine Mittel, die etwa auf ganz Israel entfallen!" Pereztha sagt es ziemlich scharf.

38. "Hast du denn so viele Mittel, um …" / "Genug, Askamar" warnt der Priester. "Hältst du nicht das Gott-Gebot, durch Mose offenbart, dann glaubst du nicht an Gott! Du bist der einzige, der queruliert!" / "Und der Benjaminer, sonst wäre er gekommen."

39. Da erheben sich die anderen wie ein Mann und Foadar spricht für alle: "Eine bitterböse Zeit liegt hinter uns, fünfzehn Jahre. Nun uns der Herr geholfen hat ‒ noch weiß ich selber nicht auf welche Weise ‒‚ da sollten wir doch einig sein und nicht so meckern. Wie du siehst, Askamar, stehst du allein, der nicht mit uns gemeinsam unserm Landesfürsten dienen will. Abwesende haben keine Stimme, ob zum Guten, ob zum Bösen."

40. Pereztha dankt den "Brüdern, die mir mit Herz und Hand zur Seite stehen. Ich bitte Isremia nun, von Michmas zu berichten." Askamar schweigt, er fühlt selbst, wie er sich isolierte und man braucht sich gegenseitig, man muß ‒ Jetzt wandelt er sich um; und als man alles hört, was Isremia vorgetragen hat, was bereits in Bethlehem zur Sprache kam, da horchen alle auf.

41 Einer ruft: "Das ist kein Fürst! Er will uns vergewaltigen! Ah, mag er als Außenseiter sehen, wie er den eigenen Leuten helfen kann!" – Hierin sind sich alle Fürsten einig, Pereztha nicht, der tiefer sieht, um was es im gesamten geht, Selemech und Anacarias ebenfalls. Noch aber hören sie ein Letztes. Absichtlich hatte Isremia nicht davon gesprochen. So kann keiner hinterher noch munkeln, der Landesfürst hätte das gewußt.

42. "Er hat bereits die Fühler ausgestreckt, schloß ein Bündnis mit den Ammonitern, die hinter sich zwei Stämme haben. Und säßet ihr im 'kleinen Sattel', wo wer weiß wie viel zu überwinden wäre, dann würde er ‒ ‒ Er schwieg darüber, doch sein Gesicht verriet, was 'dann' geschehen würde. Ich brauche es nicht auszusprechen; jeder kann es selbst erraten."

43. "Uns überfallen?" Sinehas ist außer sich. Seine Faust kracht auf den Tisch. "Da sollte …" / "… Beelzebub dazwischen fahren!" zankt Herias. "Wir werden es ihm geben, dem Verräter! Wie gut, daß wir jetzt einig sind! Jeder Stamm soll gleich die Männer sammeln, offen rüsten, damit es dem Verräter in die Nase steigt!" – Niemand spricht dawider; nun geht es um das Ganze, um Israel. Ja, erst muß die Not die Menschen überfluten, das Wasser an die Kehle reichen, dann ‒ dann besinnt man sich und ruft Gott um Hilfe an. Hier wie überall auf dieser Welt.

44. "Sachte, liebe Brüder", mahnt Anacarias. "Wohl habt ihr recht mit Wort und Faust", er lächelt mild. "Ist wohl auch ein Priesterrat mal gut? Laßt nicht das Rüsten offen vor sich gehen. Benjamin hat ungenügend Männer, die zu Felde ziehen können, Ammon ist zur Zeit nicht stark, hat demnach doch bloß kleine Helfer hinter sich, also ungefährlich. Rüstet das gesamte Volk, dann werden andere, starke auf uns aufmerksam und kommen über uns, bevor wir eine volle Wehr beisammen haben."

45. Isremia lacht so herzlich laut, daß alle staunen. Er schlägt dem Priester auf die Schulter und sagt: "Du bist ein Gottesstreiter und ein Mann des Volkes! Wisse, ich dachte so wie du. In der Fremde lernt man einen weiten Blick, du allerdings hast ihn im Heimatland gewonnen oder so", er wird wieder ernst, "dir gibt's die Weisheit ein, und die Weisheit kommt von Gott. Wie ein Feldmarschall hast du gesehen, wo größere Gefahren lauern, hast es deutlich aufgezeigt." Da wird sogar der alte Priester rot vor Freude, weil vom Jüngsten der Versammelten belobt.

46. Jetzt wird Isremia von den Fürsten anders angesehen, denn daran dachte keiner; die Wut über den Verräter hatte sie umnebelt. / "Aber wie? Wie soll man heimlich rüsten?" fragt Fürst Foadar. "Man sieht es doch, wenn Waffen blitzen." Hm, das bleibt nicht geheim. "Hast du einen Rat?" wendet Laban sich an Isremia.

47. Der denkt ein Weilchen nach und sagt dann eifrig: "Verkündet es in Stadt und Land, daß durch Berabas böse Zeit es noch eigene Banditen gibt, was sogar stimmt. Jeder Fürst sammelt hundert Mann, als 'Landschutz einzusetzen. Keiner soll es wissen, daß sie für eine größere Gefahr herangebildet werden. Nach einem Monat werden sie dann abgelöst mit der Weisung: nun könnt ihr für zu Hause wieder sorgen, die Familien brauchen euch. Jetzt werden andere zum Landschutz eingesetzt. Auf diese Weise gibt es nicht einmal Gemurre." Isremias Augen blitzen, zu Recht, man zollt ihm offene Bewunderung.

48. Jetzt schlägt Anacarias ihm auf die Schulter und zwar derb. "Das habe ich gespürt, hast eine gute Hand!" Heiteres Gelächter. Der Plan wird ausgeklügelt und dann wird pausiert. Am Nachmittag kommt die 'Betreuung' an die Reihe. Beim Versammlungshause wartet eine Menge, Männer und auch Frauen. Man will wissen, was der Rat zutage bringt. Man war mißtrauisch gestimmt, die letzte Zeit der Richter hatte das Vertrauen weggenommen.

49. Frohe Mienen, freundliches Grüßen. Wie Frühlingsfahnen bricht es auf, man grüßt zurück und geht bewegt nach Hause mit der Kunde: 'Es wird besser!' / Manch Einsichtiger sagt gleich: "Ja, was beschlossen wird, das ist zu unterstützen."

50. Als ein Jerusalemer auf dem Weg am Nachmittag Pereztha sagt, wie man sich freut, erwidert er: "In den nächsten Tagen kannst du zu mir kommen, falls du dringend etwas brauchst." – Wie rasch das Gute durch die Menge eilt, soll Pereztha späterhin erfahren, seinem Amte zur Erleichterung.

51. Am Nachmittag gibt er bekannt, ohne Isremias Einverständnis, was derselbe für das Volk und dort beheimatet ‒ für Bethlehem geopfert hat. Naemi bleibt erst unerwähnt. Zunächst soll jeder Fürst von seinem Stamme die Bedrängten listenmäßig sammeln, wieviel ein Haushalt Köpfe hat und den Aufruf zu erlassen: wer mit helfen will, die Not zu lindern, soll Geld und Sachwert geben, oder Kleider, Waren und dergleichen spenden.

52. Wo die Not am größten ist wie in Juda, weil daselbst der Richter hauste, soll Überflüssiges von einem Stamm den anderen zur freien Hand gegeben werden. Zur Verwunderung Perezthas und der schon näher Eingeweihten gibt es kein Dawider. O, welch ein Sieg, welche Güte und Barmherzigkeit, die Gott an diesem Tag der Fürsten niederregnen ließ! Dank, Dank dem Allmächtigen!

53. Noch etwas tut Isremia. Der Herr hat ihn so reich gesegnet, mit Irdischem, das an sich vergänglich ist. Doch man muß es haben um zu helfen. Und Isremia hat den guten Willen, dabei anspornend, auf daß der 'Lenz der Herzen' wirksam werden kann. Er wirft den Inhalt eines großen Beutels auf den Tisch, teilt ihn in zwölf Teile und sagt: "Das soll den Stämmen als die erste Hilfe gelten. Bitte ‒ hier ist eine Liste ‒‚ jeder Fürst vermerkt, was er bekommen hat. Für Benjamin soll Pereztha zeichnen."

54. "Nein", widerspricht Askamar und man befürchtet er sei umgefallen, "ich habe Isremias großes Herz erkannt, er soll selbst den Hilfszug übernehmen; denn …" / "Bravo!", wird er unterbrochen. "Nebst allem Guten, ist das heute mit das Beste!"

55. Der Manasser wird umringt und da zieht's durch seine Brust: 'Ich war ein Idiot, mir vorzunehmen, den Fürstentag zu stören. Nun hat mich GOTT zerstört, meinen argen Willen und alles Gute hat mich überstrahlt.' Er wischt verstohlen eine Träne fort.

56. Der erste Fürstenrat zur Richterzeit, wo man an einem Tage einig ward. / Anacarias hebt hervor: "Ein Gott ist über uns, Er tut alles nur einmal! So dürfen wir an diesem Tag erkennen, daß Er uns Seinen einen Segen gab! Möge es so bleiben! Solang der Landesfürst regiert, werden Fürsten, Volk und Älteste vereinigt bleiben und ich sorge, daß die Priester diese Einheit unterstützen."

57. Er spricht das große Dankgebet. Alle stimmen ein, nicht murmelnd, wie zumeist ‒ starke Stimmen klingen durch den Saal. Vor dem Hause stehen viele Leute und beten mit ‒ andachtsvoll. ‒

«Die letzte Richterzeit hat ausgeklungen,

in welcher 'jeder tat, wie es ihm beliebte». - (Ri. 21‚25)

 

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Kap. 15

Der Widerstand des Prinzen von Benjamin - Boas' langes Warten

Gute Aussichten für die Zukunft - Die Melchisedekische Höhle

1. Ein Jahr später. Die Menschen atmen auf, allgemein. Man erkennt den Landesfürsten an, obgleich manch Widerwärtigkeit zu überwinden ist. Einmütig, wie seltenst, stehen Älteste und Fürsten hinter der Regierung. Der eine Außenseiter, Fürst von Benjamin, hat sich ganz zurückgezogen, grollend und versuchend, Steine auf den guten Gang zu werfen. Eines Morgens hängt in Michmas an dem Kaufhaus Isremias ein Plakat: 'Kauft hier nicht bei ihm, er ist ein Betrüger, er war damals auch mit ausgerissen.'

2. Der Kaufhausleiter hängt einen zweiten Zettel hin: 'Der Fuchs wohnt im weißen Hause auf der Höhe.' Als daß die Leute lesen, lachen sie und einer schreibt dazu: 'Wir kennen ihn! Die von Michmas.' Mehrere Tage läßt der Leiter alles hängen. Nachts stellt er Posten auf. Wirklich kommt der Benjaminite angeschlichen, um die Zettel abzureißen. Als er, zwei Teile in der Hand, sich wenden will, fassen harte Hände zu.

3. "Was tust du hier? Bist du ein Dieb?" Der so Überraschte wehrt sich heftig, was ihm allerdings nichts nützt. Der Hüter lärmt und weckt dadurch den Leiter, der gleich mit drei Helfern kommt. / "Was ist hier los?" fragt er absichtlich. Er hatte sich's gedacht, der Fürst würde selber seinen Schund zerstören wollen. "Ah, der Fürst! Wie kommst denn du dazu, ein angesehener Mann im Volke, nachts herum zu schleichen und …"

4. Braust jener auf: "Ich dulde nicht daß man mich verhöhnt. Wer weiß, ob nicht ihr selber diesen Wisch geschrieben habt, um mich schlecht zu machen!" / "So?" Der Leiter hat die Zettel aufgehoben und sagt scheinbar freundlich: "Komme mit herein, es tut nicht Not, daß jemand dich vor unserer Türe sieht." Mit Gewalt wird der Fürst ins Haus geschoben.

5. Im Kontor, wo die Knechte an der Türe harren; legt der Leiter die drei Zettel auf den Tisch und bedeutet: "Die Schriftzüge sind verschieden, von einer schweren Hand das Letzte, das sicher einer da vom Ort zustande brachte. Die zweite Schrift, zugegeben, stammt von mir. Doch die erste ‒? Was meinst du, Fürst, wer die an unser Haus geheftet hat? Ich melde es dem Landesfürsten, der es wissen wird, wem die erste Hand gehört."

6. "Denkst du, ich gäbe zu, daß ich es war?" / "Damit hast du dich zum zweiten Mal verraten." / Mit jähem Griff will der Fürst die Zettel an sich reißen. / "Das dritte Eingeständnis", wird er verhöhnt. "Meine Knechte zeugen, was sich zugetragen hat. Jetzt kannst du gehen, ein Mann mag dich begleiten, wenn du willst, damit du in der Nacht nicht angefallen wirst."

7. Ein unsicheres Gelächter: "Niemand wird mehr überfallen, dafür hat …" / "… der Landesfürst gesorgt, dem du in den Rücken fällst. Nun, eine Fliege schadet einem Elefanten nichts!" / Der Fürst eilt fort, in ohnmächtigem Grimm. / Den Knechten befiehlt der Leiter, das Ganze zu verschweigen. "So ist's im Sinne unseres Herrn. Wird die Sache breitgetreten, wer weiß, was folgt."

8. Am andern Tag kommt Isremia, um Weiteres anzuordnen, die Bücher einzusehen und manches Lob wird ausgeteilt. Als er die Sache hört, lacht er heiter. Nur in Bethlehem berichtet er davon. Seine Frau und Ruth lachen auch, Boas verzieht den Mund und Hanea meint, der Leiter hätte brav gehandelt. / Wieder einmal mit dem 'weiten Blick' sagt Naemi: "Er geht am Ziel vorbei, das er sich gesteckt; ein 'anderes Ziel' kommt über ihn."

9. Ruth fragt: "Wie meinst du das, Mutter? Denkst du, er könne sterben?" / "Nein, nicht gleich. Er hat viel auf sich geladen, zumal mit Beraba gemeinsam und jetzt in diesem hohen Friedensjahr, für das wir Gott, dem Höchsten, nicht genügend danken können. Der Herr wird ihm die Hände binden, ich weiß es nicht, ich sehe nur viel grauen Sand."

10. Vorausgesagt: Der Fürst erkrankt, die Füße und die Hände werden lahm, auch die Zunge will nicht recht gehorchen. Pereztha geht zu ihm und Isremia holt aus Griechenland den besten Arzt herbei, der zwar nicht helfen, aber doch Erleichterungen schaffen kann. Zwei Wochen wehrt der Kranke ab, er will keine Hilfe von den Feinden, wie er die guten Helfer nennt.

11. Man erwartet keinen Dank. Pereztha zu den Freunden sagt: "Es gibt Menschen die sich nie bezähmen, nicht überwinden können. Es sind arme Leute, man muß sie eben …" / "… Gott mit innigen Gebeten übergeben", vollendet Anacarias, der mit ein paar Fürsten bei Naemi weilt. Isremia, Heleana, Ruth und Boas sind dabei. Ruth, die Jüngste unter allen ‒ im Freundeskreis stehn die Frauen nicht zurück wie allgemein.

12. Sie sagt versonnen: "Solches hat mein Vater auch gelehrt, nicht so tief wie hier im Glauben an den einen Gott; immerhin ‒ er sagte oft: 'Wenn man einem Bösen ebenso begegnet, kommt nur weiteres Böses an das Tageslicht. Was hat man dann davon?' Vater meinte es zum eigenen Schutz, nicht so, wie es mich Naemi lehrte: die Feinde lieben, Ungutes nie mit Gleichem zu vergelten. Das allein befriedigt unser Herz, das bindet uns an Gott."

13. Anacarias legt ihr seine Hände auf. "Du bist ein gutes Kind und dein Vater hatte recht. Man darf, wenn man bei Feindlichen auch an sich selber denkt, ihnen notfalls aus dem Wege gehn. Das Bessere, Höhere ist jedoch: Im Sinne unseres Glaubens, richtiger: wie GOTT es lehrt, die Feindesliebe zu betätigen. Wer das tut, verfehlt des guten Weges nicht!"

14. Ruth umarmt Naemi. "Ich hab' dich lieb und ich bin froh, daß ich mit dir gezogen bin. Darüber sind die Angehörigen nicht vergessen, nicht zurückgestellt, ich behalte alle lieb." Eine Weile spricht man über alles, auch über neue Forderungen sowohl an die Regierung wie ans Volk.

15. Danach sagt Pereztha: "Daß alle Fürsten zu mir stehen, hält sogar die Starken, Syrien und so weiter, von uns ab. Nur die Philister, von jeher unsre ärgsten Gegner, streichen bei den Grenzen hin und her. Übergriffe haben sie sich aber nicht gewagt. Der Landesschutz, von unserm Isremia damals bestens anempfohlen, hat sich ‒ geschehen ‒ nicht allein im Inland gut bewährt."

16. "Dazu der Segen unseres Herrn", wirft Naemi ein. / "Sehr recht", bestätigt Anacarias. "Es geht beides Hand in Hand: erst der Segen Gottes, dann die Wehr, die wir haben dürfen; die Welt gestattet es nicht anders." / "Uns fehlt das Paradies, wenn das doch wiederkäme!" sagt Fürst Foadar. / "Wer möchte dies nicht wünschen?" fragt ein anderer. "Ob es jemals kommt, zu uns, für die Welt, ach…" Ein langer Seufzer.

17. Naemi tröstet: "Man sagt, Gott hat es zugeschlossen durch den Cherub, den Er an die Pforte stellte. Allein ‒ hat nicht der Menschen Ungehorsam es getan? Nicht GOTT hat es gewollt! Ebenso ist es mit uns. Wir haben, wenn wir wollen, ein Paradies in uns, und ‒ wie oft schleichen wir uns fort, wenn wir sündig sind. Dann werfen wir die Pforte zu. So bedarf es allen Ernstes nicht mehr eines äußerlichen Edens, das schwerlich wiederkommen wird.

18. Würde mindestens der Zehnt der Menschen, wie Abraham den Zehnt dem Priester Melchisedek gab, ihr eigenes Paradies bewahren, nicht nach dem begehren, was 'draußen' hängt, oh, des Geistes Eden würde über dieser Welt das Friedensbanner wehen lassen, Gott würde bei uns wie zur Zeit des Patriarchen sein.

19. Freunde…", lächelt sie, als sie betrübte Mienen sieht, "…es kommt darauf an, daß wir uns Gottes Paradies erhalten im Geist, Herz und Gemüt, in der Seele und nicht von den Geboten lassen, die der HERR gegeben hat! Auch im Kleinen kann man dafür wirken. Der Herr hat es gezeigt: durch Treue haben wir ein Jahr des Friedens und wird eine lange Zeit so bleiben. Was später kommt ‒ da muß jedermann zu seinen Zeiten wirken, gut und ungut, dunkel oder hell.

20. Eines ist gewiß: – Gott erhält Sich alle Werke Seiner Herrlichkeit! Die Welt mit ihrem äußerlichen Tand und das, von dem wir noch nichts wissen (Gesamtmaterie), hat keinen ewigen Bestand. Darum braucht man nicht zu trauern. Erfüllt man seines Lebens Pflicht, im großen wie im kleinen, dann hat man von der Welt ein Körnlein heimgetragen und der Heilige sieht's freundlich an."

21. Boas sagt nach einer langen Pause: "Wie klug Naemi ist, und gut außerdem. Von ihrem kleinen Überfluß, der in ihre Tasche fließt, hat sie manchem hier am Ort geholfen, nicht nur jenen, die ihr bei der Ankunft wohlgewogen waren, sogar Hämischen hat sie die Hilfe nicht versagt."

22. Naemi ist erstaunt: "Woher weißt du das?" Es sollte niemand wissen. / Boas lacht: "Der Wind hat es erzählt ‒ so manche Zunge, aus Freude, Muhme, und ich verrate diese nicht." / "Schön von dir, Naemi, nur hast du nicht soviel, um anderen zu helfen." sagt Isremia / "Ich habe keine Sorgen mehr; und wer selbst zu kämpfen hatte, lernt am besten, an andere zu denken." Man gibt ihr recht.

*

23. Boas druckst ein wenig. Die Monde gehn ins Land und noch weiß er nicht, ob er einen Anspruch stellen darf. Ruth ist ihm gewiß, ihr Spruch hat sich in seine Seele eingegraben. Nach dem Brauch der Moabiter kann man Witwen ehelichen, vor allem, wenn sie keine Kinder haben; doch solche stört den Moabiter nicht. Anders hier in Israel. Ob es Schwierigkeiten geben wird ‒? Mit Anacarias hat er deshalb nie gesprochen. Nunmehr drängt es ihn. Die Fürsten werden ihm zur Seite stehen, da ist er sicher. Doch hierbei kommt es auf die Priesterräte an.

24. "Na, Boas, wo drückt dir die Sandale?", fragt sein Vetter. / "Lache nur, du hast ja deinen Edelstein." Boas meint Heleana. "Mir fehlt er noch in meiner Krone." / "Da muß ich meinem Sausewind", wie Naemi früher gern den Buben nannte, "wieder rasch zu Hilfe kommen." Sie wendet sich dem Priester zu.

25. "Es käme nicht allein auf deine Meinung an, der Priesterrat sagt 'nein!'." / "Um was handelt es sich denn? Ich helfe, Boas wünscht sich schließlich keinen Stern, den man nicht vom Himmel holen kann." / "Etwa ist es einer", neckt Pereztha. "Golden ist er auch, innen, und außen lieb und wert."

26. "Ihr sprecht in Rätseln! Laßt die Katze aus dem Sack, wir werden sie schon fangen." / "Hm, ja", entgegnet ihm Naemi, "Ruth war meines jüngsten Sohnes Frau, hatten aber keine Kinder. Nun hat Boas meine Ruth ins Herz geschlossen. Heiratsfähig ist er auch und Haus und Hof bedürfen einer Herrin.

27. In Moab ist das kein Problem. Verwitwete können eine neue Ehe schließen; Kinder sind kein Hindernis, Im Gegenteil: der Moabite ist sehr kinderlieb." / "Das sind wir auch", dämpft Anacarias. "Also das ist es! Bei mir gibt es kein Hindernis und mir ist es recht. Ruth ist glaubenstreu geworden, wahrlich besser, als mancher hier im Land. Ihr wißt jedoch, das Gesetz ist diesen Falles schwerlich zu umgehen.

28. Mose hätte gleich gewußt, ob man die Liebe vor die starre Satzung stellt oder umgekehrt. Ich werde etwas sagen, worüber meine Brüder ruhig schelten mögen." / "Als Oberhaupt der Priester kannst du die Erlaubnis zu der Heirat geben." Foadar ist hoffnungsvoll. / "Denkst du?" ein schräger Blick fällt auf den Fürsten. "Ich will dir sagen wie es geht:

29. Man wird verlangen, daß ich zuerst die Satzung einzuhalten hätte. Man wird den Antrag stellen, mich abzusetzen, wenn ich ohne Einheit aller Stimmen für die Ehe bin. Natürlich gibt es einen Zwischenweg, das ist dieser: Bei Dingen, die das Volk betreffen, hat der Regent das Recht, alle Priester zur Beratung zu bestellen. Dann kannst du, Pereztha, sagen, aber erst, wenn sie ihre Pfeile abgeschossen haben, daß Israel auf keinen Fall ein Volk aus nur eigenen Stämmen wurde. Nicht wenig Männer haben sich aus andern Völkern eine Frau geholt. In der letzten Zeit der Richter hat man das Gesetz der Ehe nur zu oft um-gangen.

30. Jetzt soll die Satzung wieder gelten. Was wißt ihr, wieviel es Widerwärtigkeit in diesem Friedensjahr gegeben hat? Ich behelligte Pereztha nicht damit, mit dem Aufbau hatte er genug zu tun. Hätte ich schon eine Hilfe mir erbeten, dann hieße es: 'Er ist nicht mehr fähig, der Oberste der Priesterschaft zu sein.' Gar mancher Neider strebt nach meinem Stuhl.

31. Glaubt ja, wie im Augenblick bei uns die Dinge liegen, ‒ nur zu gerne träte ich zurück. Der Rat als solcher wird nie einen Antrag auch nur prüfen, geschweige, vor die starre Satzung das Gesetz des Menschentums zu stellen! Nun…", Anacarias reckt sich in die Höhe, "…es ist abzuwarten, lieber Boas, ich werde es erzwingen, wenn vorher unser Landesfürst die Seelen durchgerüttelt hat. Möchtest du das tun?" fragt er diesen.

32. "Mit tausend Freuden! Du konntest deine Sorgen zu mir bringen, soviel Zeit gab's immer, um reinen Tisch zu schaffen. Auch ich wollte ‚dich nicht überfallen; man war nämlich schon bei mir, ich möchte mein 'ja' nicht versagen, wenn …" / "So, so…", lacht Anacarias bitter auf. "Und wer war bei dir?"

33. "Bist du mir böse, wenn ich keine Namen nenne?" / "Nein! Bloß wenn man seine Gegner kennt, kann man sich vor ihnen hüten. Ich würde nie darüber reden." / 'Hm, es ist besser, wenn Anacarias sie kennt.' "Es sind die Ersten: Adonikam und Pysador. Dir sollten sie nicht schaden, dafür habe ich gesorgt und werde weiter drüber wachen. Sie sind sehr klein abgezogen."

34. "Ich bin keine Leuchte", sagt Anacarias. "Wäre einer fähig, den Stuhl einzunehmen… Oh, bitte, gern! Einige Unterpriester sind viel besser und auch klüger. Von denen würde ich mir einen wählen, wenn ich nicht mehr dienen kann." / Bittet Foadar: "Gib die Namen preis, einer von uns würde später das bedenken." / "Ich schreibe sie euch auf", nickt der Oberpriester. "Wollen wir erst einmal diese Hürde nehmen, damit Ruth und Boas ihre Hochzeit halten können. Ich lade mich gleich selber dazu ein", scherzt er.

35. "Weiß man, daß du bei uns bist?" / "Ja, ich halte meine Wege nicht geheim. Zudem würde es nichts nützen, Spitzel gibt es überall." / Der Fürst Josamath, der auch mit in der Runde sitzt, murrt böse: "Einer meiner Knechte, kluger Kerl, geht in meinem Auftrag manchem Spitzel nach, die sich Pereztha an die Fersen heften. Schon manchem hab' ich heimgeleuchtet!"

36. "Daß ich bespitzelt werde, ist bekannt, nicht aber…", er drückt des Fürsten Hände, "…daß du mich beschirmen läßt. Ich danke dir!" / "Nichts zu danken", wehrt Josamath. / "Sicher gilt es ersten Ranges dir, leicht kann einer gegen dich die Hand erheben; zweiten Ranges gilt es allen. Wir brauchen dich, Pereztha! Gott hat offenbar dich ausersehen. Wer dabei nicht mit seine Hände regt, ist ein Verräter durch und durch!"

37. Pereztha greift den Faden wegen Boas wieder auf. "Da man weiß, wo Anacarias ist, so rate ich, erst etwas später einzuladen. Es gibt genügend Gründe, die sich einrangieren lassen; die Priester sollen nicht gleich stutzig sein. Sie kommen aber gern…", lacht er, "…mein Wein schmeckt gut." / "Schenke ihre Becher häufig voll", Isremia sagt's verschmitzt, "ist der zehnte ausgetrunken, dann erst bringe Boas Sache vor. Sie werden gar nicht merken, wie ihnen ihre Satzung aus dem Kopfe fällt."

38. "Du kennst nicht Adonikam. Der merkt, was vor sich geht; auch hat er eine starke Kehle. Zwanzig Becher werfen ihn nicht um, wie schon mal bei Beraba geschehen, der auf diesem Weg gewinnen wollte. Er war selber bald umnebelt, Adonikam hingegen ging auf zwei geraden Beinen heim."

39. "Schade…", grinst Isremia. "Ich habe einen Griechenländer, der kann helfen." / Pereztha lächelt: "Du wärest wohl der letzte, der zu solchen Mitteln greift. Und was nicht aus reinem Herzen, aus freier Überzeugung kommt, zeigt hinterher den bösen Schwanz. Es würde mir zur Last gelegt, auf solche Weise etwas aus der Welt zu schaffen, sei es gleich zubest gemeint. Wir werden sehen! Ich reite heim. Wer kommt von euch mit?" fragt er die Jerusalemer. Alle brechen auf, von den Bethlehemern bis zum Zweigweg liebevoll begleitet, von wo es nach der Hauptstadt geht.

*

40. "Das wird gut!" Naemi streichelt Ruth. "Müsset halt ein Weilchen warten, ehe ihr das Nest gemeinsam bauen könnt. Wenn es aber so weit ist, ach, dann bin ich…" / "…allein, will sie sagen.“ Heleana erratet es. "Naemi-Muhme," spricht sie herzlich, "nie bist du allein. Wir bleiben alle hier im kleinen Ort und ‒ husch, ganz fix über einen Weg, und wir sind bei dir, vier junge Leute, die gar oft sich einen Rat erbitten müssen. Außerdem zieht Hanea in dein Haus, sie braucht ihr sorgenfreies Alter. O, für uns hat euer, nein ‒ auch mein Gott bestens vorgesorgt!"

41. Jubelt Ruth: "Ich bin froh, er wird es schaffen! Schön ist's ja nicht, weil vieles überwunden werden muß. In Moab ist das wirklich leichter. Es hat eben jedes Volk was Gutes und was Minderes. Gott wird uns gewißlich helfen."

42. "Ich glaub' es auch." Naemis Augen strahlen. 'Alle Not hat Ruth mit ihr geteilt, denkt sie, hat sich nicht gescheut, niedere Arbeit zu verrichten.' Sie wird mir fehlen. Aber nein, ruft Naemi sich zur Ordnung, die jungen Leute sollen nicht durch mich belastet sein und Heleana hatte recht: wir wohnen dicht beisammen, man wird uns zwei Mütter nicht vergessen.

43. Während sie so sinnt, sagt Isremia zu dem Vetter: "Du bist jetzt reich, nein", winkt er ab, "nicht nur durch mich. Ich halte es für gut, daß du den Müttern einen Anteil gibst. Feld und Flur hast du zu übernehmen. Die Hälfte von Naemis Land behalte ich und zahle ihr den vollen Preis. Du brauchst nur halb zu zahlen, weil noch manche Dinge auszurichten sind, Naemi ist's bestimmt so recht." / "Was soll mir recht sein?" Sie fährt aus den Gedanken hoch.

44. Als sie die Abmachung vernimmt, wird sie energisch. "Ich nehme nichts von euch, der Herr bewahre mich davor!" / "Er wird dich vor was anderem bewahren", zankt Isremia herzlich. "Von uns darfst du auch nicht denken, daß wir uns alles in die Tasche fallen lassen. O ja, ich und Boas könnten euch zeitlebens unterstützen, leicht, doch für euch nicht angenehm. Oder doch?"

45. "Hast recht, Isremia", schaltet Hanea sich ein, "geregelt muß es werden. Ihr meint es beide gut, nun soll dein Wille gelten. Eine Magd und einen Knecht brauchen wir für Haus und Garten, letzteren vom kleinen Hausfeld hergestellt." "Und Lämmer, die habe ich so gern." Naemi ist schon umgestimmt "Auch eine Kuh", rät Hanea, die in manchen Dingen praktischer als Naemi ist. "Morgen legen wir die Sache fest." / "Sagt es uns, wie ihr es haben wollt", bittet Ruth. / Und Heleana fügt gleich an: "Es soll euch wohl ergehen."

*

46. Ein schöner Feierabend bricht herein. Man geht gemeinsam durch die Fluren, bestimmt die Felder, die Isremia haben will samt einem kleinen Hain. "Hier ist's so herrlich kühl, hier baue ich ein Haus mit offener Halle mit dem Blick zum Osten, in das freie Tal hinaus." / Heleana klatscht in die Hände. "Wie schön! Wird es bis zur heißen Jahreszeit noch fertig?" forscht sie begierig. / "Ich denke schon, Frau Ungeduld. Es gehört uns allen, jeder kann herein:" / "Drei Leute stelle ich zum Bau." Boas streut praktische Winke ein, die Isremia akzeptiert.

47. Bei einem Umweg finden sie am Rand des Haines eine Grotte. Hirten bringen manchmal ihre Schafe darin unter. / "Wem gehört die Höhle?" / "Dem Schafzüchter das Weideland, Naemi diese Grotte. Da geht die Gemarkung durch." Boas zeigt auf ein paar weiße Steine. / "Dann muß er räumen." Naemis Blick ist wieder weit geworden. Sie winkt und man geht heim. "Nach dem Essen sage ich, was ich gesehen (im Geiste) habe."

*

48. Ruth hilft den Tisch zu decken. Nicht aus Neugier will man eilig sein. Oh, über alle kommt das Unbekannte, das keine Welt zu geben weiß. Und dann lauscht man tief ergriffen zu. / "Wäre mir durch Elimelech nicht der wahre Glaube überkommen, den er von des Volkes Patriarchen kannte, wie hätte ich je schauen und verstehen können? Die Grotte…", Naemi zeigt in jene Richtung, wo sie liegt, "…ist ein heilig vorgesehener Platz. Aus ihr trat ER heraus, der Heilige, der Sich 'Priester Melchisedek' nannte und Abraham samt seiner Schar begegnete.

49. Aus der Grotte, aus dem Verborgenen, kam ER hervor, und ich sah, wie ER Seine Hände hob. Er sprach: «Hütet diesen Ort, Ich habe ihn erkoren, daß in ihm das WUNDER sich vollzieht, das denen in der Dunkelheit die letzte Löse bringt. Bis dahin trage ICH Mein Licht hinein und trage es heraus, wie bei Abraham geschah. (s. "Der Patriarch" Kap. 10)

50. Er wußte, wer Ich war: in Meinem Kommen! Ich komme freilich allezeit zu allen, die des Lichts bedürfen und zu denen, die es kindgemäß bereits besitzen. Der Fürst des Ernstes (Abram) kam hierher, wo aus dem ersten[7], dieser Grotte, das letzte[8] sich vollzieht, der Ort, wo er seinen Sohn MIR opfern wollte, was bedeutet hat: sich selber aufzugeben an mein ICH!

51. Diese Meine Orte wird kein Mensch betreten, bis das Letzte aus dem hohen Opfer sich erfüllt! Wie nur die Tiere hierher kommen, um bei Wetter einen Schutz zu finden, so die Seelen, die in Ängsten dieser Welt ein Obdach brauchen: in Meiner heiligen Erbarmung. Wie die Hirten bloß das Vordach suchen, so der hocherhabene Platz (Golgatha), daß Menschen, wenn sie schon zur Höhe kommen, an der von MIR ersehenen Stelle, fremd geführt, vorübergehen, unerkannt (Der Patriarch – Kap. 21).

52. Das ist Meine Reservatio mentalis des unsichtbaren Lichtes heiliger UR-Wesenheit. Aber wie aus diesem Strahlen auf die Werke, auf die Kinder fallen, weil nichts ohne IHN besteht, so kommen aus den beiden Orten[9], dieser Grotte, Gott zeigte hinter Sich, Er stand in ihrer Öffnung, und dem Opferplatz des Abraham, die Segnung Meiner ewigen Erbarmung über alle jene, die dann noch ihre Löse brauchen.

53. Verkündet es den Freunden: Ich löse euch vom Weltenbann! Laßt den Tieren ihren Unterschlupf, weil Ich wie ein Schaf behandelt werde (Jes. 53,7) und dulde um der hohen Liebe willen, was dem 'Menschensohn' geschieht. Die Duldung ist das Bad der Reinigung für jenen Fall (Sadhana), in welchem alle armen Seelen auszuheilen sind. Eingeschlossen mit die Übel, die gute Kinder auf dem Weltenweg versehen können.

54. Bleibt im Frieden Meiner Liebe eingehegt und haltet an den inneren Orten fest, in die ihr auch die äußerlichen einbeziehen könnt und sollt, Friede sei mit euch!»

55. Es war immer still nach einer Offenbarung, jetzt kommt eine unbeschreiblich hehre Ruhe auf die Menschen. Naemis Stimme war verändert, wie die Stimme eines tiefbeseelten Mannes. Sie sitzt, die Hände leicht im Schoß verkrampft, versunken da. Nur langsam heben sich die Augen, aus weiter Ferne kommt ihr Sinn zurück.

56. "Ich möchte jene Stelle sehen", spricht Ruth leise, "die uns der Heilige beschrieb, wo Abraham sich Gott geopfert hat, seinen Sohn zum Opfer gab. Was muß uns da erfüllen, wenn wir…" Sie wagt's nicht auszusprechen, was wie ein Feuer in ihr glüht. Keiner von der kleinen Runde, der nicht das Gleiche in sich spürt.

57. Isremia sagt nach einer Weile: "Wir fahren einmal hin. Doch zum Ort, den wir finden werden ‒ sonst hätte Gott uns nicht das Heilige enthüllt – …werden unsere Füße hingeführt." / Man nickt dazu, jeder ist bereit. Heute wünscht man ohne Worte sich die 'gute Nacht'.

 

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Kap. 16

Auch Priester müssen neu lernen – Alarm über einen syrischen Händler

1. Nebst dem Oberpriester Anacarias sind zwölf Priester, Pereztha, Boas, Isremia, mehrere Fürsten und Älteste versammelt. Man hat über einiges gesprochen, Für und Wider, durch die Einung der zwölf Stämme sich ergebend ‒ nicht ganz reibungslos. Der Landesfürst hatte vorgefühlt, um was es heute auch mit gehen soll: die Erlaubnis, daß Boas sich die Ruth zum Weibe nehmen kann. Kein Fürst noch Ältester ist dagegen. Du liebe Zeit, wieviel solcher Ehen sind geschlossen worden, nicht nur einstens in Ägypten, nein, als man unter Josua zurück in seine Heimat kam, sind solche Ehen nicht zu zählen. Jetzt auf einmal ‒ ‒

2. Anacarias steht auf. In würdiger Sprache rollt er die Geschichte auf, wie sich Volk und Volk vermengte und geht darauf ein, daß alle Menschen Gottes Kinder sind und niemand dafür könne, in Israel oder anderwärts das Licht der Welt erblickt zu haben. Er sagt: "Wer wolle ein Kind schelten, weil es ‒ noch allzeit nach dem sturen Sinn ‒ in einem Heidenvolk geboren ward?

3. Wir sollten vorwärtsgehen, ohne das, was unserm Volk gegeben wurde, zu verachten, nicht mehr einzuhalten? An die Gott-Gebote denke ich vor allem, die der Herr auf Sinai dem ‒ nebst Abraham ‒ bisher Größten unseres Volkes gab. Wer diese kennt und richtig anzuwenden weiß, der wird, was ich zu sagen habe, gern ein Ja zur Stimme geben.

4. Nicht zuletzt sei darauf hingewiesen, daß trotz Strenge, der sich Mose ‒ ach wie oft ‒ bedienen mußte, um Israel im Zaum zu halten, er sich stets um alles kümmerte, oft bis ins Nebensächlichste des Einzelnen, wobei seine Güte, seine Menschlichkeit zutagetrat. Wäre er jetzt unter uns, oh, ich brauchte nicht viel Worte, um zu einem guten Rechte zu verhelfen."

5. Die Priester wundern sich ob dieser langen Rede. Konnte er nicht vorher sagen, um was es geht? Man konnte einig werden, ob so, ob anders. Handelt es sich um ein Priesterrecht, weil er sie angesehen hat? Wenn ja, wären alle andern fehl am Platz, da hat das Weltliche nichts zu melden. Ah ja, er wird eben alt, der Alte! Solcherlei Gedanken schwirren manchem durch den Kopf.

6. Indessen spricht der Oberpriester weiter: "Es handelt sich um Boas, bestens angeschrieben, und um die Witwe Ruth, Tochter des Städtekönigs in Ar-Moab. Des Elimelechs Sache ist bekannt. Ruth war mit dem Sohne Chilijon verehelicht, hatten aber keine Kinder. Als 'frei' ist sie anzusprechen."

7. "Das gilt nie!" ruft ein Priester grob dazwischen. "Eine Ehe ist nicht einfach durch den Tod des einen Partners auszustreichen. Die besagte Ruth ist Witwe, alt oder jung, mit und ohne Kinder. Du als Oberster solltest nicht das Recht verdrehen! Hast richtig auf die Gott-Gebote hingewiesen."

8. Anacarias lächelt. "Bringe mir das Gott-Gebot, wo über Witwen etwas steht." / "Du sollst nicht ehebrechen!" / "Kann ein Verwitweter die Ehe brechen?" fragt Pereztha. / "Wir sind in einem Priester- und nicht in einem Fürstenrat! Mich hat's gewundert, was das 'Gemische' zu bedeuten hat." Der alte Jashu ist's, dem Frauen und auch Kinder nichts bedeuten. Er blieb unbeweibt.

9. "Dir ist deine Ansicht nachzusehen", spricht Laban streng. "Wer bloß sich bedenkt, hält selbst als Priester kein Gebot. Wir sollen unseren Nächsten hebend helfen! Oh, bitte…", wehrt er ab, als Jashu in die Höhe fährt, "…eine Wahrheit kann nie kränken! Fühlst du dich gekränkt, dann hab' ich recht. Wer das Volk zu führen hat, geistig oder weltlich, sollte sich der Not des Volkes nicht verschließen. Du, Jashu, siehst nur dich!"

10. Hocherhobenen Hauptes will dieser gehen. Anacarias hält ihn auf, sagt er freundlich: "Mir tut leid, daß Zwistigkeit entstanden ist. Wir verstehen dich, warst stets allein, hast in jungen Jahren dich vom Elternhaus getrennt, um dem Herrn zu dienen. Ein Vorsatz, der zu loben war. Allein, das Leben ist mit zu bedenken, keineswegs nur von den Richtern, Fürsten oder von den Königen; nein nein, ein Priester soll nicht nur das Wort verkünden, er sollte an dem Leid der Menschen nicht vorüber gehn.

11. Ist der Arme und der Kranke nicht zu trösten?, Verlassenen ein Platz zu schaffen, wo sie fröhlich werden? Das gilt allen meinen Brüdern: an wieviel Krankenbetten wart ihr schon? Und wieviel Gaben habt ihr ausgeteilt?" / "Ich habe …" / "Laß dich unterbrechen! Du hast in den Gotteskasten Gaben eingelegt, obwohl man das von Priestern nicht verlangt. Ich, solange ich das Geld verwaltete, was von den Reichen und von manchen Armen stammt, habe deine Gaben abgesondert und Hungernde damit gespeist …in deinem Namen.

12. Ob das vor Gott gilt? Gemeinschaft war dir stets zuwider, manchem andern auch", sagt der Oberpriester ernst. "Schau, Jashu, ich meine jeden, meine mich, denn zwar nicht absichtlich ‒ allein, wie oft mag ich ein Kind oder einen Armen übersehen haben? Wir alle wollen uns das in die Herzen schreiben, Gottes herrliche Gebote durch die Nächstenliebe einzuhalten. Erst dann können wir vor Gott bestehen; und glaubt", Anacarias zeigt in die Runde, "zumal wir Priester haben Rechenschaft zu legen, ob wir die heiligen Gebote predigen oder ‒ halten, also danach tun."

13. Beschämtes Köpfsenken. Man lebt so in den Tag hinein, hie und da wacht man mal auf. Man müßte ‒ muß sich wenden! Der Landesfürst gibt hier das beste Beispiel ab; er ist für jeden Hilfeheischen den bereit, auch praktisch, meistens aus dem eigenen Beutel. Widerlichen hat er oft zum guten Weg verholfen, manchem Tagedieb die Arbeit beigebracht. Diese Mühen sind sehr segensreich, man sollte gleichfalls danach tun. Bloß ein Jashu ist nicht umzudrehen, er ist ein Hagestolz und wird es bleiben. Sein Gesicht sieht starr, die Augen finster, der Mund verkniffen aus. Anacarias geht drüberhin und bringt Boas Sache wieder vor.

14. Er habe Ruth, die Moabitin, gläubig angetroffen, daß sie sehr wohl mit zum Volk gehören, und Boas, ein echter Israele, sie zum Weib begehren kann. "Wie ihr wißt", sagt er weiter, "ist Naemi erst durch Heirat unserm Volke zugehörig; und wie tief gläubig ist die Frau, einst die Heidin, wie wir immer ungut reden. Selbst unter den Verantwortlichen gibt's nicht allzu viele, die so herrlich in den Glauben eingedrungen sind wie sie.

15. Gewiß, Elimelech hat Naemi angeleitet; ihr eigenes Verdienst ist es jedoch, daß sie die Lehre aufgenommen, bewahrt und danach gehandelt hat. Das gleiche ist bei Ruth zu finden, die in Bethlehem bei Naemi wohnt. Um des Glaubens willen, schon zu Hause anerkannt, verließ sie Elternhaus und Vaterland, nahm als junge Witwe Unbill und die Armut der Naemi mit auf sich, und ich nenne ihren Glauben einen goldenen Stern.

16. Weil sie nun in allen Stücken eine echte Tochter unseres Volkes ward, indem sie unsern gar nicht leichten Glauben, unsere Sitten freudig auf sich nahm, gebe ich als Oberpriester die Bewilligung, daß Boas ungekränkt die Moabitin Ruth zum Weibe nehmen kann. Wer dagegen ist, der melde sich."

17. Jashu reckt sich wild. "Wie gesagt: hier ist ein Priesterrat, kein weltlicher! Es wird endlich Zeit, daß wir uns von fremden Elementen reinigen, von Weibern, Männern. Macht Schluß mit der Verbrüderung von Heiden! Sie sind andersblütig und wir zerstören uns, wenn wir solche Ehe dulden."

18. "Darf ich ihm eine Antwort geben", fragt Kenias. / Pereztha nickt. / Jener wendet sich an Jashu. "Ich zerreibe deine Punkte. Hier ist ein Fürstenrat und wir Ältesten sowie ihr Priester sind eingeladen worden. Der Oberpriester kann es dir bestätigen." / Sagt Anacarias: "Stimmt, möchte zudem wissen, was wichtiger ist: wir Priester bei den Fürsten oder sie bei uns."

19. "Eben", gibt Selemech ein Wort dazu. / Kenias fährt in seiner Rede fort: "Kein Volk wächst aus sich selbst! Jakob hatte zwar zwölf Söhne; aber woher nahm er für sie Ehefrauen? Weiterhin entstammen die zwölf Söhne vier verschiedenen Frauen. Labans Ahnen kamen aus Chaldäa, und damals, Jashu, als Schriftgelehrter müßtest du das wissen, haben sich die Völker stark vermengt, weil sie erkannten: bloß das eigene Blut von Volk und Sippe ‒ und man geht unter. Nun waren auch die beiden Frauen Bilha und Silpa nicht dem Volksstamm Labans zugehörig. Demnach gingen Jakobs Söhne aus verschiedenen Linien hervor.

20. Sicher gut, das Volk zur Reinheit zu erziehen, wozu zweckgebunden auch die Blutreinheit gehört. Doch der Adel der Gesinnung ja, das durchzuführen, ist ein Gebot! Unsern Eingott-Glauben auszubreiten kannst du nicht, wenn du in die fremden Städte gehst und predigst; geht's gut, lacht man dich aus, ansonst ‒ ‒

21. Werden Fremde unsere Eheleute, so nehmen sie, wie Naemi und auch Ruth das beste Beispiel bieten, unseren Glauben, unsere Sitten an. Geistig, Jashu, uns zugehörig, bringt uns am weitesten. Außerdem wächst zahlenmäßig mit das Volk. Deine 'fremden Elemente' hören damit auf, fremd zu sein.

22. Unser Oberpriester hat sehr recht gesprochen: alle Menschen sind von Gott geschaffen worden. Niemand ist dafür verantwortlich, wo er geboren ward. Die Versteifung gegen andere führt zu Haß und Krieg und wird niemals Friede auf der Erde! Willst du kein Friedensträger sein? Oder denkst du, es genüge, hinzugehen und zu sagen: 'Kommt, wir wollen Frieden halten,' sagst jedoch zugleich: 'Ihr seid Heiden, ich will mich nicht mit euch beflecken!'?"

23. "Friede?" fährt Jashu wieder hoch. "Solang die Welt besteht, wird sie nie die Friedensfahne wehen sehen, vielleicht vorübergehend. Um so wichtiger ist durchzuführen, das Volk werde, bleibe rein durch seine Ehen!" "Schade, daß du da kein Beispiel bist", ruft Selemech sarkastisch. Jashu schüttelt nur sein Haupt und schüttelt damit eine kleine Regung ab.

24. "Ich gebe Jashu darin recht", sagt Pereztha: "Jenen Frieden wird die Welt kaum sehen, daß alle Völker insgesamt sich unter dessen Banner scharen. Und doch ‒ kennen wir des Schöpfers weisen Willen, wie ER die Völker führen wird? Jedes ist drauf aus, zu wachsen. Zum Frieden nicht, wir wissen es! So wächst auch die gesamte Menschheit und mit ihr der Haß, der Krieg.

25. Wie wichtig wäre es, andere herzuholen und dadurch GOTTES FRIEDEN aufzurichten! Wohl sind Worte gut, auch Gott hat uns belehrt. Werden Worte nicht durch Taten untermauert, was nützen sie? Gott sprach nicht erst auf Sinai, früher auch bereits; denkt an Abraham, dem Er Sein Tun hat wissen lassen! Sich danach zu richten, würden wir ein Volk des Friedens sein! Ob uns das gelingt ‒?" Ein langer Seufzer entflieht des Fürsten Mund.

26. "Wirklich wahr gesagt", bestätigt Anacarias. "Für die Zukunftsmenschheit können wir nicht haften; ein guter Nährboden aber ist zu schaffen. Halten wir für uns den Frieden ein, so geben wir ein 'Tatenbeispiel' ab. Heute wollen wir uns nicht zu sehr verbreitern, ich stelle noch einmal die Frage: Wer ist gegen einen Bund zwischen Boas und der Ruth?"

27. Durch den Hinweis auf den Frieden ist manche Meinung revidiert. Nur Jashu hat ein stures Nein. Ihm ist's ein großes Ärgernis, weil seine Stimme keinen Ausschlag gibt. Die Worte seines Vorgesetzten, Perezthas und von den andern finden keinen Weg zu ihm. 'Da muß GOTT walten,' denkt Boas und verzeiht dem Widersacher. Nun ist der Punkt erledigt. Anacarias ruft Boas auf, mit Ruth und nächsten Anverwandten in sieben Tagen seinen Ehescherf zu bringen und alsdann die Eherolle in Empfang zu nehmen.

28. Noch ein paar wichtige Dinge zwischen Gad und Ruben liegen vor, können aber rasch bereinigt werden. Danach bittet Isremia um das Wort. Er ist schon sehr beliebt geworden, man anerkennt den guten Sinn, und für Praktisches hat man immer etwas übrig. Er steht ruhig auf und sagt:

29. "Als ich von meinem Vater hörte, wie es hier zugegangen war, da dachte ich: nie kehrst du dorthin zurück! Die Ungerechtigkeit ‒ wer soll sie denn ertragen? Dennoch kam die Sehnsucht über mich: heim ins Land der Väter! Bloß die Abrechnungen hielt ich hoch, weltlich ganz berechtigt. Und wer, meint ihr, belehrte mich, die Abrechnung ‒ wenn nötig ‒ unserm GOTT zu überlassen?

30. Naemi ist's gewesen, mit wenig Worten ihres reinen Glaubens! Nun bin ich froh, daß ich der Heimat dienen kann. Mit Taten! Und glaubt es mir: die Fremde hat mich reif und klug gemacht. Viel lernte ich vom Vater meiner Frau, dem Korinther Kaufherrn. Er war ein edler Mensch, nicht so zugeknöpft wie manche unter uns, wenn es gilt, mit Taten anderen zu helfen.

31. Gegeifert ward, als der Säckel aufzumachen war, um des Richters Unrecht auszugleichen und wie man 'diese Opfer' wieder einzubringen hätte. Doch anderes. Auf dem Weg durchs Land erkannte ich gar viele Mängel, die abzustellen wären. Weil das etwas kostet, bleibt man mit geschlossenen Händen stehn.

32. Mein Vater lehrte mich von Abraham, was er für das Land und seine Leute tat. Josua hätte vieles wieder eingeführt, er und Mose wußten ja Bescheid, auch vom langen Leben in Ägypten, wo man seine Hände regte und, den Chaldäern gleich, Stadt und Land, Flur und Straßen bestens baute. So handelt man in Griechenland. Daselbst ist alles freundlich, hell und gut getan.

33. Nun hat Kanaan, außer reichen Gärten, zuviel rauhe Höhen, die nur teils ein Weideland ergeben. Immerhin, unsere Wege sind noch keine Straßen, wie Abraham für manche sorgte. Zum Wohl des Volkes könnte viel geschaffen werden und reiche Reisende kämen zu uns her. Sie meiden uns, weil der Durchritt zu beschwerlich ist.

34. Nicht alles ist zwar gut zu machen, aber vieles. Rundum habe ich geprüft und es wäre gut, wenn auch da die Stämme einig würden, bei sich selbst, und die Grenzen lockerten, die man gegenseitig zieht. Das ist Sache eines jeden Fürsten, und die Ältesten sollten ihre Fürsten darin unterstützen."

35. "Das bedeutet neue Steuern", läßt sich Josamath vernehmen. / "Und neue Unzufriedenheiten, die wir Fürsten auszubaden hätten", wirft Demach ein. "Ich bin nicht dagegen, Isremia, im Gegenteil ‒ es wäre wünschenswert, könnten wir auf diese Weise einen guten Fortschritt haben." Er macht Perezthas vorigen langen Seufzer nach.

36. "Versucht es doch", ermuntert Boas. "Wir von Bethlehem übernehmen einen Teil vom Wege nach Jerusalem, mit Isremia abgesprochen. Wenn die größeren Städte sich verbinden, wird es besser werden und die oft ungangbaren Pfade würden breite Wege. Das verlangt wohl keine allzu hohe Steuer."

37. Hm, bloß wie die Steuerzahler reagieren werden, ach ja. "…Die Zänker schickt mir zu, um sie zu bezähmen," sagt Pereztha. / "Wenn du mich zum Zähmen brauchst, stehe ich dir zur Verfügung", lacht Isremia. – Außer Jashu lachen alle mit. Der geht grußlos fort; man läßt ihn gehen. Weil aber Anacarias sitzen bleibt, tun die andern Priester es ihm nach.

38 "Eine ernste Sache ist noch zu erwägen," beginnt der Fürst aufs neue. "Gestern kam aus Antiochien ein Händler und bat, ob er hie und da verkaufen dürfe." / "Mit was handelt er?" fragt Isremia. / "Mit Verschiedenem, aus Ebenholz, Elfenbein, wertvolle Steine für Kairo vorbestimmt. Die Kamele wären sehr beladen und so möchte er sie auf dem Weg erleichtern. Ich hab' es ihm gestattet, unsere Wirtschaft bleibt da ungeschädigt. Was meinst du, Isremia?"

39. "Ich sage 'ja', und hätte er die gleichen Waren wie ich selbst. Solch ein Durchzug schadet nichts." "Das freut mich sehr, weil du so denkst. Nun das Wichtige: er fragte, ob unser letztes Oberhaupt ein Richter Beraba gewesen sei. Ich horchte auf, ohne zu verraten, ob das stimmt und fragte nur, ob er ihn näher kennt.

40. 'Kennen ist zuviel gesagt', erwiderte der Händler. 'In Antiochien gibt es eine kleine israelische Gemeinde, aus ihrer Vorväter Zeit. Dieser Beraba sprach über Israels unhaltbare Zustände, seit er das Land verlassen habe; nicht ansehen mochte er das Unrecht, das hier geschähe. Daraufhin haben ihn die Israelen aufgenommen, verpflegt und zu ihrem Oberhaupt gemacht.

41. Er kam mit syrischen Männern in Kontakt, ich bin mit mehreren von ihnen gut befreundet, und er hat Syrien gegen euch verhetzt. Ich sagte, man sollte warten, bis ich von meiner Handelsreise wiederkäme und würde ihnen Kunde bringen. Schau', sprach er zu mir, 'ich bin offen und hoffe, daß ich unbehelligt bleibe. Auch sah ich auf dem Wege keine Ungerechtigkeit und nahm ich mir gleich vor, der Sache auf den Grund zu gehen. Wer das Land durchzieht, hat manche Blicke mehr, um die Leute zu durchschauen. Mir redete er zuviel, was für mich kein gutes Zeichen ist.'

42. Selemech ruft aufgebracht: "Jemand müßte gleich nach Antiochien, um die Leute vor dem Lump zu warnen!" / Anacarias verneint. "Warten wir erst ab, ob weitere Kunde kommt" / "Das kann für uns gefährlich sein", sagt Josamath. / Isremia meldet sich: "Ist der Händler noch in unserer Stadt?" / "Er reist morgen weiter", gibt der Fürst Bescheid. / "Wo ist er abgestiegen? Ich möchte mich mit ihm verbinden, zumal ich auch in Antiochien eine Niederlage habe.

43. Da ich ohnehin in Kürze dahin reisen muß, werde ich den Fuchs zur Strecke bringen." / "Hüte dich", warnt einer, "er kann dir eine Falle stellen." / "… in die das Füchslein fällt!" sagt Isremia hart. / "Ich weiß, daß du es schaffst", bestätigt Boas, "am liebsten zöge ich mit dir." / "Bleib' in Bethlehem, schon wegen Ruth, der Mütter und meiner lieben Frau. Du mußt zudem die Wegearbeit überwachen. Jeder auf dem Platz, wo er am besten dienen kann."

44. "Ein Diener führt dich hin, wo der Händler abgestiegen ist", sagt Pereztha, "und wenn du willst, bringe ihn am Abend mit zu mir. Für heute sind wir fertig, Berabas Sache ist erst zu verhandeln, wenn wir durch Isremia Näheres erfahren haben." Teils getrost, teils besorgt geht man auseinander, stets gewärtig, zum Nutzen Israels die Barrikade zu besteigen.

45. Isremia kommt mit dem Händler bestens überein. Der warnt ebenso vor Beraba. "Ich kenne ihn", erwidert Isremia, "meine Eltern mußten vor ihm flüchten; alles ließen wir zurück und so sei versichert: ich bringe ihn zu Fall! Willst du mit mir im Handel einig werden? Bestimmt für dich kein Schaden."

46. Isremia gibt dem Syrer an, wo er mit seinen Häusern in Verbindung treten könnte. Das freut den Syrer so, daß er am Ende sagt: "Unsere Oberhäupter kenne ich sehr gut und habe unter ihnen manchen Freund, könnte also bestens für euch reden. Weißt, ich bin ganz ehrlich: an sich hatte ich für Israelen nicht viel übrig, hab‘ so mancherlei durchschaut. Nie aber werfe ich dann allesamt in einen Topf; das sollte man nicht tun."

47. "Auch ich lernte gute Fremde und die Dunkelmänner kennen. Man muß unterscheiden, um nicht an sich selber irr zu werden. Syrien hat mehrmals gegen Israel nicht gut gehandelt; allein ‒ zwischen Völkern gibt es zu leicht Reibereien, die allgemein auf leichte Weise zu bereinigen wären. Aber nein ‒ es wird immer gleich das Kriegsbeil ausgegraben. Leider!"

48. "Am Ende ist immer schwierig zu sagen: wer hat angefangen?, wer hat recht? Ich glaube…", sagt der Syrer, "…bei allen Kriegen, so noch kommen werden, und die bleiben auf der Welt nicht aus, tritt hinterher die größte Krise auf, Recht und Unrecht auszuwiegen." / "Ich denke ebenso", bestätigt Isremia. "Nun komme mit, der Fürst erwartet uns, wir wollen einiges besprechen."

*

49. "Er gefällt mir gut, ruhig und so klug, für alles hatte er ein offenes Ohr. Er begrüßte mich wie einen Freund und er kannte mich doch nicht. Das war jene Freundschaft, die ehrlich ist. Das habe ich gefühlt." / "Freut mich sehr, weil du unserm Fürsten solch ein schönes Denkmal setzt." / Bis in die Nacht hinein sitzen die drei Männer beieinander und wird vieles festgelegt, was späterhin zum großen Nutzen ist.

 

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Kap. 17

Isremia in Antiochien – Schweres helfendes Urteil

1. "Du kannst dem Stammvolk dienen? Unsere Väter hatten sich schon unter Josua nach Norden abgesetzt, warum, ist unbekannt. Genug, wir bleiben Israelen auch ohne äußeren Kontakt. Immerhin ‒ wir wünschen unserm Volk den Frieden, daß jedermann bei seiner Habe bleibt. Wenn du das willst, dann bist du unserer Unterstützung sicher."

2. Der das sagt, ist ein würdiger Mann mit grauem Bart, in Antiochien angesehen. Beraba, der sich eingeschlichen hat, nickt kräftig mit dem Kopf. "So ist's, liebe Brüder, bin nun wochenlang bei euch und wisset jetzt, ob ich tauglich bin, euer Oberhaupt zu werden. Auch kleinere Gemeinden bedürfen eines einheitlichen Regiments."

3. Mit freundlicher Gebärde wehrt er ab, als der Alte, namens Masa, etwas sagen will. "Du bist nie aus Antiochien herausgekommen, kennst also nicht genau, was in anderen Völkern vor sich geht. Du sollst weiterhin der Erste bleiben", heuchelt Beraba, "ich will nur meinen Brüdern helfen." Die Versammelten, mehrere Männer, alle über vierzig Jahre alt, atmen auf. Manche denken: auch ohne diesen Fremden ging es bisher gut.

4. Beraba spürt die Abneigung, die ihm entgegenprallt. Ah pah, Masa vertraut ihm ja und das genügt vorerst. "Überlegt es euch", sagt er schmeichlerisch, "wie wir unseren Brüdern in der Heimat helfen. Ich suche einige in Sidon auf, die da verstreut und einsam hausen und möchte gern, daß sie bei euch, der stärkeren Gemeinde, Halt und Anschluß finden."

5. "Wenn sie Hilfe brauchen, sind wir jederzeit bereit", sagt der Alte. "Mose hat geboten, dem Volk zu helfen und…" / "…die Feinde zu vernichten", fährt Beraba dazwischen. Er sieht alsbald seinen Fehler ein, als die meisten ihre Augenbrauen in die Höhe ziehen. Nie haben Syrer sie belästigt, haben ihnen ein Asyl gewährt, also kann man sie doch keine Feinde nennen.

6. "Ihr habt mich mißverstanden, liebe Brüder. Ein Feind ist jeder Mensch, der uns bedrängt, der uns den Frieden stiehlt samt Hab und Gut. Das können eigene Volksgenossen sein, wie ich euch berichtet habe. Und vernichten ‒?‚ ich meine so: sie abzusetzen und Bessere ins Regiment zu bringen." Mit dieser schlauen Rede hat Beraba zunächst gewonnen. Ja, wenn so, das ist annehmbar.

*

7. Eine Woche später Isremia ist in Antiochien und geht zum Basar, weil man dort die Leute trifft, mit denen man zusammenkommen will. Einige Israelen kennt er schon vom Ansehen her. Ein jüngerer Mann läuft ihm beinah in die Arme. An einem Stande der Ägypter wollte er Verschiedenes kaufen, dachte aber an Betrug und schimpft laut: "Die Ägypter sind Betrüger durch und durch, die müßten …" Dabei stößt er Isremia an.

8. "Oh, verzeih, ich war…" / "…in Worten laut, die besser nicht zu sprechen wären." / "Was weißt du, wie ich betrogen werden sollte? Geh dort hin", zeigt er auf den Stand, wo der Ägypter ganz verdattert steht. / "Komm, du hast dich versehen." meint Isremia freundlich. / "Ich? nein! Ich nicht!" / "Wir werden sehen."

9. Ungern läßt sich jener ziehen. Beim Ägypter ist die Sache leicht geklärt. Dieser hatte bessere und geringere Waren ausgelegt. Den Unterschied nicht kennend und das Billige kaufen wollend, war nach Teurem gegriffen worden. Isremia klärt die Verwechslung auf, zur Zufriedenheit des Händlers und des Käufers.

10. "Du bist ein guter Mensch", sagt Letzterer, "und bist sicher weit gereist. Darf ich wissen, wer du bist?" Um Vertrauen zu erwecken, gibt sich Isremia als ein Grieche aus, was er auch darf, erzählt mit Absicht offen, daß er verschiedene Handelshäuser hätte, auch in Israel. Das Stichwort fällt.

11. "In Israel? Kannst du da bestehen?" / "Warum nicht?" / "Ich hörte, dort sei kein gutes Regiment. Ich bin Israele, zwar hier in Syrien geboren; und so fühle ich mit meinem Volk, dem Ungerechtigkeiten widerfährt." / "Komm", ladet Isremia ein, "wir trinken einen Wein und du erzählst, was du von deinem Volke weißt. Kannst verstehen, daß ich als Kaufmann Interesse habe."

12. Bald sitzen sie im Schatten einer Sykomore. Über die Gemeinde mag der Antiochier nicht viel reden, er druckst herum. / "Hast du etwas auf dem Herzen?" lockt Isremia sacht. / "Ich weiß nicht, du gefällst mir zwar, aber bist mir fremd. Griechen sollen hinterlistig sein." / "Und bloß die eigenen Leute nicht?" / "Allgemein; natürlich gibt es überall Verschiedene." / "Ich zieh' dir deinen bösen Griechenzahn'!" Ohne anzugeben, woher er mit den Eltern einst geflüchtet war, berichtet er, wie ein Grieche sie betreut und aufgenommen hätte und ihn als Erbe und als Nachfolger eingesetzt, dazu die einzige Tochter beigegeben habe.

13. Der Junge staunt. "Ja, gibt's denn so etwas?" / Isremia nickt. "Ich bin Ben Masa-Lubias, der Sohn des hiesigen Leiters. Es kam ein Mann aus Israel und hat erzählt, er wäre wegen Ungerechtigkeit daselbst geflüchtet, will uns und dem Volke helfen. Vater ist so halb und halb dabei, während er es mir versprach, später auf den 'Stuhl' zu kommen. Meine Stimme gilt noch nichts, mir kommt nur der Mann nicht ganz geheuer vor."

14. "Wie heißt er denn? Ist er ein Israele?" / "Er heißt Beraba, war in Jerusalem zu Hause und dort der letzte Richter. Ob das stimmt, ist uns unbekannt." Isremia tut, als müsse er sich erst besinnen. "Beraba?" Lang gedehnt. Und dann: "Von ihm hörte ich, früher, als ich noch ein Jüngling war.

15. Sag mal: kann ich zu euch kommen? Deinen Vater möchte ich gern kennen lernen, doch wäre es das beste, wenn du nicht verrätst, daß ich einiges von diesem Richter weiß. Unversehens möchte ich ihm gegenüberstehen, er wird mich wohl kaum kennen." Und wie gut! / "Mir ist's sehr recht, ich werde Vater nur berichten, was sich im Basar zugetragen hat; da hast du sofort bei ihm einen Stein im Brett." / "Wann?" / "Heute Abend. Ich zeige dir das Haus, es ist hier in der Nähe." – Sie gehen ein paar Straßen weiter. Es ist ein ordentliches Haus, wo Masa wohnt.

*

16. Isremia stellt sich wiederum als Grieche vor, sagt jedoch, er besäße überall ein Heimatrecht, wo er seine Handelshäuser hat. / "Auch in Israel?" fragt Gureano, einer von den Ältesten, "Ja! Von Lubias hörte ich, ihr hättet einen Israelen aufgenommen. Von früher her ist mir der Name Beraba bekannt. Ob es sich freilich um den gleichen handelt, der zu euch gekommen ist…?"

17. "Berichte uns", drängt Masa, der zwischen Vorsicht und Vertrauen hin und her gerissen wurde. / Isremia weicht aus: "Das hat wenig Zweck. Gesetzt der Fall, den ich kenne, wäre ungut darzustellen, so würde das auf eueren schiefe Schatten werfen. Man soll unvoreingenommen sein.

18. Arrangiert doch die Zusammenkunft. Darf ich euch beraten, saget nicht, daß ich aus Jerusalem gekommen bin und …" / Man horcht auf. "Wie steht es dort?" / "Wie geht es zu?" / "Gibt es große Not?" / Isremia kann sich aller Fragen kaum erwehren. "Gemach, liebe Freunde, ihr werdet alles hören, wenn ich mit dem Beraba zusammen war. Man darf nicht gleich aufs Erste pochen."

19. "Genau", fällt Masa ein. "Zu dir hab' ich Vertrauen, obwohl…? Ja, nicht erst ans Böse denken, sondern an das Gute, Mißtrauen ist ein gar schlechter Weggesell." / Ethaman, der zweite Älteste, erwidert: "Manchmal ist es angebracht."

20. Isremia nickt ihm zu: "Mißtrauen hat mich oft vor Schaden und Gefahr bewahrt." / "Hm", macht Masa, "so ist's, und mich zwickt es irgendwie, wenn der Richter bei uns ist." / Isremia lächelt heimlich. Da kann er die Gemeinde leicht bewahren, wenn sie selber einen Haken fand.

*

21. Der Tag bricht an, wo Beraba eine Abrechnung erfährt, die ihn für alle Zeiten bindet. / Masa, Lubias, sieben Älteste und Isremia sitzen schon beisammen. Dieser hatte jetzt gesagt, daß auch er ein Israele sei. Alle halten ein, was er gefordert hat. "Zu euerem Besten! Es ist wichtig, jene, die andere umgarnen wollen, ihres argen Tuns zu überführen. Laßt es euch nicht merken, sondern geht zunächst auf alles ein, was er von euch fordern wird."

22. Lubias reibt sich beide Hände. "Ich mag ihn nicht; nicht darum", wendet er sich seinem Vater zu, "weil du ihn bevorzugt hast." / "Schon gut! Noch ist nichts verloren. Es hat sich sehr gefragt, ob ich letztlich einverstanden war." / Ein Diener meldet eben Beraba. Man begrüßt ihn so, als wäre er willkommen. Bald ist man dabei, für die Zukunft zu beraten. Beraba sieht Isremia forschend an und fragt süßlich, wer er sein. / "Ein Kaufmann aus Athen", erklingt es nebenher. / 'Also weit vom Schuß', atmet Beraba verstohlen auf, 'der wird mir nicht gefährlich sein.' Bald geht's hin und her, für und wider wird erwogen, bis Masa endlich sagt:

23. "An sich sind wir einverstanden, daß du uns unterstützt. Es fragt sich bloß, ob möglich, falls ein Krieg zwischen Syrien und Israel entbrennt und dann des Krieges Furien mehr zerschlägt, als gerettet werden soll. Kannst du uns konkretes sagen? Was hast du erreicht? Wie stellt sich Syrien dazu?" / Beraba verdeckt für eine Weile seine Augen, dann sieht er alle strahlend an.

24. "Ihr werdet staunen, liebe Brüder! Man hat zugesagt, die Oberen des Volkes abzusetzen, nicht zu plündern, da Israel zur Zeit nicht heerestüchtig sei und allzu viel hat leiden müssen." "Ja ja", wirft Isremia ein, "seit mehr als fünfzehn Jahren ward es unterdrückt und ausgeraubt. Mord und Diebstahl standen hoch im Kurs."

25. Ahnungslos, wie gemeint, steht Beraba begeistert auf: "Da habt ihr die Bestätigung!" Auf geheimen Augenwink des Isremia hält sich Masa hart zurück, es fängt bei ihm schon an zu kochen. "So so! Verstehe ‒ wir kannten dich ja nicht und hatten lange Zeit vom Volke keine Kunde. Als Verantwortliche muß man alles prüfen. Es wäre etwas zu bedenken:

26. Bei den Stämmen kam es oft zum Bruderkrieg, was Grenzvölker sich zu Nutze machten. Dasselbe auch bei uns. Allgemein wurden wir in Antiochien verschont, nur unsere Alten wurden früher manchmal drangsaliert. Kommt es jedoch zum großen Krieg zwischen Syrien und Israel, alsdann sind auch wir nicht ganz gefeit. Wer weiß, was uns geschehen wird."

27. "Sei ganz beruhigt! Für euch…", lügt Beraba dreist, "…habe ich es ausbedungen, daß ihr unbehelligt bleibt." / "Vielen Dank!" / "Nichts zu danken", klingt es überheblich. / Isremia juckt es ungemein, den Lügner zu entlarven. Er hat erfahren, daß Syrien zwar Israel gern scheren will und kein Versprechen gab, dort nicht zu plündern, die ansässigen Israelen nicht zu schädigen. Er hatte eine Audienz, und dem 'Griechen' gegenüber hatte man geplaudert. Allmählich zieht er seinen Strick zusammen.

28. "Sag mal, Beraba: bist du erst kürzlich aus Jerusalem gekommen, wo du Richter warst? Du hast bestätigt, daß das Volk seit fünfzehn Jahren beraubt und ungerecht behandelt wurde. Ich meine, wenn du der Richter warst, dann müßte doch ‒" Isremia schaltet selbst die Pause ein, um den Richter irr zu führen. Ah, böse Menschen drehen sich oft selbst den Strick.

29. "Als Grieche weißt du nicht Bescheid", klingt es arrogant. "Die Stämme führten miteinander Fehde, Benjamin ward beinah ausgerottet, mühsam, durch zwei Dezennien, ward es wieder aufgebaut, was mit in meine Amtsgeschäfte fiel." / "Gingen damals viele Leute fort?" / "Ja, manche schon, das konnte ich nicht kontrollieren." / "Nein? Und warst der oberste Regent?"

30. "Kann man in alle Winkel kriechen? Es lag an den Leuten selbst, zumal es lange Zeit viel Teuerung und Hunger gab. Feiglinge waren es, die Land und Volk im Stiche ließen! Die Felder wurden nicht bestellt, wodurch noch das Übel weiter stieg." Beraba redet sich in Rage, seine Mienen lassen mehr erkennen, als für ihn gut gewesen wäre. Jetzt ist's soweit, allmählich zuzufassen.

31. Vorsichtig lockt Isremia ihn in eine Falle: "Nach Athen kam vor rund zwölf Jahren eine israelische Familie, Mann, Frau und Sohn. Damals gab es keine Teuerung, wie einwandfrei berichtet ward, erst ein Jahr später. Der Mann bekämpfte den Regenten und wurde schwer verfolgt. Bei Nacht und Nebel ging er fort. Es hieß, der Mann, der seinerzeit am Ruder war, hätte ihn und andere bedroht, viele eingesperrt, sogar getötet, die Familien beraubt und fortgetrieben. Gab es denn zwei Richter? Nicht auszudenken, daß du dergleichen tatest."

32. Beraba seufzt leise. 'Der scheint mehr zu wissen, als anzunehmen war.' Ah, nein, als Grieche weiß er nichts, der klopft bloß auf den Busch ‒ des Handels wegen. "Jeder Stamm hat einen Fürsten. Was oft diese jeweils in den eigenen Stämmen taten, konnte ich sehr selten unterbinden. Nur Juda-Benjamin unterstanden mir direkt. Zu welchem Stamm gehörte die Familie?" / "Zu Benjamin! Und außerdem noch nähere Verwandte, die aus Bethlehem zwei Jahre später flüchten mußten. Die Kunde drang bis nach Athen."

33. "Habt ihr für die Kunde viel bezahlt?" höhnt Beraba. "Nein! Ich kenne die Familie, und andere, die bis nach Griechenland gekommen sind. Mann und Frau von eben der Familie sind gestorben…", ‒ Beraba atmet zu früh auf ‒‚ "…der Sohn ist jetzt zurückgekehrt und wartet auf den Tag, wo er den damaligen Richter stellen kann!" / Ein bedrohlicher Unterton läßt Beraba erschrecken. Noch glaubt er, leichtes Spiel zu haben und sagt frech:

34. "Die ärgsten waren die zwölf Fürsten, vor allem der von Juda. Er heißt Pereztha, soll jetzt regieren und nicht gut. Reise hin, da erlebst du blaue Wunder!" / "Dein Rat ist gut, wenn er nötig wäre. Ist dir vielleicht ein Isremia-Fardachai aus Bethlehem bekannt, einst geflohen? Und kennst du den Verwandten Elimelech und den Kaufmann Haakeron aus Ethal?"

35. "Du liebe Zeit!" Beraba schlägt die Hände überm Kopf zusammen. "Lieber junger Freund …" / "Bin ich dein Freund? Wir kennen uns ja nicht", wehrt Isremia ruhig ab. / "Halt! Junge Leute sollten sich von älteren beraten lassen und glücklich sein, wenn diese ihre Freunde sind." / "Immer?" / Das Fragewort wird übergangen. "Kann nur einer als Regent die Namen aller Untertanen wissen?" "Alle nicht, jene aber ganz bestimmt, die er kennen lernte, oder ‒ umgekehrt, die Leute ihren Richter von der argen Seite her, wie die von mir Genannten." Das schlägt schwer ein.

36. Isremia hatte bloß das Nötigste gesagt und weiß keiner, er sei der vorbenannte Sohn. / Berabas Augen lodern. 'Warte, Früchtchen, in Antiochien gibt's genügend dunkle Ecken und kräht kein Hahn, wenn da einer liegt.' Er lacht: "Deine Phantasie blüht wie der Mohn im Feld! Nehme an, der Sohn war einst ein Knabe, er wird sich auf den Richter nicht besinnen können, ganz unabhängig davon, daß deine Mär nicht stimmt. Isremia-Fardachai war ein Rebell. Er wurde nicht verfolgt, sondern aus dem Volke ausgestoßen.

37. Elimelech ging des Hungers wegen fort und soll umgekommen sein. Haakeron wurde mit dem Tod bestraft, er verhetzte Syrien, um uns zu überfallen, und er hat ‒ das schwerste Stück, was Mose mit dem Tod bestrafte ‒ Gott gelästert. Du weißt nicht, daß man die Lästerer mit Steinigung bestraft. Ich bin gegen diese Marter und so wurde Haakeron nur hingerichtet."

38. Beraba steht auf. "Was geht das einen Griechen an? Wir sind dir keine Rechnung schuldig. Nebenbei, ich muß nun gehen, habe noch zu tun und treffe mich mit einem Obersten der Stadt." / "Es bedarf des nicht, von uns zu gehen." Isremia hat sich auch erhoben und wie von ungefähr sich an die Tür gestellt.

39. "Wir gaben dir viel Zeit, deine Argumente vorzubringen, also höre uns erst weiter an." / "Die Israelen ja, sie sind meine Brüder, dich Fremden aber nicht!" Beraba setzt sich wieder. / "Jetzt sollst du wissen, wer ich bin, du Lügner durch und durch! Ich bin Isremia, Sohn des Fardachai und bin gekommen, mit dir abzurechnen!

40. Daß ich ein Grieche bin, stimmt auch. Bin vor Tagen von Jerusalem gekommen. Mein Vater war kein Terrorist, er kämpfte für die Freiheit Israels. Hätten damals Älteste und Fürsten ‒ es mußten gar nicht alle sein, wohlgemerkt! ‒ den Vater nicht im Stich gelassen, oh, das Elend wäre unterblieben, viele gute Männer lebten noch, und unser Volk wäre heute weiter, als es ‒ durch deine Schuld zumeist ‒ zur Zeit noch ist.

41. Die mir angeratene Reise braucht nicht stattzufinden, um 'blaue Wunder' zu erleben. Als Elimelech floh, absolut nicht wegen eines Hungers, wie du ausposauntest, hast du alle jene, die dem Foltertod verfallen waren, wären sie geblieben, Feiglinge genannt. Auch Naemi ist zurückgekehrt und fand Haus und Land verwüstet vor, weil du jeden mit dem Tod bedrohtest, der auch nur eine Hand für Elimelechs Grund und Boden rührte.

42. O, die Felder trugen keine Früchte, zehn Jahre lang! Mein Oheim mußte sich vor dir verstecken und wie gut, daß er verstarb; du hättest ihn noch von dem Sterbeschragen weggeholt! Deine Übeltaten aufzuzählen, brauchte man viel Zeit. Der 'HIMMEL' kam, um dich aus dem Land zu weisen, wirst schon wissen, was ich meine, bist also keineswegs geflohen.

43 Ich bin in Syrien bestens angeschrieben und ich weiß es, was du abgekartet hast. Man wartet, mit dir abzurechnen. Ich tue es mit Worten, ob Syrien auch?! Du hast ihnen vorgegaukelt, Israel hätte keine Wehr und wäre leicht, es völlig auszurauben. Als Verräterlohn hast du dir ausbedungen, die Antiochier, die dich aufgenommen haben, einzukerkern und die Hälfte ihres Reichtums wäre dein. Das gab man dir zu, das hat man versprochen, weil man ja nicht wußte, daß du ein Lügner, Mörder und Betrüger bist.

44. Ich zeigte auf, daß wir gerüstet sind und daß hier die Israelen Syrien noch nie zur Last gefallen sind. Gegenteilig haben sie am Aufschwung seines Handels viel getan. Du wolltest ja nach Sidon, um dortige Brüder zu besuchen, und hast ganz anderes geplant. Sidon hat Verbündete und sollte Syrien schlagen, sobald es mit dem Raub aus Israel und siegestrunken heimgezogen wäre.

45. Du wirst bleich?" Isremia hat Erbarmen um der Seele willen, die sich ganz verdorben hat. Aber sonst? ‒? Zu viel Blut klebt an den Händen, zu viel haben sie geraubt! Der Mann muß leiden, vielleicht wird dadurch einmal seine Seele frei von aller Schuld. Ob ihr das auf Erden noch gelingt? Zweifelhaft, und daher das Erbarmen. Bloß darf es der Verbrecher jetzt nicht fühlen.

46. Masa, dieser abgeklärte Mann, kennt kein Erbarmen, zu sehr wurde seine Gläubigkeit mißbraucht. Es bedarf zwei starker Hände, sonst wäre ‒ "Halte dich zurück!" mahnt Isremia, "ich verstehe deinen Zorn." Er weist auf Beraba, der vergeblich aufzurichten sich bemüht. "Er hat eine arme Seele, die nur das Unrecht kennt. Lassen wir es anderen über, ihn abzustrafen und ich möchte wünschen, daß es nicht zu schrecklich wird."

47. "So kannst du denken, wo doch deine Eltern …" Ethaman ergeht's wie Masa. Oh, was wäre denn aus ihnen, Weib und Kind geworden, wenn der HERR nicht ihnen Seinen Engel sandte, in Gestalt des Menschen Isremia? "Ja Brüder, so soll man denken. Die Handlung allerdings muß manchmal dabei anders sein.

48. Kommt ein Leopard, so versucht man, diese Bestie zu töten. Ein Mörder ist ihr gleich und muß man in Verwahrung nehmen. Denn wieder losgelassen, wird er ärger als ein wildes Tier, das man notfalls zähmen kann. Beraba, erhebe dich, es wartet deiner das Gericht!" Es klingt traurig, ernst und schwer, um der Seele willen. Aber Beraba bleibt sitzen, er ist nicht fähig, aufzustehen, demonstriert jedoch den unschuldig Beschuldigten.

49. "Der hat einen Dunst geredet!" zeigt er auf Isremia, "und er hat euch belogen. Sehet ihn euch richtig an, sein Gesicht sieht griechisch aus, er hat sich ja als Grieche ausgegeben. Jetzt auf einmal will er israelisch sein? Merkt ihr nicht, daß ihr in seine Fänge fallt? Prüft erst alles, was er sagte, stellt gegenüber das seine und das meine, dann werdet ihr …"

50. Isremia ruft zur Tür hinaus. Sechs Bewaffnete treten ein und ein Mann in reicher Tracht. Der erste Oberste der Stadt. Masa verbeugt sich tief und führt ihn selbst zu einem freien Stuhl. Aus! denkt Beraba und sieht sich um, ob er fliehen könne. Keine Aussicht. Die Bewaffneten stehn an der nur einen Türe, die der Raum besitzt, und zwei vergitterte Fenster.

51. "Du hast mich rufen lassen", wendet sich der Syrer Isremia zu, "bist mir durch dein Handelshaus am Platze gut bekannt und sprichst stets die Wahrheit. Vorreden sind zu sparen, ich brauche eben nur zu fragen, ob es alles stimmt, was der Jerusalemer dem mir ebenso bekannten Masa sagte, wir würden bei dem nächsten Krieg, der jetzt stattfinden sollte, die hiesigen Israelen schonen, während er die Hälfte ihrer Habe ausbedungen hatte für den guten Rat, nun Israel zu überfallen, weil es derzeit wehrlos sei.

52. Aber Isremia hat berichtet, daß der Landesfürst von Israel bereits sich einen Trupp gebildet hat, erst mal zur Wiederherstellung der Ordnung innerhalb des Landes, gleichzeitig aber zur Bereitschaft, würde sein Volk angegriffen. jeder Stamm in Israel kann eine gute Wehrschaft stellen.

53. Das wäre noch nicht allzu schlimm, wofür es eine Kerkerhaft von zwanzig Jahren gäbe. Allein ‒ der Verrat in Sidon läßt den Kessel überlaufen!" Der Syrier ist so zornig, er möchte Beraba an Ort und Stelle töten. "Dafür, daß er das starke Sidon auf uns hetzte und alles spruchreif machen will, wird er hingerichtet. Keine Gnade! Niemand braucht für ihn zu bitten!"

54. "Darf ich etwas sagen?" fragt Isremia ruhig. "Du bist mit Recht erzürnt, Euphorinas, hast aber immer angehört, wenn jemand dir des guten Rates wußte." / "Hast du einen?" Und ein wenig polternd: "Also rede!" /"Nicht im Beisein des Verbrechers, nur soviel: warte mit dem Todesurteil ab, bis ich mit dir gesprochen habe."

55. Die Israelen atmen auf, trotz gerechtem Zorn um aller Übeltaten willen, Beraba nachgewiesen, daß nicht dieser Tod in der Gemeinde fällt. Es gibt manche Städter, die sie hassen. Da sie aber unterm Schutze der Regierung stehen, bleiben sie meist unbehelligt. Aber jede Möglichkeit nimmt man zur Hetze wahr, selbst wenn völlig aus der Luft gegriffen.

56. Euphorinas befiehlt: "Ab mit ihm! Wehe, wenn er euch entkommt!" / Der Rottenführer lacht: "Da müßte er zum kleinsten Käfer werden, wollte er aus unserer Mitte weichen." / Na denn los!" pufft er Beraba grob in die Seite und legt ihm Stricke um den Hals und Hände. Auf Isremia fällt ein Blick aus tiefster Hölle. Das gemurmelte Wort: "Dich holt der Höllenfürst!" bleibt unbeachtet.

57. Nachdem die Rotte fortgegangen ist, dreht sich der Stadtoberste Isremia zu. "Nun heraus, bin sehr gespannt, was du an meinem Urteil korrigieren willst." / Isremia sagt ernst lächelnd: "Ich will alles korrigieren, hoher Freund!" / "Wie? Alles? Bist du von Sinnen? Setzt du unsere Freundschaft auf das Spiel?"

58. "Keins von beiden! Höre zu, dann wirst du merken, daß ‒ weltlich angesehen ‒ mein Urteil, weil GOTTES Urteil, härter als das deine ist. Du willst ihn heute töten und er hätte nur paar Stunden bittervollster Pein und Schwäche zu ertragen für die vielen Jahre, wo er wie ein Panther hauste. Hältst du das für sehr gerecht? Immer menschlich angesehen, meine ich."

59. "Es handelt sich doch bloß ums Menschliche!" / "Es gibt noch eine andere Sicht; du weißt es, was ich meine. Bist selbst der Meinung, daß ein halber Tag voll Angst kein Strafmaß für das ganze Unrecht ist. Halte ihn für immer im Gefängnis, so hast du deine Hände nicht mit Blut befleckt; denn die weltliche Gerechtigkeit ist nicht vom einen Gott, an den ich glaube. Beraba muß bis an seines Lebens Ende diese Bürde tragen. Sei gewiß: allmählich wird des Gewissen Qual die stärkste Last. Allerdings bei ihm wohl erst zur allerletzten Zeit, wenn dann der Leib in eurem leider ungesunden Kerkerhaus im Schmerz zerfällt."

60. "Hahaha", lacht der Syrier, um das, was Isremia ihn gelehrt, von sich zu weisen, ohne davon loszukommen, "da bist du ungerechter als ich selbst und härter! Wie vereinbart sich das mit der Güte, von der du mir so oft gepredigt hast?" / Auch die Israelen sind bedrückt und bedauern, Isremia unter sich zu haben.

61. Als wenn er die Gedanken sähe, wendet er sich Masa zu: "Versteht ihr nicht, daß in größerer Härte die weitaus größere Gnade ruht für jenen, dem die Härte widerfährt? Euphorinas, ich erkläre dir, was heute vor sich gehen soll." / "Da bin ich wieder mal gespannt, was ich hören werde." / "Soll der Kerker gelten?" fragt Isremia. / "Meinetwegen, mache ich das Experiment. Eine unverdiente Gnade ist es doch. Denn wenn die zum Tod Verurteilten es hören, daß ihnen bloß der Kerker blüht, atmen sie erleichtert auf. Der Tod ist allen schrecklicher als lebenslange Haft."

62. Erwidert Isremia: "Anfänglich, wenn Tag für Tag die Zelle sich nicht öffnet, kaum ein Licht ins Dunkel dringt, niemand kommt und tröstet oder einmal mit dem Inhaftierten spricht, dann vergeht wie oft kein Jahr, und jeder wünscht sich einen schnellen Tod. Hast du das noch nie erlebt?"

63. "Darum habe ich mich nie gekümmert. Träfe es mich selbst…", Euphorinas erschauert, "…dann wählte ich den raschen Tod statt… " / "…Euere Kerker!" / Von der Beeinflussung will sich der Syrier befreien, die ihn sonderbarerweise überkommt, wenn er mit Isremia spricht, mit Masa auch. Immer strömt von 'diesen Leuten' etwas aus, dem er sich nicht erwehren kann, das über einen kommt und noch länger wirksam bleibt.

64. Aufstehend sagt er hastig: "Also gut, deinetwegen, Isremia! Hast mir schon manchen Dienst erwiesen, mag er eingekerkert bleiben. Bloß komme mir nicht immer in die Quere, wenn ich ein Todesurteil fällen muß. Was meinst du, was mein König dazu sagt, wenn ich mich betören lasse, noch dazu von einem Fremden?"

65. "Die Rolle kannst du sparen; der Regent hat andere Sorgen, als sich um einen einzelnen Gefangenen zu kümmern." / "Hm, wenn du mich mal wieder brauchst…" / Leicht grüßend geht Euphorinas und murmelt "…und ich dich auch. Bist zwar komisch mit dem Eingott Glauben, aber ‒", denkt er weiter, Isremia sei ein guter, kluger Mensch. Was er in den letzten Jahren, seit er ihn kennt, geraten hat, das ging stets zum Besten aus.

66. Man regt sich auf, weil Isremia das schwerere Urteil sprach. Sie kennen ja die hiesige 'Gerechtigkeit', keiner möchte in die Kerker Antiochiens kommen. So kann es viele Jahre dauern, bis da jemand stirbt; und ein Beraba, der sich zäh ans Leben hängt ‒ o weh! Zwei Dezennien werden voll, ehe er von hinnen fährt, verfault an Leib und Seele.

67. "Am Leib! Mich wundert sehr, weil ihr nicht die Himmelsführung kennt. Es geht nie um den Leib, der ohnehin vergänglich ist; nur die Seele will der Herr als KIND erretten! Ihr wißt, daß eine wie bei Beraba vom Dunkel kommend …wenn nicht ohne Wandlung ‒‚ in das zweite Dunkel fällt. Aus Abgefallenem entstiegen, kommt solche um der Gnade willen in den anderen Dunkelteil, der dem Rückweg in das Lichtreich vorgelagert ist.

68. Dort geht es kaum zwar anders zu als im ersten Teil der Teufel und Dämonen, und bitter schwer, aus sich selbst zu einer Umkehr zu gelangen. Nach unsrer Weltrechnung, die nicht des Lichtes Rechnung ist, kann es tausende von Jahren dauern, bevor sich solche Seele lösen läßt. Was sind dagegen zwanzig Jahre einer Haft auf dieser Welt? Wie schrecklich die auch ist, hat die Seele noch im Fleisch die Möglichkeit, sich leichter umzuwenden. Schon mancher kam durch seine Haft zur Reue und konnte nach dem Tod dem zweiten Dunkelteil entrissen werden.

69. Das soll man denen gönnen. Unaussprechlich hohe Gnade, durch des Leibes Pein zur Freiheit seiner armen Seele zu gelangen! Beraba hat den Tod verdient, diese Gnade nicht! Allein, …welcher Mensch ist denn der Gnade Gottes würdig? Auch uns, die wir glauben, gilt in allen Stücken Gottes unverdiente Gnade! Denken wir daran, so wird uns leicht, armen Seelen – und Verbrecher sind die ärmsten ‒ zur Gnade zu verhelfen durch die Zeit, in der sie noch auf dieser Welt zur Umkehr kommen können."

70. "Daran habe ich noch nie gedacht", sagt Ethaman. "Und ist doch so sonnenklar, weil es Gott bloß um die Seelen geht, die durch ihr Tun sich aus dem Lichte stehlen." / Isremia nickt, "Oh, kaum verständlich und so bitterlich, wenn Menschen leiden müssen. Ich habe es nicht gern getan, man soll ja seine Feinde lieben. Nur besteht das nicht in sanftem Streicheln, wenn nicht angebracht, oder wie ich sagen durfte: Durch die größte Härte kann die größte Gnade sich enthüllen ‒ Gnade und Barmherzigkeit."

71. Masa umarmt ihn fest. "Verzeih, weil ich …" / "… dachte: 'Wäre nur der Isremia nicht zu uns gekommen.' Sei beruhigt! Wir kannten uns ja nicht. Ihr steht auf einem Außenposten, da ist es angebracht Vorsicht auf den Weg voranzustellen. Es kam hinzu, daß man Beraba vertrauen wollte. Also ausgeglichen."

72. "Du kannst rasch verzeihen", erwidert Masa dankend. "Glaubst du daran, wenn jener hingerichtet worden wäre, als Wesen er sich an uns hätte rächen können? Es gibt Besessene, und vor denen hab' ich Angst. Das wird hier anders angesehen, wie Aphorinas bestätigt hat: pur menschlich. Da wird mancher hingerichtet, der das Spiel und Werkzeug eines Teufels ist."

73. "Gewiß, es gibt untere Beeinflussungen, sogar so weitgehend, daß der Mensch nicht mehr er selber ist. Das sind Ausnahmen und kommen dort nur vor, wo die Seele eines Menschen ‒ muß nicht unbedingt so sein ‒ aus einer gleichen Tiefenstufe stammt, aus der das ihn bedrückende Wesen kommt.

74. Man kann es aber merken, daß nebst einer Möglichkeit so viel wie nichts davon besteht. Wäre es nicht traurig, Gott duldete in weitem Umfang, daß dergleichen vor sich geht? Und wenn ja, ist dann der Mensch nicht frei vom bösen Tun?, mindestens vor Gott! Weil wir nun wissen, daß die Möglichkeit besteht, um so mehr müssen wir uns an die Gnade halten.

75. Wenn es jedoch geschieht, dann eben, daß des Menschen Seele selbst der Dunkelheit entspringt und so dieser Wahn geschehen kann. Das weniger Bekannte: das Wesen, das sich an den Menschen hängt, kommt baldigst auf den Weg zur Eingeburt und damit zur Befreiung. Ist es aber eine abgeschiedene Menschenseele, dann wird sie inne, daß sie nicht mehr irdisch lebt, was zur eigenen Befreiung dient. Diese können sich an gute Menschen hängen. In jedem Falle herrscht die gnadenvolle Führung Gottes vor.

76. Beraba ‒ an den Augen konnte man es sehen ‒ war ein inkarnierter Teufel. Ob er beim raschen Tod gefahrvoll werden konnte? Möglich schon, doch kommt es auf den Glauben an. Wer zu sehr an diese Dinge glaubt, setzt sich selber den Gefahren aus, umstrickt zu werden. Wer aber weiß, daß GOTT der Lenker seines Weges, der Führer seiner Seele ist, dessen Geist steht über solchen Seelen oder Wesen und ist souverän, mit Gottes Hilfe die Barriere aufzubauen, über die kein Schatten springen kann."

77. "Woher weißt du denn das alles?" Man rückt, und bald ist Isremia eingekreist. / Lubias hat sich neben ihm den Sitz erbeutet und legt einen Arm um dessen Hals, bittend: "Sei mein Freund." / "Das bin ich dir und allen, lieber Lubias. Echte Freundschaft, die das Heil des anderen bedenkt, hilft uns Menschen, viel zu überwinden, viel zu tragen. Nun zur Frage:

78. In Athen gab es einen weisen Mann. Woher er alles wußte, verriet er nicht, nur soviel, er besäße viele Schriften von der Erstkultur verschiedener Völker. Wir Israelen wüßten weniger von unserem Mose als er. Was ich sagte, soll auf einem alten Ton gestanden haben in einer Schrift, die der Grieche nach und nach entziffert hat und ‒ es ist zu glauben ‒ soll Moses eigene Schrift gewesen sein. Jedenfalls entspricht es unserem Gedankengut. Danach zu handeln wäre nicht zu unserem Schaden, meine ich."

79. Man ist beeindruckt und es folgen ein paar Abende, an denen man gemeinsam über dieses Wissen spricht. Befriedigt, mit großem Dank erfüllt, denn auch das Weltliche im Handel hatte sich erfolgreich abgespielt, kehrt Isremia über Jerusalem nach Bethlehem zurück.

 

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Kap. 18

Hochzeit in Bethlehem – Eine Fahrt nach Ar-Moab

1. Die Hochzeit ist in vollem Gang. Ganz Bethlehem nimmt teil und Arme werden reich beköstigt. Daß sogar der Oberpriester Anacarias, Pereztha, Selemech, Laban und Herias bereits am Morgen kamen, hat die Freude noch erhöht. Die Mägde rennen hin und her, die Knechte tummeln sich. Nebst echter Heiterkeit herrscht ein gewisser Ernst mit vor; man vergißt es nicht, daß es nicht ganz einfach war, eine 'Fremde' heimzuführen.

2. Der Abend bricht herein. Das frohe Volk verläuft sich nach und nach. Naemi bleibt bei Hanea, sie mag heute nicht allein in ihrem Hause sein. Ruth und Boas gehen übers Feld; sanft leuchten Sterne nieder. Sie kommen hin zur Grotte, wo ihnen jene wunderbare Offenbarung ward, die sich einst erfüllen soll.

3. Erschauernd treten sie hinein, wo die Hirten unterstehen. In das Innerste wagen sie sich nicht, dort, wo Gottes Wunder zur Erlösung aller Hingefallenen geschehen wird. Im Vorraum, vor dem Heiligtum, empfängt Ruth zum erstenmal. Es ist tiefe Nacht, als Boas seine Frau nach Hause führt, beide wortlos und beseligt, daß der Herr an ihnen auch ein Wunder tat.

4. Anderntags zieht Hanea zu Naemi um. Da überrascht Isremia alle mit der großen Freude: "In einer Woche reise ich, habe Nachricht, daß ich in Ar-Moab auch ein Handelshaus errichten kann. Wer kommt mit?" fragt er schelmisch. Naemi denkt, sie sei zu alt, obwohl sie Sehnsucht nach den Gräbern ihrer Lieben hat, nach dem treuen Freund Corusja, dem Städte-König.

5. "Gar kein Problem, Naemi-Muhme." Isremia spürt ihr Sehnen, sieht Ruths Augen, die in Tränen schwimmen. Hanea bleibt zu Hause, beide Anwesen ohne Aufsicht geht nicht an. "Für euch Frauen…", natürlich nimmt er Heleana mit, die noch kein Kind erwarten kann, "…fährt das Gespann. Boas, ich und vier Leute sind beritten. Da geht die Reise rasch dahin."

6. Plötzlich wird Naemi wieder jung, so geschäftig eilt sie hin und her, sucht Verpflegungskörbe aus und meint, unterwegs könne man die guten Herbergsleute mit besuchen, "und übernachten." Die nächsten Tage sind mit Arbeit angefüllt. Ruth fällt Isremia um den Hals, ihr Schluchzen unterdrückend.

7. "Mein Vater, meine Schwester, die Brüder, ihre Frauen und ‒ die Gräber und viele ‒ und…" Jetzt erst merkt man, wie sie tapfer ihre Heimatsehnsucht unterdrückte. / Ein Freund sagt zu Boas: "Ich sehe täglich nach dem Rechten, habe jetzt nicht viel zu tun, wir lassen Mutter Hanea nicht allein."

8. Boas drückt dem Manne beide Hände und nimmt sich vor, ihm etwas mitzubringen. Nun ist's soweit. Der Wagen ist reich ausgepolstert, denn die Wege sind noch vielseits schlecht. Ein zweiter Wagen wird mit Geschenken, Proviant und Futter für die Tiere vollgeladen. Man hat aufs beste vorgesorgt.

*

9. Hanea steht am Straßenrand, leise bittend: "Herr, bewahre mir die Lieben und bring‘ sie wohlbehalten heim!" Daß trotz Arbeitsfülle Fürst Pereztha mehrmals zu ihr kommt, macht sie froh. Die Wochen, die sich zu Monden runden, gehen für sie langsam hin, während für die Reisenden die Tage förmlich fliegen.

10. Noch ein Tagesmarsch. Ein Eilreiter wird vorausgeschickt. Ruth verriet, daß der Vater herzkrank sei. Regte er sich auf, dann könne er kaum atmen. Ja, …bei der Nachricht braucht Corusja Stunden, bis mit Hilfe seines Arztes das Herz wieder ruhig wird. Dann herrscht aber große Freude vor. Alle Diener werden in Galopp gebracht, der Melder gut versorgt, und ein Bursche muß zur Straße reiten, von woher die Gäste kommen werden. Als der Staubwolken wirbeln sieht, kehrt er eilig um und schreit durchs ganze Haus: "Sie kommen, sie sind bald da!"

11. Man tritt unter das Portal, aufgeregt. Nachbarn merken, daß was vor sich geht und kommen auch vor ihre Tür. Nach und nach legt sich der Staub, die Straßen in der Stadt sind teils gestampft, teils gepflastert und man sieht die Kavalkade, das Viergespann, Isremia, Boas und die Reisigen nebenher. Was? So kommt Naemi wieder?, und die Tochter? ‒

12. So herrlich und ‒ ‒ ‒ Kaum hält der Wagen, springt Ruth ohne Hilfe ab und fällt ihrem Vater schluchzend um den Hals. Da sind die Nachbarn still, manche Frauen weinen mit. Ja, jetzt ‒ jetzt denkt man gern daran, wie oft die Israelen einem halfen. Es dauert gar nicht lang, bringt man Gaben in das Haus, so daß die eigene Verwandtschaft erst am späten Abend ungestört das Nachtmahl nehmen kann. Die Mitternacht ist nah, bevor man an das Schlafen denkt. Selbst Naemi hat die weite Reise bestens überstanden.

13. Sie geht allein zu den Gräbern, den Dank Gott dargebracht, aber auch mit Wehmut: 'Ein langer Leidensweg, den ich gehen mußte.' "Ah, nein, gehen durfte unter Deiner Gnade, Vater der Barmherzigkeit." Sie denkt ohne Harm an die Verstorbenen, die längst im Reich des Friedens leben.

14. Da stiehlt sich eine Hand in ihre Rechte: Ruth. Sie ist befreit vom alten Gram. Das Glück, Boas zu gehören, hat bei ihr geholfen. Heute wird bewundert, was die Gäste brachten, auch das herrliche Gespann. Moab hat viel Schönes, aber so etwas, wie Griechenland es präsentiert, doch nicht. Die Knechte wetteifern, die Tiere bestens zu betreuen. Dafür gibt es einen Extralohn, was natürlich eitel Freude macht.

15. Corusja findet einen großen Grund, der sich für Isremia bestens eignet. Naemi führt er einmal auf das Feld vorm Tor, das er damals Elimelech überließ. "Der Segen deines Gottes, sieh, Naemi, was aus Staub und Steinen wurde! Schon unter eurer Pflege trug das Land viel gute Frucht; heute ist es weit und breit der beste Boden. Das hab‘ ich euch zu danken und …"

16. "… unserm Gott", erklingt es feierlich. "Du hast nichts von dem vergessen, was wir dir bringen durften. Oder…" / "Geheim für mich hab' ich immer dran gedacht und manchesmal ‒ gebetet." Da drückt die kleine Frau den großen Mann an ihre Brust, herzfroh, und Hand in Hand gehen sie zurück.

17. Es werden segensreiche Tage, als wären überall die Gnadenhände Gottes ausgebreitet. Eines Tages bittet Isremia, die armen Händler einzuladen, er erfuhr, wie einige mühsam ihr Gewerbe treiben. Die Stadt ist nicht so groß, daß ihrer viele sich ernähren könnten. Also herrschen Übervorteilung und Neid, zu Ungunsten der Käufer. "Sowas ist nicht gut", sagt er zu Corusja, "ich wüßte einen Weg, um dieses Übel abzustellen."

18. "Ich habe diese Leute nie in meinem Haus gehabt, das steht als König mir nicht an." / "Als König", gibt Isremia ruhig zu. "Wie aber steht es bei dem Menschen, der Wohl und Wehe dieser Stadt in seinen Händen hat?" / "Um", ein langer Brummer. "Meinetwegen, soll es einmal sein, bin begierig, was da werden wird." / "Etwas Gutes; und weil du es bewilligst, hebe ich dich auch hervor. Ich habe offene Ohren, gepaart mit einem offenen Herzen, da hört man mehr, als was sonst sich durch die Gassen schleicht."

19. Corusja rollt die Stirn zusammen. Es gibt manche Widerwärtigkeit in jedem Regiment; er war jedoch der Überzeugung, bei ihm sei alles gut. / "Ja, bedenke aber, daß die Menschen wankelmütig sind. Geht's ihnen gut, dann ist alles Glanz, steht was anderes in der Tür, so sieht man sich nach einem um, der den Packen schleppen soll. Zumeist wird das den Obersten aufgehalst."

20. Corusja lacht befreit. "Hast recht! Nun, ich hab' ein Nebenhaus mit großer Halle, es soll mich nicht gereuen, die sonderbaren Gäste zu bewirten." / "Die Hälfte fällt auf mich, die Freude soll dir nicht zu teuer werden." / "Freude? Sehe ich es halt als Freude an." / "Freund Corusja, man merkt es meist erst hinterher, was Vorheriges ergab, es sei böse oder gut."

21. Isremia schreibt Billette aus und schickt sie Zwanzig Händlern zu. Man weiß bereits, daß ein großes Handelshaus errichtet wird, und man hat Angst, seinen Stand im Basar zu verlieren, wenn ‒ wenn der Fremde alle überrollt. Immerhin, es ist wohl besser, man folgt der Einladung, man kann sich notfalls wehren und muß fest zusammen halten. Das wollen sie. Der alte Streit, die Beschimpfung gegenseitig sind vergessen.

*

22. Nun gastieren sie im schönen Saal, das erstemal bei ihrem König eingeladen. Ein gutes Essen und ein Wein, den sie noch nie gekostet haben, dämpft die Glut des Hasses, mit dem man hergekommen war. Doch sind die Händler auf der Hut. Sie haben hier in ihrer Vaterstadt das erste Recht. Warum will der König ihnen das jetzt nehmen? Nach dem Mahl steht Isremia auf.

23. Verwundert hört man, wie er ihren Handel aufzurollen weiß, weil zu viel an einem Ort. Es gibt noch ein paar Größere, die Isremia nicht geladen hat, die sich selbst behaupten können und ‒ wie er vorauszusehen weiß ‒ später selbst den Anschluß suchen. "Wieviel Unrecht sich daraus ergibt, unter euch und für das Volk, das kaufen muß, wißt ihr selber ganz genau.

24. Deshalb seht", sagt er, nachdem er ihre Lage gut belichtet hat, "ich kann durch meine Handelshäuser viele Waren billiger als ihr verkaufen, manche um den halben Preis, wie leicht festzustellen war und verdiene dabei noch genug, mehr, als ihr bei einem hohen Preis. Was aber hätte das für einen Zweck? In kurzer Zeit seid ihr alle ruiniert, weil ich allein den Basar bis zur Decke füllen kann. Das will ich aber nicht!

25. Ich nehme eueren Familien nicht das Brot! Errichte ich jedoch ein Haus, bleibt unvermeidlich, daß ihr nicht mehr handeln könnt, und das ohne bösen Zwang. Ich disponiere gern zum Wohl des Volkes, ohne Wucher. Wer wuchert, ist ein Dieb! Wollt ihr Diebe sein?" Natürlich nicht. Der kleine Kaufmann hat so seine Ehre, gewißlich manchmal eine billige, aber ‒ ‒ "Was sollen wir nun tun?" fragt einer, der als Sprecher auserkoren war.

26. "Vereinigt euch mit mir; jeder soll dann jeweils bloß bestimmte Waren übernehmen, die ich liefere. Der eine Stoffe, der andere Gewürze, der dritte Spezereien und so fort. Dann braucht ihr euch nicht abzuschinden, habt einen besseren Verdienst, denn ich liefere zum gerechten Preis. So wird der Basar ordentlich und nicht mehr wild, daß man sich gegenseitig überschreien muß.

27. In Edessa habe ich den ganzen Basar übernommen. Da war es ärger als bei euch. Es wurde mehr gehungert als verkauft. Willig gaben sie die Stände her, als sie merkten, daß sie dadurch besser leben konnten. Sie sind als meine Leute frei geblieben, sie legen aber volle Rechnung ab, wie nötig ist, um vor allem für die Armen, deren es genügend gibt, überall!, die Preise so zu setzen, daß sie nicht zu darben brauchen.

28. Euer König", Corusjas Augen wurden immer glänzender, "billigt dieses Unternehmen, weil für die Allgemeinheit gut. Ihr braucht nicht jetzt gleich ‚ja‘ zu sagen, kommt in etwa einer Woche wieder, währenddessen werden meine ersten Waren hergebracht und der erste Speicher fertig. Euere Maurer und die Zimmerer waren über diesen Auftrag froh, ich gebe ihnen einen guten Lohn."

29. Die Mienen zeigen deutlich eine Vorsicht an. Corusja poltert los: "Schon lang hat's mich gewurmt, daß man nicht mehr richtig kaufen kann, wie sich's gehört. Man wird hier und dort gezupft, die Waren einfach in die Hand gedrückt, und wenn man sie besieht ‒ na, will nichts weiter dazu sagen.

30. Manche wissen noch, als die Israelen bei uns waren. Der Kaufherr Isremia, der euch das 'goldene Horn' verheißt, ist ein Anverwandter und bestens angeschrieben. Als er wegen eines Unternehmens fragen ließ ‒ verzeih, Isremia, erkundigte ich mich, lebe absolut nicht auf dem Mond ‒ nun, was ich hörte, war so gut, daß ich dir gern zu Diensten bin. Ihr könnt ihm voll vertrauen", muntert er die Männer auf. "Also kommt in einer Woche wieder her."

31. Mehr verdutzt als erfreut gehn die Männer heim. Man tauscht sich nicht mal aus. Jeder wägt allein das Für und Wider. Als aber nach paar Tagen schon die erste Karawane kommt, die Tiere hoch beladen, beinah wie von Zauberhand ein gedecktes Warenlager fertig ist und die Wände sich schon heben, da munkeln sie und sind bedrückt. Das ist ja ein Reichtum sondersgleichen, und vier Karawanen kommen noch als erste Lieferung.

32. "Wir sind hin", stöhnt eitler. / Und der andere: "Ich geh' und biete mich dem Fremden an. Wer zuerst mahlt, mahlt am besten!" / "Willst du uns verdrängen?" / "Nein! Es ist ein Ehrlicher, der niemandem was Böses wünscht." / "Schau, wir können nicht mehr konkurrieren." / "Hm hm, ich denke mir es so: Wir machen erst mal mit; geht's schief, dann können wir noch immer …" / "selbst beginnen? Das schlag' dir aus dem Kopf, das gelingt uns nicht! Aber jeder wie er will; ich mache mit."

33. Am selben Tag besprechen sich die anderen. Zuletzt ist man sich einig, daß man gar nicht anders kann, als mit dem Fremden Hand in Hand zu gehen. "Bloß dürfen wir uns das nicht merken lassen; wir bieten uns ihm an, schließlich ist es unser Handelsplatz und nicht der seinige." Damit ist man einverstanden, man darf im vorhinein sich nichts vergeben.

34. Am Abend bei Corusja deckt Isremia gern sein Lächeln zu. Leicht sind die Männer zu durchschauen. Corusja schmunzelt offen. "Das ist recht, weil ihr euch besonnen habt und großmütig eure Stände opfern wollt. Na", meint er gönnerhaft, "es ist für euch zum Vorteil. Ich als König kann es einem auch verbieten, handelnd aufzutreten. Die Wirtschaft muß auf ordentlichem Boden stehn. Tatkräftig von einer Hand geführt, kann unserer Stadt nur Wohlgedeihen bringen. Das sei gleich schriftlich abgefertigt, denn wer weiß, ob von euch nicht einer wankelmütig wird."

35. "Ich glaube nicht", fällt Isremia ein, "jeder wird es merken, wie gut der Anschluß war. Ich bin aber auch fürs Schriftliche, wenn die Mitarbeiter wollen." Das ist der rechte Ton, der Vertrauen weckt, der es stärkt. Corusja holt die Tafeln, für jeden Händler eine. "Ich verwahre sie", sagt er, "dann hat jeder ausgesorgt." Damit ist man einverstanden; und nun, wo das Eis gebrochen ist, schwirren Fragen durcheinander. Isremia wird nicht müde, darauf einzugehen, selbst wenn man etwas dreimal fragt.

36. "Ein guter Wurf für meine Stadt", lobt Corusja, als man am Abend unter sich verweilt. "Vielleicht macht's Schule", erwidert Isremia. "Jedenfalls werden Wirtschaft und der Markt gehoben. Man darf das Irdische bedenken, was wir Menschen brauchen. Tun wir es im guten Sinn, dann ist hernach das Weltliche gesegnet. Stets ist jedoch das Allgemeinwohl zu bedenken."

37. So gehn die Tage hin mit geistigem Gespräch und weltlichem, wie das Leben es verlangt. Orpa bewundert ihre Schwester Ruth. Sie ist eine kluge Frau geworden, es weckt in Orpa Saiten an von dem, was Elimelech und Naemi lehrten. Und doch ‒ nein ‒ nach Israel will sie nicht, sie will im Vaterland verbleiben. Es bedrängt sie niemand, für immer mitzukommen.

38. Corusja ist darüber froh, doch die Freude über Ruth nimmt einen kleinen Vorrang ein. Heleana hat er auch ins Herz geschlossen, sie paßt sich allem prächtig an. Wie nett spricht sie mit seinen Söhnen und den Schwiegertöchtern, nimmt Orpa oft so lieb in ihren Arm. Und auf Boas ist er stolz. Man sieht es wieder: auch die Fremde kann was Gutes bringen. Allerdings ‒ Heimat bleibt Heimat! Aber einmal schauen, wie es bei den Freunden ist ‒ ach ja ‒ ‒

39. "Komme mit", laden beide Männer ein, "deine Söhne schauen auf das Rechte, sind doch in alles eingeweiht. In Kürze kommt aus Antiochien neue Ware, teils für Michmas, teils für hier, kannst mit zurück und hast besten Schutz. Meine Leute sind verläßlich, gut bewaffnet, es kann dir nichts geschehen. Nimm dir ein Dromedar, zurück sollst du einen Schimmel haben, aus Athen; meine Boten sind wie Pfeile, die holen das Geschenk für dich."

40. "Isremia, ist das wahr?" / "Natürlich! Komm' nur mit!" / Naemi, Boas und vor allem Ruth bedrängen ihn und so ist es abgemacht: er reist mit. Die Räte werden eingeweiht, die Söhne bestens instruiert, die Stadt hat ein besseres Gefüge, kurzum ‒ die Gäste haben einen neuen guten 'Wind' gebracht.

*

41. Über allem sind zwei Monde hingegangen. Für das Handelshaus hat Isremia einen treuen Mann gefunden. "Willst du nicht mit?" bittet Ruth die Schwester. "Du bleibst unter Vaters Schutz, kehrst mit ihm zurück, siehst aber jene Stätte, wo ich froh und glücklich bin. Und", verrät sie ihr Geheimnis, "ich bin gesegnet, ein Kind wird mir gehören." O ja, allmählich merkt man es, da freut man sich mit Ruth und ihrem Mann.

42. Orpas Augen werden hell. "Gern, wenn es geht, ich will Isremia fragen." Der lacht. "Natürlich kommst du mit, der Wagen bietet Raum genug. Heimwärts freilich mußt du reiten. Einer meiner Leute wird dich mit auf seinen Sattel nehmen. Allein ‒ ich weiß nicht, ob du es wagst." "O doch, bloß kein Pferd, das bin ich nicht gewöhnt. Am liebsten nehme ich die zahmen Esel."

43. "Die sind für diesen Ritt zu schwach. Ich richte dir ein Maultier zu." "Das will ich lernen!" "Abgemacht, liebe Orpa, vertraue dich mir an, wirst sehen, wie gut es geht." Wieder eine Freude. Corusja küßt reihum allesamt. Der Reisetag bricht an, halb Ar-Moab ist auf dem Weg; bis weit zur Stadt hinaus gehen viele Leute mit. Da merkt man, daß die Moabiter ihren König lieben. Er dankt dem unbekannten Gott, der ihm durch Naemi wieder näher kam.

 

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Kap. 19

Glückliche Rückkehr – Alle Menschen sind Gottes Kinder

Corusja entblößt sein Gewissen – Die Lehre Labans – Das Wort des Engels

1 . Bethlehem taucht auf, ein Bild der Freude die es kennen, von Orpa und Corusja still bewundert. Bescheiden, aber heimelig, da mag man gerne hausen. Ein Knecht, der auf dem Felde war, sieht über einer Bodenwelle einen Staub, rennt zu Hanea ins Haus, holt tief Luft und ruft: "Ich glaub', sie kommen!" / "Wer?" / "Unsere Leute, ich sah einen Wagen und mehrere Berittene."

2. Hanea läuft mit hinaus, beschattet ihre Augen und nun taucht beim letzten Hügel Wagen und die Reiter auf. "Ja ja, sie sind es!" rennt zurück, jagt, was sie sonst niemals tut, die Mägde hin und her und springt wieder auf den Weg. "O Gott, Dir danke ich! Hast sie alle wieder gut zurückgebracht!"

3. Die Knechte lassen ihre Arbeit liegen, man will die Ankommenden begrüßen und für die Tiere sorgen. Die Wiedersehensfreude und der Dank sind groß, daß die weite Reise gut vonstatten ging. Corusja fühlt sich wie zu Hause, lobt alles und schaut sich um. Hier kann man auch noch etwas lernen. Wie die Untergebenen schaffen, das ist wirklich staunenswert.

4. Auch Orpa fühlt sich wohl. Nebst Naemi, zu der sie weinend sagt: "Hier bist du zu Hause, gute Mutter, da merke ich, daß du Sehnsucht hattest", schließt sie sich näher Hanea an. Andern Tags besichtigt man die Gärten, Felder und den Ort, Corusjas Leutseligkeit öffnet viele Herzen, die Männer von ganz Bethlehem kommen jeden Tag, um mit ihm zu sprechen.

5. "Wie ist es dir ergangen, Mutter Hanea?" fragt Ruth am zweiten Tag; eher kam sie nicht dazu, es gab so vieles zu erzählen. "Warst lang allein. Die Fahrt war schön, meine Sehnsucht ist gestillt, nun will ich nimmer fort." / "Auch nicht nach Jerusalem?" / "Das ist doch keine Reise", lächelt Ruth, "das gehört zu Bethlehem. Wer sah sich nach dir um?"

6. "Fürst Pereztha war oft hier, auch andere Freunde, es ging alles besser, als ich dachte. Bloß einsam war es ohne euch, mir schlich die Zeit wie eine Schnecke. Schon nach vier Wochen ging ich jeden Tag zum nahen Hügel, stand lange hoffnungsvoll: heute kommen sie!" / "Und als wir kamen, da gerade warst du nicht bereit." Ruth drückt sich Hanea in den Arm.

7. "Es war Tageszeit, da hatte ich zu schaffen; dem Herzen nach war ich bereit vom Morgen bis zum Abend. Manche Nacht hab' ich gehorcht, ob ich euch nicht kommen hörte. Dieses Innere, diese Freude und Verbundenheit, die Liebe und die Treue zu einander sind die Gaben unseres Gottes, ins Herz gepflanzt als Speise unserer Seele. Sind wir allezeit bereit, den andern zu empfangen, dann sind wir auch bereit, GOTT zu empfangen!"

8. "Wie recht du hast, Mutter Hanea! Ich bin überglücklich, daß ich den wahren Gott gefunden habe, durch euch. Bin noch nicht lange hier, doch mir ist's, ich wäre immer hier gewesen. Dabei liebe ich mein Vaterland und will es achten, um der verstorbenen Mutter, um des lieben Vaters willen. Aber meine Seele muß wohl hier geboren worden sein, oder wie ich's nennen will: ehe ich zur Erde kam, hat mein Engel mich hierhergeführt und gesagt: 'Das wird einmal deine Stätte, wo du wirken sollst!' Ob das wohl so stimmt?"

9. Naemi war hinzugetreten und hatte das Gespräch gehört. Sie nimmt Ruths beide Hände, freudigen Gefühls: "Du hast es wunderbar erkannt und mag es Wahrheit sein, daß du vor der Eingeburt hierher geleitet worden bist. Du darfst ein Werkzeug sein, selbst wenn's noch viele Jahre dauert, bis sich erfüllt, was ewig vorgesehen worden ist, von IHM, dem Herrn der Ewigkeit.

10. Bleibe treu in jener Demut, die vor dem Schöpfer gültig ist. Er sieht ins Innerste; äußere Gebärden gelten bei Ihm nichts! Ob sich einer bückt oder aufrecht stellt, das gilt nicht, wenn der Mensch es nicht wahrhaftig meint. Du kannst die Seele neigen, doch gen Himmel schauen, von woher uns jede Hilfe wird. Denn unser Herrgott wohnt in Seinem Himmel, Er kann wirken, was Er will! Er schafft ewig nur das Gute aus der guten Ewigkeit. Sein sind alle Dinge und auch wir sind sein! Daran wollen wir uns immer halten."

11. Unbemerkt von den drei Frauen sind die anderen hinzugekommen. Sie lauschten still und nun sagt Boas: "Das war wiederum ein Wort aus Gottes lichter Höhe. O Naemi, nebst Gott sei auch dir gedankt! Wie froh bin ich, daß du mir die Ruth aus fremdem Lande brachtest. Ihre Stätte ist mir nicht mehr fremd und wir verschmelzen also, was Irrige noch immer scheiden: ein anderes Land mit Israel. Der Freund Corusja hat es uns bewiesen, daß es gar nichts Trennendes zu geben braucht. Er, der Sitte nach ein Heide und er glaubt, er ist wie wir ein Gotteskind.

12. Jene Zeit wird kommen, wo die Unterschiede fallen, wo es nur noch Freunde gibt und…" / "…es wird einmal geschehen! Aber, ach… wer errechnet diese Zeit? Es sieht in der Menschheit trübe aus!" / Ruth, auch prophetisch, deutet in das nahe Land. "Wie viel Haß herrscht oftmals unter einer Sippe, wieviel mehr noch zwischen unseren zwölf Stämmen, zwischen Volk und Volk!

13 Aber", richtet sie sich auf, "das sei nicht erwogen, obgleich man es bedenken muß. Nicht am Nächsten ist es abzumessen, bei uns ist die Richtschnur anzulegen. Handeln wir nach Gottes weisem Rat und Willen, reißen wir die Schranken ein, lieben wir die Feinde wie die Freunde, dann sind wir ein Samenkorn für jene Zeit, daß Friede wird auf dieser armgemachten Welt!"

14. Bedrückt sieht Corusja seine Tochter an. Wie ist's möglich, daß sie 'israelisch' wurde? Durch Elimelech weiß er ja: die Jordanier hatten Männer, die aus 'ihres Gottes Geist' geredet und gehandelt haben; und eine Frau (Debora) soll auch gewesen sein, die von Gott geführt das Volk gerettet hat, damals innerlich und äußerlich. Soll seine Ruth, soll sie auch ‒ ‒?

15. "Ja", sagt Naemi die die Gedanken lesen konnte, "Ruth hat, wohl nicht voll prophetisch, ein Gesicht, weil sie sich vollen Herzens Gott ergeben hat. Sie wird die Ahne eines Königsreiches sein. Nicht umsonst, das darf mit gelten: du, Corusja, bist ein König und deine Väterglieder waren Städtekönige in Moabit. Das ist Gottes ewiges Regiment! Er braucht nicht zu warten, bis sich ein Weg entwickelt hat. Seine Strahlen fallen aus dem Licht herab auf diese Welt, ins Universum, das wir bloß als Himmel kennen.

16. Freue dich! Du bist mit eingeschlossen in des Lichtes Strahl, du und dein ganzes Haus. Du erlebst noch hier, was uns einen großen Segen bringen wird. Ich fühle es, nur weiß ich es noch nicht; denn Gottes Güte will uns überraschen, schenkt uns immer etwas Neues aus der Liebe Seiner Herrlichkeit.

17. Nun kommt, das Abendmahl ist zubereitet, dann dürfen wir der Ruhe pflegen. Vorhin traf ein Bote ein, der für morgen Fürst Pereztha angemeldet hat. Ein paar Freunde kommen mit. Er wähnte, Hanea sei noch allein. Wie wird er sich jetzt freuen, weil wir wohlbehalten wiederkamen und ich glaube gern, daß die Jerusalemer mit Corusja bald ein gutes Bündnis schließen, was für beide Völker ‒ wenigstens für eine Zeit ‒ zum Frieden führen wird."

18. "An mir soll's nicht mangeln", fällt Corusja ein, "ich stehe bei dem Landeskönig gut im Wort." / "Auch dem Glauben nach?" fragt Orpa bang. "Das freilich nicht, mein Kind. Er hängt an unseren Göttern fest. Ich würde nur verderben, spräche ich die Überzeugung aus: es gibt nur einen Gott, den Israel durch seine Patriarchen und seinem großen Mose kennen lernte!

19. Kommt nicht erst es auf einen Frieden an, der uns verbindet? Mag es nicht zuerst genügen, wenn einer angesprochen wird? Ein Sturm kann Gutes bringen, meistens ist er ein Zerstörer. So auch eine neue Bahn! Würde ich dem König meinen Glauben künden und ihn bitten, die Ein-Gott-Lehre einzuführen ‒ oh!, ich käme in den Bann, der Krieg bräche aus, Leid und Tod wären der Tribut statt freudigen Bekennens! Wäre das der Wille Gottes?"

20. Corusja spricht jetzt so, als wäre er schon völlig umgewendet. Es spielt da keine Rolle, wenn noch ein Stückchen, alten Adams hängen bleibt. / Isremia sagt: "Ich geb' dir recht, Corusja. Etwas übers Knie zu brechen kann gefährlich werden; es bringt uns nicht, was vorgesehen worden ist.

21. Ein offenes Bekenntnis kann eine Ära sicherlich umwälzen. Dann geht ein anderes voraus, an dem die Menschheit merkt: Altes stürzt zusammen, Neues steigt empor! Ob wir in solchem Zeitpunkt leben?, weiß ich nicht. Sicher ist die Umbruchszeit (Christus) noch fern. Es ist also besser, im kleinen Kreis zu wirken, wie Ruth es treffend sprach: wir, ein Samenkorn für jene Zeit, daß Friede wird auf dieser Welt'!"

22. "Ich sehe Kreise", Naemis Blick geht fern, "die sich ineinander schieben und entzweien, ein Kreis wie ein Jahrhundert. Viele Kreise bilden sich. Über jedem steht ein Gottesstrahl, erkannt, verneint von denen, die die Kreise füllen. Laßt uns diesen Strahlen unsere Herzen schenken, als 'Samenkorn', das GOTT zu säen weiß, wie, wann und wo, nach Seinem hehren Willen."

23. Ist nicht ein leises Wehen, als stünde EINER ungesehen da, der die Menschenkinder segnet?! Geht nicht ein Schauer über alle hin, weltlich wie ein Frösteln, weil gar manches abzulegen ist, geistig als die hohe Seligkeit: Gott ist bei uns?! Unwillkürlich fassen sie sich an den Händen, bilden einen Kreis und wissen nicht, daß sogar wenige Menschen ein Jahrhundert geistig füllen können durch die Gaben, die der Herr verliehen hat.

24. Nicht gleich ist's zu erkennen, Gott steckt den Kreis als einen Ring an Seine rechte Hand, bei jedem, die sich gemeinsam unter Seine Führung stellen, wissend: 'Der Herr ist unser Gott, wir sind Sein Eigentum!' Glaubt man daran ohne Vorzugsstellung, fühlt man sich als Sonnenfünkchen einer Sonne, alsdann trifft es zu: – der Ring an Gottes rechter Hand, …zur Offenbarung Seiner Herrlichkeit, zur Erhebung Seiner Kinder.

25. Still nehmen sie die Mahlzeit ein, zu der die Leute kommen, für die der Feierabend angebrochen ist. Die Müden gehen schlafen, die Familien sitzen noch ein Weilchen beieinander. Corusja läßt sich Naemis Bild erklären. Das tut Isremia, er legt Bilder bestens aus. Nach einer größeren Erläuterung fügt er an:

26. "Ein Kreis gleich hundert Jahren und in jedem geht die Menschheit auf und ab, hie und da im Frieden, bis Völker wieder sich entzweien und Kriege brausen über diese arme Welt. Ungezählte Kreise ‒ und es ist gut, daß Gott allein die Zahlen kennt. Ihre Summe würde uns erschrecken, genauso, wenn wir lange Zeit voraus das Ende unseres Lebens wüßten.

27. Wie beseligend in der Trübsal dieser Welt: Gott hat der Menschen Auf und Ab in Seiner Schöpferhand! Es mag eine Sonne scheinen oder Stürme uns bedrohen, ‒ wir sind eingehegt in Gottes Kreis, in Sein einzig Ganzes! Ihm ganz gehören kommt nicht aus uns, wir können es uns nur erbitten. Wir durften vorhin auch ein Ganzes bilden und hat keiner es gewollt; es war einfach da. Ebenso ist Gottes Güte da, daß Er bei uns war, ist und bleibt! Um Sein Bleiben wollen wir zu allen Zeiten bitten."

*

28. Anderntags kommen Fürst Pereztha, Laban, Selemech und Herias. Es herrscht große Freude, des Erzählens nimmt kein Ende. Erst am Abend kommt man zu konkreten Fragen. / "Wie steht das Regiment?" / "Auf dem Heimweg war es ab der Grenze friedlich, eine wahre Wohltat nach den bitterschweren, ungewissen Jahren."

29. "Hast recht, Isremia", gibt der Fürst Bescheid. "Gottes Hilfe! Daß sie aber für mich offenkundig ward, das ‒ nun ja ‒ man glaubt und zweifelt. Menschlich!" / Pereztha lacht ein wenig. / Sagt Boas: "Das liegt dem Menschen im Geblüt‚ weil uns die innigste Verbindung fehlt. Es mag an der Materie liegen oder an was weiß ich noch. Man hat den guten Willen, bloß reicht er nicht zu jenen Taten aus, die die Verbindung aus dem Glauben festigen."

30. Naemi sagt dazu: "Wir spüren unsere Unzulänglichkeit, wenn man bei sich selber nichts beschönigt. Man zweifelt, ob Gott helfen wird, sobald wir Seine Hilfe brauchen. In dieser Hinsicht ist sogar ein Zweifel gut, der weit mehr gegen uns gerichtet ist als gegen Gottes nahe Hilfe. Sei daher nicht betrübt, Pereztha, gute Zweifel machen uns nicht selten stark."

31. "Du erleichterst mich. Weißt du, wenn es möglich wäre, wie es die Zeit der Richterin (Debora) ergab, dich möchte ich im Regiment zur Seite haben. Leider gibt es eine Menge Männer, die sowas niemals dulden würden. 'Eine Frau? Muß er sich von einem Weib belehren lassen?' Diese Rede ginge durch das ganze Land." / "Dem ist abzuhelfen", sagt Corusja. / "So? Und wie?"

32. Der Moabite lacht verschmitzt. "Man muß nicht alles auf die Tafel setzen. Bethlehem liegt in der Welt, von Jerusalem ist's sicher nicht weit her. Wenn also nötig, alsdann hole dir geheimen Rat, von unserer Seherin. Das dürfen deine engsten Freunde wissen, die andern geht's nichts an ‒ denke ich!

33. In Ar-Moab habe ich erlebt. Erst gab mir Elimelech manchen Rat, später die Naemi. Frauen haben meist ein tieferes Gefühl, und dazu eine Sehergabe, ja ‒ saget mir, soll ich solchen Rat nicht hören und befolgen, wenn es zum eigenen, zumal zum Wohl des ganzen Volkes ist? Posaunen setzte ich nicht an den Mund um zu verbreiten: Was ich tue, hat Naemi mir geraten! So handele, Landesfürst, und du gehst nicht fehl."

34. Laban lacht und steckt die andern an. "Seht, ein fremder Freund und ist mit seinem Rat uns nahgerückt. Corusja, dir danke ich ‒ für uns alle! Lasse uns ein Bündnis schließen", packt er die Gelegenheit beim Schopf. "Laß uns Freunde werden, die einander voll vertrauen und auf vereinte Hilfe bauen können."

35. "Das haben wir bereits besprochen und ich habe gern gewartet, bis von euch", Corusja deutet auf den Fürsten, "der Antrag kam, damit für lange Zeit ein Friede werde zwischen Israel und Moabit. Wir haben uns befehdet und ihr dürft nicht sagen, es hätte nur an uns gelegen. Ihr habt unsere Grenzen oft verletzt. Ich beteuere: unser Landeskönig ist sehr friedlich eingestellt. Ihr habt zwar keine Könige, doch von euren Richtern, die wie ich die Kunde weiß ‒ euch statt Könige regierten, waren manche schlecht. Denkt bloß an den Beraba, den letzten Lump."

36. Herias bestätigt es. "Leider ist das so auf dieser Welt. Wer oben sitzt, streut Härte aus. Aber lassen wir das jetzt. Gleich vorab gesagt: der Fürst hat erwogen, die Grenzen zu bereinigen. Es liegt oft an den Zöllnern, die ihr Amt mißbrauchen und ich denke, daß das bei den Moabitern auch so üblich ist."

37. "Hm…", gibt Corusja ungern zu, "…fliegen Worte hin und her, greifen Törichte gleich zu den Spießen. Wir kamen an der Grenze zu solchem Zwischenfall. Da nicht zu klären war, wer angefangen hatte, bestrafte ich die unseren, Isremia im Verein mit Boas eure Zöllner. Der Streit entstand aus Langeweile, und da nahm ich mir es vor, die Zöllner öfters abzulösen."

38. "Wir werden es genauso machen", sagt Pereztha. "Auf diese Art sind Zank und Streit zu unterbinden. Nach Norden geht das freilich nicht, doch habe ich da treue Männer stehn, die mit aufs Jenseits dieser Grenzen achten. Wenn wir nun, Israel und Moabit, ein Bündnis haben, wird auch anderwärts es friedlich bleiben ‒ hoffentlich für lange Zeit."

*

39. An diesem Abend wird noch vieles festgelegt. Für Israel ist alles gültig, bei Corusja kommt es darauf an, ob sein König einverstanden ist. ‒ Leider muß Pereztha wieder in sein Amt. Herias und Selemech begleiten ihn. Laban bleibt zurück, er will mit Corusja Weiteres besprechen: Wirtschaftliches, Güteraustausch und dergleichen, wobei besonders Isremia beizutragen weiß.

40. Laban, Isremia, Boas unternehmen mit Corusja einige Ritte, damit dieser Land und Leute kennen lernt. Sie besuchen Hebron, Michmas, den Jakobsbrunnen, den Teich Bethesda und anderes. Jerusalem und Silo sparen sie sich auf. Da sollen auch die Frauen mit, es soll für Orpa und Corusja eine letzte Freude werden, bevor sie wieder heimwärts reisen müssen.

41. Wiederum ein friedlich stiller Abend. Die Sterne stehen hoch. Man sitzt im Innenhof. Es wird über mancherlei gesprochen. Und wieder überrascht, weil Corusja tiefe Fragen stellt. Allerdings ‒ er hat sich gut gewendet. Gerade stellt er eine neue Frage. "Ihr sprecht von Sünden. Das tut man bei uns nicht. Böse Taten sind Verbrechen, und Verbrecher werden abgestraft. Das ist menschlich. Ihr glaubt an Sünden wider Gott. Aber kann man GOTT betrüben, den EINEN? Steht Er denn nach eurer Meinung nicht so hoch, daß auch Weltliches Ihn betreffen muß?"

42. Eine ernste Frage. Es ist Laban, der erwidert: "Vom Weltverstand betrachtet hast du recht, Corusja. Etwas Böses ist die Sünde, und ohne innere Verbindung, hier zu Gott oder unserem Geist, bleibt eine Untat dem Gericht der Welt belassen. Das gilt sogar vor Gott, denn ER hat das Gesetz gegeben: «Du sollst nicht töten, du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht stehlen»; und was noch gegen Recht und Wahrheit ist. Das soll man nicht tun.

43. Wirkliche Verletzung des Gesetzes, das pur Gott betrifft, bleibt eine Sünde wider Ihn. Beispiel: Man weiß, daß Gott existiert, denn das Leben, die Natur und vieles andere zeugen ja von Ihm und Seinen Werken. Doch man will es nicht bekennen, weil man dann auch danach leben muß. Die Welt jedoch verlockt so sehr und lenkt den Sinn aufs Äußere, und dafür ist dann Gott zu unbequem. Leugnet man aus diesen Gründen, ist es eine Sünde wider Ihn; denn hierbei stehen sich der Mensch und Gott alleinig gegenüber.

44. Anders, wenn man dem Nächsten Unrecht tut, ihn bedroht, bestiehlt oder gar ermordet. Du denkst wie andere auch: Das ist eine Sache zwischen Mensch und Mensch. Oberflächlich angesehen ja! Denken wir ein wenig tiefer und fragen uns: woher kommen wir, wo kommt alles her? Der Gläubige weiß es aus der Überzeugung: Alle Dinge sind von Gott! Hat ER das Leben hergegeben, so ist Er der Grundeigentümer und hat kein anderer ein Recht, irgend jemanden zu schädigen oder gar ein Leben auszulöschen.

45. Du hattest Beraba erwähnt, so als bösen Richter. Und das war er auch. Vielen Leuten nahm er ihre Habe weg, hat sie gequält, bis sie flüchten mußten, hat viele töten lassen. Er hat also gegen Lebende gesündigt. Weil jedoch aus Gott das Leben kommt, ist und bleibt die Todes-Sünde wider GOTT bestehen. Er fordert auch die Abrechnung von allen Übeltätern.

46 Sieh, wenn alles Ungut bloß die Welt beträfe, dann hätte als ein hohes Beispiel nicht der Himmel mit dem Richter abgerechnet. Noch kannst du das nicht ganz verstehen, doch viele ernste Männer sind die Zeugen dessen: Gott sandte Seine Engel als die Rächer! Hätte Gott das Recht der Abrechnung den Menschen überlassen, so hätte Er die Engel nicht geschickt. Da GOTT als Grundeigentümer alles Lebens über Seine Eigentümer wacht, wobei das bewußte Leben an der ersten Stelle steht, deshalb hat der Richter gegen Gott gesündigt. Das siehst du sicher ein, nicht wahr?"

47. "Hm, das muß ich erst einmal verkraften. Vielleicht nicht ganz richtig: Wenn ich einem Armen etwas schenke und er wird bestohlen, so hätte ich das Recht, die Diebe zu bestrafen. Schließlich war es ja mein Eigentum, das ich hergegeben habe. Oder nicht?" / Corusja zieht die Schultern etwas schief, sein Beispiel kommt ihm selber komisch vor.

48. "Du hast sogar recht", bestätigt Laban. "Hältst du also ferner deine Hände über solchen Armen, damit er nicht zu Schaden kommt, da ist es auch dein Recht, die Übeltäter vor Gericht zu fordern. Nun übertragen wir das auf den Schöpfer aller Lebensdinge. Wie ein Dieb im eigentlichen Sinne dich bestohlen hat, was erstlinig dem Geber und dann erst dem Empfänger gilt, also ist wohl einzusehen: kommen alle guten Gaben von dem Herrn, dann bleibt jede Ungerechtigkeit, alle bösen Taten, vom kleinsten Diebstahl bis zum Mord, die Sünden wider Ihn, dem Gebenden!

49. Geklärt, ob man Gott betrüben kann. Es gibt ein Ja und Nein. Ist kein Widerspruch, mein Freund", Laban legt Corusja eine Hand auf dessen Schulter. "Das 'Ja' ist leicht gezeigt. Geht letzten Endes jede Sünde wider Gott, von dem wir alle Lebensdinge haben, alsdann muß die Sünde ihn betreffen."

50. "In dem Zusammenhang verstehe ich das auch; doch ein GOTT ist hoch erhaben. Wie mag Ihm denn das weltliche Gewirre in die Ohren kommen, daß es Ihn betrüben muß? Habe viel bei euch gelernt, geb' ich zu, und denke mir, daß euer Gott, den ich ‒ na ja ‒ hm ‒ lieben lernte, viel zu hoch und heilig ist, als daß Er Sich mit weltlichem Getriebe abzuquälen braucht."

51. "Das tut er nicht! Als der ewig Souveräne steht Er wirklich viel zu hoch, als daß das Menschliche das HEILIGE der Gottheit trifft. Nicht ganz leicht der Unterschied: Es gibt in der Gottheit keine Spaltung, und Selber spaltet Er Sich nie! Wieso gibt es dann ein Ja und Nein? Da müßten doch zwei Teile in der Gottheit existieren! Wir lassen uns in Seine Höhe ziehen, und dort ist es zu erkennen, was an sich sehr schwierig ist.

52. Gott ist, weil ewig heilig, immer souverän, unberührbar durch die Dinge jener Werke, hier das Kindervolk gemeint, also davon, was wir selbst verschuldet haben. Weil Er aber doch der Richter über alles Leben, über Soll und Haben ist, so steht die Türe zu den Kindern bei Ihm offen.

53. Er sieht nicht bloß, Er nimmt alles an! Hier beginnt die Sünde wider Ihn, nicht bloß jene gegen Seine Heiligkeit, was ein anderes betrifft, sondern gegen das 'Gesetz des Lebens'. Gott kann Sich verschieden zeigen und Er tut es auch, je nachdem, wie weit ein Kind sich Ihm vertraut, wie weit es sich von Ihm entfernt. Bei Ihm in Seiner Heiligkeit gilt allgemein das 'Nein'. Mit nichts wird Er betroffen. Er bleibt stets ER SELBST!

54. Zeigt Er Sich, und ich wüßte nicht, wann jemals Er Sich vor dem Kindervolk verbirgt, das Er Sich zu Seiner Freude schuf, so ist, wenn man es so nennen darf, der offenbarte Gottheitsteil auch offen und nimmt die Sünden aller armen Kinder an. Täte Er es nicht, und Er hat die Macht dazu, so bliebe jede Untat ungesühnt und würde ewig auf dem Täter, untrennbar von dessen Seele, lasten.

55. Das ergäbe eine Gott-Entfernung und niemals würden Sünder frei von ihrer Last, nie kämen sie ins Vaterhaus zurück, blieben fern der Gnade, aller herzlichen Erbarmung, mit der sich Gott als VATER zu den Kindern neigt! Wäre das für uns das Ende, alsdann würden wir für immer ausgelöscht! Umsonst hätte Sich der Herr Sein Volk geschaffen, umsonst das Heiligtum gerichtet, die Herrlichkeit des' Empyreums aufgetan!

56. Weil Er einen Herzteil für die Sünden offenhält, in der Materie begangen ‒ im Lichte gibt es keine Sünde ‒‚ so geht jede wider Ihn. Trotz unmeßbarer Heiligkeit neigt Er Sich herab, daß alles zu Ihm dringt, was niedrig, falsch und böse ist. So nimmt Er es an, so läßt Er Sich betreffen (Kreuz), um für die Kinder abzugelten, was sie selber niemals ganz entgelten können.

57. Solange wir auf Erden leben, werden wir das heilige Mysterium nicht durchschauen; doch zu ahnen ist die große Güte Gottes, wie es Mose lehrte: 'Wie hat Er die Leute so lieb!' Vielleicht ist Seine Liebe einmal eine Opfertat, daß Er der hingefallenen Kinder Lasten auf Sich nimmt; und jede Untat, sei sie größer oder klein, ist ein Fall, ein Sturz ins Dunkel unserer Seelentiefe.

58. Aus dieser hebt der Herr uns hoch, nimmt uns an die Vaterhand und führt uns in Sein Licht, wenn wir bekennen: 'Herr, vor DIR habe ich gesündigt und Unrecht getan!' So ist das 'Ja' die rechte, das 'Nein' die linke Schöpferhand. Er wird nicht betrübt, Er läßt Sich betrüben, um unsertwillen, daß man einstens selig wird in Seinem Reich der Herrlichkeit!"

59. "Laban, das war…" Ein junger Bursche tritt herein und ergänzt, als ob er mitten unter ihnen weilte, "…ein Wort, zu dem der Herr Sein 'Amen' gibt. Wer das erkennt und glaubt, kann viel Weltliches überwinden, wird frei von jener Schuld und Sünde, die die Menschen nicht zu machen brauchten, gäbe man sich Mühe, ließe sich erheben, wie es Laban richtig sprach.

60. Aber viele, wenn sie schon an einen Schöpfer glauben, möchten Ihn auf ihren armen Stand herunterzerren: 'Er soll so sein wie sie, Er soll auch Fehler haben.' Oh, wer so denkt, dem geht der Lichtverband verloren und mag er Tag und Nacht die Hände heben oder beten ‒ im Grunde spricht ein solcher mit sich selbst." Der Jüngling läßt sich bei Naemi nieder, indem er weiterspricht:

61. "Euch gebietet jene echte Ehrfurcht, die der Inbegriff der Liebe Gottes ist, Ihn über euch zu wissen und gläubig schaut ihr auf. Es steht nicht in euerm Sinn, Gott neben euch zu haben, doch in Seiner Güte ist Er immer da. Nicht so, wie die Zeiten kommen werden, daß Gott auch rein menschlich wäre und als solcher Sich zu überwinden hätte. Wenn das, wäre Er denn dann ein GOTT?!

62. Ihr verneint und tut recht daran. Ob der Heilige Sich göttlich zeigt, ob Er einmal als ein Mensch erscheint ‒ immer ist und bleibt Er Gott! Die Materie, die ER zur Rettung der Gefallenen schuf, hat an Ihm keinen Teil. Ich sage euch, weil aus diesem Haus", er legt eine Hand auf Ruths Scheitel, "ein äußerlicher Weg sich zeigt, aus dem eine reine Magd (Maria) geboren wird: das ist bloß die äußere Gestalt, in der Sich Gott erkennen läßt und durch welche Er den Schlußstein der Gesamterlösung setzt (Golgatha). Sonst ‒? Niemals wird in ihr das Göttliche gemindert sein (Kol.2,9), nie kann die Materie Ihn beflecken!!

63. Aber wenn die Menschen mehr und mehr in Finsternis verfallen, da sucht man an Ihm das, was beim Menschen, nicht bei GOTT vorhanden ist: – Ihr fragt betrübt, wenn die besagte Grunderlösung statt gefunden hat, wie mag hernach noch solches üble, Denken kommen? Euch ist zu melden, was die Reife dieser Zeit noch nicht ergibt, die allgemeine Menschheit meine ich. Und so achtet auf.

64. Es ist freilich nur ein Gleichnis; mit des Himmels Worten, die zu sagen wären, würdet ihr es nicht verstehen. In einem großen Bottich sammelt sich das Wasser, es wird viel hineingeworfen, und manches fällt oft selbst hinein.

65 Alles sinkt bis auf den Grund und sammelt sich zu Unrat an. Ist der Bottich dann zu säubern, schöpft man erst das Wasser aus, das bald trüb und schmutzig wird. Zuletzt ist's purer Schlamm, der zu entfernen ist. Sinnbild der Materie, die dem Bottich gleicht.

66. Gott gab in ihn Sein reines Wasser. Das bedeutet Seine Hilfe und mit durch Seines Lichtes Kinder, die in die Materie steigen, um zu helfen, sie zu reinigen. Ihre Hilfe erstreckt sich nicht auf Gott, sondern auf die Dinge, die sich angesammelt haben, von Inkarnierten durch Sünden und die Schuld hineingeworfen, durch die Hingefallenen extra arg verschlammt.

67. Gott hat längst begonnen, das Gefäß zu reinigen und allmählich greift Er auf den Grund. Bevor jedoch der ärgste Rest herauszuheben ist, bringt ER den Schlußstein der Erlösung dar, ohne die der Rest nicht auszuschöpfen wäre. Wohl ‒ Er kann es auch mit Seiner Macht und ein Teilchen waltet mit, soweit die Materiellen es ertragen können, ohne dabei zu vergehen.

68. Jener Schlußstein dringt hinab bis auf den Grund und der Schlamm wird aufgewühlt. So läßt sich der letzte Rest allein beheben, ebenso ist das Gefäß zu reinigen. Zu dieser Zeit bricht das herein, von dem man meinen kann: ‚Alles geht zu Grunde.' Der Mensch, die Ethik und der Glaube, alles Gute stirbt!

69. Doch wieder dient als Sinnbild dessen, daß Gott Sich bloß das Äußere überzieht, um den Materiellen Seinen Lichttribut zu opfern. Aber Ihm bleibt er zu eigen, über Raum und Zeit hinweg. Durch die Manifestation der Restmaterie, inkarniert in denen, die aus der letzten Tiefe hochgehoben werden, wird ‒ zwar schwerlich einzusehen ‒ der widerliche Schlamm gelöst, durchwässert, bis im Anbruch jener hehren Feierabendstunde[10], von der ihr noch nichts wissen könnt, der ganze Fall gereinigt ist, die Materie aufgehoben werden kann. Dann ist sie nicht mehr nötig. Allein das Reich der Schöpferherrlichkeit wird ewig sein!

70. Zuvor, dem Hinweis nach, wird die Menschheit dieser Erde viel vom Licht verlieren, weil sie selber sich zu hoch erhebt, materiell und auch dem sogenannten Glauben nach, und weil sie dadurch Gott zu sich hernieder ziehen will. Mit Worten ist das möglich; was aber ist ein Wort, dem keine guten Taten folgen? Niemals wird es einem Menschen möglich sein, von sich aus Gott, den Heiligen, zu sich herabzuziehen, nicht mal zu erbitten!

71. Oh, …Gott braucht nicht erst zu kommen, um da zu sein! Von Sich aus ist Er bei allen, die an Ihn glauben und bei denen, die Seine Hilfe für die Seele brauchen. Wäre es dann also nötig, Gott neben Sich zu stellen?, Ihn anzusehen, als wäre Er nebst Seiner Gottheit auch ein Erdenmensch?

72. Ist Er die Gottheit ewig Selbst, die keiner Änderung bedarf, der Mensch hingegen samt Materie vergänglich ist und allein sein Geist samt Seele aus der Gottheit leben bleibt, wie hernach müßte oder soll der Schöpfer die Vergänglichkeiten in Sich tragen? Nicht einmal vorübergehend wird das je geschehen!

73. Ein Akt geschieht, weil Er der EINE ist, wird Er, wenn Er wie ein Mensch die Welt betritt, der Menschen wegen so wie sie erscheinen, Sich ihretwegen wie ein Mensch gebärden, was doch bloß die äußere Gestalt betrifft. Und diese zieht Er ja nicht Seinetwegen an. Er könnte so erscheinen, wie ich jetzt bei euch bin; doch die, um die es letzten Endes geht, würden nie wie ihr den Sinn begreifen, Ihn niemals anerkennen und somit nicht mit in die hehre Grund-Erlösung einzuschließen sein.

74. Ihr wähnt, was für ein Sinn es wäre, daß ihr alles wissen, aber keinen Einfluß auf die Zukunft haben könnt, in der das geschehen wird. Liebe Freunde, Laban hatte recht gesagt, ihr solltet euch in Gottes Höhe ziehen lassen. Kräfte, die aus dem Lichte kommen, selbst wenn sie nur die ‚Lehre‘ sind, bleiben in den Menschen haften, deren Geist die Seele überstrahlt.

75. Diese Kräfte bleiben über einen Erdentod hinaus bestehen. Nicht nur so, daß sie dann zu senden wären, wenn sich jene Zeit erfüllt. Jetzt schon nimmt die Dunkelheit der Menschen, ja sogar der armen Wesen, die noch in ihrem Abgrund schmachten, davon auf, zwar weniger bewußt oder gar gewollt; aber aus der Kraft des heiligen Geschehens werden diese Strahlen immer wirksam sein.

76. Ihr braucht nichts anderes zu tun, als die arm an Leib und Seele sind, in euere Liebe einzuschließen. Tut ihr das, dann gehen durch euch Gottes Strahlen bis auch zum Grund, und selber habt ihr da den Segen, den der HERR zu geben weiß! Gottes Strahlen wirken keineswegs allein durch Menschen, denn Er braucht niemand, um das zu tun, was Ihm in Seiner Liebe wohlgefällt. Aber gern gebraucht Er euch und uns, die Himmlischen und Irdischen; damit schließt Er alle in den Segen ewiger Erlösung ein!"

77. Welch Odem weht die Menschen an; man hebt die Herzen hoch. Naemi wie auch Ruth haben ihren Helfer auf dem Weg nach Bethlehem erkannt. Laban, Boas, Isremia sehen in ihm jenen einen, der mit den Richter richten half. Beraba mußte stürzen, um einst einzusehen, wieviel an Schuld er abzugelten hat. Läßt der Himmel jemand fallen, so ist das die hohe Retterhand des Herrn.

78. Orpa und Corusja ahnen nicht, wer der Jüngling wäre und der Mann muß kämpfen, um die Wahrheit in sich aufzunehmen. Orpa, einstmals in die tiefere Erkenntnis etwas eingeweiht, denkt: 'Er ist nicht von unserer Welt.‘ Indessen hat sich Ruth ihm in den Arm geworfen, aus Freude, Dank und Jubel heftig schluchzend, weil er wiederkam, nach dem sie immer eine Sehnsucht hat.

79. Naemis Tränen laufen auch. Hanea faßt nach den hellen Händen und Heleana, nicht das Höchste einer Gottesoffenbarung kennend, rückt näher zu. Gern möchte sie ein wenig neben diesem Hellen sitzen, als ob sie dadurch reifer würde, um mit Isremia in dem einen Glauben Hand in Hand zu gehen.

80. In die Stille, die nach dieser Lebenslehre schwingt, räuspert sich Corusja. "Darf ich fragen, wer du bist? Nämlich so ein Junge, kaum sechzehn Jahre alt und nun das ‒ eine hohe Lehre, habe bloß nicht viel davon verstanden. Wo, o lieber Junge, hast du diese Weisheit her? Deine Worte flossen wie ein Strom. Höchstens alte weise Lehrer könnten sowas bringen. Ach so…", unterbricht er sich, "…hier geht es anders zu als anderwärts auf unserer Welt, und wer weiß ‒ Manches habe ich erkannt, nur fehlt viel, um alles anzunehmen. Bitte, kläre mich doch über dein Geheimnis auf."

81. "Das kann ich schon, aber deine Tochter Ruth soll sprechen, eben deshalb, weil sie neben allen anderen die Jüngste ist." erklingt es freundlich. / Helles, liebes Lachen: "Oh…", sagt Ruth und schmiegt sich fester an den Jüngling an, "…mir wäre lieber, du würdest deine Schleier lüften." / Spricht der Engel herzlich: "Rede, und da wird sich zeigen, daß auch durch euch Menschen Gott Sein Licht und Seine Offenbarung kommen läßt."

82. Ruth hatte von der Reise mit Naemi schon berichtet, daß ein Engel ihr Begleiter war, wobei Corusja dachte: 'Ruth sieht alles in der Phantasie, das darf man nicht so wörtlich nehmen.' Jetzt wiederholt sie erweiternd den Bericht, zeigt anschließend auf den Hellen und greift abermals nach dessen Händen.

83. "Glaub' es mir, lieber Vater, er ist ein Engel. Hast doch selbst gefragt, woher solch Junge diese Weisheit hat, jenes Herrliche der Rede. Kein Mensch kann das so bringen, woran zu erkennen ist, daß er nicht von unsrer Erde stammt; und kein alter Lehrer dieser Welt könnte geben, was er lehrte.

84. Orpa, lasse dich umarmen, es wird durch deine Seele gehn." Gottes Bote zieht Orpa an sein Herz und alsbald weint sie laut: / "Oh, wie ist mir denn zu Mute? Das Leid, um meinen früh verstorbenen Gatten tragend, ist auf einmal weggewischt. Selig bin ich und befreit!" Sie mag sich gar nicht lösen, obwohl jeder eine solche Seligkeit genießen will.

85 Ruth führt nun Heleana hin und die erlebt das gleiche Glück, ein solches, das die Welt nicht hat, Corusja hustet wieder, es drängt und würgt in ihm, gern würde er bestätigen, daß Außerordentliches vor sich ging. Was aber lebenslange Überzeugung war, das läßt sich nicht auf einmal überwinden, als ob es niemals seinen moabiter Sinn erfüllte. Und nun ‒

86 "Wenn viele eine Sache anerkennen, weltlich undurchsichtig, muß man prüfen: könnte es nicht Wahrheit sein? Ich bin ein Heide, wie ihr Israelen Andersgläubige bezeichnet. Könnte aber nebensächlich sein, ob man an einen oder etwa mehrere Götter glaubt, die von mir von jeher nicht gestaltlich angesehen wurden. Für mich waren unsre Götter Kräfte und die liebte ich. Ist Kraft nicht etwas Gutes? Der Mensch braucht zu allem Tun und Wirken eine Kraft. Warum soll das demnach böse sein?"

87 "Böse ist das nicht, denn auch Gott hat viele Kräfte," sagt der Engel. "Nur werden sie nicht in Personen dargestellt. Sieh, wenn du ein Bäumlein pflanzt, bedarf es keiner großen Kraft. Fällst du aber einen starken Baum, dann brauchst du deine ganze Manneskraft, bei stärksten kann sogar ein einzelner das nicht bewältigen. Bist du deshalb mehrere Personen? Du verneinst es gern. Nicht anders ist es mit den Kräften Gottes.

88. Daß ihr und viele andere Völker, absolut nicht alle von der Welt, die Kräfte als Personen angesehen habt, schadet an sich nichts, nur euere Verehrung, die ihr den Gestalten, allein von Menschenhänden hergestellt, geopfert habt. Da zeigt sich jener Unterschied zwischen eurem Vielgott- und dem Eingott-Glauben. Das siehst du jetzt auch ein, nicht wahr?"

89. "Es dämmert", lacht Corusja, "mir fällt ein, was mich Elimelech und Naemi lehrten. Ja ja, wirst wohl ein Bote deines ‒ hm ‒ meines Gottes sein, und ich danke dir, hast mir die Augen aufgetan. Nun erst bin ich richtig froh, weil ich mit hierher gekommen bin." Er drückt den Jüngling heftig an die Brust, und wie gut, daß so ein Himmlischer mehr verträgt als ein starker Mann der Welt.

90. "Ich komme noch einmal zu euch, dann ist die Mission für mich bei euch zu Ende. Das Weitere könnt ihr unter Gottes Fittichen erfüllen und wird's nicht mangeln, daß ihr immer Seine Gnade habt." Der Engel geht. Die Menschen bleiben lang beisammen, still in sich gekehrt. Erst am nächsten Abend nehmen sie die Lehre vor, besprechen sie und sind froh, wenn Gott Seinen Boten nochmals kommen läßt.

 

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Kap. 20

Corusja rückt dem Glauben näher

In der Grotte von Bethlehem offenbart sich Gott

1. Noch ein paar Wochen sind verstrichen. Oft kommt der Landesfürst und angesehene Männer, aus der näheren Umgebung auch vom Volk, die einfacheren Leute. Es gibt herrliche Gespräche, der Kontakt wird immer fester, bis an einem Abend, als nur Pereztha unter ihnen weilt,

2. Corusja plötzlich sagt: "Kehre ich zurück, dann trage ich ein anderes Gewand, innerlich. Ihr Israelen habt mein altes weggenommen. Zwar darüber froh, weiß ich nicht, ob ich dafür danken soll. Ich muß dem Volk ein Moabiter sein, wie soll ich sonst mit ihm verbunden bleiben? Das hängt mir etwas an und somit …"

3. Sagt der Fürst: "Solltest keine Sorge darob haben. Recht hast du vom 'inneren' Gewand. Das äußere kann bleiben, wenn in ihm der Mann des Rechts, der Treue und der Wahrheit steckt. Das nimmst du mit heim. Das Innere wird dir helfen, falls es nötig wäre, noch viel besser deine Städter zu regieren und dem Hauptregent ein Halt zu sein. Und vieles Gute mehr.

4. Der Glaube an den einen Schöpfer bleibt das Fundament von gutem Denken, Reden und Danach-Tun, was sich bei dir wunderbar gefestigt hat. Den Grundsamen streuten Elimelech und Naemi, und wir andern durften auch paar Körner streuen. Sei also nicht verzagt; dein Weg bleibt hell, man wird es merken, wie zu deiner schon vorhandenen Güte mancherlei hinzugekommen ist.

5. Daß du den Ein-Gott-Glauben nicht gleich ausposaunen kannst, ist gegeben. Gott sieht das besser als wir Menschen an. Wer nicht aus Angst den Mantel um sich hängt, aus Furcht vor Spott versagt, der kann sein heilig-schönstes Wissen wie ein Kleinod hüten. Man läßt es ab und zu erstrahlen, man spürt es leicht, wo es zu geschehen hat, wann man 'leuchten' darf.

6. Unser Mose hat es auch gewußt. Erst bei der Rettung seines Volkes ließ er alle Geisteskräfte wirken. Vorher auch ein Sohn des dritten Patriarchen, von den Brüdern nach dem Nil verkauft. Er wurde der 'geheime Rat' des Pharao (1.Mo. 41,45). Eben das 'Geheime' ist die stärkste Kraft. Nur sollte man den Glauben nicht zu jeder Zeit als nur geheim bekennen, da würden wir uns selbst betrügen. Wer könnte dann vor Gott bestehen?"

7. "Ich unterbreche", meldet sich Corusja. "Wenn man auf diese Weise etwas kennt und leugnet, aus welchem Grunde immer, wie kann man da vor Gott bestehen? Kann das ein Mensch, der Ihn erst erkennen lernte? Ist Er auch die Güte und die Liebe, so ist er auch gerecht und ihr habt gesagt: 'Er wird nicht immer streicheln.'

8. Vielleicht ist das der größte Ausdruck Seiner Liebe, denn aus nur gestreichelten Kindern wird nicht viel. Denke ich an meine Unzulänglichkeit, an meine Schuld, vordem begangen, da sieht's dann windschief aus und Gott wird zu mir sagen: 'Was willst du denn bei Mir? Gehe erst und mache alles wieder gut!' Und das ‒ oh, nein ‒ das kann kein Mensch, mindestens nicht alles." Es ist echte Trauer, die den Moabiter überfallen hat.

9. Naemi tröstet ihn. "Lieber Freund, mir geht's wie dir. Auch ich könnte nicht vor Gott bestehen. Schuld und Unzulänglichkeit sind ein breiter Graben, der nicht zu überspringen ist. Da muß man eine Brücke bauen, die heißes Flehen ist, der gute Gott möchte allzeit helfen, wenn wir nur den besten Willen aufzubringen wissen. Nicht der: 'ich will und man bleibt dann stehen.' Das ist ein fauler Apfel und verdirbt den Magen unsrer Seele.

10. Es ist so gemeint: Gott sieht auf das Gemüt, ob das in Ordnung ist. Man kann aus reinen Rechtsgedanken sein Gemüt veredeln, auch wenn man nie etwas vom einen Gott vernommen hat. Wer aber weiß, daß es Ihn gibt, kann einzig durch den Glauben sein Gemüt zur Stätte reiner Lichtgedanken machen. Mit denen kann man wohl bestehen; denn gern deckt Gott das Ungenügend zu, das durch menschliches Versagen kommt. Und dieses wieder greift zurück in die Materie, der wir ja verhaftet sind, solang wir diese Welt bewohnen.

11. Wirf also deine Bürde über Bord, den Gedanken an das Einst, bevor du unsern Schöpfer der Unendlichkeit gefunden hattest. Im kindlichen Vertrauen können wir zu Ihm gelangen, im kindischen Begehren aber nicht! Damit wir nun den lieben Freund", Naemi zeigt auf ihn, "ganz fest auf seine Geistesfüße stellen. ‒ Noch ist ja der Abend hell und mild…‚ wollen wir zur Grotte gehen. Dort werden wir erleben, ob unsere Erkenntnis richtig war. Leider ‒ wir Menschen sind zu rasch bereit, uns etwas auszudenken und sehen es hernach als Wahrheit an; und wie vieles kann mitunter fehlen, manches bloß aus unserm Wunsch hervorgegangen sein."

*

12. Man steht eilig auf. Ruth und Heleana haken bei Naemi ein, Orpa geht mit Hanea, die Männer hinterdrein. Der Abend weicht der Nacht und Bethlehem, der kleine Flecken, liegt in tiefster Ruhe. Also bleibt das Heilige noch zugedeckt außer für die kleine Schar. Die Zeit muß für die Menschheit erst noch kommen, wo manches 'Wunder' offenbar geschieht.

13. Sie wandern durch das große Feld. Noch ein paar kleine Hügel und man ist am Haine angelangt. Fern im Osten ziehen schon die Sterne auf. Man war auf dem Wege still gewesen, niemand sprach ein Wort. Die hehre Ruhe der Natur, das beseligende Warten, das man nicht ermessen kann… Ein Hauch der Heiligkeit läßt alles Weltliche verblassen, hat ihre Seelen dort hinaufgehoben, wo der Ewige den 'Thron der Ewigkeit' für Sich errichtet hat. Und ‒ das ewige Zuhause Seiner Kinder.

14. Corusja muß erst den Gedanken bannen: 'Was ist hier besonderes zu sehen?' Orpa fröstelt vor Erregung, sie sucht Schutz bei Hanea. Über alle kommt das Frösteln als ein Vorgefühl: es kommt Herrliches über uns. Nur weiß der Mensch es nicht, er kann es ahnen, und das ist gut, das ist die wahre Seligkeit.

15. Sie stehen vor dem Eingang, der zum Inneren der Grotte führt, zum 'Stall von Bethlehem', wie es später heißen wird. Zwei Schritte, unterm Vordach bleibt man stehen. Unerkannt und doch bemerkt ist's wie ein Strich: 'Bis hierher und nicht weiter', mit dem Unterschied des gleichen Wortes an die Welt: '… sollst du kommen, hier sollen sich legen deine stolzen Wellen' (Hiob.38,11). O nein, hier steht geschrieben:

'Bis hierher sollst du kommen,

damit du Gottes Herrlichkeit erfährst!'

16. Man hat sich unwillkürlich angefaßt, um sich zu stützen, wegen jener Gnadenlast, die auf sie niedertauen wird. Und als sie sich zum Inneren wenden, die Augen, nicht den Fuß, da sehen sie ein Licht gleich einer Form und dennoch nebelhaft. Eine Wärme haucht sie an, ein linder Strom; ach …so ganz unbeschreiblich, was Gottes Kinder spüren. In Ehrfurcht beugen sie sich nieder, knieen hin und schauen ‒ schauen. Sie beben wie ein zarter Halm im Wind. Sie hören eine Stimme, so dunkelsanft, so wunderbar, als käme sie aus tiefstem Born, zugleich herab aus höchster Höhe, aus der die lieben Sterne freundlich niederblinken.

17. "Ihr Menschenkinder, höret, was euch widerfahren soll. Glaubet aber nicht, daß ihr deshalb höher steht, bevorzugt vor der Menge vieler Kinder. Es ist ein Gnadenakt, dem Universum geltend, dessen Herrlichkeit ihr nicht erträumen könnt. Dennoch ist's ein Lohn für eueren Glauben, und sind mit eingeschlossen, die gleich euch den Geist als Hüter vor die Seelentüre stellen.

18. Ich brauche nicht zu sagen, wes Stimme ihr jetzt hört; ihr sollt selber wissen, wann der Herr Sich offenbart, so oder so, wie Ihm es wohlgefällt, zum Heil und Segen Seiner Kinder. Nichts tue Ich, das nicht dem höchsten Zweck zu dienen hat, was nicht zum Inhalt Meines Lebenssegens wird, von dem jeder haben kann, wer da nur will.

19. Euch steigt die Frage auf und Ich sehe sie auch gütig an, denn Meine Kinder dürfen immer fragen, obwohl nicht stets und manchmal die gewünschte Antwort nicht erfolgt. Aber Antwort gibt der Herr zu jeder Zeit ‒ nach SEINER Weise. Nun eben: 'Warum offenbart sich uns der Herr, uns wenigen, hier an diesem Ort?' Einmal habt ihr schon ein Wort von Mir durch eine Tochter unter euch gehabt; ihr 'Engel' hatte es gebracht. Oh, seht:

20. Die Erlösung für das eine Kind, das sich aus Meinem Himmel stahl, mit ihm seine Schar, wird Zug um Zug geführt und nicht, daß dann und wann etwas geschieht. Noch vor der Untat streckte Ich die Hände aus, um aufzufangen, was da fallen wollte, außerhalb des Urzentrums des Lichtes und der Herrlichkeit. Allein ‒ wo der Aufprall werden würde, lagen Meine Vaterhände schon bereit, und der Sturz, der das Leben hätte nehmen müssen, ward gemindert. Für die Abgestürzten unbemerkt, stellte Ich als Schöpfer sie auf ihre Füße, wohl auf ihrem dunklen Grund, auch mit Gebrechen mancher Art behaftet, aber lebend mit der Möglichkeit, gesund und frei zu werden, sobald sich eines aus dem Kerker führen ließ.

21. Um sie anzurühren, bedarf es allewege Meines Tuns, was zwar nur selten offenbar geschieht, jedoch dann und wann, damit der Oberste der Finsternis erkennen muß: ein Sträuben nützt ihm nichts und die Fesseln seiner armen Freiheit muß er fühlen, wie sollte ihm einst die Erlösung winken? Ein solcher Wink erfolgt in dieser Nacht![11] Er muß es sehen, daß Mir viele Kinder ‒ denn ungesehen ist ein Heer der Treuen hier bei euch ‒ im Liebesdienst gehorsam sind. Es nagt an seinen Stricken, mit denen er sich, selbst umwunden hat, wissend und geleugnet, gespürt und abgetan.

22. Draußen steht er auf dem kahlen Stein, und vom Inneren dringt Mein Licht heraus und ‒ die Erlösung! Auch euch, die ihr noch auf dieser Erde lebt, bin Ich wie verborgen und doch herrlich offenbar, tönt Meine Stimme aus dem Innersten des Vaterherzens, aus der Tiefe und der Höhe bis nah an euch heran. Noch ist der Schlußakt der Erlösung zugedeckt, im Innersten verwahrt; bloß Strahl um Strahl dringt dort hinaus, wo das Final geschehen wird.

23. Ihr dürft wissen, wie Meine Engel, die bereits durch die Materie gingen und die noch kommen werden bis ans Ende dieser Welt, bin Ich jetzt im Innersten erschienen, an der Stelle (Geburt), wo sich Meine Liebe wie ein Kind gebären lassen wird, und wird wandeln zu der Stätte (Golgatha), wo der Schlußakt für den ganzen Fall erfolgt.

24. Mein Innerstes, Ureigenstes, kann zwar niemand schauen, wie als Bildnis dargestellt. Nur den Schein seht ihr, nur die Wärme Meiner Liebe ist zu spüren. Aber saget selbst: ist das Maß der offenbarten Herrlichkeit zu überbieten? Ihr bekennt ein stilles 'Nein'; ungesprochener Dank und Ehrfurcht fluten zu Mir her, es ist, als würdet ihr im Wachen träumen.

25. So bin Ich einst aus Meinem Licht als UR herausgetreten mit jenem Lichtanteil, der für Meine Kinder, die Ich werden lassen wollte, vorgesehen war, hatte Mir vom Innersten, von Meiner Selbst-Schau eine Form gegeben und die Stätte zubereitet, wo die Scharen wohnen sollten im Vaterhaus (das Heiligtum)[12], das unvergänglich ist.

26. Nicht anders hier! Im 'Vorraum Meiner Wesensherrlichkeit' kommt Mein Wort zu euch, habt ihr viel von Mir gesehen, was euere Seelen jetzt ertragen können, dazu ein feines Flimmern für den Dunklen, der draußen auf dem nackten Felsen steht. Er sieht Mich nicht, er hört Mich nicht, trotzdem bin ich ihm gewahr geworden. Das ist ein Akt von all den ungezählten, eine Himmelsleitersprosse, auf der die Hingefallenen empor getragen werden durch die heilige Barmherzigkeit, die für sie ERBARMUNG heißt.

27. Längst ist vom Inneren[13] zum Äußeren der GANG gebahnt, der einmal zu begehen ist ‒ von MIR! Der Dunkle hat sein Herz verhärtet und so es pocht, wie jetzt in diesem Gnadenaugenblick, da spricht er böse Worte, um sich zu betäuben. Noch fehlt euch ein Erkenntnislicht, deshalb erst das Verborgene (die Geburt) und ihm dann das Offenbare (Golgatha) nachzufolgen hat. So höret zu; in der hohen Mitternacht der heiligen, will Ich es euch künden.

28. Bedenkt ihr nicht, daß jedes Ding ein Gegenüber braucht? Könntet ihr den Himmelsdom erkennen, stündet ihr nicht unter ihm auf eurer Welt? Braucht das Wasser keine Ufer? In einem Hause ist man nicht geborgen, hätte es die Mauern nicht. Wie nun schon in der Materie, so klein, um wieviel köstlicher gestaltet sich das alles in dem Reich, gleich Meinem ewig Innersten, als Mein eigenstes UR-Sein zu betrachten.

29. Da steht zuerst das heilige Dual: Ich und Mein Werk! Das freilich gilt nur Mir und wird nie ein Kind in vollem Maß verstehen, braucht es auch nicht, wie sich das Geheime einst gebildet hat. Trotzdem enthülle Ich so viel davon, als Mein Kindervolk den Segen daraus haben soll: die Anschauung, soweit gegeben ist.

30. In der Spiegelung vom heiligen Geheimnis, dem Grundstock jeder Offenbarung, stellte Ich das Volk als Mein Dual Mir gegenüber, um mit Mir vertraut zu sein, ohne Hemmung ‒ die Ehrfurcht ausgenommen, Mir zu begegnen und mit Mir zu reden, wie das Kinderherz begehrt ‒ obendrein aus Meiner Liebe eingepflanzt.

31. Daraus ergab sich Inneres und Äußeres als jenes Kraftbewußtsein, mit dem Ich einem Kinde zu begegnen weiß. Ihr seht euch selbst dem Äußeren nach, doch im Inneren lebt ein anderes, was stets zu prüfen ist, ob so gut als möglich Ordnung herrscht. Der Impuls, getränkt vom LEBEN, ist der einzigwahre Innenpunkt, aus dem alles strömt und zu dem alles wieder fluten muß, um neue Kraft zu haben. Ohne diesen Strom vom Inneren zum Äußeren und zurück kann nichts bestehen, was da Leben heißt: die Existenz!

32. Also ging Ich, wie gesagt, aus Mir heraus, aus dem unzugänglichen Mittelpunkt der heiligen UR-Wesenheit. Ich trennte diese für Mich Selbst, um so den Kindern, die da werden sollten, zu begegnen, daß sie Mich lieben könnten, wie Ich sie liebte, bevor ein Hauch des Lebens für das Äußere sie betraf. Für das Innere ‒ wohlgemerkt! ‒ brauchte nichts zu werden, denn alles war in Mir, wie ein Samenkorn in seiner Frucht.

33. Bin Ich aber GOTT, so sah Ich auch, ob bei der Herausstellung eigenpersönlicher Kindgedanken sich stets der Weg im Licht erhalten ließ. Oh, ja, jeder Weg ließ sich erhalten, sogar in dem den Kindern zugebilligten Freiheitsraum. Ja, um sie Mir anzugleichen, blieb die Freiheit im Gehege, die eigenpersönliche Entwicklung aber stellte Ich hinaus (die Seele).

34. Keineswegs außerhalb des Vaterhauses, das Ich zuvor geschaffen hatte, doch ein wenig wie von Mir entfernt, wie sollten sie sonst aus sich selbst den Weg der Liebe zu Mir finden, freudig gehen und gehorsam sein? Das obendrein zu ihrer Seligkeit, für die es keine Grenzen gab. Im kleinsten Spiegel zeigt das die Materie an.

35. Heute habt ihr Herrliches erlebt und wähnt, niemals wäre das zu überbieten. Euere Seligkeit ist demnach an der Grenze des Gefühles angelangt. Wisset ihr, was morgen kommt? Es fiele euch sehr schwer zu sagen: 'Ach, immer seliger sind wir geworden,‘ weil ihr Mich nicht kränken wollt, das Frühere wäre eben nicht so gut gewesen wie das Spätere. Oh, Meine Gaben bleiben sich in Ewigkeiten gleich, wie ICH in Ewigkeiten stets der Gleiche bin und bleibe!

36. In Hinsicht der Entwicklung, um euch Mir anzugleichen, nicht Mir gleich zu werden, das ist streng zu unterscheiden: steigern sich die Gaben, richtiger die Fähigkeit, um aus einem kleinen Geist- und Seelen-Embryo ein reifes Kind zu werden, dahingehend, alle Gaben zu erkennen, aufzunehmen und lebensmäßig zu verwerten, soweit Ich Meinen Kindern das Gehege der Entwicklung schuf.

37. Diese Grenze ‒ sie ist vorhanden, weil sonst ein Geschöpf in sich zerfiel, hätte es die Grenzenlosigkeit, die ICH besitze ‒‚ ist von euch nicht auszuschöpfen, denn sie ist innerhalb der heiligen UR-Grenzenlosigkeit! Ihr sagt oft: '…von Ewigkeit zu Ewigkeit,' und es stimmt, weil eine Ewigkeit allein dem Werk als eine Zeit gegeben ward. In Mir ist eine solche im Vergleich für euch die Sekunde (deiner Zeit) eurer Erde, seitdem sie wurde und solang sie noch bestehen wird.

38. Unfaßbar für euch, und doch ist da ein leises Freuen, der Funke des Gefühls, das selig macht. Daraus ist mit zu entnehmen, wie aus Innerem (Mein) ein Äußeres (materielle und spirituelle Schöpfung) wurde und Ich in zugedeckter Vorschau sah, daß in der Entwicklung eines Kindes auch ein Abweg werden kann ‒ nicht ‚muß‘. Ein Muß setzte ja voraus, daß ICH es wollte, und niemand trüge eine Schuld, der auf solchen armen Abwegpfad geriet (die Verbindung der Materie).

39. Daß trotzdem es geschah, wisset ihr vom hingestürzten Kind (Sadhana) samt Anhang. Es fiel vom Innersten des Reichsgeheges, aus dem Vaterhaus. Es lief in seine Fremde. Da es nichts vom Lichtreich sich erhalten, alles aufgegeben hatte, ging es in die eigene Nacht hinaus. Demnach das Herrliche, der Inhalt der Erlösung, daß einmal seine Nacht vor Meinem Lichte fliehen muß.

40. Seiner Nacht gegenüber (Nacht-ur) stehen die gesegneten Nächte Meiner unbegrenzten Herrlichkeit. Deshalb ließ Ich Nächte für die Kinder werden ‒ auch im vorhinein, als Ruhezeiten, die es im Vaterhause gibt, nur nicht vergleichbar mit den Nächten der Materie. Immerhin ist's auch ein Spiegelbild.

41. Gute Menschen ruhen sanft in einer Nacht, böse werden hin und her geworfen. Das Üble ihrer Seele lastet schwer auf dem Gemüt. So auch sind die Unterschiede einer heilig-guten Nacht und jener, die das Fallkind eingehandelt hatte. Also ist es bloß in seiner Nacht noch anzusprechen.

42. Den Kindern zu dem hohen Zeichen, wie die Erlösung werden sollte, vom Gnadenreichtum Meines Herzens, wählte Ich, solang das eine ferne steht, die Nächte der Materie, um Auftakte herzustellen, aus dem Innersten die Herrlichkeit hinauszutragen, damit alle Meiner Wunder innewerden, die Ich tue, so und so, wie es Meinen Kindern dienlich ist.

Wunder sind Meine Tatsachen!

43. Auch beim letzten (Luzifer) für den Schlußstein wird die Nacht gewählt, in der ein Kind aus Meiner Liebe wird! Hier!", eine Hand zeigt auf den Boden, "…wenn die Zeit gekommen ist, und es tagt im armen Kind, dem Hauptschuldner aller Schulden, dann wird das Kind der Liebe sich als Menschensohn mit jenen Worten offenbaren:

«Es ist vollbracht!»

44. Aber merkt: wie lang ein Weg vom Licht ins Dunkel war, so lang währt er zurück! Ob Meine Gnade und Erbarmung manche Zeit zu kürzen weiß, sei der Zukunft überlassen. Ihr versteht, weshalb Ich einen Akt und nachts die Gnadenworte euch zu wissen gab, warum der Dunkle draußen steht, außerhalb des Gnaden-Ortes, jedoch außerhalb der GNADE nicht! Wenn das, so stünde er nicht dort, könnte trotz der Abwehr es nicht spüren, was er spürt. Ja, er merkt das Doppelte der (die?) Nacht: seine eigene und die der Welt.

45. Nun habt ihr viel gehört, und jene mit, die durch die Materie mit glaubensvollen Herzen, mit der Treue, Liebe und der Wahrheit wandern. Mein Segen spannt sich wie ein Bogen über alles, was da LEBEN heißt. Ihr seht die Regenbogen als ein Wunder der Natur, die das Zeichen Meines Bundes und der Gnade sind. Ihr könnt sie sehen, wo aber ihre Enden sind, das seht ihr nicht. So unerschöpflich ist das Wunder Meiner Gnade!!

46. Noch sei euch gesagt, daß das Gespräch am Abend richtig war und von Mir gesegnet. Ihr ruht in Meiner Hand. Gesegnet sollt ihr sein und beim nächsten Gang vom Ende der Erlösung etwas wissen. Mit euch gesegnet ist das ganze Kindervolk, auch die Armen, auch die Fernen. Friede sei mit euch!"

*

47. Stille. So hehr, wie Sterne ihre hohen Bahnen ziehen, friedlich nieder leuchten, manches Herz zu trösten wissen, so wundersam ist's in der Grotte. Die Gestalt enteilt und ist doch da, ungesehen. Ja, sie wartet, helfend alle Gnadenlast zu schleppen, bis die Menschen aus des Lichtes Bahn erwachen, zurück zu ihrer Welt gefunden haben, auf der sie ja noch leben müssen. Da sehen sie den Führer-Engel, als hätte er sie nie verlassen.

48. "Kommt! Euer Fuß verläßt die Stätte, euere Herzen nicht. Noch seid ihr Menschen, die des Schlafs bedürfen für gar manchen Tag der Plage; aber jene Freude, die Gottes Gnade euch beschert, die hört nimmer auf, wie ewig nicht die Gottesherrlichkeit vergeht. Immer wird sie bei euch sein."

49. Unendlich sanft berührt der Engel jeden einzelnen. Sie erwachen, ohne wirklich wach zu werden. Was gilt ihnen ihre arme Welt?, das Getriebe, das die Menschen sich erdenken, um sehr groß zu sein? Sie glaubten, hatten sich GOTT anvertraut, und nun ist es ihnen, als wären sie erst jetzt zu Ihm gelangt, wären frei von allem, was die Welt so niederdrücken kann.

50. Sie merken nicht, wie sie aus 'Gottes Grotte' gehen, am kargen Fels vorbei, auf dem der Dunkle stand, beinah zaghaft, aber mit der Bitte: 'Vater, führe dieses (dies?) Kind zurück!' Der Engel lächelt, und als sie an Naemis Türe angekommen sind, ist er verschwunden.

*

51. Ferne Röte kündet einen neuen Tag. Es ist keiner fähig, über das ‚Geheime Wort‘ zu sprechen. Man muß es im Gemüt bedenken, man sagt 'überschlafen'. Nein ‒ 'überwachen', das Heil in sich verschließen. Kein Weltlicher darf rauben, was ihnen als ein heiliges Geschenk zuteil geworden ist. Vorausgesagt ‒ bis an ihres Erdenlebens Ende hat es keiner je verloren.

52. Boas bittet Fürst Pereztha in sein Haus. "Den engsten Freunden könnten wir die Nacht berichten." / "Das denk' ich auch; was aber kann man sagen? Sind unsere Worte nicht zu arm, zu seicht, um ‒ ach, ich finde keine Worte!"

53. Isremia tröstet, der mit Heleana noch bei Boas wohnt. "Gott sprach in unserer Sprache, jedes Wort konnten wir verstehen. So bin ich gewiß, daß Er uns zur rechten Zeit die rechten Worte gibt, damit die Freunde auch die Gnade haben."

54. "Gewiß", gibt Pereztha zu. "Aber wenn wir bringen, was uns widerfahren ist, werden sie betrübt und nicht ganz ohne Recht uns fragen. 'Weshalb hat der Herr uns nicht mit hingeführt, nicht gerufen, um das Herrliche selber zu erleben?' Das bedrückt mich um der Treue willen, die sie uns, besonders mir in meinem Amt bewahren."

55. "Daran hab' ich nicht gedacht", bekennt Boas. "Doch das Heilige für sich allein behalten? Wie soll man sich entscheiden?" "Fragen wir Naemi", meint der Fürst, "was sie ratet, soll geschehen."

 

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Kap. 21

Ja, es war Gott! Die heilige Nacht

 Eine Fahrt nach Silo zur Bundeslade – Der Traum des Jorah

1. Man ist noch wie benommen von dem WORT, von der geweihten Stätte, Oft sieht man sich nur an und weiß nicht was man sagen soll. Bevor der Fürst ins Amt zu reiten hat, fragt er erst Naemi, ob und was er ihren Freunden künden soll. Die Freude ist zu groß, die kann man nicht für sich behalten.

2. Naemi holt sich einen Rat, nicht den eigenen. Sagt sie endlich: "Fühle vor, weihe Herias, Selemech, Laban und Anacarias ein, der sich mit uns ohne Frage freuen wird: 'Warum wir denn nicht?' Und er (ER?) hilft, die Frage zu vermeiden. Führt uns der Herr, so kommen wir in Kürze hin und können dann darüber sprechen."

3. "Dein Rat ist gut." Der Fürst drückt die alten Hände. / "Mein Rat?" lächelt sie. Da weiß er, was sie meint. / Nach dem Tagwerk, setzt man sich am Abend in den Innenhof und nun lösen sich die Zungen. Ruth hat wörtlich viel behalten, so daß Heleana sagt: "Wenn ich das nur auch so könnte! Allein, den Sinn von allem habe ich gemerkt." "Ich auch!" ruft Orpa aus. "Es ist sicherlich das Wichtigste, wenn man das Erlebnis nie vergißt."

4. "Beides gut, das Wörtliche und der Sinn", lobt Isremia. "Ruth soll sagen, was sie weiß, das könnten wir den Freunden bringen." Boas steht rasch auf: "Ich hole Rollen und schreibe auf, was Ruth wiederholen kann."

5. "Seht, euere Sprache habe ich inzwischen gut gelernt", läßt sich Corusja wieder hören. "Wollt ihr mir eine gleiche Rolle schreiben? Ich glaube ‒ hm ‒ na ja…", ganz verlegen ist der liebe Heide, der so gläubig wurde, "…es wird die höchste Gabe sein, die ich mit in meine Heimat nehme. Denn das sag' ich euch: in der Grotte war ich winzig klein, ein Nichts geworden und hab' an mir herumgetastet, ob ich's bin, der das mit empfangen durfte." Er steht auf, geht hin und her und setzt sich wieder.

6. "Es war GOTT, der zu uns gesprochen hat, der Gott aller Menschen, der alles lenkt und leitet, bei dem es keine Unterschiede gibt ob Heide oder Israele, der allein das Herz besichtigt! Denn sonst ‒ hm, früher war ich gar nicht gut, hab' das nur von mir gedacht. Durch euch, ihr lieben Leute, durfte ich das Wunder mit erleben. Nie werde ich die Nacht vergessen!

7. Sagt ihr nicht zu manchem 'es ist heilig'? Diese Nacht war davon angefüllt. Spüren kann ich das, bloß deuten und …" / "Das genügt, du treuer Freund", sagt Naemi. "Wenn du das behältst, dann bewahrst du dir das Köstlichste von allem, was ein Mensch auf Erden je erleben kann. Wir auch!

8. Nimm das Fühlen mit nach Hause, deine Lieben werden es erkennen und ihr werdet selig sein. Da kannst du deine Strahlen senden. Wir tun gut, wenn wir bald den Fürst besuchen, hernach die Reise, Silo und ‒ Golgatha!" Das letzte Wort klingt wie ein Schluchzen, auch kennt man diesen Ausdruck nicht. Jene Höhe bei Jerusalem erhält erst später diesen Namen.

9. Golgatha? In die Seligkeit, die die 'Heilige Nacht' den Menschen gab, ist ein greller Blitz hinein gefahren. / "Was, o Naemi, bedeutet das?" Ruths Augen glänzen naß. / Da sagt die Alte leise: "Ich weiß es nicht, meine Tochter, ich hab' das Wort in mir gehört. Vielleicht erfahren wir es dort, wo Abraham sein größtes Opfer bringen wollte, was der Name zu bedeuten hat.

10. Seid nicht traurig, meine Lieben! Denken wir an diese Nacht, die Corusja richtig 'heilig' nannte. Heilig soll sie für uns bleiben. Unserm Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit sei Preis und Ehre, Lob und Dank in Ehrfurcht, Liebe und in Anbetung für immer dargebracht." Gemeinsam spricht man ein Gebet. ‒ Dann folgt wieder mal die Welt.

11. Am nächsten Tage kommt aus Griechenland der Schimmel an. Es ist ein Erlebnis, zwar ein kleines Irdisches, als Isremia das Geschenk Corusja übergibt, im Hof. "Oh!" Mehr weiß dieser vorerst nicht zu sagen. / Alles läuft herzu, Knecht und Magd. Das Pferd schnaubt und tänzelt, doch der Lenker, der auf einem Braunen saß, weiß mit ihm umzugehen. "Bedenkt", sagt er, "unser Weg war weit, auch Tiere müssen sich erst eingewöhnen. Morgen reite ich es zu, dann kannst du getrost und unbeschadet in den Sattel steigen." Dabei verneigt der Mann sich vor Corusja tief.

12. "Am liebsten gleich." / "Lieber nicht", warnt der Grieche. "Laß dem Tier erst eine Ruhe und die Nacht im fremden Stall." / "Der Stand ist neben meinem Viergespann, und da das selber Griechen sind", lacht Isremia, "hat er heimatliche Kameraden neben sich." / Heleana küßt ihren Mann. "Ach du, immer hast du solche Scherze, als ob …" / "Es stimmt", betont der Grieche. "Auch die Kreatur weiß es genau, was Freundschaft zu bedeuten hat ‒ unter sich und bei den Menschen."

13. "Bei den Herden weiden meistens mehrere beisammen", sagt Hanea, "dachte nur nicht drüber nach. Nun sehe ich das auch so an." / Corusja beschenkt den Griechen reich und dankt Isremia immer wieder. Ein kleiner Mannesstolz steigt in ihm auf. "Man wird sich wundern, wenn ich mit dem Renner angeritten komme. Ah ‒ sollen sie! Dem Herrscher gebe ich es nicht!" Die Sorge ist nicht unberechtigt, der streckt nach schönen Dingen gern die Hände aus.

14. "Ich gebe dir die Rolle mit, daß du das Pferd nicht weitergeben darfst, sonst hole ich's zurück. So zu deinem Schutz", beruhigt Isremia. / "Aha, du hast immer einen besten Rat!" Wenn auch über das Ereignis Freude herrscht, steht dennoch ihre 'Heilige Nacht' allein im Vordergrund; und am Abend, wie alle Tage, gibt es kein anderes Gespräch als das von Gottes offenbarter Herrlichkeit.

*

15. Nun sind sie Gäste bei Pereztha. Sein Diener, ein pfiffiger Kerl, weist Bittsteller ab. "Tut mir leid", sagt er freundlich, "kommt morgen wieder. Der Fürst hat Besuch. Einmal muß er neben seiner Müh und Plage eine Freude haben. Bitte, gönnt sie ihm." Dabei öffnet er des Hauses Tür nach außen.

16. Anacarias, Herias, Selemech und Laban sind zugegen. Erst wird von vielerlei geredet, man fällt nicht mit der Tür ins Haus; auch will Pereztha warten, ob die Freunde selber fragen. Er hatte bloß die 'schöne Nacht' erwähnt, wobei Laban sagte: 'In Bethlehem erlebt man immer etwas Schönes.' Man dachte an die Engel. Der Oberpriester hatte nichts gesagt. Freilich war das mit den Engeln wunderbar, sie sind als Boten Gottes Dessen Stimme. Er aber hatte aus Perezthas Blick gelesen: 'Es war mehr!' Was ‒ würde man erfahren. Nun stellt er die Frage:

17. "Als du kürzlich aus der uns lieben Stätte wiederkamst, sah dein Gesicht ganz anders aus, als üblich ist. Was geschah denn in der 'schönen Nacht'? Ich meine, jetzt kannst du die Zügel locker lassen und berichten, was geschehen war. Wir Jerusalemer dürfen sicher Näheres erfahren. Oder nicht?"

18. "Ihr sollt heute alles wissen, darum bat ich euch zu mir, wenn unsere Bethlehemer, denen ich die Nacht und ihre Herrlichkeiten zu verdanken habe, bei mir wären. Darüber wird Naemi reden können und ich bitte sie darum." / "Nicht ich allein, denn was jeder für sich selbst empfunden hat, kann er selbst am besten wiedergeben." wehrt sie bescheiden ab.

19. Sagt gleich Corusja stolz: "Ich nannte sie die 'Heilige Nacht'. Bitte…", winkt er Pereztha zu, "…war sie denn nicht heilig?" / "Ja, und es freute mich, daß gerade du zur richtigen Benennung kamst: eine ‒ die Heilige Nacht!"

20. Man staunt. Boas holt eine Rolle vor und liest, was Ruth behalten hatte. "Das ist ja wörtlich!" ruft der Fürst. "O Ruth, wie ist es möglich, daß du das kannst?" / "Ich weiß nicht", erwidert sie, leicht errötend, "unser Engel ‒ denn bloß dem Gedächtnis nach ‒" Sie macht eine fragende Bewegung.

21. Anacarias streichelt ihren dunklen Scheitel. "Wenn ihr, die ihr diese Gnadennacht erleben durftet, es bestätigt, daß das Wörtliche so stimmt, dann ist es auch zu glauben. Nun ‒ ob Wort für Wort, ob aber nur dem Sinne nach, spielt für mich keine Rolle. Was nützt der Buchstabe ohne wahrem Sinn?

22. Wir kennen manches, was 'gesagt' worden ist. Und daran klammern sich die meisten und vergessen ganz, daß manches gar nicht wörtlich festzuhalten war. Nein! Man pocht darauf, und das Echte geht dabei verloren. So aber wollen wir nicht tun! Denn daß Gott Sich herrlich offenbarte und als LICHT erschien, das allein ist zu beachten, das wollen wir behalten."

23. "Das Geschriebene kann uns aber auch mit helfen", meint Selemech bedächtig. "Wenn man es immer wieder lesen kann, bleibt es besser haften als ein Stützpunkt der Gedanken." / "Auch meine Meinung", läßt Herias sich hören. "Frage: weshalb …" / "Laß dich bitte unterbrechen", hebt Anacarias eine Hand.

24. "Was du fragen willst, war auch mein Gedanke: ‚Warum bin ich nicht dabei gewesen?‘ Oh, ist es nötig, daß man stets zugegen ist, wenn der Herr ein Wunder tut? Es genügt die hohe Gnade, jetzt das Herrliche gehört zu und mir ist, als wäre ich dabei gewesen. Auch freut es mich, weil Pereztha es erleben durfte. Unser Bethlehem ist ein auserkorener Ort, bloß dort konnte es geschehen. Laßt uns dankbar sein, Selemech, Herias und Laban, denn auch wir sind in die Gnade eingeschlossen."

25. Jeder nickt und die Freude glänzt in aller Augen. – Laban lächelt vor sich hin und sagt: "Ich wollte gleichfalls fragen, unterdrückte aber das Bedenken, denn es war mir einfach ein echte Freude, daß dieses Heilige in Bethlehem geschah. Ganz bestimmt sind wir nicht ungesegnet."

26. "Keinesfalls", bestätigt Isremia. "Wer in tausend Jahren und noch später die Geschichte hört und freudig im Gemüt bewegt, dem ist es auch nicht anders, als würde er die Nacht im Augenblick erleben, so sich sein Herz daran erfreut."

27. "Eigenartig war", erzählt Naemi, "ich wußte nicht, was das Rufen gelten sollte: 'Kommet in die Grotte!' Ich kann's nicht deuten. Glaubt es nur, wir hatten alle Freunde mitgenommen, wir trugen sie in unsrer Liebe hin, und ich bin gewiß: eure Seelen und noch viele waren mit zugegen, wie der Herr es sprach: 'Viele ungesehen', und das nicht allein die Engel."

28. Herias seufzt. "Ich bin's nicht wert gewesen, sonst hätte mich der Herr gerufen." / "Herias!", mahnt Boas, "denkst du denn, nur wir von Bethlehem sind von Gott bevorzugt worden? Kommt es darauf an, o sage mir: welcher Mensch ist solcher Gnade selber würdig? Da ist keiner, höchstens Gottes liebe Große, die hohen Engel, oder wer schon auf der Welt Besonderes geleistet hat. Ich will bloß Abraham und Mose nennen, Josua und …" / "… die Richterin Debora", ergänzt der Oberpriester.

29. Der Abend naht, so viel hat man erzählt, sich ergänzt und manches mehr. / "Ihr bleibt, es ist zu spät, um heimzukehren." der Fürst meint die Bethlehemer / "Ich muß zum Dienst bei meinen Priestern sein", sagt Anacarias. Damals gab es nur ein Haus, die Synagoge, wo man Rat zu halten pflegte und darin dem Volke predigte. "Ich komme wieder, wartet nur a mich."

30. Es wird auch ein schöner Abend. Boas berichtet: "Naemi hat noch vor, eine Fahrt nach Silo und zum 'Beterhügel', wie wir den Ölberg nennen. Sie gab einen andern Namen an, doch werden wir die Wahrheit dort erfahren, was mit ihm und diesem Berg zusammen hängt. Wollen wir gemeinsam diese kleine Reise tun?, vielleicht besser in zwei Gruppen. Wir von Bethlehem und ihr von hier sollten uns zuerst in Silo treffen. Ihr wißt, leicht rennen viele Leute nach. Das soll sicher nicht geschehen."

31. "So ist's, mein Sohn," Naemi breitet ihre Hände aus, als ob sie eine Gabe sammeln oder weitergeben wollte. "Und", wieder sieht sie in die unbekannte Ferne, die es nicht auf Erden gibt, "in acht Tagen kommen wir nach Silo. Wir übernachten dort. Gott wird uns führen. Sein weiser Wille wird geschehen."

*

32. Man ist in Silo angekommen. Verwunderlich, weil Josua nicht nach Jerusalem die Bundeslade bringen ließ, nicht Juda, sondern Ephraim erwählte. Gewiß, Silo liegt zentraler für die Stämme, die sich am Jordan weitgedehnt verbreiteten; aber das nur wird es nicht gewesen sein. Dem muß etwas Geistiges zugrunde liegen.

33. Man spricht darüber, als man im kleinen Herbergshaus die Nacht verbringt. Sie sind die einzigen Gäste und ungestört. Der Wirt ist beflissen, der Pereztha viel zu danken hat. Er war auch von Beraba bestohlen worden. Nun hat er das Verlorene zurückerlangt und er stört die Gäste nicht.

34. Anacarias hat den Ältesten der Priesterdiener eingeladen. Gern war der gekommen, nicht nur wegen einer Abwechslung. Anacarias ist im Gebiet viel mehr beliebt als bei den Neidern in Jerusalem. Jetzt wird die Frage aufgeworfen, weshalb Josua das kleine Silo für das Heiligste des Volks bestimmte. Keine Kunde liegt darüber vor, man hat auch nicht darüber nachgedacht. Nun ist es anders, nun will man wissen: warum ‒ ‒

35. Der Älteste, namens Jorah, meldet sich zum Wort. "Ich dachte oft darüber nach, weil Silo diesen Ehrenplatz bekam. Vielleicht ist mein Bedenken nicht ganz recht, immerhin ‒ wir halten unsere Welt für groß, doch in einem Traum sah ich das Schöpfungsall; mir wurden meine Augen aufgetan. Große Sonnen, Sterne und die Vielzahl aller Himmelslichter, größte und auch kleinste wurden mir gezeigt, auch unsre Welt. Wie staunte ich, sie war beinah winzig klein gegenüber mancher ungeheurer Sterne.

36. Ich sprach weinend: ‚O weh, was ist sie denn im Himmelsraum? Ein Staubkorn, mehr doch nicht!‘ Da hörte ich die Stimme: 'Wähnst du, daß nur das Große vor dem Schöpfer gilt? Müßten dann die Menschen, auf die die Großen meist verächtlich blicken, gleichfalls vor dem Herrn nichts gelten? Wenn auch die großen Sonnen und die Sterne, die du niemals übersehen kannst, die Herrlichkeit des Schöpfers rühmen, so sieht Sein Auge nicht zuletzt aufs Kleinste und Geringste, ob ein Mensch, ob eine Welt, das bleibt sich gleich!

37. Ich zeige dir den Fall.' An mir zog das Bild vorbei. Sprach die Stimme weiter: 'Und wenn die Erbarmung Gottes hilft, was längst begonnen hat, bis einst der letzte Abschluß kommt, dann neigt Er Sich zum Niedrigsten herab, weil auf diese Weise alle in die Liebe der Erlösung einzuschließen sind.'

38. Gott geht durch Seine Himmelsräume und kehrt auch ein auf eurer Welt. Du weißt's vom Patriarchen und von anderen, wie oft Er kam. Wenn jedoch das Letzte der Erlösung für den ganzen Fall zu setzen ist, wird Er wie ein Mensch in zugedeckter Herrlichkeit, die Er niemals von Sich trennt, erscheinen. Nie begibt ER Sich der Hoheit Seiner Wesensherrlichkeit, auch wenn das Äußerliche der Gestalt dem Menschen gleicht ‒ gering und arm.

39. Ins Niedrigste steigt Er herab, um es ins Vaterhaus zurückzubringen. Dazu dient Ihm euere kleine Welt, die der euch unbekannte Mittelpunkt des Falles ist. 'Josua hat davon gewußt, doch er sollte das Geheimnis hüten. Er wählte auf Geheiß den kleinen Ort, und ins Kleine, was du noch erfährst, kommt Gott auf diese Welt. Natürlich bleibt des Reiches Herrlichkeit im Reich; doch die Strahlen fallen ins Unendliche, dessen Grenzen bloß der Schöpfer kennt und die für Ihn die Grenzenlosigkeit der Allmacht sind.'

40. Ich wachte ganz benommen auf, wollte alles niederschreiben, doch mir zitterte die Hand. Da fiel mir ein: ‚Josua sollte das Geheimnis hüten.‘ Es ist jetzt das erstemal, daß ich diesen Traum erzähle. Ich hörte in der letzten Nacht: 'Denen, die du morgen triffst, sollst du deinen Traum enthüllen. Sie werden ihn bewahren, weil sich erst das Werk des Höchsten offenbart. Später, wenn die Zeiten der Materie abgelaufen sind bis auf den letzten Rest, wird vieles und auch dein Traum enthüllt'."

41. Tief ergriffen hat man zugehört und keiner denkt: ‚Warum hat der kleine Diener das erlebt? Weshalb ich… wir… denn nicht?‘ Keinem steigt solch eine Frage auf. Das Herrliche allein nimmt vom Gemüt Besitz. / Sagt Anacarias nach einer Weile herzlich: "Jorah, willst du mit mir kommen? Dich möchte ich in meiner Nähe wissen, da hätte ich den Ehrlichsten von allen neben mir." Der Priester überlegt, wehrt jedoch bescheiden ab:

42. "Dank für die Ehre, Oberpriester, ich weiß sie sehr zu würdigen. Aber schau: mir ist das Dienen bei der Bundeslade, im Gezelt, das Mose einst errichtete, Josua ungefährdet hierher brachte, in mein Herz gewachsen. Kannst du mich verstehen, mir verzeihen?" "Nichts ist zu verzeihen und wie gut versteh' ich dich. Hier hast du einen Wahrheitstraum gehabt, hier bist du zu Hause. Doch von nun an werde ich noch öfters kommen, nicht bloß zu den Festlichkeiten, wo ich den Dienst verrichten muß.

43. Morgen kommen wir zur Bundeslade. Ich kann's bestimmen, wollen aber keinen Anstoß geben. Es könnte jedermann die Schau verlangen, den Vorhang wegzuschieben und hier einzutreten, wie das morgen mit den Freunden werden soll. Du bist der Amtsälteste, es darf dir keine Bürde werden, keiner darf da schimpfen: 'Du brichst das Recht, das Mose angeordnet hat!'

44. Sie vergessen: nicht bloß Mose stand in Gottes Hütte, auch Josua und mancher Fürst, sogar ein Knabe, wie wir wissen[14]. Es fiel kein Brand herab. Wie du im Traum erlebtest: das Kleinste sucht der Herr Sich aus, um Seiner ganzen Kinderschar im Himmel und auf Erden zu begegnen. Was schlägst du also vor?"

45. "Es trifft sich gut", erwidert Jorah. "Außendienst ist morgen, wo wir in die Orte gehen, das Wort zu lehren, Kranke zu betreuen. Ich bestimme, wer wohin zu gehen hat. So fällt nicht auf, bleibe ich am Ort, obendrein ‒ ich habe letzthin oft den Außendienst versehen. Es wird immer abgewechselt, jeder soll einmal zu Hause bleiben. Es geht aber jeder gern, unsere Leute sind gefällig und die Ephraimer haben eine offene Hand."

46. Anacarias lacht und Pereztha sagt: "Das ist schön, die Priester im Gebiet sind keine reichen Leute. Fällt eine Gabe ab, so ist's ganz recht. Da Gottes Hütte nicht inmitten Silo steht, fällt es auch nicht auf, wenn wir zu ihr kommen und außerdem nicht alle auf einmal. Zur Einhaltung des öffentlichen Rechts ist's besser, so wir keinen Anstoß geben.

47. "Richtig", bestätigt Anacarias. "Ich als Oberpriester kann die Hütte jederzeit betreten und komme morgen früh. Ich will die Brüder segnen, das heißt: nicht ich, sondern will den Segen sprechen, wie Gott dem Mose anbefahl: 'Der HERR segne dich!' Ihr andern kommt im kleinen Abstand nach."

*

48. Wundersame Dämmerung herrscht in Gottes Raum, den Er 'gestiftet' hat. Anacarias und Jorah stehen vor der Bundeslade, die andern bei der Vorhangtür. Gottes ATMA weht sie an, und nie noch waren Herzen mehr davon erfüllt als immer hier, an diesem Ort. Andachtsvolles Schweigen füllt das Gezelt. Corusja kniet sich nieder, als erster, so überwältigt ist er von der Bundeslade, die in ihrer Herrlichkeit erstrahlt. Und der Friede! Wer kann von ihm berichten? Bloß fühlen kann man ihn, im Herzen tief bewegen, mit Freudentränen danken, daß man 'das' erleben darf.

49. Bald knieen alle nieder. Anacarias hält ein feierliches Amt; er ist noch erschüttert von dem Traum, den Jorah hatte. Heute kommt ihm Gottes Hütte anders vor als sonst. Dabei sind vier Heiden unter uns, denkt er, die nie den Raum betreten dürften. Heiden ‒? Gottes Kinder! Naemi eine Seherin, Ruth ebenfalls. Und wie gläubig wurden sie, Corusja und die Orpa. Sie haben ja ein Recht, herzuzutreten, wie ‒ ja, wie vor Gottes liebes Angesicht.

*

50. Aller Augen sind genäßt. Erst auf dem Rückweg lösen sich die Zungen. "Das vergesse ich nie", sagt der Moabite, "ich nehme herrliche Geschenke mit, die inneren, meine ich, die…" – Er kann das nicht in Worte kleiden. Stumm drückt jeder seine Hand. Man kommt gegen Abend nach Jerusalem und es fällt nicht auf, denn Pereztha reitet öfter ins Gebiet, immer mit Begleitung. Man gönnt sich einen Ruhetag, erst dann will man zum Beterhügel gehen. Was werden sie daselbst erleben…

 

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Kap. 22

Auf Golgatha eine weitere Offenbarung über die Geburt Christi, über das Opfer, über die Erlösung der Gefallenen

1 . Kahler Fels, Geröll und Dorngestrüpp. Vergeblich sucht man, sich an einem Grün zu freuen. Das Trostlose gar nicht spürend, stehn die Freunde da, des Himmels Frieden weht sie wie ein Banner an. Man merkt den Kontrast; doch die Seelen, angeführt vom Geist, geben sich allein dem Frieden hin, von dem es einmal später heißt:

'Der Heilige Geist senkt sich herab.'

2. Man kennt nicht die Stelle, wo Abraham den Altar baute (Der Patriarch – Kap.21), seinen Liebling opfern wollte, vollstens hingegeben an den Willen des Allmächtigen und Ihn doch nicht in Seiner Herrlichkeit erfassend. Wenn an dem, alsdann hätte keine Trauer ihn berührt nicht wäre er erprobt als Träger hehren Ernstes.

3. O, der Fürst des Ernstes wollte, ohne Wissen, wer er war. Doch wie wenig Gott den 'andern' opfert, allein Sich Selbst, so wenig brauchte Abraham den Isaak zu opfern. Gott legte ihm den Sohn der Gnade wieder in den Arm. Das Herrliche des Opferwillens Gottes war noch ein Geheimnis, wenigen gesagt, bis die Zeit gekommen ist, wo das Höchste sich gestalten wird.

4. Noch ein paar Schritte tun sie, Naemi, Ruth und Boas, Isremia, Anacarias, Hanea, Heleana, Pereztha, Laban, Selemech, Herias, Jorah und Corusja. Dann bleiben alle stehn wie festgebannt. Nichts ist erst zu sehen, Oh! ‒ da ist es wieder, das Licht vom Grottenstall; es hebt sich vor dem Himmelsblau gestaltlich ab, ohne feste Form, dennoch deutlich wahrzunehmen.

5. Sie sinken nieder, die Häupter tief geneigt. Trotz der Seligkeit drückt etwas bang und schwer. Ein Schauer ist's, daß man weinen möchte, weil man ein Geschehen ahnt, ohne es zu kennen. Es ist jene unbestimmte Angst, die wie eine Warnung trifft: ‚Sieh dich vor, o Mensch, das Schicksal steht vor deiner Tür!‘

6. Da ist's, als strichen segensreiche Hände über ihre Häupter hin, als würden sie emporgehoben, so lind, ach es ist Gottes Hand, die dieses Wunder an den Menschen tut. Und sie schauen hoch, ins Licht hinein. Es blendet nicht und ist so stark, daß es des heißen Landes Sonne überstrahlt. Während sie noch schauen, wird ihr inneres Auge aufgetan. Es zeigt sich ihnen wie ein Ring, so daß die Opferstätte ihnen sichtbar wird.

7. Sie sehen jetzt die Opferung, wie der Mann gebückt und keuchend geht, das schwere Holz, Feuer und das Messer trägt. Der Knabe wankt unter einer kleinen Last. Und nun hören sie die Stimme, ihnen schon vertraut, dazu wieder herrlich neu, als sei es hier das erstemal, daß sie Gottes Wort vernehmen.

8. "Ihr Menschenkinder, willig seid ihr hergekommen und verlangend, Meine Stimme zu vernehmen. Was ihr heute hört und seht, sollt ihr ebenso in euch bewahren wie das Wort im Grottenstall und wie Jorah's Traum. Hie und da wird ein Mir ganz geöffnetes Herz davon erfahren, sonst aber bleibe alles zugedeckt, bis das euch Gezeigte ‒ und das nicht allein für euch, sondern des verlorenen Kindes wegen ‒ sich in Wirklichkeit erfüllt.

9. Nach dem Geschehen wird das Heiligste enthüllt. Würdet ihr als Menschen darauf warten müssen, fragtet ihr entsetzt: ‚Herr, so lang?‘ Einst jedoch im Lichte lebend, hat die Zeit für euch ein anderes Gewicht. Aber erst sei das gezeigte Bild erklärt, ehe ihr Mein Wort von dieser Stätte hören sollt.

10. Wie einsam diese Höhe ist, so einsam können Menschen sein. Und wie karg der Hügel, so karg die Seele, die nichts als materielle Steine sammelt. Ich meine nicht das Felsgestein der Welt. Doch mag jemand sich verhärten, nichts von Meinem Frieden weiß, ist derselbe doch vorhanden, weil ohne dieses für ihn freilich ungeahnte Wehen er sein Leben nicht erhalten kann, nicht nur jenes der Materie, sondern auch das Leben für die Ewigkeit gemeint.

11. Ihr habt oft zweierlei erfahren: Licht und Dunkel in und bei den Menschen, Klarheit und Verwirrung, gütiges Verstehen mit des andern Not, und Bosheit, die sich selber keine Grenze setzt. Das ist auch das Zeichen von der kargen Felsenhöhe, die ihr 'Beterhügel' nennt und wisset nicht, wie das Wort entstanden ist, auch noch nicht die Hoheit Meines Friedens kennt, die euch überkommen ist.

12. Das gleiche Bild betrifft den Mann, den Sie geistig gesehen haben, wie er mit schwerem Gewicht hierher kam und auf jeden Fall den Jungen besorgt führte. So ging Abraham, der Träger Meiner Ernsthaftigkeit, hier an diesem Ort, wo du sein kannst – und ich bin in deiner Mitte. Er, das Symbol für Mich, weil Ich seitdem für alle, die vor dem Licht geflohen sind, gewandelt bin, und einmal hierher kommen werde, wie Abraham kam, nur wieder mit dem Unterschied, dass Ich das Opfer tragen werde, ... ICH selbst!

13. Der Knabe mit der kleinen Last ist Symbol für alle treuen und die ungetreuen Kinder. Die Treuen bringen ja ihr Opfer dar, von dem Ich dann das Letzte nehme, wie Ich als Zeichen der Barmherzigkeit auch Abraham das Bitterste genommen habe. Die Ungetreuen lassen sich nur ohne Wissen führen, wie einst Isaak ‒ nicht wissend, was mit ihm geschah ‒ sich von seinem Vater führen, ziehen ließ.

14. So ziehe, erziehe Ich die Hingestürzten mit den ach so kleinen Lasten, die untragbar erscheinen, wie es Isaak erging, so daß sein Vater bei dem schwersten Stieg des Knaben Bürde auch noch trug. Das tue ICH für jedes Kind, weil manches, von der Materie aufgebürdet, einer Seele schaden kann. O, Ich weiß das rechte Maß, auch für des Lichtes Kinder, die die Menschen auf dem Wanderweg begleiten.

15. Ja, sie bitten Mich: ‚Vater, hilf dem mir anvertrauten Kind, ihre Weltlast ist zu schwer!‘ ‒ Sie schleppen und erleichtern, denn auch das ist Opferdienst: bei einem Menschen auszuharren, weil in dieser gleichen Zeit sie nicht im Lichte sind. Mitunter kommen sie, nämlich dann, wo sie böse Menschen leiten. Und glaubt: das ist nicht leicht für sie. Verständlich, daß sie stets im Vaterhause wohnen möchten, frei vom Ort der Dunkelheit, wo der Fürst der Welt regiert. Doch sie harren aus, wie Abraham hierher zur Opferstätte stieg, um hier das Letzte ‒ zwar mit schwerem Sinn ‒ erfüllen wollte.

16. Das gleiche, nicht bloß im Symbol, trägt jeder Wanderer durch die Materie in sich: hell und dunkel, Gottesferne, Gottesnähe! Obwohl zugedeckt das Wissen um die Herkunft ihres Geistes, ist ein feines Ahnen bei den Treuen doch vorhanden: 'Wir sind nicht von dieser Welt!' (Joh. 15,19). Aber eben diese Welt muß auch in ihnen wirken, wie könnten sie sonst 'Träger einer Opferliebe' sein?

17. Kein Zwang ist dieses 'Muß'; es ist Mein 'Heilsverfahren', mit dem die ungeheure Schöpfungswunde auszuheilen ist. Willig haben einst die Ersten ihre schon erworbene Kindschaft Mir zurückgegeben, mitzuhelfen, was zurück zu schleppen war: das abgeirrte Kind samt seiner traurig schweren Schleppe.

18. Merkt auf: ohne Rückgabe ihrer Kindschaft wäre solch ein Opferweg nur halb gewertet worden. Das durften sie jedoch nicht wissen. Für Mich ist und bleibt ein jeder Opfergang ein ganzer; doch die Dunklen wären Mir im Ohr gelegen: 'Kommen sie mit ihrer ganzen Lichtkraft zur Materie, dann ist es wohl kein Wunder, wenn sie treu und gut verbleiben können!' (Hiob. 1,10-11; 2,4-5).

19. Um diese Lästerei zu unterbinden, ehe sie geschah, und das zum Heil der Dunklen, nahm Ich einst die Kindschaft wieder an und verwahrte sie in Meiner Lade, im Heiligen Herd vom Sanktuarium. Also mag er lästern, der sich abgewendet hat und ahnt es nicht, daß ICH Mich nicht von ihm gewendet habe! Von keinem Kind, und stellte es sich allzu fern von Mir! Meine NÄHE ganz allein erhält das Leben, das geistige, Meine Kinder. Das irdische ist vergänglich als ein Zeichen, daß der Widerpart nicht ewig währt.

Ewig, währt allein Mein Leben!

20. Nichts geschieht, was nicht Ich ‒ geheim und offen ‒ mit Meiner Willensherrschaft führe. Ich weiß, was jedem Kinde gut und nützlich ist. Auch die schwerste Bürde der Materie hat ihr Gutes, obgleich der Mensch es meistens nicht versteht. Und wo nicht aus Ungeduld gejammert wird, nicht aus Bosheit jemand Böses tut, da greift Mein Heilsverfahren sofort ein; nur merkt der Mensch es nicht sogleich. Wo Ungeduld und Bosheit herrschen, bleibt zwar Meine Hilfe auch nicht aus; denn die seelisch Kranken und Verkrüppelten brauchen ja erst recht die Hilfsarznei, die bitter schmeckt, zuerst, bis sie zur Erkenntnis kommen.

21. Bei den Ärgsten kommt sie auf der Erde selten vor; meist erst im Jenseits wachen sie dann auf, obendrein durch eine Extrahilfe. Was aber ist für Mich die Zeit, die ein Mensch empfindet?, oder eine arme Seele? In nichts vergleichbar ist sie

Meiner Zeit in der UR-Ewigkeit!

22. Nun sollt ihr noch erfahren, warum Ich euch auf diesen Beterhügel rief. Aus der heiligsanften Nacht, im Grottenstall erlebt, wie aus dem Innersten des Geistes in das Licht geführt, so erlebt ihr nun bei Tag die Heiligkeit an diesem Ort. Denn so und niemals anders setze Ich den 'Schlußstein der Erlösung' hier auf dieser Welt, dem Sammelpunkt der Finsternis, und hier an diesem Platz!

23. Zuerst in wundersamer Nacht komme Ich herab, ein KIND, um allen Kindern Meine Hilfe darzubringen. Und wie daselbst der Dunkle auf dem kahlen Felsen stand, vor der Grotte, genauso wird Mein Kommen unerkannt und dunkel sein. Bloß wenigen wird es sogleich bewußt. Allein ‒ es ist zu offenbaren, was erst geheim geschah, wie sonst sollte sich der Fall erlösen lassen? So trete Ich hervor, wie ein Mensch und menschlich lebend, dann hell zu schauen. Hernach gehe Ich auf diesen Hügel. – Was werde Ich da tun?

24. In voller Schwere läßt es sich jetzt nicht verkünden, ihr würdet bis zu eurem Leibestode bangend fragen: 'Warum, o Herr, warum?' Es kommt hinzu: Ich verschließe für das Schöpfungskind die volle Schau, aber weil Ich für Mich gar nichts zu verschließen brauche, unverhüllt in Meiner Schöpfer-Herrlichkeit verbleibt, darum wird das eine und das andere mitunter aufgetan, stets gesteigert mit dem Fortschritt des gesamten Kindervolks.

25. Nichts geht bei Mir verloren, nichts bleibt ewig fern von Mir! Was aber in gewisser Hinsicht frei geschieht, in der Freiheit, die Ich Meinen Kindern zugebilligt habe als ein Anteil Meiner eigenen Tat-Freiheit, also werden alle Dinge, die für den Entwicklungsweg der Kinder vorgesehen sind, allmählich offenbart, auch in Hinsicht, dem verirrten Kind das Leben zu erhalten.

26. Das wäre aber wie ein Tod, hätte es vom Anfang seines Falles an gesehen, was sein Abweg zeitigte. Um es zu erhalten, jedes Kind, denn durch den Fall sind allesamt belastet, die Mühseligen aus sich selbst, die Beladenen, die sich willig aufgeopfert haben, deshalb wird nur wenigen Beladenen, den Treuen, eines um das andere in der Zeit gezeigt, die Ich der Erlösung gab.

27. Auch ihr sollt etwas hören und dabei bedenken: nicht euch zur Last, sondern guten Herzens für den Abfall niemals klagt: 'Warum, o Herr, warum?' Das, Kinder, wird für jeden Weltenwanderer in vollem Umfang erst erkannt, gelangen sie zurück ins Vaterhaus, das Ich Meinem Volk gestiftet habe. Ich wiederhole also Meine Frage: 'Was werde Ich hier tun?'

28. Erst weise ich auf die Bezeichnung 'Beterhügel' hin, sie stammt nicht von Abraham. Später hat der treue Priester Ithamar (4.Mo.3,2) den Namen aufgebracht und manches aus der Schau erkannt: ‚Abraham hat hier gerungen und Sein Leben aufgeopfert. Sein Geist hat unentwegt gebetet, seine Seele rang im wahren Todeskampf.' Isaak zu opfern war ein Kampf für Luzifer, um ihm zu zeigen: 'Sieh, das tut GOTT für dich, wenn ‒' Auf dieses 'Wenn' kommt's an!

29. War es denn nicht möglich, daß Satan zur Erkenntnis kam, aus der Opferwilligkeit des Fürsten Meines Ernstes angerührt!? Konnte er sich etwa nicht schon jetzt oder späterhin durch viele Anrührungen wenden? Oh, es ist gut, daß kein Kind es weiß, und es bleibt in Mir zum Segensheil verschlossen, bis der Schlußstein der Erlösungstat zu setzen ist. Nur kleine Strahlen davon fallen ab und zu herab, für treue Kinder. Heute auch.

30. Angerührt wird Satan oft. Er kann sich nie dagegen wehren, nie die Augen schließen, er ist als erstes Kind an Mich gebunden. Alle Kinder! Nicht willkürlich, nie durch Meine Schöpfermacht, wohl aber dadurch, daß Ich als Schöpfer sie erschuf. Ein Werk bleibt immerdar im Schöpfer haften, auch wenn es durch die Schaffung aus Ihm, von IHM ging, hinausgestellt zur eigenen Persönlichkeit.

31. Das geschieht im kleinen Maßstab auch bei Menschen. Ein Gedanke wird gestaltet und erhält die Form, mindestens bei denen, die nicht nur denken, sondern tun! Steht dann das Geschaffene da, so freut der kleine Schaffer sich. Aber was gediehen war, bleibt trotzdem in ihm haften. Wer sein Werk verkauft und es wird fortgebracht, bleibt das 'Anbild' doch in ihm bestehen.

32. Ebenso, allerdings in unvergleichlich hohem Sinn, sind Meine Werke immer bei und in Mir selbst, auch wenn sie die Gestalt bekommen, wie die Lebenskinder selbst lebendig sind. Aber daß sie wurden, erst in Mir als werkgeschaffene Herrlichkeit, das bleibt unverrückbar ewiglich in Mir bestehen! Auf diese Weise ist jedes Kind an Mich gebunden.

33. Es wird daher zeitlich manches offenbart, wie Mir es wohlgefällt. Und Mir gefällt, was Meiner Edelschaffung dienlich ist. Wie also sollte nicht auch Satan eingeschlossen sein in alles, was Ich tue? Hat er sich zwar ausgeschlossen, so nur für eine Zeit, die Ich aus Erbarmung ihm bewillige und auch bloß dergestalt, daß er meint, er wäre von Mir frei.

34. Das Gefühl darf er und seine Schar behalten, bis ein jedes sich erlösen läßt oder ganz geheim, was die geschöpflich kleine Freiheit nicht berührt, auf einen Umkehrweg zu bringen sind, dem die Rückkehr angeschlossen wird. Das kann mit jedem seiner Schar geschehen, nicht jedoch mit ihm! Satan, einst das schöne Schöpfungskind, wendete sich selber ab, seine Scharen aber sind verführt ‒ von ihm.

35. So begegne Ich ihm immer wieder, auch wenn er Mich nicht sehen kann ‒ zu seinem Heil. Was Ich Meinen Opferkindern offenbare, hier auf dieser Welt und anderwärts im ganzen Schöpfungsall, das ist die 'Begegnung', der er niemals auszuweichen weiß[15]. Anstoßpunkte sind's! Sie hinterlassen in der Seele Satans Wunden, die ihn quälen. Das wird ihm nicht erspart! Er hat Meinem Werk ‒ nicht Mir, denn das kann nie geschehen ‒ schlimme Schmerzen zugefügt, deshalb muß er diese spüren.

36. Wenn ICH einst die größten Schmerzen auf Mich nehme, um alles Schöpfungsweh zu heilen, dann muß sich Satan beugen. Er tut es absolut nicht gleich; aber wenn in ihm das Feuer brennt, Mein OPFER, das das Erlösungswerk besiegelt, dann wird er niedersinken (siehe "Golgatha" den dritten Meilenstein), wird er sich unter Meinen Opferwillen beugen!

37. Ihr fragt: ‚Wenn er hier zugegen ist, wie vor der Grotte, müßte er sich jetzt nicht wenden?‘ Er ist nicht da, Ich habe ihm den Weg verlegt. Doch was jetzt geschieht, hier auf Meinem Beterhügel, ist ein ungeheurer Segensstrahl, der durch die ganze Schöpfung läuft und alle trifft, die sich im Opferdienst bewähren. Das ist eine Saat, die Ich in den Boden Meiner Werke streue. Zur rechten Zeit wird sie immer keimen, hie und da und überall, wie Ich es hebend vorbereitet habe.

38. Ihr habt im Bild den Abraham gesehen, beladen mit der Last der Opferung. Es sei euch noch ein Bild gezeigt, dem des Fürsten Meines Ernstes gleich, allein unendlich heiliger und ‒ schwerer, bis ihr erkennt, um was es geht, was 'ICH hier tue'!

39. Schreckt nicht zurück, denn auch das gehört zur Saat wie all die Dinge, die zur Umkehr Satans zubereitet sind. Damit ihr es genau erkennt, werde Ich zu dieser Bildschau sprechen, auf daß Ihr Meine Stimme hört und die Schau ertragen könnt. Den kleinen Opfer-Anteil tragt ihr für den Fall, und jeden Anteil eines jeden Kindes schließe Ich in Meine Haupterlösung ein.

40. Seht ihr die Gestalt, von der Meute roh umgeben? Das Ärgste ist bedeckt. Das aber sehet ihr: neben der Gestalt geht kein Kind, das zu opfern wäre; sondern der da wankt, ist GOTT, der Hohepriester, der Abraham begegnet war und Sich Selbst zum Opfer gibt! Hier, wo einst der Feuerstoß errichtet ward, steht ein sonderbarer Altarherd. Ihr sollt ihn ja nicht anders sehen, nicht so, wie er zu jener Zeit ein Schandpfahl ist (das Kreuz).

41. Ihr erschauert, ja, …ihr weint, ihr seid zutiefst gebeugt, weil ihr spürt: das ist GOTT, der bei uns ist! Das… oh, …das tut Er auch für uns! Es ist Blut, das von der Stelle rinnt, wo die Gestalt sich selber auf den Opfertisch begibt. Es könnte niemand eine Hand erheben wider Ihn (Joh.10,11) der wie ein Opferlamm sich beugt! Niemand kann Ihn dazu zwingen! Es sieht nur so aus, äußerlich wird es so sein, als ob die Meute ihre bösen Spiele treiben könne, Mit IHM, der Sich ‒ dem Anschein nach ‒ nicht wehren kann.

42. Ihr seht, wie aus der Gestalt ein Lichtstrahl dringt, unfaßbar in seiner Heiligkeit, in der Macht des Schöpferwillens, wie sie selbst vollbringt, was dem Anschein nach die Meute tut. Was geschieht, die große Opferung, sei nicht gezeigt; denn sogar in Bilde würde ‒ müßte Satanas es sehen und stunde er am Ende einer Schöpfung ganz allein, auf seinem Platz.

43. Auch ihr, nicht allein ihr wenigen auf Meinem Beterhügel, nein ‒ alle die Getreuen, im Licht, im ganzen Weltenrund, würden dieses Opfer sehen. Noch ist, um Satans willen dieses Letzte aus der Löse voll gedeckt; Ich habe es sogar für MICH bedeckt, auch wenn Ich es in Meinem UR-Sein weiß!

44. Eingeschlossen ist das ganze Volk, weil Mir alles angehört. Ich habe Satanas es überlassen, vorher seine Umkehr zu bedenken. Tut er es, ist Mein Schöpfer dennoch ganz das gleiche, wie jenes, das noch werden kann. Denn Meinen freiherrlichen Willen, die erste Regung Meines UR-Impulses, hinter Meine Ordnung abgestellt, war der Inbegriff der Opfer-Tat im Tat-UR-Jahr[16], ehe für die Kinder dessen Morgenrot erschien.

45. Jetzt verschwimmt für euch das Bild, der Hohe, der mitten unter dieser Meute so erhaben stand, unantastbar Seine Göttlichkeit. Nur die äußere Gestalt, selbst sich hingegeben, war von der Finsternis umringt. Es genügt, daß ihr das Letzte spürt, und da noch streichen Meine Hände drüber hin und ‒ ihr seid frei!

46. Noch sei erklärt: der Unterschied von Nacht und Tag. Aus Meiner Unerforschlichkeit, dem unzugänglichen Licht, kam Ich heraus, um denen, die Meine 'Edelschaffung' werden sollten, vom Anfang ihres Lebens an in väterlicher Liebe zu begegnen. Wenn nicht, wäre Meine Kinder-Schaffung ohne jeden Sinn! Dann hätte Ich sie als ein Embryo in Mir behalten können, mit dem Ich in der Freude Meines Herzens auch vertraut verkehren konnte, Ich mit ihm, es aber nicht mit Mir!

47. Ich schöpfte Meine Werke aus dem Quell der Mitternacht[17] den kein Kind im Tagbewußtsein sehen kann, weil mit ihm der unzugängliche Lichtanteil verbunden ist, der urewig MIR allein gehört! Aus der tiefsten wunderbarsten, fürwahr königlichen Stelle, nahm Ich Meine Kinder in den väterlichen Schoß. Und es wurde für euch Tag, jene Tätigkeit, das Tat-UR-Jahr, wenn mit seinem frühesten Beginn auch nicht das selbstbewußte Leben hergegeben ward.

48. Das zeigte Ich euch mit der Offenbarung in der Grotte und hier an diesem Ort. Nacht und Tag, das Geheime und Enthüllte. Das bezieht sich schon auf jene ungeheuren Werke, die vor dem Tat-UR-Jahr die 'schöpferische Zeit' ergaben. Die braucht kein Kind zur Seligkeit zu kennen. Selig seid ihr bloß im Leben, von Mir empfangen, allein im Glauben, in der Liebe, im Bewußtsein, daß Ich der Schöpfer-Vater bin und ihr Mein Kindervolk.

49. Alles das ist ein Dual, wie die zwei Füße Meines Fundamentes, das innere und äußere Kraftbewußtsein, für euch so gesagt:

Der Schöpfer und das Werk, der Vater und das Kind!

Ich gebe so den Kindern einen Anteil an den Taten, die ICH tue! Ich im Fundament und selbst das Fundament, Meine Kinder immer darauf stehend und vom 'im' stets herzensmäßig eingehegt.

50. Man wird ja einmal sagen, Ich hätte einen Sohn gesandt, der an Meiner Statt den Opferweg zu gehen hätte. Frage: ‚Welchen sollte Ich denn senden?‘ Da Meine Kinder Söhne und die Töchter sind, Ich nie bloß einen Sohn besitze, wäre einer auszuwählen. Sollte Ich als GOTT Mich hinter einem Sohn verbergen, wenn ICH SELBST den Opferweg begehen kann, am besten, und… für alle?

51. Behaltet das in euch, bis ans Ende eures Erdenlebens: ‚Allein der HERR, der über jeder Schöpfung thront, kann alles tun, ausnahmslos!‘ Ich hatte euch die Engel zugesandt, die im argen weltlich Irdischen geholfen haben; aber Meines Lichtes Wort und Offenbarung brachte Ich euch selbst!

52. Wohl ‒ auch die Engel, ob sie schon den Beihilfsweg gegangen sind oder erst noch gehen werden, können Meine Lehre bringen, dazu Meine Hilfe, die die Weltenwanderer benötigen. Wo es aber um das Höchste geht, stehe ICH voran! Sende Ich die Boten, so ist es allzeit Meine Gnade, Meine Gabe, Meine Liebe, Meine Hilfe, die Ich jedem Kinde angedeihen lasse, sofort oder später, offen und verhüllt, wie es einem jeden dienlich ist.

53. Nun geht hin, seid getröstet und gesegnet. Laßt in eueren Herzen all die Armut wohnen. Denkt nie böse an die Hingestürzten, die ja aufzurichten und auch wieder heimzurichten sind. Wähnt nie, daß Ich jene, die Mich verleugnen, die Böses aus der Bosheit tun, ewiglich verdamme. Bei MIR, hört es wohl, gibt es keinerlei Verdammung, bei MIR gibt es erst die Abrechnung, dann die Hilfe und Erlösung, Segen, Frieden und die Liebe Meines väterlichen Herzens!

54. Ob das jemand bald erfährt oder durch den Abweg darauf warten muß, mindert Meine Gaben nicht. Wie ICH ewig gegenwärtig bin, so gegenwärtig sind auch Meine Gaben. Wie wenig Ich Mich je verborgen habe, so wenig halte Ich ein Kind von Meiner Liebe fern. Ohne diese Führung, sicht- und unsichtbare Offenbarung, kann kein Kindgeschöpf bestehen, könnte nicht am Leben bleiben, weil bloß mit und bei Mir als dem Schöpfer aller Dinge Sein und Leben ist und bleibt!

55. Und ihr vier, die man Heiden nennt, seid ganz getrost. Mir seid ihr liebe Kinder und das Licht wird bei euch sein (Off.21,24-26). Wandelt hinfort auf den Wegen Meiner Wahrheit, haltet an den Worten Meiner Liebe fest ‒ alle, die ihr mit dankerfüllter Seele schaut und ‒ jetzt Mein Antlitz sehen könnt. Diese Segnung bleibe bei euch bis zum letzten Tage eures Erdenlebens. Friede sei mit euch!"

*

56. Ist es ein Moment, eine Stunde, daß sich Gottes hehres Antlitz zeigt?, Seine Herrlichkeit und Seine Größe, die nicht erdrückt, die die Kinder selig macht? Noch knieen sie, spüren nicht die Rauheit eines harten Bodens. Sie sind noch auf der Welt und ‒ sind nicht auf ihr. Sie wissen später nicht, wie sie den Berg hinabgegangen sind, daß sie wortlos scheiden. Vereint bleiben sie im Glauben an den einen Gott, und an Seine Herrlichkeit.

 

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[1] Wir befinden uns noch in der „Zeit der Richter“, und es wird über 100 Jahre dauern, bis der erste König Saul kommt. Siehe „Buch der Richter“ 21,25: «Zu dieser Zeit gab es keinen König in Israel; jeder tat, was er für das Beste hielt». [A.d.W.]

[2] Parade: ein himmlischer wachsamer Blick. [A.d.W.]

[3] Matten: also in diesem Fall keine Betten (sicherlich nicht die bequemen Matratzen von heute), als ob sie die extreme Schlichtheit der damaligen Tracht und Einrichtung unterstreichen wollten. [A.d.W.]

[4] Die Frage war berechtigt, denn bekannt war, dass der Besitz von Hanea mit ihrem Sohn Boas nicht ihnen, sondern einem Bruder des verstorbenen Vaters gehörte. Daher glaubte man hier, dass der Sohn des Onkels, dh der Erbe, zum Erbe seines Vaters Kemali zurückgekehrt war. [A.d.W.]

[5] Lustrum: das höchste der Werke Gottes, die höchste Handlung jeder Handlung, aus der das Bild / der Plan des Heilands in Gott hervorgegangen ist. [A.d.W.]

[6] Sieben Prinzipien: die Repräsentanten der sieben Eigenschaften Gottes, die sieben dualen Erzengel von: Ordnung, Wille, Weisheit, Ernsthaftigkeit, Geduld, Liebe, Barmherzigkeit.

[7] Die erste: hier verstand Abraham als erster, als Stammvater der Menschen, die den einen Gott erkannten, also als 'Vater' der genealogischen Linie aller Linien nach Noah. [A.d.W.]

[8] Der letzte: bedeutet den letzten Akt der Göttlichkeit, den Menschen Seine Liebe zu geben, als Weisheit in der menschlichen Form in Jesus. [A.d.W.]

[9] Von den beiden Orten: Die Geburtsgrotte und Golgatha. [A.d.W.]

[10] Abendstunde: bezieht sich auf ein Ora-ur, das heißt, sie sind Zeiträume der Göttlichkeit, die in ihrem Wesen durch Entsprechung die gleichen Begriffe bezeichnen, die für die Zyklen der Erde verwendet werden, mit Jahren-ur, Monaten-ur, Wochen-ur, Tage-ur, aber unendlich. Wenn wir bedenken, dass die sehr lange, unendliche Zeit der 'sieben Tage der Schöpfung nur eine Woche-ur beträgt und dass die Phase des Falls der ersten Tochter (Sadhana) in der 7. Stunde des sechsten Tages stattfand, während das Kommen Jesu zur 14. Stunde, hier ist die Angabe des Engels am 16., also am Abend, der letzte nützlich für die Genesung aller Kinder, und dann gibt es die Nacht-ur, wenn man bedenkt, dass der Tag ist 16 Stunden zwischen 6.00 und 22.00 Uhr. (siehe die Arbeit "UR-Ewigkeit in Raum und Zeit" Kap.6,313). [A.d.W.]

[11] Die Nacht von Golgatha. (siehe den dritten Meilenstein "Golgatha") [A.d.W.]

[12] Das Heiligtum: siehe „UR-Ewigkeit in Raum und Zeit“

[13] Vom Geistigen zum Materiellen, vom Himmel des Geistes zur Inkarnation in den Welten der materiellen Schöpfung. [A.d.W.]

[14] Siehe dazu das Werk "Als Moses starb" Kap. 9.

[15] Z.B : (vor J. Lorber „Die Haushaltung Gottes“ – B.3 / Kap.15-23)

[16] Tat-Ur-Jahr: Es ist das dritte von vier Jahren eines halben Atemzugs der Gottheit, der in der Gesamtheit eines ganzen Atemzugs (acht Jahre-ur) mit Seiner Ein- und Ausatmung einen Zyklus-ur darstellt. Die anderen drei sind: das Gedanke-Ur-Jahr, das Wort-Ur-Jahr und nach diesem Tat-Ur-Jahr kommt das Folge-Ur-Jahr, deren Zeiten nicht einmal vorstellbar sind, wie es im Werk erwähnt wird.“ Ewigkeit-ur in Raum und Zeit" Kap. Vor 1,19-20 (siehe Hinweis Nummer 10) – [A.d.W]

[17] Die Quelle der Mitternacht: Es ist der Ort im Heiligtum, von dem die Göttlichkeit (der Schöpfer-Priester-Gott-Vater) alle Werke in einer Zeit nach einem Tag-ur bezieht. Der Nacht-ur ist folglich die Hälfte (acht Stunden-ur) eines Tages-ur (sechzehn Stunden-ur), in dem die Kinder dann ausführen werden, was die Gottheit in der Zeit-ur Seiner Nacht-ur vorbereitet hat. [A.d.W.]